Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 31. Aug. 2017 - L 3 R 331/14

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2017:0831.L3R331.14.00
31.08.2017

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juni 2014 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 1. Juni 2010 bis zum 31. Mai 2019 Rente wegen voller Erwerbsminderung nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu drei Viertel.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

2

Der 1959 geborene Kläger absolvierte nach dem Abschluss der zehnten Klasse erfolgreich eine Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter (Facharbeiterzeugnis vom 28. April 1978). Mit dem Arbeitsvertrag vom 30. April 1978 wurde er von der PGH des Kfz-Handwerks W. als Zerspanungsfacharbeiter im Instandsetzungsbereich eingesetzt. Seine Arbeitsaufgabe umfasse die Bearbeitung sämtlicher Teile, die im Rahmen der Instandsetzungsaufgaben anfielen. Ihm würden als Vergütung 1,87 M Stundengrundlohn und Leistungszuschlag gezahlt. Ausweislich des Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung war der Kläger nach Ableistung seines Wehrdienstes vom 1. Mai 1978 bis zum 30. April 1981 dann vom 1. Mai 1981 bis zum 31. Dezember 1987 als Dreher versicherungspflichtig beschäftigt. Nach den Angaben des Klägers ist er während der Anstellung als Zerspanungsfacharbeiter von 1981 bis 1987 in der Bremsbackenaufbereitung tätig gewesen. Der Wechsel dorthin sei vom Betrieb entschieden worden. Die Tätigkeit des Bremsbackenreinigers sei nur ein Teil seiner Tätigkeit gewesen. Auf dem Betriebsgelände hätten sich sowohl eine Werkstatt für verschiedene Autos als auch für die Bremsbackenaufbereitung befunden.

3

Am 24. Februar 1987 erlitt der Kläger eine komplexe Handverletzung rechts, bei der er auf Grund einer Stanzverletzung die Finger 2 bis 5 im Grundglied und den rechten Daumen im Endglied verlor. Ausweislich des Unfall-Rentenbescheides der Staatlichen Versicherung der DDR vom 16. November 1987 erhielt er auf Grund des festgestellten Grades des Körperschadens von 50 Prozent ab August 1987 eine Teilrente in Höhe von 200,00 M. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft gab an, der Kläger sei im Unfallzeitpunkt als Zerspaner tätig gewesen und habe sodann bis 1992 als Telefonist gearbeitet. Der Kläger hat angegeben, nach dem Unfall an der rechten Hand ein halbes Jahr krankgeschrieben gewesen zu sein. Dann habe ihm der Betrieb den Vorschlag gemacht, in den Telefondienst zu wechseln, weil eine andere Stelle nicht vorhanden und im Lager eine Stelle frei gewesen sei, die er habe ausüben können. Die Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter habe er nicht mehr verrichten können, weil bei dieser Tätigkeit schwere Werkstücke zu handhaben gewesen seien und in eine Maschine hätten eingespannt werden müssen.

4

Ausweislich des Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung war der Kläger vom 1. Januar 1988 bis zum 31. Dezember 1991 als Technischer Mitarbeiter - jeweils in der PGH des Kraftfahrzeughandwerks W. - beschäftigt. Für das Jahr 1986 ist ein beitragspflichtiger Gesamtverdienst in Höhe von 6.847,20 M, für 1987 3.381,50 M, für 1988 7.146,00 M, für 1989 6.817,70 M und für 1990 insgesamt 11.758,07 M angegeben.

5

Der Kläger bezieht nach wie vor Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 Prozent und seit dem 30. April 1993 ist bei ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

6

Von 1994 bis 1995 absolvierte der Kläger nach seinen Angaben einen Computerlehrgang im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Von 1995 bis 1999 sei er als Hilfsarbeiter bzw. in der Grünflächenpflege tätig gewesen. Von 2002 bis 2004 habe er als Wachmann gearbeitet. Danach war er zunächst erneut in der Grünflächenpflege tätig, bevor er von 2005 bis zum 23. Dezember 2009 als Grobmüllsortierer beschäftigt war. Bereits seit dem 18. Juni 2008 war er wegen einer Knochenhautentzündung im linken Ellenbogen arbeitsunfähig erkrankt.

7

Vom 25. November bis zum 16. Dezember 2008 nahm der Kläger an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Rehabilitationsklinik B. C. teil. Dort sind als Diagnosen neben der Verletzung der rechten Hand eine Epicondylalgie radialis humeri links, ein Zervikobrachialsyndrom sowie eine arterielle Hypertonie als Diagnosen genannt. Der Kläger könne die letzte Tätigkeit als Grobmüllsortierer nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm noch leichte körperliche Arbeiten auch überwiegend im Gehen, Stehen und Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Das Tragen und Bewegen von Lasten ohne technische Hilfsmittel sowie Arbeiten mit Belastungen der Hände sollten vermieden werden.

8

Auf den Rentenantrag vom 24. November 2009, den der Kläger mit dem Fingerverlust der rechten Hand und der Knochenhautentzündung im Ellenbogen des linken Arms begründete, holte die Beklagte u.a. das Gutachten des Facharztes für Orthopädie/Chirotherapie Dipl.-Med. B. vom 24. März 2010 ein. Dieser berücksichtigte als Diagnosen den Zustand nach Finger-(Teil-)Amputationen der rechten Hand, die Epicondylitis humeri radialis mit Zustand nach Tenotomie links und Re-Tenotomie im März und September 2009, eine Fingergelenkpolyarthrose ohne funktionelle Beschwerden, eine Angina pectoris, eine Hyperlipidämie, eine essentielle Hypertonie, den Verdacht auf einen Nikotin- und Alkoholabusus, einen Diabetes mellitus sowie eine Retinopathia diabetica mit Zustand nach Laserkoagulation beidseits. Aus orthopädischer Sicht sei der Kläger für leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Ausschluss von Tätigkeiten auf Leitern und/oder Gerüsten, an rotierenden Maschinen sowie mit Hebe- und Tragetätigkeiten vollschichtig einsetzbar. In den zuletzt ausgeübten Berufen als Zerspaner, Bremsbackenregenerierer, Lagerarbeiter, Schädlingsbekämpfer und Grobmüllsortierer sei er auf Dauer nicht mehr einsetzbar. Der Kläger könne als Telefonist und im Wachdienst vollschichtig arbeiten.

9

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers ab. Dieser sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, Zeitdruck, Akkord, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben und Tragen von Lasten, Gefährdung durch Kälte und Nässe, Tätigkeiten an rotierenden Maschinen sowie ohne dauernde Belastung der Hände und ohne häufige Überkopfarbeiten sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Er sei auch nicht berufsunfähig. Beim Kläger sei vom Hauptberuf als Grobmüllsortierer auszugehen. Damit sei er in die Gruppe der Angelernten im unteren Bereich einzuordnen und auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar (Bescheid vom 6. April 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010).

10

Mit der am 29. Oktober 2010 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, seinen linken Arm nicht über einen längeren Zeitraum, schon gar nicht über sechs Stunden täglich, belasten zu können. Anderenfalls stellten sich bei ihm starke Schmerzen im linken Arm ein. Seine rechte Hand könne er so gut wie nicht mehr gebrauchen. Insoweit sei ihm die Tätigkeit als Grobmüllsortierer von Anfang an eigentlich nicht möglich gewesen. Er habe ständig unter Beschwerden gelitten und sei des Öfteren arbeitsunfähig gewesen. Auch sei bislang sein schwaches Sehvermögen mit einem Visus von 0,4 rechts und 0,5 links nicht berücksichtigt worden. Auf Grund dessen habe er seine Arbeit als Wachmann verloren. Welche Tätigkeit er noch verrichten können solle, sofern nur Tätigkeiten ohne Belastungen beider Hände möglich seien, sei nicht ersichtlich. Soweit solche Tätigkeiten überhaupt existierten, setzten sie eine entsprechende Ausbildung voraus, über die er nicht verfüge. Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei von seinem erlernten Beruf als Zerspaner und nicht von der Hilfstätigkeit des Grobmüllsortierers auszugehen.

