Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 04. Aug. 2015 - 1 Ws 319/15
Gericht
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 19.05.2015 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 14.04.2015 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04.08.2015
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
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Zusatz:
2Soweit die Strafvollstreckungskammer sich zur Begründung ihrer Entscheidung auch auf die Wertung des im früheren Aussetzungsverfahren tätigen Sachverständigen Dr. C stützt und ausführt, dass sie dessen Ansicht teile, dass im Falle einer Entlassung bei Wegfall des haltgebenden Vollzuges nicht ansatzweise sichergestellt werden könne, dass der Verurteilte keine schwerwiegenden Taten mehr begehe, und sie diesen Sachverständigen nicht (erneut) mündlich angehört hat, verstößt dies nicht gegen § 454 Abs. 2 S. 3 StPO. Zwar gilt nach bisheriger ständiger Senatsrechtsprechung Folgendes (Senatsbeschluss vom 05.03.2013 – III – 1 Ws 46/13; vgl. auch: Senatsbeschluss vom 11.01.2007 – 1 Ws(L) 897/06 – juris; OLG Hamm NStZ 2005, 55):
3„Hat die Strafvollstreckungskammer gutachterliche Erkenntnisse verwendet, ist sie grundsätzlich auch verpflichtet, gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO den Sachverständigen mündlich anzuhören (vgl. Senatsbeschluss vom 20.04.2009 - 1 Ws 171/2009 - m.w.N.). Die durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 eingefügte Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist zwingendes Recht und daher grundsätzlich unabdingbar. Die Vorschrift dient auch dem Anspruch des Verurteilten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs. Ihm ist nämlich - neben anderen Prozessbeteiligten - im Anhörungstermin Gelegenheit zu geben, Fragen an den Sachverständigen zu stellen und Erklärungen abzugeben,
4§ 454 Abs. Satz 6 StPO. Dies gilt im Regelfall auch dann, wenn die Strafvollstreckungskammer das Gutachten, dessen Feststellungen sie berücksichtigt, nicht bei der anstehenden Entscheidung gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 StPO eingeholt hat, weil sie entweder das Gutachten eines Anstaltspsychologen zu Grunde gelegt oder sich, wie hier, auf ein früher eingeholtes Sachverständigengutachten bezogen hat, weil auch im letztgenannten Fall sich Veränderungen ergeben haben können, die dem Verurteilten Anlass geben, erneut den Sachverständigen zu befragen (vgl. Senatsbeschluss a.a.O.).“
5Ob diese Rechtsprechung fortzusetzen ist oder ob die Pflicht zur mündlichen Anhörung nur den vom Gericht im aktuellen Aussetzungsverfahren beauftragten Sachverständigen betrifft und es nicht vielmehr eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht (und nicht des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO) ist, inwieweit vor Verwendung früherer gutachterlicher Stellungnahmen der frühere Sachverständige (erneut) mündlich anzuhören ist, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls in einem Fall in dem der frühere Sachverständige, dessen gutachterliche Einschätzung in die aktuell angefochtene Entscheidung einfließt, ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO mündlich angehört worden oder eine solche Anhörung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist, erfordert § 454 Abs. 2 S. 3 StPO nicht dessen (erneute) mündliche Anhörung im aktuellen Verfahren. Die Möglichkeit, Fragen an den früheren Sachverständigen zu richten, hat der Verurteilte dann im Rahmen des früheren Aussetzungsverfahrens gehabt. § 454 Abs. 2 S. 3 StPO kann dann nicht verletzt sein. Insoweit hält der Senat an seiner im Beschluss vom 12.02.2015 – III – 1 Ws 41/15 – zum Ausdruck gebrachten Auffassung nicht mehr fest, dass in den Fällen des erneuten Rückgriffs auf die früheren Ausführungen eines/einer Sachverständigen zumindest nach längerem Zeitablauf grundsätzlich gemäß § 454 Abs. 2 StPO eine erneute Anhörung geboten sei. In der vorgenannten Entscheidung ist allerdings die nach jetziger Auffassung des Senats gebotene Unterscheidung zwischen Fällen, in denen bereits früher ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO verfahren wurde und solchen, in denen das nicht der Fall war, nicht erörtert worden. Ob der frühere Sachverständige in den Fällen, in denen früher bereits ordnungsgemäß nach § 454 Abs. 2 StPO verfahren worden ist, erneut (schriftlich oder gar mündlich) anzuhören ist, richtet sich nicht nach der Vorschrift des § 454 Abs. 2 StPO, sondern ist vielmehr allein eine Frage der richterlichen Aufklärungspflicht.
6Die Strafvollstreckungskammer hat im vorliegenden Fall ihre Aufklärungspflicht nicht verletzt. Sie legt mit einer zutreffenden, vom Senat geteilten, eigenen Argumentation dar, warum sie die günstige Legalprognose des Sachverständigen Prof. Dr. L nicht teilt und eine hinreichend günstige Aussetzungsprognose (und zwar unabhängig von der Frage der Gewährung/Nichtgewährung von Lockerungen) nicht als gegeben erachtet. Lediglich in einem Punkt bezieht sie sich zur Stützung ihrer Auffassung auf die o.g. Ausführungen des früheren Sachverständigen Dr. C. Anlass, diese durch eine erneute Anhörung des Sachverständigen Dr. C näher zu hinterfragen, bestand nicht. Auch der Sachverständige Prof. Dr. L sieht nämlich die Gefahr, dass das taktierende, misstrauische, teils unehrliche Verhalten des Verurteilten, beruhend auf seiner basalen Unsicherheit zu Schwierigkeiten bei einer eigenständigen aktiven Lebensgestaltung in Freiheit führen kann.
7Der Festsetzung eines hinausgeschobenen Aussetzungstermins nach § 454a StPO bedurfte es nicht, da dem Verurteilten bereits unabhängig der Frage der Lockerungen keine günstige Aussetzungsprognose gestellt werden kann.
Annotations
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn
- 1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt, - 2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung - a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate, - b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder - 3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes
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der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder - 2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.
(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.
(1) Beschließt das Gericht die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe mindestens drei Monate vor dem Zeitpunkt der Entlassung, so verlängert sich die Bewährungszeit um die Zeit von der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung bis zur Entlassung.
(2) Das Gericht kann die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufheben, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet werden kann; § 454 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3 Satz 1 gilt entsprechend. § 57 Abs. 5 des Strafgesetzbuches bleibt unberührt.