Oberlandesgericht Karlsruhe Urteil, 03. Apr. 2003 - 19 U 168/02

bei uns veröffentlicht am03.04.2003

Tenor

Gründe

I. Zum Sachverhalt:
Dem Kläger, Leiter der unfallchirurgischen Abteilung eines Universitätsklinikums, war im Oktober 2000 in einer Presserklärung des Klinikvorstands vorgeworfen worden, einen ausländischen Arzt in seiner Abteilung trotz fehlender Approbationsbescheinigung wiederholt eigenverantwortlich operiert haben zu lassen. Hieraufhin ließ der Kläger eine als eidesstattliche Versicherung bezeichnete Erklärung verbreiten, in der er diesen Vorwurf zurück wies. Der Beklagte, kaufmännischer Direktor der Klinik, habe sich, so die Behauptung des Klägers, in einer Personalversammlung der unfallchirurgischen Abteilung am 23.10.2000 abfällig über ihn geäußert und erklärt, die eidesstattliche Erklärung sei eine Lüge. Im November 2001 hat der Kläger Klage auf Widerruf der behaupteten "Lüge" erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers blieb erfolglos.
II. Aus den Gründen:
Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Äußerungen des Beklagten als falsche Tatsachenbehauptungen, die allein einem Widerruf zugänglich wären, anzusehen sind. Allerdings geht es vorliegend nicht um mehrere Tatsachenbehauptungen des Beklagten, sondern allein um seine angebliche Äußerung, die vom Kläger abgegebene eidesstattliche Erklärung sei eine "Lüge". Diese (angebliche) Wertung des Beklagten enthält jedenfalls im Kern die Tatsachenbehauptung, dass die vom Kläger in seiner eidesstattlichen Erklärung gegebene Sachverhaltsdarstellung nicht der Wahrheit entspricht. Trifft letzteres nicht zu, was ggf. vom Kläger zu beweisen wäre (BGH NJW 1977, 1681; Baumgärtel, Beweislast, 2. Aufl., § 1004 BGB, Rdn. 2; Ehmann in Erman, 10. Aufl., Anh. zu § 12 BGB, Rdn. 752), so läge in der Äußerung des Beklagten eine unwahre und zudem ehrverletzende Tatsachenbehauptung, die von ihm zu widerrufen der Kläger grundsätzlich unter der Voraussetzung beanspruchen kann, dass dies geeignet ist, einen hierdurch hervorgerufenen fortbestehenden Störungszustand zu beseitigen (vgl. u.a. BGHZ 128, 1 S. 6; Hager in Staudinger [1999], § 823 BGB, Rdn. C 277; Palandt/Thomas, 62. Aufl., vor § 823 BGB, Rdn. 27; Rixecker in MünchKom, 4. Aufl., Anh. zu § 12 BGB, Rdn. 183). Dass die Behauptung, wie hier in einer Abteilungspersonalversammlung, in einem engeren Kreis aufgestellt worden ist, steht einem Widerrufsverlangen nicht entgegen (vgl. BGHZ 89, 198; Ehmann, a.a.O. Rdn. 749). Eine andauernde Störung bzw. fortbestehende Beeinträchtigung hat der Kläger im ersten Rechtszug geltend gemacht, entgegen dem Landgericht hierzu auch vorgetragen und in diesem Zusammenhang insbesondere auf seine Absicht zur Rückkehr als Chefarzt abgestellt. Zu Unrecht hat das Landgericht mithin die Klage bereits hieran scheitern lassen. Ebenso wenig scheitert entgegen der Ansicht des Landgerichts die Klage daran, dass der Kläger den Widerruf nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt geltend gemacht hat. Eine entsprechende Obliegenheit besteht nicht und ist auch nicht durch das vom Landgericht hierfür herangezogene Zitat (Hager in Staudinger, a.a.O. Rdn. C 279) belegt. Dem Zitat ist lediglich zu entnehmen, dass der Widerruf (ggf. durch Veröffentlichung) zum nächstmöglichen Zeitpunkt verlangt werden kann (ebenso Ehmann, a.a.O., Rdn. 750; Wenzel, Handbuch des Äußerungsrechts, 4. Aufl., Rdn. 13.97 - worauf Hager in diesem Zusammenhang verweist). Dass es dem Kläger mit dem begehrten Widerruf lediglich um eine Genugtuung, um Rechthaberei oder etwa darum geht, in einem künftigen Rechtsstreit seine Stellung zu verbessern, was seinem Begehren entgegenstehen würde (Ehmann, a.a.O., Rdn. 746; Hager, a.a.O., Rdn. C 277; Palandt/Thomas, a.a.O.; Rixecker, a.a.O. Rdn. 186), dafür ist nichts vorgebracht und konkret auch nichts ersichtlich.
