Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 15. Sept. 2017 - 1 OLG 2 Ss 55/17

ECLI: ECLI:DE:POLGZWE:2017:0915.1OLG2SS55.17.00
published on 15.09.2017 00:00
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 15. Sept. 2017 - 1 OLG 2 Ss 55/17
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Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Frankenthal (Pfalz) vom 3. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Strafrichter bei dem Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) hat den Angeklagten wegen "Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmittel" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährungsaussetzung verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten dringt bereits mit der Sachrüge durch; auf die daneben erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es nicht an.

2

1. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

"Am Nachmittag des 4. November 2015 kam es im Haus der Freundin des Angeklagten, der Geschädigten P., zu Auseinandersetzungen. Der Angeklagte schlug die Geschädigte und schubste auch den auf ihrem Arm befindlichen Säugling S. gegen die Wand, sodass dieser Schmerzen erlitt. Die Zeugin O. kam zur Hilfe. Auch dieser schlug er in das Gesicht und drängte sie weg. Beide Geschädigte erlitten deutlich sichtbare Gesichtsrötungen. Die Polizei wurde informiert und erschien wenige Minuten später. Die Geschädigte P. verließ mit ihrem Säugling das Anwesen fluchtartig.

4

Die Polizeibeamten konnten trotz mehrerer Versuche die Türen zuzuschlagen den Angeklagten letztlich in der Wohnung stellen. Er griff die Beamten sofort an und begann auf sie einzuschlagen. Hierbei kam der Beamte D. zu Fall. Der Angeklagte schlug weiter auf ihn ein. Auch der Geschädigte K. wurde mehrfach mit der Faust getroffen. Schließlich gelang es den Polizeibeamten mit weiteren Kollegen den Angeklagten zu fixieren, wobei er sich weiterhin intensiv wehrte. Zwei Polizeibeamte wurden verletzt. (..). Der Angeklagte war während der Tatbegehung erheblich alkoholisiert. Um 17.00 Uhr erfolgte (eine) Blutentnahme. Sie ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,04 Promille etwa 40 Minuten nach der Tat. Auch wurden im Blut des Angeklagten erhebliche THC-Rückstände gefunden. 18 ng/ml THC und 130 ng/ml THC-Carbonsäure. Dies deutet auf einen andauernden THC-Konsum massiv hin.

5

In unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Tatbegehung konnten in den Wohnräumen des Angeklagten 15,5 Gramm Haschisch sowie Cannabissamen mit einem Gewicht von 10,15 Gramm gefunden werden."

II.

6

Das Rechtsmittel ist als Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Es führt in der Sache zu einem vorläufigen Erfolg.

7

Die Urteilsfeststellungen tragen zwar die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten P., des Säuglings S. und der Zeugin O. sowie der beiden verletzten Polizeibeamten, wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung indes nicht stand. Weil der Senat nicht völlig ausschließen kann, dass der Angeklagte hierdurch belastet ist, führt dies zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Der Senat kann den Schuldspruch auch nicht selbst abändern (vgl. hierzu BGH NStZ-RR 2017, 147), weil die insoweit lückenhaften Feststellungen einer eindeutigen rechtlichen Bewertung nicht zugänglich sind.

8

a) Das Amtsgericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt zwar zutreffend erkannt, dass der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit zu Taten der sonstigen Kriminalität treten kann, wenn und soweit ein innerer Zusammenhang hierzu besteht. Die Annahme einer tateinheitlichen Begehungsweise war deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen. Beim unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln handelt es sich jedoch um ein Dauerdelikt (vgl. Rissing-van Saan in LK-StGB, 12. Aufl. Vor § 52 Rn. 50), dass grundsätzlich geeignet ist, zwei getrennt verwirklichte Delikte, die zwar nicht miteinander, wohl aber jeweils mit dem Besitz verbunden sind, zu einer Tat im Rechtssinne zu verklammern (Rissing-van Saan aaO. § 52 Rn. 28; Fischer, StGB, 64. Aufl., Vor § 52 Rn. 30 jew. m.w.N.). Der unerlaubte Besitz stellt sich gegenüber den Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung mit Blick auf die insoweit gleichlautende Strafandrohung auch nicht als das minderschwere Delikt dar (zum Maßstab: Rissing-van Saan aaO., § 52 Rn. 32). Ausgehend von der rechtlichen Bewertung des Amtsgerichts (Tateinheit zwischen Körperverletzung und unerlaubtem Besitz) hätte deshalb eine tateinheitliche Verurteilung hinsichtlich sämtlicher abgeurteilter Taten erfolgen müssen.

9

b) Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind jedoch nicht geeignet, die Annahme von Tateinheit zwischen den Körperverletzungshandlungen und dem unerlaubten Besitz zu tragen.

