Oberlandesgericht München Hinweisbeschluss, 27. Feb. 2018 - 25 U 181/18, 25 W 221/18

bei uns veröffentlicht am27.02.2018

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.12.2017, Az. 12 O 9304/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Die Streitwertbeschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers erscheint bei vorläufiger Bewertung begründet.

3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

1. Das Landgericht hat die Klage ohne Rechtsfehler und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Dem Kläger stand bei Erklärung seines Widerspruchs erst im Jahr 2016 kein Widerspruchsrecht mehr zu. Er wurde mit Übermittlung des Versicherungsscheins vom 24.11.2004 formell und inhaltlich ordnungsgemäß belehrt und es ist davon auszugehen, dass er alle nach § 5a Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 VVG a.F. (vom 13.07.2001) erforderlichen Unterlagen erhalten hat, so dass die in der Belehrung auf Seite 2 des Versicherungsscheins genannte Widerspruchsfrist von 30 Tagen mit Erhalt der Unterlagen zu laufen begann.

Die Berufung wendet sich gegen die vom Landgericht bejahte inhaltliche Ordnungsmäßigkeit der Widerspruchsbelehrung allein deswegen, weil darin eine Widerspruchsfrist von 30 Tagen angegeben ist, wie sie für Lebensversicherungsverträge gemäß § 5a Abs. 1 Satz 2 VVG i.d.F. vom 02.12.2004 ab 08.12.2004 galt, während zur Zeit der Übersendung/ des Erhalts des Versicherungsscheins noch § 5a VVG i.d.F. vom 13.07.2001 in Kraft war, wonach die Frist auch für Lebensversicherungsverträge lediglich 14 Tage betrug.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger zu seinen Gunsten eingeräumte längere Frist - offenbar im Vorgriff auf die anstehende Gesetzesänderung - die Belehrung nicht fehlerhaft macht. Bereits in der im Urteil zitierten Entscheidung vom 16.12.2015, Az. IV ZR 71/14, Rn. 12, hat der Bundesgerichtshof inzident zum Ausdruck gebracht, dass die Einräumung einer längeren Frist nicht schadet, da sich der Versicherer ggf. daran festhalten lassen muss - auch wenn die Fallgestaltung dort eine etwas andere war. Darüber hinaus hat das OLG Köln mit Urteil vom 08.04.2016, Az. I-20 U 198/15, juris, ausdrücklich über eine Fallgestaltung wie hier im Sinne der Auffassung des Landgerichts und des Senats entschieden (vgl. juris Rn. 29). Der Bundesgerichtshof hat die dort zugelassene Revision unter Az. IV ZR 125/16 mit Beschlüssen vom 27.09.2016 und 17.11.2016 (ebenfalls veröffentlicht bei juris) zurückgewiesen. Im Revisionsverfahren stand nach der Begründung der Beschlüsse die hier betroffene Rechtsfrage offenbar gar nicht mehr im Streit, da diese Thematik nicht angesprochen wird. Im Übrigen wird angemerkt, dass bei einer solchen Belehrung entgegen der Auffassung der Berufung keine Verwirrung des Versicherungsnehmers zu befürchten ist. Die Belehrung beschreibt aus sich heraus, in sich abgeschlossen, eindeutig und klar das dem Versicherungsnehmer eingeräumte Widerspruchsrecht, dessen Fristbeginn und Dauer; eine erläuternde Verweisung auf gesetzliche Vorschriften enthält sie (insoweit zulässig) nur hinsichtlich § 10a VAG, hingegen weder allgemein noch speziell hinsichtlich § 5a VVG.

Die weiteren Ausführungen der Berufungsbegründung beziehen sich auf die Voraussetzungen einer etwaigen Verwirkung, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß belehrt wurde und daher besonders gravierende Umstände vorliegen müssen. Dies ist nach dem eben Gesagten - die Belehrung war ordnungsgemäß - nicht entscheidungserheblich.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

2. Die auf Erhöhung des Streitwerts gerichtete Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers, die diese zulässig aus eigenem Recht erhoben haben, dürfte im Ergebnis auch begründet sein. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist das zwar nicht dem Urteil des BGH vom 29.07.2015, Az. IV ZR 384/14, zu entnehmen - darin geht es um den materiellen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Nutzungen nach wirksamem Widerspruch, nicht um den Streitwert und die Frage, ob derartige Nutzungen gegebenenfalls als Hauptforderung oder als Nebenforderung im Sinne der §§ 4 ZPO, 43 Abs. 1 GKG einzuordnen sind. Ebensowenig kommt es darauf an, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch insgesamt beziffert wurde. Nebenforderungen werden auch dann nicht zur Hauptforderung, wenn sie im Klageantrag mit der Hauptforderung zu einem einheitlichen Betrag zusammengefasst werden (BGH NJW-RR 2000, 1015, Rn. 4 bei juris m.w.N.).

