Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 18. März 2013 - 8 W 75/13

bei uns veröffentlicht am18.03.2013

Tenor

Die Beschwerdesache wird dem Landgericht Ellwangen zurückgegeben.

Gründe

 
I.
Mit Beschluss vom 11. Januar 2013 ordnete das Amtsgericht Ellwangen den Gewahrsam des Betroffenen bis 6:00 Uhr dieses Tages gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW an, weil er in angetrunkenem Zustand (AAK um 0:27 Uhr: 0,96 mg/l) auf seinen Vermieter einschlug und von der herbeigerufenen Polizei nicht zu beruhigen war, so dass eine Anhörung nicht durchgeführt werden konnte. Aufgrund des Verhaltens des Betroffenen stand zu befürchten, dass es weitere Aggressionen geben werde, weswegen er in Gewahrsam zu nehmen war.
Gegen die dem Betroffenen am 12. Januar 2013 zugestellte Entscheidung hat er am 31. Januar 2013 Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung im einzelnen verwiesen wird.
Das Amtsgericht hat nicht abgeholfen und die Akte am 13. Februar 2013 dem Landgericht Ellwangen zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerdesache mit Beschluss vom 26. Februar 2013, Az. 1 T 47/13 an das Oberlandesgericht Stuttgart abgegeben.
II.
Das Oberlandesgericht ist nicht zur Entscheidung über die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss berufen, der eine Gewahrsamsanordnung nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW zum Gegenstand hat.
Nach der seit 1. Januar 2013 geltenden Fassung des § 28 Abs. 4 S. 2 PolG BW gelten für das Verfahren der richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam durch das Amtsgericht gemäß § 28 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 PolG BW die Vorschriften des Buches 1 Abschnitte 1 bis 3 sowie 6, 7 und 9 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), soweit nichts anderes bestimmt ist. Zweck der Gesetzesänderung sollte eine „Optimierung der verfahrensrechtlichen Vorschriften“ sein.
Den Gesetzesmaterialien ist weiter zu entnehmen (vgl. Landtags-Drucksache 15/2434 vom 2. Oktober 2012, S. 33), dass durch die Klarstellung in § 28 Abs. 4 S. 2 PolG BW, wonach sich die Verweisung nur auf die Abschnitte 1 bis 3 sowie 6, 7 und 9 im Buch 1 (Allgemeiner Teil) des FamFG und nicht auch auf die im Buch 7 (§§ 415 bis 432 FamFG) enthaltenen speziellen Regelungen betreffend das Verfahren in Freiheitsentziehungssachen bezieht, den Gerichten bei der Gestaltung des konkreten Verfahrens eine größere Flexibilität ermöglicht werden sollte. Anhaltspunkte dafür, dass zur Optimierung des Verfahrens auch eine Änderung des Rechtsmittelzugs beabsichtigt war, sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
Zwar ist bereits der Bundesgesetzgeber von dem Erfordernis einer ausdrücklichen Verweisung im Landesrecht auf die Vorschriften über das Verfahren in Freiheitsentziehungssachen, insbesondere in den Polizeigesetzen der Länder (vgl. Bundestags-Drucksache 16/6308 vom 7. September 2007, S. 290/291) ausgegangen. Dass es einer entsprechenden Verweisung auf die Verfahrensvorschriften des FamFG bedarf, damit diese anwendbar sind, wurde auch vom Bundesgerichtshof für § 22 des Sächsischen PolG entschieden (Beschluss vom 7. Dezember 2010, Az. StB 21/10, veröff. u.a. in NJW 2011, 690; vgl. hierzu: Budde in Keidel, FamFG, 17. Auflage 2011, § 415 FamFG Rn. 1-2; Jennissen in Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage 2011, § 415 FamFG Rn. 5).
Soweit der Wegfall der früheren Verweisung auf das FamFG in seiner Gesamtheit und damit auch auf die §§ 415 ff. FamFG (Buch 7) eine Änderung der Zuständigkeit des Landgerichts für das Beschwerdeverfahren (§§ 23 a Abs. 2 Nr. 6, 72 Abs. 1 S. 2 GVG) zur Folge haben sollte, wie das Landgericht Ellwangen meint, wäre dies nur durch ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers erklärbar. Hätte der Gesetzgeber im Zuge der Änderung des Polizeigesetzes auch den Rechtsmittelzug für Freiheitsentziehungsmaßnahmen nach § 28 PolG BW ändern wollen, hätte es nahe gelegen, dies wenigstens in der Gesetzesbegründung zu erwähnen. Dies insbesondere deshalb, weil ein unterschiedlicher Rechtmittelzug gegenüber in der Sache vergleichbaren Freiheitsentziehungsmaßnahmen nach dem Bundespolizeigesetz geschaffen worden wäre (§ 40 Abs. 2 BPolG: Beschwerdeinstanz Landgericht), für den es keinen nachvollziehbaren Grund gäbe, da die Ausgangsentscheidung in beiden Fällen dem Amtsgericht obliegt.
Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass es nach dem Willen des Landesgesetzgebers für freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 28 PolG BW bei der Beschwerdezuständigkeit der Landgerichte bleiben soll.

