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Streitig ist die Gewährung von Überbrückungsgeld anlässlich der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
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Der am ... 1965 geborene Kläger war bis zum 31.10.2003 als Kieferchirurg im Uniklinikum H., Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, versicherungspflichtig beschäftigt. In dem zwischen ihm und dem Land Baden-Württemberg geschlossenen Arbeitsvertrag vom 20.06.2001 wurde er als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Angestellter (Vergütungsgruppe Ib BAT) auf bestimmte Zeit nach § 57a Hochschulrahmengesetz (HRG) bis zum 30.06.2004 weiterbeschäftigt. Als Befristungsgrund wurde angegeben: „Nach § 57b Abs. 2 Nr. 1 HRG:“ Sein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt im Jahr 2003 betrug ca. 5.000,-- EUR monatlich, als Bemessungsentgelt wurde ein Betrag von 1.132,40 EUR wöchentlich festgestellt. Zum 31.10.2003 beendete er das Arbeitsverhältnis, um sich selbständig zu machen. Seinem Antrag auf Zulassung als Zahnarzt gemäß § 18 Zahnärzte-ZV gab der Zulassungsausschuss für Zahnärzte für den Regierungsbezirk Karlsruhe ab 01.11.2003 statt (Bescheid vom 10.09.2003).
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Bereits am 24.10.2003 hatte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III beantragt. Er gab an, er werde am 01.11.2003 eine selbständige Tätigkeit als Chirurg in M. aufnehmen. Er übernehme eine bestehende Praxis. Die aus dem Betrieb erzielten Einnahmen würden nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichen, da im ersten halben Jahr keine Zahlungen von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigung zu erwarten seien. Die wöchentliche Arbeitszeit betrage in der Regel mindestens 50 bis 60 Stunden (Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie). Der Kläger legte eine Stellungnahme des Rechtsanwalts/Wirtschaftsprüfers/Steuerberaters N. vom 22.10.2003 vor, wonach der Kläger zu einem Kaufpreis von 750.000,- DM die Praxis des Kieferchirurgen übernehme, seine Ehefrau, Kieferorthopädin, übernehme zu einem Kaufpreis von 500.000,- DM die Praxis der Kieferorthopädin. Beigefügt war eine Umsatzübersicht der vom Kläger zu übernehmenden Praxis für die Jahre 1996 bis 2001. Danach belief sich das Betriebsergebnis ohne Abschreibung in jedem Jahr auf mehr als eine Million DM. Als Gewinnerwartung wurde ein Praxisgewinn von einer Million DM und als Unternehmerlohn für den Kläger und seine Ehefrau wurde ein Betrag von 200.000,- DM jährlich angegeben.
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Mit undatiertem Bescheid vom Dezember 2003 (Bl. 15 der Leistungsakte) wurde der Antrag des Klägers abgelehnt. Der Kläger übernehme eine bereits bestehende kieferchirurgische/kieferorthopädische Praxis, der Kundenkreis werde sich nicht ändern. Aus den vorgelegten Unterlagen gehe hervor, dass die Betriebsergebnisse der letzten Jahre vor Übernahme jährlich über 1.000.000,-- DM gelegen hätten. Gleichzeitig gehe auch der Kläger von einem Praxisgewinn für sich und seine Ehefrau von jährlich 1.000.000,- DM aus, der sich um den Unternehmerlohn für sich und seine Ehefrau von 200.000,- DM verringere, so dass noch ein Ertrag von 800.000,- DM bleibe. Existenzgründungswillige, die einen bestehenden Betrieb übernähmen oder in einen solchen einträten, könnten jedoch nur gefördert werden, soweit die aus dem Betrieb erzielten Einkünfte nicht ausreichten, um in der Anlaufzeit ihren Lebensunterhalt und die Aufwendungen für die soziale Sicherung aufzubringen. Aus den vorgelegten Zahlen gehe jedoch hervor, dass der Kläger sowohl seinen Lebensunterhalt bestreiten als auch die Kosten für seine soziale Absicherung aufbringen könne.
