Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 29. Juli 2010 - 10 W 90/09

Gericht
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Deassau-Roßlau vom 20. November 2009 - Az: 4 O 622/09- abgeändert:
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen die Richterin am Landgericht K. wird für begründet erklärt.
Gründe
I.
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In dem dem Ablehnungsgesuch zugrunde liegenden Verfahren nimmt der Kläger die Beklagte vor dem Landgericht Dessau-Roßlau auf Vorschusszahlung in Höhe von 64.500,00 € für Mängelbeseitigungskosten an seinem Haus aus eigenem und abgetretenem Recht in Anspruch genommen. Zur Entscheidung ist die Einzelrichterin K. der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau berufen.
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Dem Verfahren vorausgegangen war ein Rechtsstreit vor derselben Richterin, in dem die hiesige Beklagte von einem Dritten in Anspruch genommen worden war. Das Verfahren wurde vor dem Landgericht Dessau-Roßlau unter dem Aktenzeichen 4 O 885/07 geführt. Dort war mit Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 14. Januar 2008 ein Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen die Richterin am Landgericht K. für begründet erklärt worden, nachdem sich die Richterin am 12. November 2007 - wegen der in einem weiteren Verfahren - 4 O 1540/04 - von der Beklagten, die dort als Klägerin auftrat, in einer Dienstaufsichtsbeschwerde erhobenen Vorwürfe der Rechtsbeugung - für befangen erklärt hatte. In der Begründung hieß es, die im Verfahren 4 O 1540/04 von der Beklagten an der Richterin geäußerte Kritik sei verunglimpfend gewesen und habe das Maß dessen, was ein Richter bei der Ausübung seines Amtes ohne Beeinträchtigung seiner Unbefangenheit ertragen müsse, überstiegen.
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Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2009 hat die Beklagte die Richterin am Landgericht K. wegen der Besorgnis der Befangenheit auch im hiesigen Verfahren abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Richterin habe sich damals derart persönlich und massiv angegriffen gefühlt, dass davon auszugehen sei, diese Verletztheit bestehe fort. Die klageabweisende Entscheidung der abgelehnten Richterin in der Sache 4 O 1540/04 habe sich im Berufungsverfahren, das mit einem für die hiesige Beklagte günstigen Vergleich geendet habe, auch als materiell-rechtlich unzutreffend dargestellt.
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Die Richterin hat sich am 20. Oktober 2009 dienstlich dahin geäußert, bei der Terminierung der Güteverhandlung und eines möglichen frühen ersten Termins die Parteibezeichnung der Beklagten übersehen zu haben. Sie erkläre sich wegen der im Verfahren 4 O 1540/04 von der hiesigen Beklagten erhobenen schwerwiegenden persönlichen und völlig unbegründeten Verdächtigungen gegen ihre Person für befangen. Auf die dienstliche Äußerung wird Bezug genommen (Bl. 16 d.BH). Mit Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 20. November 2009 wurde das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Gründe dafür, dass die Verletztheit der Richterin fortbestehe, seien auch im Hinblick auf den Zeitablauf, den veränderten Prozessstoff und die teilweise unterschiedlichen Parteien nicht ersichtlich. Die für die Beklagte ungünstige Entscheidung der abgelehnten Richterin in dem vorangegangenen Verfahren 4 O 1540/04 rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit nicht.
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Gegen den ihr am 3. Dezember 2009 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 11. Dezember 2009 bei dem Oberlandesgericht Naumburg sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Richterin hätte sich nach dem Inhalt ihrer dienstlichen Äußerung selbst sofort für befangen erklärt, hätte sie nicht die Parteibezeichnung der Beklagten überlesen. Da die Richterin sich selbst nach wie vor für befangen halte, sei die Besorgnis der Befangenheit begründet.
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Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau hat nicht über eine Abhilfe entschieden.
II.
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Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 2. Alternative, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 569 Abs. 1 ZPO eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet. Das Beschwerdegericht kann im Interesse der Prozessökonomie, nachdem die Beschwerdeschrift sogleich beim Rechtsmittelgericht eingelegt worden war, hier auch trotz unterbliebener Abhilfeentscheidung des Landgerichts gemäß § 572 Abs. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden (vgl. bei fehlerhaftem Abhilfeverfahren: BGH, Beschluss vom 21.12.2006, Az: IX ZB 81/06, ZIP 2007, 188; Zöller-Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 572, RN 4).
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Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen die Richterin am Landgericht K. zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen. Die von der Beklagten vorgebrachten Ablehnungsgründe sind unter Berücksichtigung des Inhalts der dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin vom 20. Oktober 2009 geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der abgelehnten Richterin zu begründen.
