Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 11. Mai 2009 - L 8 R 162/07

ECLI:ECLI:DE:LSGSH:2009:0511.L8R162.07.0A
bei uns veröffentlicht am11.05.2009

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Witwenrente nach ihrem am 22. Oktober 2004 verstorbenen Ehemann J. G..zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente hat.

2

Die 1952 geborene Klägerin heiratete am 3. September 2004 den 1948 geborenen Versicherten J. G... Die Klägerin lebte mit ihm zuvor bereits seit 1977 zusammen und hatte sich 1984 mit diesem gemeinsam ein Haus gekauft. Mit notariellem Erbvertrag vom 10. Juni 2004 setzten die Klägerin und der Versicherte sich gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Die Klägerin war seit dem 1. April 1978 durchgehend vollzeitbeschäftigt bei der Firma Möbel K. Bad S.; der Versicherte war als ausgebildeter Starkstromelektriker als Produktionstechniker ebenfalls durchgehend vollzeitbeschäftigt.

3

Ab dem 7. Juli 2004 erkrankte der Versicherte, indem er zunächst unter sich stark steigernden Kopfschmerzen litt. Vom 24. Juli 2004 bis zum 27. August 2004 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung in den S.er Kliniken. Am 24. August 2004 wurden durch eine Magnetresonanztomographie multiple Hirnmetastasen festgestellt. Danach hielt sich der Versicherte vom 24. August bis 2. September 2004 erneut zur stationären Behandlung in den S.er Kliniken auf. Hierbei wurde ein maligner Tumor festgestellt. In dem Bericht des Krankenhauses heißt es: „… der Patient selbst wünscht eine stationäre Aufnahme erst am 27. September d. J.. Er wurde wiederholt auf die Dringlichkeit der Therapie hingewiesen…. … die Ernsthaftigkeit der Erkrankung scheint dem Patienten abschließend nicht bewusst oder verdrängt.“

4

Am 31. August 2004 meldeten sich der Versicherte und die Klägerin zur Trauung an. Am 3. September 2004 fand die standesamtliche Trauung statt.

5

Vom 27. September bis 30. September 2004 und vom 5. Oktober bis 6. Oktober 2004 erfolgten weitere Behandlungen des Versicherten in der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, Campus K…, Klinik für Dermatologie. Vom 5. Oktober bis 19. Oktober 2004 wurde der Versicherte einer ambulanten Strahlenbehandlung als palliativer Maßnahme unterzogen. Am 22. Oktober 2004 verstarb der Ehegatte der Klägerin.

6

Am 16. Dezember 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente.

7

Mit Bescheid vom 14. März 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes weniger als ein Jahr gedauert habe. Aus den ärztlichen Bescheinigungen ginge hervor, dass die Krankheit, die zum Tode des verstorbenen Ehegatten geführt habe, bereits vor der Eheschließung diagnostiziert worden sei. Die dargelegten Gründe seien nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung, dass eine Versorgungsehe vorläge, zu widerlegen.

8

Die Klägerin legte am 31. März 2005 Widerspruch ein. Aus der ärztlichen Bescheinigung von Dr. L.-S..ginge hervor, dass zum Zeitpunkt der Heirat nicht absehbar gewesen sei, dass bei dem verstorbenen Versicherten eine ernsthafte Erkrankung vorgelegen habe. Die Eheleute hätten langjährig zusammengelebt und ein gemeinsames Haus gekauft. Die Heirat habe eigentlich schon eher stattfinden sollen, sei jedoch durch plötzliche familiäre Ereignisse wie Todesfälle verschoben worden. Es sei nicht von einer Vorsorgungsehe auszugehen.

9

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2005 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe mit dem verstorbenen Versicherten langjährig in einer eheähnlichen Gemeinschaft gelebt und auch gemeinschaftlich eine Immobilie erworben. Dies belege, dass bewusst von einer Möglichkeit der Eheschließung innerhalb eines Zeitraumes von 27 Jahren abgesehen worden sei. Erst nach dem Zeitpunkt der Diagnose einer sehr ernsten Erkrankung, die dann auch die Todesursache dargestellt habe, sei die Eheschließung erfolgt. Die Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt sei am 31. August 2004 und damit erst nach dem Bekanntwerden der schwerwiegenden Diagnose vom 24. August 2004 erfolgt. Da der Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt der Eheschließung eingetreten sei, liege eine Versorgungsehe vor. Ein Anspruch auf Witwenrente sei nicht gegeben.

10

Die Klägerin hat am 10. Januar 2006 vor dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben.

11

Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, dass sie mit ihrem verstorbenen Ehemann vor der Eheschließung bereits seit ca. 23 Jahren zusammengelebt habe. Sie sei seit 1968 voll erwerbstätig und habe dadurch auch eigene Rentenanwartschaften erworben. Ihr eigenes Einkommen würde auf die Witwenrente angerechnet werden. Außerdem sei sie durch einen Erbvertrag versorgt. Die Hochzeit sei durch familiäre Schicksalsschläge verzögert worden. 2002 habe sie ihre Eltern im Pflegeheim unterbringen und deren Haushalt auflösen müssen, 2003 sei ihr Schwiegervater verstorben und die Mutter ihres Ehegatten schwer erkrankt, woran sie im Februar 2004 verstorben sei. Im März 2004 sei der Vater der Klägerin verstorben. Im Vordergrund habe bei der Eheschließung nicht der Gedanke an eine eventuelle Versorgung der Klägerin gestanden, sondern vielmehr die Ungewissheit, wie es dem Verstorbenen nach Beendigung seiner Bestrahlungstherapie gehen würde. Erst nach dem Gespräch mit den Eheleuten in den S.er Kliniken habe sich herausgestellt, dass die Krankheit unheilbar gewesen sei. Selbst bei feststehender unheilbarer Tumorerkrankung seien noch Palliativmaßnahmen ergriffen worden, um die Lebenserwartung und die Lebensqualität zu steigern. In dem letzten medizinischen Aufklärungsgespräch der behandelnden Ärzte mit den Eheleuten sei von einer weiteren Lebenserwartung von bis zu zwei Jahren gesprochen worden.

