Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 20. Juni 2016 - Au 5 K 15.1869

bei uns veröffentlicht am20.06.2016

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen der Beigeladenen erteilten Ergänzungsbescheid zur Baugenehmigung. Die Beigeladene beabsichtigt den Neubau einer Wohnanlage auf dem Grundstück Fl.Nrn. ... und ... der Gemarkung ..., bestehend aus drei Gebäudekomplexen.

Der Kläger ist Eigentümer des dem Baugrundstück benachbarten Grundstücks Fl.Nr. ....

Mit Bescheid vom 23. November 2015 ergänzte die Klägerin die Baugenehmigung vom 23. April 2015 unter Ziffer III. um eine Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächenvorschriften. Zur Begründung wird ausgeführt, Haus 2 widerspreche wegen seiner Lage zur östlichen Grundstücksgrenze zu Fl.Nr. ... den Abstandsflächenvorschriften in Art. 6 Abs. 2, 4 und 5 BayBO. Die Abstandsfläche des Hauses 2 liege mit einer Fläche von 0,40 m x 3,75 m auf der Fl.Nr. ... an dessen nordwestlicher Grundstücksecke. Dadurch werde die Belichtung, Belüftung und Besonnung der vorhandenen Bebauung nicht beeinträchtigt. Die erforderlichen Brandschutzabstände zwischen neuer und vorhandener Bebauung würden eingehalten. Die Nachbarschaft von Fl.Nr. ... habe in einer Ursprungsvariante der Bebauung zugestimmt, wobei die Hauptbelastung der Abstandsfläche von Haus 3 ausgehe. Die Lage von Haus 3 sei unverändert beibehalten worden. Die Lage von Haus 2 sei im Baugenehmigungsverfahren dahingehend verändert worden, dass das Haus 2 Richtung Süden verschoben worden sei und somit eine geringfügige Mehrbelastung im Vergleich zur Ursprungsvariante auftrete. Aus bauordnungsrechtlicher Sicht sei die Bebauung in wesentlichen Teilen gleich, so dass die Abweichung unter Berücksichtigung der nachbarlichen Belange erteilt werden könne.

Der Kläger ließ am 23. Dezember 2015 Klage gegen die Baugenehmigung in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 23. November 2015 erheben und beantragen,

die Baugenehmigung vom 23. April 2015 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 23. November 2015 bezüglich des Neubaus einer Wohnanlage mit Tiefgarage auf dem Grundstück ..., Gemarkung ..., Fl.Nrn. ... und ..., aufzuheben.

Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen, dass mit dem ergangenen Ergänzungsbescheid offensichtlich der Umstand nachgenehmigt werden sollte, dass sich die Lage von Haus 2 - entgegen der ursprünglichen Eingabepläne - unter Verletzung einer Abstandsfläche von 0,40 x 3,75 m in Richtung Süden verschoben habe. Die Nachgenehmigung sei erst erfolgt, nachdem der Kläger auf die Verletzung der Abstandsflächen hingewiesen habe und die Fundamente des Hauses 2 bereits in Form gegossen worden seien. Der Kläger sei im Baugenehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Er habe zwar den Eingabeplan in der Ursprungsvariante unterschrieben. Grundlage für seine Unterschrift sei jedoch der Erhalt eines Baumes gewesen. Die von der Beigeladenen in der Folge eingereichten weiteren Pläne kenne der Kläger nicht. Er könne sich auf die Verletzung der Abstandsflächenregelungen berufen, weil die Beklagte das Prüfprogramm des Art. 59 BayBO erweitert habe. Ausweislich der Baugenehmigung und des Ergänzungsbescheids seien die Abstandsflächen geprüft worden. Damit sei die Frage der Vereinbarkeit mit den Abstandsflächenvorschriften im vorliegenden Nachbarrechtsstreit auch zu prüfen. Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2, 4 und 5 BayBO liege vor. Es fehle jedoch an den Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung. Eine atypische Fallgestaltung, die eine Abweichung rechtfertige, sei nicht ersichtlich. Auch der Ergänzungsbescheid werde nicht mit einer Atypik begründet.

Der am 19. Januar 2016 erhobene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss vom 1. Februar 2016 abgelehnt (Az. Au 5 S 16.93).

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. Januar 2015 wurde die Bauherrin zum Verfahren notwendig beigeladen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Beigeladenen vom 25. Januar 2016 Bezug genommen. Die erteilte Abweichung sei jedoch nicht rechtswidrig, sondern gehe lediglich ins Leere.

Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dem Kläger fehle es an der erforderlichen Klagebefugnis. Die Baugenehmigung vom 23. April 2015 sei bestandskräftig. Damit unterliege nur noch der Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 der Entscheidungskompetenz des Gerichts. Die Möglichkeit einer Verletzung nachbarschützender Vorschriften ergebe sich aus diesem Bescheid nicht. An der Feststellungswirkung der Baugenehmigung nehme die von der Beklagten erteilte Abweichung nicht teil, weil diese vom Beigeladenen nicht beantragt worden sei. Den beschränkten Prüfungsumfang im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren könne die Bauaufsichtsbehörde nicht selbst erweitern. Der Kläger verhalte sich darüber hinaus rechtsmissbräuchlich, weil er selbst die Abstandsflächen sowohl an der Nord/Südgrenze zum Baugrundstück Fl.Nr. ... als auch an der West/Ostgrenze zum Baugrundstück Fl.Nr. ... nicht einhalte. Im Übrigen seien die Abstandsflächenvorschriften nicht verletzt, jedenfalls könne auf Antrag des Bauherrn eine Abweichung erteilt werden könne. Die nähere Umgebung sei durch grenznahe Bebauung geprägt. Im gesamten Straßengeviert halte nahezu keine Bebauung die erforderlichen Abstandsflächen ein. Zudem scheide eine Verletzung von Nachbarrechten aus, weil die Abstandsflächen nur um wenige Zentimeter unterschritten würden und sich dieser Verstoß auf die Bebauung auf dem Grundstück des Klägers nicht spürbar auswirke. Selbst wenn man eine Verletzung von Art. 6 BayBO annehmen wollte, könne der Beigeladenen auf ihren Antrag ohne weiteres eine Abweichung erteilt werden. Die Atypik liege auf der Hand, weil bei starrer Anwendung des Art. 6 BayBO die Beigeladene nahezu als einzige im Bauquartier die Abstandsflächen einhalten würde. Die nachbarlichen Interessen könnten aufgrund der Zustimmung des Klägers zu einer Abstandsflächenüberschreitung von 176 m², die durch die Tekturplanung auf nur 166 m² zzgl. der hier verfahrensgegenständlichen 1,5 m² reduziert worden seien, als gewahrt angesehen werden. Hinzu trete die baurechtlich ungenehmigte Nutzung der Dachterrasse auf dem Grundstück des Klägers. Diese stelle einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme dar. Wer seinerseits die schutzwürdigen Belange der Nachbarschaft derart beeinträchtige, könne sich umgekehrt nicht auf eine Nachbarrechtsverletzung durch eine zusätzliche Abstandsflächenunterschreitung von 1,5 m² berufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Akten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger wird durch den der Beigeladenen erteilten Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Eine Baunachbarklage kann ohne Rücksicht auf die etwaige objektive Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind und dieser dadurch in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann. Dies ist hier nicht der Fall.

a) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Vorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO widerspricht.

Die Baugenehmigung vom 23. April 2015 ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden. Prüfungsumfang sind insoweit die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO sowie beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO). Nachdem die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht enthalten ist, kann sich der Kläger - abgesehen von den von der Beigeladenen beantragten und im bestandskräftigen Genehmigungsbescheid vom 23. April 2015 erteilten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO - nicht auf die Verletzung von Nachbarrechten wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen (BayVGH, B. v. 17.3.2014 - 15 CS 13.2648 - juris Rn. 14; BayVGH, B. v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 11; VG Ansbach, U. v. 21.10.2015 - AN 9 K 14.01875 - juris Rn. 41).

Die Prüfung und Zulassung einer Abweichung von abstandsrechtlichen Vorschriften im Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 führt vorliegend nicht zu einer Erweiterung des Prüfungsrahmens des Art. 59 BayBO gegenüber dem Kläger (vgl. hierzu auch BayVGH, B. v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1151 - juris Rn. 15). Die Abweichung wurde nicht auf Antrag der Beigeladenen erteilt. Der Architekt der Beigeladenen hat mit eidesstattlicher Versicherung vom 27. Januar 2016 bekräftigt, die mit Bescheid vom 23. November 2015 erteilte Abweichung nicht beantragt zu haben. Auch die Bauherrin selbst habe keinen solchen Antrag gestellt. Aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt sich ebenfalls kein Hinweis auf einen Antrag auf Erteilung der Abweichung seitens der Beigeladenen. Dies behauptet im Übrigen nicht einmal der Kläger selbst. Das Prüfprogramm des Art. 59 BayBO kann jedoch durch die Bauaufsichtsbehörde nicht einseitig entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO durch eine nicht beantragte Abweichung erweitert werden (BayVGH, B. v. 12.12.2013 - 2 ZB 12.1513 - juris Rn. 3). Der bayerische Landesgesetzgeber hat zwar in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO ausdrücklich eine erweiterte Ablehnungsmöglichkeit für die Bauaufsichtsbehörden geschaffen. Eine Erweiterung des Prüfungsumfangs bei Erteilung der Baugenehmigung ist jedoch nicht vorgesehen (BayVGH, B. v. 12.12.2013 a. a. O.; Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Band I, Stand: Mai 2015, Art. 59 Rn. 18). Denn damit würde die gesetzgeberische Entscheidung, das Bauordnungsrecht im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht prüfen zu lassen, konterkariert (Simon/Busse, a. a. O., Art. 59 Rn. 65). Allein der Bauherr hat es in der Hand, durch den Antrag auf Erteilung von Abweichungen nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1 BayBO das Prüfprogramm zu erweitern und damit auch erteilte Abweichungen an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teilhaben zu lassen. Ohne einen entsprechenden Antrag des Bauherrn bleibt auch der Regelungsinhalt der Baugenehmigung und damit der Nutzen der Baugenehmigung für den Bauherrn beschränkt (s. hierzu BayVGH, B. v. 12.12.2013 a. a. O.; BayVGH, U. v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - juris Rn. 35; Simon/Busse, a. a. O., Art. 63 Rn. 49). Demgemäß kann auch ein Nachbar nicht verlangen, dass Abweichungen in Bezug auf die Abstandsflächentiefe geprüft werden, die nicht im Sinn von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO beantragt worden sind (BayVGH, U. v. 29.10.2015 a. a. O. Rn. 36).

Die mit Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 erteilte Abweichung wird somit nicht von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 23. April 2015 umfasst. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch den Ergänzungsbescheid im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Abstandsflächenverletzung kommt deshalb nicht in Betracht. Die Baugenehmigung selbst ist bereits rechtskräftig geworden und kann vom Kläger nicht mehr angefochten werden.

b) Eine Verletzung sonstiger nachbarschützender Vorschriften ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Die vom Kläger gerügte fehlende Beteiligung am Baugenehmigungsverfahren verpflichtet nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO zwar zur Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung. Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften kann damit jedoch nicht begründet werden (Simon/Busse, a. a. O., Art. 66 Rn. 208). Ein sonstiger Verstoß, etwa gegen das Gebot der Rücksichtnahme, ist angesichts der nur geringfügigen Überschreitung der Abstandsflächen nicht erkennbar.

Damit erweist sich die Klage als unbegründet.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie einen Antrag gestellt und sich am Prozesskostenrisiko beteiligt hat.

Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,

Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,

schriftlich zu beantragen.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder

Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.

Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

...

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,

Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,

schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

...

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(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die dem Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung in der Fassung der Tektur-Genehmigung vom 18. Oktober 2013 für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem Grundstück FlNr. ... Gemarkung M.

Das ebenfalls mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück FlNr. ... der Antragsteller grenzt im Westen an das Baugrundstück.

Mit Beschluss vom 29. November 2013 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 15. November 2013 ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

Die Antragsteller berufen sich im Beschwerdeverfahren auf eine Verletzung der gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. November 2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 18. Oktober 2013 anzuordnen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung ihrer Rechte zu treffen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Ihm wurde inzwischen die Fortführung der Bauarbeiten von der Antragsgegnerin untersagt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen im Ergebnis keine Abänderung oder Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Der auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass einer sofort vollziehbaren Baueinstellungsverfügung gerichtete Antrag ist dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass die Antragsteller (zunächst) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehren.

Die im Beschwerdeverfahren allein geltend gemachte Verletzung der Abstandsflächenvorschriften verhilft der Beschwerde der Antragsteller nicht zum Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung wurde ausweislich der Bescheidsbegründung - zutreffend - im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilt, weil das Vorhaben kein Sonderbau ist (Art. 59 Satz 1, Art. 2 Abs. 4 BayBO). Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt. Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften wurde weder beantragt noch erteilt. Den beschränkten Prüfungsumfang des Art. 59 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HalbsBayBOayBO nicht selbst erweitern. Eine Verletzung von Nachbarrechten der Antragsteller durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kommt deshalb nicht in Betracht (BayVGH, B. v. 16.10.2012 - 15 ZB 11.1016 - juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 12.12.2013 - 2 ZB 12.1513 - juris Rn. 3 jeweils m.w.N). Vor diesem Hintergrund gehen die Ausführungen Antragsgegnerin in der Bescheidsbegründung zur Einhaltung der Abstandsflächen ins Leere. Dass der vom Beigeladenen eingereichte Abstandsflächenplan einen Genehmigungsstempel trägt, ist ohne Belang und im Hinblick auf die darin dokumentierte Abstandsflächenübernahme nachvollziehbar.

2. Nachdem der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg hat, kommen auch keine gerichtlich angeordneten Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 AltVwGOVwGO in Betracht.