Der Senat teilt jedoch in der Sache nicht den Ausgangspunkt anderer Oberlandesgerichte (Celle und Karlsruhe in den im angefochtenen Streitwertbeschluss zitierten Entscheidungen, OLG Köln im Beschluss vom 28.01.2015, Az. 20 W 72/14, juris), dass in Fällen bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung nach Widerspruch gegen einen Lebensversicherungsvertrag der Anspruch auf Prämienrückgewähr die Hauptforderung, der auf Nutzungsersatz hingegen (stets) eine bloße Nebenforderung darstellt. Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 19.12.2016, Az. IX ZR 60/16, juris Rn. 3, zur Abgrenzung ausgeführt:

„Ob ein miteingeklagter Anspruch Nebenforderung ist, kann nur aus seinem Verhältnis zu dem als Hauptforderung in Betracht kommenden Anspruch heraus beurteilt werden. Zur Hauptforderung muss die Nebenforderung in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sie muss von ihr sachlich rechtlich abhängen. Sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht - auch im Hinblick auf ihre Entstehung - gleichrangig, so ist keine von ihnen Nebenforderung. Dabei kommt es auf dasjenige materielle Recht an, das für den jeweiligen Streitgegenstand maßgeblich ist (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - VI ZB 39/06, VersR 2007, 1288 Rn. 9).“

Bei den hier betroffenen Fallgestaltungen neigt der Senat der Auffassung zu, dass die einzelnen in das bereicherungsrechtliche Saldo einzubeziehenden Positionen regelmäßig gleichrangig nebeneinander und nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis voneinander stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18.03.2009, Az. IX ZR 188/08, juris; zum Ganzen Zöller-Herget, ZPO, 32. Aufl., § 4 Rn. 8).

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 4 Wertberechnung; Nebenforderungen


(1) Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, bei der Verurteilung der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht,

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Oberlandesgericht Köln Beschluss, 28. Jan. 2015 - 20 W 72/14

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Tenor Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird die Streitwertfestsetzung im Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22. Oktober 2014 ‑ 26 O 519/13 -abgeändert. Der Streitwert wird auf 34.101,92 € festgesetzt. 1Gr

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 125/16
vom
17. November 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:171116BIVZR125.16.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, dieRichterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann
am 17. November 2016

beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 8. April 2016 wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 16.695,39 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen , weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom 27. September 2016 auf die beabsichtigte Zurückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend Bezug genommen.
2
Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 7. November 2016 gibt keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
3
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die Europarechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet dies im Streitfall keine Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungserheblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher ausgeführt hat, wäre es dem Kläger, der trotz Belehrung darüber, dass er die Verträge nicht zustande kommen lassen musste, diese bis zum Widerspruch über mehrere Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit der Verträge zu berufen. Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhaltendes Versicherungsnehmers festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht.
4
Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
5
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigen auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versicherungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen , werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, die Verträge ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese gleichwohl in Vollzug gesetzt und sie über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. ergänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015, 876 Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Lehmann
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 05.10.2015- 26 O 491/14 -
OLG Köln, Entscheidung vom 08.04.2016 - 20 U 198/15 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR384/14 Verkündet am:
29. Juli 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG a.F. § 5a; BGB § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 818 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 3
Zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen
nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 - OLG Köln
LG Aachen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und Dr. Schoppmeyer auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Juli 2015

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. September 2014 insoweit aufgehoben, als den Klägern jeweils Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vor dem 19. November 2013 zuerkannt worden sind, und auch insoweit die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 11. April 2014 zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die klagenden Eheleute fordern von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsprämien und Nutzungsersatz.

2
Mit Versicherungsbeginn zum 1. November 2003 schlossen der Kläger eine fondsgebundene Lebensversicherung mit BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung (BUZ) sowie die Klägerin eine fondsgebundene Rentenversicherung mit aufgeschobener lebenslanger Rentenzahlung und garantierter Todesfallleistung bei Tod vor Beginn der Rentenzahlung bei der Beklagten im so genannten Policenmodell gemäß § 5a VVG a.F. in der seinerzeit gültigen Fassung ab.
3
Die im jeweiligen Begleitschreiben zum Versicherungsschein vom 14. November 2003 unter der Rubrik "WICHTIGE HINWEISE" enthaltene Widerspruchsbelehrung lautete wie folgt: "WIDERSPRUCHSRECHT Wie Ihnen bereits auf Grund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
4
In der Folgezeit erbrachten der Kläger Beitragszahlungen in Höhe von 33.841,79 € (32.025,33 € für die Hauptversicherung und 1.816,46 € für die BUZ) und die Klägerin in Höhe von 27.000 €.
5
Mit Schreiben vom 9. August 2012 kündigten die Kläger ihre Verträge. Daraufhin zahlte die Beklagte Rückkaufswerte in Höhe von 21.588,70 € an den Kläger und in Höhe von 21.596,70 € an die Klägerin. Mit Schreiben vom 7. September 2013 forderten die Kläger die Beklagte zur verzinslichen Rückerstattung aller geleisteten Beiträge unter Anrechnung der Rückkaufswerte mit Fristsetzung zum 25. September 2013 auf; mit Schreiben vom 8. September 2013 erklärten sie unter anderem den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Am 12. Februar 2014 erstattete die Beklagte zunächst einbehaltene Stornoabzüge in Höhe von 1.975,77 € an den Kläger und in Höhe von 1.620,01 € an die Klägerin.
6
Mit der Klage verlangen die Kläger - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte. Der Kläger hat 12.741,02 € nebst Zinsen und weitere Zinsen in Höhe von 13.251,44 € nebst Zinsen gefordert, die Klägerin Zahlung von 5.403,30 € nebst Zinsen und weitere Zinsen in Höhe von 11.434,63 €.
7
Nach Auffassung der Kläger sind die Versicherungsverträge mangels ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Jahresfrist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. hätten sie den Widerspruch noch erklären können.
8
Die Beklagte sieht die Widersprüche der Kläger wegen Verfristung, zumindest aber wegen Verwirkung als unwirksam an. Außerdem sei ein Widerspruch nach Kündigung und Vertragsabwicklung nicht mehr zulässig. Jedenfalls sind nach ihrer Auffassung bei einer Beitragsrückerstattung folgende Positionen zu Lasten der Kläger anzurechnen: Kläger Klägerin BUZ-Beiträge: 1.816,46 € Abschlusskosten: 3.509,03 € 2.520,00 € Verwaltungskosten: 2.880,19 € 3.476,97 € Risikobeiträge: 3.609,16 € 494,72 € Ratenzahlungszuschläge: 130,63 €
9
Bei dem gegebenenfalls geschuldeten Nutzungsersatz seien zu Gunsten der Kläger nur nachgenannte Posten zu berücksichtigen: Kläger Klägerin Fondserträge und laufende Überschussbeteiligung: 1.614,55 € 2.654,79 € Schlussgewinn BUZ: 53,60 € 53,60 €
10
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung in Bezug auf etwaige bis 31. Dezember 2010 entstandene Prämienrückzahlungsansprüche erhoben.
11
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise - zugunsten des Klägers in Höhe von 6.475,85 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.451,62 € seit dem 26. September 2013 bis zum 12. Februar 2014 und aus 6.475,85 € seit dem 13. Februar 2014, zugunsten der Klägerin in Höhe von 5.996,96 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.616,97 € seit dem 26. September 2013 bis zum 12. Februar 2014 und aus 5.996,96 € seit dem 13. Februar 2014 - statt- gegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte auch insoweit Klageabweisung.