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Hiergegen legte der Kläger am 19.01.2004 Widerspruch ein. Es sei ständige Praxis der Arbeitsämter, Existenzgründungen von Ärzten und Zahnärzten zu fördern, bei denen die Prognosezahlen durchaus erkennen ließen, dass innerhalb kürzester Frist eine eigenständige Überlebensfähigkeit des Existenzgründers gewährleistet sei. Bei dieser Prognose dürften nämlich die stützenden Förderungen wie Betriebsmittel, Kredite etc. nicht berücksichtigt werden, vielmehr könne eine Bezuschussung nur dann abgelehnt werden, wenn die betroffenen Unternehmen in kürzester Zeit ohne Fremdmittel selbständig wirtschaften könnten. Zudem seien die Praxisumsätze und Praxisergebnisse der übernommenen Praxis in den letzten Jahren deutlich geschrumpft, so dass bei Fortentwicklung der Werte die früheren hohen Ergebniswerte nicht mehr erzielbar sein würden. Es seien aufgrund der gesetzlichen Änderungen im Gesundheitsbereich hier erhebliche Einschnitte beim Vergütungsbereich zu erwarten. Die der Beklagten vorgelegten Zahlen seien also lediglich dafür verwendbar, dass eine Tragfähigkeit der Existenzgründung anzunehmen sei. Das wirtschaftliche Risiko, das er mit der Übernahme der Praxis eingehe, sei vernünftigerweise und angemessen zu berücksichtigen. Hier sei eine Kaufpreisfinanzierung mit einem Kredit von enormer Höhe aufgenommen worden. Dieses existenzielle Risiko aus seiner Verschuldung sei in keiner Weise berücksichtigt worden. Es sei daher absurd, die Zahlen, die ihn bewogen hätten, die Praxis zu übernehmen, ihm nun als unzureichend für die Förderungsfähigkeit vorzuhalten. Ohne Zweifel sei die Übernahme einer derartigen Praxis bei der verstärkten Konkurrenzsituation im Bereich M. mit der jahrzehntelangen Patientenbindung des Praxisgebers und angesichts der dramatischen Verschlechterung der Rahmenbedingungen im Gesundheitsbereich und unter Berücksichtigung seiner sehr großen Finanzierungsbelastung insgesamt zu sehen und so zu werten, dass zwar die Übernahme der Praxis nach wie vor angesichts der Bewertung aller Einzelprodukte als gerechtfertigt erscheine und damit als tragfähig angesehen werden könne, jedoch eine Förderung nach den Vorschriften des § 57 SGB III durchaus als gegeben eingeschätzt werden müsse. Eine Nichtgewährung des Überbrückungsgeldes sei daher als willkürlich zu betrachten. Die von der Beklagten herangezogenen Argumente, nämlich die der nötigen Bedürftigkeit, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen und stelle ein rein willkürliche Behandlung des Antrages dar.
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Mit Schreiben vom 01.06.2004 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass die Überbrückungsgeldleistung nach § 57 Abs. 1 SGB III in der bis 31.12.2003 gültigen Fassung eine „Ermessensleistung" sei. In diesem Rahmen seien die zugeteilten Haushaltsmittel nicht zu überschreiten. Unter Beachtung dieser Anhaltspunkte sei in einer internen Richtlinie festgelegt worden, dass Existenzgründungswillige, die einen bestehenden Betrieb übernähmen oder in einen solchen einträten, nur gefördert werden könnten, wenn die aus dem Betrieb erzielten Einkünfte nicht ausreichten, um in der Anlaufzeit ihren Lebensunterhalt und die Aufwendungen für die soziale Sicherung aufzubringen. Ausgehend von den Zahlen des Klägers werde dieser einen monatlichen Betrag von ca. 33.333,-- DM erwirtschaften. Ausgehend von diesem Betrag sei unterstellt worden, dass der Kläger in der Anlaufzeit seinen Lebensunterhalt und die Aufwendungen für die soziale Sicherheit aufbringen könne.
