Landgericht Köln Beschluss, 07. Juli 2016 - 105 Qs 165/16
Tenor
1) Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln vom 23.06.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 17.06.2016 (503 Gs 1087/16) aufgehoben.
2) Es wird die Beschlagnahme der Krankenunterlagen und Pflegeunterlagen einschließlich sämtlicher Befunde (auch Röntgen, Ultraschall, EKG-Aufzeichnungen, MRT-Protokolle, etwaiger Operationsberichte, Anästhesieprotokolle)
der gesondert verfolgten L, geborene N, geboren am 05.06.1970 in Köln, wohnhaft: Im O-Straße, 50226 Frechen
bei dem Beschuldigten
Dr. I
G-Straße
50226 Frechen
angeordnet.
Durch die freiwillige Herausgabe der Gegenstände kann die Beschlagnahme abgewendet werden. Die Abwendung der Beschlagnahme durch Herausgabe von Fotokopien ist nur dann möglich, wenn die Unterlagen nicht mehr im Original vorhanden sind.
Soweit im Rahmen einer elektronischen Datenverarbeitung Unterlagen, die der Beschlagnahme unterliegen, in Computern oder ähnlichem gespeichert, verwaltet oder verarbeitet werden, wird die Beschlagnahme der EDV-Anlage (insbesondere des Rechners, externer Festplatten, Disketten, CD-ROMs und anderer Speichermedien) sowie der Softwareträger des angewandten Programms angeordnet, soweit dies zur Auswertung der Unterlagen erforderlich ist.
1
Gründe:
2Die zulässige Beschwerde ist begründet.
3Der für die beantragte Beschlagnahme gemäß § 98 StPO i.V.m. § 94 Abs. 2 StPO erforderliche Anfangsverdacht für eine Strafbarkeit wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 StGB liegt vor.
4Die gesondert verfolgte L, Patientin des Beschuldigten, litt unter einem sogenannten primären Immunmangelsyndrom. Auf Veranlassung des Beschuldigten stellte sie sich bei dem Priv.-Doz. Dr. Y vor, der sie letztmalige am 24.03.1992 untersuchte. Aufgrund eines gefälschten Schreibens der gesondert Verfolgten verordnete der Beschuldigte ab spätestens 2006 – 2013 der gesondert Verfolgten das Immunpräparat Gamunex, ohne jeweils selbst eine Diagnose/Untersuchung über die Notwendigkeit der Verordnung des Medikaments getroffen zu haben. Auch untersuchte er die gesondert verfolgte L im gesamten Zeitraum kein einziges Mal zwecks Überprüfung des igG-Serum-Talspiegels; noch im Hinblick auf die weitere Notwendigkeit bzw. des (Nicht-) Erfolges der Therapie mit dem Medikament. Vielmehr erhielt sie die Rezepte auf telefonische "Bestellung" bei den Sprechstundengehilfinnen des Beschuldigten. Zum Schluss steigerten sich die Verordnungen des Medikamentes von anfangs monatlich auf mitunter wöchentliche Verordnungen.
5Tatsächlich unterließ die gesondert Verfolgte ab einem bestimmten Zeitpunkt die Einnahme des Präparates, versah die Rezepte mit Stempel und Unterschrift der Apotheke und reichte die so angefertigten (Rechnungsfälschungen) bei der Beihilfekasse der Stadt Köln ein. Die gesondert Verfolgte erlangte insgesamt einen Vermögensvorteil in Höhe von über 2.000.000,00 €.
6Im Einzelnen handelte es sich dabei um 53 im Zeitraum vom 27.06.2011 bis zum 27.11.2013 von dem Beschuldigten für die gesondert Verfolgte ausgestellte Rezepte mit dem Inhalt: Gamunex 10% 200 ml, IFL 1 St, N1, C GmbH Leverku 14 Op, Diagnose: AK-Mangelsyndrom.