11

Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von den Fachärzten für Chirurgie Dr. B. und Dr. P. vom 27. Juni und 1. Juli 2011, von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. G. vom 11. Juli 2011 und dem Augenarzt Dipl.-Med. M. vom 15. August 2011 eingeholt. Dipl.-Med. M. hat als gestellte Diagnosen einen Katarakt (Grauer Star) beidseits, eine diabetische Retinopathie beidseits bei Zustand nach Laserkoagulation der Netzhaut beidseits (8/04 und 5/05) sowie einen Visus mit Korrektur rechts 0,5 und links 0,6 mitgeteilt und darauf hingewiesen, dass leichte Linsentrübungen beidseits im Laufe der von Mai 2004 bis Juli 2011 durchgeführten Behandlungen hinzugekommen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 37, 38, 43 bis 59, 62 bis 86 und 94 der Gerichtsakte Bd. I Bezug genommen.

12

Sodann hat das Sozialgericht das Gutachten der Oberärztin im Universitätsklinikum H. und Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. B. vom 25. Februar 2013 eingeholt. Diese hat den Kläger am 29. Januar 2013 ambulant untersucht und folgende Diagnosen festgestellt:

13

Chronische Entzündung der Sehnenansätze von Muskeln des Unterarmes am linken Ellenbogen (Epicondylitis humeri radialis).

14

Unfallbedingte Amputation durch Stanzverletzung mit Amputation des Daumens rechts im Endglied und der Finger II-V im Grundgelenk.

15

Diabetes mellitus.

16

Diabetesbedingte Schädigung der Netzhaut mit mittelgradiger Sehkrafteinschränkung.

17

Bluthochdruck, medikamentös eingestellt.

18

Fettleber.

19

Gallensteine, ohne Beschwerden.

20

Im Vordergrund stünden Beschwerden durch eine Epicondylitis am linken Ellenbogen. Hierbei handele es sich um eine Entzündung der Sehnenansätze der Unterarmmuskeln, die am Ellenbogen befestigt seien. Bei allen Streckbewegungen des Unterarmes, der Hand oder Finger komme es zu Zug auf die Sehnenansätze, was den Schmerz auslöse. Bei häufigem Ausführen der Bewegungen werde der Reizzustand verstärkt und es komme zur Aktivierung der Entzündung. Beim Kläger sei die Epicondylitis in ein chronisches Stadium übergegangen. Alle therapeutischen Möglichkeiten, einschließlich zweimaliger Operationen, seien ausgeschöpft. Die klinische Untersuchung habe gezeigt, dass weiter Entzündungszeichen vorlägen. In der Magnetresonanztomographie (MRT) vom 15. November 2011 seien typische Veränderungen zu sehen, auch wenn sie derzeit auf Grund der Schonung nur in geringem Ausmaß vorhanden seien. Rechtsseitig habe der Kläger große Teile aller fünf Finger verloren. Vom Daumen und vom Zeigefinger stünden nur noch Stümpfe, so dass er damit im Pinzettengriff - allerdings nur leichte Teile - greifen könne. Die Handfläche sei sehr gut beweglich, so dass er auch mit der Handfläche und dem Daumen Teile greifen könne. Grobmotorische Greiftätigkeiten könne er ausführen, wenn die Last nicht zu schwer sei. Er habe im Laufe der Zeit für die funktionellen Möglichkeiten der amputierten Finger durch Übung ein Maximum erreicht. Leider habe er dadurch nie erlernt, Funktionen mit der linken Hand zu übernehmen. Es sei auch keine Ergotherapie erfolgt, bei der die Linkshändigkeit, z.B. beim Schreiben, hätte geübt werden können. Nunmehr seien die Möglichkeiten für die linke Hand durch die Epicondylitis eingeschränkt. Darüber hinaus bestünde als Folge des Diabetes mellitus eine Schädigung der Netzhaut. Trotz mehrfacher Laseroperationen sei die Sehkraft auf beiden Augen irreparabel eingeschränkt und führe zu einer mittelgradigen Sehbehinderung beidseits. Der Kläger könne nur noch leichte körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten ohne Arbeiten in Zwangshaltungen, insbesondere Armvorhalte bzw. Überkopfarbeiten, keine Leiter- oder Gerüstarbeiten oder andere Arbeiten mit Absturzgefahr verrichten. Schweres Heben und Tragen müsse vermieden werden. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei eingeschränkt. Der Kläger könne nur leichte Lasten greifen, allerdings sei der Griff nicht ganz sicher, so dass auch mal Gegenstände fallen könnten. Feinmotorische Arbeiten könne er weder mit links noch mit rechts ausführen. Der linke Arm und die linke Hand seien auf Dauer minderbelastbar für festes Zugreifen und alle repetitiven Tätigkeiten. Auch Schreiben sei nur eingeschränkt möglich (nur Druckschrift, sehr langsam). Das Sehvermögen sei beeinträchtigt und könne auch mit einer Brille nicht korrigiert werden. Er könne keine Arbeiten ausführen, die gutes Sehvermögen erforderten. Der Kläger sei geistig nur leichten und anamnestisch geringen bis durchschnittlichen Anforderungen gewachsen. Ausgeschlossen seien zudem Arbeiten in Zugluft, Nässe und Kälte, Akkord- oder Fließbandarbeit sowie Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck. Ihm zumutbare Arbeiten könne der Kläger regelmäßig sechs Stunden täglich verrichten. Die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Kläger könne aus medizinischen Gründen auf Grund einer noch ausreichenden Sehkraft einen Pkw führen. Die Einschränkungen bestünden auf Dauer. Die therapeutischen Möglichkeiten seien ausgeschöpft.

21

In einer zu Einwänden des Klägers abgegebenen ergänzenden Stellungnahme vom 4. Juni 2013 hat Dr. B. klargestellt, dass der Kläger am Tag der Untersuchung nicht unter Ödemen an den Beiden gelitten habe. Soweit dieser darauf hingewiesen habe, dass sich die Frage stelle, welche Arbeiten er überhaupt noch ausführen könne, sei dies berechtigt. Sie habe in ihrem Gutachten beschrieben, dass ihm wegen der Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit beider Hände ein relevanter Teil des Arbeitsmarktes verschlossen sei. Ob sich eine Tätigkeit ergebe, die er überhaupt noch ausführen könne, müsse im Rahmen des Gerichtsverfahrens entschieden werden.