3. Kosten: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO

Streitwert: § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, (Mit-)Eigentümer des Grundstücks FlNr. 757/13 Gemarkung F., wendet sich gegen die der Beigeladenen mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2013 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit fünf Wohneinheiten und fünf Stellplätzen auf dem südlichen Nachbargrundstück FlNr. 757/48 Gemarkung F. Er hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben. Ferner hat er beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. Januar 2014 abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er macht geltend, das Vorhaben verletze wegen der Nichteinhaltung der Abstandsfläche gemäß Art. 6 BayBO das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Das Vorhaben übe eine erdrückende Wirkung auf sein Anwesen aus, das 2,50 m tiefer liege als die Gehsteigoberfläche. Die Wohnräume und der Garten seines Anwesens würden nicht mehr sachgerecht belichtet. Der Antragsteller sei in seinem Garten immer den Blicken der Bewohner des Vorhabens ausgesetzt.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Januar 2014 abzuändern und die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Baugenehmigung vom 26. November 2013 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Gebot der Rücksichtnahme werde durch das Vorhaben nicht verletzt. Dieses füge sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Von ihm gehe auch keine erdrückende Wirkung auf das Wohngebäude des Antragstellers aus. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren seien Abstandsflächen nicht zu prüfen gewesen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie verweist darauf, dass die Abstandsflächen nach der Bayerischen Bauordnung eingehalten seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

Soweit sich der Antragsteller auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen des Art. 6 BayBO beruft, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Hier wurde die angefochtene Baugenehmigung, worauf in H 001 der Auflagen (Nebenbestimmungen) und Hinweise ausdrücklich hingewiesen wurde, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO erteilt. Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt. Die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften wurde weder beantragt noch erteilt. Den beschränkten Prüfungsmaßstab des Art. 59 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO nicht selbst erweitern. Eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen kommt deshalb nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2013 - 2 ZB 12.1513 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 17.3.2014 - 15 CS 13.2648 - juris Rn. 14 jeweils m. w. N.). Dass der von der Beigeladenen eingereichte Abstandsflächenplan einen Genehmigungsstempel trägt, ist somit ohne Belang. Im Übrigen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine - unterstellte - Verletzung der Abstandsflächenvorschriften auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indizieren würde (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 - 15 CS 11.1101 - juris Rn. 17).

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Maß der baulichen Nutzung i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung entfaltet und es entscheidend für die Verletzung von nachbarlichen Rechten allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme auf den Antragsteller einhält (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2013 - 15 ZB 13.68 - juris Rn. 4). Dieses Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbar nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls ist maßgeblich dafür, ob einem Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukommt. (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2013 - 15 ZB 13.68 - juris Rn. 5). Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2012 - 15 ZB 11.1016 - juris Rn. 6). Das Verwaltungsgericht hat hier eine solche Gesamtschau vorgenommen und dabei auch unterstellt, dass das im Miteigentum des Antragstellers stehende Grundstück an der gemeinsamen Grundstücksgrenze um ca. 2,50 m tiefer liegen sollte. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dabei von falschen tatsächlichen Annahmen ausgegangen ist.

Der Antragsteller muss auch die Möglichkeit der Einsichtnahme in sein Grundstück hinnehmen. Das öffentliche Baurecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Nutzungsart, des Nutzungsmaßes, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist - als nicht städtebaulich relevant - darin nicht angesprochen (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72/89 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.1.2013 - 15 ZB 13.68 - juris Rn. 6 m. w. N.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Soweit der Senat im Einzelfall die Möglichkeit der Einsichtnahme für erheblich gehalten hat (vgl. B.v. 2.7.2010 - 9 CS 10.894 - juris Rn. 5 ), lagen dem im Vergleich zur Lage des Antragstellers völlig andere tatsächliche Verhältnisse zugrunde (Durchbrechung einer profilgleichen Reihenhausbauweise durch einen massiven Queranbau an ein Reiheneckhaus in den Ruhe- und Gartenbereich der Reihenhauszeile hinein).

Kosten: § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Ansbach

AN 9 K 14.01875

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 21. Oktober 2015

9. Kammer

Sachgebiets-Nr.: 0920

Hauptpunkte: Nachbarklage gegen Baugenehmigung; Heranrückende Wohnnutzung; Bindungswirkung eines vorangegangenen Bauvorbescheids; Abweichung von der Einhaltung von Abstandsflächen; Abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung Nutzungsänderung und Balkone; Atypik

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

vertreten durch: ...

diese vertreten durch den Geschäftsführer

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

gegen

Stadt ..., Rechtsamt,

vertreten durch den Oberbürgermeister ...

- Beklagte -

beigeladen:

...,

vertreten durch ...

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

wegen Baurechts

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, 9. Kammer, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Kroh, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Engelhardt-Blum, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Wendelin, die ehrenamtliche Richterin ..., und die ehrenamtliche Richterin ... aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. Oktober 2015 am 21. Oktober 2015 folgendes Urteil:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt einen Lebensmitteleinzelhandelsmarkt und wendet sich mit ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Sanierung und Nutzungsänderung von Büro- und Verwaltungsgebäude zu Wohngebäude.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl. Nr. ... der Gemarkung ..., P.-straße ..., ..., das nordöstlich unmittelbar an das streitgegenständliche Vorhabensgrundstück Fl. Nr. ..., Gemarkung ..., M. Straße ..., ... grenzt. Die Klägerin betreibt auf einer Verkaufsfläche einschließlich Ladenstraße von 1.015,36 qm und einer Geschossfläche nach § 20 Abs. 3 und Abs. 3 BauNVO von 1.671,33 qm einen Lebensmitteleinzel- bzw. Verbrauchermarkt, der zuletzt mit Baugenehmigung der Stadt ... vom 25. Februar 2014 hinsichtlich einer Erweiterung im Bereich des Pfandraumes sowie des Back-shops bauaufsichtlich genehmigt wurde. Das Grundstück der Klägerin, auf dem der Verbrauchermarkt betrieben wird, besitzt eine Gesamtfläche von 5.465,42 qm.

Bei dem Vorhabensgrundstück handelt es sich um das ehemalige Fabrikgebäude der ... Werke, einem viergeschossigen, traufständigen Putzbau mit zurückspringendem Mansardengeschoss und Ziergiebel, das als Baudenkmal gemäß Art. 1 DSchG unter Schutz steht. Das streitgegenständliche Gebäude wurde bislang als Büro- und Verwaltungsgebäude genutzt. Mit der angefochtenen Baugenehmigung soll das Gebäude einer ausschließlichen Wohnnutzung zugeführt werden.

Die Beigeladene beantragte am 19. März 2013 für das Grundstück Fl. Nr. ..., Gemarkung ... in ..., für das Vorhaben „Sanierung und Nutzungsänderung von Büro- und Verwaltungsgebäude zu Wohngebäude mit 24 Wohneinheiten und fünf Appartements mit Errichtung von Balkonanlagen (Erdgeschoss bis drittes Obergeschoss)“ die Erteilung eines Vorbescheides. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2013 der Stadt ... wurde unter Ziffer 2 folgendes tenoriert:

„1. Kann das Gebäude einzig als Wohngebäude genutzt werden? Die komplette Nutzung als reines Wohngebäude ist sowohl planungs- als auch denkmalrechtlich zulässig.

2. Kann das Parksystem im Hof nachgewiesen werden? Der Stellplatznachweis kann als Parksystem im Hof nachgewiesen werden, wenn die Abstandsflächen zu den angrenzenden Nachbargrundstücken eingehalten bzw. die Abstandsflächen übernommen werden. Das gilt analog für die Nebengebäude. Zulässig ist eine privilegierte Grenzbebauung gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO.“

Der Bauvorbescheid vom 30. Dezember 2013 wurde der Klägerin am 8. Januar 2014 zugestellt und ist bestandskräftig geworden.

Auf den Bauantrag der Beigeladenen vom 17. April 2014 erteilte die Stadt ... mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 die Baugenehmigung für das Vorhaben „Sanierung und Nutzungsänderung von Büro- und Verwaltungsgebäude zu Wohngebäude und Errichtung eines Kfz-Parksystems“. U. a. wurden Abweichungen gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von den nach Art. 6 Abs. 2 BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen zugelassen. Hinsichtlich des vorhandenen Gebäudes wurde wegen Nichteinhaltung der nach Art. 6 Abs. 5 bzw. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken Fl. Nrn. ... und ..., Gemarkung ..., eine Abweichung zugelassen. Hinsichtlich der zu errichtenden Balkone wurde eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der nach Art. 6 Abs. 5 bzw. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zu den Grundstücken Fl. Nrn. ... und ... erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, für das Vorhaben gelte ein einfacher Bebauungsplan in Verbindung mit § 34 BauGB. Der Gebietscharakter entspreche hier einem Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO. Die beantragte Nutzungsänderung von Bürogebäude zu Wohngebäude habe keine Auswirkungen auf die bisherige Gebietseinstufung als Mischgebiet. Der vorhandene Einzelhandel auf dem nördlich angrenzenden Grundstück sei mit ca. 1.000 qm Verkaufsfläche nicht als gebietsversorgend im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zu beurteilen. Er trage somit zum gewerblichen Anteil des Mischgebietes bei. Die beantragte Nutzungsänderung sei somit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässig und füge sich auch nach § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein.

Das Vorhaben setze sich keinen unzumutbaren Störungen nach § 15 BauNVO aus. In der Genehmigung des Einzelhandels auf dem nördlich angrenzenden Grundstück sei durch ein schalltechnisches Gutachten nachgewiesen worden, dass an der Nordfassade M.-Straße ... im ersten Obergeschoss die Werte eines Mischgebietes ohne zusätzliche Maßnahmen eingehalten werden könnten.

Die Voraussetzungen bezüglich der Zulassung von Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO lägen vor. Die Nutzungsänderung bedürfe einer Neubeurteilung der Abstandsflächen. Eine zusätzliche Beeinträchtigung der Belange des Wohn- und Sozialfriedens oder ungünstigere Auswirkungen auf die nachbarlichen Interessen könne durch die geänderte Nutzung durch das Bestandsgebäude nicht gesehen werden. Die Balkone entsprächen für sich genommen untergeordneten Bauteilen nach Art. 6 Abs. 8 BayBO. Sie träten nicht mehr als 1,5 m vor die Außenwand, seien mindestens 2 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze entfernt und insgesamt nicht länger als 1/3 der Breite der Außenwand. Die Einschränkung auf höchstens 5,00 m Länge sei bei der Größenordnung des Gebäudes nicht sinnvoll umsetzbar. Für die Abstandsflächen nach Süden zu Fl. Nr. ... sei die Länge der Balkone nicht relevant. Die Nichteinhaltung der Abstandsflächen des Bestandsgebäudes werde durch die Abstandsfläche der untergeordneten Balkone nicht zusätzlich überschritten.

Der Parklift löse keine Abstandsflächen aus. Er werde nicht eingehaust. Der Parklift befinde sich in seiner Ruhestellung immer im abgesenkten Zustand und könne überfahren werden. Durch die Schlüsselblockierung werde bewirkt, dass der Bedienschlüssel erst dann abgezogen werden könne, wenn die Anlage wieder abgesenkt worden sei.

Gegen den am 30. Oktober 2014 zugestellten Bescheid hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten am 1. Dezember 2014 Klage erhoben. Zur Begründung wird ausgeführt, das Bauvorhaben verstoße in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gegen den der Klägerin zustehenden Gebietserhaltungsanspruch und das Rücksichtnahmegebot. Überdies sei das streitgegenständliche Bauvorhaben abstandsflächenrechtlich unzulässig, wobei sich insbesondere die erteilten Abweichungen als ermessensfehlerhaft darstellten.

Das Bauvorhaben umfasse neben der eigentlichen Nutzungsänderung, die eine Situierung zahlreicher Fenster schutzbedürftiger Aufenthaltsräume unmittelbar in Richtung des Betriebsgeländes der Klägerin vorsehe, weitergehende bauliche Maßnahmen, insbesondere die Installation von umfangreichen Außenbalkonen, die Errichtung einer Dachterrassenfläche im Bereich des nordöstlichen Querbaus sowie die Herstellung eines „Souterrain“-Geschosses in den unteren Stockwerken, für welches das Baugrundstück entlang der gesamten nordöstlichen Fassade des Gebäudes M. Straße ... abgegraben werden solle. Der bestandskräftige Vorbescheid vom 30. Dezember 2013 sei für die Beurteilung des streitgegenständlichen Bauvorhabens unerheblich zum einen hinsichtlich der abstandsflächenrechtlichen Einwände, zum anderen sei das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht identisch mit denjenigen des Vorbescheidsverfahrens. Insbesondere habe sich die Anzahl der Wohnungen gegenüber dem Vorbescheidsverfahren in nachbarrelevanter Weise erhöht. Damit könnten die nachfolgend ausgeführten bauplanungsrechtlichen Einwände nicht unter Bezugnahme auf den erteilten Vorbescheid außer Acht gelassen werden.

Das Bauvorhaben verstoße in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gegen den der Klägerin zustehenden Gebietserhaltungsanspruch. Das verfahrensgegenständliche Wohn- und Geschäftsgebäude M. Straße ... sei eines der letzten, wenn nicht gar das letzte, nicht zu Wohnzwecken genutzte Gebäude im hier maßgeblichen Geviert, das aus M. Straße, H.-straße, P.-straße und M.-straße gebildet werde. Werde für das Anwesen M. Straße ... eine reine Wohnnutzung zugelassen, bestehe die handgreifliche Gefahr, dass das vorstehend bezeichnete Geviert der Art der baulichen Nutzung nach von dem derzeit anzunehmenden Mischgebiet in ein allgemeines Wohngebiet „kippe“ und damit die Nutzung der Klägerin als bloßer Fremdkörper auf einen Bestandsschutz verwiesen wäre. Dies sei mit dem der Klägerin zustehenden Gebietserhaltungsanspruch, der sich auf die Erhaltung der Gebietsart als faktisches Mischgebiet beziehe, nicht vereinbar.

