Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 23. Mai 2017 - 2 Ws (Reh) 16/17

published on 23/05/2017 00:00
Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 23. Mai 2017 - 2 Ws (Reh) 16/17
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Gericht

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Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 15. März 2017 insoweit aufgehoben, als der Antrag des Betroffenen auf Rehabilitierung bezüglich der Einweisung und Unterbringung in den Durchgangskinderheimen "G. " in H. und dem in E. und im Spezialkinderheim "N. " in W. bis zum 21. März 1968 zurückgewiesen worden ist.

2. Die Einweisungen und Unterbringung des Betroffenen in den Durchgangskinderheimen "G. " in H. und dem in E. und im Spezialkinderheim "N. " in W. werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

3. Die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung dauerte vom 20. November 1964 bis 21. März 1968.

4. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

5. Sich aus der Entscheidung ergebende Ansprüche können bei dem Landesverwaltungsamt Referat Vorsorgerecht Soziales Entschädigungsrecht, Hauptfürsorgestelle, Maxim-Gorki-Straße 7, 06114 Halle (Saale) geltend gemacht werden.

6. Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt für beide Instanzen die Landeskasse.

Gründe

I.

1

Das Landgericht Halle hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. März 2017 den Antrag des Betroffenen auf Rehabilitierung bezüglich seiner Einweisungen und Aufenthalte in Durchgangskinderheimen in H. und E. und im Spezialheim "N. " in W. im Zeitraum vom 20. November 1964 bis 21. März 1969 als unbegründet zurückgewiesen.

2

Hiergegen richtet sich seine rechtzeitige Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, diese als unbegründet zu verwerfen.

II.

3

Die Beschwerde ist zulässig und größtenteils begründet.

4

1. Behördliche Entscheidungen der ehemaligen DDR über eine Heimunterbringung unterliegen der strafrechtlichen Rehabilitierung, wenn sie der politischen Verfolgung bzw. sonst sachfremden Zwecken gedient haben oder die angeordneten Rechtsfolgen in einem groben Missverhältnis zu dem zugrunde liegenden Anlass stehen (§§ 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 StrRehaG). Dabei bedarf der Gesichtspunkt des freiheitsentziehenden Charakters einer solchen Maßnahme nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keiner gesonderten Überprüfung, denn hierfür streitet gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG eine gesetzliche Vermutung (ständige Rechtsprechung des Senates; vgl. auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 17. Januar 2012 - 1 Ws Reha 50/11, zit. nach juris).

5

Dies zugrunde gelegt erweist sich die Entscheidung, den Betroffenen in Durchgangskinderheime und ein Spezialkinderheim einzuweisen, als unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Aufenthalte in den Durchgangskinderheimen ergibt sich dies schon aus der Dauer der Aufenthalte. Diese waren auch nach DDR-Recht nicht auf die dauerhafte Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ausgelegt. Zu Recht weist die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers darauf hin, dass - nach wissenschaftlicher Einschätzung - ein Schutz oder die Förderung der Kinder und Jugendlichen hier nicht gewährleistet war. Dies führt zu der Einschätzung des Senates, dass mit der Einweisung und dem lang andauernden Verbleib des Betroffenen in den Durchgangsheimen sachfremde Zwecke verfolgt worden sind und sich die Einweisung und der Verbleib hier - ebenso wie im Spezialkinderheim - als unverhältnismäßig erweist.

6

Wie der Senat bereits entschieden hat (bspw. Senat, Beschl. v. 21. März 2016 2015 - 2 Ws (Reh) 8/16, ständige Rechtsprechung des Senates), ist die Einweisung von Kindern und Jugendlichen in Spezialheime der Jugendhilfe in der Regel unverhältnismäßig. Der mit den Spezialheimen verfolgte Zweck der Umerziehung und der in diesen Heimen stets mit schweren Menschenrechtsverletzungen durchgeführte Umbau der Persönlichkeit ist allenfalls zu rechtfertigen, wenn der Eingewiesene zuvor durch massive Straffälligkeit aufgefallen ist oder sich gemeingefährlich verhalten hat (Senat, a. a. O.).

7

Diese Voraussetzungen erfüllt das Verhalten des Antragstellers nicht. Er war weder straffällig noch gemeingefährlich. Die Einweisungsverfügung des Rates des Kreises B. vom 30. November 1964 gibt als Begründung für die Einweisung an, dass die Kindeseltern nach Auffassung der Einweisungsbehörde gröblich ihre Erziehungspflichten verletzt haben, was zu Schulbummelei, Verwahrlosung und Herumstrolcherei des Betroffenen geführt habe.

8

Dies rechtfertigt die Einweisungen in Durchgangsheime und in das Spezialkinderheim nicht; diese sind unverhältnismäßig. Eine Erziehung in einen Normalheim wurde noch nicht einmal versucht.

9

2. Unbegründet ist die Beschwerde jedoch, soweit der Antragsteller seine Rehabilitierung für den Aufenthalt im Spezialheim "N. " in W. bis zum 21. März 1969 begehrt. Der Antragsteller hat in seinem Antrag vom 12. August 2009 selbst angegeben, im Jahr 1968 entlassen worden zu sein. Dies deckt sich mit der Auskunft des Landratsamtes W. Kreis vom 5. Januar 2010, wonach der Betroffene vom 3. Oktober 1966 bis 21. März 1968 im Spezialkinderheim W. , Kreis S. , gemeldet war. Der Senat geht deshalb von einer Entlassung im Jahr 1968 aus.

10

3. Die zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung dauerte vom 20. November 1964 bis 21. März 1968. Der Senat hält insoweit die Angaben des Betroffenen, 10 Tage vor der offiziellen Einweisungsverfügung des Rates des Kreises B. vom 30. November 1964 bereits in das Durchgangsheim "G. " in H. eingewiesen worden zu sein, für glaubhaft.

III.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 StrRehaG, die Auslagenentscheidung aus § 14 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 StrRehaG i. V. m. § 473 StPO.


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(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. (2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragsteller

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt insbesondere für ein
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published on 21/03/2016 00:00

Tenor 1. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 28. Dezember 2015 aufgehoben. 2. Die Einweisung und Unterbringung der Betroffenen in den Jugendwerkhof "C." in U. wird für rechtsstaatswidrig erklärt und
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Annotations

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene gerichtliche oder behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, entsprechende Anwendung. Dies gilt insbesondere für eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt sowie eine Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.

(2) Der Freiheitsentziehung werden Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen gleichgestellt.

(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.

(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.

(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.

(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.