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Mit Urteil vom 4. Juni 2014 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum Beginn der Regelaltersrente eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Kläger verfüge noch über ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden für leichte körperliche Tätigkeiten, u.a. ohne feinmotorische Arbeiten, festes Zugreifen und repetitive Belastungen. Damit sei ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht nachgewiesen. Der Kläger sei jedoch zur Überzeugung der Kammer berufsunfähig und habe einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hauptberuf des Klägers sei die ausgeübte Tätigkeit in der Bremsbackenaufbereitung. Die Tätigkeit als Grobmüllsortierer könne nicht zugrunde gelegt werden, weil sie nicht dem Leistungsbild des Klägers entsprochen und der Kläger diese Tätigkeit auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt habe. Hauptberuf sei auch nicht die erlernte und höherwertige Tätigkeit des Klägers als Zerspanungsfacharbeiter. Hiervon habe sich der Kläger 1981 aus nicht gesundheitlichen Gründen gelöst. Der Wechsel sei unter dem Druck der Verhältnisse erfolgt. Der Kläger habe insoweit angegeben, sich dem Wechsel in diesen Betriebsteil nicht habe entziehen können. Das gesetzlich geschützte Risiko habe sich jedoch insofern nicht verwirklicht. Die Tätigkeit in der Bremsbackenaufbereitung habe nur entfernt mit dem erlernten Beruf als Zerspanungsfacharbeiter zu tun gehabt. Der Kläger habe nicht mehr Metall in großer Stückzahl zu bearbeiten gehabt, sondern sei dafür verantwortlich gewesen, Bremsbacken mit den dafür vorgesehenen Maschinen zu reinigen und neu zu beziehen. Ob es eine Ausbildung für diese Tätigkeit gegeben habe, könne nicht eingeschätzt werden. Letztendlich habe der Kläger seine vorher ausgeübte Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter jedoch jederzeit wieder aufnehmen müssen, wenn er dazu aufgefordert worden wäre. Denn er habe auf einem einheitlichen Betriebsgelände mit verschiedenen Werkstätten gearbeitet. Wegen der Handverletzung habe der Kläger die Tätigkeit nicht mehr ausüben und sie nach dem Unfall aufgeben müssen. Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte könne der Kläger nicht mehr verrichten. Die Sehkraft sei auf beiden Augen irreparabel geschädigt. Er könne nur noch Arbeiten verrichten, die kein gutes Sehvermögen erforderten, und nur leichte Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen bewältigen. Das Anforderungsprofil des Pförtners an der Nebenpforte setze jedoch durchschnittliche Anforderungen an mnestische Fähigkeiten und ein normales Hör- und Sehvermögen voraus.

23

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14. Juli 2014 zugestellte Urteil am 18. Juli 2014 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hält daran fest, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei. Selbst wenn die Tätigkeit als Grobmüllsortierer nicht zu berücksichtigen sei, da sie auf Kosten der Gesundheit ausgeübt worden wäre, habe der Kläger von 2002 bis 2004 als Wachmann versicherungspflichtig gearbeitet. Auch könne eine gesundheitliche Lösung von der Tätigkeit als Bremsbackenaufbereiter nicht gesehen werden, da der Kläger mit der Aufnahme der Tätigkeit als Grobmüllsortierer erneut körperliche Arbeiten verrichtet habe, was ihm immerhin bis 2008 möglich gewesen sei. Schließlich sei fraglich, ob die Tätigkeit des Klägers als Bremsbackenaufbereiter in den Bereich des Angelernten im oberen Bereich einzustufen sei. Nach ihrer Auffassung sei ein Berufsschutz nicht gegeben. Hilfsweise sei der Kläger auf die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte, des einfachen Pförtners in Verwaltungsgebäuden oder des Museumsaufsehers zu verweisen. Insoweit hat sie berufskundliche Unterlagen überreicht, wegen derer auf Bl. 236 bis 273 der Gerichtsakte Bezug genommen wird.

24

Die Beklagte beantragt,

25

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juni 2014 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

26

Der Kläger, der gegen das ihm ebenfalls am 14. Juli 2014 zugestellte Urteil am 13. August 2014 Berufung beim Senat eingelegt hat, ist weiterhin der Auffassung, es seien keine Tätigkeiten ersichtlich, die er auf Grund der Schädigung beider Hände noch verrichten könne. Zumindest sei er berufsunfähig. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe sich zu keinem Zeitpunkt vom Beruf des Zerspaners gelöst. Er sei vom Arbeitgeber zu dem Wechsel in die Tätigkeit als Bremsbackenaufbereiter gezwungen worden. Er habe dort allerdings noch mehr verdient als in seiner erlernten Tätigkeit als Zerspaner. Auf Anforderung des Betriebes hätte er auch jederzeit wieder als Zerspaner arbeiten müssen. Lediglich in Unkenntnis seiner Rechte habe er nicht gleich nach der politischen Wende einen Rentenantrag gestellt. Er habe, ohne hierzu verpflichtet gewesen zu sein, Tätigkeiten angenommen, mit denen er sich seine Gesundheit ruiniert habe. Nunmehr existierten keine Tätigkeiten mehr, die er mit seinen Einschränkungen noch zumutbar verrichten könne.

27

Der Kläger beantragt,

28

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juni 2014 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 6. April 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2009 zu bewilligen und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

31

Der Senat hat das in dem Verfahren L 3 R 428/15 eingeholte berufskundliche Gutachten des … N... vom 31. März 2016 beigezogen. Insoweit wird auf Bl. 278 bis 293 der Gerichtsakte Bezug genommen.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet, die der Beklagten ist unbegründet.

34

Zu Unrecht hat das Sozialgericht in Bezug auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung die Klage vollumfänglich abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist überwiegend rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§§ 153 Abs.1, 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), dazu unter 1.). Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte zur Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verurteilt (dazu unter 2.).

1.

35

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2010 bis zum 31. Mai 2019. Denn er ist seit Rentenantragstellung nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

36

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

37

Der Kläger ist nach dem Ergebnis der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen seit Rentenantragstellung in der Lage, sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten ohne Arbeiten in Zwangshaltungen, insbesondere Armvorhalte bzw. Überkopfarbeiten, ohne Leiter- oder Gerüstarbeiten oder andere Arbeiten mit Absturzgefahr, ohne schweres Heben und Tragen zu verrichten. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist insoweit eingeschränkt, als der Kläger nur leichte Lasten ohne sicheren Griff mit der Gefahr des Fallenlassens von Gegenständen bewegen kann. Ausgeschlossen sind zudem Arbeiten in Zugluft, Nässe und Kälte, Akkord- oder Fließbandarbeit sowie Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck. Feinmotorische Arbeiten kann der Kläger weder mit links noch mit rechts ausführen. Der linke Arm und die linke Hand sind auf Dauer minderbelastbar für festes Zugreifen und alle repetitiven Tätigkeiten. Der Kläger kann nur sehr langsam und in Druckschrift schreiben. Das Sehvermögen ist auch mit Brillenkorrektur mittelgradig beeinträchtigt. Der Kläger ist geistig nur leichten und mnestisch geringen bis durchschnittlichen Anforderungen gewachsen.

38

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus dem Gutachten von Dr. B. vom 25. Februar 2013. Danach bestehen die im Tatbestand im Einzelnen aufgeführten Gesundheitsstörungen, die die oben dargelegten Leistungseinschränkungen nach sich ziehen. Maßgeblich sind insbesondere die Folgen der Stanzverletzung der rechten Hand mit dem Verlust fast aller Finger und der chronischen Reizung der Sehnenansätze der Muskeln am linken Ellenbogen sowie das mittelgradig eingeschränkte Sehvermögen. Aufgrund der Kombination der hieraus resultierenden qualitativen Leistungseinschränkungen ist für den Senat keine Tätigkeit ersichtlich, die der Kläger noch verrichten kann.

39

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, juris), der der Senat sich anschließt, ist bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten können, die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Auf einer ersten Prüfstufe ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken; Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (BSG, a.a.O. Rd.Nr. 36).