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 415 Freiheitsentziehungssachen


(1) Freiheitsentziehungssachen sind Verfahren, die die auf Grund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist. (2) Eine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn einer Per

Bundespolizeigesetz - BGSG 1994 | § 40 Richterliche Entscheidung


(1) Wird eine Person auf Grund des § 23 Abs. 3 Satz 4, § 25 Abs. 3, § 39 Abs. 1 oder 2 oder § 43 Abs. 5 festgehalten, hat die Bundespolizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizufü

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Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Dez. 2010 - StB 21/10

bei uns veröffentlicht am 07.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 21/10 vom 7. Dezember 2010 in der Freiheitsentziehungssache BetroffenerundAntragsteller, Verfahrensbevollmächtigte: Beteiligte: hier: Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Der 3. Strafsenat des Bund

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 21/10
vom
7. Dezember 2010
in der Freiheitsentziehungssache
BetroffenerundAntragsteller,
Verfahrensbevollmächtigte:
Beteiligte:
hier: Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2010 beschlossen
:
Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die
Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig
vom 17. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene wurde am 17. Oktober 2009 in Leipzig in Gewahrsam genommen. Mit Beschluss vom selben Tage ordnete das Amtsgericht Leipzig nach § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 7, 8 SächsPolG Polizeigewahrsam bis längstens 18. Oktober 2009, 8.00 Uhr, an. Der Betroffene wurde noch am 17. Oktober 2009 entlassen. Seine Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung hat das Landgericht Leipzig mit Beschluss vom 17. Juni 2010 zurückgewiesen. Der Betroffene will hiergegen Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof erheben und beantragt, ihm hierfür Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

II.

