Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Beschluss, 30. Okt. 2015 - VGH B 14/15

ECLI:ECLI:DE:VERFGRP:2015:1030.VGHB14.15.0A
bei uns veröffentlicht am30.10.2015

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer, der Abgeordneter des Landtags Rheinland-Pfalz und von seiner Partei nominierter Bewerber um das Direktmandat im Wahlkreis 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/ Westerburg – für die Wahl zum 17. Landtag Rheinland-Pfalz am 13. März 2016 ist, gegen die Neueinteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise, konkret den Neuzuschnitt einzelner Wahlkreise.

I.

2

Der Beschwerdeführer ist von seiner Partei nominierter Bewerber um das Direktmandat im Wahlkreis 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/Westerburg – für die Wahl zum 17. Landtag Rheinland-Pfalz am 13. März 2016. Bereits im Jahr 2011 hatte er sich bei der Wahl zum 16. Landtag in diesem Wahlkreis, allerdings ohne Erfolg, um das Direktmandat beworben. Er wurde über die Landesliste seiner Partei gewählt und gehört seit dem 18. Mai 2011 dem Landtag an.

3

1. Am 14. Oktober 2014 beschloss der Landtag das Siebte Landesgesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Oktober 2014 (GVBl. S. 232 – LWahlÄndG –). Gemäß Art. 1 Nr. 2 dieses Gesetzes erhält die Anlage zu § 9 Abs. 2 Satz 2, aus der sich die Einteilung der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Landtagswahlgesetz – LWahlG – gebildeten vier Bezirke in 51 Wahlkreise (§ 9 Abs. 1 LWahlG) ergibt, eine neue Fassung. Durch diese Neufassung der Wahlkreisbeschreibung wird der Zuschnitt von 23 der insgesamt 51 Wahlkreise verändert, darunter auch der des Wahlkreises 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/Westerburg –. Die übrigen 28 Wahlkreise bleiben unverändert.

4

Nachdem der Wahlkreis 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/Westerburg – vor der Neufassung vom Westerwaldkreis die Verbandsgemeinden Bad Marienberg (Westerwald), Hachenburg, Rennerod, Selters (Westerwald) und Westerburg umfasst hat, umfasst er nun vom Westerwaldkreis die Verbandsgemeinden Bad Marienberg (Westerwald), Hachenburg, Selters (Westerwald) und Westerburg, d.h. die Verbandsgemeinde Rennerod wird durch die Gesetzesänderung herausgelöst. Diese Verbandsgemeinde wiederum wird dem Wahlkreis 1 – Betzdorf/Kirchen (Sieg) – zugeschlagen, der ansonsten unverändert bleibt (vgl. auch die grafische Darstellung der Neueinteilung in LT-Drucks. 16/3970, S. 9).

5

2. In der Begründung zu dem Gesetzentwurf vom 16. September 2014 (LT-Drucks. 16/3970) heißt es hierzu, die Vorschläge zur Fortentwicklung der Wahlkreiseinteilung orientierten sich vor allem an den folgenden Grundsätzen: Die Zahl der Wahlkreise in den vier Bezirken solle deren Bevölkerungsanteil möglichst entsprechen, die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises dürfe von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise nicht um mehr als 25 v.H. nach oben oder unten abweichen, jeder Wahlkreis solle ein zusammenhängendes Gebiet bilden und die politischen Grenzen der Gemeinden, Verbandsgemeinden und Landkreise sollten nach Möglichkeit eingehalten werden. Hinzu kämen weitere, in der Begründung zu dem Gesetzentwurf im Einzelnen angeführte Grundsätze und Gesichtspunkte. Dies sei zum einen, dass die durch die Wahlkreisstimme geknüpfte engere persönliche Beziehung des Wahlkreisabgeordneten zu dem Wahlkreis einer gewissen Kontinuität bedürfe. Es liefe dem Prinzip der demokratischen Repräsentation zuwider, wenn Wahlkreise häufig räumlich verändert würden. Zum andern seien räumliche, historische, landsmannschaftliche und strukturelle Gesichtspunkte bedacht worden. Schließlich sei darüber hinaus die langfristige Bevölkerungsentwicklung in den Blick genommen worden. Im Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem die Einführung der 25 v.H.-Toleranzgrenze zur Erreichung annähernd gleich großer Wahlkreise vornehmlich diene, seien diese sonstigen Grundsätze und Gesichtspunkte allerdings von nachgeordneter Bedeutung (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9).

6

Die Wahlkreiseinteilung werde daher unter Berücksichtigung der im Zuge der Kommunal- und Verwaltungsreform bereits vorgenommenen Gebietsänderungen so fortentwickelt, dass kein Wahlkreis mehr als 25 v.H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise abweiche. Ab der nächsten Wahlperiode des Landtags werde dies gemäß Art. 1 Nr. 1 LWahlÄndG auch in § 9 LWahlG nachvollzogen (dessen Neufassung gemäß Art. 2 Nr. 1 mit Ablauf des Tages, an dem der 17. Landtag zusammentritt, in Kraft tritt), wonach die bis dahin – also auch jetzt noch – geltende absolute gesetzliche Toleranzgrenze für Wahlkreisabweichungen von 33 1/3 v.H. auf 25 v.H. abgesenkt und als Bemessungsgrundlage für die Größe der Wahlkreise nicht mehr auf die Bevölkerungszahl, sondern auf die Zahl der Stimmberechtigten abgestellt wird. Trotzdem werde die niedrigere 25 v.H.-Toleranzgrenze bereits jetzt zugrunde gelegt, um verfassungsrechtlichen Bedenken des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags im Hinblick auf die 33 1/3-Toleranzgrenze Rechnung zu tragen, die dieser für zu hoch erachte (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 2, 8 f.).

7

Die Verkleinerung des Wahlkreises 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/Westerburg – und die Vergrößerung des Wahlkreises 1 – Betzdorf/Kirchen (Sieg) – dienten der Einhaltung dieser 25 v.H.-Toleranzgrenze für Bevölkerungsabweichungen der Wahlkreise untereinander. Unter Zugrundelegung der Bevölkerungszahlen des Statistischen Landesamtes nach dem Stand vom 31. Dezember 2013 würde nach bisherigem Zuschnitt der Wahlkreis 5 – Bad Marienberg (Westerwald)/Westerburg – eine Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise von +29,1 v.H. aufweisen und der Wahlkreis 1 – Betzdorf/Kirchen (Sieg) – von -26,7 v.H. Beide Wahlkreise würden damit die 25 v.H.-Toleranzgrenze unzulässiger Weise über- bzw. unterschreiten. Mit der vorgenommenen gesetzlichen Neufassung werde die 25 v.H.-Toleranzgrenze demgegenüber mit einer Abweichung von dann nur noch +7,1 v.H. (Wahlkreis 5) bzw. -4,7 v.H. (Wahlkreis 1) eingehalten. Durch die Zuordnung der Verbandsgemeinde Rennerod vom Wahlkreis 5 an den Wahlkreis 1 sollten so in einem Schritt für zwei Wahlkreise die über der 25 v.H.-Toleranzgrenze liegenden Bevölkerungsabweichungen beseitigt werden. Die Verbandsgemeinde Rennerod habe eine gemeinsame Grenze mit der im Wahlkreis 1 liegenden Verbandsgemeinde Herdorf-Daaden, auch wenn diese nicht besonders lang sei. Darüber hinaus bestünden gemeinschaftliche Interessen schon mit Blick auf die räumliche Situation im Grenzdreieck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen anderer Wahlkreise komme alternativ lediglich eine Zuordnung der Verbandsgemeinde Bad Marienberg (Westerwald) an den Wahlkreis 1 oder den Wahlkreis 2 in Betracht. Allerdings würde der Wahlkreis 5 dann seine Namensgeberin verlieren (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f., 14).

II.

8

Mit seiner Rechtssatzverfassungsbeschwerde begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung oder Teilaufhebung der Wahlkreisbeschreibung in der Anlage zu § 9 Abs. 2 Satz 2 LWahlG in der Fassung des Siebten Landesgesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Oktober 2014. Er macht geltend, durch die Wahlkreisbeschreibung in der Anlage zu § 9 Abs. 2 Satz 2 LWahlG in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt zu sein. Dies gelte insbesondere, soweit die Einteilung der Wahlkreise 1 und 5 betroffen sei. Die Einteilung dieser beiden Wahlkreise sei parteipolitisch motiviert und verstoße gegen verfassungsrechtliche Wahlgrundsätze sowie das allgemeine Willkürverbot.

9

Die Einteilung eines Wahlkreises berühre neben der quantitativen Frage der Abweichung der Bevölkerungszahl bzw. der Zahl der Wahlberechtigten insbesondere auch die Bedingungen der politischen Konkurrenz. Die politische Mehrheit dürfe sich nicht vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lassen, sondern nur von gemeinwohlbezogenen Erwägungen. Andernfalls sei die Wahlkreiseinteilung willkürlich und damit verfassungswidrig. Damit die Einhaltung dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe überprüft werden könne, müsse der Gesetzgeber die Grundlagen seiner Abwägungsentscheidung für die konkrete Einteilung der Wahlkreise hinreichend dokumentieren.

10

Aus der dem Gesetzentwurf beigegebenen Begründung ergebe sich, dass der Wechsel der Verbandsgemeinde Rennerod vom Wahlkreis 5 in den Wahlkreis 1 nicht das Ergebnis einer sachgerechten und willkürfreien Abwägung sei. Zwischen der Verbandsgemeinde Rennerod und dem Wahlkreis 1 (alt) bestehe eine gemeinsame Grenze von lediglich 750 Metern. Diese liege darüber hinaus auf einem nur eingeschränkt zugänglichen ehemaligen Truppenübungsplatz. Eine unmittelbare Straßenverbindung existiere nicht. Der Wahlkreis 1 (neu) stelle sich so als unharmonisches, schlauchartiges Gebilde dar. Es sei kein sachlicher Grund für eine Zuordnung der Verbandsgemeinde Rennerod zum Wahlkreis 1 ersichtlich.

11

Sachlich zutreffend sei demgegenüber der seinerzeitige Vorschlag des Landeswahlleiters vom 20. Mai 2014, der den Wechsel der Verbandsgemeinde Marienberg vom Wahlkreis 5 in den Wahlkreis 1 vorgeschlagen habe. Dieser Vorschlag sei (zugunsten des schließlich realisierten Wechsels der Verbandsgemeinde Rennerod) von der Landesregierung und vom Gesetzgeber aus rein parteipolitischen Motiven verworfen worden. Ein Wechsel der Verbandsgemeinde Hachenburg vom Wahlkreis 5 in den Wahlkreis 1 sei ferner vom Gesetzgeber erst gar nicht in Erwägung gezogen worden. Der Beschwerdeführer meint insoweit, durch den Verbleib dieser beiden Verbandsgemeinden im Wahlkreis 5 solle dort dem SPD-Wahlkreisbewerber das Direktmandat abgesichert werden. In beiden Verbandsgemeinden habe dieser bei der Landtagswahl 2011 über 50 v.H. der Wahlkreisstimmen erzielt. In der Verbandsgemeinde Rennerod habe er, der Beschwerdeführer, demgegenüber bei den Wahlkreisstimmen vor seinem Konkurrenten gelegen. Verstärkt werde dieser Eindruck dadurch, dass es sich bei seinem Gegenkandidaten von der SPD um den zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch amtierenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Landtag gehandelt habe. Bei einem Wechsel der Verbandsgemeinde Hachenburg würde dieser darüber hinaus seinen „Heimatwahlkreis“ verlieren, da er dort wohne. Dies aber sei kein Grund, stattdessen zu seinem, des Beschwerdeführers, Nachteil den Wechsel der Verbandsgemeinde Rennerod vorzunehmen.

12

Durch die von dem Beschwerdeführer mit seiner Rechtssatzverfassungsbeschwerde begehrte Aufhebung oder Teilaufhebung der Wahlkreisbeschreibung in der Anlage zu § 9 Abs. 2 Satz 2 LWahlG durch den Verfassungsgerichtshof trete auch im Hinblick auf die Landtagswahl am 13. März 2016 kein verfassungswidriger Zustand ein. Die 25 v.H.-Toleranzgrenze sei verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgegeben. Im Übrigen rechtfertige es die von der Landesregierung für die nächste Wahlperiode angekündigte umfassende kommunale Gebietsreform, den Zuschnitt der Wahlkreise erst in der neuen Wahlperiode zu regeln. Die Wahl könne daher nach dem bisherigen Wahlkreiszuschnitt erfolgen.

III.

13

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Landtag und der Landesregierung Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

14

1. Der Landtag hält die Verfassungsbeschwerde für ganz überwiegend bereits unzulässig (a) und im Übrigen für unbegründet (b).

15

a) Die Verfassungsbeschwerde sei statthaft, da der Grundsatz der Ausschließlichkeit der Wahlprüfung der Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen die Einteilung der Wahlkreise nicht entgegenstehe. Auch wenn der Beschwerdeführer nicht klar benenne, in welcher verfassungsrechtlichen Position er sich durch die Festlegung der Landtagswahlkreise verletzt sehe, könne seinem Vorbringen doch hinreichend entnommen werden, dass er sein Recht als Wahlkreiskandidat auf Chancengleichheit geltend mache. Der Beschwerdeführer sei danach hingegen nur insoweit beschwerdebefugt, wie er sich gegen die Festlegung des Wahlkreises 5, in welchem er selbst kandiere, wende. Im Hinblick auf die übrigen 50 Wahlkreise sei eine Beeinträchtigung dieser Rechtsposition weder dargetan, noch sonst erkennbar. Dies gelte auch für den Nachbarwahlkreis 1.

16

b) Soweit sie zulässig sei, erweise sich die Verfassungsbeschwerde als unbegründet. Ein Eingriff in die passive Wahlrechtsgleichheit des Beschwerdeführers durch den Neuzuschnitt „seines“ Wahlkreises 5 liege nicht vor. Der Gesetzgeber sei angesichts der erheblichen Abweichungen in der Bevölkerungszahl der Wahlkreise verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen, einen Neuzuschnitt der Landtagswahlkreise vorzunehmen. Dies gelte auch für den Wahlkreis 5. Dieser sei allein nach sachgerechten Kriterien, die auch Niederschlag im Gesetz gefunden hätten, erfolgt.

17

2. Nach Ansicht der Landesregierung ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig (a) jedenfalls aber unbegründet (b).

18

a) Die Verfassungsbeschwerde sei wegen des Ausschließlichkeitscharakters des Wahlprüfungsverfahrens ausgeschlossen. Auch sei der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt, denn er habe nicht hinreichend dargetan, inwieweit er sich durch die angefochtene Wahlkreiseinteilung in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt sehe. Ein allgemeiner Verweis auf die verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze reiche hierzu nicht aus. Die Möglichkeit der Beeinträchtigung der Wahlrechtsgrundsätze sei auch sonst nicht ersichtlich. Aus seiner Wahlkreiskandidatur für die Landtagswahl im Jahr 2016 könne der Beschwerdeführer keine relevanten verfassungsmäßigen Rechte ableiten. Er habe nicht dargelegt, dass er in seiner Bewerbung um das Direktmandat im Landtag behindert oder beeinträchtigt werde. Schließlich gewähre ihm die Kandidatur nur eine bloße Chance auf den Erwerb eines Direktmandats, so dass er ein subjektives Recht aus der Bewerbung nicht ableiten könne.

