Die Klägerin begehrt Fahrtkostenerstattung nach dem Gesetz über die Kostenfreiheit des Schulweges (SchKfrG) und der Schülerbeförderungsverordnung (SchBefV) für das Schuljahr 2014/2015.
Die Tochter der Klägerin, wohnhaft in …, besuchte im Schuljahr 2014/2015 die 11. Jahrgangsstufe einer staatlichen Fachoberschule in … Dort nahm die Schülerin am Modellversuch der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ teil. Mit Antrag vom 20. Juli 2015 beantragte die Klägerin beim Beklagten eine Erstattung der Fahrtkosten in Höhe von 940,30 EUR.
Der Antrag wurde mit Bescheid des Landratsamtes … vom 13. August 2015 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass für Schüler aus … die nächstgelegene Fachoberschule in … liege. Der Modellversuch der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ sei keine in der Schulordnung festgelegte Ausbildungsrichtung. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus habe mitgeteilt, dass die Beförderungskosten daher nicht übernommen werden könnten. Nach dem Grundsatzbeschluss des Kreisausschusses vom 20. April 2004 würden nur noch die Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule im Sinne des § 2 Abs. 1 SchBefV übernommen.
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 7. September 2015, beim Beklagten am 9. September 2015 eingegangen, Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. August 2015 ein. Die Beförderungskosten seien zu erstatten, da die Fachoberschule in … die nächstgelegene Fachoberschule sei, die die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ anbiete.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015 zurückgewiesen. Zu der von der Tochter der Klägerin gewählten Fachoberschule bestehe keine Beförderungspflicht nach § 2 SchBefV. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV bestehe die Beförderungspflicht zur nächstgelegenen Schule, also nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zu derjenigen Schule, der gewählten Schulart, Ausbildungs- und Fachrichtung, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand erreichbar sei. Die Definition der Ausbildungsrichtungen erfolge im Falle der Fachoberschulen nach Art. 16 Abs. 3 BayEUG. Danach seien an Fachoberschulen die Fachrichtungen Technik, Agrarwirtschaft, Bio- und Umwelttechnologie, Wirtschaft und Verwaltung, Sozialwesen sowie Gestaltung vorgesehen. Laut Aussage des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung, Kultus, Wissenschaft und Kunst habe die Einrichtung des Modellversuchs der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ keine Auswirkungen auf den Kostenerstattungsanspruch nach Art. 3 Abs. 2 SchKfrG. Nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SchKfrG sei somit die Fachoberschule … Eine Beförderungspflicht ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 SchBefV, da die gewählte Fachoberschule in … keines der dort genannten Merkmale für sich in Anspruch nehmen könne. Insbesondere sei der Modellversuch der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ keine pädagogische Eigenheit im Sinne des § 2 Abs. 3 SchBefV. § 2 Abs. 4 Nrn. 1 und 2 SchBefV seien ebenfalls nicht einschlägig. Von der Ermessensvorschrift § 2 Abs. 4 Nrn. 3 und 4 SchBefV mache der Beklagte durch den Grundsatzbeschluss des Kreisausschusses vom 20. April 2004 keinen Gebrauch. Diese Verfahrensweise sei nicht zu beanstanden.
Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2016, eingegangen per Fax bei Gericht am selben Tag, ließ die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
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1.Der Bescheid des Landratsamtes … vom 10. September 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 8. Dezember 2015 wird aufgehoben.
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2.Der Klägerin wird Fahrtkostenerstattung gemäß Antrag vom 20. Juli 2015 bewilligt.
In der mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2017 wurde der Antrag zu 1. wie folgt korrigiert:
Der Bescheid des Landratsamtes vom 13. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2015 wird aufgehoben.
Mit Schriftsätzen vom 31. August 2015 und vom 25. Oktober 2015 wurde die Klage begründet. Die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ sei eine Ausbildungsrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV. Die von der Tochter der Klägerin gewählte Fachoberschule sei die nächstgelegene Fachoberschule, welche diese Ausbildungsrichtung anbiete. Dass diese Ausbildungsrichtung bislang bloß in einem Schulversuch angeboten und in Art. 16 BayEUG nicht aufgeführt werde, ändere an der Beförderungs- und Erstattungspflicht nichts. Eine Beförderungspflicht bestehe jedenfalls nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 und 4 SchBefV. Der Grundsatzbeschluss des Kreisausschusses könne dem nicht entgegenstehen, da dieser zu einem Zeitpunkt erlassen worden sei, zu dem es noch keine Modellversuche an Fachoberschulen gegeben habe und dieser Aspekt folglich in die Abwägung nicht hätte eingebracht werden können. Es sei von einer Ermessensdisproportionalität und einem Ermessennichtgebrauch auszugehen.
