Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 81.360,45 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der I. I. S.- und K. P. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin). Er macht gegen die Beklagte nach erfolgter Insolvenzanfechtung eine Rückgewährforderung geltend.

2

Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist mit Beschluss des Amtsgerichts H. vom 09.03.2011 (Anlage K 1) das Insolvenzverfahren eröffnet und zugleich der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Dem Beschluss lag ein Insolvenzeröffnungsantrag der T. Krankenkasse vom 28.01.2011, eingegangen bei Gericht am 01.02.2011, zugrunde.

3

Die Insolvenzschuldnerin war verpflichtet, für bei ihr beschäftigte Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte, die BKK G. bzw. die H. M. Krankenkasse abzuführen. Die Beklagte ist die Rechtsnachfolgerin der BKK G. und seit 01.01.2010 Rechtsnachfolgerin der H. M. Krankenkasse.

4

Die Insolvenzschuldnerin erbrachte in den Jahren 2007 bis 2010 die nachfolgenden Zahlungen in Höhe von insgesamt € 81.360,45, davon Zahlungen in Höhe von € 31.088,83 an die Beklagte, € 30.712,98 an die BKK G. und € 19.559,14 an die H. M. Krankenkasse:

5

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin zu Lasten
des bei der H. Sparkasse geführten Geschäftskontos
an die Beklagte

19. November 2009  

72,90 €

        

        

18. Januar 2010

905,99 €

        

        

6. Mai 2010

1.442,72 €

        

        

Zwischensumme

        

   2.421,61 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin zu Lasten
des Geschäftskontos bei der D. Bank AG
an die Beklagte

11. Mai 2009

1.532,74 €

        

        

10. Juni 2009

1.491,53 €

        

        

8. Juli 2009

1.579,44 €

        

        

19. Januar 2010

1.988,60 €

        

        

10. März 2010

2.513,36 €

        

        

13. April 2010

3.617,13 €

        

        

10. Juni 2010

1.515,23 €

        

        

09. Jul 10

2.111,05 €

        

        

10. Aug 10

1.382,56 €

        

        

Zwischensumme

        

17.731,64 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin
an das Hauptzollamt H. auf Forderungen
der Beklagten

17. August 2009

1.637,30 €

        

        

14. Oktober 2009

1.565,50 €

        

        

16. Dezember 2009

1.435,14 €

        

        

14. Januar 2010

1.073,11 €

        

        

24. Feb 10

932,70 €

        

        

24. Feb 10

2.349,71 €

        

        

7. Mai 2010

1.941,62 €

        

        

        

        

10.935,08 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin z.L.
des bei der H. Sparkasse geführten Geschäftskontos
an die BKK G.

10. Januar 2008

1.020,40 €

        

        

15. Februar 2008

1.129,31 €

        

        

21. Feb 08

40,60 €

        

        

25. Feb 08

24,30 €

        

        

10. März 2008

741,92 €

        

        

17. März 2008

166,20 €

        

        

27. Mrz 08

967,96 €

        

        

15. Mai 2008

1.141,69 €

        

        

6. Juni 2008

920,51 €

        

        

4. Juli 2008

994,40 €

        

        

23. Sep 08

10,80 €

        

        

11. November 2008

737,18 €

        

        

10. Dezember 2008

1.061,01 €

        

        

12. Januar 2009

1.135,87 €

        

        

20. Januar 2009

16,30 €

        

        

17. März 2009

1.107,02 €

        

        

8. April 2009

813,53 €

        

        

12. Mai 2009

736,04 €

        

        

27. Juli 2009

1.040,81 €

        

        

18. August 2009

667,83 €

        

        

2. Dezember 2009

1.074,81 €

        

        

5. Januar 2010

788,72 €

        

        

20. Januar 2010

7,00 €

        

        

16. April 2010

1,80 €

        

        

7. Juni 2010

1.393,12 €

        

        

4. August 2010

6,00 €

        

        

        

        

17.745,13 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin z.L.
des Geschäftskontos bei der D. Bank AG
an die BKK G.

