Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 19. Aug. 2008 - L 7 R 187/07

ECLI:ECLI:DE:LSGSH:2008:0819.L7R187.07.0A
bei uns veröffentlicht am19.08.2008

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. September 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach einem Versicherten hat, der während des ersten Ehejahres verstorben ist.

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Die erste Ehe der am 7. Mai 1956 geborenen Klägerin endete aufgrund des Todes des Ehemannes und die zweite Ehe der Klägerin durch Ehescheidung im Jahre 1998. Im Laufe des Jahres 1998 lernte die Klägerin den Versicherten Herrn B. K. kennen, den sie im April 2000 in ihren Haushalt aufnahm und mit ihm eine eheähnliche Lebensgemeinschaft führte. In dem Haushalt lebten außerdem drei Kinder der Klägerin aus der geschiedenen Ehe. In der Zeit von etwa Januar oder Februar 2002 bis März 2003 lebte außerdem die pflegebedürftige Mutter des Versicherten in dem Haushalt. Sie verstarb im April 2004.

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Im Juli des Jahres 2004 wurde bei dem verstorbenen Versicherten ein Adenokarzinom diagnostiziert. Bei einer Operation am 15. Juli 2004 wurde eine Metastase in Höhe des Brustwirbelkörpers (BWK) 8 entfernt. Eine anschließend durchgeführte ausgedehnte Suche nach dem Primärtumor blieb erfolglos. Bei einer ambulanten Vorstellung des Versicherten im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein am 15. September 2004 wurden eine spinale Metastasierung (BWK 7, 8 und 9) sowie eine suspekte Läsion im Bereich des linken Oberlappens sowie im Bereich der Leber diagnostiziert. Während des stationären Aufenthalts des Versicherten in der Zeit vom 28. September bis zum 11. Oktober 2004 kam es unter Therapie zu einem Fortschreiten der Erkrankung („Progress unter Radiatio“), und im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 14. Oktober 2004 zu der strahlentherapeutischen Behandlung des verstorbenen Versicherten in der Zeit vom 31. August 2004 bis zum 5. Oktober 2004 wurde mitgeteilt, dass der Versicherte von den Kollegen der Medizinischen Klinik I in der Klinik für Strahlentherapie und Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Lübeck mit der Frage nach einer palliativen Bestrahlung der Metastasen der Brustwirbelsäule vorgestellt worden sei. Nach Resektion einer Adenokarzinommetastase im Bereich der Brustwirbelsäule bestehe die Indikation zur palliativen Radiatio. Anschließend wurde die Behandlung des Versicherten bis zum 11. Oktober 2004 in der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein fortgeführt. Der Versicherte, der die Klägerin bereits in den vorangegangenen Jahren des Zusammenlebens wiederholt gefragt hatte, ob sie ihn nicht heiraten wolle und der auch beim Vater der Klägerin um die Hand der Tochter angehalten hatte, wandte sich während dieser Krankenhausbehandlung mit einer telefonischen Kurznachricht (SMS) erneut an die Klägerin mit der Bitte, ihn zu heiraten. Daraufhin begab sich die Klägerin an einem der beiden folgenden Tage zum Standesamt, um einen Termin für die Eheschließung in etwa 14 Tagen zu vereinbaren. Als Termin für die Eheschließung wurde auf Wunsch des Versicherten der 22. Oktober 2004 festgelegt. Nach der Eheschließung wurde die palliative Behandlung des Versicherten fortgesetzt und eine Chemotherapie durchgeführt. Auf Wunsch des Versicherten und seiner Ehefrau wurde der Versicherte aus einem weiteren stationären Aufenthalt im März 2005 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, wo er nach etwa einer Woche am 24. März 2005 verstarb.

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Am 7. April 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Die Beklagte zog die den Versicherten betreffenden Verwaltungsvorgänge bei. Nach deren Auswertung lehnte sie den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25. Mai 2005 mit der Begründung ab, dass der Gesetzgeber das Vorliegen einer Versorgungsehe unterstelle, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres versterbe. Diese gesetzliche Vermutung könne zwar widerlegt werden. Nach Würdigung des Sachverhalts müsse hier jedoch von einer Versorgungsehe ausgegangen werden. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Versicherte sie bereits im Jahre 2002 habe heiraten wollen, dass sie dazu aber noch nicht bereit gewesen sei, weil sie die vorangegangene Scheidung noch nicht voll verarbeitet gehabt habe. Im Mai des Jahres 2004 habe sie sich zur Heirat entschlossen. Ein fester Heiratstermin sei jedoch noch nicht abgesprochen worden, da die Mutter des Versicherten im April 2004 überraschend verstorben sei. Erst danach am 15. Juli 2004 habe sich herausgestellt, dass der Versicherte an einem bösartigen Tumor leide und dass eine Krebstherapie durchgeführt werden müsse. Auch zum Zeitpunkt der Hochzeit am 22. Oktober 2004 seien sowohl sie als auch der Versicherte davon ausgegangen, dass eine erfolgreiche Behandlung durchgeführt werde. Die behandelnden Ärzte hätten ihr nach der Operation erklärt, der Eingriff sei gut verlaufen. Im Januar 2005 sei ihr von den behandelnden Ärzten im Krankenhaus erstmalig mitgeteilt worden, dass ihr Ehemann nicht mehr lange leben werde. Darauf holte die Beklagte eine Stellungnahme ihres ärztlichen Prüfdienstes ein, der zu der Auffassung gelangte, dass den ärztlichen Unterlagen keine Hinweise auf eine positive Prognose bezüglich der Tumorerkrankung zu entnehmen seien. Die Progredienz der Erkrankung sei bereits im Bericht vom 15. September 2004 beschrieben worden. In den Unterlagen fänden sich keine Hinweise, in welchem Umfang und wie seine damalige Partnerin, die Klägerin, über die Erkrankung und Prognose aufgeklärt worden sei. Außerdem holte die Beklagte eine Auskunft zu den ehemaligen Meldeanschriften der im April 2004 verstobenen Mutter des Versicherten ein.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten habe weniger als ein Jahr gedauert. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Regelung solle einem Missbrauch der Ehe vorbeugen und manipulierte Folgen verhindern. Die Vermutung sei nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergebe, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, dem Hinterbliebenen eine Versorgung zu verschaffen. Dabei seien sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, die einen Schluss auf den Zweck der Ehe zuließen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast habe der hinterbliebene Ehegatte die besonderen Umstände für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung darzulegen und zu beweisen. Als besondere Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, seien anzusehen:

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- plötzlicher unvorsehbarer Tod,

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- Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des anderen Ehegatten, wenn der Tod des Ehegatten auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war,

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- die tödlichen Folgen einer Krankheit waren bei der Eheschließung nicht vorhersehbar,

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- Nachholung einer gültigen deutschen Trauung durch hier in ungültiger - nach ausländischem Recht gültiger - Ehe lebende Ausländer,

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- Vorhandensein gemeinsamer leiblicher minderjähriger Kinder bzw. Schwangerschaft,

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- Erziehung eines minderjährigen Kindes des verstorbenen Versicherten durch den Hinterbliebenen.

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Maßgebend seien die Umstände des Einzelfalles. Hier sei nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Beurteilung davon auszugehen, dass sowohl der Klägerin als auch dem verstorbenen Versicherten zum Zeitpunkt der Heirat der lebensbedrohende Charakter der Krebserkrankung bekannt gewesen sein müsse. Der Verlauf der Krankheit des verstorbenen Ehegatten widerlege nicht die Vermutung einer Versorgungsehe. Es sei nicht zu erkennen, dass es sich bei der Eheschließung am 22. Oktober 2004 um die konsequente Verwirklichung eines seit langem bestehenden und verfestigten Heiratsentschlusses gehandelt habe, ohne dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, der Klägerin durch eine formelle Legalisierung der jahrelangen Beziehung eine Versorgung zu verschaffen.

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Dagegen hat sich die Klägerin mit der am 31. Januar 2006 erhobenen Klage gewandt, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat. Ihr verstorbener Ehemann habe ihr bereits seit dem Jahr 2000 immer wieder Heiratsanträge gemacht und auch im Beisein der Kinder offiziell um ihre Hand angehalten. Im Mai 2004 sei sie dann bereit gewesen, den Versicherten zu heiraten. Allerdings sei ein fester Termin nicht abgesprochen worden, da die Mutter des Versicherten im April 2004 verstorben sei. Sie habe die Mutter des Versicherten in der Zeit bis etwa April 2004 (offenbar gemeint: April 2003) für ein Jahr gepflegt. Dann habe die Demenz der Mutter des Versicherten derart zugenommen, dass die Betreuung habe abgegeben werden müssen. Auch die Übernahme der Pflege zeige, dass von einer reinen Versorgungsehe nicht ausgegangen werden könne. Weder sie noch ihr Ehemann seien vor der Hochzeit am 22. Oktober 2004 über den Gesundheitszustand und die Prognose aufgeklärt worden. Ihre Tochter C. habe sie praktisch bei jedem Besuch im Krankenhaus begleitet. Ihr Ehemann habe ihr und ihrer Tochter jedes Mal erklärt, dass man ihm keine Auskünfte zu seiner Erkrankung erteile. Man habe sie vertröstet und ihr erklärt, man müsse weitere Untersuchungen durchführen. Ein offenes und klärendes Gespräch sei nicht einmal bei der letzten Entlassung des Ehemanns aus dem Krankenhaus erfolgt. Als man ihr schließlich erklärt habe, dass geplant sei, ihren Mann in ein Hospiz zu überweisen, habe sie darauf bestanden, dass ihr Ehemann nach Hause komme. Auch bei der Entlassung sei ihr nicht gesagt worden, dass ihr Ehemann in kurzer Zeit sterben würde. Eine Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sei ihr Ehemann gestorben. Zum Zeitpunkt der Heirat sei ihr über aufgetretene Metastasen nichts bekannt gewesen, und der Versicherte habe sich nach der Strahlenbehandlung körperlich gut gefühlt.

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Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung der Bescheide vom 25. Mai 2005 und vom 12. Januar 2006 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres am 24. März 2005 verstorbenen Ehemannes B. K. zu gewähren.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat sich auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides bezogen.

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Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 4. September 2007 die Tochter der Klägerin, C. Ba., als Zeugin zu den Umständen der Heirat vernommen. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Als besondere Umstände, die zur Widerlegung der Vermutung der Versorgungsehe herangezogen werden könnten, seien zu berücksichtigen:

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- Dauer der zuvor bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft,

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- Heiratsabsicht vor Ausbruch der Krankheit als Plan für die Zukunft,

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- Versuch, neuen Lebensmut und Motivation zu geben im Kampf gegen den Krebs; Demonstration der Zusammengehörigkeit und Unterstützung,

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- ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen.

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Für die Widerlegung genüge, dass beide Partner eine dauerhafte Beziehung mit Heiratsabsicht aufgebaut hätten, die gerade nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet sei. Dass zum Zeitpunkt der Eheschließung der Tod des Versicherten in absehbarer Zeit zu erwarten sei, sei dann unschädlich. Die Kammer gehe davon aus, dass der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann die ungünstige und tödliche Prognose der Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung am 22. Oktober 2004 nicht bekannt gewesen sei. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, weil die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung auch bei Kenntnis der Ehepartner nicht ausgeschlossen sei. Es lägen besondere Umstände vor, die gegen das Überwiegen der Versorgungsabsicht sprächen. Die hier vorliegende länger andauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Heiratsabsicht lange vor dem Ausbruch der Krebserkrankung des Versicherten reichten zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Versorgungsehe aus und zwar erst recht, wenn nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin und der Versicherte über die tödliche Prognose der Krebserkrankung informiert gewesen seien.

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Gegen das ihr am 12. Oktober 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 22. Oktober 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI, nach der beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war, werde entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht widerlegt. Nach den Daten im Versicherungsverlauf sei davon auszugehen, dass der verstorbene Versicherte vor seinem Tod zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Klägerin beigetragen habe. Die Zahlung einer Hinterbliebenenrente an die Klägerin würde zumindest die Deckung eines gewissen Grundbedarfs garantiert haben. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass die langjährig bestehende Beziehung der Klägerin mit dem Versicherten dem alleinigen oder überwiegenden Versorgungsgedanken entgegenstehe, werde nicht geteilt. Ein langjähriges eheähnliches Zusammenleben unterstreiche vielmehr die Rechtsvermutung, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck sei, der späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen, da einem langjährigen Zusammenleben „ohne Trauschein“ die bewusste Entscheidung zugrunde liege, eben nicht zu heiraten. Letzteres gelte umso mehr, wenn nach jahrelangem Zusammenleben „ohne Trauschein“ nach dem Bekanntwerden einer zum Tode führenden Erkrankung des Partners geheiratet werde. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob dem Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung die konkret begrenzte Lebenserwartung noch nicht bekannt gewesen sei. Aus den vorliegenden medizinischen Befunden ergebe sich, dass beim Versicherten ab Juni 2004 Schmerzen aufgetreten seien, deren Ursache nicht festzustellen gewesen sei. Ein stationärer Aufenthalt im Universitätsklinikum Lübeck vom 13. Juli bis zum 26. Juli 2004 habe schließlich Aufschluss darüber gegeben, dass die Schmerzen durch eine Metastase verursacht worden sei. Der ursprüngliche Herd der Erkrankung sei zunächst nicht festzustellen gewesen. Daraufhin sei im Juli 2004 eine Resektion der Metastase erfolgt. Trotz eines weiteren stationären Aufenthalts im Zeitraum vom 29. Juli bis zum 7. August 2004 habe die Ursache der Metastase zunächst nicht ermittelt werden können. Es habe sich eine weitere Strahlentherapie angeschlossen. Trotz laufender Behandlung sei ab September 2004 ein Progress der Erkrankung zu verzeichnen gewesen. So habe der behandelnde Hausarzt eine ab Anfang September eingetretene Verschlechterung beschrieben. Aus dem Bericht des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 14. Oktober 2004 über den Verlauf der strahlentherapeutischen Behandlung ergebe sich, dass „nun wohl eine anstehende palliative Chemotherapie“ zu erwarten sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei damit zu erwarten gewesen, dass nur noch eine rein krankheitsverzögernde bzw. -lindernde Therapie durchgeführt werden könne. Zumindest habe sich die medizinische Situation zu diesem Zeitpunkt als offen dargestellt. Die Annahme, dass sich die Eheleute über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten nicht im Klaren gewesen wären, erscheine lebensfern. Auch wenn die Klägerin angebe, dass die Eheschließung bereits längerfristig geplant gewesen sei, sei festzustellen, dass konkrete Vorbereitungen für eine frühere Eheschließung nicht erfolgt seien. Eine allgemeine Heiratsabsicht reiche im vorliegenden Zusammenhang nicht aus. Unter diesen Umständen sei der Vollbeweis, dass die Ehe nicht aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei, nicht zu führen, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt sei.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. September 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Senat hat Auskünfte des den verstorbenen Versicherten behandelnden Hausarztes Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie der Assistenzärztin im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Dr. B., vom 21. Juli 2008 eingeholt. In der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008 hat der Senat die Klägerin ausführlich befragt und die Tochter der Klägerin, C. Ba., zu den Umständen der Eheschließung des Versicherten mit der Klägerin als Zeugin vernommen.

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Die den verstorbenen Versicherten sowie die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts, mit dem die Beklagte zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente verurteilt worden ist, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

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Gemäß § 46 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und eine der in § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI genannten Voraussetzungen erfüllt wird. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung besteht der Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente ab Vollendung des 45. Lebensjahres. Da der Versicherte vor dem 1. Januar 2012 verstorben ist, gilt diese Altersgrenze gem. § 242a Abs. 4 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung hier auch über den 31. Dezember 2007 hinaus.

