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| Die zulässige Klage ist nur zur Hälfte begründet; der fehlerhaften Anlageberatung durch die Beklagte steht ein gleichgewichtiges Mitverschulden der Klägerin gegenüber. |
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| Zwischen den Parteien kam am 1. September 2008 ein Anlageberatungsvertrag zustande. Danach bestand für die Beklagte die Verpflichtung, entsprechend den Interessen der Klägerin, ihren Vorstellungen hinsichtlich Sicherheit und Rendite und im Umfang abhängig von ihren Vorkenntnissen ausreichend und korrekt zu beraten. |
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| Zu Beginn des Beratungsgesprächs durfte der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge G, aufgrund der bisherigen Depotzusammensetzung von folgenden Voraussetzungen und Kenntnissen der Klägerin ausgehen: |
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| - Der Klägerin war der Umfang des inländischen Einlagensicherungsfonds aufgrund einer Belehrung bei Depoteröffnung bekannt. |
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| - Die Klägerin hatte Erfahrung nicht nur mit inländischen, sondern auch bereits mit ausländischen Geldanlagen. |
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| - Wegen der bereits vorhandenen ausländischen Anlagen durfte der Zeuge auch davon ausgehen, dass der Klägerin bewusst war, dass der inländische Einlagensicherungsfond nicht greifen kann. |
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| - Die Klägerin hatte Erfahrung mit Unternehmensanleihen. |
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| - Auch insoweit durfte der Zeuge davon ausgehen, dass der Klägerin bereits bekannt war, dass diese Anleihen nicht Gegenstand des Einlagensicherungsfonds waren. |
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| - Der Zeuge konnte, vor anderslautenden Hinweisen, davon ausgehen, dass die Klägerin nicht nur an sicheren Spareinlagen interessiert war, sondern auch an der gesamten Breite des sonstigen Finanzmarktes, seien es Aktien, Anleihen oder Fondbeteiligungen. |
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| - Der Zeuge konnte davon ausgehen, dass der Klägerin aufgrund früherer Zeichnung von Anleihen die grundsätzlichen Risiken und Chancen einer Anleihe bekannt waren, auch das jeder Anleihe, Leihe oder darlehensweisen Geldüberlassung anhaftende Risiko des Totalverlusts, sofern keine gesonderte Sicherheit gewährt wird oder vorhanden ist. |
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| Nachdem vor dem 1. September 2008 bereits – wie von der Klägerin selbst vorgelegt – die Finanzmarktkrise in den USA bereits Gegenstand der Berichterstattung in den Massenmedien war, einschließlich massiver Probleme amerikanischer Banken, durfte der Zeuge auch davon ausgehen, dass diese allgemeine Wirtschaftssituation auch der Klägerin bekannt war. Diese Kenntnis ergibt sich zudem aus dem eigenen Vortrag der Klägerin (S. 3 der Klageschrift), wonach sie selbst angesichts der aktuellen Situation in den USA nach der Sicherheit der Anlage gefragt habe. |
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| Die Kaufempfehlung durch den Zeugen entsprach grundsätzlich den damaligen Interessen der Klägerin und wurde den Pflichten des Beratungsvertrags gerecht. Die Klägerin wollte einen Teilbetrag des fälligen Kapitals zinsbringend anlegen. Ihr war bekannt, dass ihr Geldmarktkonto bei der Sparkasse 3,35 % Zins einbrachte. Sie hat den neu anzulegenden Teilbetrag von 10.000,- EUR aber nicht auf dieses Geldmarktkonto überwiesen, auch nicht auf ein Sparkassenkonto zur Bezahlung von anstehenden Hausreparaturen, sondern in eine neue Anlage investiert. Soweit sie vorträgt, sie habe auch diesen Teilbetrag für die Hausreparaturen verwenden wollen, findet sich für diesen Vortrag keine tragfähige Grundlage. Es wäre der Klägerin unbenommen gewesen, mit diesem Teilbetrag dasselbe zu tun, wie mit der anderen Hälfte des freigewordenen Kapitals, nämlich ihn auf das Sparkassenkonto zu überweisen. Indem sie dies nicht getan hat, sondern sich mit Depot-Erfahrung im festverzinslichen, mehrjährigen Anlagebereich für eine dreijährige Anlage entschieden hat, bestätigt sie letztlich selbst, dass sie hier eine Anlage und nicht nur das kurzfristige Parken des Kapitals für bevorstehende Reparaturen gewollt hat. |
