Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 05. Dez. 2018 - L 7 R 232/16

bei uns veröffentlicht am05.12.2018

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 17. Oktober 2016 durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

2. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Berufung durch Rücknahme des Rechtsmittels erledigt ist.

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Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente und wurde diesbezüglich in erster Instanz durch Rechtsanwältin K. aus der Kanzlei „h. rechtsanwälte fachanwälte“ vertreten. Die abgereichte Vollmacht gilt ausdrücklich für alle Instanzen.

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Nach Abweisung der Klage mit Urteil vom 17. Oktober 2016 hat der Kläger - nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt H. aus der „B.“ - am 11. November 2016 Berufung eingelegt. Am 1. Dezember 2016 hat auch Rechtsanwältin K. Berufung gegen das ihr am 2. November 2016 zugestellte Urteil eingelegt.

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Auf Nachfrage des Gerichts hat Rechtsanwalt H. mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 mitgeteilt, dass die frühere Bevollmächtigte nicht bevollmächtigt sei, Berufung einzulegen. Sie sei von dem Mandanten nicht bevollmächtigt worden, weshalb die Berufung zurückzuweisen sei. Es sei nie ein weiterer Auftrag zur Einlegung der Berufung an die frühere Rechtsanwältin erteilt worden.

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Rechtsanwältin K. hat hierzu mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2016 Stellung genommen und hat mitgeteilt, dass sich die erteilte Vollmacht auf alle Instanzen beziehe. Da sich der Kläger nach der Übersendung des Urteils nicht gemeldet habe, sei aus Gründen der anwaltlichen Sorgfalt zur Fristwahrung Berufung eingelegt worden. Eine Mandatskündigung liege bis zum heutigen Tage nicht vor.

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Mit weiterem Schreiben vom 2. Februar 2017, welches am gleichen Tag bei Gericht einging, hat Rechtsanwältin K. die Berufung zurückgenommen.

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Das Verfahren ist in der Folge durch den Kläger und die B. weiter betrieben worden.

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Mit Verfügung vom 18. Juni 2018 hat der Senat darauf hingewiesen, dass das Berufungsverfahren durch Rücknahme des Rechtsmittels beendet sei. Die im Schriftsatz der Rechtsanwältin K. vom 2. Februar 2017 enthaltene Prozesserklärung beschränke sich nicht auf die eigene Berufungseinlegung, sondern umfasse das gesamte Prozessrechtsverhältnis, auch wenn dieses von einem anderen Bevollmächtigten begründet worden sei (BSG, Urteil vom 18. November 1997, 2 RU 45/96). Rechtsanwältin K. habe den Kläger bei der Rücknahme der Berufung auch wirksam vertreten. Die in erster Instanz vorgelegte Prozessvollmacht beziehe sich auf alle Instanzen und damit auch das Berufungsverfahren. Ein Widerruf dieser Vollmacht sei nicht erfolgt, insbesondere nicht durch den Schriftsatz des neuen Bevollmächtigten vom 20. Dezember 2016. Denn hierin werde lediglich die unzutreffende Tatsachenbehauptung aufgestellt, die in erster Instanz tätige Bevollmächtigte nicht für das Berufungsverfahren bevollmächtigt zu haben. Eine Auslegung dieses reinen Tatsachenvortrages dahin, dass hiermit ein Widerruf einer etwa erteilten Vollmacht erklärt werden sollte, sei angesichts des Umstandes, dass das Schreiben von einem Rechtskundigen verfasst worden sei, nicht möglich. Darüber hinaus sei auch nicht erkennbar, dass sich der Auftrag und die Vollmacht des neuen Bevollmächtigten auf den Widerruf früher in gleicher Sache erteilter Vollmachten erstreckt habe.

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Die Beklagte ist der in diesem Hinweisschreiben geäußerten Rechtsauffassung mit Schriftsatz vom 29. Juni 2018 beigetreten.

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Rechtsanwalt H. hat unter dem 2. August 2018 Stellung genommen und hat folgendes vorgetragen: Der Kläger habe der Anwältin gesagt, dass die Vollmacht widerrufen ist und das Mandat gekündigt worden sei. Das Beziehen auf eine originäre Vollmacht, welche sich auf alle Instanzen bezieht, befähige die Anwältin nicht, Berufung einzulegen. Im Übrigen sei es nicht so, dass die Anwältin bevollmächtigt sei, alle Klageinstanzen durchzufechten, ohne Zusage des Klägers, auch wenn dies scheinbar fristwahrend erfolgt sei. Daraufhin habe die Anwältin Sorge zu tragen, ob sie für den konkreten Instanzenzug beauftragt sei, was ausschließlich nach Rücksprache mit dem Kläger zu erfolgen habe. Zwischenzeitlich habe der Mandant auch das Mandat bei der vorherigen Anwältin gekündigt. Im Übrigen habe auch der Verfasser mit der Gegenseite telefoniert und der Gegenseite mitgeteilt, dass das Mandatsverhältnis gekündigt und die Berufung zurückzunehmen sei. Ferner habe der Verfasser dies in seinem Schreiben vom 20. Dezember 2016 dem LSG mitgeteilt. Wenn es Unklarheiten gegeben habe, hätte es eines Hinweises durch das LSG bedurft. Der jetzige Hinweis sei verspätet und entspreche auch nicht der Rechtsprechung des zitierten BSG-Urteils vom 18. November 1997. Es habe zwingend die Rücknahme der zweiten Berufung erfolgen müssen.