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Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der verstorbene Versicherte hat die allgemeine Wartezeit erfüllt, die Klägerin hat nicht wieder geheiratet, und sie hatte bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Witwenrente das 45. Lebensjahr vollendet. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI besteht der Anspruch auf eine Witwenrente oder Witwerrente jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Regelung ist durch Art. 1 Nr. 6. b) des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (AVmEG) vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403) eingefügt worden und gilt gemäß § 242a Abs. 3 SGB VI nur, wenn die Ehe - wie hier - ab dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

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Die gesetzliche Vermutung, nach der es sich bei Ehen, die nicht mindestens ein Jahr gedauert haben, um Versorgungsehen handelt, hat der Gesetzgeber aus entsprechenden Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII), im Recht der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz - BVG) und dem Recht der Beamtenversorgung (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG) übernommen. Deshalb kann bei der Auslegung auch auf die zu den genannten Vorschriften ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Die gesetzliche Vermutung ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) nur durch den vollen Beweis des Gegenteils zu widerlegen. Der Vollbeweis erfordert zumindest eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit.

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Die gesetzliche Vermutung basiert auf einer Typisierung und bezweckt auch, dass zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts keine „unerfreulichen und im Ergebnis unsicheren Ausforschungen im Bereich der privaten Lebenssphäre“ vorgenommen werden müssen (BSG, Urt. v. 3. September 1986 - 9a RV 8/84 - BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22. Mai 2008 - L 21 R 39/05, veröffentl. in juris; Gürtner in: KassKomm., § 46 SGB VI Rz. 46c; Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, § 38 Anm. 5.). Der Widerlegungstatbestand der „besonderen Umstände“ gebietet eine typisierende Betrachtungsweise (BSG, a.a.O.). Auf der anderen Seite sollen nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 28. März 1973 - 5 RKnU 11/71, BSGE 35, 272 = SozR Nr. 2 zu § 594 RVO) alle Umstände des Einzelfalles, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen, als besondere Umstände zu berücksichtigen sein. Welche Umstände danach geeignet sind, als „besondere Umstände“ die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt.

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Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine länger dauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung als besonderer Umstand gegen die Versorgungsvermutung sprechen könne (vgl. Schl.-Holst. LSG, Urt. v. 7. März 2007 - L 8 R 207/06). Davon ist auch das Sozialgericht ausgegangen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass einer langjährig bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft auch eine bewusste Entscheidung für diese inzwischen gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Form des Zusammenlebens zugrunde gelegen haben kann und dass unter diesen Umständen dem Entschluss, diese Form des Zusammenlebens zu beenden und eine Ehe einzugehen, das Motiv der Sicherung der Hinterbliebenenversorgung des überlebenden Partners zugrunde liegen kann (so auch Urteil des Schl.-Holst. LSG vom 21. März 2007 - L 8 R 112/06; Bayer. LSG, Urt. v. 2. Februar 1972 - L 2 U 98/70, Breith. 1972, S. 742).

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Der Senat geht mit der in Literatur und Rechtsprechung allgemein vertretenden Auffassung davon aus, dass als Umstand, der gegen eine Versorgungsehe sprechen kann, der unvorhersehbare plötzliche Tod des Versicherten, z. B. durch Unfall oder Verbrechen anzusehen ist (vgl. Kamprad in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 Rz. 38; Butzer in: GK-SGB VI, § 46 Rz. 113; Vogel in: DAngVers 2001, 434, 435; so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum Altersvermögensgesetz, BT-Drucks. 14/4595, S. 44). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer fehlenden Vorhersehbarkeit des baldigen Ablebens des Versicherten, die eine Vorplanung der Ehepartner ausschließt, die Vermutung nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat in der Versorgung des überlebenden Partners zu suchen ist. Deshalb spricht auch das Vorliegen einer konkreten Heiratsabsicht bereits vor dem Auftreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung gegen die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe. Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats, wenn die tödlichen Folgen einer Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht vorhersehbar waren oder den Ehepartnern nachweislich nicht bekannt waren. Die fehlende Kenntnis vom bevorstehenden Tod des Versicherten spricht bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dagegen, dass die Versorgung nach dem Tod ausschlaggebend für die Motivation zur Eingehung der Ehe gewesen ist.

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Im vorliegenden Fall kann eine übereinstimmende feste Absicht, die Ehe einzugehen, in der Zeit vor der Diagnose der Krebserkrankung des Versicherten im Juli 2004 nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Zwar haben sowohl die Klägerin als auch die als Zeugin vernommene Tochter glaubhaft angegeben, dass der Versicherte die Klägerin bereits Jahre vor der Eheschließung immer wieder gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle, und dass der bereits etwa im Jahr 2001 bei dem damals noch lebenden Vater der Klägerin förmlich um die Hand der Klägerin angehalten habe. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin hat sie dies jedoch zunächst abgelehnt, weil sie ihre Scheidung aus dem Jahre 1998 noch nicht so weit verarbeitet hatte, dass sie sich auf eine neue Ehe einlassen konnte. Dass die Klägerin und ihr späterer Ehemann die Eheschließung bereits im Mai 2004 und damit vor der Diagnose der Krebserkrankung des Versicherten fest vereinbart hatten, konnte der Senat nicht feststellen. Die Angaben der Klägerin dazu in der mündlichen Verhandlung waren wenig konkret. Auf Nachfrage konnte sie nicht die Situation schildern, in der dieser Entschluss zustande gekommen ist und auch sonst keinerlei Einzelheiten zu einem entsprechenden Gespräch mit ihrem damaligen Lebenspartner angeben. Gegen die Angabe der Klägerin, dass der Entschluss zu heiraten bereits im Mai 2004 getroffen wurde, spricht auch die Angabe der Zeugin, dass die Klägerin Anfang Oktober 2004 eine telefonische Kurznachricht (SMS) ihres Lebenspartners mit der Bitte, ihn zu heiraten, erhalten habe, dass die Klägerin anlässlich dieser SMS noch einmal überlegt habe und dass die Zeugin ihr zugeraten habe, nun zu heiraten. Die Tatsache, dass die Klägerin Anfang Oktober 2004 noch unsicher war, ob sie den Versicherten heiraten solle und dass sie sich dazu erst entschlossen hat, nachdem ihr von der Tochter zugeraten wurde, spricht gegen einen festen Entschluss zur Eheschließung bereits im Mai 2004. Zudem hat die Zeugin glaubhaft erklärt, dass die Klägerin die Frage des Versicherten, ob sie ihn heiraten wolle auch schon lange vor Mai 2004 wiederholt mit „Ja“ beantwortet habe. Daraus sind aber offenbar keine unmittelbaren Konsequenzen gezogen worden. Dass auch im Mai 2004 noch kein Termin für eine Hochzeit vereinbart worden war und noch keinerlei Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen worden waren, hat auch die Klägerin eingeräumt. Unter diesen Umständen geht der Senat davon aus, dass es zu einem verbindlichen Entschluss der Klägerin, die Ehe mit dem Versicherten einzugehen, erst gegen Anfang des Monats Oktober 2004, etwa zwei Wochen vor der am 22. Oktober 2004 erfolgten Eheschließung, gekommen ist.

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Zu dem Zeitpunkt, als sich die Klägerin endgültig entschlossen hatte, den Versicherten zu heiraten, stand bereits fest, dass die Krebserkrankung das Leben des Versicherten in absehbarer Zeit beenden werde. Das ergibt sich aus dem Inhalt der vorliegenden medizinischen Befunde, die bereits durch Dr. C. in seiner prüfärztlichen Stellungnahme vom 2. September 2005 für die Beklagte nachvollziehbar ausgewertet worden sind, und wird durch die vom Senat eingeholten Berichte des behandelnden Hausarztes Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie den Bericht der Assistenzärzte H. und Bb., Medizinische Klinik I - Hämatologie/Onkologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 21. Juli 2008 bestätigt. Ferner steht nach dem Inhalt der Berichte des Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie dem Bericht der Ärzte des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 21. Juli 2008 fest, dass der Versicherte am 10. August 2004 durch seinen Hausarzt und auch wiederholt im Krankenhaus über seine Erkrankung aufgeklärt worden ist. Ihm ist mitgeteilt worden, dass er einen bösartigen Krebs habe, der auch bereits Metastasen gesetzt hatte und dass der Krebs sein Leben - keiner weiß wann - beenden werde. Bereits der behandelnde Hausarzt hat allerdings in seinen Schreiben vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 ausführlich geschildert, dass er Zweifel daran habe, ob der Versicherte in der Lage gewesen sei, dies mental zu erfassen. Er habe sich in diesem Zusammenhang sogar kollegial darüber ausgetauscht, ob es sich um das typische Krebsstadium der Verleugnung handele oder ob der Patient den Sachverhalt einfach mental nicht habe erfassen können.

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Für die Beurteilung der Motivation des Versicherten zur Eheschließung kann - anders als bezogen auf die Klägerin - die Frage, ob ihm die Lebensbedrohlichkeit seiner Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt war, offen bleiben. Aufgrund der insoweit in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und glaubhaften Darlegungen sowohl der Klägerin als auch der vernommenen Zeugin steht fest, dass er die Klägerin bereits seit langem vor dem Zustandekommen der Eheschließung und auch lange vor dem Auftreten der Krebserkrankung heiraten wollte. Daran hat er in der Folge festgehalten und dies durch immer neue Anfragen an die Klägerin, ob sie ihn nicht heiraten wolle, dokumentiert. Unter diesen Umständen ist der Senat davon überzeugt, dass die Versorgungsabsicht jedenfalls bei dem verstorbenen Versicherten nachweislich nicht als überwiegendes Motiv für die Eheschließung angesehen werden kann.

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Unter Zugrundelegung jedenfalls der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 1966 - II C 32.64, BVerwGE 25, 221) ist die Vermutung der Versorgungsehe bereits widerlegt, wenn nachweislich für einen der Ehegatten die Absicht, dem Hinterbliebenen eine Versorgung zu verschaffen, nicht maßgebend war. Ob daran festzuhalten ist, kann dahingestellt bleiben, weil auch bei einer Gesamtbetrachtung unter gleichgewichtiger Berücksichtigung der Motive beider Ehepartner (in diese Richtung: BSG, Urt. v. 28. März 1973, a.a.O.) zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Versorgung der Klägerin nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war. Dabei geht der Senat davon aus, dass es auch im Rahmen der hier gebotenen typisierenden Betrachtung und unter Berücksichtigung des Ziels, Ausforschungen im Bereich der privaten Lebenssphäre zu vermeiden, nicht allein darauf ankommen kann, ob die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung objektiv feststand, sondern auch darauf, ob dies dem Partner, dessen Motivation zur Eheschließung beurteilt wird, zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt war. Zwar ist der Auffassung des 8. Senats des Landessozialgerichts aus seiner Entscheidung vom 21. März 2007 (a.a.O.) zuzustimmen, nach der es problematisch ist, auf die individuell sehr unterschiedliche und schwer belegbare Reaktion des Einzelnen zu der Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung abzustellen. Dies spräche dafür, in der bloßen Hoffnung oder Erwartung der Partner, eine unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankung zu überstehen, keinen besonderen Umstand des Einzelfalles im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI zu sehen. Davon zu unterscheiden ist jedoch der Fall, dass dem Partner die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und der in naher Zukunft bevorstehende Tod nicht bekannt ist. So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht nachvollziehbar dargelegt, dass sie vor der Eheschließung von keinem Arzt über die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und den in naher Zukunft zu erwartenden Tod ihres Ehemannes informiert worden ist und dass sie vor der Eheschließung auch bei keinem aufklärenden Gespräch, das der Versicherte mit dem Hausarzt geführt hat, zugegen war. Ihr damaliger Lebenspartner habe ihr erklärt, dass nach der im Juli 2004 durchgeführten Operation alles in Ordnung sei und dass die nachfolgende Strahlentherapie gewährleisten solle, „dass nichts Neues kommt“. Zu Gesprächen mit dem Hausarzt habe er sie unter Hinweis auf dessen ärztliche Schweigepflicht nicht mitgenommen. Dass die Erkrankung ihres Ehemannes sein Leben in naher Zukunft beenden werde, hat der Hausarzt des Versicherten der Klägerin nach ihrer glaubhaften Schilderung erst am 25. Oktober 2004 und damit drei Tage nach der Eheschließung mitgeteilt, als sie diesen allein aufgesucht hat, um für den Versicherten ein Rezept abzuholen. Zwar wusste die Klägerin bereits seit Juli 2004 aufgrund eines Anrufs des Ehemannes aus dem Krankenhaus und damit etwa drei Monate vor der Eheschließung, dass bei ihrem Ehemann eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Die bloße Kenntnis dieser Diagnose nötigt jedoch auch bei objektiver Betrachtung nicht zu der Annahme, dass mit dem Ableben in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Von dem in naher Zukunft bevorstehenden Tod ihres Lebenspartners ist die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben auch zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ausgegangen. Wenn die Darstellung des Versicherten zu seiner Erkrankung, auf deren Richtigkeit die Klägerin vertraut hat, zutreffend gewesen wäre, hätten nach Auffassung des Senats auch objektiv keine konkreten Anhaltspunkte für den absehbar bevorstehenden Tod des Versicherten vorgelegen. Auf die Frage, ob die Klägerin nach der vorliegenden medizinischen Situation „sicher erwartet haben“ konnte, dass ihr Mann die Krebserkrankung um mehr als 1 Jahr überleben werde (vgl. dazu LSG Schlesw.-Holst., Urt. vom 7. Dezember 2006 - L 1 R 99/06), kommt es nach Auffassung des Senats unter diesen Umständen nicht an.

43

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Versorgungsabsicht für den Heiratsentschluss des Versicherten nicht von überwiegender Bedeutung war, weil er die Klägerin bereits seit vielen Jahren heiraten wollte und dass ein sehr viel frühere Zustandekommen der Ehe allein an dem Zögern der Klägerin scheiterte. Bezogen auf die Klägerin steht der Annahme, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat in der Begründung der Hinterbliebenenversorgung bestanden haben könnte, entgegen, dass ihr zum Zeitpunkt der Eheschließung die unmittelbare Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung ihres Ehemannes nicht bekannt war. Aufgrund dieser Umstände sieht der Senat die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SGB VI als widerlegt an.

44

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

45

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.


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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil, 19. Aug. 2008 - L 7 R 187/07 zitiert 14 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 46 Witwenrente und Witwerrente


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht

Zivilprozessordnung - ZPO | § 292 Gesetzliche Vermutungen


Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt we

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 65 Witwen- und Witwerrente


(1) Witwen oder Witwer von Versicherten erhalten eine Witwen- oder Witwerrente, solange sie nicht wieder geheiratet haben. Der Anspruch auf eine Rente nach Absatz 2 Nr. 2 besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Eheg

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 242a Witwenrente und Witwerrente


(1) Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn der Ehegatte vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist. Dies gilt auch, wenn mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist und

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Tenor Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Mai 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2004 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Witwenr

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Tenor Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kiel vom 3. März 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

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(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn der Ehegatte vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist. Dies gilt auch, wenn mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist und die Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

(2) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Witwen oder Witwer, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind oder
2.
am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind.

(3) Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Witwen oder Witwer, die nicht mindestens ein Jahr verheiratet waren, wenn die Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

(4) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht ab Vollendung des 45. Lebensjahres, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind und der Versicherte vor dem 1. Januar 2012 verstorben ist.

(5) Die Altersgrenze von 45 Jahren für die große Witwenrente oder große Witwerrente wird, wenn der Versicherte nach dem 31. Dezember 2011 verstorben ist, wie folgt angehoben:

Todesjahr
des Versicherten
Anhebung
um Monate
auf Alter
JahrMonat
20121451
20132452
20143453
20154454
20165455
20176456
20187457
20198458
20209459
2021104510
2022114511
202312460
202414462
202516464
202618466
202720468
2028224610
ab 202924470.

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn der Ehegatte vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist. Dies gilt auch, wenn mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren ist und die Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

(2) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Witwen oder Witwer, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind oder
2.
am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind.