Entscheidungsgründe:


12
Die Revision hat nur hinsichtlich eines Teils der Zinsansprüche Erfolg.
13
I. Das Berufungsgericht hat den Klägern jeweils einen Bereicherungsanspruch auf Erstattung der von ihnen geleisteten Prämien abzüglich der darauf entfallenden Risikoanteile und des Prämienanteils für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung des Klägers und als gezogene Nutzungen die von der Beklagten erzielten Erträge zuerkannt. Es hat die Widerspruchserklärungen der Kläger als nicht verfristet angesehen. Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Die in den Policenbegleitschreiben enthaltenen Widerspruchsbelehrungen seien zum einen deshalb inhaltlich fehlerhaft, weil der notwendige Hinweis darauf fehle, dass der Widerspruch in Textform zu erheben sei. Dieser Hinweis sei nicht deshalb entbehrlich, weil von der "Absendung" des Widerspruchs die Rede sei. Damit werde dem Versicherungsnehmer nicht klar vor Augen geführt, dass nur ein in Textform verfasster Widerspruch wirksam sei. Zum anderen sei in der Belehrung nicht darauf hingewiesen worden, dass die Widerspruchsfrist erst zu laufen beginne, wenn dem Versicherungsnehmer neben dem Versicherungsschein auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation überlassen worden seien. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., der ein Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vorgesehen habe, sei auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar.
14
Die Kläger hätten ihre Widerspruchsrechte nicht verwirkt und mit der Erklärung des Widerspruchs im Jahr 2013 nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, da die Beklagte es versäumt habe, die Kläger ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht zu belehren. Auch ein Erlöschen der Widerspruchsrechte nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung komme nicht in Betracht.
15
Die Kläger könnten somit aus ungerechtfertigter Bereicherung die gezahlten Versicherungsprämien zurückverlangen. Dabei müssten sie sich die darauf entfallenden Risikoanteile sowie der Kläger zusätzlich die auf die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallenden Versicherungsbeiträge anrechnen lassen, um den während der Zeit der Prämienzahlung genossenen Versicherungsschutz als erlangten Vermögensvorteil auszugleichen. Demgegenüber komme eine Anrechnung des Prämienanteils , der auf Abschluss- und Verwaltungskosten entfallen sei, nicht in Betracht. Die Beklagte könne insoweit vor allem nicht den Einwand der Entreicherung erheben. Da sie durch ihre unzureichenden Widerspruchsbelehrungen wesentlich dazu beigetragen habe, dass die Verträge nicht wirksam zustande gekommen seien, erscheine es nicht angemessen , die Kläger mit den Kosten für den Vertragsabschluss und die Vertragsdurchführung zu belasten. Die Beklagte müsse daher das Risiko tragen, dass sie ihre Vertragskosten unnötig aufgewandt habe. Gleiches gelte für die Ratenzahlungszuschläge.
16
Nutzungen stünden dem Kläger nur in Höhe von 1.668,15 € zu. Hierbei handele es sich um die von der Beklagten ermittelten Fondser- träge, die laufenden Überschussbeteiligungen aus der Hauptversicherung und den Schlussgewinn aus der BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung. Der Anspruch beschränke sich auf die Erstattung der tatsächlich durch die Beklagte gezogenen Nutzungen. Grundsätzlich bedürfe es hierzu eines entsprechenden Tatsachenvortrages des Versicherungsnehmers. Der Kläger habe insoweit nur Bezug auf eine Zinsberechnung genommen, der sich entnehmen lasse, dass die Zinsforderung auf der Basis von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ermittelt worden sei. Einer Vermutung, dass die Beklagte mit den eingezahlten Prämien einen entsprechenden Gewinn erzielt habe, fehle die Basis. Die von ihr gezogenen Nutzungen habe die Beklagte unwidersprochen mit einem Gesamtbetrag von 1.668,15 € angegeben.
17
Der Klägerin seien Nutzungen in Form von Fondserträgen, Überschussbeteiligung und Schlussgewinn in Höhe von 2.708,39 € zu erstatten.
18
Gesetzliche Zinsen auf die Beitragsrückerstattungsansprüche seien den Klägern ab dem 26. September 2013 zuzuerkennen.
19
Die Ansprüche der Kläger seien nicht verjährt, da sie erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts entstanden seien.
20
II. Die hiergegen gerichtete Revision ist zulässig, insbesondere gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Dieses hat die Revision entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht nur beschränkt auf die Höhe der gegen die Beklagte bestehenden Zahlungsansprüche der Kläger zugelassen.