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| Eine Anlage in Form einer Anleihe widersprach abstrakt auch nicht den Sicherheitsvorstellungen der Klägerin. Der Klägerin war sowohl der Auslandcharakter der Anleihe bekannt als auch die Finanzmarktprobleme gerade in diesem Land. Ihr war aufgrund ihrer eigenen Anlage bei der Sparkasse auch bekannt, dass die Verzinsung ca. doppelt so hoch sein sollte wie bei einer tatsächlich sicheren Anlage im Inland. Einer Anlegerin mit der Erfahrung der Klägerin konnte dabei nicht unbekannt geblieben sein, dass bei einer Verdoppelung der Rendite auch das Risiko enorm steigt. |
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| Die vorgeschlagene Anleihe passte auch hinsichtlich Risiko und Rendite in das bisherige Anlageverhalten der Klägerin, wie es sich aus dem Depot mit in- und ausländischen, vielfach völlig ungesicherten Anlagen entsprach. |
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| Dass die Klägerin konkret bestimmte, sicherere Anlageformen verlangt hätte, konnte sie durch die Vernehmung des Zeugen G nicht beweisen. Die Angaben des Zeugen enthielten keinerlei Hinweise hierauf. Zwar musste dabei gesehen werden, dass der Zeuge in wirtschaftlicher Abhängigkeit zur Beklagten stand und steht; auch musste gesehen werden, dass seine Aussage gerade bei Details des Beratungsgesprächs und bei der Benennung nach eigenen Angaben alternativ vorgestellter Unternehmensanleihen sehr dürftig und arm an konkreter Erinnerung war. Dies alles konnte jedoch nicht dazu führen, damit dieses Nicht-Berichten als Beweis für den Vortrag der Klägerin anzunehmen. |
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| Die Beklagte hat auch nicht hinsichtlich der konkreten Sicherheit und Bonität der Anlage falsch beraten. Nachdem die führenden Ratingagenturen, was auch die Klägerin nicht bestreitet, noch bis zum Zusammenbruch Mitte September die Lehman Bank noch mit erstklassigen bzw. A-Ratings bewertete, bestand für die Beklagte weder Grund noch Pflicht, die Bonität als solche und über das generelle Totalverlustrisiko bei jeder Anleihe hinausgehend zu hinterfragen. |
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| Der Zeuge hat für die Beklagte jedoch insoweit fehlerhaft beraten, dass er ihr unstreitig einen Prospekt über die Anleihe aushändigte, der inhaltlich – für den Zeugen als Fachmann auch ohne weiteres erkennbar – die Anleihe hinsichtlich ihrer Risiken und Sicherheiten nicht korrekt, sondern irreführend beschrieben hat, indem eine real nicht existierende bzw. keinesfalls in ihrem Wert ausreichende Rückzahlungsgarantie vorspiegelte. Gerade das typischerweise der Anleihe anhaftende Verlustrisiko wurde letztlich als bei der konkreten Anleihe nicht vorhanden bzw. als abgesichert dargestellt. Da die Beklagte mit der Vernehmung des Zeugen G auch nicht beweisen konnte, über den Inhalt des Prospekts hinaus informiert zu haben oder gar die irreführenden Aussagen des Prospekts richtig gestellt zu haben, war ihr der irreführende Inhalt des Prospekts selbst als Beratungsfehler zuzurechnen. |
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| Die für einen Bankberater aufgrund seiner Fachkenntnis irreführenden Inhalte des Prospekts zeigen sich in folgenden Punkten: |