(3) Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Witwen oder Witwer, die nicht mindestens ein Jahr verheiratet waren, wenn die Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

(4) Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht ab Vollendung des 45. Lebensjahres, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind und der Versicherte vor dem 1. Januar 2012 verstorben ist.

(5) Die Altersgrenze von 45 Jahren für die große Witwenrente oder große Witwerrente wird, wenn der Versicherte nach dem 31. Dezember 2011 verstorben ist, wie folgt angehoben:

Todesjahr
des Versicherten
Anhebung
um Monate
auf Alter
JahrMonat
20121451
20132452
20143453
20154454
20165455
20176456
20187457
20198458
20209459
2021104510
2022114511
202312460
202414462
202516464
202618466
202720468
2028224610
ab 202924470.

(1) Witwen oder Witwer von Versicherten erhalten eine Witwen- oder Witwerrente, solange sie nicht wieder geheiratet haben. Der Anspruch auf eine Rente nach Absatz 2 Nr. 2 besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist.

(2) Die Rente beträgt

1.
zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes bis zum Ablauf des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist,
2.
30 vom Hundert des Jahresarbeitsverdienstes nach Ablauf des dritten Kalendermonats,
3.
40 vom Hundert des Jahresarbeitsverdienstes nach Ablauf des dritten Kalendermonats,
a)
solange Witwen oder Witwer ein waisenrentenberechtigtes Kind erziehen oder für ein Kind sorgen, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung Anspruch auf Waisenrente hat oder nur deswegen nicht hat, weil das 27. Lebensjahr vollendet wurde,
b)
wenn Witwen oder Witwer das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
c)
solange Witwen oder Witwer erwerbsgemindert, berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne des Sechsten Buches sind; Entscheidungen des Trägers der Rentenversicherung über Erwerbsminderung, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sind für den Unfallversicherungsträger bindend.

(3) Einkommen (§§ 18a bis 18e des Vierten Buches) von Witwen oder Witwern, das mit einer Witwenrente oder Witwerrente nach Absatz 2 Nr. 2 und 3 zusammentrifft, wird hierauf angerechnet. Anrechenbar ist das Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt. Das nicht anrechenbare Einkommen erhöht sich um das 5,6fache des aktuellen Rentenwerts für jedes waisenrentenberechtigte Kind von Witwen oder Witwern. Von dem danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden 40 vom Hundert angerechnet.

(4) Für die Einkommensanrechnung ist bei Anspruch auf mehrere Renten folgende Rangfolge maßgebend:

1.
(weggefallen)
2.
Witwenrente oder Witwerrente,
3.
Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten.
Das auf eine Rente anrechenbare Einkommen mindert sich um den Betrag, der bereits zu einer Einkommensanrechnung auf eine vorrangige Rente geführt hat.

(5) Witwenrente oder Witwerrente wird auf Antrag auch an überlebende Ehegatten gezahlt, die wieder geheiratet haben, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist und sie im Zeitpunkt der Wiederheirat Anspruch auf eine solche Rente hatten. Auf eine solche Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten werden für denselben Zeitraum bestehende Ansprüche auf Witwenrente oder Witwerrente, auf Versorgung, auf Unterhalt oder auf sonstige Rente nach dem letzten Ehegatten angerechnet, es sei denn, daß die Ansprüche nicht zu verwirklichen sind; dabei werden die Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nicht berücksichtigt.

(6) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch, wenn die Ehe erst nach dem Versicherungsfall geschlossen worden ist und der Tod innerhalb des ersten Jahres dieser Ehe eingetreten ist, es sei denn, daß nach den besonderen Umständen des Einzelfalls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(7) (weggefallen)

Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt werden.

(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Mai 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2004 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Witwenrente nach seiner am 21. Oktober 2002 verstorbenen Ehefrau C. B. zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Witwerrente hat.

2

Der 1966 geborene Kläger heiratete am 10. Oktober 2002 die 1951 geborene Versicherte C. B... Er lebte mit der Versicherten zuvor bereits seit Juni 1998 zusammen. Im Jahr 2002 arbeitete der Kläger bei der Stadtreinigung in Ahrensburg als Kraftfahrer und bezog ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von etwa 1.200,00 EUR. Die Versicherte arbeitete als Verwaltungsangestellte beim Arbeitsamt und bezog ein monatliches Bruttoeinkommen von etwa 1.400,00 EUR.

3

Am 8. April 2002 erkrankte die Versicherte arbeitsunfähig an einem fortgeschrittenen Nierentumor links mit metastatischen Lymphknotenpaketen. Der Tumor wurde am 23. April 2002 operativ entfernt. Im Anschluss erfolgte eine Immuntherapie mit subkutanem Interleukin II, die Ende Juli 2002 abgebrochen werden musste, da diese von der Versicherten schlecht vertragen wurde und die Verdachtsdiagnose eines Lokalrezidivs mit Leberfilialisierung gestellt wurde. Ende September/Anfang Oktober 2002 wurde das metastasierende Nierenzellkarzinom mit Lokalrezidiv mit Chemotherapie behandelt. Am 21. Oktober 2002 verstarb die Versicherte. Auf ihren Antrag vom 10. Oktober 2002 bewilligte die Beklagte der Versicherten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Oktober 2002 in Höhe von 841,78 EUR monatlich. Einen Tag nach der Hochzeit, am 11. Oktober 2002, ließ die Versicherte eine Generalvollmacht einschließlich Patiententestament zu Gunsten des Klägers in der Asklepios Klinik Bad Oldesloe, wo sie sich zu dieser Zeit befand, beurkunden. Die Hochzeit des Klägers mit der verstorbenen Versicherten fand ebenfalls in der Asklepios Klinik statt.

4

Am 3. Dezember 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Witwerrente. Die Beklagte lehnte den Antrag nach Anhörung mit Bescheid vom 27. Februar 2004 ab, weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht durch besondere Umstände widerlegt worden sei. Hiergegen legte der Kläger am 16. März 2004 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er vortrug, dass er mit der verstorbenen Versicherten bereits seit Januar 1999 verlobt gewesen sei und dass sie im März 2002 beschlossen hätten zu heiraten. In der Hoffnung auf Behandlungserfolg und baldige Genesung seiner Frau hätten sie den Termin der Hochzeit auf einen Zeitpunkt nach der Behandlung verschoben. Leider habe sich der Gesundheitszustand seiner Frau verschlechtert. Um ihr Hoffnung und Genesung zu geben, hätten sie dann schließlich doch geheiratet.

5

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Anspruch auf Witwerrente ausgeschlossen sei, wenn das Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung sei. Dabei werde unterstellt, dass dieses regelmäßig der Fall sei, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung versterbe. Diese gesetzliche Vermutung könne widerlegt werden, wenn Umstände vorlägen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgung schließen ließen. Solche Umstände könnten z. B. vorliegen bei einem plötzlichen unvorhersehbaren Tod oder wenn die tödlichen Folgen einer Krankheit bei der Eheschließung nicht vorhersehbar gewesen seien. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor. Die Versicherte habe einen Tag nach der Hochzeit durch einen Notar ein Testament aufnehmen lassen, aus dem eindeutig erkennbar sei, dass der Kläger und seine verstorbene Ehefrau wussten, dass eine unheilbare Krankheit vorliege. Es müsse daher eine Versorgungsehe unterstellt werden.

6

Hiergegen hat der Kläger am 3. Juni 2004 Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben und sein bisheriges Vorbringen weiter präzisiert: Seine verstorbene Ehefrau hätte beabsichtigt, frühestmöglich in Rente zu gehen. Dann hätten sie zusammen nach Ägypten auswandern wollen. Sie hätten häufig in Ägypten Urlaub gemacht und er habe dort mehrere Tauchscheine erworben. Sie hätten sich dann in Ägypten mit einer Tauchschule selbstständig machen wollen. Dorthin wollten sie jedoch nur als Ehepaar auswandern, so dass eine Heirat fest geplant gewesen sei. Im Jahr 2002 seien sie Mitte März aus dem Urlaub wiedergekommen. Auf dem Rückflug hätten sie beschlossen zu heiraten, ohne schon einen konkreten Hochzeitstermin festgelegt zu haben. Etwa eine Woche nach dem Urlaub habe seine verstorbene Ehefrau über Nierenschmerzen geklagt. Dann sei der Nierentumor diagnostiziert worden. Er habe von der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung seiner Frau keine Kenntnis gehabt. Hiervon habe er erst nach der Hochzeit erfahren. Zu der Hochzeit im Krankenhaus sei es nur aus dem Grund gekommen, dass er hierdurch seiner Ehefrau habe helfen wollen, den Krebs zu besiegen.

7

Der Kläger hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2004 aufzuheben und ihm Witwerrente aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau C. B. zu gewähren.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

12

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben zu der Frage der Motivation der Versicherten und des Klägers für die Hochzeit durch Vernehmung der Zeuginnen I. S. und I. K. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2006. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

13

Mit Urteil vom selben Tage hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Geschehensablauf die Vermutung zulasse, dass durch die Eheschließung vorrangig beabsichtigt gewesen sei, dem Kläger - auch - eine Witwerrente zu sichern. Der Nachweis, dass unter den Heiratsmotiven die Versorgungsabsicht keine maßgebende Bedeutung gehabt hätte, sei dem Kläger nicht gelungen. Ob dem Kläger die Lebensbedrohlichkeit der Krankheit seiner verstorbenen Ehefrau bekannt gewesen sei, hätte nicht geklärt werden können. Fest stehe jedenfalls nicht, dass der Kläger hierüber sicher keine Kenntnis gehabt hätte. Eine konkrete Heiratsabsicht vor Bekanntwerden der lebensbedrohenden Erkrankung der Versicherten sei nach dem Vortrag des Klägers nicht zu erkennen. Für die Absicht des Klägers, seiner Ehefrau durch die Hochzeit Hoffnung und Genesung zu geben, liege nur seine eigene Erklärung vor. Die gehörten Zeuginnen hätten diesen Vortrag des Klägers nicht bestätigt. Beide hätten hierzu keine Einzelheiten ausgesagt. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute seien nicht geeignet, die gesetzliche Versorgungsvermutung zu widerlegen. Zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten seien die Einkommensverhältnisse der Eheleute in etwa ausgeglichen gewesen. Alleine hieraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass kein Motiv für eine Versorgungsehe vorliege.

14

Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. Juli 2006 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die am 24. August 2006 bei dem Sozialgericht Lübeck eingegangen ist. Zur Begründung führt der Kläger aus, dass das Sozialgericht rechtsirrig die Auffassung vertreten habe, die Vermutung der Versorgungsehe könne nur durch besondere, objektiv feststellbare Umstände des jeweiligen Falls ausgeräumt werden. Es hätte daher nicht die vom Kläger geschilderten Beweggründe für die Eheschließung außer Acht lassen dürfen. Dementsprechend hätte sich das Sozialgericht mit der Glaubhaftigkeit dieser Schilderungen auseinandersetzen müssen. Insbesondere habe er der verstorbenen Versicherten Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft und die Kraft geben wollen, den Krebs zu besiegen. Dies werde durch Zeugenaussagen bestätigt.

15

Der Kläger beantragt,

16

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Mai 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau C. B. eine Witwenrente zu gewähren.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die Beweiswürdigung des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Dem Kläger sei der Beweis des Gegenteils der Rechtsvermutung des § 46 Abs. 2a Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) nicht gelungen.

20

Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Einzelrichters anstelle des gesamten Senats gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger angehört wurde.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung ist zulässig; sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

23

Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist dem Kläger eine Witwerrente zu gewähren.

24

Gemäß § 46 Abs. 1 SGB VI haben Witwer, die nicht wieder geheiratet haben und nicht die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI erfüllen, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf kleine Witwerrente. Der Kläger ist der Witwer der am 21. Oktober 2002 verstorbenen Versicherten. Dass diese die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ist nicht streitig. Der Kläger hat auch nicht wieder geheiratet. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 SGB VI sind somit erfüllt. Die Voraussetzungen für die große Witwerrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI erfüllt der Kläger unstreitig nicht.

25

Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt wurde, besteht der Anspruch jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

26

Diese Norm enthält mithin für alle seit ihrem Inkrafttreten geschlossenen Ehen die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod der Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Versicherten und dem Kläger hat weniger als ein Jahr gedauert (vom 10. Oktober 2002 bis zum 21. Oktober 2002). Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein.

27

Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar („es sei denn“). Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, SozR 3-3900, § 15 Nr. 3 m.w.N.).

28

Das Urteil des Sozialgerichts hätte mithin nur bestätigt werden können, wenn in diesem Sinne die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt ist.

29

Entgegen der Beurteilung der Beklagten und des Sozialgerichts ist der Senat hier jedoch davon überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des Falls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die vom Kläger glaubhaft geltend gemachten Gründe für die Heirat und die nicht auf eine Versorgungsabsicht hindeutenden objektiven Begleitumstände stehen zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser nicht überwiegt und schon gar nicht der alleinige Zweck der Heirat war. Die Heirat stellt sich vielmehr als die Fortsetzung einer langjährigen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aufgrund einer Liebesbeziehung dar, in der beide Eheleute durch annähernd gleiches Einkommen finanziell abgesichert waren. Sie sollte in einer einschneidenden Lebenssituation neuen Mut machen. Dies stand im Vordergrund und nicht der Missbrauch der Ehe in Versorgungsabsicht.

30

Im Einzelnen war dabei für den Senat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens Folgendes für die gewonnene Überzeugung leitend (§ 128 SGG):

31

„Besondere Umstände des Falls“ im Sinne von § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle Umstände, die einen Schluss auf den Zweck der Heirat zulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen (vgl. BSGE 35, 272 [274 f]). Die besondere Schwierigkeit besteht dabei darin, den materiellen Grund des Überwiegens der Versorgungsabsicht mit immateriellen Gründen zu vergleichen und abzuwägen, weil es insoweit an einem einheitlichen Maßstab fehlt. Dabei genügt der Nachweis, dass unter den Beweggründen jedenfalls nur eines der Eheschließenden der Zweck, dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen, keine maßgebende Bedeutung hatte (BVerwGE 25, 221). Das bereitet die zusätzliche Schwierigkeit, auch die Beweggründe der Verstorbenen festzustellen.

