Landgericht Magdeburg Beschluss, 20. Juni 2018 - 25 Qs 767 Js 8294/18 (56/18), 25 Qs 56/18

ECLI:ECLI:DE:LGMAGDE:2018:0620.25QS767JS8294.18.00
bei uns veröffentlicht am20.06.2018

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 15. Mai 2018 (Az.: 18 Ds 767 Js 8294/18 – 80/18), mit dem es abgelehnt wurde, Rechtsanwalt F gemäß § 141 Abs. 2 StPO zum Pflichtverteidiger zu bestellen,aufgehoben.

Dem Angeklagten wird

Rechtsanwalt Jan-Robert F,

S 14, _______ B,

als notwendiger Verteidiger des Angeklagten bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

1

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat am 11. April 2018 Anklage zum Strafrichter des Amtsgerichts Magdeburg gegen den Angeklagten erhoben, wobei ihm zur Last gelegt wird, eine Nötigung sowie eine Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, begangen am 29. Juni 2017 zum Nachteil des Philipp R, begangen zu haben.

2

Das Amtsgericht hat diese Anklage mit Beschluss vom 02. Mai 2018 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der Strafrichterin eröffnet.

3

Am 02. Mai 2018 hat der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwalt F aus B als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen.

4

Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Magdeburg hat das Amtsgericht Magdeburg diesen Antrag mit Beschluss vom 15. Mai 2018 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass weder eine schwierige Sach- und Rechtslage vorliege noch eine Strafe zu erwarten sei, die die Beiordnung eines Pflichtverteidigers rechtfertige.

5

Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger für den Angeklagten am 06. Juni 2018 Beschwerde eingelegt, die damit begründet wurde, dass nicht wegen der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, jedoch wegen der Schwierigkeit der Sachlage.

6

Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich Zeugen den am wenigsten "unähnlichen" Beteiligten einer Freundesgruppe auf "Facebook" ausgesucht hätten und diesen dann als vermeintlich Verantwortlichen zur Rechenschaft hätten ziehen wollen. Es liege deshalb eine unzulässige Wahllichtbildvorlage vor, deren Aussagekraft für die Frage des Wiedererkennens gegen Null gehe. Ferner werden Ausführungen zur Auswahl der den Zeugen R und S vorgelegten Lichtbilder im Rahmen der Wahllichtbildvorlage gemacht. Zudem habe der Geschädigte zunächst einen anderen Vor- und Nachnamen für den Tatverdächtigen genannt. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf Bl. 111, 112 d.A. Bezug genommen.

II.

7

Die zulässige Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

8

Die Voraussetzungen für die Bestellung von Rechtsanwalt F als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO liegen vor. Gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

9

Ersichtlich liegt hier die Schwere der Tat im Sinne von § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht vor. Jedoch ist eine schwierige Sachlage insofern gegeben, worauf der Angeklagte zutreffend über seinen Verteidiger verweist, als der Geschädigte Philipp R sowie seine Freundin Juliane S im Rahmen ihrer Zeugenvernehmungen vom 28. Juli 2017 bzw. 08. August 2017 angegeben haben, sie hätten den Angeklagten auf der "Facebook"-Seite eines Freundes wiedererkannt. Erst sodann ist eine polizeiliche Wahllichtbildvorlage am 15. August 2017 mit R und S erfolgt, in deren Rahmen sie erneut den Angeklagten wiedererkannt haben. Zutreffend weist der Verteidiger für den Angeklagten darauf hin, dass eine solche gewissermaßen zweite Wiedererkennung durch einen Zeugen insofern problembehaftet ist, als der Zeuge womöglich nicht den vermeintlichen Täter selbst wiedererkennt, sondern lediglich die Person, die er im Rahmen der erstmaligen Wiedererkennung – in diesem Fall auf "Facebook" – erkannt hat.

10

Gegenwärtig teilt die Kammer zwar die Bedenken des Angeklagten hinsichtlich der Auswahl der im Rahmen der Wahllichtbildvorlagen verwendeten Lichtbilder nicht. Gleichwohl stellt sich die Sachlage aufgrund der vorherigen Wiedererkennung auf dem Portal "Facebook" als schwierig dar. Daher bedarf der Angeklagte zur adäquaten Verteidigung eines Pflichtverteidigers. Somit war der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 15. Mai 2018 aufzuheben und Rechtsanwalt Jan-Robert F, B antragsgemäß als notwendiger Verteidiger des Angeklagten zu bestellen.

III.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Landgericht Magdeburg Beschluss, 20. Juni 2018 - 25 Qs 767 Js 8294/18 (56/18), 25 Qs 56/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landgericht Magdeburg Beschluss, 20. Juni 2018 - 25 Qs 767 Js 8294/18 (56/18), 25 Qs 56/18

Referenzen - Gesetze

Landgericht Magdeburg Beschluss, 20. Juni 2018 - 25 Qs 767 Js 8294/18 (56/18), 25 Qs 56/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 140 Notwendige Verteidigung


(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Strafprozeßordnung - StPO | § 141 Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers


(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be

Referenzen

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.