19

b) Die Verfassungsbeschwerde sei jedenfalls aber unbegründet. Der Gesetzgeber sei mit dem angegriffenen Änderungsgesetz seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung nachgekommen, Abweichungen in der Wahlkreisgröße vom Durchschnitt auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zurückzuführen. Bei der hierzu notwendigen Neueinteilung des Wahlgebietes stehe ihm ein gewisser Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu. Diesen habe er nicht überschritten. Er habe der Neueinteilung zulässige Kriterien zugrunde gelegt und diese konsequent angewandt. Dies gelte auch für die Neueinteilung der Wahlkreise 5 und 1. Der Gesetzgeber habe dabei insbesondere nicht gegen den Grundsatz verstoßen, dass jeder Wahlkreis ein zusammenhängendes Gebiet bilden solle. Die Verbandsgemeinde Rennerod grenze an die zum Wahlkreis 1 gehörende Verbandsgemeinde Herdorf-Daaden an. Die Länge der Gebietsgrenze spiele demgegenüber kaum eine Rolle. Dass gemeinsame Interessen zwischen der Verbandsgemeinde Rennerod und den Verbandsgemeinden des Wahlkreises 1 bestünden, ergebe sich schon mit Blick auf die räumliche Situation im Grenzdreieck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Dem Änderungsgesetz habe keine parteipolitische Motivation der Regierungspartei zugrunde gelegen. Dies werde schon durch den Umstand belegt, dass die Verbandsgemeinde Rennerod – bezogen auf die Wahlkreisstimmen – kein „roter“ oder „schwarzer“ Wahlkreis sei. Bei der Landtagswahl im Jahr 2011 habe dort der Wahlkreisvorschlag der SPD 41,0 v.H. und der Wahlkreisvorschlag der CDU 41,6 v.H. der Wahlkreisstimmen auf sich vereinigt.

B.

20

Die Verfassungsbeschwerde, über die der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 Abs. 1 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Neuzuschnitt des Wahlkreises 5 mit der Begründung wendet, diese verletze ihn in seinem passiven Wahlrecht auf Chancengleichheit gemäß Art. 76 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV – und in seinem Anspruch auf willkürfreie Entscheidung des Gesetzgebers gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 LV, Art. 77 Abs. 2 LV. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

I.

21

Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines passiven Wahlrechts (Art. 76 Abs. 1 LV) und des allgemeinen Willkürverbots (Art. 17 Abs. 1 und 2 LV, Art. 77 Abs. 2 LV) rügt, genügt die Verfassungsbeschwerde nur insofern den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung und insbesondere die Darlegung der Beschwerdebefugnis nach §§ 44, 45 VerfGHG, als der Neuzuschnitt des Wahlkreises 5, in dem der Beschwerdeführer kandidiert, angegriffen wird. Im Hinblick auf die übrigen Wahlkreise fehlt es daran.

22

Ein Beschwerdeführer muss die behauptete Rechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung begründenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen (§§ 44, 45 VerfGHG). Das Erfordernis hinreichender Begründung verlangt vor allem, dass sich aus dem Vorbringen mit hinreichender Deutlichkeit die Beschwerdebefugnis ergibt. Die bloße verbale Behauptung einer Verfassungsverletzung genügt hierfür nicht. Es ist vielmehr erforderlich, dass aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde bei objektiver Beurteilung zumindest die Möglichkeit einer Verletzung der geltend gemachten Grundrechte erkennbar wird. Dies umfasst auch die Darlegung, inwieweit der Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die angegriffene Maßnahme in eigenen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 22. Juni 2004 – VGH B 2/04 –, AS 31, 348 [350]; Beschluss vom 26. April 2013 – VGH B 6/12 –, AS 41, 417 [424]; Urteil vom 29. Januar 2007 – VGH B 1/06 –, AS 34, 169 [180]; Beschluss vom 11. Februar 2014 – VGH B 6/14 u.a. –, juris, Rn. 3 m.w.N.).

23

Das Recht der Wahlchancengleichheit eines Wahlbewerbers gemäß Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV gilt nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern im gesamten Vorfeld von Wahlen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 2 BvE 1/99 u.a. –, BVerfGE 104, 14 [20]). Art. 76 Abs. 1 LV gewährleistet in seiner Ausprägung als Recht des Wahlbewerbers auf Wahlchancengleichheit dem Bewerber einen Anspruch darauf, dass bei der Einteilung des Wahlgebiets diese nicht zu seinem Nachteil unter rein persönlichen und/oder parteipolitischen Aspekten vorgenommen und so das Wahlergebnis vorprogrammiert wird. Dieser Anspruch kann verletzt sein, wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, durch die angegriffene Einteilung des Wahlkreises als Wettbewerber gegenüber seinen Mitbewerbern sachwidrig benachteiligt zu sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 2 BvE 1/99 u.a. –, BVerfGE 104, 14 [20]). Offensichtliche Wahlkreismanipulationen wie ein Zuschnitt der Wahlkreise aufgrund einer Analyse des bisherigen Wahlverhaltens durch die jeweilige Parlamentsmehrheit (sog. Gerrymandering) stellen einen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Wahlchancengleichheit gemäß Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV dar (vgl. entsprechend BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [141]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 14; Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Anh. zu Art. 38: Bundeswahlrecht, Rn. 59 [Viertbearbeitung 2013]; Kautz, BayVBl. 2001, 97 [98 f.]; Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, 7. Aufl. 2014, S. 96 ff.).

24

Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers ist eine solche Verletzung bei objektiver Betrachtung in Bezug auf die Einteilung des Wahlkreises 5 zumindest möglich (vgl. zu diesem Maßstab VerfGH RP, Beschluss vom 16. August 1994 – VGH B 15/93 –, NJW 1995, 444 [445]).

25

Im Hinblick auf die übrigen 50 Wahlkreise ist eine eigene Betroffenheit des Beschwerdeführers demgegenüber weder dargetan, noch sonst ersichtlich. Voraussetzung ist insoweit nämlich nach dem Vorgesagten, dass der Beschwerdeführer in dem jeweiligen Wahlkreis selbst Kandidat ist oder doch zumindest dafür ernsthaft in Frage kommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2011
2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71). Dies allerdings ist lediglich im Wahlkreis 5, in dem er aufgestellt wurde, der Fall. In den übrigen Wahlkreisen steht er bereits nicht selbst in einer Konkurrenzsituation gegenüber Mitbewerbern. Die Geltendmachung einer Verletzung nur objektiven Verfassungsrechts reicht zur Begründung einer rügefähigen Beschwer allerdings ebenso wenig aus wie ein bloß reflexhaftes Betroffensein des Beschwerdeführers. Eine Popularbeschwerde ist nach Art. 130a LV nicht vorgesehen (VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [209]; Beschluss vom 11. Februar 2014 – VGH B 6/14 u.a. –, juris, Rn. 4).

II.

26

Soweit die Verfassungsbeschwerde danach zulässig ist, kann der Beschwerdeführer weder auf die Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 82 Satz 2 LV verwiesen werden (1.) noch auf das Organstreitverfahren (2.).

27

1. Der Beschwerdeführer kann nicht auf die Wahlprüfungsbeschwerde nach Art. 82 Satz 2 LV verwiesen werden.

28

Der Vorrang des Wahlprüfungsverfahrens besteht nur in dem Umfang, wie ihn der Regelungsgehalt des § 57 des Landeswahlgesetzes – LWahlG – aufnimmt, d.h. für wahlorganisatorische Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen (vgl. entsprechend BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. August 2009 – 2 BvQ 50/09 –, NVwZ 2009, 1367 f. m.w.N.; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge [Hrsg.], BVerfGG, § 48 Rn. 41). Dies sind auf die konkrete Wahl bezogene Einzelentscheidungen und Maßnahmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1986 – 2 BvE 1/86 –, BVerfGE 74, 96 [101]). Insoweit ist eine Verfassungsbeschwerde durch den außerordentlichen Rechtsbehelf der Wahlprüfungsbeschwerde ausgeschlossen (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 11. Februar 2014 – VGH B 6/14 u.a. –, juris, Rn. 2; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. August 2009 – 2 BvQ 50/09 –, NVwZ 2009, 1367).

29

Zu diesen Einzelentscheidungen gehören Gesetze jedoch nicht. Sie können zwar im Wahlprüfungsverfahren inzidenter angegriffen werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. August 2009 – 2 BvQ 50/09 –, NVwZ 2009, 1367 [1368] m.w.N.; Glauben, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2014, Art. 82 Rn. 22). Dies macht Wahlgesetze hingegen nicht zu Einzelentscheidungen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen. Eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Wahlgesetz wird daher durch den Grundsatz des Vorrangs der Wahlprüfung nicht berührt (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 – 2 BvH 1/52 –, BVerfGE 1, 208 [237 f.]; Urteil vom 29. September 1990 – 2 BvE 1/90 u.a. –, BVerfGE 82, 322 [336]; Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u.a. –, BVerfGE 135, 259 [278 f.]; Glauben, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 41 Rn. 154 [Drittbearbeitung 2008]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 49 Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge [Hrsg.], BVerfGG, § 48 Rn. 43). Das gilt auch für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen wahlrechtliche Vorschriften, mit denen die Einteilung der Wahlkreise erfolgt (vgl. entspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565 f.).

30

Soweit die Landesregierung demgegenüber den Vorrang der Wahlprüfungsbeschwerde reklamiert mit dem Argument, da die Vorbereitungen zur Durchführung der Landtagswahl bereits begonnen hätten und insbesondere bereits ab dem 19. Februar 2015 Wahlkreisbewerber aufgestellt werden könnten, müssten die Wahlkreise rechtsverbindlich feststehen, weil andernfalls die termingerechte Durchführung der Wahl gefährdet sei, findet dies weder in Art. 82 Satz 2 LV noch in § 57 LWahlG eine Stütze. Im Gegenteil stellt es in der Regel einen schweren Nachteil für das Gemeinwohl dar, wenn Wahlen in einer Situation der Rechtsunsicherheit durchgeführt werden müssten, weil ihre Rechtsgrundlage umstritten und ihr Ergebnis möglicherweise alsbald gegenstandslos würde. Dies gilt grundsätzlich dann, wenn die Rechtsgrundlage der Wahl als solche, d.h. das Wahlgesetz in seiner Verfassungsmäßigkeit, in Frage gestellt wird (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 23. Mai 2014 – VGH A 26/14 –, AS 42, 327 [333 f.] m.w.N.). Der Verfassungsgerichtshof kann im Übrigen im Falle einer positiven Entscheidung für den Beschwerdeführer dem öffentlichen Belang eines ungestörten Ablaufs des Wahlverfahrens im Einzelfall Rechnung tragen durch den Ausspruch der Weitergeltung der Norm bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (§ 26 Abs. 3 VerfGHG) oder durch eine Vollstreckungsanordnung (§ 20 Abs. 3 VerfGHG). Erforderlichenfalls kann er durch eine Anordnung nach § 20 Abs. 3 VerfGHG auch selbst die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung der Wahl bereitstellen (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 8. Juni 2015 – VGH N 18/14 –, juris, Rn. 209 ff.; BVerfG, Beschluss vom 29. September 1990 – 2 BvE 1/90 u.a. –, BVerfGE 82, 322 [336]; H. Meyer, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 104).

31

2. Der Beschwerdeführer kann ferner auch nicht auf den Weg der Organklage nach Art. 130 Abs. 1 LV verwiesen werden. Er kann weder prozessstandschaftlich die Rechte einer politischen Partei geltend machen, noch kann er aus seinem Status als Landtagsabgeordneter etwas für seine Rechte als Wahlkreisbewerber ableiten. Der Weg des Organstreits ist ihm verschlossen. Er kann daher die angebliche Verletzung seiner wahlrechtlichen Chancengleichheit nur mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen.

C.

32

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.

33

Die angegriffenen gesetzlichen Bestimmungen über den Zuschnitt des Wahlkreises 5 verletzen den Beschwerdeführer weder in seinem aus Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV abgeleiteten Recht auf Wahlchancengleichheit (I.) noch verletzen sie seinen Anspruch auf willkürfreie Entscheidung des Gesetzgebers gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 LV, Art. 77 Abs. 2 LV (II.).

I.

34

1. a) Bei der Ausgestaltung des Wahlrechts im Einzelnen hat der Gesetzgeber die im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 LV geltenden Maßstäbe, insbesondere den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nach Art. 76 Abs. 1 LV, zu beachten. Dieser ist wegen seines Zusammenhangs mit dem Demokratieprinzip im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71; Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u.a. –, BVerfGE 135, 259 [284 ff.] m.w.N.).

35

Mit der Wahlrechtsgleichheit ist das Recht von Wahlbewerbern auf Chancengleichheit verknüpft. Es folgt aus Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV. Danach ist verfassungsrechtlich gefordert, dass die Rechtsordnung jedem Wahlbewerber grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten in Wahlkampf und Wahlverfahren und damit eine gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimmen gewährleistet (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 15. Dezember 2014 – VGH O 22/14 –, AS 43, 149 [165]; BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 – 2 BvC 2/06 –, BVerfGE 124, 1 [20]). Das Recht der Wahlchancengleichheit eines Wahlbewerbers gemäß Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV gilt somit nicht nur für den Wahlvorgang selbst, sondern im gesamten Vorfeld von Wahlen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 2 BvE 1/99 u.a. –, BVerfGE 104, 14 [20]). Der Schutzbereich der Wahlrechtsgleichheit des Wahlbewerbers ist nicht auf die gleiche Behandlung bei der Zuteilung der Mandate begrenzt, sondern ist auch auf die Chancengleichheit der Bewerber, d.h. die „Wahlgleichheit im Wahlwettbewerb“ (H. Meyer, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 46 Rn. 34 f.) erstreckt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – VGH B 1/01 –, AS 29, 207 [213]; Beschluss vom 21. Mai 2014 – VGH A 39/14 –, AS 42, 316 [319 ff.]; BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 1985 – 2 BvR 1163/82 –, BVerfGE 69, 92 [106]; Urteil vom 29. September 1990 – 2 BvE 1/90 u.a. –, BVerfGE 82, 322 [336]).

36

Wie der Grundsatz der Wahlgleichheit selbst, ist konsequent auch der Grundsatz der Wahlchancengleichheit der Wahlbewerber streng formal zu verstehen. Eine unterschiedliche Behandlung ist danach nur in engen Grenzen und bei dem Vorliegen von Gründen mit hinreichend zwingendem Charakter zulässig (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 15. Dezember 2014 – VGH O 22/14 –, AS 43, 149 [165]; BVerfG, Beschluss vom 21. April 2009 – 2 BvC 2/06 –, BVerfGE 124, 1 [20]; Urteil vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 –, BVerfGE 129, 300 [320]; Urteil vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 u.a. –, BVerfGE 130, 212 [227]; Urteil vom 26. Februar 2014
2 BvE 2/13 u.a. –, BVerfGE 135, 259 [285 f.] m.w.N.).

