Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12

bei uns veröffentlicht am29.02.2012

Gericht

Oberlandesgericht Stuttgart

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 16. November 2011 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 80,-- EUR. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am … um … Uhr mit seinem Pkw in … die Straße … in Richtung ….
Hierbei überschritt er fahrlässig die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h. Dies wurde mit dem Überwachungsgerät Poliscan Speed festgestellt, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handele. Im Zeitpunkt der Messung sei das Gerät gültig geeicht gewesen. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Das Messgerät sei nicht gültig geeicht gewesen, weshalb kein standardisiertes Messverfahren vorliege. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.
Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen als denen über das Verfahren zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 OWiG) und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80 a Abs. 3 OWiG).
II.
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
Der Einwand des Betroffenen, es handle sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren, da das Messgerät zur Tatzeit nicht gültig geeicht gewesen sei, greift nicht durch.
1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts teilte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) der Eichdirektion Hessen am 29. Juni 2010 mit, die Prüfungen der neuen Softwareversion 1.5.5 seien erfolgreich abgeschlossen, weshalb der Zulassung dieser Software seitens der PTB nichts im Wege stehe. Die Zulassung werde in den nächsten Tagen erfolgen. Die Eichdirektion erstellte am 15. Juli 2010 für das Gerät den Eichschein, mit dem die Eichung vom Vortage mit einer Eichgültigkeit bis Ende 2011 bescheinigt wurde. Die schriftliche Bauartzulassung des Messgerätes mit der neuen Softwareversion durch die PTB erfolgte am 21. Juli 2010. Das Amtsgericht geht davon aus, die Software sei vor der schriftlichen Bauartzulassung vom 21. Juli 2010 zuvor mündlich zugelassen worden, sodass der Eichschein am 15. Juli 2010 hätte erteilt werden dürfen.
Der Betroffene hält dieses Verfahren für unzulässig. Bei der innerstaatlichen Zulassung eines Messgerätes handle es sich um einen förmlichen Zulassungsakt, der nicht durch eine mündliche Mitteilung der PTB ersetzt werden könne. Die Wertung des Amtsgerichts, das Messgerät sei im Zeitpunkt der Messung gültig geeicht gewesen, weshalb ein standardisiertes Messverfahren vorliege, sei deshalb unrichtig.
2. Messgeräte, die im Verkehrswesen verwendet werden, müssen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 EichG zugelassen und geeicht sein. Andernfalls dürfen sie für die Überwachung des Straßenverkehrs nicht verwendet werden (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EichG). Ein Gerät ist nur dann eichfähig, wenn seine Bauart durch die PTB zugelassen ist (§ 14 a Abs. 1 EichO), wobei die innerstaatliche Bauartzulassung die Zulassung von Messgerätebauarten zur innerstaatlichen Eichung darstellt (§ 16 Abs. 1 EichO). Somit setzt die Eichung des Geräts voraus, dass seine Bauart zuvor zugelassen worden ist. Genügt die Bauart den Anforderungen an die Zulässigkeitsprüfung, erteilt die PTB einen Zulassungsschein (§ 19 Abs. 1 Satz 1 EichO). Hieraus ergibt sich, dass die Bauartzulassung schriftlich zu erfolgen hat. Deshalb kann der Ansicht des Amtsgerichts, diese sei mündlich erfolgt, nicht gefolgt werden. Der Eichschein hätte nicht schon am 15. Juli 2010 ausgestellt werden dürfen, da der Zulassungsschein noch nicht vorlag.
Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass damit kein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (St 39, 291) vorliegt. Im Zeitpunkt der Erteilung des Eichscheines waren die technischen Prüfungen durch die PTB abgeschlossen. Es stand fest, dass das Überwachungsgerät mit der neuen Softwareversion zugelassen würde. Die schriftliche Zulassung erfolgte dann auch knapp eine Woche nach Ausstellung des Eichscheines. Deshalb kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Gerät den Anforderungen der Technik entsprach. Es ist unschädlich, dass die schriftliche Bauartzulassung am Tag der Ausstellung des Eichscheines noch nicht vorlag. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Eichgesetzes, die Messsicherheit zu gewährleisten und das Vertrauen in amtliche Messungen zu stärken (§ 1 Nr. 2 und 3 EichG). Dieser Zweck wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Zulassungsschein erst eine Woche nach der Eichung vorlag.
10 
Darüber hinaus hat nach h. M. (OLG Jena VRS 115, 431 [435]; OLG Köln VRS 101, 140; a. A. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rn. 660) ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EichG nicht zur Folge, dass die Messung im Bußgeldverfahren unverwertbar ist. Vielmehr ist lediglich ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Dies zeigt, dass für das Bußgeldverfahren die materielle Richtigkeit der Messung maßgebend ist. Wenn schon keine Unverwertbarkeit in dem Fall angenommen wird, in dem überhaupt keine Eichung vorliegt, so kann in Fällen wie dem vorliegenden, in dem feststeht, dass die Bauart zugelassen wird, aber der Zulassungsbescheid erst wenige Tage nach der Eichung vorliegt, erst recht von einer uneingeschränkten Verwertbarkeit ausgegangen werden. Eines Sicherheitsabschlages bedarf es nicht, da die Eichung materiell richtig war. Deshalb liegt trotz des formalen Mangels bei der Eichung ein standardisierten Messverfahren vor. Im Übrigen hätte der formale Mangel mit der erneuten Erteilung eines gleichlautenden Eichscheins nach Vorliegen der schriftlichen Bauartzulassung geheilt werden können.
11 
Anders als im Fall des OLG Bamberg (NZV 2009, 249) besteht keine Veranlassung, das Verfahren gem. § 47 OWiG einzustellen. In jenem Verfahren lag ein formaler Mangel der Nichteichbarkeit von Fahrzeugen vor, die zur Geschwindigkeitsüberwachung mit dem Messsystem ProViDa 2000 eingesetzt waren. Deshalb sei die Verwertbarkeit des Messergebnisses ernsthaft in Frage gestellt. Dies kann vorliegend jedoch in keiner Weise angenommen werden.
12 
Das Amtsgericht ist deshalb zurecht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen. Seine Feststellungen sind ausreichend, so dass die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen ist.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12

Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12 zitiert 4 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 80 Zulassung der Rechtsbeschwerde


(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist, 1. die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Abs

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 47 Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten


(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen. (2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht fü

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 29. Feb. 2012 - 4 Ss 39/12.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 05. März 2015 - 8 B 1213/14

bei uns veröffentlicht am 05.03.2015

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 24. September 2014 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah

Referenzen

(1) Das Beschwerdegericht läßt die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 2 auf Antrag zu, wenn es geboten ist,

1.
die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, soweit Absatz 2 nichts anderes bestimmt, oder
2.
das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

(2) Die Rechtsbeschwerde wird wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts zugelassen, wenn

1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt oder eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art angeordnet worden ist, deren Wert im Urteil auf nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt worden ist, oder
2.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder im Strafbefehl eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war.

(3) Für den Zulassungsantrag gelten die Vorschriften über die Einlegung der Rechtsbeschwerde entsprechend. Der Antrag gilt als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde. Die Vorschriften über die Anbringung der Beschwerdeanträge und deren Begründung (§§ 344, 345 der Strafprozeßordnung) sind zu beachten. Bei der Begründung der Beschwerdeanträge soll der Antragsteller zugleich angeben, aus welchen Gründen die in Absatz 1 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. § 35a der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(4) Das Beschwerdegericht entscheidet über den Antrag durch Beschluß. Die §§ 346 bis 348 der Strafprozeßordnung gelten entsprechend. Der Beschluß, durch den der Antrag verworfen wird, bedarf keiner Begründung. Wird der Antrag verworfen, so gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.

(5) Stellt sich vor der Entscheidung über den Zulassungsantrag heraus, daß ein Verfahrenshindernis besteht, so stellt das Beschwerdegericht das Verfahren nur dann ein, wenn das Verfahrenshindernis nach Erlaß des Urteils eingetreten ist.

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

(2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn durch den Bußgeldbescheid eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.