12

Mit Urteil vom 2. August 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die gesetzliche Vermutung angesichts der Ehedauer von unter einem Jahr nicht widerlegt worden sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Vermutung greife ein. Auch als Begünstigte des Erbvertrages und trotz ihrer eigenen Rentenanwartschaft und der vorhandenen Immobilie verbliebe ein finanzieller Vorteil durch die Witwenrente, der zur Versorgung beitragen würde. Die multiplen Hirnmetastasen seien am 24. August 2004 vor der am 31. August 2004 angemeldeten und am 3. September 2004 vollzogenen Trauung festgestellt worden. Hirnmetastasen bedeuteten immer ein fortgeschrittenes Stadium einer Tumorerkrankung, der Tumor sei zweifelsfrei maligne gewesen. Es erscheine lebensfern, dass sich beide über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten nicht im Klaren gewesen seien. Dass die Ernsthaftigkeit der Erkrankung dem Verstorbenen abschließend nicht bewusst oder von ihm verdrängt gewesen sei, ändere nicht die Bewertung der Sachlage. Der Verstorbene sei wiederholt auf die Dringlichkeit der Therapie hingewiesen worden, offensichtlich auch auf schwerwiegende Folgen der Erkrankung. Aus der verzögerten Weiterbehandlung erst am 27. September 2004 sei nicht zu schließen, dass ihm die Ernsthaftigkeit seiner Erkrankung nicht bewusst gewesen sei. Auch habe er durch den Erbvertrag Vorsorge für den Todesfall getroffen, ihm sei es darüber hinaus ein Bedürfnis gewesen, einen Hausverkauf noch selbst abzuschließen. Hieraus könne ebenso gut abgeleitet werden, dass der Verstorbene sich seiner lebensbedrohlichen Krankheit durchaus bewusst gewesen sei. Dass die Eheleute zu einem früheren Zeitpunkt hätten heiraten wollen, jedoch durch familiäre Schicksalsschläge daran gehindert worden seien, ändere nicht die Beurteilung. In diesem Zeitraum hätten die Eheleute sogar einen umfassenden notariellen Erbvertrag geschlossen.

13

Gegen dieses der Klägerin am 29. August 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. September 2007 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung.

14

Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf das erstinstanzliche Vorbringen und ergänzt, dass entgegen der sozialgerichtlichen Entscheidung es nicht auf die Frage ankäme, ob eine Versorgungsabsicht auszuschließen sei, sondern ob die Versorgungsabsicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Eheschließung gewesen sei. Dies sei bei ihr nämlich nicht gegeben. Sie sei durch ihre eigene Vollzeitberufstätigkeit seit 1968 in der Lage, sich selbst zu versorgen. Sie und ihr verstorbener Ehemann hätten seit 1977 bis 2004 gemeinsam gewohnt und im Laufe der 27-jährigen Lebensgemeinschaft Vermögenswerte anschaffen können, die nach dem Tode des Versicherten aufgrund des im Juni 2004 eingegangenen Erbvertrages auf sie übergegangen seien. Bereits damit sei die Vermutung widerlegt, dass alleiniger Zweck der Eheschließung ihre Versorgung gewesen sei, da sie bereits anderweitig versorgt sei. Die Eheschließung habe auch nicht den überwiegenden Zweck der Hinterbliebenenversorgung gehabt. Der Verstorbene und sie hätten bereits lange Zeit vor der Erkrankung des Versicherten den Wunsch gehabt, die Ehe zu schließen. Aufgrund der 2002 bis 2004 eingetretenen Pflegebedürftigkeit und Todesfälle der Eltern und Schwiegereltern sei an eine Heirat nicht zu denken gewesen angesichts der Trauersituationen, die mit einem fröhlichen Fest anlässlich der Eheschließung nicht vereinbar gewesen seien. Es sei unerheblich, dass im Juni 2004 kurz nach dem Tod des Vaters des Versicherten, ein Erbvertrag abgeschlossen worden sei. Dabei sei die unterschiedliche Motivrichtung eines Erbvertrages gegenüber einer Eheschließung zu berücksichtigen. Es sei Wunsch des Versicherten gewesen, noch vor der im Oktober 2004 einsetzenden Strahlenbehandlung die Ehe einzugehen, da ihm unklar gewesen sei, wie sein Zustand nach der Bestrahlung sein würde. Er habe jetzt endlich die Eheschließung nachholen wollen, da der weitere Verlauf der Erkrankung unsicher gewesen sei und der Versicherte die Hoffnung auf ein weiteres Leben nicht aufgegeben habe. Zudem sei dem Versicherten das Ausmaß seiner Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung selbst nicht bekannt gewesen. Also könne dieser Umstand auch nicht das Motiv für ihn gewesen sein, die Ehe mit der Klägerin einzugehen. Er habe offensichtlich geglaubt, noch viel Zeit zu haben. Auch sei das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod tatsächlich in naher Zukunft eintreten werde. Auch sei die subjektive Vorstellung der Klägerin und des Versicherten über die Lebenserwartung von Bedeutung. Nicht die von außen betrachtete Lebenserwartung sei ausschlaggebend, sondern entscheidende Bedeutung hätten letztendlich die inneren Vorgänge, die zu der Eheschließung geführt hätten. Insofern seien auch die Informationen des Krebsinformationsdienstes unerheblich. Die Kenntnis einer lebensbedrohlichen Erkrankung bedeute nicht automatisch, dass die Versorgung des überlebenden Ehegatten das überwiegende Motiv für die Eheschließung darstelle. Die Eheleute hätten zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben, zumindest noch einige Zeit miteinander verbringen zu können. Selbst bei Feststellung von Hirnmetastasen durch MRT im August 2004 seien die Ärzte von einem behandelbaren Tumor ausgegangen. Es sei dann der Primärtumor gesucht worden. Erst in der Hautklinik Kiel am 27. September 2004 sei die Diagnose eines schwarzen Hautkrebses gestellt worden. Aufgrund der Anwendung der Palliativmedizin seien die Ärzte der Hautklinik K… von einer Lebenserwartung des Versicherten von ein bis zwei Jahren ausgegangen. Diese habe das Ziel gehabt die Lebenserwartung des Erkrankten zu verlängern.