40

Hier ist nicht erkennbar, wie der Kläger im Rahmen eines regulären Beschäftigungsverhältnisses sechs Stunden täglich die beispielhaft genannten Verrichtungen durchführen können soll. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist so eingeschränkt, dass dem Kläger dies nicht möglich ist. Er kann feinmotorische Arbeiten weder mit rechts noch mit links ausführen. Er kann nur leichte Teile mit der rechten Hand greifen und nur grobmotorische Greiftätigkeiten verrichten, wobei der Griff nicht sicher ist. Der linke Arm und die linke Hand sind für festes Zugreifen und alle wiederholenden Tätigkeiten gar nicht mehr belastbar. Insoweit ist eine Einsatzmöglichkeit für ausschließlich grobmotorische Greiftätigkeiten in Bezug auf leichte Gegenstände, die auch mal hinfallen können, nicht vorstellbar. Eine ausschließlich grobmotorische Greiftätigkeit war die des Grobmüllsortierers, die der Kläger aber inzwischen wegen der chronischen Knochenhautentzündung im linken Ellenbogen nicht mehr verrichten kann. Kleben und Zusammensetzen von Teilen ist wegen der fehlenden Beidhändigkeit und der nicht möglichen feinmotorischen Verrichtungen - Letzteres auch im Hinblick auf das eingeschränkte Sehvermögen - nicht möglich. Das Bedienen von Maschinen, Sortieren und Verpacken sind, weil diese Tätigkeiten, wenn sie so als einzige Verrichtung bei der Arbeit ausgeführt werden müssen, ständig wiederholend sind, ebenfalls ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass der Kläger auch Akkord- oder Fließbandarbeit sowie Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck nicht mehr verrichten kann.

41

Auf der sich anschließenden zweiten Prüfstufe, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, ist zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorherigen Ausführungen vom Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen auszugehen, die die Benennung mindestens einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich macht. Eine solche Tätigkeit, die der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch verrichten kann, ist nicht benannt worden und für den Senat auch nicht ersichtlich. Die im Laufe des Verfahrens diskutierten Tätigkeiten des Telefonisten, des Wachmanns, des Museumsaufsehers, des Pförtners an der Nebenpforte und des einfachen Pförtners kann der Kläger nicht wettbewerbsfähig ausüben.

42

Einer Tätigkeit als Telefonist, die zwar von der Beklagten nicht benannt , aber von dem Gutachter Dipl.-Med. B. als möglich erachtet worden ist, steht entgegen, dass der Kläger nur noch geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an mnestische Fähigkeiten gewachsen ist, nicht unter erhöhtem Zeitdruck arbeiten sowie nur sehr langsam in Druckschrift schreiben kann und nicht über feinmotorische Fähigkeiten verfügt. Eine Tätigkeit im Wachdienst, die ebenfalls von Dipl.-Med. B. angeführt worden ist, hat der Kläger ausgeübt, dann aber wegen seiner Sehschwäche aufgeben müssen. Das eingeschränkte Sehvermögen und die fehlende Einsetzbarkeit der Arme dürften auch weiterhin einer Einsatzmöglichkeit als Wachmann entgegenstehen. Gleiches gilt für die Tätigkeit der Museumsaufsicht. Nach der Auskunft der Staatlichen Museen zu B. vom 12. September 2002 ist zur Ausübung dieser Tätigkeit eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Arme zur Bedienung von u.a. Funkgeräten und Feuerlöschern notwendig. Die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte ist - worauf das Sozialgericht zutreffend verwiesen hat - selbst wenn man von der Existenz dieser Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausginge, was angesichts des Gutachtens des berufskundlichen Sachverständigen N... vom 31. März 2016 fraglich ist, ebenfalls aufgrund der nur geringen bis durchschnittlichen Anforderungen an die mnestischen Fähigkeiten und des eingeschränkten Sehvermögens nicht wettbewerbsfähig ausübbar. Der Tätigkeit des einfachen Pförtners steht entgegen, dass der Kläger nur langsam in Druckschrift schreiben und feinmotorische Tätigkeiten nicht verrichten kann. Nach den Ausführungen des Gutachters R. im Gutachten vom 15. April 2013 muss der Pförtner Ausweise kontrollieren, Besucherkarten ausschreiben und ausgeben, Formulare aushändigen, Schlüssel verwalten und gelegentlich den Telefondienst übernehmen.

43

Die Gewährung einer Dauerrente ab Rentenantragstellung kam jedoch nicht in Betracht.

44

Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn; sie kann verlängert werden, wobei es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn verbleibt (§ 102 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Hieraus resultiert, dass arbeitsmarktabhängige Renten (nur) auf Zeit geleistet werden.

45

Nach § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Hier ist der Eintritt der der Minderung der Erwerbsfähigkeit frühestens bei Rentenantragstellung am 24. November 2009 nachgewiesen. Denn zu diesem Zeitpunkt stand erstmals fest, dass die Knochenhautentzündung im Ellenbogen des linken Arms das Leistungsvermögen des Klägers dauerhaft so beeinträchtigte, das insbesondere in Zusammenschau mit der schweren Funktionseinschränkung der rechten Hand eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsvoraussetzungen vorlag. Von einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung ist erst auszugehen, wenn diese unverändert mindestens sechsundzwanzig Wochen andauert (vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2001 - B 5 RJ 44/00 R -, juris RdNr. 18 m.w.N.). Hier waren die Tenotomie im März 2009 und die Retenomotie im September 2009 erfolglos gewesen und hatten den Kläger dann wegen der fortbestehenden Beschwerden zur Rentenantragstellung im November 2009 veranlasst. Die MRT-Aufnahme vom 15. November 2010 hat bestätigt, dass trotz Aufgabe der beruflichen Tätigkeiten ein Reizerguss verblieben war.

46

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt des Eintritts der Minderung der Erwerbsfähigkeit ebenfalls vor. Im Zeitraum vom 25. November 2004 bis zum 24. November 2009 waren ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 23. August 2017 alle Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten belegt.

47

Die Rente begann damit am 1. Juni 2010 und endet aufgrund der jeweils dreijährigen Verlängerungen am 31. Mai 2019.

2.

48

Der Kläger hat - wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat - Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem 1. Dezember 2009 auf Dauer.

49

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung haben Anspruch auf eine solche Rente bei Erfüllung der sonstigen - für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung maßgeblichen, insbesondere versicherungsrechtlichen - Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind.

50

Der Kläger erfüllt - wie oben dargelegt - die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er ist auch vor dem maßgebenden Stichtag, nämlich am ... 1959, geboren.

51

Er ist auch berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

52

Für die Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist sein "bisheriger Beruf" maßgeblich. Wenn er diesen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, ist die Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit zu prüfen. Bisheriger Beruf im Sinne des § 240 SGB VI ist grundsätzlich die zuletzt ausgeübte und auf Dauer angelegte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Diese muss also mit dem Ziel verrichtet werden, sie bis zur Erreichung der Altersgrenze auszuüben. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (KassKomm-Gürtner, § 240 SGB VI, RdNr. 21 m.w.N).

