Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 20. Juli 2015 - 20 W 19/15
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold vom 07.04.2015 aufgehoben.
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für ihre Anträge aus dem Schriftsatz vom 16.12.2014 gewährt. Ihr wird zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte Rechtsanwalt I aus N2 beigeordnet.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Wohngebäudeversicherung wegen eines im Mai 2014 angezeigten Leitungswasserschadens an ihrem Gebäude N-Weg in N2 in Anspruch.
4Die Wohngebäudeversicherung bei der Beklagten bestand schon zugunsten der Voreigentümerin, Frau T, bei der Beklagten. Diese veräußerte das Gebäude mit notariellem Kaufvertrag vom 22.07.2010 an die Klägerin, die die Versicherung bei der Beklagten ab dem 21.09.2010 mit der Police ######### und unter Fortgeltung der VGB 2008 fortsetzte (Bl. 88 ff).
5Nach Anzeige eines am 30.06.2012 eingetretenen ersten Leitungswasserschadens kündigte die Beklagte die Versicherung mit Wirkung zum 12.01.2013.
6Im Mai 2014 zeigte die Klägerin den streitgegenständlichen zweiten Leitungswasserschaden an einem Heizungsrohr im Badezimmer an. Die Beklagte lehnte die Regulierung mit Schreiben vom 14.05.2014 ab, weil der Schaden vor Beginn des Vertrages eingetreten sei. Die Klägerin ließ darauf zwei Gutachten der Sachverständigen B erstellen, aus denen sich ergibt, dass der zweite Leitungswasserschaden vor mehreren Jahren eingetreten sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gutachten vom 12.08. (Bl. 16 ff) und 02.10.2014 (Bl. 44 ff) verwiesen. Die Beklagte blieb bei ihrer Leistungsablehnung.
7Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, der Leitungswasserschaden sei in den Jahren 2007 bis 2008 und damit in der Zeit entstanden, in der die Beklagte als Gebäudeversicherer eintrittspflichtig gewesen sei. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, sie sei gem. § 95 VVG berechtigt, Ansprüche geltend zu machen, die sich aus dem Versicherungsverhältnis der Voreigentümerin ergeben.
8Sie hat Prozesskostenhilfe beantragt für die Anträge,
91. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag ############ für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. ######### geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren;
102. die Beklagte zu verurteilen, an sie 597,74 Euro außergerichtliche Mahnkosten zu zahlen.
11Die Beklagte hat beantragt,
12das Prozesskostenhilfegesuch zurückzuweisen.
13Sie hat nunmehr behauptet, der Schadenfall sei in unversicherter Zeit, nämlich nach Januar 2013 eingetreten.
14Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen, weil die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass der Versicherungsfall in versicherter Zeit eingetreten sei. Versicherungsfall iSd § 3 der VGB sei der Bruch an einer Rohrleitung im Sinne der Erstschädigung. Dass eine solche erste Schädigung erst nach Übernahme der Versicherung durch die Klägerin eingetreten sei, behaupte diese selber nicht. Sie beziehe sich vielmehr auf das Gutachten der Sachverständigen B, wonach der Schaden in den Jahren 2007 bis 2008 eingetreten sei. Zu dieser Zeit sei die Klägerin indes noch nicht Versicherungsnehmerin gewesen, Ansprüche wegen eines in diesem Zeitraum eingetretenen Leitungswasserschaden stünden daher nur der Voreigentümerin zu.
15Mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Annahme, die Beklagte sei trotz lückenlosen Deckungsschutzes für das Gebäude im Ergebnis weder ihr noch der Voreigentümerin gegenüber leistungspflichtig, weil sich der genaue Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht feststellen lasse.