15

Die Klägerin beantragt,

16

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine große Witwenrente zu gewähren.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Zur Begründung des Abweisungsantrages bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide sowie das aus ihrer Sicht zutreffende Urteil des Sozialgerichts Lübeck.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der zu ihr beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen, sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

21

Die Berufung ist zulässig und begründet.

22

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2005 halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand und sind aufzuheben. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Klägerin eine Witwenrente zu gewähren.

23

Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI haben Witwen oder Witwer, die, wie die Klägerin, nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der wie der Versicherte J. G..die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie, wie die Klägerin, das 45. Lebensjahr vollendet haben. Die Klägerin (geboren 14. Oktober 1952) hat diese Voraussetzungen erfüllt.

24

Dem Anspruch steht auch nicht § 46 Abs. 2 a SGB VI entgegen. Danach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

25

Die Ehe der Klägerin mit dem verstorbenen Versicherten hat vom 3. September 2004 bis zum Tod des Versicherten am 22. Oktober 2004 gedauert und damit nicht mindestens ein Jahr. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens liegen jedoch zur Überzeugung des Senats besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a 2. Halbsatz SGB VI vor.

26

Die Vorschrift gilt gemäß § 242 a Abs. 3 SGB VI für alle seit dem 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen und ist den Regelungen in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch - SGB VII -), der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz - BVG -) sowie der Beamtenversorgung (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz) nachgebildet. Deshalb ist die Rechtsprechung zum Begriff der „besonderen Umstände“ in diesen Bestimmungen im Wesentlichen auf § 46 Abs. 2 a SGB VI übertragbar (vgl. Kasseler Kommentar -Gürtner, § 46 SGB VI Rdn. 46c m. w. N.).

27

§ 46 Abs. 2 a SGB VI enthält eine widerlegliche Vermutung des Inhalts, dass es bei einer Ehedauer unterhalb eines Jahres der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Wodurch konkret diese Vermutung widerlegt werden kann, ist im Gesetz nicht näher geregelt, sondern durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „besonderen Umstände des Falles“ zu ermitteln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes die besonderen Umstände dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eine von der vom Gesetzgeber als Regelfall unterstellten Motivlage der Heirat (allein oder überwiegend zum Zwecke der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung) abweichende Motivlage offenbaren.

28

Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis verlangt zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (Bundessozialgericht, Urteil vom 3. September 1986, 9a RV 8/84 in SozR 3100 § 38 Nr. 5). Soweit objektiv begründbare Zweifel bestehen, müssen sich diese orientiert an der Lebenswirklichkeit ausräumen lassen. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwen-/Witwerrentenanspruch geltend macht.