53

Bisheriger Beruf des Klägers ist der des Zerspanungsfacharbeiters. Denn diese Tätigkeit war die qualitativ höchste in seinem Berufsleben. Er hat diesbezüglich nach dem 10.-Klasse-Schulabschluss erfolgreich eine Ausbildung von 19 Monaten absolviert und den Facharbeiterbrief vom 28. April 1978 erhalten. Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 30. April 1978 ist er dann von der PGH des Kfz-Handwerks W. als Zerspanungsfacharbeiter eingestellt worden. Eine Änderung des Arbeitsvertrages ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt, obwohl der Kläger nach der Ableistung seines Wehrdienstes vom 1. Mai 1978 bis zum 30. April 1981 bis zu seinem Unfall am 24. Februar 1987 in der Bremsbackenaufbereitung eingesetzt worden war. Ausweislich des Arbeitsvertrages war der Kläger einerseits berechtigt, andererseits aber auch verpflichtet, sämtliche Teile, die im Rahmen der Instandsetzungsarbeiten anfielen, zu bearbeiten. Insoweit hatte der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht Gebrauch gemacht, den Kläger als Bremsbackenreiniger in einer der auf dem Werksgelände befindlichen Werkstätten einzusetzen. Eine Änderung des Arbeitsvertrages hat er jedoch nicht vorgenommen. Damit hatte sich an der Wertigkeit und der ihm mindestens zustehenden Entlohnung der Tätigkeit des Klägers nichts geändert. Nach dem Unfall ist er als technischer Mitarbeiter geführt worden, ebenfalls ohne Änderung des zugrundeliegenden Arbeitsvertrages. Auch wenn der Kläger tatsächlich in der Folgezeit als Telefonist und im Lager gearbeitet hat, ist sein Gesamtverdienst weiterhin kontinuierlich angestiegen. Sämtliche nach dem Unfall aufgenommenen Tätigkeiten waren geringerwertig, da der Kläger sie ohne vorherige Ausbildung oder längere Einarbeitung ausübte, so dass sich das versicherte Risiko, gesundheitsbedingt den erlernten Beruf und eine zumutbare Verweisungstätigkeit nicht mehr verrichten zu können, verwirklicht hat.

54

Der Kläger hat sich von der Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter in der Bremsbackenaufbereitung nicht im Rechtssinne gelöst. Eine berufliche Lösung ist nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat sich anschließt, anzunehmen, wenn der Berufswechsel freiwillig erfolgt. Wurde die Arbeit dagegen gezwungenermaßen aufgegeben, ist zu unterscheiden: Waren dafür gesundheitliche Gründe verantwortlich, bleibt in der Regel der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat. Dabei müssen die gesundheitlichen Gründe nicht allein ursächlich gewesen sein; ausreichend ist, dass sie den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben. Lagen dagegen andere, insbesondere betriebliche Gründe vor, ist eine Lösung vom höherwertigen Beruf jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Versicherte sofort oder im Laufe der Zeit mit dem Wechsel endgültig abgefunden hat. Dies muss nicht freiwillig sein, sondern kann auch unter dem Druck der Verhältnisse geschehen. Nur wenn sich der Versicherte mit der dauerhaften Ausübung des geringer wertigen Berufs deshalb abfindet, weil er zur Wiederaufnahme der früheren höherwertigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen außerstande ist, bleibt Berufsschutz erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005 - B 5 RJ 27/04 R -, juris Rd.Nr. 18 ff. m.w.N.).

55

Hier waren allein gesundheitliche Gründe für die Aufgabe der Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter, nämlich die Stanzverletzung der rechten Hand, maßgebend.

56

Auf welche Berufstätigkeiten ein Versicherter nach seinem fachlichen und gesundheitlichen Leistungsvermögen noch zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt das BSG nach einem von ihm entwickelten Mehrstufenschema, das auch der Senat seinen Entscheidungen zugrunde legt. Dieses gliedert die Berufe hierarchisch in vier Gruppen mit verschiedenen Leitberufen. An oberster Stelle steht die Gruppe der Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion und der besonders qualifizierten Facharbeiter. Es folgen die Facharbeiter in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei bis drei Jahren, danach die angelernten Arbeiter mit einer Ausbildungszeit von bis zu zwei Jahren. Zuletzt folgen die so genannten Ungelernten, auch mit einer erforderlichen Einarbeitungs- oder Einweisungszeit von bis zu drei Monaten. Eine vom Versicherten vollschichtig ausübbare Tätigkeit ist ihm zumutbar im Sinne des § 240 SGB VI, wenn er irgendwelche Tätigkeiten der eigenen Qualifikationsstufe oder aber der nächst niedrigeren Stufe spätestens nach einer Einarbeitung und Einweisung von drei Monaten zum Erwerb der notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten vollwertig ausüben kann. Dabei muss dem Versicherten ein konkreter Verweisungsberuf benannt und zugeordnet werden können, anhand dessen sich die Zumutbarkeit seiner Ausübung beurteilen lässt. Kann ein anderer Beruf nicht konkret in Betracht gezogen werden, liegt bei der Unfähigkeit der Ausübung des bisherigen Berufs Berufsunfähigkeit vor. Eine Ausnahme vom Erfordernis der konkreten Benennung eines Verweisungsberufs besteht aber dann, wenn dem Versicherten fachlich-qualitativ ungelernte Tätigkeiten und jedenfalls leichte körperliche, seelische und geistige Belastungen zumutbar sind. Einem Versicherten ist die Ausübung einer ungelernten Arbeitstätigkeit grundsätzlich zuzumuten, wenn sein bisheriger Beruf entweder dem Leitberuf des angelernten Arbeiters oder dem des ungelernten Arbeiters zuzuordnen ist. Allerdings ist bei den angelernten Arbeitern weiter zu differenzieren: Angelernte mit einer Regelausbildungszeit von bis zu einem Jahr (sog. untere Angelernte) sind auf alle ungelernten Tätigkeiten verweisbar. Demgegenüber können Angelernte mit einer Regelausbildungszeit von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren (sog. obere Angelernte) nur auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die sich durch bestimmte Qualitätsmerkmale auszeichnen. Daher sind für Angelernte des oberen Bereichs Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen (Nazarek in JurisPK, a.a.O., § 240 RdNr. 109 f m.w.N).

57

Hier kann der Kläger jedenfalls Berufsschutz als Angelernter des oberen Bereichs für sich in Anspruch nehmen. Der Kläger hat eine 19-monatige Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter durchlaufen, danach zunächst bis Ende April 1981 seinen Wehrdienst absolviert und dann sofort in der Bremsbackenaufbereitung als einem (kleinen) Teilbereich seines erlernten Berufs gearbeitet. Er hatte also bei Aufnahme der Tätigkeit als Bremsbackenaufbereiter noch nicht die allgemeine Wartezeit im erlernten Beruf als Zerspanungsfacharbeiter erfüllt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 9. September 1998 - B 13 RJ 35/97 R -, juris Rd.Nr. 35 m.w.N.). Er war vom Arbeitgeber auch nicht arbeitsvertraglich in eine (Facharbeiter-) Lohngruppe eingruppiert, sondern mit ihm waren ein Stundengrundlohn sowie ein Leistungszuschlag vereinbart worden. Der Senat geht im Hinblick auf die aktenkundigen Ausbildungsinhalte einerseits und die Angaben des Klägers zu den Tätigkeitsinhalten des Bremsbackenaufbereiters andererseits sowie der nicht erfolgten Arbeitsvertragsänderung mit dem jederzeitigen Anspruch auf einen Arbeitseinsatz im erlernten Beruf als Zerspanungsfacharbeiter davon aus, dass der Kläger Kenntnisse einsetzen konnte, die einem ungelernten Arbeitnehmer in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr hätten vermittelt werden müssen.

58

Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte bzw. des einfachen Pförtners und des Museumsaufsehers kann der Kläger - wie oben dargelegt – aus gesundheitlichen Gründen nicht vollwertig verrichten. Da es sich bei dem Gesundheitszustand des Klägers um einen Dauerzustand handelt, steht ihm die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Dauer zu.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

60

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

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(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 102 Befristung und Tod


(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden. (2) Renten wegen vermind

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 101 Beginn und Änderung in Sonderfällen


(1) Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. (1a) Befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die Anspruch un

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Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2011 - B 13 R 78/09 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

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(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Instandhaltungsmechaniker und war zuletzt von 1997 bis 2004 als LKW-Fahrer beschäftigt. Im Januar 2004 kam es zu einem Arbeitsunfall, der ua die Amputation seines linken Unterarms zur Folge hatte. Im März 2004 erlitt er einen Herzinfarkt. Der Kläger erhält Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalls.

