Landgericht Kiel Beschluss, 29. Juli 2014 - 2 Qs 41/14

ECLI: ECLI:DE:LGKIEL:2014:0729.2QS41.14.0A
published on 29/07/2014 00:00
Landgericht Kiel Beschluss, 29. Juli 2014 - 2 Qs 41/14
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Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Verurteilten wird für das Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung Rechtsanwalt M. aus xxx beigeordnet.

Die Landeskasse trägt die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Dem Verurteilten ist entsprechend § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt M. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

2

Im Vollstreckungsverfahren findet § 140 Abs. 2 StPO nach einhelliger Auffassung entsprechend Anwendung. Hiernach ist dem Verurteilten ein Verteidiger beizuordnen, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage dies gebietet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, § 140 Rn. 33).

3

Die Voraussetzungen liegen vor. Im vorliegenden Verfahren geht es um den Widerruf der Strafaussetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren. Darüber hinaus droht dem Verurteilten in zwei weiteren Verfahren der Widerruf der Strafaussetzung. Im Verfahren 51 Ls 7/08 ist eine restliche Gesamtfreiheitsstrafe von 696 Tagen, im Verfahren 51 Ls 54/05 eine restliche Jugendstrafe von 131 Tagen offen, so dass es insgesamt um einen Freiheitsentzug von rund 4 Jahren und 3 Monaten geht. Zwar mag die Höhe der drohenden Strafe für sich genommen nicht immer ausreichend für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sein. Sie ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten ist.

4

Im Erkenntnisverfahren darf nach einhelliger Auffassung jedenfalls eine Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers verhängt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 23 m. w. N.). Zwar sind die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verteidigers im Vollstreckungsverfahren enger auszulegen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 33). Der Widerruf der drei Bewährungsstrafen kann hier allerdings zu einem mehr als doppelt so langen Freiheitsentzug führen.

5

Ist die zu erwartende Rechtsfolge damit für sich genommen schon einschneidend, kommt erschwerend hinzu, dass die zu beantwortende Frage, ob die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB bzw. des § 26 Abs. 1 Nr. 2 JGG vorliegen, in der Praxis häufig problematisch ist (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 56 f. Rn. 11 a). Ob trotz der im Raume stehenden Weisungsverstöße eine Korrektur der vorzunehmenden Prognose der Gefahr erneuter Straffälligkeit möglich bzw. geboten ist, bedarf einer umfassenden Prüfung. Die Beurteilung, ob die hier geltenden Voraussetzungen vorliegen, ist dem Verurteilten jedoch nicht möglich. Nicht zuletzt gebietet das verfassungsrechtlich geschützte Gebot des fairen Verfahrens, dass der Verurteilte in der ihm zustehenden Weise Einfluss auf den Verfahrensgang nehmen kann. Hierzu benötigt er einen Verteidiger, denn insbesondere die einschlägige Rechtsprechung wird ihm nicht bekannt sein.

6

Des Weiteren ist auch die jahrelange Drogenabhängigkeit des Verurteilten zu berücksichtigen, die eine umfassende Betrachtung und Bewertung seiner Entwicklung und seines Verhaltens während der Bewährungszeit erforderlich macht und gerade deshalb für den Verurteilten eine besondere Schwierigkeit begründet.

7

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.


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(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn 1. zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last g

Annotations

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

(1) Das Gericht widerruft die Aussetzung der Jugendstrafe, wenn der Jugendliche

1.
in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,
2.
gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlaß zu der Besorgnis gibt, daß er erneut Straftaten begehen wird, oder
3.
gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn die Tat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft begangen worden ist. Wurde die Jugendstrafe nachträglich durch Beschluss ausgesetzt, ist auch § 57 Absatz 5 Satz 2 des Strafgesetzbuches entsprechend anzuwenden.

(2) Das Gericht sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht,

1.
weitere Weisungen oder Auflagen zu erteilen,
2.
die Bewährungs- oder Unterstellungszeit bis zu einem Höchstmaß von vier Jahren zu verlängern oder
3.
den Jugendlichen vor Ablauf der Bewährungszeit erneut einem Bewährungshelfer zu unterstellen.

(3) Leistungen, die der Jugendliche zur Erfüllung von Weisungen, Auflagen, Zusagen oder Anerbieten (§ 23) erbracht hat, werden nicht erstattet. Das Gericht kann jedoch, wenn es die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die der Jugendliche zur Erfüllung von Auflagen oder entsprechenden Anerbieten erbracht hat, auf die Jugendstrafe anrechnen. Jugendarrest, der nach § 16a verhängt wurde, wird in dem Umfang, in dem er verbüßt wurde, auf die Jugendstrafe angerechnet.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.