32

Zu würdigen ist zunächst das langjährige Zusammenleben des Klägers und der Versicherten in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung. Dieser Umstand kann je nach deren Dauer und Ausgestaltung nach den Umständen des Einzelfalls den gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestand erfüllen (BSG, Beschluss vom 2. Februar 2001, B 2 U 379/00 B); weitere Aspekte des Falls müssen im Lichte der langjährigen Lebensgemeinschaft vor der Ehe gewürdigt werden (Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 2003, L 8 U 65/02). Nicht in allen Fällen, in denen Versicherte bei der Heirat schwer krank sind, wird alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat der Versorgungszweck sein. Im Vordergrund kann z. B. die Absicht stehen, eine schon länger bestehende Gemeinschaft zu legitimieren oder der Wunsch, dem Partner in seiner Krankheit zur Seite zu stehen (so ausdrücklich Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.). Danach stellt das über vierjährige Zusammenleben des Klägers und der Versicherten - für sich allein - keinen widerlegenden Umstand dar. Es kann jedoch auch nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. In Abgrenzung zur „klassischen“ Versorgungsehe nach nur kurzer Bekanntschaft, in der die Ehe zu Versorgungszwecken missbraucht wird, ist hier festzustellen, dass der Kläger und die Versicherte geplant hatten, die bestehende Gemeinschaft in die Ehe münden zu lassen. Sie hatten diese nicht ausgeschlossen, weil sie der nichtehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich den Vorzug gegeben haben, sondern sie sind übereinstimmend davon ausgegangen, jedenfalls das Rentenalter gemeinsam als Ehepaar in Ägypten zu verbringen. Einen konkreten Termin für die Hochzeit in naher Zukunft hatten sie allerdings vor Bekanntwerden der Erkrankung der Versicherten nicht festgelegt, so dass die allgemeinen Heiratsabsichten bei Bestehen der Liebesbeziehung alleine nicht ausreichen, die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI zu widerlegen (so auch LSG Berlin, Urteil vom 8. April 1999, 3 L U 99/97). Glaubhaft ist jedoch, dass die Eheschließung ohnehin beabsichtigt war. Sowohl die wirtschaftliche Situation der Versicherten und des Klägers als auch deren gemeinsame Lebensplanung bis zum Rentenalter sprechen gegen die Eingehung der Ehe nur oder überwiegend zum Zwecke der Begründung eines Anspruchs des Klägers auf Hinterbliebenenversorgung. Die plötzliche Erkrankung der Versicherten hat lediglich den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst; dies jedoch nicht überwiegend aus Gründen der Versorgung. Die Heirat erfolgte hier in Kenntnis der lebensbedrohenden Erkrankung der Versicherten. Dies ergibt sich schon daraus, dass es sich um eine so genannte Nottrauung im Krankenhaus handelte, die üblicherweise nur bei einer lebensbedrohenden Erkrankung durchgeführt wird. Trotz dieser Kenntnis ist nicht in jedem Fall eine Versorgungsehe gegeben (so auch oben genanntes Senatsurteil vom 10. Dezember 2003). Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist zum einen objektiv nicht gleichbedeutend damit, dass der Tod tatsächlich in naher Zukunft eintreten wird. Zum anderen hat auch die subjektive Vorstellung der Versicherten und des Klägers über die Lebenserwartung Bedeutung. Diese hatten die Hoffnung nicht aufgegeben. Die Eheschließung sollte der Versicherten vielmehr neuen Lebensmut vermitteln. Der Kläger wollte auch öffentlich deutlich machen, dass er gerade in dieser Situation zu seiner 15 Jahre älteren Lebensgefährtin steht. Dies ist ein plausibles Motiv für die plötzliche Hochzeit. So hat die Zeugin K., eine langjährige Freundin der Versicherten, vor dem Sozialgericht ausgesagt, dass die Versicherte sie angerufen habe mit dem Satz: „In zwei Tagen heirate ich meinen U..“ Darüber sei die Versicherte sehr glücklich gewesen. Die Zeugin und die Versicherte hätten dann beide am Telefon geweint. Dieses Telefonat bringt Freude und Hoffnung von Seiten der Versicherten zum Ausdruck. Es steht im krassen Widerspruch zu einem Versorgungsmotiv.

33

Daraus, dass die Versicherte einen Tag nach der Hochzeit durch einen Notar eine Generalvollmacht einschließlich Patiententestament und ein Testament aufnehmen ließ, lässt sich nicht ableiten, dass die Versicherte unmittelbar mit ihrem Tod rechnete. Sie hätte auch ohne Eheschließung gleichlautende Verfügungen treffen können. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass die Ehe geschlossen wurde, um Erbschaftssteuer zu sparen. Aber selbst wenn dies so wäre, wäre dies zwar ein materieller, jedoch ein von der Versorgungsabsicht verschiedener Beweggrund.

34

Letztlich war auch der Umstand zu würdigen, dass der Kläger auch ohne die Eheschließung abgesichert ist und über eine ausreichende eigene Versorgung verfügt. Denn die Versorgungsvermutung tritt im Vergleich zu anderen Motiven umso mehr in den Vordergrund, je bedeutsamer materielle Vorteile durch die Hinterbliebenenrente sind. Die Versorgungsvermutung ist nicht erst dann widerlegt, wenn sich die finanzielle Situation des Witwers verschlechtert (anderer Ansicht: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. November 1999, L 5 U 112/98). Hier hat der Kläger wegen der Antragstellung erst 14 Monate nach dem Tod der Versicherten zunächst nur Anspruch auf kleine Witwerrente für zehn Monate unter Anrechnung des eigenen Einkommens gemäß § 97 SGB VI. Der Umstand, dass der Kläger durch die späte Antragstellung über die Hälfte seines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente „verschenkt“ hat, spricht ebenfalls dafür, dass der überwiegende Zweck der Heirat nicht die Hinterbliebenenversorgung war.

35

Ob ein weitergehender Anspruch auf große Witwerrente nach Vollendung des 45. Lebensjahres besteht, ist nicht absehbar. Dies hängt von Umständen wie z. B der Höhe des eigenen Einkommens, Wiederheirat usw. ab. In Anbetracht dessen stehen die oben genannten vom Kläger glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragenen Gründe für die Heirat zumindest gleichwertig neben dem Versorgungsgedanken, so dass dieser jedenfalls nicht überwiegt.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.

37

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision durch den Senat nach § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für den zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere darüber, ob dieser Anspruch dadurch ausgeschlossen ist, weil ihm eine Ehe zugrunde liegt, die weniger als ein Jahr vor dem Tode des Ehemanns geschlossen worden ist .

2

Die am … 1936 geborene Klägerin ist die Witwe des am … 1936 geborenen und am … 2002 verstorbenen D. K.. (im Folgenden als der Versicherte bezeichnet), der von der Beklagten seit dem 1. Dezember 1996 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bezog in Höhe von zuletzt 1.535,18 Euro monatlich.

3

Die Klägerin lebte mit dem Versicherten bereits seit dem 31. Mai 1985 in dessen Wohnung zusammen und war mit ihm nach ihren Angaben seit dem 31. Mai 1987 verlobt gewesen.

4

Am 16. Mai 2002 wurde der Versicherte mit Verdacht auf einen cerebralen Prozess stationär im Klinikum N./O. aufgenommen. Die am selben Tag durchgeführte Computertomografie des Kopfes zeigte mehrere Hirnfiliae (Hirnmetastasen) beidseits. Röntgen-Thorax-Aufnahmen vom 16., 22. sowie 23. Mai 2002 zeigten einen großen Lungentumor, rechts, zusätzlich bestand eine Lungenentzündung, rechts. Die am 23. Mai 2002 durchgeführte Bronchoskopie ergab eine Lungeneinengung im 1. Segment rechts. Zur weiteren Untersuchung wurde der Versicherte am 28. Mai 2002 in das Forschungszentrum B. verlegt. Dort wurde ein fortgeschrittenes großzelliges Lungenkarzinom mit Einwachsen des Tumors in die Brustwand gesichert. Am 05. Juni 2002 wurde der Versicherte in das Klinikum N./O. rückverlegt, wo er am 11. Juni 2002 nach einem generalisierten cerebralen Krampfanfall an den Folgen des fortgeschrittenen Tumorleidens verstarb.

5

Während des Aufenthaltes des Versicherten im Forschungszentrum B., nämlich am 31. Mai 2002, heirateten die Klägerin und der Versicherte standesamtlich. Die Trauung wurde von der Standesbeamtin D. vom Standesamt I. im Krankenhaus vorgenommen. Am 29. Mai 2002 hatte der Versicherte die Klägerin auf dem dafür vorgesehenen Formular zur Anmeldung der Eheschließung bevollmächtigt. Die Bescheinigung der Anmeldung der Eheschließung seitens der für den Wohnort der Klägerin und des Versicherten zuständigen Standesbeamtin W. des Standesamtes N. datiert vom 30. Mai 2002, gleichzeitig erteilte die Standesbeamtin W. dem Standesamt I. eine standesamtliche Ermächtigung zur Vornahme der Eheschließung. Am 30. Mai 2002 gab der behandelnde Arzt im Forschungszentrum B. eine "Erklärung eines Arztes aus Anlass einer Eheschließung bei lebensgefährlicher Erkrankung eines Verlobten" gegenüber dem Standesamt I. auf dessen Veranlassung ab.

6

Unter dem 18. Juni 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Witwenrente. Unter Hinweis darauf, dass die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe und unter Erläuterung der Vorschrift des § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bat die Beklagte die Klägerin um Mitteilung etwaiger Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen könnten. Hierzu teilte die Klägerin mit, sie habe bereits seit dem 31.05.1985 mit dem Versicherten in dessen Wohnung im R. 14 in N. gelebt, ihre Wohnung in der B. Straße 21 in N. aber nicht aufgegeben und auch keine Wohnsitz-Ummeldung vorgenommen, da ihr Sohn diese Wohnung bewohnt habe. Es sei vorgesehen gewesen, den gemeinsamen Lebensabend ab 2001 in der Wohnung B. Straße zu verbringen. Daher hätten sie bereits zum 31. Mai 2001 eine Heirat geplant, die durch höhere Gewalt auf präzises eine Jahr habe verschoben werden müssen. Ein Jahr später, am 31. Mai 2002, hätten sie nun endlich in Verbindung mit Urlaub im Umkreis Ba. heiraten wollen. Es sei jedoch dann ganz anders gekommen, da ihr Ehemann am 16. Mai 2002 plötzlich ohne vorhersehbare Anzeichen schweißgebadet zusammengebrochen und in das Klinikum N./O. notfallmäßig eingeliefert worden sei. Dort sei eine verschleppte Lungenentzündung diagnostiziert worden. Eine lebensbedrohende Erkrankung sei zu keinem Zeitpunkt diagnostiziert worden. Der geplante Heiratstermin, der 31. Mai 2002, sei immer näher gerückt und ihr Mann sei gesundheitlich noch nicht wieder so hergestellt gewesen, dass an eine Entlassung zu denken gewesen sei. Da der Ehetermin für sie beide sehr wichtig gewesen sei, auch wegen der geplanten gemeinsamen Wohnung in der B. Straße, hätten sie beschlossen im Klinikum N. standesamtlich zu heiraten. Da ihr Mann dann am 28. Mai 2002 zwecks einer Lungenspezialuntersuchung in das Forschungszentrum B. verlegt worden sei, hätten sie zwangsläufig in dieser Klinik standesamtlich heiraten müssen. Zu dem Grund der Verlegung in das Forschungszentrum B. habe ihr Mann ihr mitgeteilt, dass auf dem Röntgenbild bei einem Lungenflügel ein Schatten zu sehen sei. Nach Rückverlegung ins Klinikum N. sei ihr Mann dann unerwartet am 11. Juni 2002 an einer Embolie verstorben.

7

Mit Bescheid vom 5. November 2002 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf große Witwenrente gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI ab. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI bestehe kein Anspruch auf eine Witwenrente, wenn der Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung versterbe. Die Eheschließung sei am 31. Mai 2002 erfolgt, der Versicherte sei am 11. Juni 2002 verstorben, sodass die geforderte Ehedauer von mindestens einem Jahr nicht vorliege. Gemäß § 46 Abs. 2 a, 2. Teilsatz SGB VI seien die besonderen Umstände zu prüfen, wobei der Zweck der Heirat als Hinterbliebenenversorgung auszuschließen sei. Die von der Klägerin geschilderten Umstände ließen einen Ausschluss nicht eindeutig zu.

8

Hiergegen legte die Klägerin am 4. Dezember 2002 Widerspruch ein, mit dem sie geltend machte, nach Rückverlegung in das Klinikum N. am 5. Juni 2002 sei davon ausgegangen worden, dass die Lungenentzündung innerhalb der nächsten zwei Wochen auskuriert sei. Der Tod sei völlig unerwartet und plötzlich durch eine Lungenembolie hervorgerufen worden; dies sei weder von ihr noch dem Versicherten oder den behandelnden Ärzten vorhersehbar gewesen. Die Tatsache, dass am 31. Mai 2002 im Forschungszentrum B. geheiratet worden sei, beruhe einzig und allein auf persönlichen Gründen, dieses Datum habe für beide eine hohe emotionale und symbolische Bedeutung gehabt. Die Absicht, bereits ein Jahr zuvor, nämlich am 31. Mai 2001 zu heiraten, könne durch Vorlage der Eheringe mit entsprechender Gravur belegt werden. Da die Hochzeit im Jahre 2001 habe verschoben werden müssen, habe man sich entschlossen und gegenseitig versprochen, genau ein Jahr später am 31. Mai 2002 zu heiraten. Gerade deshalb hätten sie und ihr Ehemann dann auch den Umständen zum Trotz am 31. Mai 2002 im Krankenhaus geheiratet. Die Heirat sei also längst geplant gewesen, wie zum Beispiel auch die Hochzeitsreise nach Ba.. Eine Versorgungsabsicht habe weder für den Versicherten noch für sie - die Klägerin - eine Rolle gespielt. Hätte der Versicherte sein kurz bevorstehendes Ableben geahnt, wäre er mit Rücksicht auf seine Ehefrau die Ehe nicht eingegangen.

9

Die Beklagte holte Auskünfte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 30.August.2003, des Klinikum N./O. vom 03. und 24. September 2003 mit dem Krankenhausentlassungsbericht vom 28. Mai 2002 sowie eine Auskunft des Forschungszentrum B. vom 15. September 2003 ein und übersandte der Klägerin Kopien.

10

Hierzu führte die Klägerin dann aus, aus den ärztlichen Unterlagen ergebe sich, dass sowohl sie als auch der Versicherte weder vorher noch am Hochzeitstag Kenntnis von dem tatsächlichen Gesundheitszustand des Versicherten hätten haben können, da die Diagnose noch nicht zweifelsfrei festgestanden habe. Aus ihren Aufzeichnungen ergebe sich, dass sie die organisatorischen Heiratsaktivitäten am 27. Mai 2002 begonnen habe mit Beantragung einer Bescheinigung der Anmeldung der Eheschließung beim Standesamt N.. Zu diesem Zeitpunkt habe keinesfalls eine infauste Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Versicherten bestanden. Zu dem Grund, warum die Eheschließung ein Jahr zuvor hätte verschoben werden müssen, teilte die Klägerin mit, dass der Versicherte am 10. Mai 2001 einen Unfall erlitten habe und sein Gesundheitszustand bis zum 31. Mai 2001 noch nicht so weit wiederhergestellt gewesen sei, dass die geplante Heirat am 31. Mai 2001 hätte stattfinden können. Der Versicherte habe sich vom 11. Mai 2001 bis zum 18. Mai 2001 in stationärer Behandlung befunden. Weiter bekräftigte die Klägerin noch einmal, dass sie vom tatsächlichen Gesundheitszustand ihres Ehemannes keine Kenntnis gehabt habe. Dass er unheilbar an Krebs erkrankt sei, habe sie erst jetzt durch die übersandten medizinischen Unterlagen erfahren. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei widerlegt.

11

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Versicherte sei mit Verdacht auf einen cerebralen Prozess in das Klinikum N. eingeliefert worden. Er habe unter neurologischen Ausfällen gelitten. Zum Zeitpunkt, als der Versicherte die Bevollmächtigung zur Eheschließung unterschrieben habe, seien ihm zumindest verdächtige Befunde bekannt gewesen. Nicht entscheidend sei, ob auch die Klägerin von den verdächtigen Befunden Kenntnis gehabt habe. Die Eheschließung sei nach den äußeren Umständen nicht über einen längeren Zeitraum konkret auf den 31. Mai 2002 vorbereitet, sondern erst mit der am 29. Mai 2002 unterschriebenen Bevollmächtigung am 30. Mai 2002 angemeldet worden. Schließlich spreche auch die langjährige gemeinsame Haushaltsführung ohne Heirat für die gesetzliche Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe. Dem Vorbringen, dass die infauste Prognose zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht bekannt gewesen sei und dass der Hochzeitstermin schon längere Zeit festgestanden habe, könne daher nicht gefolgt werden. Zusammenfassend seien besondere Umstände, die trotz der kurzen Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen ließen, nicht gegeben. Die gesetzliche Vermutung werde durch das Vorbringen der Klägerin nicht widerlegt.