2
Der Antrag dringt nicht durch. Eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach den allein in Betracht kommenden §§ 70 ff. des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat keine Aussicht auf Erfolg; denn diese Vorschriften finden hier keine Anwendung. Das beabsichtigte Rechtsmittel ist deshalb nicht statthaft. Im Einzelnen:
3
1. Die §§ 70 ff. FamFG gelten als im Allgemeinen Teil dieses Gesetzes enthaltene Vorschriften zunächst für die in den weiteren Büchern des FamFG näher geregelten Verfahren und für alle weiteren Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit diese durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen sind (§ 1 FamFG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es handelt sich insbesondere nicht um eine Freiheitsentziehungssache nach den §§ 415 ff. FamFG. Freiheitsentziehungssachen in diesem Sinne sind Verfahren, die eine aufgrund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist (§ 415 Abs. 1 FamFG). Rechtsgrundlage der Maßnahme gegen den Betroffenen ist jedoch § 22 SächsPolG und damit eine landesgesetzliche Bestimmung.
4
2. Die §§ 70 ff. FamFG finden auch nicht aufgrund einer entsprechenden Regelung in den maßgebenden landesgesetzlichen Vorschriften Anwendung. Will der Landesgesetzgeber bestimmen, dass auf das gerichtliche Verfahren der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit über eine polizeirechtliche Freiheitsentziehung , das er in Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Amtsgerichten erstinstanzlich übertragen hat, die Verfahrensvorschriften des FamFG Anwendung finden sollen, so bedarf es einer entsprechenden Verweisung auf dieses Gesetz (BT-Drucks. 16/6308 S. 291; Heinze in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 415 Rn. 2). Eine derartige Regelung ist § 22 SächsPolG nicht zu entnehmen.
5
§ 22 Abs. 8 Satz 2 SächsPolG in der bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung gültigen Fassung ordnet vielmehr an, dass sich das Verfahren nach den Vorschriften des zum 1. September 2009 außer Kraft getretenen Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 (FEVG) richtet. Dieses trifft in den §§ 4 ff. FEVG Bestimmungen über das Verfahren und ordnet nach § 3 FEVG die ergänzende Geltung des ebenfalls seit dem 1. September 2009 nicht mehr gültigen Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) an. Der dort geregelte Instanzenzug unterscheidet sich wesentlich von den diesbezüglichen neuen Regelungen des FamFG; er sieht insbesondere eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht vor. Nach § 27 FGG ist gegen die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts vielmehr das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zulässig, über das nach § 28 Abs. 1 FGG allerdings nicht der Bundesgerichtshof, sondern das Oberlandesgericht zu entscheiden hat. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs kann sich nicht aufgrund eines weiteren Rechtsmittels durch den Betroffenen, sondern allenfalls nach einer Vorlage durch das Oberlandesgericht gemäß § 28 Abs. 2 FGG ergeben, wenn dieses von der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs oder derjenigen eines anderen Oberlandesgerichts abweichen will (sog. Divergenzvorlage).
6
Die Untätigkeit des Landesgesetzgebers nach Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 ist zwar nicht dahin zu interpretieren, dass nunmehr die Grundregel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gelten und die Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über die Rechtsmittel gegen eine Ingewahrsamnahme nach § 22 SächsPolG zuständig sein sollen. Hiergegen spricht schon § 22 Abs. 8 Satz 1 SächsPolG, der für die Anordnung der Maßnahme ausdrücklich die Zuständigkeit des Amtsgerichts vorsieht.
7
Die in § 22 Abs. 8 Satz 2 SächsPolG enthaltene Verweisung auf das FEVG kann aber - obwohl der jeweilige Regelungsgehalt des FEVG sowie des FGG nunmehr Gegenstand des FamFG ist - nicht als "dynamische" Verweisung auf das FamFG einschließlich der Regelungen über die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof verstanden bzw. in diesem Sinne "korrigierend" ausgelegt werden (aA Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 415 Rn. 1; Bohnert in Beck OK FamFG § 415 Rn. 4). Einer derartigen Interpretation steht zum einen der eindeutige Wortlaut des § 22 Abs. 8 Satz 2 SächsPolG entgegen. Zum anderen ist der Vorschrift trotz des Zusatzes, wonach das FEVG "in der jeweils geltenden Fassung" Anwendung finden soll, ein Wille des Landesgesetzgebers dahin, dass die Verfahrensvorschriften des nunmehr gültigen FamFG einschließlich der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof anwendbar sein sollen, jedenfalls nicht in der gebotenen Klarheit zu entnehmen. Dagegen spricht schon, dass der Landesgesetzgeber u.a. auch die Möglichkeit hat, für das Verfahren zwar auf das FamFG zu verweisen, die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde aber von der Verweisung auszunehmen mit der Folge, dass der Bundesgerichtshof mit den landesrechtlichen Freiheitsentziehungsverfahren nicht befasst werden kann. Von dieser Gestaltungsmöglichkeit hat etwa der Freistaat Bayern in § 18 Abs. 3 PAG Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund verbietet sich ohne ausdrückliche diesbezügliche Änderung des § 22 Abs. 8 SächsPolG die Annahme, der Wille des sächsischen Landesgesetzgebers gehe dahin, im Gegensatz zur früheren Rechtslage den Instanzenzug wesentlich umzugestalten und das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen. Eine derartig grundlegende Änderung im Vergleich zur früheren Rechtslage bedarf vielmehr einer ausdrücklichen, an die neue bundesrechtliche Gesetzeslage angepassten Bestimmung.
8
Nach alldem muss es hier bei der in § 22 Abs. 8 Satz 2 SächsPolG vorgesehenen , gesetzestechnisch möglichen Fortgeltung der Verfahrensvorschriften des FEVG bzw. FGG verbleiben. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Freiheitsentziehungssachen sind Verfahren, die die auf Grund von Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehung betreffen, soweit das Verfahren bundesrechtlich nicht abweichend geregelt ist.

(2) Eine Freiheitsentziehung liegt vor, wenn einer Person gegen ihren Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit insbesondere in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, die Freiheit entzogen wird.

(1) Wird eine Person auf Grund des § 23 Abs. 3 Satz 4, § 25 Abs. 3, § 39 Abs. 1 oder 2 oder § 43 Abs. 5 festgehalten, hat die Bundespolizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, es sei denn, die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung würde voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen, als zur Durchführung der Maßnahme notwendig wäre.

(2) Für die Entscheidung nach Absatz 1 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Das Verfahren richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

(3) Im Fall des § 39 Abs. 4 hat die ersuchende Behörde der Bundespolizei mit dem Ersuchen auch die richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung vorzulegen. Ist eine vorherige richterliche Entscheidung nicht ergangen, hat die Bundespolizei die festgehaltene Person zu entlassen, wenn die ersuchende Behörde diese nicht übernimmt oder die richterliche Entscheidung nicht unverzüglich nachträglich beantragt.