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Hierauf teilte der Kläger mit, bei den genannten Werten handle es sich um Schätzbeträge. Es sei bereits darauf hingewiesen worden, dass im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen und auch im Hinblick auf die Bindung einiger Patienten an den zuvor die Praxis besitzenden Doktor dazu führen würde, dass es bei der Erzielung der Einnahmen erhebliche Abschläge geben werde. Der tatsächliche Verlauf der Praxis entspreche dieser Einschätzung. Von der Praxis werde noch nicht das Ergebnis erzielt, wie es beim Praxisvorgänger der Fall gewesen sei. Aus einer Anlage sei ersichtlich, dass er in den ersten Monaten seit Praxiseröffnung nahezu überhaupt keine Einnahmen erzielt habe bzw. nur in äußerst geringem Umfang. Dennoch habe er sämtliche Kosten tragen müssen. Dies habe er nur durch Inanspruchnahme eines Praxiskontokorrentkredits leisten können. Mithin habe er aus den Einnahmen bzw. Ergebnissen der Praxis in den ersten Monaten überhaupt keine Mittel entnehmen können, um seinen Lebensunterhalt oder die Aufwendungen für die soziale Sicherung aufzubringen. Die Buchhaltungsergebnisse zeigten, dass er erst im fünften Monat seit Praxiseröffnung einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben erzielt habe. Dabei müssten jedoch auch noch die Abschreibungen berücksichtigt werden. Dies berücksichtigend würde die Praxis auch nach Ablauf der ersten sechs Monate noch in den roten Zahlen stehen. Zudem habe auch seine Ehefrau eine Praxis eröffnet, so dass sie eine Gewinnminderung in doppeltem Umfang hinzunehmen hätten. Aufgrund des Abrechnungssystems der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigung seien ihm und seiner Ehefrau für die ersten Monate überhaupt keine Vergütungen von dort ausgezahlt worden. Mithin hätten er und seine Ehefrau in den ersten Monaten der Praxiseröffnung lediglich von Ersparnissen und mit Hilfe von Krediten ihren Lebensunterhalt und die Aufwendungen für die soziale Sicherheit aufbringen können. Beigefügt waren diverse Unterlagen über die Praxiseinnahmen und Praxisausgaben der Monate Januar 2004 bis Juni 2004.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2004 zurückgewiesen. Die Auswertung der betriebswirtschaftlichen Buchhaltungsangaben für die Monate Januar bis Juni 2004 habe ergeben, dass der Kläger entgegen der von ihm vertretenen Meinung sehr wohl in der Lage gewesen sei, mit den Einkünften aus der Praxis seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Kläger habe lediglich in den Monaten Januar und Februar 2004 ein Minus-Einkommen aus der Praxis erzielt, dies habe sich ab dem Monat März 2004 geändert. In diesem Monat habe das Praxisergebnis bereits 25.980,37 EUR betragen, dies habe sich in den nachfolgenden Monaten noch erheblich gesteigert. Der Kläger habe bereits ab März 2004 höhere Beträge als Privatentnahme aus der Praxis entnommen.
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Am 09.12.2004 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Dieses Gericht hat sich mit Beschluss vom 17.01.2005 (S 1 AL 581/04) für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Mannheim (SG) als das örtlich zuständige Sozialgericht verwiesen.