12

Daraufhin hat die Klägerin am 30. Dezember 2003 Klage bei dem Sozialgericht Lübeck erhoben, zu deren Begründung sie ausführt hat, was die geplante Trauung auf H. am 31. Mai 2001 betreffe, so sei eine längerfristige Anmeldung dazu nicht erforderlich gewesen. Sie und der Versicherte hätten sich jedoch die erforderlichen aktuellen Aufenthaltsbescheinigungen ausstellen lassen, die dann aber im Jahre 2002 einbehalten worden seien, als anlässlich der Heirat im Jahre 2002 neue Aufenthaltsbescheinigungen hätten ausgestellt werden müssen. Auch ihr - der Klägerin - Sohn, L. G.., bestätige in der beigefügten eidesstattlichen Versicherung, dass er gewusst habe, dass sie - die Klägerin - und der Versicherte bereits am 31. Mai 2001 zu heiraten beabsichtigt hätten. Während der geplanten Flitterwochen auf H. habe der Sohn die zukünftige Wohnung in der B. Straße renovieren sollen. Die Heirat im Jahre 2001 sei dann nicht zustande gekommen, weil sich der Versicherte nach dem Unfall nur noch unter Zuhilfenahme von Krücken habe fortbewegen können. Die vorliegenden medizinischen Unterlagen widerlegten eindeutig die Vermutung einer Versorgungsehe. Die Diagnose Krebs habe zum Zeitpunkt der Anmeldung der Eheschließung bzw. der Eheschließung selbst noch nicht festgestanden. Sie habe, wie sich aus dem beigefügten Einzelverbindungsnachweis der Telekom ergebe, bereits am 17. Mai 2002 mit dem Standesamt N. Verbindung aufgenommen, um die Heiratsmodalitäten für die Eheschließung am 31. Mai 2002 zu klären. Die von dem Versicherten unterschriebene Bevollmächtigung für die Anmeldung der Eheschließung habe dieser bereits am 28. Mai 2002 unterschrieben und nur vordatiert auf den 29. Mai 2002. Das Forschungszentrum B. habe in der Antwort auf die Anfrage der Beklagten mitgeteilt, dass der histologische Befundbericht nach durchgeführter Biopsie auf den 31. Mai 2002 datiere, da die Anmeldung der Eheschließung am 30. Mai 2002 erfolgt sei. Es sei unstreitig die Krebsdiagnose zu diesem Zeitpunkt niemandem bekannt gewesen. Im Übrigen habe das Forschungszentrum B. auch mitgeteilt, dass nicht feststehe, ob der histologische Befundbericht bereits am 31. Mai 2002 in die Klinik überbracht worden sei. Außerdem hätten noch weitere immunhistochemische Untersuchungen zur endgültigen pathologisch-anatomischen Einschätzung ausgestanden. Wenn überhaupt - so die Ärzte - sei die Diagnose nur ansatzweise mitgeteilt worden. Noch am Montag, den 03.Juni 2002, sei der Versicherte im Krankenhaus von einem Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft aufgesucht worden, um zu klären, ob es sich bei der Erkrankung des Versicherten um eine Berufskrankheit handeln könnte. Es sei hier nur von einer Auffälligkeit in Bezug auf bronchiale Infekte die Rede gewesen. Auch an diesem Tag hätten weder sie noch der Versicherte von seiner schweren Erkrankung gewusst. Der plötzliche Tod des Versicherten sei weder für sie noch für ihn zum Zeitpunkt der Eheschließung vorhersehbar gewesen. Fehl gehe der Hinweis der Beklagten, dass es nicht entscheidend sei, ob die Klägerin Kenntnis von verdächtigen Befunden gehabt habe. Hinsichtlich der Motive, die zur Eheschließung führten, komme es generell auf beide Ehegatten an. Motivation für die Eheschließung sei für beide Partner der Wunsch gewesen, den Lebensabend als Ehepaar zu verbringen.

13

Die Klägerin hat beantragt,

14

den Bescheid vom 05. November 2002 und den Widerspruchsbescheid vom 28. November 2003 aufzuheben und ihr große Witwenrente ab dem 01. Juli 2002 zu gewähren.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Sie hat vorgetragen, es könne nicht überzeugend dargelegt werden, dass sich die Hochzeit am 31. Mai 2002 als konsequente Verwirklichung eines schon vor dem Auftreten der lebensbedrohlichen Erkrankung bestehenden Heiratsentschlusses erwiesen habe. Die telefonischen Anfragen der Klägerin beim Standesamt, ob am 31. Mai "noch eine Eheschließung vorgenommen werden" könne, deuteten keineswegs auf eine längerfristige Planung hin. Sie seien lediglich 14 bzw. 7 Tage vor dem Termin erfolgt, der nach der Darstellung der Klägerin für beide Ehepartner von besonderer Bedeutung gewesen sein solle, darüber hinaus einen Tag nach der Einlieferung des Versicherten in das Klinikum N.. Bei Einlieferung in das Krankenhaus habe bereits eine ernsthafte Erkrankung zugrunde gelegen. Diese sei auch der Klägerin bekannt gewesen. Die Aufnahmediagnose des Versicherten habe ersichtlich keinen Anlass geben können, in Ruhe und unbeschwert die nach eigenen Angaben der Klägerin seit längerer Zeit geplante Hochzeit in den verbleibenden zwei Wochen vorzubereiten. Auch die weitere Entwicklung der Krankenbehandlung mit der Verlegung in das Forschungszentrum B. werde, abgesehen von den zusätzlichen Umständen durch die mittlerweile zweite Änderung der Standesamtszuständigkeit, nichts zur Beruhigung beigetragen haben. Wenn es der Klägerin, wie sie vortrage, aus persönlichen Gründen auf das konkrete Hochzeitsdatum angekommen sein sollte, werde nicht so recht erklärlich, wieso die notwendige Aufenthaltsbescheinigung erst einen Tag vorher beschafft worden sei. Ungewöhnlich erscheine weiterhin, dass die formalen Vorbereitungen für die Hochzeit einerseits nahe zu unmittelbar nach der Notfall-Einweisung in das Krankenhaus begonnen hätten, aber andererseits für eine langfristig geplante und auf ein bestimmtes Datum festgelegte Hochzeit unverständlich spät erfolgt seien.

18

Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Klinikum N. vom 11. November 2005 eingeholt sowie den Krankenhausentlassungsbericht des Klinikum N. vom 15. Juli 2002 betreffend den Aufenthalt des Versicherten nach Rückverlegung am 05. Juni 2002 bis zu seinem Tod beigezogen. Sie hat außerdem eine Auskunft des Standesamtes I. (Standesbeamtin D.) vom 30. November 2005, nebst Anlagen, sowie Auskünfte des Standesamtes N. (Standesbeamtin W.) vom 20. und 29. Dezember 2005 eingeholt, von letzterer auch eine ergänzende telefonische Auskunft vom 22. Dezember 2005.

19

Die Klägerin hat nach Übersendung dieser Unterlagen weiter vorgetragen, die Ausführungen des Standesamtes I. seien nicht zutreffend. Sie selbst habe weder gegenüber dem Standesamt N. noch gegenüber dem Standesamt I. jemals eine Nottrauung beantragt. Sie sei überhaupt nicht von einer Nottrauung wegen lebensgefährlicher Erkrankung ausgegangen. Dergleichen sei auch nicht an sie herangetragen worden. Ebenfalls nicht zutreffend seien die Ausführungen des Standesamtes N., das nur aus wichtigem Grund - lebensgefährliche Erkrankungen - Ehen an anderen Orten geschlossen werden könnten. Im Übrigen bleibe sie dabei, dass sie seinerzeit die Auskunft erhalten habe, dass es einer speziellen Anmeldung einer Hochzeit nicht bedurft hätte, weder in N. noch auf H..

20

Mit Urteil vom 26. Januar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In dessen Entscheidungsgründen ist ausgeführt:

21

„Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 87 Abs. 1, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden und als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft.

22

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 05.November 2002 und der Widerspruchsbescheid vom 28.November 2003 sind rechtmäßig. Die Beklagte hat die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des D. K.. zu Recht abgelehnt, weil die Ehe mit der Klägerin nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt worden ist.

23

Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine oder große Witwenrente nach Maßgabe des § 46 Abs. 1 und 2 SGB Vl. Der Rentenanspruch ist nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

24

Für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt nach § 46 Abs. 2a SGB VI in Verbindung mit § 242a Abs. 3 SGB VI mithin die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die gesetzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Da das Motiv der Eheschließenden, mit der Heirat der Witwe eine Versorgung zu verschaffen, in der Praxis nur schwer nachzuweisen ist, hat der Gesetzgeber davon abgesehen, dieses Motiv zur Eheschließung allgemein zum Tatbestandsmerkmal für den Ausschluss des Anspruchs zu erheben. Er ist vielmehr von der Überlegung ausgegangen, dass nach der Lebenserfahrung eine mit einem Versicherten kurz vor dem Tod geschlossene Ehe, die nicht länger als ein Jahr dauert, meist aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wird. Deshalb entfällt grundsätzlich der Anspruch, wenn nicht zu Gunsten der Hinterbliebenen diese ~ Vermutung entkräftet wird. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind alle Umstände des Einzelfalles anzusehen, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen. Dabei sind vor allem solche Umstände von Bedeutung, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund schließen lassen. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwenrentenanspruch geltend macht, mithin trägt die Witwe die objektive Beweislast (Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd. 1, § 46 SGB VI RdNr. 46 ff., Schleswig - Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.11.1999 zum Az.: L 5 U 112/98, BSGE 35, 272 ff., SG Dortmund, Urteil vom 12.10.2005 zum Az.: S 34 RJ 219/04).

25

Diese Regelung verstößt auch nicht gegen den in Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Schutz der Ehe (BSG, Beschluss vom 23.09.1997 zum Az.: 2 BU 176/97 zur Parallelvorschrift in der gesetzlichen Unfallversicherung).

26

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat nur wenige Tage und damit deutlich weniger als ein Jahr gedauert. Die deshalb zur Anwendung kommende gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist nicht durch besondere Umstände des Einzelfalles widerlegt worden. Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, dass es auf die Motive beider Ehegatten ankommt (Kasseler Kommentar, a. a. 0., RdNr. 46 c).

27

Das von der Klägerin hervorgehobene langjährige Zusammenleben mit dem Versicherten (seit Mitte 1985) ist nach Auffassung der Kammer kein die gesetzliche Vermutung widerlegender Umstand. Während vereinzelt ein jahrelanges Zusammenleben in eheähnlicher Gemeinschaft als Widerlegungsumstand angesehen wird (z.B. SG Würzburg, Urteil vom 15.09.2004 zum Az.: S 8 RJ 697/02) ist die Kammer der Auffassung, dass ein langjähriges eheähnliches Zusammenleben vielmehr die Rechtsvermutung unterstreicht, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck ist, der späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen (so auch LSG Niedersachsen, HV-Info 24/1997, LSG Nordrhein-Westfalen, HV-Info 16/2001, 1454). Denn einem langjährigen Zusammenleben "ohne Trauschein" liegt vielmehr die langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten. Letzteres gilt umso mehr, wenn nach jahrelangem Zusammenleben "ohne Trauschein" kurz nach dem Bekanntwerden einer zum Tode führenden Erkrankung eines Partners geheiratet wird (LSG Schleswig-Holstein, a. a. 0.). Dies gilt zur Überzeugung der Kammer auch, wenn die Ehe nach dem Bekanntwerden eines dringenden Verdachts auf eine lebensbedrohliche Erkrankung geschlossen wird. So liegt es hier.

28

Zwischen der Einlieferung des Versicherten in das Klinikum N. am 16. Mai 2002 und dem Beginn der Aktivitäten der Klägerin betreffend die standesamtliche Trauung besteht ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Einzelverbindungsnachweis der Telekom ist es möglich, dass der erste Kontakt zum gemäß § 6 Abs. 2 Personenstandsgesetz (PSTG) zuständigen Standesamt N. am 17. Mai 2002 stattfand, was allerdings nicht belegt ist, da die letzten drei Ziffern der Zielrufnummer stets unkenntlich gemacht sind. Am 24. Mai 2002 hingegen ist ein Anruf der Klägerin bei der Stadt N. ausreichend belegt, da laut Einzelverbindungsnachweis lediglich die dreistellige Durchwahl des Mitarbeiters unkenntlich gemacht ist. Im Ergebnis ist es jedoch nicht relevant, ob der erstmalige telefonische Kontakt der Klägerin zum Standesamt N. bereits am 17. Mai 2002 oder erst am 24. Mai 2002 stattfand, da beides für einen spontanen Entschluss zur Heirat spricht. Diese Überzeugung der Kammer beruht auf folgenden Umständen:

29

Bereits am Tag der Einlieferung des Versicherten in das Klinikum N., mithin am 16. Mai 2002, wurden mittels Computertomografie des Kopfes mehrere Hirnmetastasen beidseits festgestellt, was den Rückschluss auf einen metastasierenden Primärtumor im Körper des Versicherten zulässt. Die am selben Tag erfolgte Röntgen-Thorax-Aufnahme zeigte bereits einen großen pulmonalen Tumor rechts apikal, so dass der dringende Verdacht des Vorhandenseins des Primärtumors in Bereich der Lunge bereits am 16. Mai 2002 bestand. Dementsprechend lautet auch die erste Diagnose des Krankenhausentlassungsberichtes des Klinikum N. vom 28. Mai 2002 betreffend den ersten dortigen Aufenthalt des Klägers "Lungentumor rechts unklarer Histologie". Die genaue histologische Abklärung, vor allen Dingen, ob es sich um ein großzelliges oder kleinzelliges Karzinom handelt, sollte dann im Forschungszentrum B. nach Verlegung geklärt werden. Insofern bestand bereits am 17. Mai 2002 der dringende Verdacht auf eine lebensbedrohliche Erkrankung mit kurzfristig infauster Prognose.

30

Die Kammer muss nach den ihr vorliegenden Erkenntnissen auch davon ausgehen, dass sowohl die Klägerin als auch der Versicherte davon gewusst haben. So sprach die Klägerin selbst im Verwaltungsverfahren von der Kenntnis von "Schatten auf der Lunge". Auch das Klinikum N. bestätigte im Schreiben vom 24.09.2003 an die Beklagte, dass der Versicherte von verdächtigen Befunden wusste, seinerzeit aber noch die definitive histologische Diagnose ausstand. Auch wenn die Diagnose Krebs nach diesem Schreiben erst nach Vorliegen einer Histologie mitgeteilt wird, wurde der Versicherte jedenfalls über den schweren Verdacht ganz offensichtlich informiert. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung (nicht zu Protokoll, aber nach den Aufzeichnungen der Vorsitzenden) bestätigt, dass der Versicherte vom ersten Tag des Krankenhausaufenthaltes an bewusstseinsklar und ansprechbar war. Sie selbst hat ihn nach eigenen Angaben zu sämtlichen Untersuchungen im Krankenhaus begleitet.

31

Die Ausführungen der Klägerin, sie habe sogar bis zum Tod des Versicherten nichts von der Krebserkrankung bzw. dem dringenden Verdacht gewusst, sondern sie sei stets von einer harmlosen Lungenentzündung und einem völlig überraschenden Tod durch Lungenembolie ausgegangen, sind nicht glaubhaft. Denn nach den von der Kammer eingeholten Auskünften beider beteiligter Standesbeamtinnen (Standesbeamtin D. vom Standesamt I. und Standesbeamtin W. vom Standesamt N.) handelte es sich um eine so genannte Nottrauung wegen lebensgefährlicher Erkrankung des Versicherten, die keinen Aufschub duldete. Nach den dortigen Auskünften, die in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Personenstandsgesetzes und der Dienstanweisung der Standesbeamten stehen, ist die Eheschließung grundsätzlich in den dafür gewidmeten Räumen des Standesamtes vorzunehmen. Nur in Ausnahmefällen kann auch eine Haustrauung oder eine Trauung in einem Krankenhaus vorgenommen werden. Eine Heirat im Krankenhaus wird so kurzfristig nur aus einem sehr wichtigen Grund wie üblicherweise wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung vorgenommen. Ideelle bzw. persönliche Gründe, wie die besondere Bedeutung eines bestimmten Datums- so wie die Klägerin dies für das Datum 31.05. vorträgt- reichen nicht aus, um eine Trauung im Krankenhaus vorzunehmen. Dass es sich vorliegend um eine so genannte Nottrauung gehandelt hat, ergibt sich auch daraus, dass sich die Standesbeamtin D. veranlasst sah, eine, „Erklärung eines Arztes aus Anlass einer Eheschließung bei lebensgefährlicher Erkrankung eines Verlobten" einzuholen.