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| - Bereits der Titel „Garant Anleihe“ führt in die Irre. Er suggeriert, dass hier entgegen dem sonst einer Anleihe anhaftenden Totalverlustrisiko bei Insolvenz des Emittenten, eine Art Garantie bestehe. Nur dieser Suggestion kann der Name „Garant“ dienen. Eine im Rückzahlungszeitpunkt werthaltige und sichere Garantie bestand dagegen tatsächlich zu keinem Zeitpunkt (vgl. auch LG Hamburg, Urteil vom 23. September 2009, Az. 322 O 134/09). |
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| - Auf Seite 3 des Prospekts wird ausgeführt, dass der Investor „am Laufzeitende der Anleihe … 100 % des Nennbetrags der Anleihe zurückbezahlt“ bekomme. Diese Formulierung kann nur so verstanden werden, dass am Ende tatsächlich 100 % des Nennbetrags ausbezahlt werden. Dass auf der gleichen Seite in einer Fußnote in erheblich kleinerer, kaum noch lesbarer Schriftgröße dann mit der Formulierung „Eine Rückzahlung am Ende der Laufzeit erfolgt zu 100 % des Nennbetrags pro Anleihe und hängt vom Kreditrisiko der Emittentin bzw. Garantin ab“ eine erhebliche Einschränkung der zuvor groß angepriesenen 100 %-Rückzahlung vorgenommen wird, bestätigt einerseits den irreführenden Charakter, kann andererseits aber auch wegen kaum gegebener Lesbarkeit und Widersprüchlichkeit nicht der Korrektur der ersten, irreführenden Beschreibung dienen. Dass selbst die kleingedruckte Fußnote die tatsächlichen Rückzahlungsrisiken unzureichend beschreibt – statt „Kreditrisiko“ wäre beispielsweise „Zahlungsfähigkeit am Laufzeitende“ verständlich – ist ebenfalls von Bedeutung. |
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| - Auf Seite 4 wird die bereits beschriebene Irreführung über den Charakter und das Risiko der Anleihe weiter forciert, indem als „Produktvorteil“ folgendes Merkmal aufgeführt wird: „100 % Kapitalschutz am Laufzeitende“. Hier wird positiv versprochen, dass das Kapital zum Laufzeitende bei dieser „Garant Anleihe“ - anders als bei sonstigen Anleihen – zu 100 % geschützt wäre, was jedoch in keinster Weise zutraf. Dass im Widerspruch zu dieser Aussage auch am Ende dieser Seite in der bereits beschriebenen Form dieselbe Fußnote aufgedruckt ist, vermag wegen ihrer Widersprüchlichkeit (und Kaum-Lesbarkeit) die klare, eindeutige, aber irreführende Angabe „100 % Kapitalschutz“ nicht entsprechend den Anforderungen an eine korrekte Beratung zu relativieren. |
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| - An der bisherigen Bewertung vermag schließlich auch das Kapitel „Produktrisiken“ auf Seite 6 nichts mehr zu ändern. Der „100 % Kapitalschutz“ zum Laufzeitende wird hier lediglich ansatzweise, selbst insoweit aber auch in unauflösbarem Widerspruch zum angepriesenen Kapitalschutz stehend, relativiert, dass hier im Abschnitt „Kreditrisiko“ aufgeführt ist, dass der Anleger das Kreditrisiko der Emittentin der Lehmann Brothers Treasury Co. B. V. bzw. der Garantin, der Lehman Brothers Holding Inc. Trage. Von Kapitalverlust, Zahlungsunfähigkeit oder gar Totalverlust ist nicht die Rede. Es bleibt insgesamt der bewusst und in Abgrenzung zum üblichen Anleihe-Risiko erzeugte Eindruck von Sicherheit und Kapitalschutz im Vordergrund bestehen. |
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| Soweit sich die Klägerin auf eine unvollständige Aufklärung über etwaige weitere Provisionen, Innenprovisionen oder Verdienste der Beklagten aus ihrem Verhältnis zur Emittentin stützt, kann dem nicht gefolgt werden. Der Klägerin wurden transparent 0,5 %, d.h. 50 EUR, als Provision berechnet. Der weitere Vortrag der Klägerin zu einer etwaigen weiteren Provision, insbesondere im Hinblick auf etwaige hinweispflichtige Rückvergütungen oder Ankaufdifferenzen ist unsubstantiiert, ohne tatsächliche Anhaltspunkte und nicht bewiesen. Zwar ist im Prospekt ausgeführt, dass ein Vertreiber der Anleihe diese entweder zum Nominal-Ausgabekurs oder zu einem reduzierten Ausgabekurs erwerben kann. Hier erfolgte der Erwerb jedoch erst nach Zeichnungsschluss. Die Beklagte hat auch nicht Anleihen aus eigenem Bestand veräußert; sie hat vielmehr, durch die Urkunde B 7 (Bl. 80 f) nachgewiesen, dass sie die Anleihe außerbörslich (Kommissionshandel XETRA) konkret für die Klägerin und auf deren Order hin für diese beschafft hat. Weitere Provisionen oder Vergütungen sind danach weder ersichtlich noch bewiesen. |