7. August 2008

985,37 €

        

        

9. September 2008

1.080,90 €

        

        

10. Oktober 2008

791,45 €

        

        

10. Februar 2009

923,76 €

        

        

16. April 2009

8,80 €

        

        

8. Juli 2009

1.150,20 €

        

        

11. September 2009

755,67 €

        

        

15. Oktober 2009

10,00 €

        

        

23 Oktober 2009

948,67 €

        

        

22. Dezember 2009

966,26

        

        

9. Februar 2010

721,88 €

        

        

15. Februar 2010

38,48 €

        

        

10. März 2010

866,66 €

        

        

13. April 2010

1.114,72 €

        

        

6. Mai 2010

1.003,70 €

        

        

9. Juli 2010

1.601,33 €

        

        

        

        

12.967,85 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin z.L.
des bei der H. Sparkasse geführten Geschäftskontos
an die H. M. Krankenkasse

14. Oktober 2007

815,51 €

        

        

14. November 2007

815,51 €

        

        

7. Dezember 2007

815,51 €

        

        

9. Juli 2008

912,78 €

        

        

13. August 2008

78,00 €

        

        

23. Sep 08

78,50 €

        

        

11. November 2008

992,88 €

        

        

10. Dezember 2008

944,88 €

        

        

12. Januar 2009

935,88 €

        

        

16. Januar 2009

9,00 €

        

        

17. März 2009

929,28 €

        

        

5. Mai 2009

921,08 €

        

        

9. November 2009

923,70 €

        

        

14. Dezember 2009

900,90 €

        

        

        

        

10.073,41 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin z.L.
des Geschäftskontos bei der D. Bank AG
an die H. M. Krankenkasse

23. Juni 2008

912,78 €

        

        

8. August 2008

594,18 €

        

        

9. September 2008

935,88 €

        

        

10. Oktober 2008

993,38 €

        

        

10. März 2009

1.361,20 €

        

        

10. Juni 2009

930,08 €

        

        

9. Juli 2009

964,38 €

        

        

11. August 2009

937,45 €

        

        

8. Oktober 2009

923,70 €

        

        

        

        

8.553,03 €

        

Zahlungen der Insolvenzschuldnerin
an das Hauptzollamt H. auf Forderungen
der H. M. Krankenkasse

18. Februar 2010

932,70 €

        

        

6

Wegen der Einzelheiten der Daten und Verwendungszwecke der Zahlungen wird auf die tabellarische Darstellung auf den Seiten 5-8 der Klageschrift vom 29. Januar 2015 Bezug genommen.

7

Die Insolvenzschuldnerin zahlte ihre Monatsbeiträge an die BKK G. im Zeitraum Januar bis Oktober 2007 mit einer Verspätung von 2-3 Wochen. Der Beitrag für den Monat November 2007 wurde erst aufgrund einer Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 02.01.2008 durch die H. Sparkasse als Drittschuldnerin einer Kontenpfändung am 08.01.2008 gezahlt.

8

Mit der H. M. Krankenkasse traf die Insolvenzschuldnerin mit Korrespondenz vom 24./25. September 2007 (Anlage K11, K12) eine Ratenzahlungsvereinbarung für die Beitragsmonate August 2007 und September 2007. Die Insolvenzschuldnerin zahlte drei Raten am 14.10.2007, 14.11.2007 und 07.12.2007, jedoch nicht den laufenden Monatsbeitrag Oktober 2007. Daraufhin widerrief die H. M. Krankenkasse die Ratenzahlungsvereinbarung mit Schreiben vom 29.11.2007 (Anlage K 13).

9

Die Insolvenzschuldnerin geriet im Jahr 2009 mit der Zahlung der Beiträge an die Beklagte in einen Rückstand von jeweils ca. 3 Wochen. Die Beklagte erließ monatliche Vollstreckungsanordnungen, daraufhin wurde der ausstehende Monatsbeitrag bezahlt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Tabelle auf Seite 13/14 der Klageschrift verwiesen. Mit Schreiben vom 23.09.2010 (Anlage K8) teilte das Hauptzollamt H. der Beklagten mit, dass fruchtlos gepfändet worden ist.

10

Der Kläger behauptet, sämtliche Zahlungen stellten Rechtshandlungen der Insolvenzschuldnerin dar und minderten die Aktivmasse zum Nachteil der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger. In den Fällen von Barzahlungen an das Hauptzollamt habe der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, der Zeuge O., den zu vollstreckenden Betrag nach Absprache mit dem Vollstreckungsbeamten bereitgestellt (Quittungen in Anlage K4), der Zeuge O. habe die Kasse auf Ankündigung des Vollstreckungsbeamten aufgefüllt und glatte Beträge, die im laufenden Geschäftsbetrieb nicht in der Kasse der Insolvenzschuldnerin vorhanden seien, für den Vollstreckungsbeamten bereitgehalten (Stellungnahme des Zeugen O., Anlage K5).