3

Den im August 2004 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege (Bescheid vom 17.8.2005). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007). Das SG Gotha hat die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 1.2.2005 bis zum 31.1.2009 zu gewähren (Urteil vom 4.3.2008). Das Leistungsvermögen des Klägers sei auf leichte Arbeiten begrenzt, die er grundsätzlich sechs bis acht Stunden täglich mit Einschränkungen verrichten könne. Es liege jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung mit der Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit vor, da er die linke Hand nach Amputation des Unterarms allenfalls als Beihand einsetzen könne. Für solche leistungseingeschränkten Versicherten sei der allgemeine Arbeitsmarkt nicht als offen anzusehen. Die von der Beklagten benannten leichten Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Kontrolleurtätigkeiten könne der Kläger nicht ausüben, weil es sich um bimanuelle Tätigkeiten handele. Auch eine Tätigkeit als Pförtner oder Telefonist scheide aus, da der Kläger dem damit verbundenen Zeitdruck nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. nicht gewachsen sei.

4

Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.9.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach den Feststellungen des vom SG gehörten Sachverständigen noch in der Lage, eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Die linksseitige Unterarmamputation sowie die Schmerzsymptomatik im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule erforderten allerdings eine Begrenzung auf körperlich leichte Arbeiten. Wegen der orthopädischen Leiden und der Schmerzzustände im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule seien Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen nicht zuzumuten. Die koronare Herzerkrankung und der arterielle Hypertonus erlaubten keine Nachtschichten und Überstunden, keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Mensch und Technik, besondere geistige und seelische Beanspruchung sowie auch taktgebundene Arbeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck. Der Zugang zu alkoholischen Getränken sollte während der Arbeitszeit wegen der Alkoholerkrankung nicht ermöglicht werden. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw bimanuelle Tätigkeiten seien dem Kläger ebenfalls nicht möglich. Diese qualitativen Einschränkungen stünden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nicht entgegen. Insbesondere könne der Kläger eine zumutbare Wegstrecke zurücklegen.

5

Dem Kläger sei eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht zu benennen. Dabei sei schon fraglich, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Die - zu dem vor dem 1.1.2001 geltenden Recht - ergangene Rechtsprechung zur Prüfung und Feststellung von Rentenansprüchen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Falle der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung könne auf das aktuelle Recht nicht übertragen werden. Bereits der Wortlaut "übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" schließe eine konkrete, dh individualisierte Betrachtungsweise aus. Die Gesetzesbegründung sei in sich widersprüchlich, wenn dort auf die Entscheidung des Großen Senats (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) verwiesen werde, wonach mit "konkreter Betrachtungsweise" - dann aber anders als das BSG - arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrenten gemeint seien. Unter dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" verstehe die Gesetzesbegründung "jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe". Hingegen erfasse die Rechtsprechung des BSG damit nur körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten (Hinweis auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 - B 13 RJ 38/05 R - BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9). Zudem habe der Gesetzgeber eine spezielle zeitliche Komponente eingeführt (sechs Stunden und mehr). Auch dies verbiete eine Fortgeltung der Rechtsprechung zur Summierung. Der Gesetzgeber habe vielmehr den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen wollen.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 43 SGB VI. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass es auf die bei ihm vorliegende schwere spezifische Leistungseinschränkung nicht ankomme. Auch die aktuelle Rechtslage erfordere eine individuelle Betrachtung mit der Folge, dass bei Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Erwerbsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nur gegeben sei, wenn eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden könne. Daran fehle es hier.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie meint, § 43 SGB VI in der seit 2001 geltenden Fassung enthalte nicht nur neue Begrifflichkeiten, sondern auch neue Beurteilungsmaßstäbe. Bei den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts handele es sich um objektive Maßstäbe. Solange ein Versicherter vollschichtig, ohne betriebsunübliche Pausen und ohne infolge einer ekelerregenden Krankheit für andere Betriebsangehörige unzumutbar zu sein, irgendeine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten und den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen könne, sei er nicht erwerbsgemindert. Selbst wenn die konkrete Betrachtungsweise bei Versicherten mit einer Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung beibehalten werde, ändere dies hier im Ergebnis nichts. Das Fehlen des linken Unterarms müsse nicht zwangsläufig eine schwere spezifische Leistungsbehinderung sein, etwa wenn eine Prothese getragen und der Arm noch zur Unterstützung verwendet werde. Tätigkeiten eines Nebenpförtners könnten durchaus auch an außerhalb eines Betriebs stehende Personen vermittelt werden.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Halbs 1 SGG).

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung hat.

12

1. Der Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754). Bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 1 Satz 1 bzw Abs 2 Satz 1, jeweils Nr 2 und 3) haben danach Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Abs 1 Satz 1 Nr 1), bzw auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 Satz 1 Nr 1). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 1 Satz 2). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3).

13

2. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten. Nicht entschieden werden kann unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen indes, ob der Kläger in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch erwerbstätig zu sein, und ob ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Das LSG hat dies offengelassen, da eine Benennung von Verweisungstätigkeiten nach § 43 SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit(RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) - § 43 SGB VI nF - generell nicht mehr erforderlich sei.

14

Die Ansicht des LSG hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Grundsätze, die das BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der vor Inkrafttreten des RRErwerbG geltenden Rechtslage herausgearbeitet hat (hierzu a), sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 1.1.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (hierzu b). Eine Änderung der insoweit maßgeblichen Rechtslage lässt sich weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzesbegründung oder sonstigen Erwägungen begründen (hierzu c). Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hängt daher davon ab, ob der Kläger noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts im zeitlichen Rahmen erwerbstätig sein kann (hierzu d), bzw ob bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, so dass ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist (hierzu e). Entsprechende Feststellungen wird das LSG daher nachzuholen haben (hierzu f).

15

a) Nach der zu § 44 SGB VI aF ergangenen Rechtsprechung des BSG war die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit bei Versicherten mit einem, wenn auch mit qualitativen Einschränkungen vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag(BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 mwN). Bereits nach den §§ 1246 und 1247 RVO knüpfte der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an ein Herabsinken der Fähigkeit des Versicherten an, auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen. Die RVO differenzierte zwischen Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit: Während der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ua davon abhängig war, ob dem Versicherten eine ihm nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch mögliche Berufstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnte, setzte der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs 2 RVO voraus, dass der Versicherte eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben konnte. Diese Struktur wurde in den §§ 43 und 44, jeweils aF, SGB VI inhaltlich unverändert übernommen(vgl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 81 mwN). Das Leistungsvermögen und dessen Umsetzungsfähigkeit war an den individuellen Verhältnissen des Versicherten und den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarkts zu messen (BSG stRspr, vgl nur BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und Nr 9 RdNr 18 ff; SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 22 ff, Nr 14 S 41 ff, Nr 17 S 58 ff und Nr 21 S 72 ff).

16

Die Ablehnung einer Rente mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit setzte danach regelmäßig die konkrete Benennung zumindest einer Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) voraus, die die den Rentenfall begründende Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschloss, weil der Versicherte diese Tätigkeit noch ausüben konnte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale war hingegen nicht ausreichend (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits war aber auch nicht die Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes erforderlich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33; vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

17

Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte unteren Ranges (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

18

Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten grundsätzlichen Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27).