29

Aus § 46 Abs. 2 a SGB VI ergibt sich nicht ohne Weiteres, was unter besonderen Umständen des Falles zu verstehen ist, die geeignet sind, die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen. Hinsichtlich des Begriffs der besonderen Umstände besteht ein Beurteilungsspielraum, der der richterlichen Kontrolle unterliegt (Bundessozialgericht, Urteil vom 3. September 1986, 9a RV 8/84). Besondere Umstände sind alle Umstände des Einzelfalls, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und die geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Entscheidend ist nur, ob sie ausreichen, um die Vermutung zu widerlegen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 1973, BSGE 35,272-276). Zu beachten sind die Beweggründe beider Ehegatten. Bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände und Motive der Eheschließenden darf die Versorgungsabsicht nicht überwiegen (vgl. Bundessozialgericht ebenda). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Vermutung widerlegt ist, wenn die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Motive den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichgewichtig sind. Die besondere Schwierigkeit besteht dabei darin, den materiellen Grund des Überwiegens der Versorgungsabsicht auch mit immateriellen Gründen zu vergleichen und abzuwägen, weil es insoweit an einem einheitlichen Maßstab fehlt. Dabei genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende Bedeutung hatte. Das bereitet die zusätzliche Schwierigkeit, auch die Beweggründe des Verstorbenen festzustellen (vgl. Urteil des Senats vom 7. März 2007, L 8 R 207/06). Dabei rechtfertigt aber die Darlegung allgemeiner bei einer Heirat regelmäßig mitentscheidender Gesichtspunkte wie die Absicht, eine Lebensgemeinschaft auf Dauer zu begründen, für sich gesehen noch nicht die Annahme besonderer Umstände. Hinzu kommen muss, dass die sich von der Versorgungsabsicht unterscheidenden Heiratsgründe derart im Vordergrund gestanden haben und für den Heiratsentschluss ausschlaggebend gewesen waren, dass in Ansehung der konkreten Situation im Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr von einem überwiegenden Versorgungszweck der Eheschließung ausgegangen werden kann. Die Beweggründe einer Heirat sind nicht für sich zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Eheschließung bestehenden tatsächlichen Umstände in eine Gesamtwürdigung mit einzubeziehen (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2009, L 3 R 80/08 m. w. N). Zu den tatsächlichen Umständen, die nach allgemeiner Lebenserfahrung der Entschlussbildung für eine Heirat typischerweise zugrunde liegen könnten bzw. Rückschlüsse auf eine solche Entscheidungsfindung zulassen, gehört eine eheähnliche Beziehung, die schon vor der Eheschließung bestanden hat, darüber hinaus die jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheschließenden und der Umstand, ob und in welcher Weise und vor allem zu welchem Zeitpunkt sie im Hinblick auf das Ableben eines Ehepartners vermögensrechtliche Dispositionen getroffen haben, darüber hinaus die konkreten Umstände bei der Eheschließung und der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung kommt es jedoch auf alle zur Eheschließung führenden Motive der Ehegatten an, also auch solche höchstpersönlicher, subjektiver Art (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08 R - Terminbericht Nr. 22/09).

30

Zur Überzeugung des Senats ist entgegen der Beurteilung des Sozialgerichts und auch der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat der Klägerin mit dem Verstorbenen gewesen ist, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die von der Klägerin glaubhaft geltend gemachten Gründe für die Eheschließung und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden objektiven Begleitumstände stehen zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und schon gar nicht der alleinige Zweck der Heirat gewesen ist. Die Heirat stellt sich für den Senat vielmehr als die Fortsetzung einer langjährigen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund einer Liebesbeziehung dar, in der beide Eheleute durch langjährige Berufstätigkeit und dadurch erzieltes Einkommen finanziell abgesichert waren.

31

Zu würdigen ist zunächst der objektive Umstand des langjährigen Zusammenlebens der Klägerin und des Verstorbenen in nichtehelicher 27-jähriger Lebensgemeinschaft von 1977 bis zur Heirat im September 2004. In diesem Rahmen hatten sie sich auch 1984 ein gemeinsames Haus gekauft. Angesichts der langjährigen Lebensgemeinschaft kann einerseits der klassische Fall des Missbrauchs der Ehe zu Versorgungszwecken nach nur kurzer Bekanntschaft ausgeschlossen werden. Allerdings könnte andererseits hieraus auch abgeleitet werden, dass die Klägerin und der verstorbene Versicherte gerade durch das langjährige Zusammenleben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft bewusst auf die Eheschließung aus Überzeugung verzichtet und letztlich nur nach Mitteilung der schwerwiegenden Erkrankung kurzfristig doch in Versorgungsabsicht die Ehe geschlossen hatten (so vergleichbar Sozialgericht Lübeck, Urteil vom 26. Januar 2006, S 7 RA 320/03). Danach stellt das langjährige Zusammenleben allein noch keinen widerlegenden Umstand dar. Hier war jedoch festzustellen, dass die Klägerin und der Versicherte tatsächlich geplant hatten, die bestehende Gemeinschaft in die Ehe münden zu lassen. Sie hatten diese nicht ausgeschlossen, weil sie der nichtehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich den Vorzug gegeben haben, sondern sie sind davon ausgegangen, zu heiraten. Zwar hatten sie keinen konkreten Termin für eine Hochzeit vor Bekanntwerden der Erkrankung des verstorbenen Versicherten festgelegt -und allgemeine Heiratsabsichten könnten bei Bestehen einer Liebesbeziehung nicht allein zur Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2 a SGB VI ausreichen (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 8. April 1999, L 3 U 99/97)-, jedoch ist es für den Senat glaubhaft, dass die Eheschließung schon längere Zeit beabsichtigt war, aber wegen mehrerer Todesfälle in der Familie diese eigentlich geplante Hochzeit immer wieder verschoben werden musste.

32

In diesem Zusammenhang ist auch der notarielle Erbvertrag vom 10. Juni 2004 zu berücksichtigen, in dem sich die Klägerin und ihr verstorbener Ehegatte gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben eingesetzt haben. Dieser Erbvertrag war vor dem Beginn der Erkrankung des Ehegatten der Klägerin am 7. Juli 2004 geschlossen worden. Aus diesem Erbvertrag könnte wiederum abgeleitet werden, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann diesen lediglich abgeschlossen hatten, um eine erbrechtliche Regelung zu treffen, weil die nichteheliche Lebensgemeinschaft wegen einer nicht beabsichtigten Eheschließung anderenfalls keinerlei Regelungen für den Erbfall wegen fehlender gesetzlicher Erbfolge bewirken würde. Andererseits enthält der Erbvertrag in der Einleitung die Erklärung der späteren Eheleute: „Der nachfolgende Erbvertrag soll auch bei Heirat seine Geltung behalten.“ Hiermit ist erkennbar, dass die spätere Heirat von den Vertragschließenden auch zu diesem Zeitpunkt bereits mit bedacht worden ist. Für den Senat ist dies ein richtiges Indiz für die Heiratsabsicht der Eheleute schon zu diesem Zeitpunkt.