Allerdings ist anerkannt, dass dem Widerrufsverlangen wegen Zeitablaufs das Rechtsschutzbedürfnis fehlen bzw. durch bloßen Zeitablauf der zu widerrufenden Behauptung die verletzende Wirkung genommen werden kann (BGHZ 128, 1 S. 9; OLG München AfP 1974, 119; OLG Hamburg AfP 1971, 105; Hager, a.a.O. Rdn. 279; Ehmann, a.a.O., Rdn. 750). Unter diesem hilfsweise herangezogenen Gesichtspunkt hat das Landgericht die Klage nach Auffassung des Senats zu Recht abgewiesen. Die angebliche Äußerung des Beklagten fiel am 23.10.2000, am 08.11.2001 hat der Kläger seine Widerrufsklage eingereicht, d.h. über ein Jahr nach dem Vorfall. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger die angeblich aufgestellte unrichtige Behauptung widerspruchslos hingenommen, jedenfalls ist Gegenteiliges weder erstinstanzlich noch im Senatstermin, in dem dieser Gesichtspunkt erörtert worden ist, behauptet worden. Hinzu kommt, dass die beanstandete Äußerung nicht etwa in der Öffentlichkeit, sondern - wenn überhaupt - nur in Anwesenheit eines begrenzten Kreises von Mitarbeitern gefallen ist, was es besonders nahe legt, schnellstmöglich auf eine Richtigstellung bzw. einen Widerruf zu drängen. Dies war hier umso mehr angezeigt, als es um eine mündliche Äußerung ging, deren Beurteilung als unrichtig und damit den Kläger verletzend nach Darstellung des Beklagten entscheidend von dem Kontext abhängt, in dem sie gefallen sein soll. Mit längerem Zuwarten und damit notwendigerweise verbundener Erschwerung der Aufklärbarkeit läuft bei einer solchen Konstellation der angebliche Verletzte Gefahr, die Möglichkeit zur Führung des Entlastungsbeweises zu verlieren, während der Verletzte in der Lage ist, sich rechtzeitig hierauf einzustellen und sich ggf. verlässlicher Zeugen zu versichern. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass der BGH in der zitierten Entscheidung selbst einen Zeitablauf von mehr als zwei Jahren nicht hat ausreichen lassen, einer unwahren Behauptung die verletzende Wirkung zu nehmen, so lag die Besonderheit in dem zu entscheidenden Fall darin, dass es zum einen um eine Veröffentlichung unwahrer Behauptungen in einer auflagenstarken Zeitschrift ging, und zum anderen dieser Zeitablauf ganz überwiegend auf die Dauer des gerichtlichen Verfahrens zurückzuführen war. Die Prozessdauer hat aber insoweit grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, dass sie auf das Verhalten des Verletzten zurückzuführen ist (vgl. Ehmann, a.a.O. Rdn. 750; Hager, a.a.O. Rdn. C 279; Wenzel, a.a.O. Rdn. 13.45). Vom Fortbestehen einer Beeinträchtigung ist trotz eines größeren Zeitablaufs in der Regel auch dann auszugehen, wenn eine unwahre Darstellung eine weite Verbreitung gefunden hat, speziell wenn die Öffentlichkeit an der Darstellung stark interessiert gewesen ist (Wenzel, a.a.O.). An diesen Besonderheiten fehlt es vorliegend unstreitig. Der hier in Rede stehende Zeitablauf ist nicht prozessbedingt, und dass die angebliche Äußerung des Beklagten über den Zuhörerkreis vom 23.10.2000 hinaus eine Verbreitung gefunden hat, wird nicht behauptet. Unter diesen Umständen ist dem Kläger ein rechtsschutzwürdiges Bedürfnis für den begehrten Widerruf nicht mehr zuzubilligen, vielmehr davon auszugehen, dass der behaupteten Äußerung, die der Kläger mehr als ein Jahr widerspruchslos hingenommen hat, eine fortbestehende Beeinträchtigung nicht mehr beizumessen ist. Eine andere Be-urteilung rechtfertigt sich auch nicht allein damit, dass er die Rückkehr auf seine Position als Chefarzt anstrebt und der Widerrufsanspruch nicht etwa verjährt ist. Was die Wiederherstellung seines Ansehens in der Belegschaft seiner Abteilung angeht, so erscheint der geforderte Widerruf in Anbetracht des Zeitablaufs vorliegend nicht mehr als das geeignete Mittel, geschweige denn als erforderlich, und die Dauer der Verjährungsfrist schließt im Einzelfall nicht aus, dass infolge Zeitablaufs sowie weiterer Umstände ein Anspruch, selbst wenn er seine Grundlage im Persönlichkeitsrecht hat, bereits zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr durchsetzbar ist.

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

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(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.