Sozialgericht Aachen , 27. Okt. 2016 - S 20 SF 70/16 E
Tenor
Die dem beigeordneten Rechtsanwalt für das erstinstanzliche Verfahren S 20 SO 98/12 ER zu zahlende Vergütung wird auf 856,80 EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Streitgegenstand des erledigten Eilverfahrens war ein Anspruch auf Übernahme erforderlicher Bestattungskosten in Spanien. Der Antragstellerin war durch Beschluss der Kammer vom 14.05.2012 für das Eilverfahren S 20 SO 98/12 ER Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. bewilligt worden. Mit Schriftsatz vom 23.12.2015 beantragte dieser die Festsetzung seiner Vergütung für das erstinstanzliche Eilverfahren wie folgt: - Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 320,00 EUR - Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 380,00 EUR - Pauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR - Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 136,80 EUR 856,80 EUR
4Am 23.05.2016 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Eilverfahren S 20 SO 98/12 ER auf 856,80 EUR fest. Zur Begründung führte er u.a. aus, dass die Terminsgebühr aufgrund richterlicher Telefongespräche mit beiden Seiten entstanden sei. Zuvor hatte er die Verfahrensbeteiligten angehört und den Kammervorsitzenden um eine Einschätzung gebeten. Dieser hatte in einem Vermerk am 18.05.2016 erklärt, dass es sich bei den Telefonaten am 14.04.2012 um solche gehandelt habe, die auf Einigung zwischen den Beteiligten gerichtet gewesen seien, und er deshalb die Terminsgebühr für gerechtfertigt halte.
5Gegen die Festsetzung hat der Erinnerungsführer am 22.08.2016 Erinnerung eingelegt, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat. Der Erinnerungsführer wendet sich gegen die Festsetzung der Terminsgebühr. Er ist der Auffassung, dass Grundvoraussetzung für die Entstehung einer Terminsgebühr sei, dass für das Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist; dass sei aber im Falle eines ER-Verfahrens gerade nicht der Fall, weshalb in einem solchen Verfahren eine "fiktive" Terminsgebühr nie entstehen könne; sie entstehe lediglich dann, wenn ein gerichtlicher Termin stattgefunden habe.
6Der Erinnerungsführer beantragt seinem schriftlichen Vorbringen nach,
7die dem beigeordneten Rechtsanwalt zustehende Vergütung für das Eilverfahren S 20 SO 98/12 ER auf 404,60 EUR festzusetzen.
8Der Erinnerungsgegner beantragt sinngemäß,
9die Erinnerung zurückzuweisen und die Vergütung auf 856,80 EUR festzusetzen.
10II.
11Die gemäß § 56 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zulässige Erinnerung ist nicht begründet.
12Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch der Erinnerungsführerin ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach haben die im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte in Verfahren vor Gerichten eines Landes Anspruch auf die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Gemäß § 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dabei ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen und sie unbillig ist (§ 14 Abs.1 Satz 4 RVG). Kostenrechtlich erfolgt dementsprechend in der gerichtlichen Kostenentscheidung lediglich eine Überprüfung der vom Anwalt geltend gemachten Gebühren im Rahmen der Vorschrift des § 14 Abs.1 Satz 4 RVG, also zur Frage der Unbilligkeit der seitens des Rechtsanwalts getroffenen Bestimmung. Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandsmerkmales Unbilligkeit gemäß § 14 Abs.1 Satz 4 RVG sind Toleranzgrenzen zu berücksichtigen, d. h. eine Abweichung von bis zu 20 % gegenüber der als billig erscheinenden Gebühr ist noch als verbindlich anzusehen und nicht als unbillig im Sinne der vorgenannten Vorschrift zu qualifizieren (BayLSG, Beschluss vom 21.03.2011 - Az.: L 15 SF 240/09 B E m.w.N.).