37

Im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen den Wahlbewerbern bedeutet dies, dass Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV in seiner Ausprägung als Recht des Wahlbewerbers auf Wahlchancengleichheit dem Bewerber einen Anspruch darauf gewährleisten, dass bei der Einteilung des Wahlgebiets diese nicht zu seinem Nachteil unter rein persönlichen und/oder parteipolitischen Aspekten vorgenommen und so das Wahlergebnis vorprogrammiert wird. Erfasst ist damit auch die Einteilung der Wahlkreise selbst. Diese berührt unmittelbar die Bedingungen der politischen Konkurrenz und kann ganz erhebliche Auswirkungen auf die Wahlchancen der Wahlkreisbewerber haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [229]; StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [465]; Morlok, in: Dreier [Hrsg.], GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 38 Rn. 104).

38

Das Recht auf Wahlchancengleichheit verbietet daher, durch die Einteilung der Wahlkreise gezielt einen Wettbewerber gegenüber seinen Mitbewerbern sachwidrig zu benachteiligen. Offensichtliche Wahlkreismanipulationen wie ein Zuschnitt der Wahlkreise aufgrund einer Analyse des bisherigen Wahlverhaltens durch die jeweilige Parlamentsmehrheit (sog. Gerrymandering) stellen einen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Wahlchancengleichheit gemäß Art. 76 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 17 Abs. 1 und 2 LV dar (vgl. entsprechend BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [141]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 14; Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Anh. zu Art. 38: Bundeswahlrecht, Rn. 59 [Viertbearbeitung 2013]; Kautz, BayVBl. 2001, 97 [98 f.]; Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, 7. Aufl. 2014, S. 96 ff.).

39

b) Die Wahlkreiseinteilung darf deshalb allein an sachgerechten Kriterien ausgerichtet sein. Dieses Erfordernis dient insoweit (zumindest auch) einer prozeduralen Absicherung der Wahlchancengleichheit von Wahlbewerbern. Nur die strikte Einhaltung dieser Kriterien sichert den Schutz des Wahlkreisbewerbers vor einer aktiven oder (im Falle des Nichtstuns des Gesetzgebers) passiven „Wahlkreisgeometrie“ (vgl. entsprechend BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC
3/11 –, BVerfGE 130, 212 [228 f.]; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990
– Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [141]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 14; Badura, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Anh. zu Art. 38: Bundeswahlrecht, Rn. 59 [Viertbearbeitung 2013]; Kautz, BayVBl. 2001, 97 [98 f.]; Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, 7. Aufl. 2014, S. 96 ff.).

40

Dabei sind sachgerechte Kriterien schon angesichts des streng formalen Ansatzes der Wahlrechtsgleichheit allein solche, die sich aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung selbst ergeben. Hierzu zählt insbesondere die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2014 – 2 BvE 2/13 u.a. –, BVerfGE 135, 259 [286 f.] m.w.N.). Insofern sind verschiedene Ziele zum Ausgleich zu bringen. Im Hinblick auf die Wahlkreiseinteilung sind dies insbesondere die Funktionsfähigkeit des Parlaments, das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und das Gebot der Wahlgleichheit sowie der Wahlchancengleichheit (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 –, NVwZ 2002, 71 m.w.N.).

41

Dabei ist der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, d.h. das gesetzgeberische Ziel, möglichst gleich große Wahlkreise zu bilden, der entscheidende Prüfungsmaßstab für jede Wahlkreiseinteilung. Die Verwirklichung dieses Ziels ist dem Gesetzgeber als Verpflichtung verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [227] m.w.N.). Als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für Abweichungen von der Durchschnittsgröße aller Wahlkreise innerhalb einer bestimmten, verfassungsrechtlich determinierten Toleranzspanne und damit gleichzeitig als sachliche Kriterien für die konkreten Einzelzuschnitte dienen vor allem der Gesichtspunkt der Wahlkreiskontinuität, die Wahrung regionaler Besonderheiten und die Beachtung historisch verwurzelter Verwaltungsgrenzen (BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [238]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71 [72]; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565). Der einzelne Wahlkreis soll insgesamt „ein zusammengehörendes und abgerundetes Ganzes bilden“ (BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; NdsStGH, Urteil vom 24. Februar 2000 – StGH 2/99 –, NVwZ 2000, 670 [671]) und deshalb ein zusammenhängendes Gebiet sein (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1963 – 2 BvC 3/62 –, BVerfGE 16, 130 [141]; Kautz, BayVBl. 2001, 97 [102]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 27; vgl. auch LT-Drucks. 16/3970, S. 9).

42

Dabei kann ferner je nach Sachlage und den einzelnen örtlichen Gegebenheiten einem Gesichtspunkt, der an anderer Stelle aufgrund der dortigen Gegebenheiten Priorität besitzt, ein geringerer Rang zukommen. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten stets demselben Gesichtspunkt den Vorrang zu geben (BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [476]; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [145]). Er hat allerdings das ausgewählte Wahlsystem in seinen Grundelementen folgerichtig zu gestalten und darf keine strukturwidrigen Elemente einführen (BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [229]).

43

c) Hinsichtlich der Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise steht dem Gesetzgeber ein gewisser, vom Verfassungsgerichtshof zu achtender Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [228 f.]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 –, NVwZ 2002, 71 f.; BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475]; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [145]; StGH BW, Urteil vom 14. Juni 2007 – GR 1/06 –, DÖV 2007, 744 [746]; Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]; StGH Bremen, Urteil vom 5. November 2004 – St 2/04 –, juris, Rn. 49 f.).

44

Die Wahlkreiseinteilung erfordert nach dem Vorgesagten eine Reihe von Einzelentscheidungen, bei denen jeweils auf das konkrete Gebiet bezogen bedeutsame Sachgesichtspunkte zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind. Die Aufgabe zu erfüllen, bei einer landesweiten Wahlkreiseinteilung schwer zu vereinbarende Prinzipien möglichst zur Deckung zu bringen, ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Hierzu gehört auch die wertende Abwägung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sowie der Vor- und Nachteile von Alternativen. Im Regelfall sind nämlich verschiedene verfassungsrechtlich zulässige Wahlkreiseinteilungen möglich; eine bestimmte Wahlkreiseinteilung wird sich allenfalls in extremen Ausnahmefällen als einzig verfassungskonforme Lösung aufdrängen. Der Verfassungsgerichtshof prüft daher nur, ob der Gesetzgeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten hat, nicht aber, ob der Gesetzgeber in jedem Fall zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat. Er prüft daher grundsätzlich nicht die inhaltliche Schlüssigkeit der Entscheidung des Gesetzgebers bei der Abgrenzung jedes einzelnen Wahlkreises noch hat er zwischen einzelnen Alternativen von Wahlkreisabgrenzungen auszuwählen und etwa zu bestimmen, welche Alternative die „bessere“ ist. Die Entscheidung, welche der möglichen Alternativen die sachgerechteste ist, steht dem Gesetzgeber zu, nicht dem Verfassungsgerichtshof (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 –, NVwZ 2002, 71 f.; BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475 f.]; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [145]; StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]; StGH Bremen, Urteil vom 5. November 2004 – St 2/04 –, juris, Rn. 49 f.).

45

Der Verfassungsgerichtshof kann daher eine Überschreitung dieses Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums nur dann feststellen, wenn sich für die Lösung, die der Gesetzgeber gewählt hat, sachliche Gründe, die sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere an dem Willkürverbot des Art. 17 Abs. 1 und 2 LV orientieren, nicht finden. Einschätzungen des Gesetzgebers, ob die Vorteile einer Alternativlösung gewichtiger sind als die Vorteile der von ihm getroffenen Lösung, können als Ergebnis von Wertungen und fachbezogenen Abwägungen verfassungsgerichtlich nur beanstandet werden, wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft sind oder wenn sie der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprechen (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 –, NVwZ 2002, 71 f.; BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475 f.]; Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [145]; StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]; StGH Bremen, Urteil vom 5. November 2004 – St 2/04 –, juris, Rn. 49 f.).

46

Im Hinblick auf die komplexen Abwägungs- und Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers bei der aufgrund von Einzelabwägungen zu treffenden Entscheidung über den Zuschnitt von Wahlkreisen ist der Gesetzgeber insoweit auf einen eigenen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum angewiesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 u.a. –, BVerfGE 130, 212 [228]; BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [145]; Mensing, LKRZ 2014, 314 [316]). Der Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers erfasst insbesondere auch seine Aufgabe, der Wahlchancengleichheit der Wahlbewerber hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71). Die Bewältigung komplexer Probleme, wie sie mit dem gebietlichen Zuschnitt von Wahlkreisen einhergehen, muss vorrangig dem Parlament überlassen bleiben. Dies ist nicht zuletzt dem „planerischen Einschlag“ des Gesetzes über den Neuzuschnitt der Wahlkreise geschuldet (vgl. auch VerfGH RP, Urteil vom 8. Juni 2015 – VGH N 18/14 –, NVwZ-RR 2015, 761 [762] zu kommunalen Gebietsreformen).

47

d) Die strikte Einhaltung dieses Spielraums sichert prozedural den Schutz des Wahlkreisbewerbers vor einer aktiven oder (im Falle des Nichtstuns des Gesetzgebers) passiven „Wahlkreisgeometrie“. Der Verfassungsgerichtshof wacht darüber, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen dieses gesetzgeberischen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums bei der Wahlkreiseinteilung eingehalten werden (vgl. entsprechend BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [229]).

48

Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber daher gehalten, zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle diejenigen Kriterien, welche er seiner Entscheidung über die Einteilung der Wahlkreise zugrunde legt, hinreichend zu konkretisieren und zu dokumentieren. Dies kann schon aus Gründen der Klarheit und Transparenz (wie in § 3 Abs. 1 Bundeswahlgesetz – BWahlG –) unmittelbar im Gesetz geschehen. Verfassungsrechtlich zwingend ist dies jedoch nicht. Eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben. Es reicht zum Zwecke der Transparenz und zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle vielmehr aus, dass die Kriterien überhaupt in geeigneter Form dokumentiert sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [234 u. 238]; vgl. ferner StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464). Dies gilt auch im Hinblick auf die Festlegung der Toleranzspanne für Abweichungen von der Durchschnittsgröße aller Wahlkreise (vgl. StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]).

49

2. Gemessen daran ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den ihm eröffneten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hat. Der Zuschnitt des Wahlkreises 5 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat der Wahlkreiseinteilung sachgerechte Kriterien zugrunde gelegt und ordnungsgemäß abgewogen und seine Erwägungen auch hinreichend dokumentiert.

50

a) Die vom Gesetzgeber niedergelegten Kriterien für die Wahlkreiseinteilung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

51

Ausweislich der amtlichen Begründung, die dem Gesetzentwurf vom 16. September 2014 (LT-Drucks. 16/3970) beigegeben ist, heißt es hierzu, die Einteilung der Wahlkreise orientiere sich vor allem an den folgenden Grundsätzen: Die Zahl der Wahlkreise in den vier Bezirken solle deren Bevölkerungsanteil möglichst entsprechen, die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises dürfe von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise nicht um mehr als 25 v.H. nach oben oder unten abweichen, jeder Wahlkreis solle ein zusammenhängendes Gebiet bilden und die politischen Grenzen der Gemeinden, Verbandsgemeinden und Landkreise sollten nach Möglichkeit eingehalten werden. Hinzu kämen weitere, in der Begründung zu dem Gesetzentwurf im Einzelnen aufgeführte Grundsätze und Gesichtspunkte. Dies sei zum einen, dass die durch die Wahlkreisstimme geknüpfte engere persönliche Beziehung des Wahlkreisabgeordneten zu dem Wahlkreis einer gewissen Kontinuität bedürfe. Es liefe dem Prinzip der demokratischen Repräsentation zuwider, wenn Wahlkreise häufig räumlich verändert würden. Zum andern seien räumliche, historische, landsmannschaftliche und strukturelle Gesichtspunkte bedacht worden. Schließlich sei darüber hinaus die langfristige Bevölkerungsentwicklung in den Blick genommen worden. Im Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem die Einführung der 25 v.H.-Toleranzgrenze zur Erreichung annährend gleich großer Wahlkreise vornehmlich diene, seien diese sonstigen Grundsätze und Gesichtspunkte allerdings von nachgeordneter Bedeutung (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9).

52

Der Gesetzgeber ist damit nach dem Vorgesagten (vgl. oben C.I.1.c)) seiner Obliegenheit nachgekommen, die Kriterien und Erwägungen, die er seiner Entscheidung zugrunde legt, hinreichend zu dokumentieren.

53

Diese Grundsätze und Kriterien sind auch sachgerecht. Sie stehen insbesondere in Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, d.h. das gesetzgeberische Ziel, möglichst gleich große Wahlkreise zu bilden, den entscheidenden Prüfungsmaßstab und Ausgangspunkt für jede Wahlkreiseinteilung bildet und als Rechtfertigung für Abweichungen von der Durchschnittsgröße aller Wahlkreise innerhalb einer bestimmten, verfassungsrechtlich determinierten Toleranzspanne vor allem der Gesichtspunkt der Wahlkreiskontinuität, die Wahrung regionaler Besonderheiten und historisch verwurzelte Verwaltungsgrenzen dienen sowie der Umstand, dass ein Wahlkreis ein abgerundetes, zusammengehöriges Ganzes bilde soll (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, 95, 335 [364]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [238]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71 [72]; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565; NdsStGH, Urteil vom 24. Februar 2000 – StGH 2/99 –, NVwZ 2000, 670 [671]).

54

b) Die Anwendung dieser Kriterien auf die Einteilung des Wahlkreises 5 überschreitet nicht die Grenzen des gesetzgeberischen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums und ist damit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen das Gebot der Wahlchancengleichheit zum Nachteil des Beschwerdeführers kann damit nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer kann gegen den Neuzuschnitt des Wahlkreises 5 weder mit Erfolg einwenden, dieser habe überhaupt nicht durchgeführt werden müssen und daher auch nicht dürfen (aa), noch dass dem Neuzuschnitt unsachgerechte, weil parteipolitische Erwägungen zugrunde lägen, da ein alternativer Zuschnitt insbesondere im Hinblick auf den Nachbarwahlkreis 1 vorzugswürdig wäre (bb).

55

aa) Der Beschwerdeführer kann gegen den Neuzuschnitt des Wahlkreises 5 nicht mit Erfolg einwenden, dieser habe überhaupt nicht durchgeführt werden müssen, weil die 25 v.H.-Toleranzgrenze verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgegeben sei und es im Übrigen die von der Landesregierung für die nächste Wahlperiode angekündigte umfassende kommunale Gebietsreform rechtfertige, den Neuzuschnitt der Wahlkreise erst in der neuen Wahlperiode vorzunehmen.

