Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 02. Feb. 2017 - 9 W 57/16

published on 02.02.2017 00:00
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 02. Feb. 2017 - 9 W 57/16
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Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 19.08.2016 - 14 OH 12/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I.

Im Wege des selbständigen Beweisverfahrens soll auf Antrag des Antragstellers Beweis erhoben werden durch Einholung eines schriftlichen unfallchirurgischen/orthopädischen Gutachtens zu folgenden Behauptungen und Fragen:

1. Der Antragsteller habe durch einen Unfall vom 16.03.2012 - Sturz von einer Leiter - folgende gesundheitlichen Einschränkungen erlitten, die zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Invalidität) geführt hätten:

- Bewegungseinschränkungen des linken Armes, insbesondere Dreh- und Flexions-Extensionsbewegungen

- Kraftdefizite der linken Hand

- Bewegungseinschränkungen, Bewegungsschmerzen der linken Hüfte und verminderte Belastbarkeit

- Dauerschmerzen der linken Hüfte

- Gelenksfehlstellungen, insbesondere Zehen- und Fersenstand

- Sklerosierung, Verkürzung und posttraumatische Arthrose der linken Hüfte

- Muskelschwund aufgrund der Verletzungen der linken Hüfte

- Sensibilitätsstörungen.

2. Sollte die Begutachtung eine Invalidität des Antragstellers ergeben, so soll sich der Sachverständige zu dem Umfang der oben in Ziff. 1 genannten Funktionsbeeinträchtigungen äußern.

Insbesondere auch zu folgenden Behauptungen soll sich der Sachverständige äußern:

a) Nach der Behauptung des Antragstellers sei das linke Bein zu mindestens 65 % in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, der linke Arm zu mindestens 30 %.

b) Die Antragsgegnerin behauptet unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. S. vom 11.02.2014 (Anlage ASt. 1), der linke Arm sei lediglich zu 1/5 funktionsunfähig, das linke Bein lediglich zu 1/4.

Hierbei hat der Sachverständige eine Einstufung des Invaliditätsgrades anhand der Gliedertaxe (nach Ziff. 2.1.2 der vorliegenden AUB 09.11) vorzunehmen, soweit die Gliedertaxe hierfür anwendbar ist.

3. a) Der Sachverständige soll sich auch damit auseinandersetzen, ob eine Vorinvalidität vorliegt. Gegebenenfalls ist auszuführen, in welchem Umfang die Funktionsfähigkeit der betroffenen Körperteile schon vor dem Unfall beeinträchtigt war.

b) Sollten Krankheiten oder Gebrechen bei durch das Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigungen oder deren Folgen mitgewirkt haben, soll der Sachverständige den prozentualen Anteil der Krankheit oder des Gebrechens ermitteln.

4. Bei seiner Beurteilung soll der Sachverständige zugrunde legen, dass eine Beeinträchtigung dauerhaft ist, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre nach dem Unfallereignis besteht und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die vorzunehmende Prognoseentscheidung ist der 17.09.2013, der Sachverständige soll in seinem Gutachten mithin eine Prognoseentscheidung über die dauerhaften Beeinträchtigungen abgeben, wie sie sich voraussichtlich am 17.09.2013 ergeben hätte.

Anmerkung für den Sachverständigen:

Die Beurteilung des Dauerzustandes kann der Sache nach lediglich eine von dem ärztlichen Wissensstand zur Zeit der Beurteilung und der Erfahrung des Arztes getragene Prognose sein. An die Prognose sind keine hohen Anforderungen zu stellen, denn eine ärztliche Prognose beinhaltet stets eine gewisse Unsicherheit und Vermutung.

5. Invalidität für nicht in der Gliedertaxe genannte Körperfunktionen?: Besteht daneben oder gesondert jeweils eine ganze oder eine teilweise Funktionsbeeinträchtigung von nicht in der Gliedertaxe der Versicherung genannten Körperfunktionen? Wenn ja, zu wie viel Prozent führt dies zu einer Beeinträchtigung der normalen körperlichen und/oder geistigen Gesamtleistungsfähigkeit?