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Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Ob der abgelehnte Richter wirklich befangen ist, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung genügend objektive Gründe vorliegen, die die Befürchtung wecken können, der Richter stehe dem Rechtsstreit nicht mehr unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BVerfGE 82, 30, 37; BGHZ 77, 70, 72; BGH NJW-RR 2003, 1220, 1221; BGH NJW 2004, 164; Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 ZPO RN 9). Es kommt darauf an, ob die vorgetragenen und nach § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemachten Tatsachen nach Meinung einer ruhig und besonnen urteilenden Partei geeignet erscheinen, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Richters zu begründen.
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Gemessen an diesen Maßstäben liegen hier bei objektiver Betrachtung hinreichende Gründe dafür vor, an der gebotenen Objektivität und Neutralität der abgelehnten Richterin ernstlich zu zweifeln. Zwar begründet das eigene Verhalten einer einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnenden Partei als solches noch keinen Ablehnungsgrund, da anderenfalls die Partei einen ihr unbequemen Richter durch Dienstaufsichtsbeschwerden, Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung, häufige Ablehnungsgesuche oder dergleichen regelmäßig aus Verfahren drängen könnte (vgl. Zöller-Voll-kommer, a.a.O., § 42, RN 29). Der gesetzliche Richter aber darf gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG niemandem entzogen werden.
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Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Richter sich für unbefangen hält (BVerfG, Beschluss vom 15.09.1998, Az: 2 BvE 2/93, 2 BvE 5/95, 2 BvE 1/96, 2 BvE 3/97, BVerfGE 99, 56; BVerfG Beschluss vom 12.07.1986, Az: 1 BvR 713/83, 1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85, BVerfGE 73, 335).
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Wenn aber ein Richter erklärt, er fühle sich in der Sache befangen, ist es auch bei objektiver Betrachtung nicht fernliegend, dass hierauf eine Partei besorgt, die Sicht des zur Entscheidung berufenen Richters sei eingeschränkt und er sei parteiisch. Das gilt erst recht, wenn die richterliche Erklärung, sich befangen zu fühlen, auf schwerwiegenden persönlichen Vorwürfen des Ablehnenden gründet.
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So liegt der Fall hier. Die abgelehnte Richterin hat sich in ihrer dienstlichen Äußerung vom 20. Oktober 2009 dahin erklärt, wegen der von der Beklagten in der Vergangenheit gegen sie erhobenen schwerwiegenden persönlichen und völlig unbegründeten Vorwürfe, befangen zu sein. Sie räumt mit dieser Erklärung ein, der Beklagten nicht unvoreingenommen gegenüber zu stehen. Hiernach hat die Beklagte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aufgrund des Inhalts dieser dienstlichen Äußerung der abgelehnten Richterin jedenfalls nunmehr Anlass, an der Unvoreingenommenheit dieser Richterin zu zweifeln. Die Sorge, ein Richter, der von sich selbst sagt, er sei in der Sache wegen vorangegangener schwerwiegender Vorwürfe gegen seine Person befangen, lasse es an der gebotenen Neutralität fehlen, ist bei objektiver Betrachtung begründet.
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Anders als in den Fällen grundloser richterlicher Selbstanzeigen gemäß § 48 ZPO, ist vorliegend zu entscheiden, ob eine Partei besorgen darf, ein Richter sei parteiisch, wenn er von sich selbst behauptet, nicht unvoreingenommen zu sein, nachdem ihm die Partei in der Vergangenheit schwerwiegende persönliche Vorwürfe gemacht hat. Auf den langen Zeitraum zwischen den Vorwürfen und der richterlichen Erklärung, befangen zu sein, kommt es dabei ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob die Richterin tatsächlich befangen ist oder ob es berechtigt erscheint, noch Jahre nach haltlosen Vorwürfen eine derartige Erklärung abzugeben. Allein entscheidend für die Frage der Begründetheit des Ablehnungsgesuches ist es, ob der Ablehnende danach die Befangenheit besorgen darf. Dies ist zu bejahen. Der Inhalt der dienstlichen Äußerung drängt einer besonnen urteilenden Prozesspartei zwangsläufig die Schlussfolgerung auf, die abgelehnte Richterin werde das Verfahren nicht mit der erforderlichen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit leiten können. Auf die übrigen geltend gemachten Ablehnungsgründe kommt es danach nicht mehr an.
III.
- 15
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde sind Kosten des Rechtsstreits. Eine Kostenerstattung findet insoweit nicht statt (vgl. Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 46, RN 20, m.w.N.)
- 16
gez. Göbel gez. Dr. Holthaus gez. Wolter

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(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Notfristen erhoben werden.
(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.
(3) Die Beschwerde kann auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn
(1) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. § 318 bleibt unberührt.
(2) Das Beschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Erachtet das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, so kann es dem Gericht oder Vorsitzenden, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, die erforderliche Anordnung übertragen.
(4) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch Beschluss.
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.
(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.
(1) Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.
(2) Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf die Partei nicht zugelassen werden. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden.
(3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.
(4) Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen.
Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht hat auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.