32

Der wichtige Grund, die Ehe an einem anderen Ort - wie hier im Krankenhaus - zu schließen, ist bei der Anmeldung der Eheschließung glaubhaft zu machen, bevor ein Standesbeamter eine Terminabsprache für eine entsprechende Trauung außerhalb der Räume des Standesamtes vornimmt. Dementsprechend muss die Klägerin bei der Anmeldung der Eheschließung bzw. bereits bei den vorangegangenen Telefonaten gegenüber der Standesbeamtin W. Angaben zum Gesundheitszustand des Versicherten gemacht haben, die -entsprechend den vorliegenden Auskünften- beide Standesbeamtinnen veranlassten, sehr kurzfristig alles erforderliche zu unternehmen, um die Nottrauung im Krankenhaus B. zu realisieren. Im Falle einer harmlosen, jedenfalls nicht lebensbedrohlichen Erkrankung wären die Eheleute auf eine Verschiebung der Trauung verwiesen worden, da eine Anmeldung zur Eheschließung schließlich sechs Monate gültig ist.

33

Der Vortrag der Klägerin, sie sei überhaupt nicht von einer Nottrauung wegen lebensgefährlicher Erkrankung ausgegangen, überzeugt nach den vorstehenden Ausführungen nicht. Denn es ist realitätsfern, dass dies alles regelrecht an der Klägerin "vorübergegangen" sein soll. Wenn danach die Klägerin zumindest von dem dringenden Verdacht auf eine lebensbedrohliche Erkrankung gewusst hat, so ist nicht vorstellbar, dass der Versicherte selbst nicht davon wusste.

34

Zwar kann der Nachweis einer festen, konkreten Heiratsabsicht vor Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung bzw. des diesbezüglichen Verdachtes den Schluss zulassen, dass ein von der Versorgungsabsicht verschiedenes Motiv - nämlich die schon lange geplante Heirat endlich zu verwirklichen - ein die gesetzliche Vermutung widerlegender Umstand sein. Ein solcher Umstand ist jedoch für die Kammer nicht mit der für den Vollbeweis erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Für die von der Klägerin behauptete geplante Trauung bereits ein Jahr zuvor, nämlich am 31. Mai 2001 auf H., sprechen zwar die nach Angaben der Klägerin in die 1987 gekauften Verlobungsringe im Jahre 2001 eingebrachte Gravur (ein entsprechender Beleg des Juweliers konnte nicht vorgelegt werden) und auch die Angaben des Sohnes der Klägerin in der eidesstattlichen Versicherung. Allerdings ist es erstaunlich, dass bis zum Unfall des Versicherten am 10. Mai 2001 noch keine Anmeldung zur Eheschließung beim zuständigen Standesamt N., das dann eine Ermächtigung an das Standesamt H. hätte erteilen müssen, erfolgt war, wie sich aus der Auskunft der Standesbeamtin W. ergibt.

35

Letztlich kann es jedoch dahinstehen, wie konkret bereits eine Hochzeit am 31. Mai 2001 geplant war, denn es lässt sich nicht ausreichend feststellen, dass die Heiratsabsicht fortbestand. Die Klägerin hat vorgetragen, dass, nachdem die Hochzeit am 31. Mai 2001 wegen des Unfalls des Versicherten nicht stattfinden konnte, diese exakt um ein Jahr, mithin auf den 31. Mai 2002 verschoben werden sollte. Wenn dieser Termin aber schon über ein Jahr festgestanden haben soll und dieses Datum für die Klägerin und den Versicherten aus persönlichen Gründen so wichtig war -wie die Klägerin mehrfach betont hat-, so ist es nicht nachvollziehbar, dass bis zum 17. Mai 2002 bzw. 24. Mai 2002 noch keinerlei Aktivitäten betreffend die standesamtliche Trauung seitens der Klägerin und des Versicherten stattfanden. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass vorliegend nichts auf eine längerfristige Planung eines schon lange bestehenden Heiratsentschlusses hinweist und dass die formalen Vorbereitungen für eine langfristig geplante und auf ein ganz bestimmtes Datum festgelegte Hochzeit unverständlich spät erfolgten. Wie die Standesbeamtin W. telefonisch bestätigte, handelt es sich bei dem Monat Mai um einen sehr beliebten Heiratsmonat, was insbesondere für einen Freitag im Mai gilt - wie den 31. Mai 2002. Um an einem solchen Tag überhaupt einen Termin zu bekommen, ist eine frühzeitige Anmeldung erforderlich und üblich. Hierzu hat die Klägerin vorgetragen, dass sie bei früheren Anfragen beim Standesamt N. die Auskunft erhalten habe, dass es einer vorherigen Anmeldung einer Trauung nicht bedürfe und dass man an jedem beliebigen Ort ohne vorherige Anmeldung heiraten könne, so dass sie und der Versicherte auch am 31. Mai 2002 auf H. (nicht in Ba., wie sie in der mündlichen Verhandlung klar stellte) einfach so beim dortigen Standesamt zwecks Trauung vorsprechen wollten. In Anbetracht der eindeutigen dem entgegenstehenden Vorschriften des Personenstandsgesetzes betreffend die einzuhaltenden Formalitäten und auch der entsprechenden Auskunft der Standesbeamtin W., schließt die Kammer jedoch aus, dass diese derartige Auskünfte an die Klägerin gegeben hat. Einen derartig unbedarften Eindruck hat die Klägerin auf die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung im Übrigen auch nicht gemacht.

36

Insgesamt ergibt sich für die Kammer kein erkennbarer Anschein von Hochzeits- bzw. auch Hochzeitsreisevorbereitungen für die angeblich schon über ein Jahr feststehende Trauung am 31. Mai 2002. Ein Quartier auf H. war nach Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auch nicht gebucht.

37

Weiter hatte die Klägerin vorgetragen, dass für sie und den Versicherten eine unmittelbare Verknüpfung zwischen der Hochzeit und dem Auszug aus der Wohnung des Versicherten in die Wohnung der Klägerin in der B. Straße bestand. Hintergrund sei gewesen, dass der Versicherte betreffend das Mietverhältnis nur als gleichberechtigter Ehegatte in die Wohnung der Klägerin einziehen wollte. Der Umzug in die B. Straße sei also nach der gescheiterten Hochzeit im Jahre 2001 bereits konkret geplant gewesen im Zusammenhang mit der auf den 31. Mai 2002 verschobenen Hochzeit. Dann aber ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin die Wohnung des Versicherten im R. erst am 28.Juni 2002 gekündigt hat und noch bis Oktober 2002 Miete zahlen musste. Auch dies spricht mithin nicht für einen schon langfristig geplanten feststehenden Hochzeitstermin am 31. Mai 2002.

38

Sofern die Klägerin schließlich vorträgt, dass sie eine eigene Rente beziehe und auf die Witwenrente nicht angewiesen sei, so ist dies kein Umstand, der die Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen vermag. So wird zwar vereinzelt die Auffassung vertreten, dass eine ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen grundsätzlich geeignet sei, die Rechtsvermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen (SG Würzburg, a. a. 0.), dem kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen. Die gesetzliche Vermutung gilt vielmehr nicht nur in Fällen, in denen eine geringe oder sogar möglicherweise fehlende eigene Versorgung der Witwe vorliegt, sondern auch dann, wenn die Hinterbliebenenversorgung die eigene Versorgung aufbessert, sich mithin die wirtschaftliche Situation der Witwe verbessern würde. Nach dem oben genannten Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts spricht sogar die wirtschaftliche Situation der Witwe nur dann gegen die gesetzliche Vermutung, wenn sie sich durch die Heirat verschlechtert hätte. Die Klägerin bezieht eine Altersrente in Höhe von 780,00 Euro netto. In Anbetracht der Höhe der Altersrente des Versicherten, die zuletzt 1.535,18 Euro monatlich betrug, würde sich die wirtschaftliche Situation der Klägerin durch die begehrte Witwenrente erheblich verbessern. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, sie sei durch die Heirat eher finanziell belastet worden, da sie vorübergehend zwei Mieten habe zahlen müssen und auch Renovierungsarbeiten in der Wohnung des Versicherten habe durchführen müssen, so handelt es sich hierbei nur um vorübergehende Belastungen, die mit Blick auf die auf Dauer begehrte Witwenrente nicht ins Gewicht fallen.

39

Nach allem erschließt sich für die Kammer insgesamt nicht, auf Grund welcher besonderen Umstände die Eheschließung kurz vor dem Ableben des Versicherten einen anderen Zweck gehabt haben könnte, als die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung für die Klägerin. Die Klägerin vermochte die gesetzliche Vermutung nicht zur Überzeugung der Kammer zu widerlegen. Dementsprechend war die Klage abzuweisen.

40

Die Kostenentscheidung folgt dem Ergebnis in der Hauptsache und beruht auf den §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.“

41

Gegen dieses der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 15. März 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. April 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Klägerin. Zu deren Begründung wird weiterhin im Wesentlichen geltend gemacht, die infauste Prognose der Erkrankung des Versicherten sei diesem und der Klägerin bei der Eheschließung nicht bewusst gewesen und es seien schon längere Zeit vorher Heiratspläne gehegt worden, die sich aus diversen Gründen zerschlagen hätten. Nicht finanzielle Interessen, sondern der Wunsch des Ehepaars, den Lebensabend auch unter dem Aspekt des bindenden Versprechens, sich zur Seite zu stehen zu verbringen, sei das maßgebliche Motiv der Eheschließung gewesen.

42

Die Klägerin beantragt,

43

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Januar 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 05. November 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2003 aufzuheben und ihr eine große Witwenrente ab dem 01.Juli 2002 zu gewähren.

44

Die Beklagte beantragt,

45

die Berufung zurückzuweisen.

46

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und überzeugend begründet.

47

In der Berufungsverhandlung haben neben den Gerichtsakten die von der Beklagten eingereichten Verwaltungsakten vorgelegen. Auf diese Akten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

48

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

49

Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass einem Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente der Ausschlusstatbestand des § 46 Abs. 2 a SGB VI entgegensteht.

50

Nach dieser Vorschrift haben Witwen oder Witwer welche die (übrigen) Voraussetzungen eines Anspruchs auf Witwen- oder Witwerente nach § 46 Abs. 1 oder 2 SGB VI erfüllen, gleichwohl dann keinen Anspruch auf eine solche Rente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

51

Diese Regelung ist durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (AVmEG) vom 21. März 2001 (BGBl. I, S. 403) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt worden. Mit ihr hat der Gesetzgeber unter Anknüpfung an vergleichbare Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung, des sozialen Entschädigungsrechts und der Beamtenversorgung eine gesetzliche Vermutung in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung aufgenommen, mit der unterstellt wird, dass beim Tode des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung Ziel der Eheschließung war. Eine generelle Regelung des Inhalts, dass Ehen keine Witwen- oder Witwenrentenansprüche begründen, wenn sie mit diesem Ziel geschlossen werden, sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Der Ausschlusstatbestand bezieht sich allein auf die Ehedauer und knüpft daran die widerlegliche Vermutung an und bestimmt zugleich, wodurch sie widerlegt werden kann. Daraus folgt, dass die besonderen Umstände des Falles, welche eine nicht mindestens ein Jahr andauernde Ehe gleichwohl geeignet erscheinen lassen einen Witwen- oder Witwerrentenanspruch zu begründen, darin bestehen, dass vorgebracht und bewiesen werden muss, in dem Beweismaßstab des sog. Vollbeweises, dass nach den besondere Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. D.h.: im gerichtlichen Verfahren muss sich das Gericht die volle Überzeugung davon verschaffen, dass zumindest neben dem Zweck der Sicherung oder Verbesserung der Versorgungssituation des überlebenden Ehepartners durch Erlangung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs nach dem Tode des anderen gleichgewichtig andere Motive für die Eheschließung maßgeblich waren, und zwar auch zu dem Zeitpunkt, zu welchem diese erfolgte. Die volle Überzeugung bedeutet nicht absolute Gewissheit, sondern lediglich eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Orientiert an der Lebenswirklichkeit müssen sich objektiv begründbare Zweifel als recht entfernt ausräumen lassen. Dies ist praktisch immer der Fall, wenn die oder der Versicherte innerhalb des ersten Ehejahres an einem Unfall stirbt oder er z.B. bei unbekannter Herzerkrankung in einem Lebensalter, in welchem der Tod im allgemeinen noch nicht einzutreten pflegt, einem Herzinfarkt erliegt.

52

Lebensbedrohliche andere Erkrankungen, insbesondere an Krebs, der oder des Versicherten lassen, wenn sie zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt waren, es auf der anderen Seite als schon von vornherein objektiv problematisch erscheinen, derartige besonderen Umstände festzustellen. Namentlich, wenn eine langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaft zuvor bestanden hat, aber die Partner keine Veranlassung gesehen hatten, diese Form des Zusammenlebens zu ändern und die Ehe einzugehen, drängt sich die Annahme auf, dass nunmehr die wirtschaftliche Sicherung des Überlebenden für den Fall dessen, dass der Versicherte der Krankheit erliegt, der bestimmende Beweggrund für die Heirat ist. Es spricht insbesondere viel dafür, gerade wenn zwischen den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine Liebesbeziehung und eine langjährig sich bewährt habende Verbundenheit besteht, dass insbesondere der Partner, der an einer solchen Erkrankung leidet, sich Gedanken über die Sicherung des andern Partners macht, und ihm deshalb daran liegt, durch eine Eheschließung letzterem eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. Auch ist das Interesse des anderen Partners an seiner Versorgung in einem solchen Fall sicherlich nicht moralisch bedenklich. Er muss sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, vom Tode des Erkrankten profitieren zu wollen. Gleichwohl greift der Ausschlusstatbestand des § 46 Abs. 2 a SGB VI ein. Das Gesetz sieht nicht vor, dass er nicht gilt, wenn der Eheschließung eine langjährige Lebensgemeinschaft vorangegangen ist. Als „besonderer Umstand“ kann eine solche, für sich genommen, insbesondere deshalb nicht gelten, weil gerade aus ihr sich der Zweck der Sicherung der Hinterbliebenenversorgung ergeben kann. Gerade bei einer langjährigen vorangegangenen Lebensgemeinschaft und der Heirat nach Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung des einen Partners drängt sich als naheliegendes Motiv eben die Sicherung der Hinterbliebenenversorgung des überlebenden Partners auf. Dies gilt namentlich unter Berücksichtigung dessen, dass seit geraumer Zeit das Zusammenleben einer Frau und eines Mannes in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu den üblichen Gestaltungsformen von Paarbeziehungen zählt und gesellschaftlich akzeptiert ist. Zudem ist es auch durchaus nicht ungewöhnlich, dass nach langjährigem nichtehelichen Zusammenleben in fortgeschrittenem Alter Ehen geschlossen werden, insbesondere um die Hinterbliebenenversorgung zu sichern, gerade auch dann, wenn keine konkrete Gefahr des Todes eines Partners absehbar ist. Dies lässt Bedenken daran aufkommen, ob es erforderlich war, die Regelung des § 46 Abs. 2 a in das SGB VI aufzunehmen (vgl. z.B. Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, § 46 Rdn. 42). Sie ist aber geltendes Recht.