Überdies verstoße die geplante Nutzungsänderung einschließlich der geplanten baulichen Maßnahmen gegen das der Klägerin zustehende Rücksichtnahmegebot. Unter Berücksichtigung einer Schutzbedürftigkeit der geplanten Wohnnutzung als allgemeines Wohngebiet sei dort mit unzumutbaren Lärmeinwirkungen von Seiten des klägerischen Betriebs zu rechnen. Damit stünden vorliegend gravierende Betriebsbeschränkungen für den Betrieb der Klägerin im Raum. Dies gelte insbesondere für die unmittelbar in der Nachbarschaft des geplanten Bauvorhabens situierten Stellplätze der Klägerin und die von dort ausgehenden Lärmeinwirkungen auf die geplante Wohnnutzung. Das im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens des klägerischen Betriebs eingereichte schalltechnische Gutachten vom 4. Februar 2002 berücksichtige zwar auch das Anwesen M. Straße ... und komme zu dem Ergebnis, dass die nach TA-Lärm für Mischgebiete maßgeblichen Immissionsrichtwerte an den zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Immissionsorten eingehalten werden könnten; die für ein allgemeines Wohngebiet geltenden Richtwerte würden jedoch deutlich überschritten werden, so dass mit nachträglichen Betriebsbeschränkungen zu rechnen sei. Auch werde die Bezugnahme auf das schalltechnische Gutachten vom 4. Februar 2002 dem hier inmitten stehenden Nutzungskonflikt nicht gerecht. Das besagte schalltechnische Gutachten habe sich auf die zum damaligen Zeitpunkt gegebene tatsächliche Situation bezogen. Nunmehr würden jedoch insbesondere im Bereich des Dachgeschosses sowie im Bereich des geplanten Souterrains des Gebäudes M. Straße ... neue Immissionsorte eröffnet, die nicht von dem besagten Schallgutachten aus dem Jahr 2002 abgedeckt seien. Gerade in diesen Bereichen sei daher ein möglicher Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aufgrund der hieraus möglicherweise resultierenden Betriebsbeschränkungen handgreiflich. Gerade die Nutzung der geplanten Balkonanlagen gehe mit erheblichen Lärmeinwirkungen einher und könnten damit Gegenstand entsprechender Begehren der jeweiligen Wohnungseigentümer oder Nutzer sein, den klägerischen Betrieb auf dem benachbarten Grundstück einzuschränken.

Schließlich sei das streitgegenständliche Bauvorhaben abstandsflächenrechtlich unzulässig. Maßgeblich für die abstandsflächenrechtliche Beurteilung des streitgegenständlichen Bauvorhabens seien die aus der Nutzungsänderung des Gebäudes resultierende abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung, die Abstandsflächen der neu geplanten Balkonanlage, die Abstandsflächen der Dachterrassennutzung im obersten Geschoss des nordöstlichen Querbaus, die Abgrabung zur Ermöglichung der Souterrainnutzung und die geplante Parkliftanlage. Im Rahmen abstandsflächenrechtlicher Abweichungen sei grundsätzlich zu beachten, dass jede Abweichung auf Tatbestandsseite eine grundstücksbezogene Atypik voraussetze. Gleichermaßen müsse das Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt werden. Hierbei sei darauf hinzuweisen, dass das Abstandsflächenrecht zielorientiert sei. Es solle im Interesse der Gesundheit und des Wohlbefindens eine ausreichende Belichtung, Belüftung sowie einen adäquaten Brandschutz gewährleisten. Zugleich diene das Abstandsflächenrecht dem Wohnfrieden. Es sei zu berücksichtigten, dass den gesetzlich bestimmten Abstandsflächen eine Bewertung aller berührten öffentlichen und privaten Belange zugrunde liege, die der Gesetzgeber für sachgerecht angesehen habe, ohne dass es einer behördlichen Konkretisierung im Einzelfall bedürfte. Damit dürfe der durch den Gesetzgeber vorgegebene Schutzstandard nicht nach Belieben durch die Bauaufsichtsbehörde korrigiert werden. Hierbei sei vielmehr zu berücksichtigen, dass es im Abstandsflächenrecht im Regelfall keine Möglichkeit gebe, dessen Ziele auf andere Weise zu erreichen. Eine Reduzierung der Abstandsflächen verschlechtere daher regelmäßig die Belichtung und die Belüftung oder belaste den sozialen Grundfrieden (mit Verweis auf Simon/Busse, Art. 63 BayBO, Art. 6, Rn. 42 ff.). Da somit jede Abweichung von den abstandsflächenrechtlichen Anforderungen zur Folge habe, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht würden, setze die Zulassung einer Abweichung neben einer atypischen Fallgestaltung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, welche die für den betroffenen Nachbarn resultierenden Einbußen als vertretbar erscheinen ließen (mit Verweis auf VG München, U. v. 27.2.2012 - M 8 K 11.5252 - juris). Diesen Anforderungen genügten die hier streitgegenständlichen Abweichungsentscheidungen nicht.

Die Abweichung bezüglich der infolge der geplanten Nutzungsänderung erforderlichen abstandsflächenrechtlichen Neubetrachtung des Bestandsgebäudes sei rechtsfehlerhaft erteilt worden. Soweit die Begründung des streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheides ausführe, eine zusätzliche Beeinträchtigung der Belange des Wohn- und Sozialfriedens oder ungünstigere Auswirkungen auf die nachbarlichen Interessen könnten durch die geänderte Nutzung durch das Bestandsgebäude nicht gesehen werden, gehe diese Annahme fehl. Insbesondere gebe es keine Gründe, weshalb die vorliegend verfahrensgegenständliche Nutzungsänderung zwingend für die bestandsgerechte Nutzung des vorhandenen Baubestands erforderlich sein sollte. Eine atypische Grundstücksituation sei daher vorliegend nicht ersichtlich. Gleichermaßen fehle im Rahmen der Begründung der streitgegenständlichen Baugenehmigung jedwede Ausführung, worin vorliegend die grundstücksbezogene Atypik liegen solle. Bereits dieser Umstand spreche per se für die Rechtswidrigkeit der erteilten Abweichung (mit Verweis auf VG München, U. v. 27.2.2012 a. a. O.). Die Begründung der streitgegenständlichen Baugenehmigung gehe fälscherlicherweise davon aus, dass durch die Nutzungsänderung keine Beeinträchtigung des Sozialfriedens erfolgen werde. Insoweit sei jedoch zu berücksichtigen, dass eine an einen Gewerbebetrieb heranrückende Wohnbebauung stets eine Belastung des Sozialfriedens bzw. des nachbarlichen Verhältnisses mit sich bringen werde. Im vorliegenden Falle komme hinzu, dass gegenüber der ursprünglichen Nutzung des Gebäudes M. Straße ... sowohl das Dachgeschoss als auch das nunmehr geplante Souterraingeschoss solch Gebäudebereiche umfasse, die bisher keiner Hauptnutzung zugeführt gewesen seien. Dies erfolge nunmehr erstmalig im Rahmen der streitgegenständlichen Nutzungsänderung durch eine besonders geräuschsensible Wohnnutzung. Damit verschärfe sich der Nutzungskonflikt zulasten der Klägerin in besonderem Maße. Vergleiche man im Übrigen den bisher gegebenen Lärmkonflikt zwischen einem Verwaltungsgebäude und einer gewerblichen Nutzung einerseits und den Lärmkonflikt zwischen einer gewerblichen Nutzung und einer Wohnnutzung andererseits, sei ohne weitere Schwierigkeit erkennbar, dass sich der Schwerpunkt des Lärmkonflikts in zeitlicher Hinsicht verschiebe. Während ein Verwaltungsgebäude aus seiner Nutzung heraus einen möglichen Lärmkonflikt insbesondere während der Tageszeit verursachen werde, werde sich für ein Wohngebiet ein entsprechend verschärfter Konflikt gerade in den Morgen- und Abendstunden und nicht zuletzt zur Nachtzeit ergeben. Danach sei sehr wohl davon auszugehen, dass sich der bestehende Nutzungskonflikt durch die nunmehr zugelassene Wohnnutzung erheblich verschärfe und die streitgegenständliche Nutzungsänderung damit die Belange des Sozialfriedens in erheblicher Weise zulasten der Klägerin berühre. Hiermit setze sich die Begründung der Abweichung nicht im Ansatz auseinander, was den insoweit zu stellenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung keineswegs genüge. Vielmehr erschöpfe sich der Begründungstext lediglich in einer formelhaften und pauschalen Abhandlung der abstandsflächenrechtlichen Problematik, was als ermessensfehlerhaft zu beurteilen sei (mit Verweis auf VG München, U. v. 27.2.2012 a. a. O.).

Vergleichbares gelte für die in Ansehung der neu hinzukommenden Balkonanlage erteilten abstandsflächenrechtlichen Abweichung. Insoweit stelle die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids die Abstandsflächenpflichtigkeit der Balkonanlage per se in Frage, indem die Balkone als untergeordnete Bauteile bezeichnet würden. Diese Einschätzung sei unrichtig und führe zur Ermessensfehlerhaftigkeit der erteilten Abweichung. So sei bereits die Anforderung in Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO, wonach die vorgesehenen Balkonanlagen insgesamt eine Breite von nicht mehr als 5 m aufweisen dürften, nicht erfüllt. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass die geplanten Balkonanlagen wegen der bis in die oberen Geschosse reichenden, mit einem Dach versehenen Konstruktion wegen der resultierenden Summenwirkung unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Abgrenzungskriterien als eigenständiger (fiktiver), versetzter Außenwandteil zu beurteilen seien. Ein derartiges Außenwandteil könne an der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO nicht teilnehmen. Die in der vorgenannten Kommentarstelle (Simon/Busse, Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO) insoweit genannte Breite von 2 m werde durch jede der an der nordöstlichen Fassade vorgesehenen Balkonanlagen deutlich überschritten. Gleichermaßen lasse der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid die Frage einer grundstücksbezogenen Atypik gänzlich offen und führe hierzu nichts aus. Es sei im Übrigen nicht ersichtlich, welche atypische Grundstückssituation die Realisierung einer derart massiven Balkonanlage zulassen sollte. Insgesamt sei daher auch hinsichtlich der Balkone nichts dafür ersichtlich, dass die Belange der Klägerin gegenüber den Belangen des Vorhabensträgers, die sich in rein wirtschaftlichen Erwägungen erschöpften, zurückgestellt werden könnten. Auch insoweit sei daher ein maßgeblicher Ermessensfehler anzunehmen.

Im Bereich des Querbaus an der nordwestlichen Grenze des Baugrundstücks sei anhand der Bauvorlagepläne davon auszugehen, dass dort eine abstandsflächenrechtlich relevante Dachterrassenkonstruktion ausgeführt werden solle. Hierzu werde das bestehende, schräge Dach zurückgebaut. Aufgrund der nach wie vor in Richtung Nordosten vorgesehenen Abgrenzung des Flachdachbereichs in Richtung des Grundstücks der Klägerin fielen von dort neue Abstandsflächen an, welche die aus dem Bestand resultierenden Abstandsflächen überschritten. Auch insoweit wäre daher eine Abweichung von den abstandflächenrechtlichen Vorgaben erforderlich. Eine solche Abweichung sei vorliegend nicht erteilt worden. Der Fall der normwidrigen Unterlassung einer notwendigen Abweichung stehe dem Fall einer rechtswidrig erteilten Abweichung gleich (mit Verweis auf VG Würzburg, B. v. 3.9.2012 - W 5 S 12.729 - juris mit Verweis auf Simon/Busse, Art. 66 BayBO, Rn. 587).

Die streitgegenständliche Baugenehmigung verkenne, dass durch die im Bereich des Souterrains auf der gesamten Gebäudelänge vorgenommene Abgrabung ein neuer unterer Bezugspunkt zur Ermittlung der Abstandsflächen geschaffen werden solle, der im vorliegenden Fall für die Bemessung der Abstandsflächentiefe relevant sei (mit Verweis auf BayVGH v. 23.12.2013 - 15 CS 13.2479 - juris). Auch insoweit sei daher eine abstandsflächenrechtliche Abweichung zwingend erforderlich gewesen. Da diese nicht erteilt worden sei, führe auch dies entsprechend zur Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Baugenehmigung.

Hinsichtlich der geplanten Parkliftanlage scheine der Bescheid davon auszugehen, dass diese Anlage nicht abstandsflächenpflichtig sei. Insbesondere nehme die Begründung des streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheids Bezug darauf, dass der Parklift nicht eingehaust werde. Die in der Begründung angeführten Betriebsspezifikationen, wonach sich der Parklift in seiner Ruhestellung immer im abgesenkten Zustand befinde und überfahren werden könne, da die Schlüsselblockierung bewirke, dass der Bedienschlüssel erst nach Absenkung abgezogen werden könne, fänden keinen rechtserheblichen Niederschlag im Rahmen der Baugenehmigung, beispielsweise im Rahmen einer entsprechenden Nebenbestimmung. Auch fehle eine entsprechend aussagekräftige Betriebsbeschreibung, die als Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung zu bezeichnen wäre. Die Ausführung der Bescheidsbegründung seien daher für die Beurteilung der Parkliftanlage unerheblich. Berücksichtige man, dass die Parkliftanlage mit einer Länge von beinahe 30 m grenzständig errichtet werden solle, sei es der Klägerin nicht zuzumuten, dass zahlreiche der Bedienelemente - im schlimmsten Fall sogar alle - in voll ausgefahrenem Zustand für einen längeren Zeitraum belassen würden. Dieser Befürchtung hätte nur durch entsprechende Auflagen bzw. Nebenbestimmungen begegnet werden können, die vorliegend gerade nicht verfügt worden seien. Daher seien auf die Parkliftanlage Betriebszustände denkbar, die gegen geltendes Abstandsflächenrecht verstoßen würden.

Die Klägerin beantragt mit Schriftsatz vom 2. März 2015,

den Baugenehmigungsbescheid der Stadt ... vom 27. Oktober 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, aufgrund des bestandskräftigen Vorbescheids vom 30. Dezember 2013 sei die Klägerin mit Einwendungen, die die Art der baulichen Nutzung beträfen, ausgeschlossen. Dies gelte auch für die Einwendung, dass sich das Wohnen unzumutbaren Lärmimmissionen aussetzen werde. Auch auf einen vermeintlichen Gebietserhaltungsanspruch könne sich die Klägerin wegen der Bestandskraft des Vorbescheides nicht berufen. Nach Auffassung der Beklagten sei das streitgegenständliche Bauvorhaben identisch mit demjenigen, das Gegenstand des Vorbescheidsverfahrens gewesen sei. Nicht zu folgen sei der Auffassung des Klägervertreters, dass sich die Anzahl der Wohnungen gegenüber dem Vorbescheidsverfahren in nachbarrelevanter Weise erhöht habe.