21
Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Ausweislich seines Tenors wurde die Revision zugelassen, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, was ihre Verurteilung dem Grunde nach mitumfasst. Eine eindeutige Zulassungsbeschränkung auf die Frage der Anspruchshöhe ist auch den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision damit begründet, dass die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, dem wirksam widersprochen worden sei, bislang in den Einzelheiten nicht geklärt sei.
22
III. Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet.
23
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Klägern Bereicherungsansprüche zuerkannt.
24
a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind infolge der Widersprüche der Kläger nicht wirksam zustande gekommen. Die Widersprüche waren - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
25
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte die Beklagte die Kläger nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht.

26
(1) Die den Klägern in den Policenbegleitschreiben vom 14. November 2003 erteilten Widerspruchsbelehrungen sind bereits insofern inhaltlich fehlerhaft, als sie keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Widerspruch in Textform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b) erfolgte entgegen der Auffassung der Revision nicht dadurch, dass den Klägern weiterhin mitgeteilt wurde, zur Fristwahrung genüge die rechtzeitige "Absendung" der Widerspruchserklärung (Senatsurteil vom 17. Juni 2015 -IV ZR 426/13, juris Rn. 12). Selbst wenn ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich ansieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf. Dass dem Versicherungsnehmer , wie die Revision in Erwägung zieht, durch die Belehrung über den gesetzlichen Standard hinausgehend die Möglichkeit eines Widerspruchs in mündlicher Form eingeräumt werden sollte, ist ihrem Text nicht zu entnehmen.
27
(2) Außerdem ist - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - die Mitteilung des Fristbeginns unzureichend und damit fehlerhaft, weil die erteilten Belehrungen hierfür entgegen § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. allein auf den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht aber auch der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation abstellten. Insoweit ist, anders als die Revision meint, ohne Belang, ob den Klägern zusammen mit den Versicherungsscheinen auch die übrigen erforderlichen Unterlagen zugingen und der Fristbeginn in der Belehrung damit faktisch richtig angegeben worden war. Dieser Umstand ändert nichts an der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der Belehrung, sondern betrifft allein die Auswirkung derselben auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung kommt es auf derartige Kausalitätsfragen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 57).
28
bb) Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
29
(1) Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
30
(2) Die Kündigungen der Versicherungsverträge stehen den späteren Widersprüchen nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen der Widerspruchsrechte nach beider- seits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
31
(3) Entgegen der Auffassung der Revision haben die Kläger das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie den Klägern keine ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrungen erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.).
32
Ob - wie die Revision meint - der Verwirkungseinwand möglich ist, wenn eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fehler aufweist (so Heyers, NJW 2014, 2619, 2621), braucht hier nicht entschieden zu werden. Die genannten Belehrungsmängel sind nicht belanglos, sondern betreffen für die Ausübung des Widerspruchsrechts wesentliche Punkte - das Textformerfordernis und den Beginn der Widerspruchsfrist.
33
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 41-44).
34
2. Aus den wirksamen Widerspruchserklärungen folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im November 2013 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2013 beginnen, da die Kläger erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärten. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts i.S. von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners i.S. von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
35
3. Das Berufungsgericht ist damit zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger von der Beklagten Prämienrückzahlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen können. Richtig ist auch, dass die Rückgewähransprüche der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfassen und den Klägern bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrages genossene Versicherungsschutz anzurechnen ist. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
36
a) Ausgehend davon hat das Berufungsgericht den geschuldeten Wertersatz auf der Grundlage der Prämienkalkulation der Beklagten in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weisegeschätzt.
37
aa) Bei dem Rückgewähranspruch des Klägers hat es berücksichtigt , dass er bis zu seiner Kündigung faktisch den Schutz gegen das Todesfall - und das Berufsunfähigkeitsrisiko erlangt hatte, und den auf die gezahlten Prämien entfallenden Risikoanteil, der nach den nicht ange- griffenen Feststellungen 3.609,16 € betrug, sowie die auf die Berufsunfähigkeits -Zusatzversicherung entfallenden Beiträge in Höhe von 1.816,46 € in Abzug gebracht.
38
Den faktisch genossenen Versicherungsschutz, den die Klägerin aufgrund der von ihr abgeschlossenen Rentenversicherung für die Zeit ab Beginn des vierten Versicherungsjahres bis zur Kündigung in Form einer Mindesttodesfallsumme von 60% der Gesamtbeitragssumme genoss , hat das Berufungsgericht mit dem von der Beklagten angegebenen Betrag von 494,72 € angesetzt.
39
Möglicherweise auf die Risikoabsicherung entfallende Kostenanteile (vgl. OLG Stuttgart VersR 2015, 561, 563; Rudy, r+s 2015, 115, 120) konnte das Berufungsgericht schon mangels entsprechenden Vortrags der Beklagten nicht berücksichtigen. Die Revision macht insoweit geltend , dass die Verwaltung des übernommenen Risikos mit Kosten verbunden sei, die nicht durch die Risikokosten gedeckt seien, sondern separat in die Prämie einkalkuliert würden. Dazu hat die Beklagte jedoch nichts Näheres vorgetragen.
40
bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die von der Beklagten geltend gemachten Abschluss- und Verwaltungskosten den Wert eines Vermögensvorteils zum Ausdruck brächten, welchen die Kläger von der Beklagten empfangen hätten.
41
b) Hinsichtlich dieser Kosten kann sich die Beklagte - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen.
42