53

Nicht erheblich ist nach § 46 Abs. 2 a SGB VI, ob die Partner bei der Eheschließung damit rechneten, dass der unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidende Partner das erste Jahr nach der Heirat überleben werde. Das ist nicht Inhalt der Regelung. Die individuelle Reaktion auf die Kenntnis von einer eigenen lebensbedrohlichen Erkrankung bzw. einer solchen des Partners ist unter Menschen völlig unterschiedlich, die einen geben die Hoffnung auf ein Überleben der Erkrankung früh auf, die anderen hoffen auch gegen ärztliche Prognosen darauf, dass sich selbst eine metastasierende Krebserkrankung noch zumindest für einige Jahre überleben lässt. Sich über die Hinterbliebenenversorgung des überlebenden Partners einer langjährigen Lebensgemeinschaft Gedanken zu machen und sich deshalb zu einer Ehe zu entschließen, wenn der eine Partner unter einer lebensbedrohlichen Krankheit leidet, hängt nicht davon ab, wie der Erkrankte oder der Partner die Überlebenswahrscheinlichkeit beurteilt. Die Hoffnung oder Erwartung, eine lebensbedrohliche Erkrankung zu überstehen, ist kein besonderer Umstand des Falles i.S. des § 46 Abs. 2 SGB VI, ebenso wenig wie das Bestehen einer langjährigen Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung, denn beidem lässt sich eben nicht für sich genommen entnehmen, dass die Ehe nicht gerade deshalb geschlossen worden ist, um einen Anspruch des überlebenden Ehegatten auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

54

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat kein Jahr gedauert. Der Senat vermag nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - ebenso wie zuvor das Sozialgericht - nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass nach den besonderen Umstände des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass zumindest der überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

55

Ebenso wie das Sozialgerichts ist der Senat nach den Umständen, unter denen die Heirat am 31. Mai 2002 erfolgte, zu der Feststellung gelangt, dass es sich bei ihr um eine Nottrauung handelte, die zu diesem Zeitpunkt erfolgte, weil der Versicherte an einer lebensbedrohlichen Krankheit erkrankt war. Dies wird durch die durch das Sozialgericht von den Standesbeamten in N. und in I. eingeholten Auskünfte und die im Widerspruchsverfahren sowie im Verfahren vor dem Sozialgericht eingeholten ärztlichen Berichte in einer Weise belegt, dass vernünftige Zweifel daran ausscheiden. Der Senat nimmt insofern im Wesentlichen auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Bezug, die er sich im Sinne des § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu eigen macht. Ergänzend ist dazu nur auszuführen, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung gerade Voraussetzung dieser Form der Eheschließung im Krankenhaus ist und bereits nach der am 16. Mai 2002 erfolgten Computertomographie des Kopfes und den am selben Tage erfolgten Röntgenaufnahmen des Brustkorbs mehr als deutliche Hinweise auf eine sehr ernste, weit fortgeschrittene, Krebserkrankung gegeben waren. Wenn dann, unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin, am 24. Mai 2002 Kontaktaufnahmen mit dem Standesamt N., dem Standesamt Hamburg-N. und dann, nachgewiesen, am 30. und 31. Mai mit den Standesämtern N. und I. stattfanden, ergibt das nur einen Sinn als Vorbereitung und Durchführung einer solchen Nottrauung im Krankenhaus. Für eine solche ist eben das Vorbringen einer lebensbedrohlichen Erkrankung Voraussetzung.

56

Das auf den Kalendertag 31. Mai als Hochzeitstag bezogene Vorbringen der Klägerin, exakt dieses Datum jedes Jahres sei für sie und ihren Ehemann, den verstorbenen Versicherten, von vornherein so wichtig gewesen, dass sie deshalb eine für den 31. Mai 2001 geplante, aber wegen eines Unfalls des Versicherten am 10. Mai 2001, der eine vorübergehende Gehbehinderung zur Folge gehabt hätten, aufgeschobene Heirat, auf diesen Kalendertag des folgenden Jahres verschoben hätten und somit für diesen Tag des Jahres 2002 bereits vor der Manifestation der Erkrankung des Versicherten eine feste Heiratsabsicht bestanden habe, erscheint mehr als konstruiert. Objektiv nachweisbar spricht dafür, dass die Heirat gerade am Freitag, dem 31. Mai 2002 stattfand, dass, wie die N.er Standesbeamtin W. dargelegt hat, es seitens der Standesämter meistens Bestrebungen gibt „Nottrauungen“ noch vor einem Wochenende durchzuführen. Die Anmeldung zur Eheschließung erfolgte durch die Klägerin am 30. Mai 2002 unter Vorlage bzw. Ausstellung der erforderlichen Aufenthaltsbescheinigungen vom 30. Mai 2002 und der Vollmacht des Versicherten zur Anmeldung der Eheschließung vom 29. Mai 2002 bei dem Standesamt N. für die Eheschließung durch die I.er Standesbeamtin. Diese hat sich dann der erforderlichen Bescheinigung des behandelnden Arztes im Forschungszentrum B. versichert, um die Trauung vornehmen zu können. Es spricht nach dem Geschehenshergang im Mai 2002 letztlich nichts dafür, dass vor Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten und nachweisbar mehr als 7 Tage vor der Heirat irgendwelche Heiratsvorbereitungen getroffen worden sind. Hinzu kommt, dass auch der nach Angaben der Klägerin bereits für den 31. Mai 2001 geplante Heiratstermin bei dem örtlich zuständigen Standesamt N. keine Spuren hinterlassen hat, ebenso wenig, wie bei dem Standesamt H., wo die Trauung seinerzeit nach Angaben der Klägerin hätte stattfinden sollen. Wenn ein besonderer Kalendertag eines jeden Jahres für die Eheschließung von einer solchen Bedeutung ist, dass man deshalb, weil man im vergangenen Jahr an diesem Kalendertag nicht heiraten konnte, die Heirat um ein volles Jahr verschiebt, versichert man sich rechtzeitig dieses Termins beim Standesamt. Das gilt insbesondere, wenn die Trauung zudem bei einem auswärtigen Standesamt stattfinden soll. Die Angaben der Klägerin zu einer im Mai 2002 fest geplanten Heirat sind damit auch zur Überzeugung des Senats wenig glaubhaft. Als ausgeschlossen sieht er es jedenfalls an, vernünftige Zweifel an einer vor Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten bestehenden festen Heiratsplanung der Klägerin und des Versicherten zurückzudrängen. Hinsichtlich der weiteren gegen eine vor der Krankenhauseinlieferung des Versicherten am 16. Mai 2002 bereits bestehende feste Heiratsabsicht sprechenden Umstände macht der Senat wiederum von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des mit der Berufung angefochtenen Urteils zu verweisen

57

Nicht nachvollziehbar ist im Übrigen das Vorbringen der Klägerin, bei ihr habe im Hinblick auf die Höhe ihrer eigenen Rente die Witwenrente, nach ihren Angaben 780,- €, kein wirtschaftliches Interesse an der Witwenrente bestanden; denn nach § 97 Abs. 2 SGB VI wäre nur ein sehr geringer Betrag in Höhe von etwa 40 € der eigenen Rente der Klägerin auf die Witwenrente in Höhe von 55 % der Rente des Versicherten anzurechnen gewesen.

58

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

59

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision durch den Senat nach § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 17. November 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die die Gewährung großer Witwenrente.

2

Die am ... 1943 geborene Klägerin ist die Ehefrau des am ... 1942 geborenen und am ... 2003 verstorbenen Versicherten C.-E. K..

3

Der Versicherte war als Fleischer versicherungspflichtig beschäftigt. Am 6. September 2002 wurde bei ihm ein Darmtumor festgestellt. Am 12. September 2002 wurde er mit der Diagnose „Sarkom am anorektalen Übergang“ in das M.-Krankenhaus S. zur weiteren Diagnose eingewiesen. Ausweislich des Entlassungsberichts erfolgte am 25. September 2002 ein erster Eingriff, in dessen Verlauf der Tumor aufgrund eines ausgeprägten Stuhlverhaltes nicht exidiert werden konnte. In einer weiteren operativen Behandlung am 9. Oktober 2002 wurde dann die transanale Discexcision vorgenommen. Aufgrund des lokal fortgeschrittenen Befundes ergab sich die Notwendigkeit einer abdomino-perinealen Rektumamputation. Vor diesem Eingriff wollte der Versicherte jedoch noch private Angelegenheiten regeln. Er wurde daraufhin am 23. Oktober 2002 aus dem M.-Krankenhaus S. entlassen.

4

Am 24. Oktober 2002 meldeten der Versicherte und die Klägerin die Eheschließung bei dem Standesamt Sa. an (sog. „Aufgebot“). Am 28. Oktober 2002 erfolgte die standesamtliche Trauung.

5

Am 4. November 2002 wurde der Versicherte erneut in das M.-Krankenhaus S. aufgenommen. Hier wurde am 5. November 2002 die abdomino-perineale Rektumexstirpation mit Anlage eines künstlichen Darmausgangs durchgeführt. Im Rahmen der pathologisch-anatomischen Begutachtung wurde ein wenig-differenziertes, herdförmig ulzeriertes Leiomyosarkom im Rektoanalbereich mit Tumorausläufern bis zum perirektalen Präparatrand sowie Sarkomansiedlungen in 23 der 26 perirektalen und mesokolischen Lymphknoten diagnostiziert.

6

Am 21. November 2002 wurde der Versicherte erneut aus dem M.-Krankenhaus entlassen. In der Zeit vom 4. bis zum 25. Dezember 2002 nahm er an einer von der Beklagten bewilligten Rehabilitationsmaßnahme teil. Vom 3. bis zum 10. Januar 2003 wurde er wegen Verdachts eines Lokalrezidivs erneut stationär im M.-Krankenhaus behandelt. Der Entlassungsbericht vom 10. Januar 2003 gibt eine umfangreiche Metastasierung an: Es seien ein Lokalrezidiv eines Leiomyosarkoms des Rektums mit Lebermetastasen und Lymphknotenmetastasen diagnostiziert worden. Ein kurativer Ansatz bestehe nicht mehr, der Versicherte sowie die Klägerin seien über die aussichtslose Prognose informiert. Am 12. Januar 2003 wurde der Versicherte abermals in das M.-Krankenhaus aufgenommen, wo er noch am selben Tag verstarb.

7

Am 21. Januar 2003 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Februar 2003 ab. Zur Begründung führte sie aus: Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der Fassung des Altersvermögensergänzungsgesetzes (AVmEG) vom 21. März 2001 hätten u. a. die Witwen nicht, deren Ehe mit dem Verstorbenen nicht mindestens 1 Jahr gedauert habe, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (§ 46 Abs. 2a SGB VI). Die Rechtsprechung zum Begriff „besondere Umstände“ im Unfallversicherungsrecht (§ 65 Abs. 6 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches) sowie im Gesetz der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz) sei im Wesentlichen auf § 46 Abs. 2a SGB VI übertragbar. Gegen eine Versorgungsehe spreche insbesondere ein plötzlicher, unvorhersehbarer Tod. Im Fall der schweren Erkrankung des Versicherten sei eine erste Diagnose mit nachfolgenden ersten Behandlungen bereits im September 2002 erfolgt. Es müsse demnach davon ausgegangen werden, dass die möglichen Folgen der Erkrankung zum Zeitpunkt der Heirat nicht unvorhersehbar gewesen seien.

8

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus: Sie habe den Versicherten nach der Scheidung ihrer ersten Ehe, aus der die Kinder Jutta (geb. 1969) und Bernd (geb. 1966) hervorgegangen seien, kennen gelernt. Die Kinder habe sie auf ihrer Steuerkarte gehabt und somit den Haushaltsfreibetrag nach dem Einkommenssteuergesetz erhalten. Der Kindesvater habe nur 150,- DM pro Kind an Unterhalt gezahlt, sich ansonsten aber nicht um die Kinder gekümmert. 1980 habe sie gemeinsam mit dem Versicherten eine Wohnung in der O.straße 46 in Sa. bezogen und seither mit ihm zusammen gelebt. Eine Heirat zu diesem Zeitpunkt sei aufgrund der mit dem Wegfall des Haushaltsfreibetrages zusammenhängenden finanziellen Nachteile nicht erfolgt. Sie selbst habe als Schlachtereifachverkäuferin damals etwa 500,- DM netto verdient. Mit dem Versicherten habe sie eheähnlich zusammen gewohnt und dergestalt gewirtschaftet, dass man von einem Familienbund sprechen könne. Im September 1991 seien sie gemeinsam in den L. Weg 31 in Sa. umgezogen, wo sie bis zum Ableben des Versicherten gemeinsam gewohnt hätten. Das Ableben des Versicherten sei für sie nicht vorhersehbar gewesen. Von Seiten der Ärzte im M.-Krankenhaus seien „gute Heilungsdiagnosen“ gestellt und ausgeführt worden, der Versicherte könne auch mit dem Seitenausgang alt werden. Im Übrigen habe er die Operation sehr gut „weggesteckt“. Die Heirat sei aus Liebe erfolgt. Vor der Heirat habe das Paar bereits 23 Jahre zusammengelebt und schon lange über eine Heirat gesprochen. Der „Ledigenbund“ habe verfestigt werden sollen. Auch sei zwar das Hausgrundstück L. Weg 31 in Sa. auf den alleinigen Namen ihres Ehemannes eingetragen gewesen, sie selbst habe jedoch erhebliche Geldbeträge in das Grundstück investiert, ohne dass es einer schriftlichen Absicherung bedurft hätte. Das Zusammenleben habe auf Vertrauensbasis stattgefunden.

9

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2003 als unbegründet zurück. Sie führte aus: Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten habe nicht mindestens ein Jahr gedauert. Der Versicherte sei nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen an seiner Darmkrebserkrankung verstorben. Die Eheleute K. hätten ausweislich eingeholter Meldebescheinigungen tatsächlich seit Oktober 1980 in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Die Ehe sei noch während der erst kurz zuvor aufgenommenen Erstbehandlung und vor einer bevorstehenden Operation eingegangen worden, obgleich eine langjährige eheähnliche Lebensgemeinschaft anzunehmen sei. Gerade dieser Umstand begründe den Schluss, dass die Ehe der Versorgung der Klägerin bei einem eventuellen Ableben des Versicherten habe dienen sollen. Es seien keine besonderen Gesichtspunkte ersichtlich, die die Annahme einer Versorgungsehe nicht gerechtfertigt erscheinen ließen.

10

Mit ihrer am 22. Mai 2003 gegen den Widerspruchsbescheid bei dem Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen: Sie bestreite mit Nachdruck, ihren Ehemann nur geheiratet zu haben, um an die Witwenrente zu kommen. Richtig sei vielmehr das Gegenteil. Der behandelnde Stationsarzt habe damals im Beisein ihrer Tochter erklärt, alles werde gut verlaufen und ihr Ehemann könne noch sehr lange leben. Dass dieser sterbenskrank gewesen sei, habe sie nicht gewusst. Auch aus den Umständen ergebe sich, dass sie aus Liebe geheiratet habe. Denn sie sei wirtschaftlich selbständig, habe selbst gearbeitet und immer ihren eigenen Lebensunterhalt verdient. Ihr Ehemann habe beim Hauskauf ohne ihr Wissen eine Lebensversicherung auf sie abgeschlossen. Das Haus sei im Februar 1996 auf sie überschrieben worden.

11

Die Klägerin hat beantragt,

12

den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr große Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis des am 12. Januar 2003 verstorbenen C.-E. K. zu gewähren.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide bezogen.

16

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Kopien der den Versicherten betreffenden Krankenakten des M.-Krankenhauses S., einen Befundbericht des Arztes für Innere Medizin H., eine Auskunft der Gemeinde Sa. nebst Anlagen sowie eine schriftliche Zeugenaussage des Oberarztes am M.-Krankenhaus Dr. Sb. beigezogen und in dem Erörterungstermin am 20. September 2005 den Oberarzt der allgemeinchirurgischen Abteilung am M.-Krankenhaus Dr. F. sowie in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2005 den Arzt am M.-Krankenhaus Dr. Sc. und die Kinder der Klägerin Jutta A. und Bernd B. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 20. September und 17. November 2005 Bezug genommen.