33

Für den Senat ist darüber hinaus von Bedeutung, dass eine anderweitige Versorgung der Klägerin unabhängig von der Witwenrente gegeben ist. Die Klägerin war aufgrund ihrer langjährigen Berufstätigkeit (seit 1968 in Vollzeittätigkeit) durch Erwerb einer eigenen Rentenanwartschaft selbst versorgt. Darüber hinaus hat sie durch den Erbvertrag im Juni 2004 gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann bereits vor Eingehung der Ehe sichergestellt, dass sie im Fall des Todes des Versicherten das Haus nebst den übrigen Vermögenswerten erben würde. Durch die Gewährleistung dieser Versorgung für den Fall des Todes des Versicherten vor Eheschließung vor allem vor Bekanntwerden einer Erkrankung des Verstorbenen ist für den Senat abzuleiten, dass keine Versorgungsabsicht als zumindest überwiegender Zweck der Eheschließung anzunehmen ist.

34

Vielmehr erscheint dem Senat die subjektive Motivation des Verstorbenen nachvollziehbar, noch vor der im Oktober 2004 einsetzenden Strahlenbehandlung mit der Klägerin die Ehe einzugehen, wegen der Unklarheit, wie sein Zustand nach der Bestrahlung sein würde, aber auch getragen von der Hoffnung auf einen Erfolg der Therapie. Hieraus zeigt sich eine subjektive Motivation des Verstorbenen und seiner Ehefrau, die den Gesichtspunkt einer etwaigen auch bestehenden Versorgungsabsicht allenfalls in den Hintergrund treten lassen würde. Die Hoffnung auf einen gewissen Zeitraum eines weiterhin gemeinsamen Lebens trotz der schweren Diagnose sieht der Senat auch in den medizinischen Berichten über die Erkrankung des Verstorbenen bestätigt. Die langjährige Hausärztin Dr. L.-S..hat mit Befundbericht vom 18. Februar 2005 den Verlauf der Erkrankung ab dem 7. Juli 2004 beschrieben. Insgesamt ist der Klägerin zu folgen, dass zunächst noch ein behandelbarer Tumor angenommen worden ist, dann ein schwarzer Hautkrebs festgestellt worden war und nachfolgend Bestrahlungen ab dem 5. Oktober 2004 als Behandlungsmaßnahme palliativer Art begonnen worden sind mit der von der Hautklinik angegebenen Lebenserwartung von ein bis zwei Jahren. Die Klägerin hat dazu angegeben, dass sie mit ihrem verstorbenen Ehemann zu keinem Zeitpunkt die Hoffnung aufgegeben habe, zumindest noch einige Zeit miteinander verbringen zu können.

35

Zwar stand das Bestehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung fest. Hieraus ist allein dennoch nicht die Vermutung des Eingehens einer Versorgungsehe abzuleiten. Dies lässt sich § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entnehmen (vgl. Urteil des Senats vom 10. Dezember 2003, L 8 U 65/02). Die plötzliche Erkrankung hat hier lediglich den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst. Die Heirat erfolgte zwar bewusst in Kenntnis der lebensbedrohenden Erkrankung des Versicherten, jedoch nicht überwiegend aus Gründen der Versorgung. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist zum einen objektiv nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod tatsächlich in naher Zukunft eintreten wird. Zum anderen hat auch die subjektive Vorstellung des Versicherten und der Klägerin über die Lebenserwartung Bedeutung (vgl. o. g. Urteil des Senats vom 7. März 2007). Der verstorbene Versicherte hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, er ließ noch Bestrahlungsmaßnahmen durchführen und er hätte nach den ersten Befunden und der Aussage der Ärzte der Hautklinik noch einen Zeitraum von möglicherweise ein bis zwei Jahren gemeinsam mit der Klägerin leben können. Nach der ebenfalls maßgeblichen subjektiven Vorstellung des Versicherten und der Klägerin über die Lebenserwartung hatten diese die Hoffnung nicht aufgegeben, die Eheschließung erfolgte quasi zur Begleitung durch seine Lebenspartnerin für die beginnende Strahlenbehandlung.

36

Hinzu kommen hier klar zu Tage tretende objektive Umstände, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen. Zu denken ist dabei an die Gewährung eines deutlich höheren Freibetrages im Rahmen der Erbschaftssteuer für den Hausanteil des Versicherten am gemeinsam bewohnten Haus und den Erlös aus dem Verkauf des Hausees der verstorbenen Eltern des Versicherten. Neben diesem bedeutenden materiellen Grund ist der immaterielle Gesichtspunkt einer als Ehegattin nicht beschränkten Auskunftsmöglichkeit gegenüber den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern des Versicherten genauso von Bedeutung wie die Entscheidungsbefugnis über die Regelungen, die im Zusammenhang mit dem (späteren) Tod des Versicherten zu treffen sind.

37

Insgesamt stehen für den Senat die von der Klägerin glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragenen Gründe für die Heirat zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser jedenfalls nicht überwiegt.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

39

Die Revision wird nicht gemäß § 160 Abs. 1 SGG zugelassen. Es liegt keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe vor, auf die eine Zulassung der Revision durch den Senat gestützt werden könnte.


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Tenor Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 3. März 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

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(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt werden.

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Mai 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2004 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Witwenrente nach seiner am 21. Oktober 2002 verstorbenen Ehefrau C. B. zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Witwerrente hat.