56

Die Verwirklichung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit, d.h. das gesetzgeberische Ziel, möglichst gleich große Wahlkreise zu bilden, ist dem Gesetzgeber als Verpflichtung verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben. Insoweit trifft ihn eine dauernde Beobachtungs-, Überprüfungs- und erforderlichenfalls auch Korrekturpflicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 – 2 BvC 4/10 –, BVerfGE 129, 300 [321 f.]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [227] m.w.N.). Diese Verpflichtung bezieht sich nicht zuletzt auf den konkreten Zuschnitt der Wahlkreise und umfasst, dass der Gesetzgeber Abweichungen in der Wahlkreisgröße vom Landesdurchschnitt auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zurückzuführen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1963 – 2 BvC 3/62 –, BVerfGE 16, 130 [142]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [227]; StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [463]).

57

Schon deshalb, weil die Bevölkerungsverteilung innerhalb des Landes einem steten Wandel unterworfen ist, lässt sich der Grundsatz der Wahlgleichheit bei der Wahlkreiseinteilung nur näherungsweise verwirklichen. Bei dem Zuschnitt der Wahlkreise entsprechend ihren Bevölkerungsanteilen sind daher Abbildungsunschärfen hinzunehmen. Es unterliegt deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, gewisse Abweichungen in der Bevölkerungszahl (sog. Toleranzgrenzen) zuzulassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1963 – 2 BvC 3/62 –, BVerfGE 16, 130 [142]; Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, BVerfGE 95, 335 [364]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [228 f.]; StGH BW, Urteil vom 14. Juni 2007 – GR 1/06 –, DÖV 2007, 744 [746]; Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]; NdsStGH, Urteil vom 24. Februar 2000 – StGH 2/99 –, NVwZ 2000, 670 [671]).

58

Diese verfassungsrechtlich zulässigen Abweichungen unterliegen allerdings einer äußersten verfassungsrechtlich noch zulässigen Grenze. Die Unterschiede in den Wahlkreisen dürfen diese Grenze nicht überschreiten. Zu deren Höhe gibt der Verfassungstext selbst keine nähere Auskunft. Die Festlegung der zulässigen Toleranzgrenze ist daher vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers. Der Verfassungsgerichtshof kann diese allerdings überprüfen und auch die äußerste verfassungsrechtlich zulässige Grenze einer Abweichung bestimmen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475]).

59

Vorliegend braucht der Verfassungsgerichtshof jedoch keine Aussage zur äußersten verfassungsrechtlich zulässigen Toleranzgrenze nach rheinland-pfälzischem Wahlrecht zu treffen. Dem Gesetzgeber ist es nämlich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht verwehrt, die Größenabweichungen der Wahlkreise in einem engeren Rahmen zu halten (vgl. StGH BW, Urteil vom 23. Februar 1990 – GR 2/88 –, ESVGH 40, 161 [170 f.]; Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475]). Selbst wenn man also mit dem Beschwerdeführer davon ausgeht, dass der Gesetzgeber eine Neueinteilung nicht vornehmen musste – wofür im Gegenteil bei einer Abweichung von mehr als 25 v.H. vieles spricht (vgl. StGH BW, Urteil vom 14. Juni 2007 – GR 1/06 –, DÖV 2007, 744 [746 f.]; Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [465]); BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475]) –, ist er jedenfalls verfassungsrechtlich nicht gehindert, in diesem Fall eine Neueinteilung vorzunehmen (vgl. StGH BW, Urteil vom 23. Februar 1990 – GR 2/88 –, ESVGH 40, 161 [168 f.]; Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [465]; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 – Vf. 2-VII-01 u.a. –, NVwZ-RR 2002, 473 [475]).

60

Da die Abweichung im Wahlkreis 5 zu dem gewählten Stichtag 31. Dezember 2013 bei +29,1 v.H. lag und damit über der vom Gesetzgeber festgelegten Toleranzgrenze von 25 v.H., war aus dessen nachvollziehbarer und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Sicht ein Neuzuschnitt des Wahlkreises geboten (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f. u. S. 14).

61

bb) Es kann nicht festgestellt werden, dass dem danach veranlassten Neuzuschnitt des Wahlkreises 5 unsachgerechte, da parteipolitische Erwägungen zugrunde lägen, weil ein alternativer Zuschnitt insbesondere im Hinblick auf den Nachbarwahlkreis 1 vorzugswürdig wäre.

62

aaa) Der Gesetzgeber hat die Gründe, die für und gegen die Herauslösung der Verbandsgemeinde Rennerod aus dem Wahlkreis 5 und deren Eingliederung in den Nachbarwahlkreis 1 sprechen, abgewogen und der von ihm gefundenen Lösung vertretbare Erwägungen zugrunde gelegt. Er hat hierzu in der amtlichen Begründung zu dem Gesetzentwurf ausgeführt: „Durch die Zuordnung der Verbandsgemeinde Rennerod vom Wahlkreis 5 an den Wahlkreis 1 sollen in einem Schritt in zwei Wahlkreisen die über der 25 v.H.-Toleranzgrenze liegenden Bevölkerungsabweichungen beseitigt werden. Die Verbandsgemeinde Rennerod hat eine gemeinsame Grenze mit der Verbandsgemeinde Herdorf-Daaden, auch wenn diese nicht besonders lang ist. Darüber hinaus bestehen gemeinschaftliche Interessen schon mit Blick auf die räumliche Situation im Grenzdreieck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen anderer Wahlkreise kommt alternativ lediglich eine Zuordnung der Verbandsgemeinde Bad Marienberg (Ww.) an den Wahlkreis 1 oder den Wahlkreis 2 in Betracht. Allerdings würde der Wahlkreis 5 dann seine Namensgeberin verlieren“ (LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f.).

63

Der Gesetzgeber hat diese Abwägungserwägungen auch hinreichend dokumentiert. Zum Zwecke der Transparenz und zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle reicht es auch insoweit aus, dass die Kriterien überhaupt in geeigneter Form dokumentiert sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [234 u. 238]). Dies ist hier der Fall, da sie umfassend Eingang in die amtliche Gesetzesbegründung gefunden haben (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f.).

64

Nachvollziehbar hat der Gesetzgeber danach auch für den Wahlkreis 1 einen Gebietsänderungsbedarf festgestellt, da dieser zum Stichtag 31. Dezember 2013 eine Abweichung von -26,7 v.H. aufgewiesen hat. Er hat sich deshalb dazu entschieden, durch eine einzige Veränderung in beiden Wahlkreisen die Abweichungen von der 25 v.H.-Toleranzgrenze zu beseitigen. Nach dem Neuzuschnitt wird in beiden Wahlkreisen die Toleranzgrenze eingehalten (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 14).

65

Im Übrigen weisen sowohl die angegriffene Wahlkreiseinteilung als auch die Alternativlösung, die der Beschwerdeführer favorisiert und die im Gesetzgebungsverfahren erörtert wurde, Vorteile wie Nachteile auf. Diese gegeneinander abzuwägen und sich für eine dieser Lösungen zu entscheiden, ist nach dem oben Gesagten Sache des Gesetzgebers. Er hat mit der in dem angegriffenen Gesetz getroffenen Entscheidung und den ihr zugrunde liegenden Erwägungen (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f.) den ihm zustehenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

66

Der Gesetzgeber darf bei seiner Betrachtung auch die Auswirkungen auf den durch den Neuzuschnitt eines Wahlkreises notwendig mitbetroffenen Nachbarwahlkreis einbeziehen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [146]). Dies hat der Gesetzgeber hier getan und ausdrücklich darauf abgestellt, dass mit Blick auf die räumliche Situation im Grenzdreieck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz gemeinsame Interessen bestehen, die eine Zuordnung der Verbandsgemeinde Rennerod zu dem Wahlkreis 1 rechtfertigen (LT-Drucks. 16/3970, S. 10). Es bestehen also durchaus – anders als es der Beschwerdeführer meint – Verbindungen der Verbandsgemeinde Rennerod zu dem neu gebildeten Wahlkreis 1. Der Wahlkreis 5 stellt im Übrigen auch nach dem Neuzuschnitt unbestritten ein zusammenhängendes Gebiet dar. Das gewählte Kriterium ist mithin mit Blick auf den Wahlkreis 5 nicht sachfremd.

67

bbb) Etwas anders würde allenfalls dann gelten, wenn die vom Gesetzgeber ausgewählte Variante im Hinblick auf den Nachbarwahlkreis offenkundig fehlerhaft wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71 [72]). Soweit der Beschwerdeführer dazu einwendet, der Wahlkreis 1 (neu) stelle sich als unharmonisches, schlauchartiges Gebilde dar, da zwischen der Verbandsgemeinde Rennerod und dem Wahlkreis 1 (alt) eine gemeinsame Grenze von lediglich 750 Metern, diese darüber hinaus auf einem nur eingeschränkt zugänglichen Truppenübungsplatz liege und eine unmittelbare Straßenverbindung nicht existiere, führt dies jedoch nicht dazu, dass diese Variante verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre.

68

Ein Wahlkreis soll dem Repräsentationsgedanken und damit dem Demokratieprinzip Rechnung tragend ein abgerundetes, zusammengehöriges Ganzes bilden (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 – 2 BvF 1/95 –, 95, 335 [364]; Beschluss vom 31. Januar 2012 – 2 BvC 3/11 –, BVerfGE 130, 212 [238]; Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71 [72]; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Juli 1990 – Vf. 10-VII/89 –, NVwZ 1991, 565; NdsStGH, Urteil vom 24. Februar 2000 – StGH 2/99 –, NVwZ 2000, 670 [671]; StGH BW, Urteil vom 23. Februar 1990 – GR 2/88 –, ESVGH 40, 161 [170 f.]). Diesen Grundsatz hat der Gesetzgeber auch ausdrücklich aufgenommen, indem er festlegt, dass jeder Wahlkreis ein zusammenhängendes Gebiet bilden soll (vgl. LT-Drucks. 16/3970, S. 9).

69

Der Gesetzgeber hat sich von dem Kriterium, dass der Wahlkreis ein zusammenhängendes Gebiet bilden soll, auch nicht in unsachgerechter Weise gelöst. Er hat ausdrücklich konstatiert, dass die gemeinsame Grenze „nicht besonders lang ist“ (LT-Drucks. 16/3970, S. 9 f.). Im Hinblick auf die von ihm angenommenen bestehenden gemeinsamen Interessen aufgrund der räumlichen Situation im Grenzdreieck Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz hat er letzterem Aspekt jedoch den Vorrang eingeräumt. Dies ist nicht zu beanstanden. Dieser Aspekt trägt ebenso wie der des „abgerundeten Gebiets“ dem Repräsentationsgedanken und dem Demokratieprinzip Rechnung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 – 2 BvR 1252/99 u.a. –, NVwZ 2002, 71 [72]; OVG NRW, Urteil vom 15. Dezember 1971 – III A 35/71 –, OVGE 27, 209 [221]). Deshalb sind sogar Exklaven oder „Landbrücken“ nicht in jedem Fall per se ausgeschlossen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Dezember 1971 – III A 35/71 –, OVGE 27, 209 [221]; BayVerfGH, Entscheidung vom 4. Oktober 2012 – Vf. 14-VII-1 u.a. –, BayVBl. 2013, 140 [141]; Hahlen, in: Schreiber [Hrsg.], BWahlG, 9. Aufl. 2013, § 3 Rn. 27). Die bloße Form des Wahlkreises ist nämlich kein Selbstzweck, sondern muss vor diesem Hintergrund beurteilt werden. Im Übrigen kann der Wahlkreis 1 (neu) gleichwohl noch als ein „zusammenhängendes Gebilde“ angesehen werden. Eine allenfalls „ungewöhnliche Gestalt“ eines Wahlkreises ist keinesfalls unzulässig (vgl. Faber, BayVBl. 2013, 146 [149]).

70

ccc) Soweit sich danach die Rügen des Beschwerdeführers gegen die Neueinteilung des Wahlkreises 5 auf den Vorwurf der parteipolitisch motivierten Manipulation verdichten, kann dies nach dem oben Gesagten nicht festgestellt werden, denn der Gesetzgeber hat seiner Entscheidung sachgerechte Kriterien zugrunde gelegt und bei der Neuabgrenzung der Wahlkreise 5 und 1 seinen Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

71

Die Annahme des Beschwerdeführers, die von ihm favorisierte Alternative eines Wechsels der Verbandsgemeinde Marienberg sei (zugunsten des schließlich realisierten Wechsels der Verbandsgemeinde Rennerod) vom Gesetzgeber aus rein parteipolitischen Motiven verworfen worden, hat demgegenüber lediglich spekulativen Charakter. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Neuzuschnitt des Wahlkreises die politischen Mehrheitsverhältnisse im Wahlkreis 5 durch die Neuzuordnung der Verbandsgemeinde Rennerod in den Wahlkreis 1 nicht signifikant verändert. Bei dem insoweit anzustellenden Vergleich mit dem Wahlergebnis im Hinblick auf die Wahlkreisstimmenanteile bei der vorangegangenen Landtagswahl 2011 ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer in der Verbandsgemeinde Rennerod mit 41,6 v.H. gegenüber 41 v.H. lediglich ganz knapp vor seinem Mitbewerber von der regierenden SPD lag. Diese Verbandsgemeinde kann insoweit als wahltechnisch nahezu neutral eingestuft werden. Was die Wahlkreisstimmenanteile im Wahlkreis 5 insgesamt anbelangt, lag der Beschwerdeführer mit über 10 v.H. hinter seinem Mitbewerber von der SPD (SPD: 46,9 v.H.; CDU: 35,4 v.H.). Gerade in einem solchen Fall aber sind Rückschlüsse darauf, dass ein Neuzuschnitt auf sachfremden Erwägungen der Parlamentsmehrheit beruht, regelmäßig nicht gerechtfertigt (vgl. StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [466]).

72

Dies gilt umso mehr, wenn man die von dem Beschwerdeführer angeführte Alternativlösung betrachtet, wonach die Verbandsgemeinde Marienberg aus dem Wahlkreis 5 herausgelöst und dem Wahlkreis 1 zugeordnet werden solle. Dies würde entgegen der vom Gesetzgeber gefundenen – gemessen an den Wahlkreisstimmenanteilen bei der Landtagswahl 2011 parteipolitisch neutralen – Lösung dazu führen, dass eine deutliche Verschiebung zugunsten des Beschwerdeführers einträte (Wahlkreisstimmenanteile bei der Landtagswahl 2011: SPD: 54,2 v.H.; CDU: 27,6 v.H.). Gleiches gilt für die ebenfalls von dem Beschwerdeführer als Alternativlösung ins Spiel gebrachte Verschiebung der Verbandsgemeinde Hachenburg (Wahlkreisstimmenanteile bei der Landtagswahl 2011: SPD: 53,3 v.H.; CDU: 28,1 v.H.).