Nach der Baubeschreibung der genehmigten Nutzung für das klägerische Grundstück betrage die Fläche der Verkaufsräume einschließlich Ladenstraße 1.015,36 qm, die Geschossfläche nach § 20 Abs. 2 und Abs. 3 BauNVO 1.671,33 qm. Ein Einzelhandelsbetrieb in dieser Größe sei allenfalls nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO genehmigungsfähig. In einem allgemeinen Wohngebiet könnte das Vorhaben der Klägerin nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nicht allgemein zulässig sein. Auf § 11 Abs. 3 BauNVO werde verwiesen. Somit liege ein faktisches Mischgebiet vor. Das Grundstück der Klägerin, auf dem der Verbrauchermarkt betrieben werde, besitze eine Gesamtfläche von 5.465,42 qm. Die zu Wohnzwecken genutzten Grundstücke zwischen der P.-straße, der M.-straße, der M. Straße und der H.-straße besäßen eine Grundfläche von 6.745,98 qm. Dies bedeute, dass der Betrieb der Klägerin ca. 45% der Gesamtfläche im Baugebiet einnehme. Der Gebietscharakter eines Mischgebietes werde somit gewahrt. Dies gelte nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht, da vom Rangieren und Parken auf den Parkplätzen nahezu alle Wohngebäude im Gebiet betroffen seien. Somit bestehe ein gleichwertiges Nebeneinander zweier Nutzungsarten mit wechselseitiger Rücksichtnahme der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse (mit Verweis auf BVerwG, B. v. 11.4.1996 - 4 B 51/96 - juris - Rn. 6). Dies bedeute, dass der Gebietserhaltungsanspruch nicht verletzt sei. Im Übrigen sei es auch nicht so, dass die Blockrandbebauung entlang der M. Straße, der M.-straße oder der H.-straße ausschließlich für Wohnzwecke genutzt würden. Augenscheinlich seien zumindest in den Erdgeschossbereichen vereinzelt auch gewerbliche Nutzungen anzutreffen.

Der Parkplatz des Verbrauchermarktes besitze Stellplätze nicht nur im Bereich des Baugrundstücks, sondern auch in unmittelbarer Nähe zu den Wohngebäuden in der H.-straße. Bemerkenswert sei, dass nach den vorhandenen Schrägluftbildansichten gerade die Stellplätze zum Baugrundstück gering genutzt würden, jedenfalls geringer als die übrigen Stellplatzflächen.

Nach dem Lärmgutachten des ... Ingenieurbüros für Bauphysik GmbH vom 4. Februar 2002 unterschritten die durch den Verbrauchermarkt verursachten Geräuschimmissionen die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm an allen maßgeblichen Immissionsorten. Auch das Spitzenpegelkriterium werde eingehalten. Dies gelte auch für den im Gutachten bezeichneten Immissionsort 1, das erste Obergeschoss des Anwesens M. Straße ... Am Immissionsort 3, dem Anwesen P.-straße ..., sei der Beurteilungspegel für den Tagzeitraum sogar höher als am Anwesen M. Straße ... Für die neu zu errichtenden Balkone gälten nach der TA-Lärm keine höheren Anforderungen. Es sei auch nicht erkennbar, dass vor den geöffneten Fenstern der Wohnungen im Souterrain andere Beurteilungspegel zu erwarten seien als nach dem Gutachten aus dem Jahre 2002. Dies bedeute, dass das Vorhaben der Beigeladenen keine Beschränkungen für den Gewerbebetrieb der Klägerin zur Folgen haben werde, weil die Klägerin schon auf eine vorhandene, in derselben Weise störempfindliche Bebauung Rücksicht nehmen müsse. Lediglich bei zusätzlichen Rücksichtnahmepflichten, die der Betrieb aufgrund der neuen Bebauung hinnehmen müsste, wäre das störempfindliche Vorhaben der Beigeladenen gegenüber dem Betrieb der Klägerin rücksichtslos (mit Verweis auf BayVGH, B. v. 4.8.2008 - 1 CS 07.277 -; VG Ansbach, U. v. 20.4.2010 - AN 3 K 10.00047 - juris).

Hinsichtlich der Bemessung der Abstandsflächen sei darauf hinzuweisen, dass das Gebäude auf dem Baugrundstück im Bestand im rückwärtigen Bereich drei Zwerchgiebel aufweise, wobei nur der mittlere der Zwerchgiebel der Außenfassade vorgesetzt sei, nämlich um 1,75 m. Die beiden äußeren Zwerchgiebel seien bündig mit der Außenfassade. Im vierten und letzten Obergeschoss springe die Außenwand um ca. einen Meter zurück, so dass die beiden äußeren Zwerchgiebel nur dort im selben Maße der Außenwand vorstünden.

Die Bemessung der abstandsflächenrelevante Balkonhöhe berücksichtige selbstredend die neue Geländeoberfläche, die durch das Absenken der Terrassen entstanden sei. Das abstandsflächenrelevante Maß von ca. 17 m sei von der Oberkante der Terrasse bis zur Traufe der Balkonüberdachungen gemessen worden. Dieses Maß sei auch im Abstandsflächenplan dargestellt. Die 1,5 m tiefen, zum Innenhof ausgerichteten Balkone nähmen insgesamt von der Außenwand 14,48 m (4,13 + 3,11 + 3,11 + 4,13) in Anspruch. Ohne Berücksichtigung des Querbaus betrage die Breite der Außenwand 44,65 m. Eine weitere Balkonanlage werde an der nach Südosten ausgerichteten Außenwand des Querbaus angebracht. Diese Außenwand besitze eine Länge von 5,75 m. Der Balkon habe dort eine Breite von 2,85 m. Die zum Grundstück der Klägerin hin ausgerichtete Außenwand (ohne Balkon) des Querbaus habe nach den Plänen eine Breite von 6,26 m. Somit nähmen die vier Balkonanlagen an der Fassade des Hauptgebäudes weniger als ein Drittel (1/3 = 14,88 m) der 44,65 m breiten Außenwand ein. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO seien auch dann gewahrt, wenn auch der Balkon am Querbau zusammen mit den 6,26 m und 5,75 m breiten Außenwand in die Berechnung einfließen würde. Die Obergrenze von 5 m nach Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO sei auf jeden einzelnen Vorbau zu beziehen und nicht auf die gesamte Breite der jeweiligen Außenwand. Die Klage könnte aber auch dann keinen Erfolg haben, wenn die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2a BayBO - etwa des Balkons am Querbau wegen - nicht erfüllt sein sollten. Bezüglich der Zulassung untergeordneter Vorbauten sehe Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO ein zweistufiges Verfahren vor. Handele es sich um einen Vorbau, der von der Vorschrift erfasst werde, werde die Unterordnung des Vorhabens bei Einhaltung der angeführten Maßnahme gleichsam unwiderleglich vermutet. Lägen diese Voraussetzungen nicht vor, müsse der Bauherr eine Abweichung beantragen, die bei Unterordnung des Vorbaus im konkreten Fall auch erteilt werden könne (mit Verweis auf VG München, U. v. 3.5.2010 - M 8 K 09.2304 - juris Rn. 52 unter Bezugnahme auf Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO 2008, Art. 6, Rn. 227). Mit der Neuregelung habe gegenüber der Rechtslage nach der BayBO keine Maßstabsverschärfung hinsichtlich der materiellen Anforderungen an Vorbauten bewirkt werden sollen. Mit der mit Wirkung zum 1. August 2009 erfolgten Einfügung des Wortes „untergeordnete“ vor dem Wort „Vorbauten“ in § 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO habe der Gesetzgeber dies ausdrücklich klargestellt. Für die Frage der Unterordnung könnten daher weiterhin auch die von der Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 3 Satz 7 BayBO 1998 entwickelten Kriterien herangezogen werden. Dies bedeute aber auch, dass für derartige Balkone eine grundstücksbezogene Atypik nicht notwendig sei (mit Verweis auf VG München, U. v. 3.5.2010, a. a. O., Rn. 51). Die streitgegenständlichen Balkone würden aber dem Gesamtbauvorhaben gegenüber nicht nennenswert ins Gewicht fallen, sie erschienen als unbedeutend und ordneten sich dem Gesamtvorhaben unter. Nach der Auflage Ziffer 5 der Baugenehmigung seien die zu errichtenden Balkonanlagen als filigrane Stahlkonstruktion mit offenen Profilen auszuführen. Die Balkonüberdachungen seien aus filigranen Stahlrahmen mit Segmenteinteilung und Glasfüllungen herzustellen. Die Unterordnung zeige sich auch in der Höhenentwicklung der Balkone. So reichten die Balkonanlagen nicht über das dritte Obergeschoss hinaus. Die Balkone überschritten mit ihrer Tiefe von nur 1,5 m nicht den durch den mittleren Zwerchgiebel für Vorbauten gesetzten Rahmen. Zudem lägen die Abstandsflächen der Balkone vollständig innerhalb der Abstandsflächen, die durch die rückwärtige Außenwand des Bestandsgebäudes ausgelöst würden.

Eine eigenständige Abweichung für die neu geplante Nutzung einer Dachterrasse auf dem nordwestlichen Querbau sei nicht ausgesprochen worden, da die Terrasse Teile des bestehenden Baukörpers sei. Im Bestand werde der Querbau nach oben durch ein seitlich geneigtes Pultdach abgeschlossen. Die bestehende Wandhöhe nach Nordosten und Nordwesten werde durch die Neuplanung nicht verändert. Das geplante Terrassengelände werde nach Nordosten nach der Darstellung im Grundriss für das vierte Obergeschoss um ca. 1,3 m von der Außenwand zurückversetzt, so dass dieses bei einer Höhe von 1,1 m gegenüber der bestehenden Außenwand keine zusätzlichen Abstandsflächen verursache. Auch falle die zurückgesetzte Terrassenfläche nicht so stark ins Gewicht, dass hier eine eigenständige Abweichung notwendig sei.

Nach dem Erdgeschossgrundrissplan würden die Parkplätze in Form der Parklifte an der Grenze zum Grundstück der Klägerin mit der Fl. Nr. ... im rückwärtigen Grundstücksbereich angeordnet. Die Stellplätze an der Grundstücksgrenze sollten auf einer Länge von 23,28 m errichtet werden. Im Nordwesten schlössen sich Nebengebäude zur Unterbringung u. a. von Fahrrädern auf eine Länge von 4,22 m, im Südosten sonstige Nebengebäude („Nebengebäude 2“) auf eine Länge von ca. 3,7 m an. Aus der Darstellung in Verbindung mit der zeichnerischen Darstellung ergebe sich, dass auf jeder der acht Stellplatzflächen insgesamt drei Fahrzeuge untergebracht werden könnten, zwei Fahrzeuge nach Absenkung des Parkliftes in der Grube und ein Fahrzeug ebenerdig. Nach dem Datenblatt für Parkliftanlagen der Firma ... könne die oberste Plattform des Parkliftmodells „Parklift 462“ bis auf eine Höhe von 4,55 m ausgefahren werden. Das Datenblatt sei Teil der Bauvorlagen. Das Modell „Parklift 462“ könne zwei Pkws aufnehmen. Die oberste Plattform sei bodeneben und könne im abgesenkten Zustand überfahren werden. Nach Ziffer 5 der Hinweise des Datenblattes müsse die Anlage nach dem Bedienen immer in die unterste Einstellung gefahren werden. Nach den Ausführungen im Bescheid auf Seite 3 bewirke die im Hinweis Nr. 5 genannte Schlüsselblockierung, dass der Bedienschlüssel erst dann abgezogen werden könne, wenn die Anlage zuvor wieder abgesenkt worden sei. Aufgrund dieser technischen Begebenheiten stehe nicht zu befürchten, dass die Lifte für einen unzumutbar langen Zeitraum mit ein oder zwei Personenkraftwagen auf der oberen Ebene ausgefahren stehenbleiben würden. Vielmehr sei ein Hinauffahren nur dann zu erwarten, wenn ein Pkw aus der unteren Grube heraufgeholt werden solle. Die Parkliftanlagen würden somit nur während der Zu- und Abfahrten in Erscheinung treten. Mithin seien die Parklifte von ihren Auswirkungen her normalen Stellplätzen vergleichbar, ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei hierdurch auszuschließen (mit Verweis auf VG München, B. v. 6.10.2009 - M 8 SN 09.4115 - juris Rn. 37). In den Auflagen zur Baugenehmigung sei zum Parkliftsystem auf Seite 6 vermerkt worden: „Des Weiteren gelten die in der Bau- bzw. Betriebsbeschreibung gemachten Angaben“. Einer rechtlichen Absicherung des Einfahrens der Anlage nach dem Parkvorgang habe es deshalb nicht bedurft.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich voll umfänglich auf die Ausführungen der Beklagten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorliegende Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 21. Oktober 2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27. Oktober 2014 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Einen Rechtanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BayBO zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Die Klägerin kann als Nachbarin die streitgegenständliche Baugenehmigung nur dann erfolgreich anfechten, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris).

Die angefochtene Baugenehmigung wurde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO erteilt. Prüfungsumfang ist insoweit die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO sowie beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO). Da die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht enthalten ist, kann sich die Klägerin - abgesehen von den im streitgegenständlichen Bescheid erteilten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO - nicht auf die Verletzung von Nachbarrechten wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 11; BayVGH, B. v. 12.12.2013 - 2 ZB 12.1513 - juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 17.3.2014 - 15 CS 13.2648 - juris Rn. 14). Die Prüfung und Zulassung einer Abweichung von abstandsrechtlichen Vorschriften führt nicht zu einer Erweiterung des Prüfungsrahmens des Art. 59 BayBO gegenüber der Klägerin (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris Rn. 15). Ein Nachbar hat deshalb keinen Anspruch darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde einen Bauantrag deswegen ablehnt, weil das Bauvorhaben gegen sonstige, von Art. 59 Satz 1 BayBO nicht zum Prüfprogramm gestellte, öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.