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Der 1966 geborene Kläger heiratete am 10. Oktober 2002 die 1951 geborene Versicherte C. B... Er lebte mit der Versicherten zuvor bereits seit Juni 1998 zusammen. Im Jahr 2002 arbeitete der Kläger bei der Stadtreinigung in Ahrensburg als Kraftfahrer und bezog ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von etwa 1.200,00 EUR. Die Versicherte arbeitete als Verwaltungsangestellte beim Arbeitsamt und bezog ein monatliches Bruttoeinkommen von etwa 1.400,00 EUR.

3

Am 8. April 2002 erkrankte die Versicherte arbeitsunfähig an einem fortgeschrittenen Nierentumor links mit metastatischen Lymphknotenpaketen. Der Tumor wurde am 23. April 2002 operativ entfernt. Im Anschluss erfolgte eine Immuntherapie mit subkutanem Interleukin II, die Ende Juli 2002 abgebrochen werden musste, da diese von der Versicherten schlecht vertragen wurde und die Verdachtsdiagnose eines Lokalrezidivs mit Leberfilialisierung gestellt wurde. Ende September/Anfang Oktober 2002 wurde das metastasierende Nierenzellkarzinom mit Lokalrezidiv mit Chemotherapie behandelt. Am 21. Oktober 2002 verstarb die Versicherte. Auf ihren Antrag vom 10. Oktober 2002 bewilligte die Beklagte der Versicherten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 2002 in Höhe von 841,78 EUR monatlich. Einen Tag nach der Hochzeit, am 11. Oktober 2002, ließ die Versicherte eine Generalvollmacht einschließlich Patiententestament zu Gunsten des Klägers in der Asklepios Klinik Bad Oldesloe, wo sie sich zu dieser Zeit befand, beurkunden. Die Hochzeit des Klägers mit der verstorbenen Versicherten fand ebenfalls in der Asklepios Klinik statt.

4

Am 3. Dezember 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Witwerrente. Die Beklagte lehnte den Antrag nach Anhörung mit Bescheid vom 27. Februar 2004 ab, weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht durch besondere Umstände widerlegt worden sei. Hiergegen legte der Kläger am 16. März 2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, dass er mit der verstorbenen Versicherten bereits seit Januar 1999 verlobt gewesen sei und dass sie im März 2002 beschlossen hätten zu heiraten. In der Hoffnung auf Behandlungserfolg und baldige Genesung seiner Frau hätten sie den Termin der Hochzeit auf einen Zeitpunkt nach der Behandlung verschoben. Leider habe sich der Gesundheitszustand seiner Frau verschlechtert. Um ihr Hoffnung und Genesung zu geben, hätten sie dann schließlich doch geheiratet.

5

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Anspruch auf Witwerrente ausgeschlossen sei, wenn das Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung sei. Dabei werde unterstellt, dass dieses regelmäßig der Fall sei, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung versterbe. Diese gesetzliche Vermutung könne widerlegt werden, wenn Umstände vorlägen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgung schließen ließen. Solche Umstände könnten z. B. vorliegen bei einem plötzlichen unvorhersehbaren Tod oder wenn die tödlichen Folgen einer Krankheit bei der Eheschließung nicht vorhersehbar gewesen seien. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor. Die Versicherte habe einen Tag nach der Hochzeit durch einen Notar ein Testament aufnehmen lassen, aus dem eindeutig erkennbar sei, dass der Kläger und seine verstorbene Ehefrau wussten, dass eine unheilbare Krankheit vorliege. Es müsse daher eine Versorgungsehe unterstellt werden.

6

Hiergegen hat der Kläger am 3. Juni 2004 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und sein bisheriges Vorbringen weiter präzisiert: Seine verstorbene Ehefrau hätte beabsichtigt, frühestmöglich in Rente zu gehen. Dann hätten sie zusammen nach Ägypten auswandern wollen. Sie hätten häufig in Ägypten Urlaub gemacht und er habe dort mehrere Tauchscheine erworben. Sie hätten sich dann in Ägypten mit einer Tauchschule selbstständig machen wollen. Dorthin wollten sie jedoch nur als Ehepaar auswandern, so dass eine Heirat fest geplant gewesen sei. Im Jahr 2002 seien sie Mitte März aus dem Urlaub wiedergekommen. Auf dem Rückflug hätten sie beschlossen zu heiraten, ohne schon einen konkreten Hochzeitstermin festgelegt zu haben. Etwa eine Woche nach dem Urlaub habe seine verstorbene Ehefrau über Nierenschmerzen geklagt. Dann sei der Nierentumor diagnostiziert worden. Er habe von der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung seiner Frau keine Kenntnis gehabt. Hiervon habe er erst nach der Hochzeit erfahren. Zu der Hochzeit im Krankenhaus sei es nur aus dem Grund gekommen, dass er hierdurch seiner Ehefrau habe helfen wollen, den Krebs zu besiegen.

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Der Kläger hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2004 aufzuheben und ihm Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau C. B. zu gewähren.