19

b) Diese Maßstäbe haben - wie bereits der 5. Senat entschieden hat (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18)- auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (vgl insoweit auch bereits die Senatsbeschlüsse vom 10.7.2002 - B 13 RJ 101/02 B - Juris RdNr 7 und vom 27.2.2003 - B 13 RJ 215/02 B - Juris RdNr 12). Durch das RRErwerbG wurden die oben skizzierten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht abgeschafft, sondern vielmehr für den Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF übernommen: Erwerbsfähigkeit iS des § 43 Abs 3 SGB VI nF setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, dh unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal der Fähigkeit zur Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" in § 43 Abs 3 SGB VI nF ist § 44 Abs 2 SGB VI aF entnommen. Das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" knüpft an die - oben wiedergegebene - Rechtsprechung des BSG zu den §§ 1246 und 1247 RVO bzw den §§ 43 und 44 SGB VI aF und die dort verwendete Begrifflichkeit an.

20

c) Die vom LSG gegen eine Weitergeltung dieser Grundsätze nach § 43 SGB VI nF angeführten Argumente überzeugen nicht.

21

aa) Insbesondere steht der Wortlaut des Gesetzes einem Vergleich zwischen der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorkommenden Erwerbsmöglichkeiten bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht entgegen, sondern gebietet diesen. Denn die - von § 43 SGB VI nF nach dessen Wortlaut geforderte - Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts besteht nur, wenn die dem Versicherten noch möglichen Tätigkeiten überhaupt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden können. Auch die Gesetzesbegründung bringt dies klar zum Ausdruck, indem sie auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 ("BSGE 80, 24, 34") Bezug nimmt und ausführt, maßgeblich für die Feststellung des Leistungsvermögens sei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dh in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe, wobei allerdings nur Tätigkeiten in Betracht kämen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich seien. Damit werde sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten nicht in Betracht zu ziehen seien, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente werde nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (sog abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarkts die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen (BT-Drucks 14/4230 S 25). In Bezug genommen werden durch diese Formulierung - entgegen der Ansicht des LSG - die Möglichkeiten der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem Teilzeit- und dem Vollzeitarbeitsmarkt. Durch den Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) und die Übernahme der dort verwendeten Begrifflichkeit macht die Gesetzesbegründung darüber hinaus deutlich, dass keine Abkehr von der zitierten Rechtsprechung des BSG beabsichtigt war, sondern dass vielmehr an diese angeknüpft werden sollte.

22

bb) Wenn die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4230 S 23, 25) den der abstrakten Betrachtungsweise entgegengesetzten Begriff "konkrete Betrachtungsweise" in anderem Zusammenhang gebraucht, nämlich in Bezug auf sog "Arbeitsmarktrenten" bei teilweiser Erwerbsminderung, ändert dies hieran nichts. Jedenfalls kann daraus, dass der Gesetzgeber die sog "Arbeitsmarktrenten" beibehalten wollte, nicht geschlossen werden, dass er die konkrete Betrachtungsweise in Bezug auf die Fähigkeit eines Versicherten, mit seinem individuellen Leistungsvermögen eine Tätigkeit auszuüben, mit der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen erzielt werden kann, abschaffen wollte. Hierfür ergeben sich aus der Gesetzesbegründung ebenso wenige Anhaltspunkte wie für die Annahme des LSG, der Gesetzgeber habe "den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen" wollen.

23

Die Gesetzesbegründung benennt als Ausgangspunkt für die Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vielmehr zum einen, dass die Rentenversicherung bei einem beträchtlichen Teil der Versicherten nicht nur das Invaliditätsrisiko, sondern auch das Arbeitsmarktrisiko trage, und zum anderen, dass die Rente wegen Berufsunfähigkeit - wegen der dort typischen Bevorzugung von Versicherten mit besonderer Qualifikation in herausgehobenen Positionen - zunehmend in die Kritik geraten sei (BT-Drucks 14/4230 S 1). Ziel des Gesetzgebers war es damit, das durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsmarktrisiko von dem durch die Rentenversicherung abzusichernden Invaliditätsrisiko sachgerecht abzugrenzen (insbesondere auch durch Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung, vgl BT-Drucks 14/4230 S 1); weiteres Ziel war die Abschaffung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Verzicht auf die Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarkts, dh der fehlenden Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem konkret offenstehenden Arbeitsmarkt, gehörte - entgegen der Ansicht des LSG - nicht zu den in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Zielen. Im Gegenteil legt die Gesetzesbegründung dar, dass eine Erwerbsminderungsrente, bei der (ohne Berücksichtigung der dem Versicherten verbliebenen Möglichkeit, auf dem [Teilzeit-]Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen) allein auf den Gesundheitszustand des Versicherten abgestellt werden sollte, nicht beabsichtigt war (so ausdrücklich BT-Drucks 14/4230 S 25).

24

cc) Eine Ungleichbehandlung von Versicherten mit unterschiedlicher fachlicher Qualifikation ist darin nicht zu sehen. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass ein Versicherter nur auf diejenigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden kann, die er mit seiner individuellen fachlichen Qualifikation auch ausüben kann, da ihm nur mit diesen Tätigkeiten die Erzielung eines Erwerbseinkommens möglich ist.

25

dd) Maßgeblich ist damit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (auch) nach § 43 SGB VI nF, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist(so auch Mey, SGb 2007, 217 ff; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 84 ff; KomGRV, § 43 SGB VI Anm 1.3, 4, 7, Stand April 2008; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Kamprad in Hauck/Noftz, K § 43 SGB VI RdNr 31 ff, 41, Stand Juni 2011; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, § 43 SGB VI RdNr 81 ff, Stand September 2009; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 43 SGB VI Anm 2, Stand März 2008; Lange in Jahn, SGB für die Praxis, § 43 SGB VI RdNr 26 ff, Stand Februar 2008; Steiner, SGb 2011, 310 ff; 365 ff; Dünn, MedSach 2011, 131 f; aA Apidopoulos, SGb 2006, 720 ff).

26

d) Im vorliegenden Fall kommt es mithin darauf an, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet.

27

aa) Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 85; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 35 f, Stand Juni 2011). Eine Beschränkung auf körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten erfolgt durch die Bezeichnung "allgemeiner Arbeitsmarkt" entgegen der Meinung des LSG hingegen nicht.

28

Eine solche Beschränkung galt auch bei der früheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht. Vielmehr waren bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit alle Versicherten unabhängig von ihrem Beruf auf alle geeigneten Tätigkeiten verweisbar (BSGE 80, 24, 27 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 20; BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18). Wenn Versicherte, die zu körperlich leichten oder mittelschweren Arbeiten noch vollschichtig in der Lage waren, "auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder -feld (das meint ungelernte Tätigkeiten)" verwiesen werden durften (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24), so deshalb, weil dies die Tätigkeiten waren, auf die jedenfalls alle Versicherten - unabhängig von ihrem Bildungsstand - verwiesen werden konnten. Ein grundsätzlicher Ausschluss der Verweisung eines qualifizierten Versicherten auf eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende Tätigkeit erfolgte hierdurch jedoch nicht. Deswegen geht auch der Hinweis des LSG auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 (SozR 4-2600 § 43 Nr 9) fehl: Wenn dort Feststellungen zu "körperlich leichten und fachlich einfachen Arbeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden" (aaO RdNr 24) gefordert wurden, bedeutet dies nicht, dass sich der allgemeine Arbeitsmarkt in solchen Tätigkeiten erschöpfen würde; vielmehr ging es in dieser Entscheidung um die Erwerbsfähigkeit einer ungelernten Versicherten, bei der lediglich eine Verweisung auf Tätigkeiten mit diesem Anforderungsprofil in Betracht kam.

