Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 15. Jan. 2015 - 1 Vollz (Ws) 671/14
Gericht
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum zurückverwiesen.
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene hat sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Ablehnung der Bewilligung von Freistellung von der Arbeitspflicht durch die Justizvollzugsanstalt C gewandt. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss ist der Betroffene seit dem 29.07.2013 im Eigenbetrieb „Buchbinderei“ beschäftigt. Bis zum 30.05.2014 hat er ein Fehlzeitenkontigent von 44 Tagen erreicht. Diese Fehlzeiten, die nicht auf Krankheit beruhten, sollen von der Justizvollzugsanstalt auf den Jahreszeitraum nach § 42 Abs. 1 StVollzG angerechnet worden sein. Am 04.06.2014 hatte der Betroffene einen weiteren Fehltag. Die Justizvollzugsanstalt war der Ansicht, dass ab dem 45. Fehltag der Jahreszeitraum unterbrochen worden sei und neu begonnen hätte, so dass die Voraussetzungen für eine Freistellung nicht vorgelegen hätten.
4Den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum als unbegründet zurückgewiesen. Sie ist der Meinung, dass es nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn die Justizvollzugsanstalt bei deutlich mehr als 30 Fehltagen ab dem 45. Fehltag eine Unterbrechung des Jahreszeitraums annehme. Eine bloße Hemmung liege nicht vor, da hierfür Voraussetzung sei, dass die geleistete Arbeit auch bei großzügiger Betrachtung noch den Zusammenhang mit „einem Jahr“ wahrt.
5Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung „formellen und materiellen Rechts“ rügt. Er stellt heraus, dass die Fehlzeiten nicht auf seinem Verschulden beruhten, sondern auf Personalmangel in der Justizvollzugsanstalt.
6II.
7Die – auch im Übrigen zulässige – Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 116 StVollzG). Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss lassen besorgen, dass der Entscheidung ein grundlegendes Fehlverständnis vom Verhältnis anrechenbarer Fehlzeiten zur Behandlung nicht (mehr) anrechenbarer Fehlzeiten zu Grunde liegt (dazu unten III.), welches dazu führen könnte, dass auch in Zukunft Entscheidungen, denen ein solches Verständnis zu Grunde liegt, getroffen werden. Dies könnte zu einer Zersplitterung der Rechtsprechung führen.
8III.
9Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
10Die bisherigen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer tragen es nicht, wegen des 45. Fehltages von einer Unterbrechung der Jahresfrist des § 42 Abs. 1 StVollzG auszugehen.
11Bei nicht krankheitsbedingten Fehlzeiten fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, wie sich solche auf den Erwerb des Freistellungsanspruchs binnen Jahresfrist nach § 42 Abs. 1 StVollzG auswirken. Danach bleibt offen, ob und in welchem Umfang in solchen Fällen überhaupt eine Anrechnung stattfindet. Bei nicht anrechenbaren Fehlzeiten ist weiter offen, ob diese zu einer Hemmung der Jahresfrist (mit der Auswirkung, dass der Urlaubsanspruch erst innerhalb einer verlängerten Frist erworben werden kann) oder zu einer Unterbrechung führt (d.h., dass die Jahresfrist nach Ende der Fehlzeit von neuem begönne; vgl. zum Ganzen Walther in: Beck-OK-StVollzG, § 42 Rdn. 5 f.).
12Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.02.1984 (NStZ 1984, 572) ist § 42 Abs. 1 StVollzG nicht so auszulegen, dass der Gefangene etwa ein Jahr lang an allen Werktagen gearbeitet haben muss. Auch verschuldete Fehlzeiten müssen nicht zwingend zu einer Unterbrechung des Jahreszeitraums führen. Dies ist in der Rechtsprechung dahingehend umgesetzt worden, dass es in einem Fall, in dem es nicht mehr angemessen ist, Fehltage auf die Jahresfrist anzurechnen, es nicht zur Unterbrechung, sondern zur Hemmung der Jahresfrist kommt und der Gefangene dann erst nach Ablauf von ggf. erheblich mehr als einem Jahr ab Arbeitsaufnahme „ein Jahr lang“ Tätigkeit ausgeübt hat (BGHSt 35, 95; OLG Hamm MDR 1989, 764). Bei längeren, nicht mehr anrechenbaren Fehlzeiten, bei denen auch bei großzügiger Betrachtungsweise nicht ernstlich mehr davon gesprochen werden kann, der Gefangene habe „ein Jahr“ gearbeitet, wird die Jahresfrist hingegen unterbrochen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.04.2007 – 1 Vollz(Ws) 231/07 m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 20.12.2005 – 1 Voll(Ws) 220/05; OLG Hamm, Beschl. v. 27.06.2013 – 1 Vollz(Ws) 208/13). Zunächst ist daher ggf. eine Entscheidung über die Anrechnung von Fehlzeiten als Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde zu überprüfen, weiter dann ggf. die Behandlung nicht mehr anrechenbarer Fehlzeiten (OLG Koblenz ZfStrVO 1992, 197; Pfister NStZ 1988, 117, 118).
