Landgericht Kiel Beschluss, 26. März 2008 - 1 S 48/08

Gericht
Tenor
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 5. Februar 2008 wird einstweilen eingestellt.
Gründe
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Gemäß den §§ 707, 719 ZPO kann das Berufungsgericht die Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbares Urteil Berufung eingelegt wird. Die Entscheidung setzt eine Abwägung zwischen den Interessen des Gläubigers (Klägers) und der Schuldnerin (Beklagten) voraus, bei der zum einen die Folgen der Vollstreckung für den Schuldner gegen die Folgen der Einstellung für den Gläubiger abzuwägen sind, zum anderen die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels insofern eine Rolle spielen, als die Einstellung um so näher liegt, je größer die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels erscheinen. Denn die Interessen des Gläubigers an einer vorläufigen Vollstreckung eines Urteils, das voraussichtlich aufgehoben wird, sind regelmäßig gering anzusetzen.
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Gemessen an diesen Grundsätzen war die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Folge der Vollstreckung wäre für die Beklagte der Verlust der von ihr genutzten Wohnung, was regelmäßig mit erheblichen Härten verbunden ist. Würde das Urteil aufgehoben, dann wäre diese Folge nur schwer rückgängig zu machen. Demgegenüber ist das Interesse des Klägers, schon vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens eine größere als die von ihm zur Zeit genutzte Wohnung zu erhalten, geringer zu bewerten. Ihm ist es zuzumuten, die voraussichtlich wenigen Monate bis zum Abschluss des Verfahrens zuzuwarten.
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Das gilt um so mehr, als die Berufung nach derzeitigem Stand voraussichtlich Erfolg haben wird, weil die Kündigung des Mietverhältnisses unwirksam ist.
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Es mag zwar sein, dass der Eigenbedarf des Klägers, der in einer größeren Wohnung wohnen, seinen Kindern dort eine Übernachtungsmöglichkeit schaffen und den Garten nutzen will, tatsächlich besteht. Allerdings ist der Kläger derzeit gehindert, diesen Eigenbedarf, der aus seinem Auszug aus der vermieteten Wohnung nach Beendigung der Lebensgemeinschaft resultiert, zur Grundlage einer Kündigung zu machen. Der Bedarf an der Wohnung bestand nämlich schon bei Abschluss des Mietvertrages, was sich daran zeigt, dass der Kläger diese Wohnung dort gemeinsam mit der Beklagten wohnte.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Eigenbedarfskündigung aus Gründen, die schon bei Abschluss des Mietvertrags absehbar waren, in den ersten fünf Jahren nach Abschluss des Mietvertrages ausgeschlossen ist (LG Berlin NZM 1998, 433; LG Gießen WuM 1996, 416; LG Hamburg WuM 1993, 677; Schmidt-Futterer- Blank , Mietrecht, 9. Aufl. 2007, § 573 Rn. 133). Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der Vermieter die Gründe, die ihn an der Durchsetzung seines Selbstnutzungswunsches hindern, in zurechenbarer Weise selbst gesetzt hat (BVerfG WuM 1994, 132; BVerfGE 79, 292).
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Diese Grundsätze sind auch hier anzuwenden, denn der Mietvertrag ist lediglich rund 14 Monate vor der Kündigung abgeschlossen worden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt absehbar war, dass die Parteien ihre Lebensgemeinschaft beenden würden. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger mit der Vermietung der gemeinsam zu nutzenden Wohnung an seine Lebensgefährtin deutlich gemacht hat, dass die Nutzung der Wohnung durch die Lebensgefährtin gerade nicht vom Bestand der Lebensgemeinschaft abhängen sollte; vielmehr sollte die Mitnutzung durch ihn vom Bestand der Lebensgemeinschaft abhängen. Eine gemeinsame Nutzung durch den Eigentümer und seine Lebensgefährtin erfolgt nämlich gewöhnlich in der Weise, dass der Eigentümer die Wohnung als Eigentümer selbst nutzt und seiner Lebensgefährtin ohne Mietvertrag die Mitnutzung gestattet. Dann ist das Mitnutzungsrecht der Lebensgefährtin regelmäßig vom Bestand der Lebensgemeinschaft abhängig.
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Hier ist der Kläger hingegen den umgekehrten Weg gegangen: Durch die Vermietung hat er das alleinige Nutzungsrecht auf die Beklagte übertragen, die wiederum ihm die Mitnutzung gestattet hat. Diese Konstruktion zeigt, dass die Beklagte hinsichtlich der Nutzung der Wohnung abgesichert werden sollte.
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Hat der Kläger durch den Abschluss des Mietvertrags aber deutlich gemacht, dass die Nutzung seiner Wohnung durch die Beklagte gerade nicht vom Bestand der Lebensgemeinschaft abhängen sollte, so ist es ihm verwehrt, dieses Ergebnis nunmehr nach nur rund 14 Monaten durch eine Eigenbedarfskündigung wieder rückgängig zu machen.

Annotations
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.