9

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

12

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben zu der Frage der Motivation der Versicherten und des Klägers für die Hochzeit durch Vernehmung der Zeuginnen I. S. und I. K. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2006. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

13

Mit Urteil vom selben Tage hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Geschehensablauf die Vermutung zulasse, dass durch die Eheschließung vorrangig beabsichtigt gewesen sei, dem Kläger - auch - eine Witwerrente zu sichern. Der Nachweis, dass unter den Heiratsmotiven die Versorgungsabsicht keine maßgebende Bedeutung gehabt hätte, sei dem Kläger nicht gelungen. Ob dem Kläger die Lebensbedrohlichkeit der Krankheit seiner verstorbenen Ehefrau bekannt gewesen sei, hätte nicht geklärt werden können. Fest stehe jedenfalls nicht, dass der Kläger hierüber sicher keine Kenntnis gehabt hätte. Eine konkrete Heiratsabsicht vor Bekanntwerden der lebensbedrohenden Erkrankung der Versicherten sei nach dem Vortrag des Klägers nicht zu erkennen. Für die Absicht des Klägers, seiner Ehefrau durch die Hochzeit Hoffnung und Genesung zu geben, liege nur seine eigene Erklärung vor. Die gehörten Zeuginnen hätten diesen Vortrag des Klägers nicht bestätigt. Beide hätten hierzu keine Einzelheiten ausgesagt. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute seien nicht geeignet, die gesetzliche Versorgungsvermutung zu widerlegen. Zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten seien die Einkommensverhältnisse der Eheleute in etwa ausgeglichen gewesen. Alleine hieraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass kein Motiv für eine Versorgungsehe vorliege.

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Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 24. August 2006 bei dem Sozialgericht Lübeck eingegangen ist. Zur Begründung führt der Kläger aus, dass das Sozialgericht rechtsirrig die Auffassung vertreten habe, die Vermutung der Versorgungsehe könne nur durch besondere, objektiv feststellbare Umstände des jeweiligen Falls ausgeräumt werden. Es hätte daher nicht die vom Kläger geschilderten Beweggründe für die Eheschließung außer Acht lassen dürfen. Dementsprechend hätte sich das Sozialgericht mit der Glaubhaftigkeit dieser Schilderungen auseinandersetzen müssen. Insbesondere habe er der verstorbenen Versicherten Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft und die Kraft geben wollen, den Krebs zu besiegen. Dies werde durch Zeugenaussagen bestätigt.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Mai 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau C. B. eine Witwenrente zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Dem Kläger sei der Beweis des Gegenteils der Rechtsvermutung des § 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) nicht gelungen.

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Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Einzelrichters anstelle des gesamten Senats gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger angehört wurde.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig; sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

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Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist dem Kläger eine Witwerrente zu gewähren.

24

Gemäß § 46 Abs. 1 SGB VI haben Witwer, die nicht wieder geheiratet haben und nicht die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI erfüllen, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf kleine Witwerrente. Der Kläger ist der Witwer der am 21. Oktober 2002 verstorbenen Versicherten. Dass diese die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ist nicht streitig. Der Kläger hat auch nicht wieder geheiratet. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 SGB VI sind somit erfüllt. Die Voraussetzungen für die große Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI erfüllt der Kläger unstreitig nicht.

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Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt wurde, besteht der Anspruch jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

26

Diese Norm enthält mithin für alle seit ihrem Inkrafttreten geschlossenen Ehen die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod der Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Versicherten und dem Kläger hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 10. Oktober 2002 bis zum 21. Oktober 2002). Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein.

27

Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar („es sei denn“). Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, SozR 3-3900, § 15 Nr. 3 m.w.N.).

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Das Urteil des Sozialgerichts hätte mithin nur bestätigt werden können, wenn in diesem Sinne die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt ist.

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Entgegen der Beurteilung der Beklagten und des Sozialgerichts ist der Senat hier jedoch davon überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die vom Kläger glaubhaft geltend gemachten Gründe für die Heirat und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden objektiven Begleitumstände stehen zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und schon gar nicht der alleinige Zweck der Heirat war. Die Heirat stellt sich vielmehr als die Fortsetzung einer langjährigen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund einer Liebesbeziehung dar, in der beide Eheleute durch annähernd gleiches Einkommen finanziell abgesichert waren. Sie sollte in einer einschneidenden Lebenssituation neuen Mut machen. Dies stand im Vordergrund und nicht der Missbrauch der Ehe in Versorgungsabsicht.

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Im Einzelnen war dabei für den Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens Folgendes für die gewonnene Überzeugung leitend (§ 128 SGG):

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„Besondere Umstände des Falls“ im Sinne von § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle Umstände, die einen Schluss auf den Zweck der Heirat zulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (vgl. BSGE 35, 272 [274 f]). Die besondere Schwierigkeit besteht dabei darin, den materiellen Grund des Überwiegens der Versorgungsabsicht mit immateriellen Gründen zu vergleichen und abzuwägen, weil es insoweit an einem einheitlichen Maßstab fehlt. Dabei genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende Bedeutung hatte (BVerwGE 25, 221). Das bereitet die zusätzliche Schwierigkeit, auch die Beweggründe der Verstorbenen festzustellen.