13Vorliegend wurden – so jedenfalls die Feststellungen der Strafvollstreckungskammer – von der Vollzugsbehörde 44 Fehltage auf die Jahresfrist angerechnet. Insoweit stellt sich also die Frage einer Unterbrechung oder Hemmung derselben gar nicht, da – wenn dem tatsächlich so ist – diese Anrechnung, die den Betroffenen nicht beschwert, von der Strafvollstreckungskammer hinzunehmen wäre. Dass aber dann lediglich ein einziger weiterer Fehltag den Jahreszusammenhang unterbrechen sollte, ist erläuterungsbedürftig und auf der Basis der bisherigen Feststellungen rechtlich nicht nachvollziehbar. Die Strafvollstreckungskammer geht offenbar davon aus, dass angesichts von 45 Fehltagen die Jahresfrist unterbrochen sei, verkennt aber dabei, dass – wenn die Feststellungen zutreffen – 44 Arbeitstage von der Vollzugsbehörde auf die Jahresfrist angerechnet worden sind. Wenn aber die Vollzugsbehörde selbst eine Anrechnung auf die Jahresfrist vorgenommen hat, können diese Tage von der Strafvollstreckungskammer nicht zu Lasten des allein beschwerdeführenden Betroffenen als nichtanrechenbare Fehlzeiten gewertet und für eine Unterbrechung der Jahresfrist herangezogen werden. Hinzu kommt, dass aus dem angefochtenen Beschluss nicht ersichtlich ist, dass die Fehltage in einem solchen zeitlichen Zusammenhang stehen, dass nach ihnen liegende Arbeitstage selbst bei großzüger Betrachtungsweise nicht mehr im Jahreszusammenhang mit den davor liegenden Arbeitstagen angesehen werden könnten. Nach Auffassung des Senats wäre der Jahreszusammenhang z.B. dann nicht unterbrochen, wenn sich – nicht anrechenbare Fehltage – gleichmäßig auf das Jahr verteilen, etwa so, dass alle ein bis zwei Wochen ein Fehltag vorliegt. Dies beruht auf der Überlegung, dass der mit der Regelung verfolgte Erholungszweck auch dann noch erreicht wird, wenn der Betroffene nicht durchgängig eine „Fünf-Tage-Woche“ hatte, weil immer wieder einzelne freie Tage, verteilt über das ganze Jahr, nicht den gleichen Erholungswert haben, wie eine längere Freistellungsphase.
14Da der Senat Bedenken hat, dass im angefochtenen Beschluss der zu Grunde liegende Sachverhalt zutreffend erfasst worden ist, da eine Anrechnung von 44 Fehltagen deutlich über der weithin anerkannten Obergrenze von 30 Tagen läge
15(vgl. OLG Stuttgart NStZ 1987, 479; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 42 Rdn. 4), und auch Feststellungen zur Dauer und Zeitpunkten der Unterbrechungen fehlen (zu den erforderlichen Feststellungen vgl. OLG Koblenz ZfStrVO 1992, 197, 198) soll der Strafvollstreckungskammer Gelegenheit zu einer insgesamt neuen Sachverhaltsfeststellung gegeben werden.
Annotations
(1) Hat der Gefangene ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so kann er beanspruchen, achtzehn Werktage von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden. Zeiten, in denen der Gefangene infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, werden auf das Jahr bis zu sechs Wochen jährlich angerechnet.
(2) Auf die Zeit der Freistellung wird Urlaub aus der Haft (§§ 13, 35) angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes eines Angehörigen erteilt worden ist.
(3) Der Gefangene erhält für die Zeit der Freistellung seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter.
(4) Urlaubsregelungen der Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Strafvollzuges bleiben unberührt.
(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.
(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(1) Der Strafsenat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß.
(2) Seiner Prüfung unterliegen nur die Beschwerdeanträge und, soweit die Rechtsbeschwerde auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur die Tatsachen, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde bezeichnet worden sind.
(3) Der Beschluß, durch den die Beschwerde verworfen wird, bedarf keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet.
(4) Soweit die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet wird, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Der Strafsenat kann an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Sonst ist die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
(5) Die Entscheidung des Strafsenats ist endgültig.
(1) Hat der Gefangene ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit nach § 37 oder Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 ausgeübt, so kann er beanspruchen, achtzehn Werktage von der Arbeitspflicht freigestellt zu werden. Zeiten, in denen der Gefangene infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, werden auf das Jahr bis zu sechs Wochen jährlich angerechnet.
(2) Auf die Zeit der Freistellung wird Urlaub aus der Haft (§§ 13, 35) angerechnet, soweit er in die Arbeitszeit fällt und nicht wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung oder des Todes eines Angehörigen erteilt worden ist.
(3) Der Gefangene erhält für die Zeit der Freistellung seine zuletzt gezahlten Bezüge weiter.
(4) Urlaubsregelungen der Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Strafvollzuges bleiben unberührt.