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Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger ausgeführt, er erfülle die Voraussetzungen des § 57 SGB III zur Gewährung von Überbrückungsgeld. Die ersten Vergütungen habe er für seine Tätigkeit im dritten Monat seit Beginn seiner Tätigkeit erhalten. Bereits für die ersten beiden Monate habe er jedoch bereits sehr wesentliche Praxisausgaben zu tätigen gehabt. Dieses Minus aus den ersten beiden Monaten seit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit habe sich dann erst mit Ablauf des sechsten Monats seit Beginn der Tätigkeit gänzlich kompensieren lassen, so dass sich erst nach Ablauf des Monats Juni 2004 ein Überschuss von 5.592,-- EUR ergeben habe. Die ersten sechs Monate habe er mithin lediglich aus anderen Mitteln, nämlich aus Ersparnissen und Darlehen, gelebt. Mithin gehe die Beklagte von einem falschen Sachverhalt aus. Zwar habe die Praxis im März 2004 einen Überschuss erwirtschaftet, er habe dann aber diese Mittel dazu verwenden müssen, um die Darlehen bzw. Ersparnisse, die er zuvor entnommen habe, wieder zurückzuführen. Die Entnahmen, die er aus den Praxiseinnahmen vorgenommen habe, hätten also nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts gedient, sondern seien benötigt worden, um die von dritter Seite erlangten Mittel zur Bestreitung des Praxisbetriebs wieder auszugleichen.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat dargelegt, im vorliegenden Fall habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Uni H. zum 31.10.2003 selbst durch Aufhebungsvertrag beendet, um sich ab 01.11.2003 selbständig machen zu können. Vermeidung von Arbeitslosigkeit im Sinne des § 57 SGB III sei dann gegeben, wenn die Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses aus Gründen, die ein Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe, gefährdet sei und der Arbeitnehmer das Risiko der Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit abmildere. Dagegen führe eine eigenständige Kündigung zum Zweck der Gründung einer selbständigen Existenz das Risiko der Arbeitslosigkeit selbst herbei. Auch aus diesem Grunde liege daher im Falle des Klägers die Voraussetzung zur Zahlung von Überbrückungsgeld nicht vor. Im Übrigen hat sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
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Mit Urteil vom 09.09.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 a.F. lägen zwar vor, doch habe die Beklagte von dem ihr zustehenden Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht. Das Überbrückungsgeld solle zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung dienen. Es soll für eine Übergangszeit, in der aus der neu aufgenommenen selbständigen Tätigkeit keine vollen Einnahmen zu erwarten seien, den Lebensunterhalt des vorher Arbeitslosen sichern. Daneben habe die Beklagte gemäß § 7 Abs. 1 SGB III bei der Auswahl von Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung, zu denen nach § 3 Abs. 4 SGB III auch das Überbrückungsgeld zähle, stets die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Ausgehend von diesen Maßstäben sei die Beklagte im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens berechtigt gewesen, den Antrag des Klägers abzulehnen. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die weiteren Ausführungen in den Entscheidungsgründen verwiesen.
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Gegen dieses, seinem Prozessbevollmächtigten am 19.09.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.10.2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung hat er u.a. vorgetragen, auch unter Berücksichtigung der Richtlinie der Beklagten für Fälle der Übernahme von bestehenden Betrieben durch Existenzgründungswillige hätten sowohl die Beklagte als auch das SG falsche Beurteilungen vorgenommen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass er während der Dauer von sechs Monaten nicht in der Lage gewesen sei, seinen Lebensunterhalt aus den erwirtschafteten Erträgen zu bestreiten. Als Beleg dafür, dass er sich selbständig gemacht habe, um eine drohende Arbeitslosigkeit zu vermeiden, legt er eine Bescheinigung des Ärztlichen Direktors der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums H. Prof. Dr. M. vom 16.02.2006 vor. Darin bestätigt Prof. M., dass eine Verlängerung des bis zum 30.06.2004 befristeten Arbeitsvertrages aufgrund des Personalbudgets der Klinik nicht möglich gewesen wäre. Zudem weist der Kläger darauf hin, dass sein Beschäftigungsverhältnis mit der Uniklinik ohnehin nur noch deshalb verlängert worden sei, weil er noch eine dreijährige Zusatzausbildung für plastische Chirurgie habe anschließen wollen. Diese Zusatzausbildung habe er dann im Oktober 2003 abgeschlossen.
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das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom Dezember 2003 - ohne Tagesangabe - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend und vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 SGB III a.F. nicht erfüllt seien.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
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