Aufgrund der bestandskräftigen Entscheidung im Bauvorbescheid vom 30. Dezember 2013 über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung von Büro- und Verwaltungsgebäude zu ausschließlicher Wohnnutzung stehen dem streitgegenständlichen Bauvorhaben keine bauplanungsrechtlichen Vorschriften entgegen (vgl. nachfolgend unter 1.). Die in der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 27. Oktober 2014 erteilten Abweichungen von den abstandsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich des vorhandenen Gebäudes und der neu zu errichtenden Balkone erweisen sich nach Art. 63 Abs. 1 BayBO als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. nachfolgend unter 2.).

1. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung keine nachbarschützenden Rechte der Klägerin, da sie aufgrund der abschließenden und bestandskräftigen Entscheidung im Bauvorbescheid vom 30. Dezember 2013 keine weitergehende Regelung trifft.

Als vorweggenommener Teil der Baugenehmigung bindet ein bestandskräftiger Vorbescheid während seiner Geltungsdauer (Art. 71 Satz 2 BayBO) die Bauaufsichtsbehörde und die Nachbarn, die beteiligt worden sind, in den Fragen, über die im Vorbescheid entschieden wurde. Ist der Vorbescheid bereits bestandskräftig geworden, findet im Baugenehmigungsverfahren keine erneute Sachprüfung mehr statt (vgl. BVerwG, U. v. 17.3.1989 - 4 C 14/85 - juris Rn. 9). Einem Dritten (Nachbarn) gegenüber tritt eine Bindungswirkung dann ein, wenn der Bauvorbescheid ihm gegenüber bei der Erteilung der Baugenehmigung bestandskräftig war. Soweit der Vorbescheid als abschließende Entscheidung die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit (hier: der Art der baulichen Nutzung) regelt, wird diese Frage in der nachfolgenden Baugenehmigung nicht erneut verbeschieden, da die Regelung insoweit als vorweggenommen gilt. Ein Dritter, dem gegenüber der Vorbescheid in Bestandskraft erwachsen ist, kann durch die Baugenehmigung insoweit mangels Regelung nicht in seinen Rechten verletzt sein.

Die Bindungswirkung besteht jedoch nur bei Identität des Vorhabens, wobei geringfügige Abweichungen insoweit nicht schaden. Die Vorbescheidsprüfung bezieht sich auf ein bestimmtes Vorhaben und die diesem Vorbescheidsantrag zugrundeliegenden Planzeichnungen. Die Bindungswirkung eines Vorbescheids kann dann nicht mehr angenommen werden, wenn sich das im Baugenehmigungsverfahren behandelte Vorhaben aufgrund nachträglich eingereichter Unterlagen gar nicht mehr auf das ursprünglich mittels Vorbescheid bereits ausschnittsweise beurteilte Vorhaben bezieht, sondern von diesem abweicht. Die Bindungswirkung erstreckt sich nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen. Das Vorhaben darf mithin nicht derart verändert werden, dass wegen dieser Änderung die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher und/oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht erneut aufzunehmen ist. Wird ein Vorhaben derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids (vgl. BayVGH, B. v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris Rn. 8).

Die im Bauvorbescheidsverfahren gestellte Frage „Kann das Gebäude einzig als Wohngebäude genutzt werden?“ bezog sich auf eine reine Wohnnutzung des Gebäudes mit „24 Wohnungen und fünf Appartements“. Das Baugenehmigungsverfahren, das für eine Nutzungsänderung zu einer reinen Wohnnutzung für „29 Wohneinheiten“ gestellt wurde, betrifft insoweit ein identisches Vorhaben wie das Vorbescheidsverfahren. Abstandsflächenrechtliche Veränderungen der Dachterrasse oder Veränderungen der Wohnungszuschnitte sind insoweit als irrelevant anzusehen, als nicht in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abgewichen wird und damit die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher Hinsicht nicht neu aufgeworfen wird.

Aufgrund der Bindungswirkung des bestandskräftigen Vorbescheids, der mit der Aussage „die komplette Nutzung als reines Wohngebäudes ist sowohl planungs- als auch denkmalrechtlich zulässig“ eine abschließende bauplanungsrechtliche Beurteilung getroffen hat, kann die Klägerin weder eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs noch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative BauNVO geltend machen.

Gegen den geltend gemachten Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch durch Zulassung einer reinen Wohnnutzung und dem damit befürchteten „Kippen“ des Gebietscharakters in ein allgemeines Wohngebiet dürfte überdies bereits die prägende Wirkung des klägerischen Einzelhandelsbetriebs mit Verkaufsräumen von über 1.000 qm entgegenstehen. Denn ein Einzelhandelsbetrieb in dieser Größe wäre in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nicht allgemein zulässig.

Im Übrigen dürfte die Grundstücksnutzung seitens der Klägerin und der Beigeladenen aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sein, die nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen führt, der Immis-sionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt (vgl. BVerwG, U. v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - NVwZ 2013, 372 bis 375). Ein Wohnungsbauvorhaben, dessen Umgebungsbebauung nach der Art durch ein Nebeneinander von gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung geprägt ist, fügt sich hinsichtlich der von ihm hinzunehmenden gewerblichen Emissionen in die derart „vorbelastete“ Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es nicht stärkeren Belästigungen ausgesetzt sein wird, als die bereits vorhandene Wohnbebauung (vgl. BVerwG, B. v. 5.3.1984 - 4 B 171/83 - BayVBl. 1984, 344; BayVGH, B. v. 4.8.2008 - 1 CS 07.2770 - juris Rn. 20). Vorliegend dürfte die Klägerin bereits durch die vorhandene Wohnbebauung in ihrer gewerblichen Nutzung limitiert sein.

2. Weder die Zulassung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 BayBO wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen aufgrund einer abstandsflächenrechtlichen Neubeurteilung des Bestandsgebäudes (vgl. nachfolgend 2.1) noch die Zulassung einer Abweichung wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen durch die Balkone (vgl. nachfolgend 2.2) sind rechtlich zu beanstanden. Die Klägerin kann mit weiteren abstandsflächenrechtlichen Rügen die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht mit Erfolg angreifen (vgl. nachfolgend 2.3 und 2.4).

Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Bei Zulassung einer Abweichung von einer dem Nachbarschutz dienenden Vorschrift des Bauordnungsrechts kann der Nachbar nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen; er ist vielmehr auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund objektiv rechtswidrig ist (BayVGH, B. v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 -, NVwZ-RR 2008, 84). Gleichwohl sprechen nach neuerer Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gute Gründe dafür, die Auffassung, dass bei der Abweichung/Befreiung von nachbarschützendem Recht - hier: von Art. 6 BayBO - jeder Verstoß zur Rechtsverletzung des betroffenen Nachbarn führen soll, teleologisch zu reduzieren (vgl. BayVGH, B. v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 14, 17). Danach reicht es im vorliegenden Zusammenhang als Maßgabe für die Überprüfung aus, dass die Abweichung von der Einhaltung nachbarschützender abstandsflächenrechtlicher Vorschriften die Rechte des betroffenen Nachbarn nur dann verletzt, wenn im Einzelfall die spezifischen objektiven Voraussetzungen für die Annahme eines atypischen Sonderfalles fehlen (vgl. BayVGH, B. v. 9.2.2015, a. a. O.).

Der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, wird regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung sowie eine Verringerung der Freiflächen im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich insoweit um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, U. v. 22.12.2011 - 2 B 11.2231 - juris Rn. 16; B. v. 5.12.2011 - 2 CS 11.1902 - juris Rn. 3; B. v. 13.2.2002 - 2 CS 01.1506 - juris Rn. 16; VG Ansbach, B. v. 26.6.2014 - AN 9 S 14.00658 - juris Rn. 77). Diese kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Eine atypische Situation ist insbesondere dann anzunehmen, wenn jedwede bauliche Veränderung der historischen Bausubstanz geeignet ist, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (vgl. BayVGH, B. v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris Rn. 23).

2.1 Bauliche Änderungen und Nutzungsänderungen eines Gebäudes lösen, selbst wenn sie die für die Berechnung der Abstandsfläche maßgeblichen Bauteile nicht unmittelbar berühren, grundsätzlich eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung für das gesamte Gebäude aus, wenn sie im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbare nachteilige Auswirkungen hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung, Belüftung und Besonnung oder des nachbarlichen „Wohnfriedens“ haben können (vgl. BayVGH, B. v. 27.2.2015 - 15 ZB 13.2384 - juris m. w. N.; BayVGH, B. v. 10.5.2012 - 2 CS 12.795 - juris Rn. 30). Wenngleich es keiner Vertiefung bedarf, ob die Gewährleistung des sozialen Wohnfriedens zu dem gesetzlichen Zweck des Abstandsflächenrechts gehört oder aber lediglich ein bloßer „Reflex“ dieses in erster Linie auf eine freie Belichtung oberirdischer Gebäude gerichteten Zwecks ist (vgl. BayVGH, B. v. 1.6.2012 - 15 ZB 10.1405 - juris), berührt eine Änderung der Nutzung von Büro- und Verwaltungsgebäude zu reiner Wohnnutzung abstandsflächenrechtliche Belange, so dass die Beklagte insoweit zu Recht eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung des bestehenden Gebäudes vorgenommen hat.

Die für die Zulassung einer Abweichung erforderliche Atypik ist in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsflächen nicht allein schon deshalb anzunehmen, weil ein Vorhaben der Nutzungsänderung sich auf einen Altbestand bezieht, der die Abstandsflächenvorschriften nicht einhält (vgl. BayVGH, B. v. 23.5.2005 - 25 ZB 03.881 - juris Rn. 8). Denn die gesetzlichen Ziele, ein bestimmtes Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden sicherzustellen, gelten vielmehr für Neubauten und Umbauten gleichermaßen. Dass der Bauherr dadurch vor die Wahl gestellt ist, entweder seinen vom Gesetz abweichenden Altbestand im bisherigen Umfang weiter zu nutzen oder bei einer neuen Genehmigung das geltende Recht einzuhalten, ist nach der Rechtsprechung im Gesetz selbst angelegt und kann nicht als anormaler, nicht bedachter Ausnahmefall angesehen werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.5.2005, a. a. O.). Gleichwohl ist bei der Prüfung, ob eine Abweichung erteilt werden kann, den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Belangen des Eigentümers des bestehenden Gebäudes, der sich anders als bei einer Neuerrichtung nicht mehr auf das geltende Abstandsflächenrecht einstellen kann, entsprechend Rechnung zu tragen. Dies bedeutet, dass die Nutzbarkeit einer vorhandenen und verwertbaren Bausubstanz im Rahmen einer Änderung nur verhindert werden kann, wenn dem berechtigte und mehr als geringfügige Belange der Allgemeinheit oder eines Nachbarn entgegenstehen (vgl. BVerwG, U. v. 16.5.1991 - 4 C 17/90 - NJW 1991, 3293). In Fällen eines „normativen Überhangs“ (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO-Komm., Stand Mai 2015, Art. 63 Rn. 25 ff.), bei denen das Beharren auf der angeordneten Rechtsfolge das Normziel nicht fördert bzw. das Normziel auch ohne die angeordnete Rechtsfolge vollständig erreicht wird, kann eine Abweichung bei einer auf Einzelfälle beschränkten Atypik zur Vermeidung einer unbilligen oder unbeabsichtigten Härte gerechtfertigt sein (vgl. BayVGH, U. v. 22.12.2011 - 2 B 11.2231 - juris Rn. 17). Ein Beharren auf die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge würde den rechtswidrigen Zustand beispielsweise in dem Fall nicht verbessern, wenn bestehende Gebäude geändert werden sollen, die die nach heutigem Recht vorgeschriebenen Abstandsflächen nicht einhalten. Soweit eine Nutzungsänderung eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung des gesamten Objekts erforderlich macht, müsste das Vorhaben auch dann abgelehnt werden, wenn die Änderung weder die Belange des Nachbarn noch sonstige öffentliche Belange nennenswert beeinträchtigt. Gleichwohl bliebe der unbefriedigende Zustand einer mangelnden Belichtung und Belüftung auch dann erhalten, wenn der Bauherr auf sein Vorhaben verzichten würde. In diesen Fällen ist den durch Art. 14 GG geschützten Interessen des Bauherrn an der sinnvollen Verwertung der vorhandenen Bausubstanz durch die Erteilung einer Abweichung Rechnung zu tragen (vgl. Dhom in Simon/Busse, a. a. O., Art. 63 Rn. 28).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der planungsrechtlichen Situation des Baugrundstücks und der gegebenen Blockrandbebauung jedwede Bebauung des Grundstücks aufgrund der aufzunehmenden Gebäudehöhe die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht einhalten könnte. Unter Beachtung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 BayBO wäre damit eine sinnvolle Ausnutzung des Baugrundstücks geradezu unmöglich oder unzumutbar (vgl. BayVGH, B. v. 30.8.2011 - 15 CS 11.1640 - juris Rn. 16). Aufgrund dieser besonderen durch das Planungsrecht vorgegebenen städtebaulichen Situation und unter Berücksichtigung der Nutzung des klägerischen benachbarten Grundstücks als Parkplatz, die sich im Hinblick auf die abstandsflächenrechtlichen Belange als wenig sensibel darstellt, ist vorliegend eine atypische Fallgestaltung im Interesse des Grundstückseigentümers an einer Nutzung der vorhandenen Bausubstanz zu bejahen. In besonderen städtebaulichen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene - und wie hier denkmalgeschützte und somit besonders erhaltungswürdige - Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch die Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B. v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris; U. v. 19.3.2013 - 2 B 13.99 - BayVBl. 2013, 729). Somit ist die besondere Erhaltungsverpflichtung hinsichtlich des historischen, denkmalgeschützten Bestandsgebäudes sowie das berechtigte Modernisierungsinteresse des Bauherrn zu berücksichtigen, die eine anderweitige Ausnutzung des Baugrundstückes unzumutbar erschweren würden.