Der Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 12. September 2016 und beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kreisausschuss habe mit seinem Grundsatzbeschluss sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass zur Sicherstellung einer einheitlichen Behandlung aller Anträge von der Möglichkeit, Ausnahmen vom Grundsatz der „nächstgelegenen Schule“ zuzulassen, kein Gebrauch gemacht werde. Dabei sei es unerheblich, ob es sich um Gründe handle, die bereits vor Beschlussfassung entstanden seien oder danach. Die Internetseite des Kultusministeriums führe ausdrücklich an, dass es sich bei der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ um einen Schulversuch handle. Art. 16 BayEUG führe keine Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ auf.
Der Klägerin wurde mit Beschluss vom 13. Januar 2017 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2017 Bezug genommen.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO zulässig und begründet.
Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO. Als Mutter der Schülerin kann sie einen möglichen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten nach Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 SchBefV in eigenem Namen geltend machen. Die Klägerin ist allein sorgeberechtigt und als Unterhaltsverpflichtete rechtlich verpflichtet, die Beförderungskosten zu tragen und hat dies auch tatsächlich getan. Nachdem das SchKfrG den Anspruchsinhaber nicht ausdrücklich benennt und jedenfalls der Erstattungsanspruch kein höchstpersönliches Recht der Schülerin ist, ist der Erstattungsanspruch eine eigene Rechtsposition der Klägerin (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.2.2016 - AN 2 K 15.00406 - juris Rn. 19; VG Ansbach, U.v. 8.10.2015 - AN 2 K 13.01829 - juris Rn. 18).
Die Klage ist auch begründet, da die Klägerin einen eigenen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten hat und daher der Bescheid des Landratsamtes … vom 13. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung … vom 8. Dezember 2015 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten nach Art. 3 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 1 SchBefV gegen den Beklagten, der gemäß § 1 Satz 2 SchBefV Aufgabenträger ist, da die von der Tochter der Klägerin im Schuljahr 2014/2015 besuchte Fachoberschule in … die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SchBefV ist. Die Fachoberschule in … ist diejenige Schule der gewählten Ausbildungsrichtung „Gesundheit“, die mit dem geringsten Beförderungsaufwand vom Wohnort der Tochter erreichbar ist, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV. Das Gericht sieht die mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus als Schulversuch eingeführte Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ an staatlichen Fachoberschulen als Ausbildungsrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV an.
Für die Frage, ob eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung im Sinne des Schülerbeförderungsrechts vorliegt, kommt es auf eine formelle Sichtweise an. Entscheidend ist damit nicht, inwiefern ein schulisches Konzept inhaltlich eine eigene Ausbildungs- oder Fachrichtung bildet, sondern inwiefern das Konzept vornehmlich durch den Gesetzgeber im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) oder durch den Verordnungsgeber in der entsprechenden Schulordnung als Ausbildungs- oder Fachrichtung festgelegt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2008 - 7 B 08.550 - juris Rn. 24). Gemäß Art. 16 BayEUG können an Fachoberschulen als Ausbildungsrichtungen „Technik“, „Agrarwirtschaft“, Bio- und Umwelttechnologie“, „Wirtschaft und Verwaltung“, „Sozialwesen“ und „Gestaltung“ eingerichtet werden. Die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ ist nicht genannt. Allerdings bestimmt die Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus „Schulversuch zur Erprobung der Ausbildungsrichtungen,Gesundheit‘ und,Internationale Wirtschaft‘ an staatlichen Fachoberschulen“ vom 20. März 2013 (KWMBl. S. 181), zuletzt geändert durch Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 27. April 2015 (KWMBl. S. 83), dass es sich bei der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ um eine Ausbildungsrichtung an Fachoberschulen handelt. Es ist fernliegend, dass der Begriff „Ausbildungsrichtung“ in der Bekanntmachung anders zu verstehen ist, als der Begriff „Ausbildungsrichtung“ in Art. 16 BayEUG. Die Schüler, die eine der Ausbildungsrichtungen des Schulversuchs wählen, haben die gleichen Rechte und Pflichten wie diejenigen Schüler, die eine der Ausbildungsrichtungen nach Art. 16 BayEUG gewählt haben. Gemäß Nr. 4.1 der Bekanntmachung müssen die Bewerber für den Schulversuch die gleichen Aufnahmevoraussetzungen nach § 27 Schulordnung für die Berufliche Oberschule - Fachoberschulen und Berufsoberschulen (FOBOSO) erfüllen, wie Bewerber für die bereits gesetzlich geregelten Ausbildungsrichtungen. Die Schüler erwerben als Abschluss nach Nr. 8.1 der Bekanntmachung ebenso die Fachhochschulreife und auch im Übrigen gelten nach Nr. 3 der Bekanntmachung grundsätzlich die Regelungen des BayEUG und der FOBOSO.