13Das Gericht schließt sich den im Wesentlichen sachlich und rechtlich zutreffenden Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 23.05.2016 an. Dies gilt auch und insbesondere in Bezug auf die Festsetzung der Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG bei Anwendung der Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2 RVG), Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 3 in der hier maßgeblichen bis 31.05.2013 geltenden (alten) Fassung. Diese lautet: "Die Terminsgebühr entsteht für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber." Die von den Verfahrensbeteiligten mit dem Kammervorsitzenden am 14.04.2015 geführten Telefonate erfüllen den Tatbestand der Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechungen; der Zusatz "auch ohne Beteiligung des Gerichts" in der Vorbemerkung bedeutet, dass eine Mitwirkung mit und ohne Beteiligung des Gerichts die Gebühr auslösen kann.
14Die Rechtsauffassung des Erinnerungsführers, dass es hier um eine "fiktive" Terminsgebühr gehe und im Übrigen eine solche nach Nr. 3106 VV RVG in einem ER-Verfahren nie entstehen könne, findet im Gesetz keine Stütze. Der Erinnerungsgegner macht keine "fiktive" Terminsgebühr, sondern eine tatsächliche Terminsgebühr im Sinne des RVG geltend. Soweit der Gebührentatbestand dieser Gebührenziffer unter Ziffer 1. auf ein Verfahren abstellt, "für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist", folgt daraus nicht, dass die Terminsgebühr – auch wenn es ihre Bezeichnung nahe legt – in Verfahren, in denen keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nicht entstehen kann. Dies ergibt sich zum einen aus den Ziffern 2. und 3. des Gebührentatbestandes zu Nr. 3106, zum anderen aus der Einleitungsformel ("Die Gebühr entsteht auch, wenn"). Durch das Wort "auch" wird deutlich, dass es auch andere Tatbestände gibt, die die Gebühr auslösen können. Diese werden allgemein in der zitierten Vorbemerkung beschrieben.
15Nach alledem setzt sich die dem beigeordneten Rechtsanwalt (Erinnerungsgegner) zustehende Vergütung für das Eilverfahren S 20 SO 98/12 ER wie folgt zusammen: - Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV RVG) 320,00 EUR - Terminsgebühr (Nr. 3106 VV RVG) 380,00 EUR - Pauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 EUR - Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 136,80 EUR 856,80 EUR
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Referenzen - Gesetze
(1) Der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete oder zum besonderen Vertreter im Sinne des § 41 bestellte Rechtsanwalt erhält, soweit in diesem Abschnitt nichts anderes bestimmt ist, die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten des Bundes aus der Bundeskasse, in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse.
(2) Der Rechtsanwalt, der nach § 138 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auch in Verbindung mit § 270 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nach § 109 Absatz 3 oder § 119a Absatz 6 des Strafvollzugsgesetzes beigeordnet oder nach § 67a Absatz 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung bestellt ist, kann eine Vergütung aus der Landeskasse verlangen, wenn der zur Zahlung Verpflichtete (§ 39 oder § 40) mit der Zahlung der Vergütung im Verzug ist.
(3) Ist der Rechtsanwalt sonst gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden, erhält er die Vergütung aus der Landeskasse, wenn ein Gericht des Landes den Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat, im Übrigen aus der Bundeskasse. Hat zuerst ein Gericht des Bundes und sodann ein Gericht des Landes den Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet, zahlt die Bundeskasse die Vergütung, die der Rechtsanwalt während der Dauer der Bestellung oder Beiordnung durch das Gericht des Bundes verdient hat, die Landeskasse die dem Rechtsanwalt darüber hinaus zustehende Vergütung. Dies gilt entsprechend, wenn zuerst ein Gericht des Landes und sodann ein Gericht des Bundes den Rechtsanwalt bestellt oder beigeordnet hat.
(4) Wenn der Verteidiger von der Stellung eines Wiederaufnahmeantrags abrät, hat er einen Anspruch gegen die Staatskasse nur dann, wenn er nach § 364b Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung bestellt worden ist oder das Gericht die Feststellung nach § 364b Absatz 1 Satz 2 der Strafprozessordnung getroffen hat. Dies gilt auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren (§ 85 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten).
(5) Absatz 3 ist im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde entsprechend anzuwenden. An die Stelle des Gerichts tritt die Verwaltungsbehörde.
(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.
(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.
(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).
(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.