17

Mit Urteil vom 17. November 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin große Witwenrente aus dem Versicherungsverhältnis des verstorbenen C.-E. K. zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI hätten Witwen, die nicht wieder geheiratet hättet, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt habe, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet hätten. Dieser Anspruch scheitere bei der Klägerin auch nicht an § 46 Abs. 2a SGB VI. Denn die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten habe zwar nicht mindestens ein Jahr gedauert, vorliegend lägen jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a 2. Halbsatz SGB VI vor. Für die Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI reiche es zwar nicht aus, dass es sich bei der am 28. Oktober 2002 erfolgten Eheschließung um eine „Liebesheirat“ gehandelt habe. Denn auch bei einer solchen „Liebesheirat“ könnten dann, wenn ein langjähriges uneheliches Zusammenleben im Hinblick auf das in Kürze zu erwartende Ableben eines der Partner in ein eheliches Zusammenleben überführt werde, allein Versorgungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Andererseits müsse das langjährige Zusammenleben der Klägerin und des Versicherten vorliegend auch nicht unberücksichtigt bleiben. Insofern stelle sich die Heirat nach langjährigem eheähnlichem Zusammenleben als konsequente Fortführung der bereits gelebten Beziehung dar, was einer Versorgungsehe entgegenstehe. Jedoch seien in einem derartigen Fall die nach langer Zeit des Zusammenlebens zur Eheschließung zum konkreten Zeitpunkt führenden Umstände genau dahingehend zu beleuchten, ob es neben einem Versorgungsanspruch andere plausible Gründe für die Eheschließung gegeben habe. Dabei sprächen die ermittelten Umstände vorliegend dafür, dass die Eheschließung nicht allein und nicht überwiegend zum Zweck der Versorgung der Klägerin erfolgt sei. Die Klägerin sei auch für den Fall des Ablebens des Versicherten finanziell abgesichert gewesen. Zwischen ihr und dem Versicherten habe auch nicht lediglich eine Wohngemeinschaft, sondern eine Wirtschaftsgemeinschaft bestanden, zu deren Unterhalt beide Partner beigetragen hätten. Das Haus in Sa. hätten die Partner letztlich gemeinsam erworben. Auch sei eine Eheschließung nicht an grundsätzlichen Erwägungen der Klägerin oder des Versicherten gescheitert. Vielmehr hätten zunächst finanzielle Gesichtspunkte gegen eine Eheschließung gesprochen, eine spätere Heirat sei immer vorgesehen gewesen. Zuletzt sei geplant gewesen zu heiraten, wenn beide Partner im Rentenalter seien. Demnach sprächen sowohl die wirtschaftliche Situation der Klägerin wie auch die gemeinsame Lebensplanung gegen die Eheschließung nur oder überwiegend zu dem Zweck der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der Klägerin. Dem stehe auch nicht die im September 2002 diagnostizierte Krebserkrankung des Versicherten entgegen. Zwar habe die Krankheit den Zeitpunkt der Eheschließung beeinflusst. Jedoch habe die Vorverlegung der ohnehin beabsichtigten Eheschließung gleichwohl nicht im Zusammenhang mit der Begründung eines Versorgungsanspruchs gestanden. Denn weder die Klägerin noch der Versicherte hätten zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem Eintritt des Versorgungsfalls in naher Zukunft gerechnet oder rechnen müssen. Für eine derartige Annahme reiche nicht aus, dass die Klägerin und der Versicherte bereits am 28. Oktober 2002 von der bösartigen Darmerkrankung des Versicherten gewusst hätten, da nicht jede bösartige Erkrankung innerhalb kurzer Zeit oder überhaupt zum Tod führe. Allein das Bestehen einer solchen Krankheit stehe der Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entgegen, was auch aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung über die Widerlegung der Vermutung mit der Grundregelung in § 46 Abs. 2a 1. Halbsatz SGB VI abzuleiten sei. Daraus folge, dass die subjektive Vorstellung der Ehegatten über die verbleibende Lebensdauer für die Beurteilung des der Eheschließung zugrunde liegenden Zwecks zentrale Bedeutung habe. Sei nämlich ein kurzfristiges Ableben des Versicherten nicht zu erwarten, so sei von vornherein nicht ersichtlich, warum es der alleinige oder überwiegende Zweck einer Heirat gewesen sein solle, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Dies sei erst bei derart schlechter Prognose nahe liegend, dass mit einem baldigen Ableben zu rechnen sei. Nur so lasse sich das für die Regelung zentrale Kriterium der absehbar begrenzten Lebensdauer, aus dem sich die Vermutung einer Versorgungsehe ableite, sinnvoll handhaben. Andernfalls müsse jede auf lange Sicht lebensbedrohende Erkrankung der Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI entgegenstehen, was dem systematischen Zusammenhang der Regelung in Halbsatz 2 der Vorschrift und dem Gesetzeszweck nicht entspreche. Für die Widerlegung der Vermutung bedeute dies, dass eine Krankheit des Versicherten nur dann zu berücksichtigende besondere Umstände, wie das langjährige Zusammenleben in einer eheähnlichen Gemeinschaft und bestehende Heiratspläne entkräften könne, wenn in der subjektiven Vorstellung der Eheschließenden das Ableben des Versicherten binnen eines Jahres zu erwarten gewesen sei. Gerade dies sei aber zum Zeitpunkt der Eheschließung am 28. Oktober 2002 nicht der Fall gewesen. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei eine kurzfristige negative Prognose seitens der behandelnden Ärzte weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber dem Versicherten gestellt worden. Dies sei auch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht möglich gewesen. Erst nach der im November 2002 durchgeführten Operation habe sie gestellt werden können. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die Eheschließung am 28. Oktober 2002 zwar in zeitlichem Zusammenhang mit der Erkrankung des Versicherten erfolgt sei, nicht jedoch in der Vorstellung eines kurzfristig tödlichen Ausgangs der Erkrankung. In der Gesamtschau lägen „besondere Umstände“ im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI vor, die die Annahme zuließen, dass die Eheschließung nicht oder nicht überwiegend zu dem Zweck der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung erfolgt sei.

18

Gegen dieses am 21. Februar 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, welche am 13. März 2006 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Weder die Beweisaufnahme noch die Urteilsbegründung rechtfertigten die Annahme, dass besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a 2. Halbsatz SGB VI vorlägen. Ausschlaggebend hierfür sei, dass der Tod des Versicherten bereits kurz nach der Eheschließung eingetreten sei. Nach der Lebenserfahrung sei in einem solchen Fall die Ehe meist aus Versorgungsgründen geschlossen worden. Der Anspruch könne nur bejaht werden, wenn der Versorgungsgedanke ausgeschlossen werden könne. Einen besonderen Umstand stelle es nicht dar, wenn der Ehe ein langjähriges Zusammenleben vorangegangen sei. Vielmehr sei auffallend, dass der Versicherte und die Klägerin viele Jahre zusammengelebt hätten, ohne zu heiraten und dies schließlich noch vor dem beabsichtigten Zeitpunkt erfolgt sei. Hierfür sei die Erkrankung des Versicherten ausschlaggebend gewesen. Dies, sowie der zeitliche Ablauf der maßgeblichen Ereignisse (operativer erster Eingriff, Entlassung aus dem Krankenhaus, Aufgebotsbestellung und Eheschließung), lege die Vermutung einer Versorgungsehe nahe. Es sei davon auszugehen, dass zumindest dem Versicherte der Versorgungsgedanke bewusst gewesen sei. Auch die Klägerin habe angesichts der diagnostizierten Krebserkrankung von einer grundsätzlich lebensbedrohlichen Erkrankung des Versicherten ausgehen müssen. Ungeachtet der Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme habe die Erkrankung zur Verwirklichung der Heiratsabsicht geführt.

19

Die Beklagte beantragt,

20

das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 17. November 2005 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

21

Die Klägerin beantragt,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, welche sie für zutreffend hält sowie auf ihren Vortrag in der ersten Instanz und im Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor: Ein Arbeitsgericht habe dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die - § 46 Abs. 2a SGB VI entsprechende - Ausschlussfrist im Recht der betrieblichen Altersvorsorge mit europäischem Recht vereinbar sei. Dies müsse auch für das Sozialrecht gelten. Im übrigen beziehe sie inzwischen seit dem 01. Juli 2006 Altersrente für Frauen.

24

Die Verwaltungsakten der Beklagten, die Krankenakten des M.-Krankenhauses sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

25

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. § 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und bedarf keiner Zulassung, weil sie laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG), deren Wert 500,00 € übersteigt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Frist und Form (vgl. § 151 Abs. 1 und 3 SGG) sind gewahrt.

26

Die Berufung ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Witwenrente zu gewähren ist.

27

1. Gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente. Die Klägerin ist die Witwe des am 12. Januar 2003 verstorbenen Versicherten. Dass dieser die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ist nicht streitig. Die Klägerin hat auch nicht wieder geheiratet. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI sind somit erfüllt.

28

2. Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI, welcher durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des AVmEG vom 21. März 2001 (BGBl. I, S. 403) bzw. durch Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl. I, S. 754) mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in das SGB VI eingefügt wurde, besteht der Anspruch jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

29

a) Die Vorschrift begründet mithin - für alle seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2002 geschlossenen Ehen - die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten hat weniger als 1 Jahr gedauert (vom 28. Oktober 2002 bis zum 12. Januar 2003). Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI greift also ein.

30

b) Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar („es sei denn“). Sie ist widerlegt, wenn besondere Umstände (insbesondere Unfalltod des Versicherten, vgl. BT-Drucks. 14/4595, S. 44) vorliegen, aufgrund derer trotz kurzer Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Widerlegung der Vermutung erfordert nach § 202 SGG in Verbindung mit § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon oder einen so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit zu begründen, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m. w. N.; Meyer-Ladewig, SGG, § 103 Rz 6a und § 118 Rz 5 m. w. N.).

31

Das Urteil des Sozialgerichts hätte mithin nur bestätigt werden können, wenn die gerichtliche Sachaufklärung zur vollen Überzeugung des Senats oder zumindest mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit ergeben hätte, dass die Eheschließung zwischen der Klägerin und dem Versicherten nicht allein oder überwiegend der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gedient hat. Das ist indes nicht der Fall. Die von der Klägerin geltend gemachten Umstände lassen andere Motive zwar durchaus möglich erscheinen, stehen jedoch - was das Sozialgericht verkannt hat - der Vermutung einer die Begründung eines (zusätzlichen) Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezweckenden Eheschließung nicht mit der zur Führung des Vollbeweises erforderlichen Evidenz entgegen. Denn besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind nur solche, die eine Versorgungsabsicht eindeutig ausschließen (vgl. LSG BW, Urteil vom 24. März 1999 - L 2 U 2125/96).

32

Der Senat hat wie das Sozialgericht keinen Anlass, die in der mündlichen Verhandlung nochmals bekräftigte Einlassung der Klägerin in Frage zu stellen, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt. Auch mag die Wertung des Sozialgerichts zutreffen, dass ein dringender Versorgungsbedarf der Klägerin nicht bestand, weil sie als Inhaberin einer eigenen Rentenanwartschaft, Alleinerbin des Hauses und Begünstigte einer von dem Versicherten abgeschlossenen Lebensversicherung auf andere Weise finanziell abgesichert war. Schließlich geht auch der Senat davon aus, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung den behandelnden Ärzten und deshalb erst recht der Klägerin und dem Versicherten dessen schon auf nur noch wenige Wochen begrenzte Lebenserwartung noch nicht bekannt war. Denn hätte die bereits aussichtslose Erkrankung festgestanden, so wäre der Eingriff vom 5. November 2002 unterlassen worden. Aufgrund der Operation am 9. Oktober 2002 sowie einer Computertomografie stand jedoch lediglich fest, dass der Mastdarm entfernt werden und der Versicherte einen künstlichen Darmausgang erhalten musste. Die zu dieser Zeit mögliche Prognose war günstig im Sinne einer guten Aussicht, dass der Versicherte eine deutliche Überlebenszeit bis hin zur Heilungsbewährung erreichen könne.

33

Dies reicht jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht aus, um die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI mit Gewissheit oder zumindest hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Denn für die den Versicherten behandelnden Ärzte stand nach deren glaubhaften Angaben im erstinstanzlichen Verfahren ferner fest, dass die endgültige Prognose von den Ergebnissen des Eingriffs vom 5. November 2002 abhängig sein werde. Demzufolge kann auch der Versicherte selbst bei Eheschließung nicht sicher erwartet haben, seine Krebserkrankung um zumindest mehr als 1 Jahr zu überleben. Die medizinische Situation stellte sich zu dem Zeitpunkt als offen dar. Hinzu kommt das allgemeine Operationsrisiko eines Eingriffs dieses Ausmaßes, welches auch der Klägerin und dem Versicherten vor Augen gestanden haben muss. Nach alledem erscheint es lebensfern, dass sich beide über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten nicht im Klaren gewesen sind (vgl. hierzu Bay. VGH, Urteil vom 1. Dezember 1998 - 3 B 95.3050). Der erkennbare sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen der Terminierung der Eheschließung und den Operationen vom 9. Oktober und 5. November 2002 bestätigt dies ebenfalls. Die Klägerin und der Versicherte hatten bereits seit 1980, also seit 22 Jahren eheähnlich zusammengelebt. Die Heirat war immer erst für die Zeit in Aussicht genommen worden, wenn beide das 60. Lebensjahr vollendet hätten (also ab März 2003). Statt dessen wurde sie nun ausdrücklich (um persönliche Dinge zu regeln) und konsequent auf einen Zeitpunkt vor dem schweren operativen Eingriff vorgezogen (Krankenhausentlassung am 23. Oktober, Aufgebot am 24. Oktober, Eheschließung am 28. Oktober, Darmoperation am 5. November 2006). Dies indiziert eine eindeutige kausale Verknüpfung (vgl. SG Koblenz vom 18. September 2001 - S 2 U 393/00; LSG SH vom 11. November 1999 - L 5 U 112/98). Ob diese dahin zu interpretieren ist, dass der gesetzlich unterstellte Versorgungsgedanke auch im vorliegenden Falle obwaltete, kann dahinstehen. Entscheidend ist, dass sie jedenfalls nicht geeignet ist, um - wie erforderlich - den Vollbeweis des Gegenteils zu erbringen.

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Die sich hieraus ergebenden Nachteile hat die Klägerin zu tragen. Denn nach den auch im Rentenversicherungsrecht geltenden Regeln der objektiven Beweislast fallen die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache demjenigen Beteiligten zur Last, der aus der Tatsache ein Recht herleiten will. Die Klägerin muss sich folglich so behandeln lassen, als ob sie die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt hat. Ein Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte stehen ihr aus diesem Grunde nicht zu.

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Den von der Klägerin angedeuteten Verstoß des § 46 Abs. 2a SGB VI gegen europäisches Recht vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Klägerin hat auch keine substantiierten Angaben zu dem behaupteten, die betriebliche Altersvorsorge betreffenden Vorlageverfahren und der diesem zugrundeliegenden Rechtsproblematik machen können.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

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Ein Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.


(1) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.

(2) Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie

1.
ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2.
das 47. Lebensjahr vollendet haben oder
3.
erwerbsgemindert sind.
Als Kinder werden auch berücksichtigt:
1.
Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Erstes Buch), die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind,
2.
Enkel und Geschwister, die in den Haushalt der Witwe oder des Witwers aufgenommen sind oder von diesen überwiegend unterhalten werden.
Der Erziehung steht die in häuslicher Gemeinschaft ausgeübte Sorge für ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, auch nach dessen vollendetem 18. Lebensjahr gleich.

(2a) Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

(2b) Ein Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente besteht auch nicht von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid über die Bewilligung der Witwenrente oder Witwerrente ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3) Überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, haben unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente oder Witwerrente, wenn die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten).

(4) Für einen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente gelten als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft, als Ehe auch eine Lebenspartnerschaft, als Witwe und Witwer auch ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte auch ein Lebenspartner. Der Auflösung oder Nichtigkeit einer erneuten Ehe entspricht die Aufhebung oder Auflösung einer erneuten Lebenspartnerschaft.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.