aa) Vermögensnachteile des Bereicherungsschuldners sind nur berücksichtigungsfähig , wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise adäquat-kausal auf der Bereicherung beruhen (BGH, Urteile vom 5. März 2015 - IX ZR 164/14, NJW-RR 2015, 677 Rn. 14; vom 23. Oktober 1980 - IVa ZR 45/80, NJW 1981, 277 unter 5 c; jeweils m.w.N.). Nach dieser Maßgabe sind die Verwaltungskosten bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquat-kausal durch die Prämienzahlungen der Kläger entstanden, sondern unabhängig von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen angefallen und beglichen worden sind. Auch die Verwendung der Verwaltungskostenanteile der gezahlten Prämien für die Bestreitung von Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb wirkt nicht bereicherungsreduzierend, da die Beklagte auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat (so im Ergebnis auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juni 2015 - 12 U 106/13 (14), juris Rn. 43; OLG Schleswig, Urteil vom 26. Februar 2015 - 16 U 61/13, juris Rn. 57 f.; OLG Dresden, Urteil vom 24. Februar 2015 - 4 U 786/14, juris Rn. 47; KG r+s 2015, 179, 181; OLG Stuttgart, Urteile vom 28. Mai 2015 - 7 U 27/15, S. 7 f.; vom 23. Februar 2015 - 7 U 44/14, S. 9; r+s 2015, 123, 125; VersR 2015, 561, 564; OLG Köln r+s 2015, 121 Rn. 23; VersR 2015, 177, 178; LG Meiningen, Urteil vom 10. Dezember 2014 - (17) 3 S 52/14, S.14 f.; LG Heidelberg, Urteile vom 25. September 2014 - 1 S 8/14, juris Rn. 38 und 1 S 15/13, juris Rn. 37; a.A. Rudy, r+s 2015, 115, 120).
43
bb) Auch in Bezug auf die Abschlusskosten kann die Beklagte nicht mit Erfolg den Entreicherungseinwand erheben. Solche Aufwendungen , die dem Bereicherungsschuldner im Zusammenhang mit der Erlangung des Bereicherungsgegenstandes entstanden sind, sind nicht ohne weiteres bereicherungsmindernd anzuerkennen; vielmehr hängt dies maßgeblich davon ab, welcher der Parteien des Bereicherungsverhältnisses das jeweilige Entreicherungsrisiko zugewiesen ist (BGH, Urteile vom 27. September 2013 - V ZR 52/12, NJW 2014, 854 Rn. 31; vom 26. September 1995 - XI ZR 159/94, NJW 1995, 3315 unter II 2 c; vom 25. Oktober 1989 - VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 145; jeweils m.w.N.; vgl. Baumann in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 1 Rn. 195). Hinsichtlich der Abschlusskosten ist das Entreicherungsrisiko nach den maßgeblichen Wertungsgesichtspunkten der Beklagten zugewiesen. Dabei ist allerdings entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entscheidend, dass die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses zwischen den Klägern und der Beklagten darauf beruht, dass die Beklagte die Kläger nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt hat (so auch Reiff, r+s 2015, 105, 108; insoweit a.A. OLG Dresden WM 2015, 1142, 1144; Urteil vom 24. Februar 2015 - 4 U 786/14, juris Rn. 46; OLG Köln r+s 2015, 121 Rn. 23; VersR 2015, 177, 178). Vielmehr gebietet es der mit der richtlinienkonformen Auslegung bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers , dass der Versicherer in Fällen des wirksamen Widerspruchs das Entreicherungsrisiko hinsichtlich der Abschlusskosten trägt (OLG Karlsruhe, Urteile vom 9. Juni 2015 - 12 U 106/13 (14), juris Rn. 43; vom 22. Mai 2015 - 12 U 122/12 (14), juris Rn. 51; OLG Schleswig, Urteil vom 26. Februar 2015 - 16 U 61/13, juris Rn. 58; LG Heidelberg, Urteile vom 25. September 2014 - 1 S 8/14, juris Rn. 38 und 1 S 15/13, juris Rn. 37; vgl. KG r+s 2015, 179, 181 zur Rückabwicklung nach Rücktritt gemäß § 8 Abs. 5 VVG a.F.; a.A. OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2015 - 10 U 220/12 S. 20 ff.; OLG Stuttgart, Urteile vom 28. Mai 2015 - 7 U 27/15, S. 7 f.; vom 23. Februar 2015 - 7 U 44/14, S. 9; r+s 2015, 123, 125; VersR 2015, 561, 563 f.; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 23. April 2015 - 2-23 O 411/13, S. 7; Reiff, r+s 2015, 105, 109; Rudy, r+s 2015, 115, 119 f.). Dem hier zu beachtenden europarechtlichen Effektivitätsgebot widerspräche es, wenn der Versicherungsnehmer zwar auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG dem Zustandekommen des Vertrages widersprechen könnte, aber die Abschlusskosten tragen müsste. Insbesondere im Falle des Widerspruchs nach kurzer Prämienzahlungsdauer würde das Widerspruchsrecht weitgehend entwertet, weil die bezahlten Beiträge zu einem erheblichen Teil durch die Abschlusskosten aufgezehrt würden.
44
c) Auch die Ratenzahlungszuschläge führen zu keinem teilweisen Wegfall der Bereicherung der Beklagten (so auch OLG Dresden, Urteil vom 24. Februar 2015 - 4 U 786/14, juris Rn. 47; OLG Köln r+s 2015, 121 Rn. 24; a.A. Rudy, r+s 2015, 115, 120). Soweit die Ratenzahlungszuschläge - wie die Revision erstmals vorträgt - einen Verwaltungsaufwand kompensieren sollen, kann auf die Ausführungen zu den Verwaltungskostenanteilen verwiesen werden. Soweit sie als Ausgleich für einen Zinsausfall und ein besonderes Beitragszahlungsrisiko dienen, ist schon nicht erkennbar, inwiefern in ihrer Höhe die Bereicherung der Beklagten entfallen sein sollte.
45
4. Die Kondiktionsansprüche der Kläger umfassen nicht nur die - nach Abzug des Wertersatzes für den genossenen Versicherungsschutz verbleibenden - Versicherungsprämien, sondern gemäß § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB auch die durch die Beklagte hieraus gezogenen Nutzungen.
46
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB nur die Nutzungen herauszugeben sind, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden (Senatsbeschluss vom 30. Juli 2012 - IV ZR 134/11, juris Rn. 5; BGH, Urteile vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 259/90, BGHZ 115, 268, 270; vom 4. Juni 1975 - V ZR 184/73, BGHZ 64, 322, 323). Es hat zu Recht die Darlegungsund Beweislast beim Versicherungsnehmer gesehen und ihm einen entsprechenden Tatsachenvortrag abverlangt, der nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe der von den Klägern verlangten Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz - gestützt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 30. Juli 2012 aaO).
47
Über Weiteres hatte der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden , da keine der Parteien Einwendungen gegen die Schätzung des Berufungsgerichts erhoben hat.
48
5. Das Berufungsgericht hat den Klägern in Anbetracht ihrer weit überzogenen Forderungen zu Unrecht Verzugszinsen aus den ihnen nach Abzug der erhaltenen Rückkaufswerte verbleibenden Kondiktionsansprüchen seit dem 26. September 2013 zuerkannt. Vielmehr hat die Beklagte aus dem Differenzbetrag ausschließlich Prozesszinsen gemäß den §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB seit dem 19. November 2013 zu entrichten.
49
Mit Ablauf der durch die Kläger zum 25. September 2013 gesetzten Zahlungsfrist geriet die Beklagte nicht in Verzug. Zwar kann das Forderungsschreiben der Kläger vom 7. September 2013 als Mahnung gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgelegt werden. Diese war hier aber nicht verzugsbegründend. Der Gläubiger kann aus einer Mahnung keine Rechte herleiten, wenn er eine weit übersetzte Forderung geltend macht (BGH, Urteil vom 13. November 1990 - XI ZR 217/89, NJW 1991, 1286 unter III m.w.N.; OLG Stuttgart VersR 2015, 561, 565; Palandt/Grüneberg , BGB 74. Aufl. § 286 Rn. 20 m.w.N.; Reiff, r+s 2015, 105, 113). Dies ist hier der Fall, da die Kläger in ihrem Schreiben die Rückerstattung aller geleisteten, lediglich um die bereits erfolgten Zahlungen der Beklagten geminderten Versicherungsbeiträge zuzüglich weit übersetzter Zinsen als Nutzungsersatz begehrten. Dass die Beklagte die Erfüllung der berechtigten Kondiktionsansprüche zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Klageerhebung i.S. des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ernsthaft und endgültig verweigerte, haben die Kläger nicht mit der allgemeinen Behauptung einer "Verweigerung der Auszahlung des korrekten Betrages" dargetan.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 11.04.2014 - 9 O 419/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 05.09.2014 - 20 U 77/14 -

