Sozialgericht Düsseldorf Gerichtsbescheid, 31. Aug. 2015 - S 35 AS 257/15
Tenor
Die Bescheide vom 26.09.2013 und 22.01.2015 werden aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – um Ersatzansprüche der Beklagten.
3Der Kläger ist 1977 geboren. Er leidet an einem Asperger-Syndrom. Im Jahre 2010 verkaufte der Kläger eine Eigentumswohnung zum Preis von 136.000,- EUR. Unter dem 05.04.2012 stellte er einen Erstantrag auf Leistungen nach dem SGB II und gab an nur noch über einen Restbetrag in Höhe von 4.000,- EUR zu verfügen. Weiter gab der Kläger an, er habe von den 136.000,- EUR, 40.000,- EUR für die Einrichtung seiner Mietwohnung verbraucht. Den Rest des Geldes habe er im Laufe der Zeit ausgegeben.
4Mit Bescheid vom 26.09.2013 stellte die Beklagte eine Ersatzpflicht des Klägers nach § 34 SGB II mit der Begründung fest, der Kläger habe seine Bedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt, indem er das ihm zur Verfügung stehende Geld in übermäßiger Weise vermindert habe.
5Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er sei gesundheitlich nicht in der Lage mit Geld umzugehen.
6Mit Bescheid vom 22.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück. Sie führte aus, der Kläger habe, selbst wenn man die 40.000,- EUR für die Wohnungseinrichtung abziehe, monatlich für seinen Lebensunterhalt durchschnittlich 3.550,- EUR verbraucht. Es sei abzusehen gewesen, dass bei diesem hohen Verbrauch auf kurz oder lang Bedürftigkeit eintreten würde. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, einen so hohen Lebensstandard zu pflegen. Er habe deswegen vorsätzlich oder mindestens grob fahrlässig seine Bedürftigkeit herbeigeführt, was die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II zur Folge habe.
7Hiergegen richtet sich die am 26.01.2105 bei Gericht eingegangene Klage.
8Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
9unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 26.09.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2015 wird festgestellt, dass die Feststellung der Ersatzpflicht des Klägers rechtswidrig ist.
10Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die form- und fristgerechte erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.
15Das Gericht kann vorliegend durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entscheiden, denn der Sachverhalt ist aufgeklärt und die der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsfragen sind einfacher Natur.
16Die form- und fristgerechte und daher zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.
17Nach § 34 Abs. 1 SGB II ist zum Ersatz der verpflichtet, wer die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach SGB II ohne wichtigen Grund vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen in der Person des Klägers erkennbar nicht vor.
18Es kann zunächst einmal dahin stehen, ob der angefochtene Bescheid nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil es sich lediglich um einen Feststellungsbescheid handelt, indem ein konkreter Ersatzanspruch nicht geltend gemacht wird. Darüber hinaus kann auch dahin stehen, ob die in der vorgenannten Vorschrift aufgeführte Vorsätzlichkeit oder grobe Fahrlässigkeit beim Kläger schon deswegen nicht vorliegt, weil dieser an einem Asperger-Syndrom leidet und deswegen gar nicht schuldhaft handeln konnte. Denn das dem Kläger von der Beklagten vorgeworfene Verhalten eines "luxuriösen Lebensstils" erfüllt die Voraussetzungen des § 34 SGB II in keiner denkbaren Konstellation. § 34 SGB II ist ein deliktähnlicher Ausnahmetatbestand für Sachverhalte, in denen ein innerer Zusammenhang zwischen der Herbeiführung der Bedürftigkeit und der Zahlung von Leistungen an den Kläger steht. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß unter Berücksichtigung der Tatsache auszulegen, dass auf existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen ein Rechtsanspruch besteht, welcher regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit besteht (vgl. Bundesverfassungsgericht Beschluss v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -. Landessozialgericht Berlin/Brandenburg, Urteil v. 04.03.2014, Az. L 29 AS 814/11 mit weiteren Nachweisen). Daneben ist die Vorschrift auch unter Berücksichtigung des Artikel 2 Grundgesetz auszulegen, wonach die allgemeine Handlungsfreiheit nur durch ein entsprechendes Gesetz eingeschränkt werden darf.
19Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in dem Zeitraum, indem er den von der Beklagten aufgeführten "luxuriösen Lebensstil" gepflegt haben soll, nicht bedürftig war und deswegen grundsätzlich berechtigt war, mit seinem Vermögen nach eigenem Gutdünken umzugehen. Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 SGB II verpflichtet jedenfalls – nach hier vertretener Auffassung – nichtbedürftige Bürger nicht dazu, ihr Vermögen in einer Weise aufzuteilen, dass der Bezug von Sozialleistungen möglichst weit hinausgeschoben wird. Derartiges würde dazu führen, dass die Vorschriften des SGB II nicht nur für Bedürftige, sondern auch für weite Teile der Bevölkerung gelten würden, die gar nicht unter die Vorschriften des SGB II fallen und nicht bedürftig sind. Eine dergestalt weite Auslegung des SGB II ist jedenfalls mit Artikel 2 Grundgesetz nicht vereinbar.
20Außerdem würde, selbst wenn man unterstellen würde, dass die Ausgabe von monatlich 3.550,- EUR einem "luxuriösen Lebensstil" entsprechen würde, allein dies den inneren Zusammenhang zwischen Gewährung von Sozialleistungen und Tatbestand der mindestens grobfahrlässig herbeigeführten Bedürftigkeit nicht erfüllen. Es fehlt nämlich an dem inneren Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Kläger und der Herbeiführung von Bedürftigkeit. Insoweit wäre erforderlich, dass der Kläger das Geld deswegen ausgegeben hat, um Bedürftigkeit zu erzielen. Hierfür besteht jedoch kein Anhalt.
21ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Düsseldorf Gerichtsbescheid, 31. Aug. 2015 - S 35 AS 257/15
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(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.
(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.
(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.
(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.
(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Sachleistungen sind, auch wenn sie in Form eines Gutscheins erbracht wurden, in Geld zu ersetzen. § 40 Absatz 6 Satz 2 gilt entsprechend. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung. Von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs ist abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.
(2) Eine nach Absatz 1 eingetretene Verpflichtung zum Ersatz der Leistungen geht auf den Erben über. Sie ist auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt.
(3) Der Ersatzanspruch erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden ist. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten sinngemäß; der Erhebung der Klage steht der Erlass eines Leistungsbescheides gleich.
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.