16Selbst wenn der Versicherungsfall wie von der Sachverständigen B angenommen schon 2007 bis 2008 eingetreten sein sollte, könne die Klägerin gem. § 95 VG die daraus entstehenden Leistungsansprüche geltend machen. Dies ergebe sich auch aus § 3 des notariellen Kaufvertrages und aus dem Rechtsgedanken des § 285 BGB. Jedenfalls hafte die Beklagte gem. §§ 280 BGB, 6 VVG auf Schadensersatz, weil sie die Klägerin bei der Vertragsübernahme nicht auf Deckungslücken für Altfälle hingewiesen habe.
17Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für den Antrag,
181. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag ############ für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. ######### geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren;
19hilfsweise,
202. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr aus dem Versicherungsvertrag ############ für den bei der Beklagten unter der VS-Nr. ######### geführten Versicherungsfall Deckung zu gewähren.
21Zum Hilfsantrag legt die Klägerin eine Abtretungserklärung der Voreigentümerin vom 22.05.2015 (Bl. 145) vor.
22Die Beklagte beantragt,
23die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.
24Sie bezieht sich auf ihren Vortrag in erster Instanz und meint, die Klägerin trage zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls widersprüchlich vor und könne jedenfalls nicht beweisen, dass der Versicherungsfall erst nach ihrem Eigentumserwerb eingetreten sei.
25II.
26Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur antragsgemäßen Gewährung von Prozesskostenhilfe für die angekündigten Anträge.
271. Die begehrte Prozesskostenhilfe kann der Klägerin nicht mit dem Argument versagt werden, dass sie den Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht hinreichend dargelegt habe. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt gem. § 114 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Solche Erfolgsaussichten lassen sich nicht deshalb verneinen, weil der Schadenseintritt nicht hinreichend dargelegt sei.
28Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Gewährung von Versicherungsschutz für den im Mai 2014 angezeigten Leitungswasserschaden an einem Heizungsrohr im Badezimmer, d. h. für die durch das ausgetretene Wasser entstandenen Schäden. Der Anspruch auf Entschädigung für Nässeschäden besteht gem. § 3 Ziffer 3 VGB unter anderem dann, wenn Leitungswasser aus Rohren der Wasserversorgung oder aus Einrichtungen der Warmwasser- oder Dampfheizung ausgetreten ist. Für die streitentscheidende Frage, ob ein solcher Schaden in versicherter Zeit eingetreten ist, findet sich in § 3 Ziffer 3 VGB keine Regelung. Der Zeitpunkt des Schadenseintritts bei Bruchschäden iSd § 3 Ziffer 1 und 2 VGB lässt sich nicht ohne weiteres auf den Nässeschaden nach § 3 Ziffer 3 VGB übertragen. Anders als ein nach § 3 Ziffer 1 und 2 VGB versicherter Rohrbruch stellen sich Nässeschäden iSd § 3 Ziffer 3 VGB schließlich nicht als punktuelle Ereignisse dar, sondern beruhen auf einem Geschehen, welches sich regelmäßig über einen oft längeren Zeitraum erstreckt und zu einem infolge nachlaufenden Wassers sich ständig vergrößernden Schaden führt. Entgegen der vom Landgericht (und etwa OLG Celle, r+s 2012, 493) vertretenen Ansicht lässt sich für den Zeitpunkt des Versicherungsfalls iSd § 3 Ziffer 3 VGB deshalb nicht allein darauf abstellen, wann die erste Rohrundichtigkeit im Sinne einer „Erstschädigung“ eingetreten ist. Aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kann das Versicherungsversprechen für Nässeschäden vielmehr auch dahin ausgelegt werden, dass der Versicherungsfall „Nässeschaden“ so lange andauert, wie Wasser bestimmungswidrig aus Leitungen austritt und versicherte Sachen zerstört oder beschädigt. Gerade im Fall eines Versicherungswechsels geht der durchschnittliche Versicherungsnehmer schließlich davon aus, dass er lückenlosen Versicherungsschutz für sämtliche Schäden erhält bzw. behält, die er unter Geltung der neuen Versicherung entdeckt. Schließlich treffen ihn die Anzeigepflichten aus § 27 Ziffer 2 VGB nur im Hinblick auf die Schäden, die ihm zur Kenntnis gelangt sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann deshalb annehmen, der neue Versicherer stehe für sämtliche Nässeschäden ein, die der Versicherungsnehmer in versicherter Zeit entdeckt (vgl. dazu Felsch, r+s 2014, 313, 324 f). Bei einem solchen Verständnis des Versicherungsfalls iSd § 3 Ziffer 3 VGB besteht Versicherungsschutz, solange (noch) Wasser aus der defekten Leitung austritt und zu Nässeschäden an versicherten Sachen führt.