(1) Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der Einreichung der Klage, in der Rechtsmittelinstanz der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, bei der Verurteilung der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, entscheidend; Früchte, Nutzungen, Zinsen und Kosten bleiben unberücksichtigt, wenn sie als Nebenforderungen geltend gemacht werden.

(2) Bei Ansprüchen aus Wechseln im Sinne des Wechselgesetzes sind Zinsen, Kosten und Provision, die außer der Wechselsumme gefordert werden, als Nebenforderungen anzusehen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird die Streitwertfestsetzung im Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 22. Oktober 2014 ‑ 26 O 519/13 -abgeändert.

Der Streitwert wird auf 34.101,92 € festgesetzt.


1 2 3 4 5 6 7 8
3
2. Nach diesen Maßstäben kann der hier verfolgte Zinsanspruch nicht als Nebenforderung eingestuft werden. Der Kläger macht einen Schaden geltend, der sich aus dem Verlust der in der notariellen Urkunde vom 25. Oktober 1983 verbrieften Forderung über 200.000 DM/102.258,38 € nebst 15 v.H. Zinsen seit dem 1. Oktober 1982 zusammensetzt. Bei dieser Sachlage stehen die Hauptforderung und die Zinsforderung selbständig ohne Abhängigkeitsverhältnis nebeneinander. Zinsforderungen sind ausnahmsweise keine Nebenforderungen, wenn sie Teil eines einheitlichen Gesamtanspruchs sind. Das ist anzunehmen, wenn - wie hier - ein Schaden eingeklagt wird, der entgangene Zinsen mitumfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2009 - IX ZR 188/08, Rn. 2; vom 30. Januar 2013 - IX ZR 204/09, Rn. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 39/06
vom
13. Februar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Im Verkehrsunfallhaftpflichtprozess sind die neben anderen Schadenspositionen eingeklagten
Kosten eines vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens und
die Unkostenpauschale regelmäßig keine Nebenforderungen, die bei der Berechnung
des Streitwerts und der Beschwer außer Betracht bleiben.
BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - VI ZB 39/06 - LG Wuppertal
AG Wuppertal
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
sowie die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 30. Mai 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 630,48 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Ursprünglich hat er seinen Schaden auf 2.492,80 € beziffert. Dieser Betrag setzt sich aus den Positionen Reparaturkosten, Sachverständigenkosten , merkantiler Minderwert, Mietwagenkosten und Unkostenpauschale zusammen. Die Beklagten haben die Hälfte dieses Betrages gezahlt. Sodann hat der Kläger sein Klagebegehren in Höhe von 1.246,40 € sowie 144,59 € für vorgerichtliche Anwaltskosten weiter verfolgt. Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 623,20 € sowie weiteren 137,31 € für Anwaltskosten stattgegeben. Mit der gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegten Berufung hat der Kläger die Zahlung weiterer 623,20 € sowie Anwaltskosten von noch 7,28 € geltend gemacht.
2
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Es hat dies damit begründet, die nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer sei nicht erreicht, weil es sich bei den noch offenen Positionen Sachverständigenkosten (79,23 €) und Kostenpauschale (6,25 €) um Nebenforderungen handele, die gemäß § 4 Abs. 1 ZPO bei der Berechnung des Beschwerdewerts nicht berücksichtigt werden können, so dass dieser nur 537,42 € betrage.
3
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen hat (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
5
Die Rechtsbeschwerde ist auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt , welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323, 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW 2001, 2161, 2162; BGHZ 151, 221, 227).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
7
Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei den Positionen Sachverständigenkosten und Kostenpauschale handele es sich um Nebenforderungen , die auch als solche geltend gemacht seien und deshalb bei der Berechnung der Beschwer nicht berücksichtigt werden dürften, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
8
Gemäß § 4 Abs. 1 ZPO bleiben Kosten für die Wertberechnung nur dann außer Betracht, wenn sie in dem betreffenden Prozess als Nebenforderungen geltend gemacht werden. Die im vorliegenden Fall vorprozessual vom Kläger aufgewendeten Kosten für die Einholung des Sachverständigengutachtens und die pauschaliert berechneten Unkosten sind hier nicht als Nebenforderungen geltend gemacht worden; es handelt sich - jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles - auch nicht um solche.