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| Es ist zu vermuten, dass ohne die irreführenden und beschönigenden Prospektangaben die Klägerin angesichts ihrer vorhandenen und geäußerten Bedenken im Hinblick auf die Finanzmarktsituation in den USA nicht getätigt hätte. |
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| Die Beklagte ist danach wegen fehlerhafter Beratung zum Schadensersatz verpflichtet. Der Schadensersatz besteht in der Rückzahlung des investierten Kapitals, Zug um Zug gegen Übereignung der Anleihe. Bis zum Verzugsbeginn besteht der Zinsschaden allerdings nicht in unsubstantiierten 4 %, sondern nur in 3,35 %, nachdem die Klägerin nicht dargelegt hat, dass sie für eine nach ihrem Vortrag kurzfristige sichere Anlage bis zur Verwendung für Hausreparaturen mehr Zinsen erhalten hätte, als auf ihrem Sparkassen-Geldmarktkonto. |
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| Dadurch würde die Klägerin so gestellt, wie wenn es nicht zum Kauf gekommen wäre. |
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| Die Klägerin hat sich jedoch ein Mitverschulden zuzurechnen lassen, das hinsichtlich seiner Gewichtung dem Verschulden der Beklagten entspricht. |
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| Der Klägerin war die allgemeine Finanzmarktkrise – wie oben dargestellt – bekannt. |
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| Ihr war auch bekannt, dass zu dieser Zeit eine sichere, abgesicherte inländische Anlage nur die Hälfte der streitgegenständlichen Rendite versprach. Sie war, nachdem sie sich nicht für die Überweisung des gesamten fälligen Betrags auf ihr Geldmarktkonto entschieden hatte, gewillt, für eine Verdoppelung ihrer Rendite gegenüber ihrem Geldmarktkonto ein eben auch deutlich höheres Risiko einzugehen, das sich dann schon wenige Wochen später verwirklicht hat. |
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| Schon aufgrund der fast doppelt so hohen Rendite gegenüber gesicherten inländischen Sparanlagen hätte sich der Klägerin angesichts auch ihrer Depoterfahrung aufdrängen müssen, dass hier ein erheblich höheres Risiko vorhanden war. Es war kein anderer Grund ersichtlich, warum ansonsten eine für den Zeichnungszeitraum derart hohe Rendite versprochen werden sollte. |
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| Letztlich hat die Klägerin unter Zurückstellung all dieser ihr bekannter Punkte, die auf ein hohes Risiko hindeuteten, die Anlage leichtfertig getätigt. Sie wusste, dass mit ihrem Geldmarktkonto eine sichere Alternative gegeben war, allerdings nur mit einer in diesem Sicherheitsbereich deutlich niedrigeren Verzinsung. |
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| Bei dieser Sachlage hätte sie die Versprechungen des Prospekts konkret hinterfragen und um Klarstellung und weitere Aufklärung bitten müssen. Entsprechendes Handeln hat sie aber nicht bewiesen. |
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| Auch ihr erneutes eigenes Misstrauen in die amerikanische Wirtschaft hat die Klägerin einige Tage nach dem Kauf, am 12. September 2008, im Gespräch mit dem Zeugen nicht veranlasst, zu hoher Sicherheit bei allerdings nur halber Rendite zurückzukehren und sich von dieser Anleihe wieder zu trennen. |
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| Bei Abwägung des Verschuldens der Beklagten und des Mitverschuldens der Klägerin erschien eine hälftige Schadensteilung angemessen. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. |
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