Des Weiteren erscheint die Abweichung unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Durch die Nutzung des klägerischen Grundstücks als Parkplatz werden die nachbarlichen Interessen an ausreichender Belichtung und Belüftung durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächen seitens des Baubestandes des Beigeladenen nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine Abweichungsentscheidung kann auch aufgrund der spezifischen Nutzung des nachbarlichen Grundstückes, die die abstandsflächenrechtlichen Belange nur unwesentlich berührt, gerechtfertigt sein (vgl. BayVGH, B. v. 19.6.2008 - 15 ZB 07.1668 - juris für ein nicht bebautes Nachbargrundstück im Außenbereich). Unter Berücksichtigung der Nutzung des benachbarten Grundstücks als Parkplatz, mithin einer im Hinblick auf die abstandsflächenrechtlichen Belange nicht besonders sensiblen Nutzung, erscheint eine Abweichung mit den nachbarlichen Interessen vereinbar. Das öffentliche Interesse an Schaffung von Wohnraum sowie das Interesse des Bauherrn an einer zeitgemäßen Nutzung der vorhandenen, denkmalgeschützten Bausubstanz überwiegen insoweit die nachbarlichen Interessen. Ermessensfehler der Beklagten im Rahmen der Abweichungsentscheidung sind nicht erkennbar. Die Behörde ist insoweit zu Recht von einer nicht relevanten zusätzlichen Beeinträchtigung der Belange des Wohn- und Sozialfriedens oder ungünstigerer Auswirkungen auf die nachbarlichen Interessen durch die Nutzungsänderung des Bestandsgebäudes ausgegangen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Ermessenserwägungen insoweit hinreichend ergänzt, als für das Bestandsgebäude als Baudenkmal erhöhte Erhaltungsinteressen im Rahmen der Abweichung zu berücksichtigen waren.

2.2 Auch die Zulassung einer Abweichung wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 bzw. 6 BayBO durch die neu zu errichtenden Balkone ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei den Balkonen um untergeordnete Vorbauten im Sinne von Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO handelt oder die Balkonanlage aufgrund ihrer vertikalen Ausdehnung und Massivität insoweit eine „fiktive Außenwand“ bildet (vgl. BayVGH, U. v. 13.4.2005 - 1 B 04.636 - juris Rn. 17; VG München, B. v. 28.10.2013 - M 11 S 13.4122 - juris Rn. 20; VG München, U. v. 3.5.2010 - M 8 K 09.2304 - juris Rn. 51 ff.). Die geplanten Balkone treten nicht mehr als 1,5 m vor die Außenwand und sind mindestens 2 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze entfernt (Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 b), c) BayBO). Ob die Balkonanlage auch die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 a) BayBO, wonach untergeordnete Vorbauten wie Balkone insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand des jeweiligen Gebäudes, höchstens jedoch insgesamt fünf Meter, in Anspruch nehmen dürfen, einhält, kann dahinstehen. Unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention, im Verhältnis zur Vorgängerregelung keine Maßstabsverschärfung zu bewirken (vgl. LTDrs 15/7161, S. 43), spricht einiges dafür, dass sich die in Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 a) BayBO genannte Obergrenze von 5 m auf jeden einzelnen Vorbau bezieht (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO Kom., Art. 6 Rn. 432 ff.).

Jedenfalls ist die allenfalls geringfügige Überschreitung der Maße für untergeordnete Vorbauten im Rahmen der Abweichungsentscheidung angemessen zu berücksichtigen (vgl. VG München, U. v. 3.5.2010 - M 8 K 09.2304 - juris Rn. 51, wonach bei einer Unterordnung nach Art und Umfang sowie nach den Auswirkungen im Verhältnis zum Gesamtbauvorhaben keine besondere Atypik zu verlangen sei).

Für die Annahme einer atypischen Fallgestaltung ist - wie ausgeführt - insoweit bedeutsam, ob eine sinnvolle Ausnutzung des Baugrundstücks auch unter Beachtung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 BayBO möglich und zumutbar ist (vgl. BayVGH, B. v. 30.8.2011 - 15 CS 11.1640 - juris). Eine zeitgemäße, den Wohnbedürfnissen entsprechende Sanierung, Instandsetzung, Aufwertung oder Restaurierung der alten, denkmalgeschützten Bausubstanz kann im Einzelfall hier Ausnahmen von generalisierendem Abstandsflächenrecht erfordern (vgl. BayVGH, B. v. 26.3.2015 - 2 ZB 13.2395 - juris; BayVGH, U. v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - juris; B. v. 15.10.2014 - 2 ZB 13.530 - juris). Wenngleich Modernisierungswünsche aus Gründen der Gewinnmaximierung nicht ausreichen mögen, eine atypische Fallgestaltung zu begründen (vgl. BayVGH, B. v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris), dienen Balkone, die in ihren Ausmaßen untergeordneten Vorbauten annähernd entsprechen, der Befriedigung zeitgemäßer Wohnbedürfnisse und damit den sinnvollen Modernisierungsinteressen des Bauherrn sowie dem Erhaltungsinteresse von denkmalgeschützter Bausubstanz. Im Rahmen der Abwägung darf insoweit - wie ausgeführt - auch die Situation des benachbarten Grundstücks Berücksichtigung finden. Eine Abweichung kann zugelassen werden, sofern die für sie sprechenden Gründe so viel Gewicht haben, dass die Anforderungen des Abstandsflächenrechts auch dann ausnahmsweise noch als angemessen berücksichtigt angesehen werden können, wenn sie nur eingeschränkt zum Zuge kommen. Werden die gesetzlichen Zwecke des Abstandsflächenrechts - wobei insoweit offenbleiben kann, ob die Gewährleistung eines sozialen Wohnfriedens überhaupt zu dem gesetzlichen Zweck des Abstandsflächenrechts gehört oder aber lediglich ein bloßer „Reflex“ des in erster Linie auf eine freie Belichtung oberirdischer Gebäude gerichteten Zwecks ist (vgl. BayVGH, B. v. 1.6.2012 - 15 ZB 10.1405 - juris) - nicht berührt, ist ein besonderes Bauherrninteresse angesichts dieses Atypik-Charakters auch nicht zu fordern (vgl. BayVGH, B. v. 19.6.2008, a. a. O.). Vorliegend trägt die Nutzung des benachbarten Grundstücks als Parkplatz, mithin einer im Hinblick auf die abstandsflächenrechtlichen Belange nicht besonders sensiblen Nutzung, dazu bei, eine Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen zuzulassen. Die Wahrung der nachbarlichen Belange ist auch insoweit als gewahrt anzusehen, als die Abstandsflächen der neu zu errichtenden Balkonanlage vollständig innerhalb der Abstandsflächen des Gebäudes zum Liegen kommen.

Die Ermessensentscheidung der Beklagten, eine Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen durch die Balkonanbauten zuzulassen, ist insoweit nicht zu beanstanden.

2.3 Ob darüber hinaus durch die Errichtung einer Dachterrasse eine weitere Abweichung hätte beantragt werden müssen, kann offenbleiben, da die Prüfung und Zulassung einer Abweichung von abstandsflächenrechtlichen Vorschriften nicht zu einer Erweiterung des Prüfungsrahmens im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO führt (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris Rn. 15). Würde die Erforderlichkeit von Abweichungen generell zum Prüfungsgegenstand erhoben, würde dadurch die gesetzgeberische Entscheidung konterkariert werden, das Bauordnungsrecht im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht prüfen zu lassen (Wolf in Simon/Busse, BayBO-Komm., Art. 59 Rn. 63 ff.). Im Gegensatz zu dem von Klägerseite zitierten Fall des Verwaltungsgerichtes Würzburg (vgl. VG Würzburg, B. v. 3.9.2012 - W 5 S 12.729 - juris Rn. 22) hat vorliegend die Behörde das Abstandsflächenrecht nicht umfänglich zum Prüfungsgegenstand gemacht. Der Formulierung im streitgegenständlichen Bescheid „Der Parklift löst keine Abstandsflächen aus“ ist nicht die Schlussfolgerung zu entnehmen, die Behörde habe die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen vollumfänglich nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO geprüft.

2.4 Unter Berücksichtigung, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung in ihren Nebenbestimmungen regelt, „des Weiteren gelten die in der Bau- bzw. Betriebsbeschreibung gemachten Angaben“, bedurfte es keiner wie von Klägerseite gefordert, weitergehenden Nebenbestimmung, um zu verhindern, dass die Parkliftanlage für einen längeren Zeitraum ausgefahren belassen wird. Da die Parkliftanlage nur bei Benutzung äußerlich in Erscheinung tritt, ist die Auffassung der Beklagten, dass es sich dabei nicht um eine Anlage mit gebäudeähnlicher Wirkung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO handelt und somit keine Abstandsflächen auslöst, ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach alledem ist mangels Verletzung nachbarschützender Rechte die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Da die Beigeladene einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es billigem Ermessen, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,

Hausanschrift: Promenade 24-28, 91522 Ansbach, oder

Postfachanschrift: Postfach 616, 91511 Ansbach,

schriftlich zu beantragen.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München;

Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in

in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen.

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antragsschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,

Hausanschrift: Promenade 24-28, 91522 Ansbach, oder

Postfachanschrift: Postfach 616, 91511 Ansbach,

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München

2 B 15.1431

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 29. Oktober 2015

(VG München, Entscheidung vom 11. November 2013, Az.: M 8 K 12.3084)

2. Senat

H.-Z. als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Sachgebietsschlüssel: 920

Hauptpunkte: Baugenehmigung, Prüfungsumfang, Abstandsflächen, Abweichung

Rechtsquellen:

Leitsätze:

In der Verwaltungsstreitsache

...

gegen

Landeshauptstadt München,

vertreten durch den Oberbürgermeister, Lokalbaukommission, Blumenstr. 19, München,

- Beklagte -

beigeladen:

1. ...,

vertreten durch den Geschäftsführer, ...

2. ...

bevollmächtigt zu 1 und 2: Rechtsanwälte ...

beteiligt:

Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, Ludwigstr. 23, München,

wegen Baugenehmigung ..., Fl. Nr. 17139 Gemarkung ...

hier: Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2013,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 2. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dösing, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Bauer, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Winkler aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Oktober 2015 folgendes Urteil:

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2013 wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung, mit der unter anderem die Errichtung eines dreigeschossigen Wohngebäudes im rückwärtigen Bereich des Grundstücks Fl. Nr. 17139 der Gemarkung M. zugelassen wurde. Dort befindet sich bislang ein Garagengebäude mit einer Länge von ca. 18 m, das zu den Grundstücken Fl. Nrn. 17159 und 17158 grenzständig errichtet wurde.

Das Nachbargrundstück Fl. Nr. 17157 steht im Eigentum einer Gemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz. Die Kläger sind Sondereigentümer mehrerer Wohneinheiten im fünfgeschossigen Vordergebäude sowie Teileigentümer einer Gewerbeeinheit für den Betrieb einer Bäckerei mit Ladengeschäft. Die für den Betrieb genutzten Räume befinden sich im Erdgeschoss des Vordergebäudes sowie in im rückwärtigen Bereich gelegenen eingeschossigen Anbauten, die teilweise zum Vorhabensgrundstück hin grenzständig stehen.

Das Grundstück Fl. Nr. 17159, das im rückwärtigen Bereich bedingt durch einen unregelmäßigen Grenzverlauf auch eine gemeinsame Grenze auf einer Länge von ca. 11 m im Bereich der Garagen mit dem Vorhabensgrundstück aufweist, steht im Miteigentum der Kläger. Das Vordergebäude auf dem Grundstück ist dreigeschossig, während die rückwärtige Bebauung ein- und zweigeschossig errichtet wurde. Die Gebäude werden zum Teil zu Wohnzwecken und zum Teil für den Betrieb der Konditorei genutzt.

1. Mit Bescheid vom 8. Juni 2012 genehmigte die Beklagte der Beigeladenen zu 1 eine Sanierung des Anwesens und die Errichtung eines dreigeschossigen Rückgebäudes. Es wurden Abweichungen hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen zugelassen, unter anderem im Hinblick darauf, dass sich die Abstandsflächen von Vorder- und Rückgebäude überdecken.

Das Rückgebäude soll grenzständig zu den Grundstücken Fl. Nrn. 17157, 17158 und 17159 unter Abbruch des vorhandenen Garagengebäudes errichtet werden, weist jedoch größere Gebäudetiefen von ca. 15 m im Westen und ca. 8 m im Osten auf. Die unterschiedlichen Tiefen ergeben sich aus einer Verschwenkung der Gebäudefronten nach Süden hin.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2012 genehmigte die Beklagte der Beigeladenen zu 1 eine Änderung, die die Schaffung von zwei Wohneinheiten im Rückgebäude zum Gegenstand hat. Eine Änderung der Kubatur des Gebäudes gegenüber der bisherigen Planung ist im grenzständigen Bereich nicht vorgesehen.

Hinsichtlich der Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 wurde mit Schreiben vom 25. Oktober 2012 ein Bauherrenwechsel auf den Beigeladenen zu 2 angezeigt.

Auf die Anfechtungsklage der Kläger hin hob das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 11. November 2013 die Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Oktober 2012 insoweit auf, als mit ihr die Errichtung eines Wohngebäudes im rückwärtigen Grundstücksbereich genehmigt wurde. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig und die Kläger könnten deren Aufhebung beanspruchen, weil die Genehmigung zu ihren Lasten gegen die im Verfahren zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts verstoße, soweit mit ihr nach Norden hin eine Grenzbebauung zugelassen werde.

2. Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung machen die Beigeladenen geltend, das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass das Abstandsflächenrecht vorliegend in vollem Umfang und bezüglich sämtlicher Außenwände des strittigen Rückgebäudes vom Regelungsgehalt der angefochtenen Bescheide umfasst sei. Tatsächlich beschränke sich der abstandsflächenrechtliche Regelungsgehalt der Baugenehmigungsbescheide hinsichtlich des Rückgebäudes auf die Überschneidung der Abstandsflächen von Vorder- und Rückgebäude. Die Ermessenserwägungen sowie die Prüfung der übrigen Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Abweichungen bedürften keiner Prüfung der abstandsflächenrechtlichen Situation vor den anderen Gebäudeseiten. Durch die in Richtung Süden erteilten Abweichungen würden Nachbarbelange der Kläger nicht berührt. Dass mit der Abstandsflächenverkürzung in Richtung Süden gerade die Voraussetzungen für die Situierung des Rückgebäudes geschaffen worden seien, sei unzutreffend. Mit dem Grenzabstand zu den Grundstücken der Kläger habe die erteilte Abweichung nichts zu tun. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Behandlung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO im Rahmen der Baugenehmigungsbescheide.

Es könne zwar sein, dass im Einzelfall die Rechtmäßigkeit einer abstandsflächenrechtlichen Abweichung für eine Gebäudeaußenwand auch von der Situation vor den übrigen Außenwänden abhängen kann. Dies wäre beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Frage nach dem Verhältnis abstandsflächenrechtlicher Abweichungen einerseits und der gegebenenfalls zweimaligen Anwendung des 16-m-Privilegs nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO andererseits im Raum stehe. Im vorliegenden Fall stehe die erteilte Abweichung von den abstandsflächenrechtlichen Vorgaben jedoch in keinerlei Zusammenhang mit der abstandsflächenrechtlichen Beurteilung der übrigen Außenwände. Auch auf der Ebene der Ermessensausübung für die Erteilung der beantragten Abweichung für die südliche Außenwand des strittigen Rückgebäudes spiele die Situation vor den übrigen Außenwänden nicht die geringste Rolle. Der vermeintliche Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei daher für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigungen nicht entscheidend.

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für einen zulässigen Grenzanbau nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO vor. Diese Privilegierung greife nicht nur dann, wenn das zu beurteilende Vorhaben im abstandsflächenrelevanten Bereich unter allen planungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sei. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO räume dem Städtebaurecht vielmehr nur den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regele. Zu den in diesem Rahmen zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorgaben gehörten daher ausschließlich solche, die unmittelbar an die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Anbaus an die Grundstücksgrenze anknüpften. Die Prüfung sämtlicher bauplanungsrechtlicher Vorgaben scheide im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO dagegen aus.

Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO bezwecke die Sicherstellung, dass dem Vorrang des Bauplanungsrechts vor dem Bauordnungsrecht auch im Bereich des Abstandsflächenrechts Rechnung getragen werde. Aus diesem Grund könne er sich nur auf solche bauplanungsrechtlichen Vorgaben beziehen, die spezifisch die Gestattung oder die Verpflichtung zum Grenzanbau vorsehen. Andernfalls hätte der klagende Nachbar über die drittschützende Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO die Möglichkeit, sich auf einen Verstoß gegen sämtliche Vorgaben des Bauplanungsrechts zu berufen. Hierzu gehörten dann auch solche Vorgaben, die ihrerseits nicht drittschützend seien, sondern ausschließlich städtebaulichen Zwecken dienten. So würde in Fällen einer durch Bebauungsplan festgesetzten Bebauungstiefe, der nach dem planerischen Willen der planenden Gemeinde kein Drittschutz zukommen soll, gerade dieser Bebauungstiefe Drittschutz verliehen. Dagegen rechtfertige im Fall der Bauweise gerade der Umstand, dass es sich beim Kriterium der Bauweise um eine spezifisch den Grenzanbau regelnde Materie handle, die Berücksichtigung im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO. Die von Seiten des Verwaltungsgerichts vertretene Ansicht weise vor dem Hintergrund des Systems des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes Wertungswidersprüche auf. Sie erweitere die nachbarliche Rechtsstellung in systemwidriger Weise.

Falls die Bebauungstiefe als Teil des bauplanungsrechtlichen Kriteriums der überbaubaren Grundstücksfläche keine bauplanungsrechtliche Vorgabe sei, die Drittschutz vermittelt und/oder spezifisch und unmittelbar an die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Anbaus an die Grundstücksgrenze anknüpft, könnten sich die Kläger auf eine vermeintliche Überschreitung einer faktisch vorhandenen Bebauungstiefe nicht berufen. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Bauvorhaben im Innenbereich hinsichtlich der Grundstücksfläche die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, komme es auf die Grundstücksgrenzen gerade nicht an. Drittschutz entfalte eine Bebauungstiefe regelmäßig ebenfalls nicht. Im Ergebnis sei die Bebauungstiefe daher kein bauplanungsrechtliches Kriterium, das im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zu prüfen wäre. Ein vermeintlicher Verstoß gegen eine vorliegend bestehende faktische Bebauungstiefe, könne daher dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Richtig sei es vielmehr, allein auf die Bauweise abzustellen.

Ebenso wenig führe die abstandsflächenrechtliche Situation in Bezug auf das Grundstück Fl. Nr. 17157 zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Baugenehmigungen. Auch diese westliche Abstandsflächensituation sei nicht von der Feststellungswirkung der Baugenehmigungen umfasst. Zudem könnten sich die Antragsteller als Sondereigentümer einiger Wohnungen nur insoweit auf einen Abstandsflächenverstoß berufen, als ihr Sondereigentum betroffen sei. Ferner verstoße das Gebäude S.-straße 27 selbst in Ansehung seiner Geschossigkeit in erheblichem Umfang gegen abstandsflächenrechtliche Vorgaben, so dass sich die Kläger insoweit nach Treu und Glauben nicht auf einen vermeintlichen Abstandsflächenverstoß des geplanten Rückgebäudes berufen könnten.

Anhaltspunkte für eine Rücksichtslosigkeit des geplanten Rückgebäudes bestünden nicht. Unzumutbare Auswirkungen im Hinblick auf die Belichtung der Wohnungen des Anwesens S.-straße 27 seien nicht zu besorgen. Soweit sich die Kläger auf unzumutbare Einwirkungen durch Lärm und Geruch beriefen, sei der Vortrag unsubstantiiert. Zudem seien die Räumlichkeiten des Rückgebäudes und gerade die Fenster ausschließlich in Richtung Süden geplant, also von der Bäckerei der Kläger weg ausgerichtet. Nach dem Vortrag der Kläger seien die maßgeblichen Geräuschquellen auch erst ab 6.00 Uhr morgens zu besorgen, so dass diese nur in den Tageszeitraum fielen.

Die Beigeladenen beantragen:

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2013 wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Zu Unrecht seien die Beigeladenen der Auffassung, dass bei Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen im Sinn von Art. 59 BayBO nur die konkreten Abstandsflächen, von denen abgewichen wird, Gegenstand der behördlichen Prüfung seien. Art. 59 BayBO erweitere jedoch den Prüfungsumfang der Baubehörde auf beantragte Abweichungen im Sinn von Art. 63 Abs. 1 und 2 Satz 2 BayBO. Damit bringe das Gesetz zum Ausdruck, dass der Prüfungsumfang durch die beantragte Abweichung bestimmt werde, d. h. alle im Abweichungsverfahren zu beachtende Gesichtspunkte Gegenstand der Prüfung seien. Die Beurteilung, ob eine Abweichung von den Abstandsflächen gewährt werden könne, erfordere eine Gesamtbeurteilung der abstandsflächenrechtlichen Situation in Bezug auf die Mindestabstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO.

Zu Unrecht behaupteten die Beigeladenen, dass hier das streitgegenständliche Bauvorhaben im abstandsrelevanten Bereich unter planungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sei. Allein das Vorhandensein grenzständiger Gebäude sei planungsrechtlich nicht ausreichend für die Beurteilung, ob hier - auch in Bezug auf das streitgegenständliche Bauvorhaben - auf die Beachtung von Abstandsflächen verzichtet werden könne. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO beschränke den Prüfungsumfang der hier relevanten planungsrechtlichen Vorschriften nicht auf diejenigen, welche im Zusammenhang einer etwaigen zulässigen Grenzbebauung stünden.

Das Maß der baulichen Nutzung bestimme sich durch eine Vielzahl von möglichen planungsrechtlichen Vorgaben. Insbesondere könne durch Baulinien der Anbau an die Grundstücksgrenze gefordert werden. Eine im inneren Bauquartier nachvollziehbare Baulinie sei jedoch nicht zu erkennen. Ferner könne durch Bauräume, die über Grundstücksgrenzen hinweg gehen, im Zusammenhang mit der Festsetzung von geschlossener oder halb offener Bauweise, eine planungsrechtliche Vorgabe für eine grenzständige Bebauung gegeben werden. Die vorhandene städtebauliche Struktur gebe dies offensichtlich für die straßenbegleitende Bebauung als Blockrandbebauung vor, jedoch nicht im Blockinneren.

Fänden sich die vorgenannten Kriterien hier nicht, so sei zu fragen, ob durch entsprechende sonstige planungsrechtliche Vorgaben städtebaulich veranlasste grenzständige Bebauungen im Blockinneren zulässig sein sollen. Nachvollziehbar habe das Erstgericht das Bauquartier städtebaulich durch rückwärtige Baulinien bzw. Bebauungstiefen konkretisiert. Insofern werde ein städtebauliches Element zur Anwendung gebracht, welches planungsrechtlich auch im Zusammenhang mit einer etwaigen grenzständigen Bebauung stehe. Es werde deshalb bestritten, dass hier die Frage der Bebauungstiefe keine planungsrechtliche Vorschrift sei, wonach beurteilt werden könne, ob an die Grenze gebaut werden müsse oder gebaut werden dürfe.

Hinsichtlich des Gebots der Rücksichtnahme führen die Kläger aus, dass an der Grundstücksgrenze ein 8,13 m hoher und ca. 15 m langer Baukörper geplant sei, der das Terrassen-Niveau des klägerischen Anwesens um 4,05 m überrage. Werde als Maßstab zulässiger Grenzbebauung Art. 6 Abs. 9 BayBO heranzogen, so werde das Höhenmaß um 1,05 m und das Längenmaß um 6 m überschritten. Insofern besitze das Bauvorhaben in Bezug auf das klägerische Grundstück, hier in Bezug auf die Terrassennutzung, erdrückende Wirkung. Hinzu komme, dass durch die Grenzbebauung der Betrieb des Sohnes der Kläger eine erhebliche Einschränkung erfahren werde. Im erdgeschossigen Anbau auf dem klägerischen Grundstück befinde sich eine Backstube mit entsprechenden Abluftanlagen über der darüber befindlichen Terrasse. Aufgrund der unmittelbaren Nähe sei daher mit Geruchsbelästigungen in Bezug auf die Bewohner des streitgegenständlichen Neubaus zu rechnen.

Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses vertritt die Auffassung, dass zum notwendigen Prüfprogramm des Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO nur die tatsächlich beantragten Abweichungen zählen. Voraussetzung für die ordnungsgemäße Ermessensausübung hierbei sei aber die vollständige Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und dessen Einstellung in die Ermessenserwägungen. Im Rahmen von Abweichungen im Abstandsflächenrecht dürfe dabei nicht nur die nachbarliche Beziehung betrachtet werden, sondern die Bauaufsichtsbehörde müsse sich ein Gesamtbild der von dem Vorhaben in Anspruch genommenen Abweichungen gemacht haben. Auch die Ermessenserwägungen könnten sich aber nur auf die beantragte Abweichung beziehen, so dass nicht alle öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen berücksichtigt, sondern vielmehr die Belange gewürdigt werden, die von der Vorschrift, von der abgewichen werden soll, geschützt werden. Abgewichen werde vorliegend nur von der Einhaltung der Abstandsflächen der südlichen Gebäudewand des Rückgebäudes, so dass sich die Betrachtung hierauf beschränke.

In Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO komme der planungsrechtliche Vorbehalt, unter dem das Abstandsflächenrecht stehe, zum Ausdruck. Das Planungsrecht genieße den Vorrang vor den abstandsflächenrechtlichen Vorschriften, wenn nach Planungsrecht an die Grenze gebaut werden müsse oder dürfe. Dieser planungsrechtliche Vorbehalt könne aber nur den Vorhaben eingeräumt werden, die auch dem Planungsrecht entsprechen. Die planungsrechtliche Privilegierung solle demnach nur ein Vorhaben in Anspruch nehmen können, das danach auch insgesamt zulässig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten sowie die Niederschriften über die Einnahme eines Augenscheins vom 25. August 2015 und die mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§ 124 Abs. 1 VwGO) der Beigeladenen ist begründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 12. Oktober 2012, soweit mit ihr die Errichtung eines Rückgebäudes zugelassen wird, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 11. November 2013 ist somit die Klage abzuweisen.

1. Die Kläger sind als Miteigentümer des Nachbargrundstücks Fl. Nr. 17159 gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Hinsichtlich des Grundstücks Fl. Nr. 17157 sind sie als Sondereigentümer insoweit klagebefugt, als die Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 in der Fassung vom 12. Oktober 2012 ihre Rechte aus dem Sondereigentum verletzen kann. Dies ist dann der Fall, wenn das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft (vgl. BayVGH, U. v. 12.7.2012 - 2 B 12.1211 - BayVBl 2013, 51). Die Kläger sind insoweit betroffen, als sie die Sondereigentümer einer Wohneinheit im fünfgeschossigen Vordergebäude sind, die eine Terrasse zum Bauvorhaben hin aufweist. Ferner sind sie als Teileigentümer der Gewerbeeinheit für den Betrieb einer Bäckerei mit Ladengeschäft klagebefugt, soweit das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot inmitten steht.

2. Die Anfechtungsklage der Kläger ist jedoch nicht begründet. Soweit der Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO reicht, verletzt die Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Oktober 2012 hinsichtlich des strittigen Rückgebäudes die Kläger nicht in ihren Rechten. Nachbarschützende Vorschriften des Abstandsflächenrechts sind insoweit nicht zu ihren Lasten betroffen. Ebenso wenig wird das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verletzt.