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Zu würdigen ist zunächst das langjährige Zusammenleben des Klägers und der Versicherten in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung. Dieser Umstand kann je nach deren Dauer und Ausgestaltung nach den Umständen des Einzelfalls den gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestand erfüllen (BSG, Beschluss vom 2. Februar 2001, B 2 U 379/00 B); weitere Aspekte des Falls müssen im Lichte der langjährigen Lebensgemeinschaft vor der Ehe gewürdigt werden (Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 2003, L 8 U 65/02). Nicht in allen Fällen, in denen Versicherte bei der Heirat schwer krank sind, wird alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat der Versorgungszweck sein. Im Vordergrund kann z. B. die Absicht stehen, eine schon länger bestehende Gemeinschaft zu legitimieren oder der Wunsch, dem Partner in seiner Krankheit zur Seite zu stehen (so ausdrücklich Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.). Danach stellt das über vierjährige Zusammenleben des Klägers und der Versicherten - für sich allein - keinen widerlegenden Umstand dar. Es kann jedoch auch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. In Abgrenzung zur „klassischen“ Versorgungsehe nach nur kurzer Bekanntschaft, in der die Ehe zu Versorgungszwecken missbraucht wird, ist hier festzustellen, dass der Kläger und die Versicherte geplant hatten, die bestehende Gemeinschaft in die Ehe münden zu lassen. Sie hatten diese nicht ausgeschlossen, weil sie der nichtehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich den Vorzug gegeben haben, sondern sie sind übereinstimmend davon ausgegangen, jedenfalls das Rentenalter gemeinsam als Ehepaar in Ägypten zu verbringen. Einen konkreten Termin für die Hochzeit in naher Zukunft hatten sie allerdings vor Bekanntwerden der Erkrankung der Versicherten nicht festgelegt, so dass die allgemeinen Heiratsabsichten bei Bestehen der Liebesbeziehung alleine nicht ausreichen, die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI zu widerlegen (so auch LSG Berlin, Urteil vom 8. April 1999, 3 L U 99/97). Glaubhaft ist jedoch, dass die Eheschließung ohnehin beabsichtigt war. Sowohl die wirtschaftliche Situation der Versicherten und des Klägers als auch deren gemeinsame Lebensplanung bis zum Rentenalter sprechen gegen die Eingehung der Ehe nur oder überwiegend zum Zwecke der Begründung eines Anspruchs des Klägers auf Hinterbliebenenversorgung. Die plötzliche Erkrankung der Versicherten hat lediglich den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst; dies jedoch nicht überwiegend aus Gründen der Versorgung. Die Heirat erfolgte hier in Kenntnis der lebensbedrohenden Erkrankung der Versicherten. Dies ergibt sich schon daraus, dass es sich um eine so genannte Nottrauung im Krankenhaus handelte, die üblicherweise nur bei einer lebensbedrohenden Erkrankung durchgeführt wird. Trotz dieser Kenntnis ist nicht in jedem Fall eine Versorgungsehe gegeben (so auch oben genanntes Senatsurteil vom 10. Dezember 2003). Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist zum einen objektiv nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod tatsächlich in naher Zukunft eintreten wird. Zum anderen hat auch die subjektive Vorstellung der Versicherten und des Klägers über die Lebenserwartung Bedeutung. Diese hatten die Hoffnung nicht aufgegeben. Die Eheschließung sollte der Versicherten vielmehr neuen Lebensmut vermitteln. Der Kläger wollte auch öffentlich deutlich machen, dass er gerade in dieser Situation zu seiner 15 Jahre älteren Lebensgefährtin steht. Dies ist ein plausibles Motiv für die plötzliche Hochzeit. So hat die Zeugin K., eine langjährige Freundin der Versicherten, vor dem Sozialgericht ausgesagt, dass die Versicherte sie angerufen habe mit dem Satz: „In zwei Tagen heirate ich meinen U..“ Darüber sei die Versicherte sehr glücklich gewesen. Die Zeugin und die Versicherte hätten dann beide am Telefon geweint. Dieses Telefonat bringt Freude und Hoffnung von Seiten der Versicherten zum Ausdruck. Es steht im krassen Widerspruch zu einem Versorgungsmotiv.

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Daraus, dass die Versicherte einen Tag nach der Hochzeit durch einen Notar eine Generalvollmacht einschließlich Patiententestament und ein Testament aufnehmen ließ, lässt sich nicht ableiten, dass die Versicherte unmittelbar mit ihrem Tod rechnete. Sie hätte auch ohne Eheschließung gleichlautende Verfügungen treffen können. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass die Ehe geschlossen wurde, um Erbschaftssteuer zu sparen. Aber selbst wenn dies so wäre, wäre dies zwar ein materieller, jedoch ein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund.

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Letztlich war auch der Umstand zu würdigen, dass der Kläger auch ohne die Eheschließung abgesichert ist und über eine ausreichende eigene Versorgung verfügt. Denn die Versorgungsvermutung tritt im Vergleich zu anderen Motiven umso mehr in den Vordergrund, je bedeutsamer materielle Vorteile durch die Hinterbliebenenrente sind. Die Versorgungsvermutung ist nicht erst dann widerlegt, wenn sich die finanzielle Situation des Witwers verschlechtert (anderer Ansicht: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. November 1999, L 5 U 112/98). Hier hat der Kläger wegen der Antragstellung erst 14 Monate nach dem Tod der Versicherten zunächst nur Anspruch auf kleine Witwerrente für zehn Monate unter Anrechnung des eigenen Einkommens gemäß § 97 SGB VI. Der Umstand, dass der Kläger durch die späte Antragstellung über die Hälfte seines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente „verschenkt“ hat, spricht ebenfalls dafür, dass der überwiegende Zweck der Heirat nicht die Hinterbliebenenversorgung war.

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Ob ein weitergehender Anspruch auf große Witwerrente nach Vollendung des 45. Lebensjahres besteht, ist nicht absehbar. Dies hängt von Umständen wie z. B der Höhe des eigenen Einkommens, Wiederheirat usw. ab. In Anbetracht dessen stehen die oben genannten vom Kläger glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragenen Gründe für die Heirat zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser jedenfalls nicht überwiegt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.

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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision durch den Senat nach § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.