II.

Der Sachverständige wird ermächtigt, einen Neurologen bei der Gutachtenserstellung hinzuzuziehen.

III.

1. Dem Antragsteller wird aufgegeben, bis zum 09.09.2016 die Einzahlung eines Auslagenvorschusses in Höhe von 1.200,00 EUR bei der LOK Baden-Württemberg nachzuweisen.

2. Bis dahin können sich die Parteien zu der Person des zu beauftragenden Sachverständigen äußern.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller unterhält bei der Antragsgegnerin eine Unfallversicherung. Er erlitt am 16.03.2012 bei einem Sturz von einer Leiter aus unbekannter Höhe verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die Parteien streiten über die Höhe der von der Antragsgegnerin zu erbringenden Versicherungsleistung.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.07.2016 hat der Antragsteller beim Landgericht Freiburg die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Durch die Einholung eines oder mehrerer schriftlicher Sachverständigengutachten sollen Art und Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen geklärt werden. Durch die Beweiserhebung sollen verschiedene Feststellungen getroffen werden, die nach Auffassung des Antragstellers für Grund und Höhe der Versicherungsleistung von Bedeutung sind.
Mit Beschluss vom 19.08.2016 hat das Landgericht überwiegend dem Antrag des Antragstellers entsprochen. Einen Teil der Beweisfragen des Antragstellers hat das Landgericht jedoch nicht in den Beschluss mitaufgenommen, da insoweit eine Beweiserhebung unzulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellers vom 09.09.2016. Er hält an seinen weitergehenden Beweisanträgen fest und konkretisiert die Beweisthemen, zu denen - über die Entscheidung des Landgerichts hinaus - Beweis zu erheben sei. Die Antragsgegnerin ist der sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.10.2016 überwiegend entgegengetreten. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 06.12.2016 in einem Punkt den Beschluss vom 19.08.2016 teilweise ergänzt, im übrigen jedoch der Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 06.12.2016 verwiesen.
Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die gemäß § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Die Beweisanordnung des Landgerichts ist entsprechend den Anträgen des Antragstellers zu ergänzen. Zur Klarstellung hat der Senat dabei den Beschluss vom 19.08.2016 insgesamt neu gefasst.
1. Das Beweisthema Ziff. 2 im Beschluss vom 19.08.2016 ist entsprechend dem Antrag des Antragstellers im Schriftsatz vom 14.10.2016 zu fassen.
a) Inhalt und Grenze eines Beweisthemas werden im selbständigen Beweisverfahren vom Antragsteller bestimmt und nicht vom Gericht. Zwar kann es dem Rechtsschutzziel des Antragstellers dienen, wenn das Gericht unklare oder missverständliche Formulierungen im Beweisbeschluss klar stellt, oder wenn die Formulierung eines Beweisantrags vom Gericht aufgrund von Ausführungen des Antragstellers in seiner Begründung konkretisiert und ergänzt wird. Wenn und soweit eine vom Gericht verwendete eigenständige Formulierung vom Ziel des Antragstellers abweicht, bleibt jedoch im selbständigen Beweisverfahren - anders als im Hauptverfahren - die Bestimmung und Begrenzung des Beweisthemas durch den Antragsteller maßgeblich (vgl. § 487 Ziff. 2 ZPO).
b) Die Beschreibung des Beweisthemas durch den Antragsteller zu Ziff. 2 des Beweisbeschlusses des Landgerichts (I Ziff. 2 in der Entscheidung des Senats) in der Beschwerdebegründung ist zulässig. Entgegen der Auffassung des Landgerichts beschränken sich mögliche Funktionsbeeinträchtigungen des Antragstellers, die durch ein Gutachten beurteilt werden sollen, nicht auf das linke Bein und den linken Arm. Vielmehr ergibt sich aus den Anträgen des Antragstellers, dass sämtliche der in I. Ziff. 1 aufgeführten Beeinträchtigungen Grundlage der Beurteilung durch einen Sachverständigen sein sollen; mithin können - beispielsweise - auch die in I. Ziff. 1. aufgeführten Beeinträchtigungen der Hüfte Auswirkungen auf den Invaliditätsgrad haben.