10

aa) Beim zeitgleichen Zusammentreffen zwischen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und anderen Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten ist materiell-rechtlich nur dann von einer Tat auszugehen, wenn ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen den Taten besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006 - 2 BvR 111/06, juris Rn. 15; BGH NStZ 2004, 694; Patzak in Körner BtMG, 8. Aufl., § 29 Rn. 112 [jew. zum Verhältnis von Besitz und Straßenverkehrsdelikten]). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zur Verwirklichung des einen Tatbestandes beitragende Handlung zugleich der Begründung oder Aufrechterhaltung des durch das Dauerdelikt geschaffenen rechtswidrigen Zustandes dient (vgl. BGHSt 18, 29, 31). Straftaten, die demgegenüber nur gelegentlich eines Dauerdelikts begangen werden, stehen mit diesem in Realkonkurrenz; eine bloße Gleichzeitigkeit der Handlungen genügt für die Annahme von Tateinheit nicht (Weber, BtMG, 4. Aufl., Vorbem. zu §§ 29 ff., Rn. 546 f., dort u.a. zum Verhältnis von unerlaubtem Besitz und Ladendiebstahl).

11

bb) Den danach erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Ausübung des Besitzes an den in seiner Wohnung gelagerten Betäubungsmitteln und den Körperverletzungshandlungen hat das Amtsgericht nicht näher belegt. Die pauschale Feststellung, der "Konsum und der Besitz der Betäubungsmittel (seien) in unmittelbaren zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Zusammenhang" mit dem übrigen Tatgeschehen zu sehen, reicht hierzu nicht aus. Ein räumlicher Zusammenhang zwischen der Lagerung der Betäubungsmittel in der Wohnung des Angeklagten und den in der Wohnung der Zeugin P. verübten Körperverletzungs- und Widerstandshandlungen ist nicht ersichtlich. Worauf das Amtsgericht seine Annahme gestützt hat, es bestünde auch "inhaltlich" ein Zusammenhang, wird nicht näher erläutert. Sofern das Amtsgericht einen solchen - allein - in dem vor den Körperverletzungshandlungen erfolgten Konsum gesehen haben sollte, könnte dieser den notwendigen Bedingungszusammenhang nicht begründen.

12

cc) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich weitere Feststellungen treffen lassen, die einen solchen Zusammenhang ergeben. Denkbar ist, dass sich der Angeklagte der Festnahme durch die Polizeibeamten - jedenfalls auch - entziehen wollte, um sich im Besitz der Betäubungsmittel zu halten. Mangels Feststellungen zu den Hintergründen der Auseinandersetzungen mit der Geschädigten P. ist es zudem nicht völlig auszuschließen, dass diese ebenfalls die Begründung und/oder die Aufrechterhaltung des Besitzes an den Betäubungsmitteln betrafen. Es erscheint deshalb zumindest möglich, dass hierüber der für die Annahme von Tateinheit erforderliche Bedingungszusammenhang hergestellt werden kann.

13

c) Wurden die Körperverletzungshandlungen nur gelegentlich des Besitzes begangen, so wird - vorbehaltlich ihrer Erweislichkeit - neben den beiden Körperverletzungsdelikten (ggfs. in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamten) eine tatmehrheitliche Verurteilung wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu erfolgen haben und eine weitere Einzelstrafe festzusetzen sein. Die neu zu bestimmende Gesamtstrafe darf dann sechs Monate nicht übersteigen (§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO). Das Amtsgericht wird bei der Fassung des Schuldspruchs ferner zu beachten haben, dass hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 StGB) sowohl die Schuldform (vgl. Maier in MünchKomm-StPO, 1. Aufl., § 267, Rn. 256; Meyer-Goßner/Appel/Kroschel, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 44; vgl. a. BGH NStZ 2012, 698) als auch die mehrfache Gesetzesverletzung (Rissing-van Saan aaO., § 52 Rn. 3) zum Ausdruck zu bringen sind.

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Annotations

(1) Ein Urteil, gegen das Berufung zulässig ist, kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden.

(2) Über die Revision entscheidet das Gericht, das zur Entscheidung berufen wäre, wenn die Revision nach durchgeführter Berufung eingelegt worden wäre.

(3) Legt gegen das Urteil ein Beteiligter Revision und ein anderer Berufung ein, so wird, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen ist, die rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form eingelegte Revision als Berufung behandelt. Die Revisionsanträge und deren Begründung sind gleichwohl in der vorgeschriebenen Form und Frist anzubringen und dem Gegner zuzustellen (§§ 344 bis 347). Gegen das Berufungsurteil ist Revision nach den allgemein geltenden Vorschriften zulässig.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.