73

Dieser im Falle einer Neueinteilung von Wahlkreisen als allenfalls bloße Akzeptanz bestehende mögliche Vorteil, dass er eine für ihn parteipolitisch weniger vorteilhafte Verbandsgemeinde an den Nachbarwahlkreis „abgeben“ kann, wird dem Beschwerdeführer aber nach dem Vorgesagten nicht durch eine sachwidrige Entscheidung des Gesetzgebers vorenthalten. Ein „extremer Ausnahmefall“, bei dem sich die von dem Beschwerdeführer erstrebte, ihn parteipolitisch begünstigende Wahlkreiseinteilung als einzig verfassungskonforme Lösung aufdrängen würde (StGH BW, Urteil vom 22. Mai 2012 – GR 11/11 –, VBlBW 2012, 462 [464]), kann nach dem Vorgesagten gerade nicht festgestellt werden.

II.

74

Der Anspruch des Beschwerdeführers auf willkürfreie Entscheidung des Gesetzgebers gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 LV, Art. 77 Abs. 2 LV ist ebenfalls nicht verletzt. Die Neuabgrenzung der Wahlkreise 5 und 1 beruht, wie oben dargelegt, auf hinreichend sachlichen Gründen.

D.

75

Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 VerfGHG). Gründe dafür, die volle oder teilweise Erstattung der Auslagen gemäß § 21a Abs. 3 VerfGHG anzuordnen, liegen nicht vor.

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Bundesverfassungsgericht Beschluss, 31. Jan. 2012 - 2 BvC 3/11

bei uns veröffentlicht am 31.01.2012

Tenor Die Wahlprüfungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte se

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Tenor

Die Wahlprüfungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Wahlprüfungsbeschwerde richtet sich gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009. Der Beschwerdeführer macht Verstöße gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) bei der Einteilung des Wahlgebiets geltend und rügt insbesondere, dass hierbei nicht auf die Zahl der Wahlberechtigten, sondern auf die deutsche Wohnbevölkerung abgestellt worden ist.

I.

2

1. Die Grundsätze für die Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise sind in § 3 des Bundeswahlgesetzes (BWG) geregelt.

3

Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern muss deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen. Dazu wird in einem näher geregelten Berechnungsverfahren ermittelt, wie viele der 299 Wahlkreise (vgl. § 1 Abs. 2 BWG) auf der Grundlage des jeweiligen Bevölkerungsanteils auf ein Land entfallen, wobei Zahlenbruchteile über 0,5 grundsätzlich auf die nächste ganze Zahl auf-, solche unter 0,5 abgerundet werden.

4

Bei der Wahlkreiseinteilung sind die Grenzen der Länder zwingend, die der kommunalen Gebietskörperschaften nach Möglichkeit einzuhalten. Ein Wahlkreis soll ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises orientiert sich an der durchschnittlichen Bevölkerungszahl aller Wahlkreise und soll von dieser nicht um mehr als 15 % nach oben oder unten abweichen; bei einer Abweichung von mehr als 25 % ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen. Bei der Ermittlung der Bevölkerungszahlen bleiben Ausländer im Sinne des Aufenthaltsgesetzes unberücksichtigt; hingegen gehen Deutsche, die nach den Vorschriften der §§ 12, 13 BWG nicht wahlberechtigt sind, in die Bevölkerungszahl ein.

5

Zur Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise ist der Gesetzgeber berufen (vgl. § 2 Abs. 2 BWG). Eine vom Bundespräsidenten eingesetzte ständige Wahlkreiskommission beobachtet zu diesem Zweck laufend die Bevölkerungsentwicklung und unterbreitet erforderlichenfalls Änderungsvorschläge. Ein erster Bericht muss dem Bundesministerium des Innern innerhalb von fünfzehn Monaten nach Beginn der Wahlperiode vorliegen. Dieses leitet ihn unverzüglich dem Deutschen Bundestag zu und veröffentlicht ihn im Bundesanzeiger.

6

Die maßgeblichen Vorschriften des Bundeswahlgesetzes lauten auszugsweise wie folgt:

7

§ 3 Wahlkreiskommission und Wahlkreiseinteilung

8

(1) 1 Bei der Wahlkreiseinteilung sind folgende Grundsätze zu beachten:

9

1. Die Ländergrenzen sind einzuhalten.

10

2. 1 Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern muss deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen. 2 Sie wird mit demselben Berechnungsverfahren ermittelt, das nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 für die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten angewandt wird.

11

3. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15 vom Hundert nach oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr als 25 vom Hundert, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen.

12

4. Der Wahlkreis soll ein zusammenhängendes Gebiet bilden.

13

5. Die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte sollen nach Möglichkeit eingehalten werden.

14

2 Bei Ermittlung der Bevölkerungszahlen bleiben Ausländer (§ 2 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes) unberücksichtigt.

15

(2) 1 Der Bundespräsident ernennt eine ständige Wahlkreiskommission. 2 Sie besteht aus dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts und fünf weiteren Mitgliedern.

16

(3) 1 Die Wahlkreiskommission hat die Aufgabe, über Änderungen der Bevölkerungszahlen im Wahlgebiet zu berichten und darzulegen, ob und welche Änderungen der Wahlkreiseinteilung sie im Hinblick darauf für erforderlich hält. 2 Sie kann in ihrem Bericht auch aus anderen Gründen Änderungsvorschläge machen. 3 Bei ihren Vorschlägen zur Wahlkreiseinteilung hat sie die in Absatz 1 genannten Grundsätze zu beachten; ergeben sich nach der Berechnung in Absatz 1 Nr. 2 mehrere mögliche Wahlkreiszuteilungen, erarbeitet sie hierzu Vorschläge.

17

(4) 1 Der Bericht der Wahlkreiskommission ist dem Bundesministerium des Innern innerhalb von fünfzehn Monaten nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages zu erstatten. 2 Das Bundesministerium des Innern leitet ihn unverzüglich dem Deutschen Bundestag zu und veröffentlicht ihn im Bundesanzeiger. 3 Auf Ersuchen des Bundesministeriums des Innern hat die Wahlkreiskommission einen ergänzenden Bericht zu erstatten; für diesen Fall gilt Satz 2 entsprechend.

18

(5) (…)

19

Die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 BWG in Bezug genommene Vorschrift des § 6 Abs. 2 BWG galt für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1288, 1594), zuletzt geändert mit Wirkung vom 21. März 2008 durch das Gesetz zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (BGBl I S. 394), und lautete:

20

§ 6 Wahl nach Landeslisten

21

(1) (…)

22

(2) 1 Die nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze werden auf die Landeslisten auf der Grundlage der nach Absatz 1 Sätze 1 und 2 zu berücksichtigenden Zweitstimmen wie folgt verteilt. 2 Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer im Wahlgebiet erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor ergeben. 3 Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. 4 Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Sitzzuteilungen, so entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los. 5 Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt so viele Sitze auf die Landeslisten entfallen, wie Sitze zu vergeben sind. 6 Dazu wird zunächst die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller zu berücksichtigenden Landeslisten durch die Gesamtzahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze geteilt. 7 Entfallen danach mehr Sitze auf die Landeslisten als Sitze zu vergeben sind, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, dass sich bei der Berechnung die zu vergebende Sitzzahl ergibt; entfallen zu wenig Sitze auf die Landeslisten, ist der Zuteilungsdivisor entsprechend herunterzusetzen.

23

(3) bis (6) (…)

24

2. Die Wahlkreiseinteilung für die hier angefochtene Wahl ergibt sich aus dem Achtzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 17. März 2008 (BGBl I S. 316). Das Gesetz folgt im Wesentlichen den Vorschlägen der Wahlkreiskommission für die 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, die mit Bericht vom 29. November 2006 (BTDrucks 16/4300) sowie mit ergänzendem Bericht vom 10. Juli 2007 (BTDrucks 16/6286) vorgelegt worden waren. Dem Gesetz liegen die Zahlen der deutschen Bevölkerung nach der amtlichen Statistik zum Stand 31. Dezember 2006 zugrunde (vgl. BTDrucks 16/7462, S. 58).

II.

25

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 legte der Beschwerdeführer Einspruch gegen das Ergebnis der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag ein. Unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 GG machte er in erster Linie geltend, ein gleiches Gewicht der Erststimmen sei nicht gewährleistet gewesen, weil die Wahlkreise nicht ungefähr die gleiche Zahl an Wahlberechtigten umfasst hätten. Im Einzelnen rügte er:

26

1. Die Einteilung der Wahlkreise hätte nicht auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung erfolgen dürfen, sondern sich auf die Zahl der Wahlberechtigten stützen müssen. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 BWG, nach welcher bei der Einteilung der Wahlkreise auf den Bevölkerungsanteil beziehungsweise die Bevölkerungszahl abzustellen sei, berücksichtige unter Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG auch nicht stimmberechtigte Deutsche. Deren Anteil sei in den einzelnen Ländern und noch mehr in den einzelnen Wahlkreisen jedoch unterschiedlich hoch. Deshalb weiche die zur Erlangung eines Direktmandats erforderliche Stimmenzahl in den einzelnen Wahlkreisen teilweise erheblich von der Stimmenzahl ab, die erforderlich wäre, wenn man lediglich auf die Wahlberechtigten abstellte. Aufgrund der unrichtigen Bemessungsgrundlage sei ein gleicher Erfolgswert der Erststimmen nicht gewährleistet gewesen.

27

2. Ausgehend von der Zahl der Wahlberechtigten - anstelle der deutschen Bevölkerung - hätten mehrere Wahlkreise gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG neu zugeschnitten werden müssen, weil sich dann eine Abweichung gegenüber dem Durchschnitt von über 15 %, teilweise über 20 % und in einem Fall (Wahlkreis Deggendorf) über 25 % ergebe. Die Zuschnitte wirkten sich auf die Mandatsverteilung aus. Insbesondere bei den Wahlkreisen mit einer Abweichung von über 15 %, jedoch unter 25 %, sei die Abweichung teilweise erheblich größer als der Abstand zwischen Wahlkreissieger und "Erstunterlegenem". Der Wahlkreis Deggendorf weiche auch unter Zugrundelegung der deutschen Wohnbevölkerung in einer mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG nicht im Einklang stehenden Größe von 24,42 % vom Bundesdurchschnitt ab.

28

3. Ferner habe die Verlagerung zweier Wahlkreise in andere Länder im Vorfeld der angefochtenen Wahl zu einer gleichheitswidrigen Verteilung der Erfolgschancen von Wählerstimmen geführt: Bei einer Abweichung um mehr als 0,5 von der errechneten Maßzahl - gleich ob als Berechnungsgrundlage die deutsche Wohnbevölkerung oder die Zahl der Wahlberechtigten herangezogen werde - sei die Zahl der Wahlkreise anzupassen. Unter beiden Gesichtspunkten sei die Verlagerung je eines Wahlkreises aus den Ländern Sachsen und Sachsen-Anhalt in die Länder Baden-Württemberg und Niedersachsen nicht gerechtfertigt gewesen.

29

4. Außerdem machte der Beschwerdeführer geltend, bereits vor der Wahl hätte die Einteilung der Wahlkreise einschließlich der Daten über die jeweiligen Anteile der deutschen Bevölkerung und der Wahlberechtigten allgemein zugänglich gemacht werden müssen.

III.

30

Mit Beschluss vom 10. Februar 2011 wies der Deutsche Bundestag den Wahleinspruch als unbegründet zurück.

31

1. Die Einteilung der Wahlkreise auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung entspreche § 3 BWG. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsvorschriften sei dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Dieses habe mit Kammerbeschluss vom 18. Juli 2001 (2 BvR 1252-57/99) ausdrücklich festgestellt, dass der Gesetzgeber den ihm hinsichtlich der Einteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise zustehenden Beurteilungsspielraum mit § 3 Abs. 1 BWG in verfassungskonformer Weise ausgefüllt habe.

32

2. Hinsichtlich des Zuschnitts einzelner Wahlkreise sei gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG auf die deutsche Wohnbevölkerung abzustellen. Der in der Vorschrift genannte Grenzwert von 25 % für eine zwingende Neueinteilung sei in keinem Fall erreicht gewesen. Soweit die Soll-Grenze von 15 % überschritten worden sei, habe der Gesetzgeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wahlkreiskontinuität im Rahmen seines Beurteilungsspielraumes von einer Änderung abgesehen, soweit nicht bis zur nächsten Bundestagswahl eine Überschreitung der Grenze von 25 % gedroht habe.

33

3. Bei der Verlagerung von zwei Wahlkreisen von Sachsen und Sachsen-Anhalt nach Baden-Württemberg und Niedersachsen durch das Achtzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes habe der Deutsche Bundestag ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs den Grundsatz der Wahlgleichheit unter allen Gesichtspunkten berücksichtigt. Danach sei eine Neuverteilung der Wahlkreise gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BWG für erforderlich gehalten worden, weil die Zahl der Wahlkreise - ausgehend von dem Stand der deutschen Bevölkerung zum Stichtag 31. Dezember 2006 - in den betreffenden Ländern nicht mehr deren Bevölkerungsanteil entsprochen habe. Die Begründung stütze sich auf vorbereitende Berichte der Wahlkreiskommission. Nach deren Berechnungen habe die jeweilige Bevölkerungszahl eine Aufrundung auf 38 Wahlkreise (Baden-Württemberg, rechnerisch 37,714) und 30 Wahlkreise (Niedersachsen, rechnerisch 29,685) gerechtfertigt. Demgegenüber sei für Sachsen (rechnerisch 16,448) und Sachsen-Anhalt (rechnerisch 9,542) unter zusätzlicher Berücksichtigung eines beobachteten kontinuierlichen Bevölkerungsrückgangs zu Recht eine Abrundung vorgenommen worden.

34

4. Eine Verpflichtung des Bundeswahlleiters zur Veröffentlichung statistischer Daten zu den einzelnen Wahlkreisen (deutsche Wohnbevölkerung und Zahl der Wahlberechtigten) bestehe nicht. Jedem Wahlberechtigten sei es möglich, vor der Wahl die Einteilung der Wahlkreise nachzuvollziehen, weil die relevanten Daten in einem öffentlichen Gesetzgebungsverfahren vom Bundesgesetzgeber als Anlage zum Bundeswahlgesetz verabschiedet würden.

IV.

35

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am 29. März 2011 eingegangenen Wahlprüfungsbeschwerde.

36

1. Er rügt, durch die Einteilung der Wahlkreise auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung werde der Grundsatz der Wahlgleichheit nach Art. 38 Abs. 1 GG verletzt. Das Stimmgewicht der Wahlberechtigten werde verzerrt, weil der Anteil der nicht wahlberechtigten Deutschen in den einzelnen Wahlkreisen unterschiedlich hoch sei. Der Beschwerdeführer legt dies anhand statistischer Daten dar, welche den Berichten der Wahlkreiskommission sowie den vom Bundeswahlleiter im Internet veröffentlichten Wahlergebnissen und Strukturdaten entnommen sind. Indem man die deutsche Wohnbevölkerung zugrunde lege, unterstelle man unzulässigerweise, dass die Wahlberechtigten ihre Stimme auch im Sinne der nicht Wahlberechtigten abgäben. Das Bundesverfassungsgericht habe bislang nicht ausdrücklich entschieden, dass § 3 Abs. 1 BWG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Nach dem Repräsentationsgedanken des Art. 38 GG seien die Abgeordneten zwar Vertreter des ganzen Volkes, sie seien jedoch nur von einem Teil des Volkes, den Wahlberechtigten, gewählt. Die Zahl der für ein Direktmandat erforderlichen Stimmen schwanke zwischen den einzelnen Wahlkreisen erheblich.