11

Die Insolvenzschuldnerin habe mit Vorsatz zur Benachteiligung der Insolvenzgläubiger gehandelt, denn sie habe gewusst, dass sie drohend zahlungsunfähig und überschuldet sei.

12

Die Insolvenzschuldnerin sei zur Zeit jeder einzelnen angefochtenen Zahlung zahlungsunfähig gewesen, weil sich aus den Rückständen hinsichtlich der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern eine Zahlungseinstellung ergebe. Die Insolvenzschuldnerin sei zudem überschuldet gewesen, dies ergebe sich aus der Bilanz auf den 31. Dezember 2004 (Anlage K 35), dem vorläufigen Abschluss auf den 31. Oktober 2006 (Anlage K36) und dem Jahresabschluss auf den am 31. Dezember 2007 (Anlage K 37).

13

Die Beklagte, die BKK G. bzw. die H. M. Krankenkasse hätten zum Zeitpunkt der ersten angefochtenen Zahlung Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin gehabt, weil das schleppende Zahlungsverhalten und die Vielzahl der Mahnungen und Vollstreckungsanordnungen diesen Rückschluss begründeten. Weitere Indizien ergäben sich aus dem Wortlaut der Ratenzahlungsanfrage vom 24.09.2007 (Anlage K 11) und den mündlichen Terminsabsprachen zu Bargeldübergaben des Zeugen O. an Vollziehungsbeamte des Hauptzollamts H..

14

Der Kläger beantragt nach Rücknahme des weitergehenden Zinsantrages zuletzt,

15

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 81.360,45 nebst Zinsen ab 9. März 2011 zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2016, 16. Januar 2017 und 24. Januar 2017 Bezug genommen.

19

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen P., M. und O.. Hinsichtlich der Beweisergebnisse wird auf die genannten Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

20

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von € 81.360,45 nebst Zinsen aus §§ 143 Abs. 1, 133 Abs. 1 InsO.

21

Die angefochtenen Zahlungen der Insolvenzschuldnerin erfolgten ausnahmslos außerhalb des Dreimonatszeitraums vor Eingang des Insolvenzeröffnungsantrags - am 01.02.2011 - beim Amtsgericht H.. Ihre Anfechtung bemisst sich ausschließlich nach § 133 Abs. 1 InsO.

22

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Anfechtungsnorm liegen nach dem klägerischen Vortrag aber nicht vor. Dabei kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, wann die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig geworden ist oder die Zahlungsunfähigkeit jedenfalls gedroht hat. Ebenfalls kann es auf sich beruhen, ob/wann die angefochtenen Zahlungen seitens der Insolvenzschuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erbracht worden sind.

23

Denn jedenfalls ist nicht festzustellen, dass die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen Kenntnis von einem Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin hatten. Auch die Voraussetzung des Vermutungstatbestands des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO - Kenntnis von einer bestehenden oder drohenden Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin - ist nicht ersichtlich.

1.

24

Die Beklagte kannte Indizien für eine drohende Zahlungsunfähigkeit und damit den etwaigen Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin frühestens ab 23. September 2010, dem Zeitpunkt der ersten fruchtlosen Vollstreckungsmaßnahme. Sie vereinnahmte jedoch die späteste angefochtene Zahlung bereits zuvor am 10. August 2010. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte sie keine Indizien, die den zwingenden Schluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin begründeten.

