Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 21. März 2016 - 2 Ws (Reh) 8/16
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Dezember 2015 aufgehoben.
2. Die Einweisung und Unterbringung der Betroffenen in den Jugendwerkhof "C." in U. wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.
3. Die zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung dauerte vom 19. April 1988 bis zum 18. Oktober 1989.
4. Sich aus der Entscheidung ergebende Ansprüche können bei dem
Landesverwaltungsamt
Referat Vorsorgerecht
Soziales Entschädigungsrecht
Hauptfürsorgestelle
Maxim Gorki Straße 7
06114 Halle (Saale)
geltend gemacht werden.
5. Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt für beide Instanzen die Landeskasse.
Gründe
I.
- 1
Das Landgericht Halle hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Dezember 2015 den Antrag der Betroffenen, sie wegen der Einweisung in den Jugendwerkhof "C. " in U. in der Zeit vom 19. April 1988 bis zum 18. Oktober 1989 zu rehabilitieren, als unbegründet zurückgewiesen.
- 2
Hiergegen richtet sich ihre rechtzeitige Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, diese als unbegründet zu verwerfen.
II.
- 3
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
- 4
Behördliche Entscheidungen der ehemaligen DDR über eine Heimunterbringung unterliegen der strafrechtlichen Rehabilitierung, wenn sie der politischen Verfolgung bzw. sonst sachfremden Zwecken gedient haben oder die angeordneten Rechtsfolgen in einem groben Missverhältnis zu dem zugrunde liegenden Anlass stehen (§§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 StrRehaG). Dabei bedarf der Gesichtspunkt des freiheitsentziehenden Charakters einer solchen Maßnahme nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keiner gesonderten Überprüfung, denn hierfür streitet gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG eine gesetzliche Vermutung (ständige Rechtsprechung des Senates; vgl. auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 17. Januar 2012 - 1 Ws Reha 50/11, zit. nach juris).
- 5
Dies zugrunde gelegt erweist sich die Entscheidung, die Betroffene in einen Jugendwerkhof einzuweisen, als unverhältnismäßig.
- 6
Wie der Senat bereits entschieden hat (Senat, Beschl. v. 3. Dezember 2015 - 2 Ws(Reh) 45/15 - juris -, seitdem ständige Rechtsprechung des Senates) ist die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime der Jugendhilfe in der Regel unverhältnismäßig. Der mit den Spezialheimen verfolgte Zweck der Umerziehung und der in diesen Heimen stets mit schweren Menschenrechtsverletzungen durchgeführte Umbau der Persönlichkeit ist allenfalls zu rechtfertigen, wenn die Eingewiesene zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat (Senat, a.a.O.).
- 7
Diese Voraussetzungen erfüllt das Verhalten der Antragstellerin nicht. Sie war weder straffällig noch gemeingefährlich. Die Einweisungsverfügung des Rates des Kreises Q. vom 25. Februar 1988 gibt als Begründung für die Einweisung der Betroffenen an, dass diese erhebliche Erziehungsprobleme aufweise und seit mehreren Jahren mehrfach unentschuldigt der Schule ferngeblieben sei. Aus dem Zeugnis des 1. Halbjahres des Schuljahres 1987/1988 ergebe sich, dass keine Zensuren hätten erteilt werden können, da die Betroffene lediglich an 18 Tagen die Schule besucht habe. Die Mutter sei mit der Erziehung der Betroffenen völlig überfordert und der Vater nehme keine Erziehungsaufgaben war.
- 8
Dies rechtfertigt die Einweisung in einen Jugendwerkhof nicht. Bei der geschilderten "Schulbummelei" dürfte es sich um "normale" Schwierigkeiten eines sich in der Pubertät befindlichen Mädchens gehandelt haben. Eine aufgrund der familiären Situation (möglicherweise) angezeigten Erziehung in einen Normalheim wurde noch nicht einmal versucht.
III.
- 9
Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 StrRehaG, die Auslagenentscheidung aus § 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StrRehaG i.V.m. § 473 StPO.
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(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.
(2) Der Freiheitsentziehung werden Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen gleichgestellt.
(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.
(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.
(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.
(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.