37

2. Der Beschwerdeführer rügt außerdem, bei der Einteilung der Wahlkreise habe der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum gleichheitswidrig verletzt, weil nahezu jeder fünfte Wahlkreis die Schwelle des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG von 15 % überschreite. Dabei sei im Vergleich der Bundestagswahlen seit 2002 eine immer weitergehende Überschreitung festzustellen. In den bevölkerungsreichsten Wahlkreisen betrage das Gewicht einer Stimme in Relation zum bevölkerungsärmsten Wahlkreis nur ca. 60 - 65 %. Die Orientierung an der Zahl der Wahlberechtigten sowie die Einhaltung der Grenze von 15 % hätte in bis zu fünfzehn Wahlkreisen zu anderen Wahlkreissiegern führen können. Auch hätte bei der Wahlkreiseinteilung nicht auf die im Bundeswahlgesetz nicht vorgesehenen Prinzipien der Wahlkreiskontinuität, der Wahrung regionaler Besonderheiten und der demokratischen Repräsentation zurückgegriffen werden dürfen.

38

3. Bei der Umverteilung der Wahlkreise zu Lasten von Sachsen und Sachsen-Anhalt hätte ebenfalls auf die Zahl der Wahlberechtigten abgestellt werden müssen. Das auf dieser Grundlage ermittelte Rechenergebnis (der Beschwerdeführer gibt an: 17,2408 für Sachsen und 10,0274 für Sachsen-Anhalt) hätte keine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise auf 16 beziehungsweise neun Wahlkreise gerechtfertigt. Auch wenn man auf die Bevölkerungszahl abstelle, sei der Wahlkreisverlust zu Lasten Sachsen-Anhalts ungerechtfertigt, weil mit einem Wert von 9,5422 der Grenzwert von 0,5 nicht unterschritten sei. Auf die seinerzeit zu erwartende und später auch tatsächlich eingetretene Bevölkerungsentwicklung hätte man nicht abstellen dürfen, weil Stichtag der 31. Dezember 2006 gewesen sei. Die Entscheidung des Bundestages sei insoweit auch widersprüchlich, weil sie an anderer Stelle - bei der Überschreitung der Grenze von 15 % im Rahmen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG - eine verfestigte Bevölkerungsentwicklung nicht berücksichtige.

39

4. Schließlich gebiete der aus Art. 38 und Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG herzuleitende Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlich überprüfbar seien. Deshalb müssten Zuschnitt und Größe der Wahlkreise einschließlich der zur Überprüfung der Einhaltung der Toleranzgrenzen erforderlichen Informationen (deutsche Wohnbevölkerung und Zahl der Wahlberechtigten) bereits vor den Wahlen ohne Mühe öffentlich zugänglich sein. Außerdem müssten die für die Abwägungsentscheidung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG relevanten Erwägungen veröffentlicht werden.

V.

40

1. Dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Bundeswahlleiter, dem Statistischen Bundesamt und den Bundesverbänden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ist Gelegenheit gegeben worden, zu der Wahlprüfungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Der Bundesrat hat von einer Äußerung abgesehen. Das Bundesministerium des Innern hat auf seine Stellungnahme gegenüber dem Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages Bezug genommen.

41

2. Der Deutsche Bundestag hält die Wahlprüfungsbeschwerde für unbegründet. Die Wahlkreiseinteilung nach § 3 Abs. 1 BWG auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung sei verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht habe die Regelung in der Vergangenheit nie beanstandet. Auch das Bundesverwaltungsgericht sowie mehrere Landesverfassungsgerichte hielten eine Wahlbezirkseinteilung anhand der Einwohnerzahl für zulässig. Bei der Schaffung des Grundgesetzes sei ebenfalls davon ausgegangen worden, dass sich die Wahlkreiseinteilung künftig an der Zahl der Einwohner orientieren werde. Bei der Bemessung des Stimmgewichts der Länder im Bundesrat stelle das Grundgesetz in Art. 51 Abs. 2 GG ebenfalls auf die Einwohnerzahl ab. Das Verhältnis zwischen der Zahl der Wahlberechtigten und der deutschen Wohnbevölkerung sei im Übrigen annähernd proportional; auch die deutsche Wiedervereinigung habe insoweit zu keiner erheblichen Verschiebung geführt. Die Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages habe 1997 trotz Abweichungen des Minderjährigenanteils in den Ländern vom Bundesdurchschnitt von bis zu fünf Prozentpunkten keinen Anlass gesehen, die Einteilung auf der - wenngleich möglicherweise genaueren - Grundlage der Wahlberechtigten vorzunehmen. Da sich die Abweichungen seither noch verringert hätten, bestehe auch weiterhin kein Anlass zur Änderung der Einteilungsgrundlage.

42

Die Wahlkreiseinteilung auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung entspreche auch dem Grundsatz der demokratischen Repräsentation. Die Abgeordneten seien Vertreter des gesamten Volkes, nicht nur der Wahlberechtigten. Unter diesem Gesichtspunkt sei eine Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit gerechtfertigt. Dem stehe nicht entgegen, dass der einzelne Abgeordnete nicht nur das Volk in seinem Wahlkreis, sondern jeweils die gesamte deutsche Bevölkerung repräsentiere. Ebenso wie die nicht Wahlberechtigten repräsentiere der Abgeordnete im Übrigen auch diejenigen Bürger, die von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machten und die beim Wahlkreiszuschnitt nicht außer Betracht gelassen würden. Es sei auch keine Gleichbehandlung der nicht Wahlberechtigten mit den in Deutschland lebenden Ausländern geboten, die nach dem heute geltenden Wahlrecht bei der Wahlkreiseinteilung nicht berücksichtigt würden; denn die staatsrechtliche Repräsentation beziehe sich nach der Präambel des Grundgesetzes sowie aufgrund der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 116 GG getroffenen Grundentscheidungen nur auf das deutsche Volk. Dem Gesetzgeber sei es zwar nicht verwehrt, bei der Wahlkreiseinteilung anstelle der deutschen Wohnbevölkerung die Zahl der Wahlberechtigten zugrunde zu legen, hierzu verpflichtet sei er jedoch nicht.

43

Der Anteil der nicht wahlberechtigten Deutschen in einem Wahlkreis sei außerdem nur einer von mehreren Faktoren, die Einfluss auf das Gewicht einer Erststimme hätten. Daneben komme es auch auf die Wahlbeteiligung und die Zahl der ungültigen Stimmen an. Unterschiede ergäben sich außerdem durch die zulässigen Abweichungen von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG) sowie durch die geographischen Vorgaben in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 5 BWG. Die von dem Beschwerdeführer bezifferten Unterschiede im Anteil der nicht Wahlberechtigten ließen daher keine Rückschlüsse auf das Gewicht der Erststimmen zu. Den der Beschwerdeschrift zugrunde gelegten Strukturdaten lasse sich außerdem nicht die Zahl der nicht wahlberechtigten Deutschen entnehmen, weil die Statistik auch Ausländer und Staatenlose umfasse.

44

Soweit in Ländern mit einer hohen Zahl an Wahlkreisen die Entstehung von Überhangmandaten begünstigt werde, bewege sich die Zahl der Überhangmandate jedenfalls noch in dem vom Bundesverfassungsgericht für zulässig erklärten Rahmen. Angesichts der Zugrundelegung der deutschen Wohnbevölkerung seien die Wahlkreise gesetzeskonform unter Beachtung der in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 BWG eingeteilt worden. Die Heranziehung von Kriterien wie der Kontinuität der Wahlkreiseinteilung oder der territorialen Verankerung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig.

45

Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl sei nicht verletzt. Dieser beziehe sich nicht auf vorbereitende Schritte wie die Einteilung der Wahlkreise. Davon abgesehen würden die der Wahlkreiseinteilung zugrunde gelegten Daten als Bundestagsdrucksachen veröffentlicht.

46

3. Der Präsident des Statistischen Bundesamtes hat sich zu den der Wahlprüfungsbeschwerde zugrunde liegenden statistischen Daten geäußert und diese ergänzt. Die Differenzen beim Anteil nicht wahlberechtigter Deutscher in den Ländern hätten sich nach dem Schlussbericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages von 1997 - bei inzwischen umgekehrten Vorzeichen bezüglich alter und neuer Länder - weiter verringert; die Abweichung vom Bundesdurchschnitt habe zum 31. Dezember 2008 keine 5 % mehr erreicht; die Spannbreite der Abweichungen habe nur noch 6,3 % betragen.

47

Im Übrigen führt er aus, die Auswirkungen des Anteils der Wahlberechtigten auf das Stimmgewicht seien nur für atypische Idealbedingungen berechenbar. Hinsichtlich der gerügten Überschreitungen der in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG festgelegten Grenzen habe die Wahlkreiskommission jede Überschreitung der Soll-Marke von 15 % im Einzelnen geprüft und jeweils das Absehen von einem Änderungsvorschlag begründet.

B.

48

Die Wahlprüfungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl geltend macht. Insoweit entspricht sie nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 48 Abs. 1 2. Halbsatz BVerfGG, wonach mit einer Wahlprüfungsbeschwerde ein Wahlfehler substantiiert darzulegen und zu erläutern ist, inwiefern dieser die Mandatsverteilung beeinflussen kann (vgl. BVerfGE 58, 175 f.; 59, 119 <123>; 79, 173; stRspr). Mit der auf den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl gestützten Rüge, Informationen über Zuschnitt und Größe der Wahlkreise einschließlich der Daten, die zur Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Toleranzgrenzen erforderlich sind, hätten bereits vor den Wahlen öffentlich zugänglich gemacht werden müssen, wird die Möglichkeit eines mandatsrelevanten Wahlfehlers nicht dargetan.

49

1. Der in der Beschwerde herangezogene Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl beansprucht nur im Zusammenhang mit dem eigentlichen Wahlvorgang Geltung. Zwar gebieten die in Art. 38 Abs. 1 GG niedergelegten Wahlgrundsätze in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlich überprüfbar sind. Dies gilt allerdings nur für das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung und die Ermittlung des Wahlergebnisses (vgl. BVerfGE 121, 266 <291 ff.>; 123, 39 <68>). Die der Wahl vorausgehenden normativen Entscheidungen des Gesetz- und Verordnungsgebers unterliegen zwar ebenfalls einem Öffentlichkeitsgebot. Dieses ist in den jeweils zu beachtenden Verfahrensvorschriften jedoch in spezieller Weise ausgestaltet und nicht vom Schutzbereich der Öffentlichkeit der Wahl erfasst. Gründe für eine abweichende Betrachtung führt die Beschwerde nicht an.

50

2. Daneben lässt die Beschwerde auch nicht erkennen, inwiefern das Unterlassen einer Veröffentlichung von Informationen über den Zuschnitt von Wahlkreisen im Vorfeld der Wahl für sich genommen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben könnte.

51

3. Ungeachtet dessen legt der Beschwerdeführer auch nicht dar, dass Informationen über die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag nicht in ausreichendem Maße allgemein zugänglich gewesen seien. Das Verfahren der Einteilung der Wahlkreise ist in seinen wesentlichen Schritten öffentlich: Das Bundesministerium des Innern veröffentlicht die Berichte der Wahlkreiskommission im Bundesanzeiger (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 BWG). Die Erwägungen der Wahlkreiskommission zur Einteilung der Wahlkreise, welche auch Angaben zur Bevölkerung im Wahlgebiet enthalten, werden außerdem im Rahmen des wiederum öffentlichen Gesetzgebungsverfahrens als Bundestagsdrucksachen publiziert (vgl. für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag, BTDrucks 16/4300, 16/6286 - Berichte der Wahlkreiskommission -; BTDrucks 16/7462 - Gesetzentwurf -). Den Ausführungen des Beschwerdeführers ist nicht zu entnehmen, inwiefern von Verfassungs wegen eine weitergehende Veröffentlichung von Informationen geboten sein könnte.

C.

52

Im Übrigen ist die Wahlprüfungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet.

53

Eine Wahlprüfungsbeschwerde ist begründet, wenn bei der Wahl in mandatsrelevanter Weise gegen Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes oder Wahlrechtsvorschriften verstoßen worden ist. Anders als dem Deutschen Bundestag obliegt es dem Bundesverfassungsgericht dabei, neben der zutreffenden Anwendung auch die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Vorschriften des Wahlrechts zu überprüfen (vgl. BVerfGE 16, 130 <135 f.>; 121, 266 <295>). Einen Wahlfehler in diesem Sinne zeigt die Wahlprüfungsbeschwerde nicht auf.

I.

54

Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG) ist bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag nicht deshalb verletzt worden, weil für die Einteilung des Wahlgebiets nach § 3 Abs. 1 BWG auf die deutsche Wohnbevölkerung einschließlich der nicht Wahlberechtigten abgestellt worden ist.

55

1. a) Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme jedes Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Dieses Gleichheitserfordernis, das sich historisch besonders gegen eine unterschiedliche Gewichtung der Stimmen nach der Person des Wählers, seiner Zugehörigkeit zu einer Klasse oder seinen Vermögensverhältnissen wandte, ist wegen seines Zusammenhangs mit dem Demokratieprinzip als Forderung nach einer Gleichheit im strengen und formalen Sinne zu verstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10, 6/10, 8/10 -, juris, Rn. 78; BVerfGE 11, 351 <360 f.>; 82, 322 <337>; 95, 335 <353>; 95, 408 <417>; 124, 1 <18>; stRspr).

56

b) Die Vorgaben der Wahlgleichheit wirken sich in den Systemen der Mehrheits- und der Verhältniswahl unterschiedlich aus. Dem Zweck der - hier in erster Linie in den Blick zu nehmenden, da die Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen (§ 5 BWG) betreffenden - Mehrheitswahl entspricht es, dass nur die für den Mehrheitskandidaten abgegebenen Stimmen zur Mandatszuteilung führen. Die auf die Minderheitskandidaten entfallenden Stimmen bleiben hingegen bei der Vergabe der Mandate unberücksichtigt. Die Wahlgleichheit fordert dabei über den gleichen Zählwert aller Stimmen hinaus nur, dass bei der Wahl alle Wähler auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise und daher mit voraussichtlich annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können (vgl. BVerfGE 95, 335 <353>; 121, 266 <295 f.>; 124, 1 <18>).