25

Im Gegenteil, die Beklagte wusste aus dem Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin seit dem Jahr 2009, dass geringfügige Beitragsrückstände von 1-2 Monatsbeiträgen bestanden und auch regelmäßig beglichen wurden, sodass der Beitragsrückstand nicht signifikant anstieg. Die Beklagte erließ ab 23.04.2009 nahezu monatlich Vollstreckungsanordnungen (Tabelle Seite 13 der Klageschrift), daraufhin zahlte die Insolvenzschuldnerin stets. Erstmals erging am 10.07.2009 eine Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamtes für die Beitragsforderung für den Beitragsmonat Mai 2009, allerdings hatte die Insolvenzschuldnerin diese Forderung bereits zwei Tage vorher, am 08.07.2009, in Höhe von € 1.579,44 zu Lasten des bei der D. Bank AG geführten Geschäftskontos an die Beklagte überwiesen. Sodann ergingen zwei Vollstreckungsankündigungen des Hauptzollamts am 27.07.2009 und 25.08.2009, sie betrafen den Beitragsmonat Juni 2009 bzw Juli 2009 und wurden durch zeitnahe Barzahlungen an das Hauptzollamt am 17.08.2009 bzw 14.10.2009 beglichen. Die anschließenden Vollstreckungsankündigungen vom 12.10.2009 und 10.11.2009 wegen der Beitragsmonate August und September 2009 ergingen, obwohl die Insolvenzschuldnerin bereits am 11.09.2009 und 23.10.2009 Überweisungen an die Beklagte geleistet hatte. Auch in der Zeit von Januar bis Mai 2010 blieben Vollstreckungsankündigungen nicht fruchtlos, sondern die Forderungen der Beklagten wurden jeweils beglichen. Ob die Beklagte aus diesen Vorgängen Kenntnis von Liquiditätsschwierigkeiten der Insolvenzschuldnerin erlangte, ist nicht mit der für eine Klagestattgabe erforderlichen Sicherheit festzustellen. Die durch den Zeugen O. glaubhaft bekundete Praxis, er habe mit dem Vollziehungsbeamten des Hauptzollamts telefonische Abreden getroffen, wann welche Beträge in der Kasse bereitzuhalten sind, und diese Absprachen sodann verlässlich eingehalten, begründet dies nicht. Der Zeuge O. schilderte die Abrechnungspraxis seines Pflegedienstunternehmens und erläuterte, dass die Krankenkassen als Schuldner seiner Pflegedienstvergütungen zuweilen verzögert zahlen, eine drohende Zahlungsunfähigkeit ergibt sich daraus indes nicht, weil er weiß, dass seine Pflegeleistungen erbracht und abgerechnet sind und täglich mit dem Eingang der Honorarzahlung zu rechnen ist. Dementsprechend schilderte der Zeuge seine Auskunft an den Vollziehungsbeamten. Erstmals am 23.09.2010 blieb ein Vollstreckungsversuch fruchtlos (Anlage K8), sodass die Beklagte am 19.10.2010 (Anlage K9) der Insolvenzschuldnerin mitteilte, dass sie nunmehr einen Insolvenzantrag vorbereite. Nach diesem ersten fruchtlos gebliebenen Vollstreckungsversuch vom 23.09.2010 liegen indes angefochtene Rechtshandlungen nicht mehr.

26

Vorher fehlt es an einer Kenntnis der Beklagten bezüglich der Liquiditätslage der Insolvenzschuldnerin aus weiteren Erkenntnisquellen als dem Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin. Stellt man auf diese Tatsachen ab, war die Insolvenzschuldnerin ab dem Jahr 2009 vorübergehend mit der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in Rückstand geraten und es bestand zu den Zeitpunkten der angefochtenen Zahlungen ein Beitragsrückstand von 1-2 Monaten. Ein solches unregelmäßiges Zahlungsverhalten stellt unter Berücksichtigung der Art der Forderung, der Person der Insolvenzschuldnerin und des Zuschnitts ihres Geschäftsbetriebes kein ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit dar. Zwar deutet nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 19. Februar 2009- IX ZR 62/08 - NJW 2009, 1202 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 16), der sich die erkennende Kammer anschließt, gerade die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die hierfür erforderlichen Geldmittel nicht vorhanden sind, auf eine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin. In Fällen einer verspäteten Zahlung wird aber angenommen, dass erst eine mehrmonatige - in der Regel halbjährige - Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Zahlungseinstellung umfassend glaubhaft macht (BGH, Urteil vom 7. November 2013- IX ZR 49/13 -, zitiert nach Juris, Rn. 13). Das war hier sicher nicht der Fall.

27

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass mehrere der Zahlungen erst erfolgten, nachdem die Beklagte Vollstreckungsanordnungen erlassen hatte. Denn es gelang der Insolvenzschuldnerin, die Vollstreckungsmaßnahmen durch Zahlungen zu bedienen, so dass es vor dem 23.09.2010 auch nicht zu fruchtlosen Vollstreckungsversuchen gekommen ist, bei denen hätte offenbar werden können, dass die Insolvenzschuldnerin es nicht nur für unbedingt nötig befunden hatte, die in der Vollstreckung befindlichen Beträge sofort vollständig aufzutreiben, sondern dass sie hierzu unter keinen Umständen in der Lage war.