29Diese Auslegungsmöglichkeit genügt im vorliegenden Fall für die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren, weil das Wasser nach dem erstinstanzlich vorgelegten Gutachten der Sachverständigen B seit 2007/2008 aus dem defekten Heizungsrohr austrat und bis in die Versicherungszeit der Klägerin hinein Schäden verursachte.
30Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass der Nässeschaden erst nach Beendigung des Versicherungsschutzes im Januar 2013 eingetreten sei, nimmt dies der beabsichtigten Klage angesichts des angetretenen Sachverständigenbeweises nicht ihre Erfolgsaussichten.
31Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, inwieweit die Klägerin gem. § 95 VVG oder wegen der nun erklärten Abtretung die für die Voreigentümerin entstandenen Ansprüche geltend machen kann.
322. Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Feststellungsklage scheitern auch nicht daran, dass die Klägerin ihren Schaden nach dem vorgelegten Gutachten auch beziffern und im Wege der Leistungsklage geltend machen könnte. Solange der Versicherungsnehmer das bedingungsgemäße Sachverständigenverfahren verlangen kann, besteht ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Einstandspflicht dem Grunde nach, weil zu erwarten ist, dass mit einem solchen Sachverständigenverfahren ein weiterer Rechtsstreit im Ergebnis vermieden wird (BGH, VersR 1986, 675).
33III.
34Der Beschwerdewert entspricht dem Gebühreninteresse der Klägerin in erster Instanz. Kosten werden nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 20. Juli 2015 - 20 W 19/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 20. Juli 2015 - 20 W 19/15
Referenzen - Gesetze
(1) Wird die versicherte Sache vom Versicherungsnehmer veräußert, tritt an dessen Stelle der Erwerber in die während der Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsverhältnis sich ergebenden Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ein.
(2) Der Veräußerer und der Erwerber haften für die Prämie, die auf die zur Zeit des Eintrittes des Erwerbers laufende Versicherungsperiode entfällt, als Gesamtschuldner.
(3) Der Versicherer muss den Eintritt des Erwerbers erst gegen sich gelten lassen, wenn er hiervon Kenntnis erlangt hat.
(1) Erlangt der Schuldner infolge des Umstands, auf Grund dessen er die Leistung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen braucht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz oder einen Ersatzanspruch, so kann der Gläubiger Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder Abtretung des Ersatzanspruchs verlangen.
(2) Kann der Gläubiger statt der Leistung Schadensersatz verlangen, so mindert sich dieser, wenn er von dem in Absatz 1 bestimmten Recht Gebrauch macht, um den Wert des erlangten Ersatzes oder Ersatzanspruchs.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Wird die versicherte Sache vom Versicherungsnehmer veräußert, tritt an dessen Stelle der Erwerber in die während der Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsverhältnis sich ergebenden Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ein.
(2) Der Veräußerer und der Erwerber haften für die Prämie, die auf die zur Zeit des Eintrittes des Erwerbers laufende Versicherungsperiode entfällt, als Gesamtschuldner.
(3) Der Versicherer muss den Eintritt des Erwerbers erst gegen sich gelten lassen, wenn er hiervon Kenntnis erlangt hat.
(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.
(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.
(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.
(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.