Die einzigen formellen Unterschiede sind, dass die Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ nicht in einem Gesetz oder in einer Verordnung festgelegt, sondern durch eine Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus eingeführt wurde und dass es sich bislang um eine „vorläufige“ Ausbildungsrichtung handelt, für die noch nicht feststeht, ob sie dauerhaft Einzug in das BayEUG findet. Der Urheber der Bekanntmachung, das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus (jetzt: Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst), ist aber gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 BayEUG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Zuständigkeitsgesetz i.Vm. §§ 5 Nr. 1a, 12 Abs. 2 Verordnung über die Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatsregierung (StRGVV) auch der zuständige Verordnungsgeber auch hinsichtlich der Einführung neuer Ausbildungseinrichtungen, vgl. § 89 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Halbsatz 2 BayEUG. Zudem verwendet § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV zwar mit Ausbildungsrichtung, Fachrichtung und Schulart Begriffe aus dem BayEUG (vgl. Art. 6 BayEUG, Art. 9 Abs. 3 BayEUG, Art. 8 Abs. 3 BayEUG, Art. 18 Abs. 4 BayEUG); ein direkter Verweis, dass allein Ausbildungsrichtungen, Fachrichtungen und Schularten im Sinne des BayEUG oder den Schulordnungen gemeint sind, findet sich hingegen nicht. An dem Ergebnis, dass mit der Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ eine neue Ausbildungsrichtung eingeführt wurde, ändert auch die Tatsache nichts, dass sich diese Ausbildungsrichtung noch im Stadium des Schulversuchs befindet (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2001 - 7 B 99.3719 - juris Rn. 23). Die „vorläufige“ Ausbildungsrichtung „Gesundheit“ ist auch vor einer etwaigen endgültigen Einführung und Festlegung im BayEUG gegenüber den Ausbildungsrichtungen im Sinne von Art. 16 BayEUG als gleichwertig anzusehen und damit die Wahl dieser Ausbildungsrichtung beförderungsrechtlich relevant.
Soweit die Rechtsprechung verlangt, dass für eine beförderungsrechtliche Wirkung die Ausbildungsrichtung durch den Gesetz- und Verordnungsgeber festgelegt wird, ist diese Vorgabe auch vor dem Hintergrund ihres Ziels zu betrachten. Indem eine formelle Verankerung der in Streit stehenden besonderen Ausrichtung der Schule gefordert wird, wird vermieden, dass die zuständigen Behörden inhaltliche Einzelfallprüfungen durchführen müssen, die gegebenenfalls einen wertenden Charakter enthalten. Müsste für alle Fälle, in denen einzelne Schulen besondere Fächerkombinationen, Wahlfächer oder sonstige inhaltliche Eigenheiten anbieten, untersucht werden, ob die Abweichung von dem Angebot anderer Schulen so groß ist, dass eine andere Ausbildungsrichtung oder Fachrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SchBefV anzunehmen ist, wäre dies zum einen mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden, zum anderen unter dem Aspekt einer einheitlichen Anwendung des § 2 Abs. 1 SchBefV problematisch. Dies würde im Widerspruch dazu stehen, dass die Regelungen zur Schülerbeförderung in mehrfacher Hinsicht pauschalisiert sind, um den Vollzug durch die Behörden praktikabel zu gestalten (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.2.2016 - AN 2 K 15.00406 - juris Rn. 22). Durch die eindeutige Bezeichnung als Ausbildungsrichtung in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums ist jedoch eine inhaltliche Prüfung im vorliegenden Fall gerade nicht erforderlich.
Die Beförderungskosten für das Schuljahr 2014/2015 betrugen 940,30 EUR, so dass nach Abzug der Familienbelastungsgrenze in Höhe von 420,00 EUR, vgl. Art. 3 Abs. 2 SchKfrG i.V.m. § 4 Nr. 1 und § 7 SchBefV, ein Anspruch auf Erstattung in Höhe von 520,30 EUR verbleibt.
Da die von der Tochter der Klägerin besuchte Fachoberschule in … wie dargelegt die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV ist und der Klägerin folglich bereits ein Anspruch auf Erstattung der Beförderungskosten aus Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 1 SchBefV zukommt, scheiden Ansprüche nach Art. 3 Abs. 1 SchKfrG i.V.m. § 2 Abs. 3 oder § 2 Abs. 4 SchBefV aus. § 2 Abs. 3 und Abs. 4 SchBefV sehen eine Übernahme der Beförderung nur vor, soweit die besuchte Schule nicht die nächstgelegene Schule im Sinne von § 2 Abs. 1 SchBefV ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.