57

c) Hinsichtlich der Verteilung der Wahlkreise auf die Länder folgt das Erfordernis möglichst gleich großer Wahlkreise auch aus dem Bestreben, die Zahl von Überhangmandaten - ungeachtet der mit diesen grundsätzlich verbundenen Fragen - möglichst gering zu halten (vgl. BVerfGE 16, 130 <139 f.>). Neben anderen Faktoren begünstigt bei einem auf die deutsche Wohnbevölkerung abstellenden Wahlkreiszuschnitt ein überdurchschnittlicher Anteil von Kindern und Jugendlichen in den Wahlkreisen eines Landes das Entstehen von Überhangmandaten, weil eine geringere Zahl Wahlberechtigter im Wahlkreis zur Folge hat, dass ein Wahlkreismandat mit einer vergleichsweise geringeren absoluten Stimmenzahl zu erringen ist. Häufen sich in einem Land derartige Abweichungen, so gewinnen Direktmandate gegenüber dem Zweitstimmenergebnis insgesamt an Gewicht, und die Zahl von Überhangmandaten kann zunehmen (vgl. Bundeswahlleiter, in: BVerfGE 95, 335 <346>; s. auch Henkel, BayVBl 1974, S. 483 <485>).

58

d) Die gleiche Größe der Wahlkreise ist im geltenden Wahlsystem sowohl für den einzelnen Wahlkreis als auch berechnet auf die Bevölkerungsdichte jedes Landes Bedingung der Wahlgleichheit (vgl. BVerfGE 95, 335 <363>). Diese muss nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch im Vergleich aller Wahlkreise untereinander gewährleistet sein (vgl. BVerfGE 16, 130 <141>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 1252-57/99 -, NVwZ 2002, S. 71 <72>).

59

e) Für die Beurteilung, ob jeder Erststimme gleiche Erfolgschancen zukommen, kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse bei der Entscheidung des Gesetzgebers über die Wahlkreiseinteilung an (vgl. BVerfGE 95, 335 <353, 363>; Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 5. November 2004 - St 2/04 -, juris, Rn. 41). Freilich ist der Gesetzgeber lediglich gehalten, die rechtlichen Bedingungen gleicher Erfolgschancen sicherzustellen. Er hat hingegen nicht das tatsächliche Stimmgewicht in seine Überlegungen mit einzubeziehen, weil dieses von weiteren Faktoren - insbesondere der Wahlbeteiligung und der Zahl der ungültigen Stimmen - beeinflusst wird, die sich vor der Wahl nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostizieren lassen.

60

f) Der Grundsatz der Wahlgleichheit verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Einteilung der Wahlkreise regelmäßig zu überprüfen und erforderlichenfalls zu korrigieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10, 6/10, 8/10 -, juris, Rn. 90; s. auch Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 5. November 2004 - St 2/04 -, juris, Rn. 72). Diese Verpflichtung bezieht sich zunächst auf den konkreten Zuschnitt der Wahlkreise und beinhaltet, dass der Gesetzgeber Abweichungen in der Wahlkreisgröße vom Bundesdurchschnitt auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zurückzuführen hat (vgl. BVerfGE 16, 130 <142>). Die erforderlichen Vorarbeiten sind einfachgesetzlich in den Bestimmungen des § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 BWG über die ständige Wahlkreiskommission normiert. Dabei erstreckt sich die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Überprüfung und Korrektur der Wahlkreiseinteilung auf die ihr zugrunde liegenden Kriterien. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wahlgleichheit bezieht sich auf den gesamten Kreationsvorgang (vgl. BVerfGE 95, 335 <353>; 121, 266 <295>). Die aus der Wahlgleichheit herzuleitende Anforderung möglichst gleich großer Wahlkreise beansprucht für alle Stufen der Wahlkreiseinteilung gleichermaßen Geltung. Auch die Grundlagen der Wahlkreiseinteilung sind daher im Hinblick auf die Wahlgleichheit regelmäßig zu überprüfen und erforderlichenfalls zu korrigieren.

61

2. a) Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit unterliegt keinem absoluten Differenzierungsverbot. Allerdings folgt aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen bleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10, 6/10, 8/10 -, juris, Rn. 91; BVerfGE 124, 1 <19>; stRspr). Differenzierungen bedürfen daher zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes. Differenzierungen im Wahlrecht können durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10, 6/10, 8/10 -, juris, Rn. 87; BVerfGE 95, 408 <418>; 121, 266 <297>; 124, 1 <19>).

62

b) Insbesondere bei der Einteilung des Wahlgebietes in gleich große Wahlkreise steht dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 95, 335 <364>).

63

Bei der Einschätzung der die Grundlage der Gestaltungsentscheidungen bildenden tatsächlichen Gegebenheiten steht dem Gesetzgeber ein Spielraum bereits deshalb zu, weil sich der Grundsatz der Wahlgleichheit bei der Wahlkreiseinteilung nur näherungsweise verwirklichen lässt. So sind bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Länder entsprechend ihren Bevölkerungsanteilen Abbil-dungsunschärfen hinzunehmen. Auch ist die Bevölkerungsverteilung einem steten Wandel unterworfen (vgl. BVerfGE 16, 130 <141>). Daher nimmt etwa eine - aus Gründen der Wahlorganisation erforderliche - Stichtagsregelung den unvermeidlichen Umstand in Kauf, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse bis zum Wahltag wieder verändern werden. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber auch nicht gehalten, bei seiner Gestaltungsentscheidung tatsächliche Gegebenheiten bereits dann zu berücksichtigen, wenn diese ihrer Natur oder ihrem Umfang nach nur unerheblich oder von vorübergehender Dauer sind; vielmehr darf er darauf abstellen, ob sich eine beobachtete Entwicklung in der Tendenz verfestigt (vgl. BVerfGE 16, 130 <141 f.>).

64

aa) Dementsprechend wird die Strenge der Gleichheitsanforderung dadurch gemildert, dass die Wahlkreise im Verhältnis der Bevölkerungsanteile auf die einzelnen Länder zu verteilen sind (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BWG). Es kommt hinzu, dass jeder Wahlkreis nach dem Gedanken einer territorialen Verankerung des im Wahlkreis gewählten Abgeordneten zugleich ein zusammengehörendes und abgerundetes Ganzes bilden soll (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 BWG) und dass sich die historisch verwurzelten Verwaltungsgrenzen nach Möglichkeit mit den Wahlkreisgrenzen decken sollen. Die durch die Erststimme geknüpfte engere persönliche Beziehung der Wahlkreisabgeordneten zu dem Wahlkreis, in dem sie gewählt worden sind, bedarf zudem einer gewissen Kontinuität der räumlichen Gestalt des Wahlkreises (vgl. BVerfGE 95, 335 <364>). In Anbetracht des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums unterliegt es daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG bei der Wahlkreiseinteilung gewisse Abweichungen in der Bevölkerungszahl zulässt (vgl. BVerfGE 95, 335 <364 f.>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 1252-57/99 -, NVwZ 2002, S. 71 <72>; entsprechend zum Wahlrecht in den Ländern, Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juni 2007 - 1/06 -, juris, Rn. 61, 64; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 10. Oktober 2001 - Vf. 2-VII-01 u. a. -, NVwZ-RR 2002, S. 473 <474>).

65

bb) Auch bei der Ausfüllung seines Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, zu beachten. Dazu gehört, dass er verpflichtet ist, das ausgewählte Wahlsystem in seinen Grundelementen folgerichtig zu gestalten, und dass er keine strukturwidrigen Elemente einführen darf (vgl. BVerfGE 120, 82 <103 f.>).

66

3. Die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums unterliegt jedenfalls einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung, soweit mit Regelungen, die die Bedingungen der politischen Konkurrenz berühren, die parlamentarische Mehrheit gewissermaßen in eigener Sache tätig wird und die Gefahr besteht, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10, 6/10, 8/10 -, juris, Rn. 91; BVerfGE 120, 82 <113>). Zu diesen Regelungen gehören grundsätzlich auch die Entscheidungen des Gesetzgebers über die Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise.

67

4. Die in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Wahlrechtsgleichheit gebietet im Grundsatz eine Einteilung der Wahlkreise auf der Grundlage der Zahl nur der Wahlberechtigten.

68

a) Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen bei der Wahlkreiseinteilung auch die Zahl der minderjährigen Deutschen berücksichtigt werden darf, bislang nicht näher befasst. Zwar ist es von einer Bemessung der Wahlkreise nach der Zahl der in ihnen zusammengefassten deutschen Bevölkerung ausgegangen (vgl. BVerfGE 16, 130 <140>; 95, 335 <353>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 1252-57/99 -, NVwZ 2002, S. 71 <72>), hat dies allerdings keiner verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen.

69

b) Anknüpfungspunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 38 Abs. 1 GG sind die Wahlberechtigten (vgl. BVerfGE 1, 208 <244>; 95, 335 <353>; 124, 1 <18>; stRspr), nicht die Wohnbevölkerung. Die Wahlgleichheit ist an die Trägerschaft von Rechten, konkret des Wahlrechts, gekoppelt. Das Gleichheitserfordernis beansprucht Geltung im Verhältnis der Wahlberechtigten untereinander (vgl. Masing, Wahlkreiseinteilung und kommunale Gebietsgrenzen, 2001, S. 28). Bei der Mehrheitswahl verlangt die Wahlrechtsgleichheit, dass alle Wähler über den gleichen Zählwert ihrer Stimmen hinaus mit annähernd gleicher Erfolgschance am Kreationsvorgang teilnehmen können (vgl. BVerfGE 95, 335 <353>; 121, 266 <295>). Der Gesetzgeber hat daher eine Bemessungsgrundlage für die Wahlkreiseinteilung zu wählen, die die Chancengleichheit aller an der Wahl Beteiligten wahrt. Dementsprechend hat er dafür Sorge zu tragen, dass jeder Wahlkreis möglichst die gleiche Zahl an Wahlberechtigten umfasst (vgl. bereits Henkel, BayVBl 1974, S. 483 <485>).

70

c) Die Wahlrechtsgleichheit wird allerdings auch bei Heranziehung der deutschen Wohnbevölkerung als Bemessungsgrundlage nicht beeinträchtigt, solange sich der Anteil der Minderjährigen an der deutschen Bevölkerung regional nur unerheblich unterscheidet. Bei einer annähernd gleichen Verteilung der Minderjährigen auf die Wahlkreise ist in allen Wahlkreisen weitgehend dieselbe Stimmenzahl erforderlich, um ein Mandat zu erringen. Die Berücksichtigung auch der nicht Wahlberechtigten ist daher jedenfalls solange unbedenklich, wie sich die deutsche Wohnbevölkerung annähernd proportional zur Zahl der Wahlberechtigten verhält. Erst wenn sich nicht nur unerhebliche Abweichungen zwischen der Bevölkerung und der Zahl der Wahlberechtigten ergeben, kann eine Änderung der Wahlkreiseinteilung geboten sein. Die Überprüfungspflicht des Gesetzgebers (oben C. I. 1. f) erstreckt sich auch hierauf.

71

d) In diesem Verfahren bedarf es keiner Entscheidung, ob, worauf namentlich der Deutsche Bundestag in seiner Stellungnahme hinweist, eine erhebliche Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit, die dadurch verursacht wird, dass die Wahlkreiseinteilung auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung erfolgt, über den Grundsatz demokratischer Repräsentation gerechtfertigt werden könnte. Der Gesetzgeber hat sich von derartigen Erwägungen, die eine Aufspaltung des in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Prinzips der umfassenden Repräsentation voraussetzen würde, nicht leiten lassen, sondern stellte allein auf die hinreichend gleiche Verteilung der Minderjährigen ab (vgl. Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages, Zwischenbericht vom 8. Mai 1996, BTDrucks 13/4560, S. 13 f.; Schlussbericht vom 17. Juni 1996, BTDrucks 13/7950, S. 14 f.). Dieser Aspekt genügt auch für die Beurteilung der Wahlkreiseinteilung zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag.

72

5. Der tatsächliche Anteil Minderjähriger an der Bevölkerung in den Ländern und in den Wahlkreisen ist zwar geeignet, die Annahme des Gesetzgebers einer annähernd gleichmäßigen Verteilung über das Wahlgebiet in Frage zu stellen (a). Die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag genügt jedoch den Anforderungen des Grundsatzes der Wahlgleichheit (b). Allerdings wird der Gesetzgeber bei der Wahlkreiseinteilung künftig den Anteil Minderjähriger an der Bevölkerung sowohl bezogen auf die Länder als auch auf die einzelnen Wahlkreise in den Blick zu nehmen haben (c).

73

a) aa) Der Wahlgesetzgeber hat eine Wahlkreiseinteilung auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung bislang im Hinblick darauf für zulässig erachtet, dass sich der Anteil der Minderjährigen an der deutschen Bevölkerung regional nicht in zu berücksichtigender Weise unterscheidet.

74

Die Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages hat die Bemessungsgrundlage nach § 3 Abs. 1 BWG in den Jahren 1995 bis 1997 überprüft, letztlich jedoch bestätigt (vgl. BTDrucks 13/4560, S. 13 f.; 13/7950, S. 14 f.). Die Empfehlung der Reformkommission, bei der Bestimmung der Bevölkerungszahlen für die Wahlkreiseinteilung auch künftig von der gesamten deutschen Wohnbevölkerung auszugehen, stützt sich darauf, dass nach dem vorhandenen Datenmaterial keine erheblichen und dauerhaften Unterschiede bei der Verteilung der minderjährigen Deutschen über das Wahlgebiet festzustellen seien. In dem untersuchten Zeitraum, der die Jahre 1990 bis 1995 umfasste, war der Anteil der Minderjährigen in den neuen Ländern rückläufig, während er in den alten Ländern zunahm. Auf dieser Grundlage ging die Reformkommission von einer fortschreitenden Angleichung des Minderjährigenanteils in den Ländern aus.

75

Inwieweit der Anteil Minderjähriger in den einzelnen Wahlkreisen vom Bundesdurchschnitt abweicht, hat die Reformkommission ausweislich der veröffentlichten Berichte nicht untersucht. Insoweit scheint sie ebenfalls von einer annähernden Gleichverteilung ausgegangen zu sein.

76

Seither hat der Deutsche Bundestag die Bemessungsgrundlage ersichtlich nicht erneut in Frage gestellt. Bei der Einteilung der Wahlkreise für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag ist der Stand der deutschen Bevölkerung ohne besondere Begründung zugrunde gelegt worden (vgl. den Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, BTDrucks 16/7462, S. 58 ff.).

77

bb) Der Anteil Minderjähriger an der deutschen Bevölkerung hat sich jedoch nicht als so gleichmäßig erwiesen, dass Unterschiede in der regionalen Verteilung ohne Weiteres zu vernachlässigen sind. Dies ergibt sich aus dem vorliegenden statistischen Material sowohl zum 31. Dezember 2006, auf welchen Zeitpunkt sich der Entwurf des Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (BTDrucks 16/7462) bezogen hat, als auch zum 31. Dezember 2008, dem Zeitpunkt, der der Wahlkreiseinteilung im Achtzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 17. März 2008 (BGBl I S. 316) zeitlich am nächsten liegt, und aus den Zahlen der Wahlberechtigten am Wahltag. Diese Daten entsprechen im Wesentlichen den vom Beschwerdeführer ermittelten.