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Mit Verfügung vom 7. August 2018 ist der Rechtsstreit als erledigt (durch Zurücknahme des Rechtsmittels) ausgetragen und dies den Beteiligten mitgeteilt worden.

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Unter dem 23. Oktober 2018 ist ein Schreiben des Klägers eingegangen, in welchem er ausführt, dass der Beschluss vom 6. September 2018 zu Unrecht ergangen sei. Seine ehemalige Anwältin habe die Berufung nicht ohne sein Einverständnis zurücknehmen dürfen. Außerdem sei sie auch nicht berechtigt gewesen, Berufung einzureichen, da er sich nach dem Urteil des Sozialgerichts einen neuen Anwalt genommen habe. Der folgende Schriftverkehr sei nur noch über Rechtsanwalt H. gelaufen. Von seiner alten Anwältin habe er seitdem nichts mehr gehört. Er bitte um Korrektur der Entscheidung.

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Der Kläger beantragt nach Aktenlage,

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das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 2. November 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. April 2013 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt

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festzustellen, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Entscheidungsgründe

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Über die Berufung des Klägers war in der Sache nicht mehr zu entscheiden, weil diese wirksam zurückgenommen worden ist.

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Der Senat hatte die Erledigung des Verfahrens festzustellen, da der Kläger nach Mitteilung dieses Sachverhaltes durch den Senat geltend gemacht hat, dass seine Anwältin nicht zur Rücknahme der Berufung berechtigt gewesen sei. Damit hat er hinreichend deutlich eine Fortsetzung des Rechtsstreits begehrt und die Unwirksamkeit der prozessbeendenden Erklärung geltend gemacht. Bei Streit über die Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme ist das Verfahren fortzuführen und im Urteil entweder zur Sache zu entscheiden oder aber festzustellen, dass das Verfahren durch Rücknahme erledigt ist (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 156, Rn. 6).

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Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Berufung durch Rechtsanwältin K. wirksam zurückgenommen worden. Nach der bereits im Hinweisschreiben zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. November 1997, 2 RU 45/96) erfasst die von einem Bevollmächtigten erklärte Rücknahme das gesamte Prozessrechtsverhältnis, auch wenn dieses von einem anderen Bevollmächtigten begründet worden ist. Die von Rechtsanwältin K. erklärte Rücknahme hat sich daher auch auf die von Rechtsanwalt H. eingelegte Berufung erstreckt.

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Die Rücknahme ist auch wirksam gewesen, da die Bevollmächtigung von Rechtsanwältin K. fortbestanden hat. Die ursprünglich erteilte Vollmacht erstreckte sich auf alle Instanzen. Ein Widerruf durch den Kläger ist zwar pauschal behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt worden. Insbesondere dem letzten Schriftsatz des Klägers lässt sich entnehmen, dass dieser zu Rechtsanwältin K. seit der Übersendung des Urteils schlicht keinen Kontakt mehr gehabt hat. Bei dieser Sachlage kann durch den Kläger selbst auch keine Kündigung des Mandates und kein Widerruf der Vollmacht erfolgt sein.

21

Auch durch den neuen Bevollmächtigten des Klägers ist ein wirksamer Widerruf der Vollmacht nicht erfolgt. Das Schreiben an das Gericht vom 20. Dezember 2010 enthält eine solche Erklärung nicht, da hierin lediglich mit unzutreffendem Tatsachenvortrag das Vorhandensein einer Bevollmächtigung bestritten wurde. Ein darüber hinausgehender Wille, eine eventuell doch bestehende Vollmacht zu widerrufen, lässt sich dem Schriftsatz nicht entnehmen.

22

Zwar könnte nach den Ausführungen im Schriftsatz des Rechtsanwalts H. vom 2. August 2018 ein Widerruf der Vollmacht durch ihn in einem Telefonat zwischen den beiden Rechtsanwälten erklärt worden sein. Allerdings hätte dies nach §§ 170, 172 BGB keine Wirkung gegenüber dem Gericht, da die ursprünglich erteilte Vollmacht durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde nachgewiesen wurde. Der Widerruf hätte daher nur durch Mitteilung des Erlöschens gegenüber dem Gericht erfolgen können. Darüber hinaus wäre ein Widerruf der Vollmacht in diesem Telefonat auch insoweit unerheblich, als Rechtsanwalt H. weiter ausgeführt hat, in dem Telefongespräch auch zur Rücknahme der Berufung aufgefordert zu haben. Denn hierdurch wäre eine gegenständlich auf die Rücknahme der Berufung beschränkte Vollmacht neu erteilt worden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

24

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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Referenzen - Gesetze

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 172 Vollmachtsurkunde


(1) Der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber steht es gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. (2) Die Vertretungsmacht bleibt bestehen,

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 170 Wirkungsdauer der Vollmacht


Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt, so bleibt sie diesem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird.

Referenzen

Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt, so bleibt sie diesem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird.

(1) Der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber steht es gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt.

(2) Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.