29

bb) Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB VI nF ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, dh unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl zB Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 86 ff, Stand September 2009). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle einschlägig ist (vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 f).

30

cc) Hieran ändert auch nichts, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nach § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI nF nicht zu berücksichtigen ist. Denn hiermit ist lediglich gemeint, dass konjunkturelle Schwankungen des Arbeitsmarkts unberücksichtigt zu bleiben haben. Wird eine bestimmte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber aus strukturellen Gründen nicht (mehr) nachgefragt, kann man mit ihr auch kein Erwerbseinkommen erzielen, mit ihr also nicht erwerbstätig sein iS des § 43 Abs 3 SGB VI.

31

dd) Für den Regelfall kann damit davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen noch erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw - vgl BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f).

32

Der Senat hält diese beispielhaft genannten Verrichtungen bzw Tätigkeiten nach wie vor für geeignet, um zu überprüfen, ob tatsächlich von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden kann. Er übersieht hierbei nicht, dass sich die Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Anfang der 1980iger Jahre (vgl hierzu BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 und Nr 90) verändert haben. Neue Arbeitsfelder, insbesondere im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik mögen hinzugekommen sein; gleichwohl ist anhand der og Verrichtungen bzw Tätigkeiten eine Überprüfung, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ausreichende Erwerbsmöglichkeiten für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorhanden sind, jedenfalls auch für dort zu verrichtende ungelernte Tätigkeiten weiterhin möglich.

33

e) Es besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind (Senatsurteile vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69; vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f). Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (so BSGE 80, 24, 39, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33, 27: "ernste Zweifel"; vgl schon BSG 4. Senat vom 30.11.1982 - SozR 2200 § 1246 Nr 104 LS; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 55/96 - SozSich 1998, 112 - Juris RdNr 24; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 59; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 20, vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73; vom 23.8.2001 - B 13 RJ 13/01 R - Juris RdNr 21; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43 und vom 10.12.2003 - BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 11).

34

aa) Insofern richtet sich der hierbei anzustellende Prüfungs- und Begründungsaufwand nach den konkreten Umständen des Einzelfalls; insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss der Rentenversicherungsträger bzw das Tatsachengericht die Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen. Erforderlich ist eine Untersuchung, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (Senatsurteile vom 23.5.2006 - SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 70; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 24 ff). Diesen aufgezeigten abstrakten Maßstäben ist allerdings Kritik entgegengesetzt worden im Hinblick auf die Praktikabilität dieser Rechtsprechung (Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006)und den damit verbundenen Begründungsaufwand für die Rentenversicherungsträger und die Instanzgerichte (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 107).

35

bb) Aus diesem Grund weist der Senat erneut darauf hin, dass sich aus Zweckmäßigkeits- und aus Effektivitätsgründen die rentenrechtliche Prüfung in zwei Schritten anbietet:

36

(1) Bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, ist die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen (noch kommt die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts in Betracht). Auf der ersten Prüfstufe ist daher festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw <vgl BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25>)erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl, aaO RdNr 168; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand Juni 2011; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

37

(2) Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungsvermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteile vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44). Verbleibt es bei den ernsten Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der individuellen Leistungseinschränkungen, ist mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33).

38

f) Ob dem Kläger ein Verweisungsberuf benannt werden muss, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Sollte sich das LSG nicht davon überzeugen können, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch bestimmte "Arbeitsfelder" ausfüllen bzw og "Tätigkeiten der Art nach" noch verrichten kann - um Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuräumen -, wird das LSG das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu prüfen haben. Bejaht es die eine oder andere Alternative, wird es Feststellungen nachzuholen haben, ob dem Kläger ein konkreter Verweisungsberuf benannt werden kann, den er mit seinen individuellen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und seiner fachlichen Qualifikation noch ausüben kann. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, ob der Kläger den Bedingungen und Anforderungen, unter denen die entsprechende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgeübt wird, noch gewachsen ist.

39

Das LSG wird abschließend über die gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 193 SGG zu befinden haben(BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201 f).

(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Wird unmittelbar im Anschluss an eine auf Zeit geleistete Rente diese Rente unbefristet geleistet, verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(2a) Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, ohne dass zum Zeitpunkt der Bewilligung feststeht, wann die Leistung enden wird, kann bestimmt werden, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit mit Ablauf des Kalendermonats enden, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird.

(3) Große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Kindererziehung und Erziehungsrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(4) Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(5) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(6) Renten an Verschollene werden längstens bis zum Ende des Monats geleistet, in dem sie nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers als verstorben gelten; § 49 gilt entsprechend. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Rentenversicherungsträgers haben keine aufschiebende Wirkung. Kehren Verschollene zurück, lebt der Anspruch auf die Rente wieder auf; die für den Zeitraum des Wiederauflebens geleisteten Renten wegen Todes an Hinterbliebene sind auf die Nachzahlung anzurechnen.

(1) Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

(1a) Befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet, wenn

1.
entweder
a)
die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Träger der Rentenversicherung zur Folge hat, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld entfällt, oder
b)
nach Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Träger der Rentenversicherung ein Anspruch auf Krankengeld nach § 48 des Fünften Buches oder auf Krankentagegeld von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen endet und
2.
der siebte Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht erreicht ist.
In diesen Fällen werden die Renten von dem Tag an geleistet, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Krankentagegeld endet.

(2) Befristete große Witwenrenten oder befristete große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

(3) Ist nach Beginn der Rente ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wird die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Bei einer rechtskräftigen Abänderung des Versorgungsausgleichs gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass auf den Zeitpunkt nach § 226 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit abzustellen ist. § 30 des Versorgungsausgleichsgesetzes bleibt unberührt.

(3a) Hat das Familiengericht über eine Abänderung der Anpassung nach § 33 des Versorgungsausgleichsgesetzes rechtskräftig entschieden und mindert sich der Anpassungsbetrag, ist dieser in der Rente der leistungsberechtigten Person von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, der sich aus § 34 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes ergibt. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3b) Der Rentenbescheid der leistungsberechtigten Person ist aufzuheben

1.
in den Fällen des § 33 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt
a)
des Beginns einer Leistung an die ausgleichsberechtigte Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 33 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes),
b)
des Beginns einer Leistung an die ausgleichspflichtige Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 33 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes) oder
c)
der vollständigen Einstellung der Unterhaltszahlungen der ausgleichspflichtigen Person (§ 34 Abs. 5 des Versorgungsausgleichsgesetzes),
2.
in den Fällen des § 35 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt des Beginns einer Leistung an die ausgleichspflichtige Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 36 Abs. 4 des Versorgungsausgleichsgesetzes) und
3.
in den Fällen des § 37 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Aufhebung der Kürzung des Anrechts (§ 37 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes).
Die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(4) Ist nach Beginn der Rente ein Rentensplitting durchgeführt, wird die Rente von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Entsprechendes gilt bei einer Abänderung des Rentensplittings.

(5) Ist nach Beginn einer Waisenrente ein Rentensplitting durchgeführt, durch das die Waise nicht begünstigt ist, wird die Rente erst zu dem Zeitpunkt um Abschläge oder Zuschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dem eine Rente aus der Versicherung des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners, der durch das Rentensplitting begünstigt ist, beginnt. Der Rentenbescheid der Waise ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Entsprechendes gilt bei einer Abänderung des Rentensplittings.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.