9
a) Ob ein mit eingeklagter Anspruch Nebenforderung ist, kann nur aus seinem Verhältnis zu dem als Hauptforderung in Betracht kommenden Anspruch heraus beurteilt werden. Zur Hauptforderung muss die Nebenforderung in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sie muss von ihr sachlichrechtlich abhängen. Sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht - auch im Hinblick auf ihre Entstehung - gleichrangig, so ist keine von ihnen Nebenforderung. Dabei kommt es auf dasjenige materielle Recht an, das für den jeweiligen Streitgegenstand maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 1976 - IV ZR 123/74 - VersR 1976, 477, 478; Beschluss vom 25. März 1998 - VIII ZR 298/97 - NJW 1998, 2060, 2061; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rn. 17). Der abweichenden Auffassung von Lappe (in: MünchKomm-ZPO, 1. Aufl., § 4 Rn. 42), die Frage der Abhängigkeit nach dem materiellen Recht lasse sich nicht in praktisch verwertbarer Weise beantworten, so dass allein darauf abzustellen sei, ob die Kosten ohne Rücksicht auf ihre Rechtsgrundlage der Geltendmachung oder Abwehr eines anderen Anspruchs dienten, ist nicht zu folgen.
10
b) Das erforderliche Abhängigkeitsverhältnis in dem genannten Sinne besteht nicht, wenn im Verkehrsunfallschadensprozess der Berechnung des eingeklagten Anspruchs mehrere Schadenspositionen zugrunde gelegt werden. Ob die jeweilige Schadensposition berücksichtigungsfähig ist, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen der einschlägigen Anspruchsnormen (§ 7 StVG, § 823 BGB usw.) und der §§ 249 ff. BGB erfüllt sind. Dagegen hängt die Ersatzfähigkeit etwa der Kosten eines vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachtens nicht davon ab, in welchem Umfang Ersatz für den eigentlichen Sachschaden, für Nutzungsausfall und für sonstige Schadenspositionen zu leisten ist. Die einzelnen Schadenspositionen bilden hier gleichwertige Berechnungsposten des insgesamt geltend gemachten Schadensersatzanspruchs und sind deshalb bei der Festsetzung des Streitwerts und der Beschwer zu berücksichtigen (Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rn. 4058; Stein/Jonas/Roth, aaO, Rn. 32; im Ergebnis ebenso: OLG München, NJW-RR 1994, 1484, 1485; ferner OLG Brandenburg, BauR 2000, 1774, 1775 für einen Bauprozess). Soweit in der Kommentarliteratur allgemein darauf hingewiesen wird, vorprozessuale Gutachterkosten seien als Nebenforderungen im Sinne des §4 Abs.1 ZPO anzusehen (vgl. etwa Baumbach /Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 4 Rn. 18; Musielak, Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 4 Rn. 16), kann dem danach jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung einer Schadensersatzforderung nach einem Verkehrsunfall nicht gefolgt werden.
11
c) Dass, worauf das Berufungsgericht abstellt, vorprozessual entstandene Gutachterkosten unter Umständen als Rechtsverfolgungskosten an- gesehen und im Kostenfestsetzungsverfahren angemeldet werden können (vgl. dazu z.B. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02 - VersR 2003, 481 f.), steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Wenn die Partei diesen Weg wählt, scheidet schon die Anwendung des § 4 ZPO aus, weil die Kosten dann nicht Gegenstand des Klageantrags und damit des Streitwerts oder einer etwaigen Beschwer im Klageverfahren sind. Im Übrigen muss sich der Geschädigte nicht auf das Kostenfestsetzungsverfahren verweisen lassen, sondern kann die Gutachterkosten im Schadensersatzprozess klageweise geltend machen (MünchKomm-BGB/Oetker, 4. Aufl., § 249, Rn. 375 m.w.N.). Zwar liegt es nicht in der Hand des Klägers, eine Nebenforderung durch entsprechende Berechnung der Klagesumme und Formulierung des Klageantrags zur Hauptforderung zu machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 1995 - XII ZB 204/94 - NJW-RR 1995, 706 f. und vom 25. März 1998 - VIII ZR 298/97 - VersR 1999, 378 f., beide zum ausgerechneten Zinsanspruch). Davon kann indes in Fällen wie dem vorliegenden nicht die Rede sein, weil die vorprozessualen Gutachterkosten nach den obigen Darlegungen keine Nebenforderung im Sinne des § 4 Abs. 1 ZPO darstellen und im Verkehrsunfallprozess auch nicht als solche geltend gemacht werden.
12
d) Für die eingeklagte Unkostenpauschale gilt nichts anderes. Es handelt sich um einen selbständigen Teilbetrag des materiellrechtlichen Anspruchs , der insoweit auf Ausgleich von Porti, Telefonkosten u.ä. gerichtet ist (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, 2005, § 251 Rn. 88) und dessen Bestand nicht davon abhängt, in welchem Umfang eine - andere - Hauptforderung besteht.