78

(1) Zwar erreichte im Ländervergleich die Abweichung des Minderjährigenanteils vom Bundesdurchschnitt (16,9 %) maximal - 4,6 Prozentpunkte (Sachsen-Anhalt), und die Spannbreite der Abweichungen lag bei lediglich 6,3 Prozentpunkten. Dies liegt in dem Rahmen dessen, was der Gesetzgeber als hinnehmbar erachtet hat. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die einzelnen Wahlkreise gegenüberstellt. Der Minderjährigenanteil reichte dort von 22,9 % im Wahlkreis 33 (Cloppenburg-Vechta; die Beschwerde geht hier von 22,6 % aus) bis zu 11,5 % im Wahlkreis 71 (Dessau-Wittenberg). Damit ergibt sich eine Spannbreite von 11,4 (nach der Beschwerde 11,1) Prozentpunkten. Diese liegt erheblich über der im Ländervergleich bestehenden Spannbreite.

79

(2) Der unterschiedliche Minderjährigenanteil ist im Hinblick auf den voraussichtlichen Erfolgswert der Wählerstimmen allerdings nicht isoliert, sondern in Verbindung mit den im Rahmen der Toleranzgrenzen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG in Kauf genommenen Abweichungen der Bevölkerungszahlen zu bewerten. So wird etwa der dem Erfolgswert einer Stimme abträgliche Effekt einer überdurchschnittlichen Bevölkerungszahl eines Wahlkreises gemindert, wenn dort auch überdurchschnittlich viele Minderjährige wohnhaft sind, weil dann die Zahl der Wahlberechtigten den Durchschnitt weniger weit übersteigt. Der Einfluss des unterschiedlichen Minderjährigenanteils auf die Erfolgschance einer Stimme wird daher erst sichtbar, wenn man die Zahl der Wahlberechtigten in den Wahlkreisen vergleicht und diese mit den vom Gesetzgeber herangezogenen Bevölkerungszahlen in Beziehung setzt. Stellt man auf die Zahl der Wahlberechtigten am Wahltag ab, ergibt sich - unter Inkaufnahme einer kleinen Unschärfe im Hinblick darauf, dass die Wahlkreiseinteilung zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt ist - folgendes Bild:

80

Der Wert des Wahlkreises 227 (Deggendorf) unterschritt bei Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten den Durchschnittswert um 25,6 %, so dass die Grenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 2. Halbsatz BWG nicht mehr eingehalten gewesen wäre. In zwei Wahlkreisen lag die Abweichung bei Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten zwar noch unterhalb, jedoch deutlich näher an der Grenze von 25 % als auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung (Wahlkreis 55 , + 23,2 % statt + 20,4 %, und Wahlkreis 70 , + 22,3 % statt + 16,0 %). In weiteren zwölf Wahlkreisen, bei denen auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung die Soll-Grenze von 15 % nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 1. Halbsatz BWG eingehalten war, war diese bei Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten über- beziehungsweise unterschritten.

81

b) Dieser Befund erschüttert zwar die Annahme einer flächendeckend gleichmäßigen Verteilung der nicht wahlberechtigten Deutschen, begründet jedoch auch unabhängig von der Frage einer Rechtfertigung durch den Repräsentationsgrundsatz nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag.

82

Der Gesetzgeber hat sich bei der Wahlkreiseinteilung zur Wahl des 17. Deutschen Bundestages an die in § 3 Abs. 1 BWG selbst gesetzten Vorgaben gehalten und damit die mit diesen Vorgaben zur Wahrung der Wahlrechtsgleichheit verfolgten Ziele einer transparenten und folgerichtigen Gesetzgebung beachtet. Die Ausgestaltung der Regeln des § 3 Abs. 1 BWG beruht auf der Annahme einer im Wesentlichen gleichmäßigen Verteilung der minderjährigen Deutschen im Wahlgebiet. Diese Annahme ist für die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder nach wie vor berechtigt (aa), gilt allerdings für den Zuschnitt der Wahlkreise nicht mehr ohne Weiteres, was indes für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag nicht berücksichtigt werden musste (bb).

83

aa) Die Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages war bei dem von ihr vorgenommenen Ländervergleich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Abweichungen des Minderjährigenanteils vom Bundesdurchschnitt bei abnehmender Tendenz zuletzt nur noch von - 4,3 bis + 3,6 Prozentpunkte betrugen (vgl. BTDrucks 13/7950, S. 15), und hatte diese Abweichungen für hinnehmbar erachtet. Der Gesetzgeber ist dieser Einschätzung gefolgt, und der Senat sieht keinen Anlass, diese Einschätzung verfassungsrechtlich anzuzweifeln.

84

Die von der Reformkommission beobachtete Tendenz hat sich fortgesetzt und zwischenzeitlich dazu geführt, dass sich die Minderjährigenquote, wenn man die neuen und die alten Länder gegenüberstellt, mit umgekehrten Vorzeichen vom Bundesdurchschnitt entfernt. Während der Minderjährigenanteil nach den von der Reformkommission verwendeten Daten 1995 trotz abnehmender Tendenz in allen neuen Ländern noch über dem Bundesdurchschnitt von 18,9 % lag (die Unterschiede reichten von + 0,6 Prozentpunkten in Sachsen bis + 3,6 Prozentpunkten in Mecklenburg-Vorpommern; vgl. BTDrucks 13/7950, S. 15), war er dort zum 31. Dezember 2008 nach den vom Statistischen Bundesamt mitgeteilten Daten auf teilweise deutlich unterdurchschnittliche Werte gesunken und betrug zwischen 12,3 % in Sachsen-Anhalt und 13,2 % in Brandenburg; dies entspricht Abweichungen vom Bundesdurchschnitt (16,9 %) von - 4,6 bis - 3,7 Prozentpunkten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sowohl die maximale Abweichung (- 4,6 Prozentpunkte in Sachsen-Anhalt) als auch die Spannbreite der Abweichungen (6,3 Prozentpunkte) nicht den Rahmen dessen verlassen haben, was den Gesetzgeber im Anschluss an den Bericht der Reformkommission bewogen hat, unverändert an der Bezugsgröße der deutschen Wohnbevölkerung festzuhalten.

85

bb) Die für die Ermittlung der Zahl der Wahlkreise in den Ländern gültige Annahme einer bundesweit gleichmäßigen Verteilung der minderjährigen Deutschen kann indes nicht unbesehen auf den Zuschnitt der einzelnen Wahlkreise übertragen werden. Zwar war die Zahl der betroffenen Wahlkreise gering; auch hätten die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen nicht durchweg gravierende Änderungen zur Folge haben müssen. Gleichwohl können diese potentiellen Beeinträchtigungen der Wahlrechtsgleichheit nicht grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Hätte der Gesetzgeber bei der Einteilung der einzelnen Wahlkreise auf die Zahl der Wahlberechtigen abgestellt, hätte er in einer Reihe von Fällen zumindest zusätzliche Erwägungen anstellen müssen, um dem Gebot annähernd gleicher Erfolgschancen der Erststimmen ohne Veränderung der Wahlkreise Rechnung zu tragen. Das Unterbleiben derartiger Erwägungen begründet indes keinen Wahlfehler.

86

Bei der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag waren insoweit vergleichsweise wenige Fälle betroffen, die zudem ganz überwiegend keine erheblichen Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben aufwiesen. Lediglich in einem Fall (Wahlkreis 227 ) stand die Einhaltung der Grenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 2. Halbsatz BWG von 25 % - und dies nur knapp - in Rede, in weiteren vierzehn Fällen wären hinzukommende oder verstärkte Abweichungen vom Durchschnitt zwischen 15 und 25 % zu bewältigen gewesen. Bei den übrigen der insgesamt 299 Wahlkreise hätte sich die Größenabweichung hingegen auch bei Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten in derselben gesetzlichen Kategorie bewegt, wie sie sich auf der Grundlage der deutschen Wohnbevölkerung ergab.

87

Da die Annahme einer annähernd gleichen auch regionalen Verteilung der minderjährigen Deutschen bis dahin nicht in Frage gestellt worden war und da - bei einer hypothetischen Betrachtung - eine Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit durch die Anknüpfung an die Wohnbevölkerung allenfalls marginal ausfällt, ist es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Wahlkreiseinteilung zur Wahl des 17. Deutschen Bundestages insoweit ohne Kontrollüberlegungen mit Rücksicht auf die Verteilung der Wahlberechtigten vorgenommen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat keinen Anlass, die konkrete Wahlkreiseinteilung einer weitergehenden Überprüfung zu unterwerfen, weil vor dem genannten Hintergrund Interessenkonflikte im Bereich der Gesetzgebung hier ausgeschlossen werden können.

88

c) Der Gesetzgeber ist jedoch gehalten, bei der Wahlkreiseinteilung künftig den Anteil der Minderjährigen an der Bevölkerung zu berücksichtigen. Er hat dabei sowohl die Werte in den Ländern als auch im Vergleich zwischen den einzelnen Wahlkreisen einschließlich der Tendenzen bei der Bevölkerungsentwicklung in den Blick zu nehmen. Sollte die Entwicklung zu einer erheblichen Ungleichverteilung zwischen den Ländern führen, wird der Gesetzgeber zu prüfen haben, ob er die Maßstabsnorm des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BWG ändert. Soweit es lediglich um einzelne Wahlkreise betreffende Abweichungen von der durchschnittlichen Verteilung der minderjährigen Deutschen geht, kann neben den bei der Wahlkreiseinteilung bereits bislang zu berücksichtigenden Aspekten wie etwa der territorialen Verankerung des im Wahlkreis gewählten Abgeordneten, den historisch gewachsenen Verwaltungsgrenzen und einer gewissen Kontinuität der räumlichen Gestalt des Wahlkreises (vgl. BVerfGE 95, 335 <364>) künftig auch der Anteil der minderjährigen Deutschen in die Entscheidung über den Zuschnitt der Wahlkreise einbezogen werden.

II.

89

Soweit der Beschwerdeführer - unabhängig von der Bemessungsgrundlage -Verstöße gegen die 15 %-Sollgrenze des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG rügt, ist ein Wahlfehler ebenfalls nicht festzustellen.

90

1. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit angesichts der grundsätzlichen Gleichrangigkeit einfachgesetzlicher Regelungen der Gesetzgeber bei der Einteilung des Wahlgebietes in Wahlkreise (§ 2 Abs. 1 BWG) in verfassungsgerichtlich überprüfbarer Weise an die Vorgaben des § 3 Abs. 1 BWG gebunden ist und ob etwa eine Missachtung des § 3 Abs. 1 BWG darin zu sehen wäre, wenn der Gesetzgeber auf eine Überschreitung des dort angegebenen Sollwerts selbst dann nicht reagierte, wenn sie die Mehrzahl der Wahlkreise beträfe. Ein Wahlfehler liegt jedenfalls noch nicht darin, dass ein gewisser Teil - nach der Beschwerde etwa ein Fünftel - der Wahlkreise die Soll-Grenze überschritten hat. Der Gesetzgeber darf nach der Konzeption des § 3 Abs. 1 BWG von dem Soll-Grenzwert, den der Beschwerdeführer als solchen nicht angreift, im Rahmen seines Ermessens abweichen, wenn sachgerechte Erwägungen dies rechtfertigen. Die Tatsache, dass die Grenze mehrfach überschritten worden ist, begründet daher für sich genommen keinen Wahlfehler. Es ist nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bezogen auf bestimmte Wahlkreise die Grenze seines Ermessens überschritten hat. Daher liegt auch in der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Zunahme der Überschreitungsfälle seit dem Jahr 2002 kein Wahlfehler.

91

2. Dass die bei der beanstandeten Wahlkreiseinteilung herangezogenen Abwägungskriterien insbesondere der Wahlkreiskontinuität und der Wahrung regionaler Besonderheiten im Bundeswahlgesetz nicht ausdrücklich genannt sind, macht ihre Berücksichtigung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht unzulässig. Diese Kriterien liegen der gesetzlichen Regelung über die Wahlkreiseinteilung zugrunde und sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geeignet, Abweichungen bei der Wahlkreisgröße zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 95, 335 <364>).

III.

92

Auch die Zuordnung der Wahlkreise zu den Ländern lässt keinen Wahlfehler erkennen.

93

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 BWG muss die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil "soweit wie möglich" entsprechen. Diese Einschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass eine rechnerisch exakte Verteilung in aller Regel nicht erreichbar ist, weil nur eine natürliche Zahl von Wahlkreisen verteilt werden kann, während der berechnete Bevölkerungsanteil in den meisten Fällen zu Bruchteilen einer natürlichen Zahl führen wird. In diesen Fällen muss eine Rundung erfolgen. Dabei kann ebenso wie die Frage verfassungsgerichtlich überprüfbarer Bindung des Gesetzgebers an diese Vorgabe (vgl. C.II.1.) dahingestellt bleiben, ob die Einschränkung "soweit wie möglich" wie ein "verstärktes Soll" zu verstehen ist, welches dem Gesetzgeber ein eng begrenztes Ermessen einräumt, oder ob streng nach mathematischen Regeln vorzugehen ist (vgl. hierzu Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 3 Rn. 15 bis 17). Während sich dies bei den übrigen betroffenen Ländern bereits aus der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Rundungsgrenze von 0,5 ergibt, ist die Verlagerung eines Wahlkreises zu Lasten des Landes Sachsen-Anhalt nach beiden Lesarten nachvollziehbar.

94

Auf das Land Sachsen-Anhalt entfielen bei Zugrundelegung der fortgeschriebenen deutschen Wohnbevölkerung nach Anwendung des Hare/Niemeyer-Verfahrens zum Stichtag 31. Dezember 2006 rechnerisch 9,542 Wahlkreise, so dass die Rundungsgrenze von 0,5 noch nicht unterschritten war. Dies haben der Deutsche Bundestag und die Wahlkreiskommission nicht verkannt (vgl. BTDrucks 16/7462, S. 58). Der Deutsche Bundestag hat darauf abgestellt, dass der Rundungsgrenzwert zum Stichtag nur knapp überschritten und aufgrund der Bevölkerungsentwicklung bis zum 30. Juni 2007 beinahe erreicht war (9,501; vgl. BTDrucks 16/7462, S. 59).

95

Die von dem Beschwerdeführer hiergegen vorgebrachten Einwände begründen jedenfalls deshalb keinen Wahlfehler, weil ein Wahlkreis auch bei Anwendung strikter Proportionalität verlagert werden durfte: Die Werte beider Länder, denen ein zusätzlicher Wahlkreis zugeschrieben wurde (Baden-Württemberg: 37,714, Niedersachsen: 29,685) waren von der Rundungsgrenze von 0,5 weiter entfernt als der Wert Sachsen-Anhalts von 9,542. Die Entscheidung des Gesetzgebers, Niedersachen zu Lasten Sachsen-Anhalts einen Wahlkreis zuzuweisen, bildet die tatsächliche Bevölkerungsverteilung daher besser ab, als es bei einem Verzicht auf die Übertragung der Fall gewesen wäre.

D.

96

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die Beschwerde hat zur Klärung einer allgemein bedeutsamen Frage des Wahlrechts beigetragen, so dass es angemessen erscheint, die hälftige Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers anzuordnen.