7Bei den durch den Beschuldigten ausgestellten Rezepten handelt es sich um Gesundheitszeugnisse im Sinne von § 278 StGB.
8Gesundheitszeugnisse sind körperliche oder elektronisch fixierte Aussagen über die körperliche oder psychische Gesundheit oder Krankheit eines Menschen (vgl. Fischer, 63. Auflage 2016, § 277 Rn. 3). Nach dem Schutzzweck des § 278 StGB sind davon auch Rezepte erfasst. Denn die Vorschrift will die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse sichern, die zum Gebrauch bei Behörden oder Versicherungsgesellschaften bestimmt sind – bei Einrichtungen, die zum eigenen Vorteil zu täuschen eine gewisse Neigung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1957 – 1 StR 333/56 – juris). Bei einem Rezept handelt es sich nicht lediglich um eine formelle, schriftliche Aufforderung eines Arztes an die Apotheke zu einer Belieferung mit Arznei- oder Heilmitteln. Vielmehr enthält es auch eine Anweisung an die Beihilfestelle, die für das verschriebene Medikament entstandenen Kosten zu erstatten, ohne dass für diese eine eigene medizinische Prüfungsmöglichkeit besteht. Somit enthält ein Rezept gesundheitsrelevante Daten, die für die Entscheidung der Beihilfestelle von Bedeutung sind. Darüber hinaus enthalten die fraglichen Rezepte im vorliegenden Fall sogar die Angabe der Diagnose „AK-Mangelsyndrom“ und damit ein konkrete Aussage über eine bei der gesondert Verfolgten bestehende Erkrankung.
9Eine Anhörung des Beschuldigten ist gemäß § 33 Abs. 4 StPO entbehrlich, da diese den Zweck der Anordnung gefährden würde. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gehören bei der gegebenen Sachlage – dem Erfolg des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft – zu den Verfahrenskosten.
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Referenzen - Gesetze
(1) Beschlagnahmen dürfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Die Beschlagnahme nach § 97 Abs. 5 Satz 2 in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt darf nur durch das Gericht angeordnet werden.
(2) Der Beamte, der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Bestätigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener Angehöriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrücklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen. Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich nach § 162. Der Betroffene kann den Antrag auch bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat; dieses leitet den Antrag dem zuständigen Gericht zu. Der Betroffene ist über seine Rechte zu belehren.
(3) Ist nach erhobener öffentlicher Klage die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder eine ihrer Ermittlungspersonen erfolgt, so ist binnen drei Tagen dem Gericht von der Beschlagnahme Anzeige zu machen; die beschlagnahmten Gegenstände sind ihm zur Verfügung zu stellen.
(4) Wird eine Beschlagnahme in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Beschlagnahme in Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.
(1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.
(2) Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Führerscheine, die der Einziehung unterliegen.
(4) Die Herausgabe beweglicher Sachen richtet sich nach den §§ 111n und 111o.
(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von unrichtigem Ausstellen von Gesundheitszeugnissen verbunden hat, Impfnachweise oder Testzertifikate betreffend übertragbare Krankheiten unrichtig ausstellt.
(1) Eine Entscheidung des Gerichts, die im Laufe einer Hauptverhandlung ergeht, wird nach Anhörung der Beteiligten erlassen.
(2) Eine Entscheidung des Gerichts, die außerhalb einer Hauptverhandlung ergeht, wird nach schriftlicher oder mündlicher Erklärung der Staatsanwaltschaft erlassen.
(3) Bei einer in Absatz 2 bezeichneten Entscheidung ist ein anderer Beteiligter zu hören, bevor zu seinem Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse, zu denen er noch nicht gehört worden ist, verwertet werden.
(4) Bei Anordnung der Untersuchungshaft, der Beschlagnahme oder anderer Maßnahmen ist Absatz 3 nicht anzuwenden, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde. Vorschriften, welche die Anhörung der Beteiligten besonders regeln, werden durch Absatz 3 nicht berührt.