III.

13
Der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Müller Greiner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
AG Wuppertal, Entscheidung vom 02.02.2006 - 33 C 396/05 -
LG Wuppertal, Entscheidung vom 30.05.2006 - 9 S 150/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 188/08
vom
18. März 2009
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, den Richter Vill, die Richterin Lohmann sowie die Richter
Dr. Fischer und Dr. Pape
am 18. März 2009

beschlossen:
Die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers gegen die Streitwertfestsetzung gemäß Beschluss vom 18. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Gründe:


1
Zutreffend geht der Beschwerdeführer davon aus, dass der vom Senat für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde festgesetzte Streitwert zu einem erheblichen Teil kapitalisierte Zinsen enthält.
2
Bei dem betreffenden Zinsbetrag von insgesamt 33.497,05 € handelt es sich jedoch nicht um Nebenforderungen, die gemäß § 4 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO für den Streitwert unbeachtlich wären. Zinsforderungen sind ausnahmsweise keine Nebenforderungen, wenn sie Teil eines einheitlichen Gesamtanspruchs sind. Das hat die Rechtsprechung insbesondere angenommen, wenn ein Schaden eingeklagt wird, der entgangene Zinsen und/oder Nutzungen mit umfasst (BGH, Beschl. v. 29. April 1971 - III ZR 142/70, KostRsp ZPO § 4 Nr. 30; vgl. auch OLG Schleswig, SchlHA 1951, 46 f; ebenso Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl. § 4 Rn. 32).

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So verhält es sich im Streitfall. Der Beschwerdeführer hatte denjenigen Schaden eingeklagt, der ihm durch die nach seiner Auffassung mangelhafte Vertretung durch die Beschwerdegegnerin entstanden war. Zu diesem Schaden gehörten auch die Prozesszinsen, die er - ausgehend von seiner Rechtsposition - erhalten hätte, wenn die Beklagte die Vorprozesse ordnungsgemäß geführt hätte.
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Nebenforderung im Sinne des § 4 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO sind nur diejenigen (nicht ausgerechneten) Zinsen, die der Beklagte im vorliegenden Regressprozess wegen Nichterfüllung jenes Schadensersatzanspruchs aus Verzug bzw. § 291 BGB fordert. Ihre Berechtigung hängt von der Berechtigung der Schadensersatzforderung als Hauptforderung ab.
Ganter Vill Lohmann
Fischer Pape
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 24.05.2007 - 27 O 994/05 -
KG Berlin, Entscheidung vom 03.09.2008 - 11 U 22/07 -