28

Weitere Beweisanzeichen, welche im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung zusammen mit den Beitragsrückständen von weniger als sechs Monaten den zweifelsfreien Schluss auf eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit rechtfertigen können - etwa geplatzte Schecks, zurückgegebene Lastschriften, fruchtlose Vollstreckungsmaßnahmen, Zahlung nur auf den Arbeitnehmeranteil -, haben hier nicht vorgelegen.

2.

29

Es ist auch sicher nicht festzustellen, dass die BKK G. im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen Kenntnis einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin besaß. Die Insolvenzschuldnerin entrichtete die Beiträge an die BKK G. seit dem Jahr 2007 regelmäßig monatlich mit geringfügigen Verspätungen von nur zwei bis drei Wochen (Tabelle auf Seite 16 der Klageschrift). Die einzige Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 02.01.2008 betraf nur einen Monatsbeitrag, die soeben fällige Beitragsforderung für November 2007. Diese Kontenpfändung blieb auch nicht fruchtlos, sondern führte zu einer umgehenden Drittschuldnerzahlung der H. Sparkasse binnen 6 Tagen am 08.01.2008. Zu diesem Zeitpunkt bestand für wenige Tage ein Beitragsrückstand von 2 Monaten (November und Dezember 2007), bis die Zahlung vom 08.01.2008 einging. Die streitgegenständlichen angefochtenen Zahlungen an die BKK G. datieren sämtlich aus der Zeit zwischen dem 10.01.2008 und dem 04.08.2010. In dieser Zeit ergingen keine weiteren Pfändungs- und Überweisungsverfügungen. Vollstreckungsanordnungen und eine Einschaltung des Hauptzollamts erfolgten durch die BKK G. nicht.

3.

30

Schließlich ist auch nicht festzustellen, dass die H. M. Krankenkasse die relevante Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz besaß.

31

Soweit ersichtlich, beglich die Insolvenzschuldnerin ihre laufenden Beitragsverbindlichkeiten regelmäßig und es bestand kein Beitragsrückstand von mehr als drei Monatsbeiträgen. Die am 16.05.2006 ergangene Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamtes (Anlagenkonvolut K14) betraf zwei Beitragsmonate (Februar und März 2006), hinzu kam der bereits rückständige Beitrag für April 2006, insgesamt drei Monatsbeiträge. In der Zeit von Dezember 2006 bis Oktober 2009 ergingen keine Pfändungen und auch keine Vollstreckungsankündigungen.

32

Zwar bat die Insolvenzschuldnerin mit ihrer E-Mail vom 24. September 2007 (Anlage K11) einmalig um eine Ratenzahlungsvereinbarung für die Beitragsforderungen der Monate August 2007 und September 2007. Aber aus der unspezifischen Erklärung, es bestünden Forderungsaußenstände, sodass man um die Erlaubnis für eine dreimonatige Ratenzahlung bitte, lässt sich der Rückschluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit sicher nicht ziehen. Im Gegenteil, die Insolvenzschuldnerin kündigt an, bei Verbesserung der Finanzlage sogar weitere Teilzahlungen zu leisten. Eine solcherart vage und zugleich optimistisch formulierte Ratenzahlungsanfrage entspricht im Lichte der Beitragskontoentwicklung lediglich umsichtiger kaufmännischer Sorgfalt und wurde daher durch die H. M. Krankenkasse auch am Folgetag sogleich angenommen (Schreiben vom 25.09.2007, Anlage K12). Denn die Insolvenzschuldnerin hatte ihr Beitragskonto in der Vergangenheit durch fleißige Zahlungen immer wieder ausgeglichen. Zur Zeit der Ratenzahlungsanfrage bestand ein Rückstand von nur zwei Monatsbeiträgen (August und September 2007), die letzte Vollstreckungsankündigung vor der Ratenzahlungsanfrage lag zehn Monate zurück, sie datierte vom 22.11.2006.