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c) Für die Zulässigkeit des vom Antragsteller konkretisierten Beweisthemas kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit die vom Antragsteller konkretisierte Beweisfrage für eine spätere Entscheidung des Gerichts über die Höhe eines Anspruchs gegen die Antragsgegnerin im Hauptverfahren entscheidungserheblich ist. Ein rechtliches Interesse (§ 485 Abs. 2 ZPO) für die Klärung des vom Antragsteller vorgegebenen Beweisthemas ist vorhanden. Eine rechtliche Erheblichkeit des Beweisthemas erscheint zumindest nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen. Das Risiko, dass ein vom Antragsteller vorgegebenes Beweisthema sich in einem späteren Hauptverfahren eventuell teilweise als nicht erheblich erweist, liegt grundsätzlich beim Antragsteller, der den Gegenstand dieses Verfahrens bestimmt.
11 
2. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat auch insoweit Erfolg, als er eine abweichende Formulierung des Beweisthemas Ziff. 4 begehrt.
12 
a) Das Landgericht hat im Beschluss vom 06.12.2016 der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen. Soweit das Landgericht dabei angenommen hat, für die erforderliche Prognose sei ein Zeitpunkt von 15 Monaten nach dem Unfall maßgeblich, ist das Landgericht zwar vom Antrag des Antragstellers abgewichen, der in seiner Beschwerdebegründung von einem anderen Zeitpunkt ausgegangen ist. Nachdem der Antragsteller gegen den vom Landgericht im Beschluss vom 06.12.2016 angenommenen Zeitpunkt (15 Monate nach dem Unfall) keine Einwendungen erhoben hat, geht der Senat davon aus, dass das Landgericht insoweit bei der Teilabhilfe dem Rechtschutzziel des Antragstellers entsprochen hat.
13 
b) Soweit das Landgericht das im Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 14.10.2016 konkretisierte Beweisthema nicht übernommen hat, ist die Entscheidung des Landgerichts entsprechend abzuändern. Denn maßgeblich für die Beweiserhebung ist das vom Antragsteller vorgegebenen Beweisthema; auf die Frage, ob und inwieweit der Antragsteller dabei die rechtliche Erheblichkeit des von ihm konkretisierten Beweisthemas für den in Frage stehenden Anspruch zutreffend beurteilt, kommt es nicht an (siehe oben).
14 
3. Auch gegen den Beweisantrag Ziff. 5 (Invalidität für nicht in der Gliedertaxe genannte Körperfunktionen) bestehen keine Bedenken. Es geht um behauptete Gesundheitsstörungen, welche der Antragsteller vorgetragen hat, nämlich um die Gesundheitsstörungen, die Gegenstand des Beweisthemas I Ziff. 1 sind. Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die in I. Ziff. 1 genannten Beeinträchtigungen (auch) Funktionsbeeinträchtigungen enthalten, welche nicht von der mit der Antragsgegnerin vereinbarten Gliedertaxe erfasst werden. Das einzuholende Gutachten soll diese Frage klären.
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4. Eine Kostenentscheidung ist im Beschwerdeverfahren nicht veranlasst (vgl. dazu OLG Celle, MDR 2015, 791).
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(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen is

Annotations

(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

(2) Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass

1.
der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache,
2.
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels,
3.
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels
festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

(3) Soweit eine Begutachtung bereits gerichtlich angeordnet worden ist, findet eine neue Begutachtung nur statt, wenn die Voraussetzungen des § 412 erfüllt sind.