2.1. Im vorliegenden Fall wurde ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchgeführt. In dessen Rahmen sind neben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften die Anforderungen des Abstandsflächenrechts nur zu prüfen, soweit Abweichungen nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragt wurden.

Hier wurden hinsichtlich des allein noch strittigen Rückgebäudes im Baugenehmigungsbescheid vom 8. Juni 2012 Abweichungen im Sinn von Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nur bezüglich des Verhältnisses zum Vordergebäude auf dem Baugrundstück und bezüglich gegenüberliegender Gebäudeteile des Rückgebäudes auf dem Baugrundstück beantragt und erteilt. Sonstige Abweichungen nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO wurden im Hinblick auf das Rückgebäude nicht erteilt. Die das Vordergebäude betreffenden Abweichungsentscheidungen im Baugenehmigungsbescheid vom 8. Juni 2012 haben Bestandskraft erlangt. Die Frage nach der abstandsflächenrechtlichen Situation des Vordergebäudes stellt sich damit hier nicht mehr.

Die vorliegend hinsichtlich des geplanten Rückgebäudes erteilten Abweichungen betreffen nicht die nachbarliche Situation zum Grundstück der Kläger bzw. zu ihrem Sonder- oder Teileigentum hin. Eine Nachbarrechtsverletzung ist mithin insoweit auszuschließen. Ob die Beigeladenen zu Unrecht weitere Abweichungen hinsichtlich der Pflicht zur Freihaltung von Abstandsflächen nicht beantragt haben, kann hier dahinstehen. Denn zum Prüfprogramm im Sinn von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO gehören ausschließlich vom Bauherrn tatsächlich beantragte Abweichungen. Eine Pflicht des Bauherrn, bauordnungsrechtliche Abweichungen zu beantragen, kann aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden (vgl. Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: 1.8.2015, Art. 59 Rn. 15a). Auch die Sätze 1 und 2 des Art. 63 Abs. 2 BayBO betreffen lediglich das Wie und nicht das Ob eines Abweichungsantrags (vgl. Molodovsky a. a. O., Art. 63 Rn. 53). Bei einer anderen Handhabung des Zusammenspiels von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO und Art. 63 Abs. 2 BayBO würde die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs aus Art. 59 BayBO aufgegeben werden (vgl. Shirvani in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: 1.2.2015, Art. 65 Rn. 178). Stellt der Bauherr daher keinen entsprechenden Antrag, bleibt nicht nur das Prüfprogramm entsprechend beschränkt, sondern auch der Regelungsinhalt der Baugenehmigung und damit der Nutzen der Baugenehmigung für den Bauherrn sind beschränkt (vgl. Molodovsky a. a. O. Art. 59 Rn. 15a). Die Bauaufsichtsbehörde kann jedoch, falls sie im Zug des Genehmigungsverfahrens beiläufig die fehlende Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit bauordnungsrechtlichen Anforderungen feststellt, nach Art. 68 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayBO vorgehen. Auf ein solches Tätigwerden der Bauaufsichtsbehörde haben die betroffenen Nachbarn aber keinen Anspruch (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 - 2 CS 10.1760 - BayVBl 2011, 147).

Angesichts dessen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im vorliegenden Fall die Abstandsflächen vollumfänglich zum Prüfprogramm gehören könnten. Die Vollprüfung der abstandsflächenrechtlichen Anforderungen würde vielmehr dem gesetzgeberischen Willen zur Einschränkung des Prüfungsumfangs zuwiderlaufen (vgl. hierzu bereits BayVGH, U. v. 19.1.2009 - 2 BV 08.2567 - BayVBl 2009, 507; U. v. 1.7.2009 - 2 BV 08.2465 - BayVBl 2009, 727). Der Gesetzgeber geht eindeutig davon aus, dass gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO nur Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO zu prüfen sind, die vom Bauherrn ausdrücklich beantragt wurden (vgl. Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Auflage 2012, Art. 59 Rn. 9 f.; Molodovsky a. a. O., Art. 59 Rn. 15; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: 1.2.2015, Art. 59 Rn. 36). Diese sind gesondert für jede Außenwand zu beantragen, zu prüfen und gegebenenfalls zu erteilen (vgl. BayVGH, B. v. 17.4.2000 - Gr.S. 1/1999 - 14 B 97.2901 - VGH n. F. 53, 89/92). Ebenso kann jede Verkürzung einer Abstandsflächentiefe nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH, B. v. 17.4.2000 - a. a. O., S. 95 f.; Schwarzer/König a. a. O., Art. 6 Rn. 110). Ebenso wenig kann aber ein betroffener Nachbar verlangen, dass Abweichungen in Bezug auf die Abstandsflächentiefe geprüft werden, die nicht im Sinn von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO beantragt worden sind.

Entgegen der Auffassung der Kläger kann auch nichts Gegenteiliges aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum sogenannten 16-m-Privileg (Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO) gefolgert werden. Hierbei handelt es sich um eine unmittelbar kraft Gesetzes geltende Abweichung, die eigenen Regeln folgt (vgl. König, Baurecht Bayern, 5. Auflage 2015, Rn. 708). Daraus folgt bei der Inanspruchnahme dieses Privilegs, dass an den übrigen Gebäudeseiten dann 1 H eingehalten werden muss und davon keine Abweichung erteilt werden kann. Bereits dem Regelungssystem des Art. 6 Abs. 6 BayBO kann dabei entnommen werden, dass in diesen Fällen keine Abweichung erteilt werden darf. Denn die Vorschrift baut darauf auf, dass die Abstandsfläche auf zwei Seiten auf 0,5 H verkürzt werden kann, und geht davon aus, dass für die übrigen Gebäude Außenwände 1 H einzuhalten ist (vgl. BayVGH, B. v. 17.4.2000 a. a. O. S. 90 f). Die Einhaltung von 1 H ist danach Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift. Ermessenserwägungen wie bei der Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO sind hier nicht anzustellen. Die Frage des 16-m-Privilegs stellt sich vorliegend ohnehin nicht.

Aus der Tatsache, dass die Bauaufsichtsbehörde bei der Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, ergibt sich vorliegend ebenso wenig anderes. Es handelt sich um ein tatbestandlich intendiertes Ermessen. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben, so ist die Abweichung in der Regel zuzulassen, es sei denn, es lägen ausnahmsweise dem entgegenstehende besondere Umstände vor (vgl. Jäde a. a. O., Art. 63 Rn. 12 m. w. N.). Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung ist aber eine vollständige Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und dessen Einstellung in die Ermessenserwägungen (vgl. Jäde a. a. O., Art. 63 Rn. 18; Molodovsky a. a. O., Art. 63 Rn. 41). Bei Abweichungen von den Abstandsflächenanforderungen muss sich die Bauaufsichtsbehörde auch ein Gesamtbild der von dem Vorhaben in Anspruch genommenen Abweichungen gemacht haben (vgl. Jäde a. a. O. Art. 63 Rn. 19). Hierbei kann es sich jedoch nur um beantragte und erteilte Abweichungen im Sinn von Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO handeln. Der Nachbar kann die Nichteinhaltung der Abstandsflächen zu seinem Grundstück hin nur rügen, soweit eine Abweichung erteilt wurde (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 - 2 CS 10.1760 - BayVBl 2011, 147/148). Soweit vorliegend eine Abweichung nicht beantragt und erteilt wurde, scheidet somit eine Prüfung des Abstandsflächenrechts aus. Eine solche Prüfung ist auch nicht im Hinblick auf Art. 65 Abs. 2 BayBO geboten. Der vereinzelt gebliebenen und von der Rechtsprechung nicht aufgegriffenen Literaturmeinung (Koehl, BayVBl 2009, 645), die von einer nachbarschützenden Wirkung der allein den Bauherrn betreffenden, reinen Verfahrensvorschriften des Art. 65 Abs. 2 BayBO ausgeht, ist nicht zu folgen (vgl. BayVGH, B. v. 17.8.2015 - 2 ZB 13.2522 - juris). Vielmehr ergeben sich Verpflichtungen Dritten gegenüber hieraus auch dann nicht, wenn die Vorschrift von der das Vorhaben abweicht, Rechte Dritter schützt (vgl. Schwarzer/König a. a. O., Art. 65 Rn. 20; Jäde a. a. O., Art. 65 Rn. 49b).

Nach allem ist festzuhalten, dass die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung in Bezug auf eine konkret beantragte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften allenfalls in den Blick zu nehmen hat, welche sonstigen Abweichungen von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts in Richtung auf das betreffende Nachbargrundstück außerdem beantragt und erteilt wurden. Dies ist vorliegend in der Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 weder in Bezug auf das Grundstück Fl. Nr. 17157 noch in Bezug auf das Grundstück Fl. Nr. 17159 geschehen. Weder für das hier nur noch strittige geplante Rückgebäude auf dem Grundstück Fl. Nr. 17139 noch für das dortige Vordergebäude, hinsichtlich dessen die Baugenehmigung inzwischen bestandskräftig ist, sind solche Abweichungen zulasten des Grundstücks bzw. des Sonder- oder Teileigentums der Kläger beantragt und erteilt worden. Mithin sind außer den lediglich das Baugrundstück betreffenden Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften für das Verhältnis zwischen Rückgebäude und Vordergebäude sowie für das Verhältnis zwischen gegenüberliegenden Gebäudeteilen des Rückgebäudes keine weiteren Abstandsflächen zu prüfen bzw. von der Bauaufsichtsbehörde bei ihrer Ermessensentscheidung in den Blick zu nehmen gewesen. Die Frage eines zulässigen Grenzanbaus durch das Gebäude im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO wurde somit nicht vom Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO erfasst. Die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 8. Juni 2012 nehmen deshalb nicht an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teil (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 - 2 ZB 12.1513 - juris).

2.2. Durch das Bauvorhaben wird auch das Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht verletzt. Das strittige Rückgebäude hat - soweit die Kläger dies rügen können - keine erdrückende Wirkung gegenüber der Bebauung auf dem Grundstück Fl. Nr. 17157. Es wird zwar ein ca. 15 m langer Baukörper entstehen, der das Terrassenniveau des betroffenen Nachbargrundstücks um rund 4 m überragen wird. Die genannte Terrasse hat jedoch sogar an der schmalsten Stelle eine Breite von rund 7 m. Das strittige gebaute Bauvorhaben ist im Osten des Grundstücks Fl. Nr. 17157 situiert, so dass insbesondere die vormittägliche Sonneneinstrahlung etwas behindert wird. Unbestritten ist jedoch ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad nicht nur in Bezug auf die Fenster im ersten Obergeschoß des Nachbargebäudes, sondern sogar zu einem gewissen Teil in Bezug auf die Dachterrasse in ihrem schmalsten Bereich eingehalten. Eine einmauernde Wirkung der geplanten Bebauung gegenüber der in Höhe des ersten Obergeschosses befindlichen Terrasse am Anwesen der Kläger ist damit nicht zu erkennen.

Im Ergebnis kann daher dahinstehen, ob die Beklagte bei Erteilung der Baugenehmigung vom 8. Juni 2012 die Terrassennutzung auf dem Grundstück Fl. Nr. 17157 überhaupt berücksichtigen musste. Nach dem Vortrag der Beigeladenen ist die Terrassennutzung erst im Jahr 2014 genehmigt worden, wobei ein Grenzabstand zum Grundstück der Beigeladenen von 3 m eingehalten werden müsse.

Hinsichtlich möglicher Lärmbelastungen durch die Bäckerei und Konditorei haben die Kläger nichts von Substanz vorgetragen. Der Lieferverkehr soll in den Morgenstunden erst ab 6.00 Uhr stattfinden (vgl. BayVGH, B. v. 19.6.2013 - 2 CS 13.845). Auch beim vormittäglichen Ortstermin durch den Senat konnten keine Lärmbelastungen festgestellt werden. Nachdem das geplante Rückgebäude weder zum Grundstück Fl. Nr. 17157 noch zum Grundstück Fl. Nr. 17159 Fenster aufweisen wird, ist nicht zu erkennen, dass hier unzumutbare Lärmbelastungen auftreten könnten.

Bezüglich der ferner von Klägerseite angeführten möglichen Geruchsbelästigungen für die Bewohner des strittigen Neubaus auf dem Grundstück Fl. Nr. 17139 hat die Beklagte schon im Baugenehmigungsbescheid vom 8. Juni 2012 ausgeführt, dass bereits der bauliche Bestand im Quartier von der direkten Nachbarschaft zwischen Wohnnutzung und der Bäckerei als gewerblicher Nutzung geprägt sei. Hier seien gravierende Konflikte aus der bestehenden Nutzungsmischung heraus nicht bekannt. Mit der Neuerrichtung des Rückgebäudes und der dort geplanten Wohnnutzung rücke diese zwar näher an die gewerbliche Nutzung heran, aber nicht in einer Weise, die den Bestand der Bäckerei unter Berücksichtigung der vorhandenen Nutzungsmischung beeinträchtigen oder gefährden könnte. Dem sind die Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Vielmehr ist auch hier zu berücksichtigen, dass das geplante Rückgebäude keine Fensteröffnungen zur Bäckerei und Konditorei hin aufweisen wird. Auch beim vormittäglichen Ortstermin des Senats konnten insoweit keine Geruchsbelästigungen festgestellt werden. Es kann somit dahinstehen, ob Gerüche aus einer Bäckerei oder Konditorei überhaupt als unzumutbar für die umgebende Wohnnachbarschaft eingestuft werden könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 11. November 2013 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG. Der Streitwert war für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro angemessen zu erhöhen, da hier auch wirtschaftliche Interessen der Kläger inmitten stehen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Anträge und Erklärungen, deren Abgabe vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zulässig ist, können vor der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts zu Protokoll abgegeben werden.

(2) Die Geschäftsstelle hat das Protokoll unverzüglich an das Gericht zu übermitteln, an das der Antrag oder die Erklärung gerichtet ist. Die Wirkung einer Prozesshandlung tritt frühestens ein, wenn das Protokoll dort eingeht. Die Übermittlung des Protokolls kann demjenigen, der den Antrag oder die Erklärung zu Protokoll abgegeben hat, mit seiner Zustimmung überlassen werden.