33

Die Ratenzahlungen wurden vereinbarungsgemäß erbracht. Die Insolvenzschuldnerin zahlte zwei Raten am 14.10.2007 und 14.11.2007, allerdings jedoch nicht den laufenden Monatsbeitrag Oktober 2007. Daraufhin widerrief die H. M. Krankenkasse die Vereinbarung mit Schreiben vom 29.11.2007 (Anlage K 13) und forderte die Insolvenzschuldnerin zum Ausgleich des Rückstands von € 3.274,02 auf. Dieser Aufforderung kam die Insolvenzschuldnerin nach und zahlte die 3. Rate vor dem ursprünglichen Zahlungstermin (14.12.2007) bereits am 07.12.2007. Für die Beitragszahlungen bis Mai 2008 werden Verspätungen nicht behauptet, sie sind nicht Gegenstand der Anfechtung. Im Jahr 2008 erfolgten gar keine Pfändungen oder Vollstreckungsversuche, erst recht keine fruchtlosen Maßnahmen. Die Überweisungen (Tabelle Seite 8 der Klageschrift) erfolgten zeitnah und regelmäßig.

4.

34

Auch die Tatsache, dass die Insolvenzschuldnerin über einen insgesamt längeren Zeitraum ihre Sozialversicherungsbeiträge nur mit Verspätung abgeführt hat, führt zu keiner dem Kläger günstigeren Entscheidung. So hat das OLG Rostock (Urteil vom 10. Juli 2006 - 3 U 158/05 - zitiert nach juris -) im dort entschiedenen Fall nicht allein aus dem Umstand, dass über einen langen Zeitraum Sozialversicherungsbeiträge verspätet abgeführt worden waren, auf die Kenntnis der dortigen Beklagten von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der dortigen Schuldnerin geschlossen. Vielmehr kam als wesentliches Indiz hinzu, dass die dortige Schuldnerin eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der dortigen Beklagten geschlossen, diese aber nicht eingehalten hatte. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (Beschluss vom 28. Juli 2009 - 1 U 62/09 - hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Rostock (a.a.O.) nicht zu entnehmen sei, dass ein auch über einen längeren Zeitraum anhaltendes, zögerliches Beitragszahlungsverhalten allein auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Beitragsschuldners hinweist:

35

„Auch sonstige besondere Umstände, welche im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammen mit Beitragsrückständen von weniger als sechs Monaten ein negatives Urteil über die Liquiditätsgesamtlage der Schuldnerin rechtfertigen könnten, sind nicht dargetan. Der vom OLG Rostock mit Urteil vom 10. Juli 2006 (3 U 15/05, zitiert nach juris) entschiedene Fall, in dem es heißt, dass die lange Zeitdauer um jeweils einen Monat verspäteter Zahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen von eineinhalb Jahren ein hinreichendes Beweisanzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit bilde, auch wenn der Anteil der nicht befriedigten Verbindlichkeiten weit unter 10 % der Gesamtverbindlichkeiten liege (a.a.O., Rn. 25), wies weitere Besonderheiten wie eine nicht eingehaltene Ratenzahlungsvereinbarung auf (a.a.O., Rn. 30), die im vorliegenden Fall nicht gegeben sind. ...“

36

Vielmehr liegt es auf der Hand, dass der Geschäftsführer O. der Insolvenzschuldnerin - wie es der Kläger ausdrücklich auf Seite 20 der Klageschrift behauptet - in den Jahren 2006 bis August 2010 aus pragmatischen kaufmännischen Erwägungen eine systematische Verzögerung der Beitragszahlungen vornahm, um eine faktische „Stundung“ der Beitragsforderung zu erreichen und die Kreditkosten der Inanspruchnahme des Überziehungskredits auf dem Geschäftskonto zu reduzieren. Dadurch reizte der Geschäftsführer O. die Geduld der Einzugsstellen aus und verzögerte die Zahlungen jeweils bis zur Vollstreckungsankündigung. Auf die Durchführung tatsächlicher Vollstreckungsmaßnahmen ließ er es indes nicht ankommen, die Zahl der Vollstreckungsmaßnahmen ist gering, fruchtlos blieben sie erst ab September 2010, als wesentliche Veränderungen im Personal- und Patientenbestand der Insolvenzschuldnerin zu Umsatzrückgängen führten. Erst ab diesem Moment der fruchtlosen Pfändung erwog die Beklagte an die Vorbereitung eines Insolvenzantrages (Schreiben vom 19.10.2010).

II.

37

Die Nebenentscheidungen finden ihre Grundlage in §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

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Insolvenzordnung - InsO | § 143 Rechtsfolgen


(1) Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem E

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Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Az. 336 O 221/17 vom 13.02.2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 46.043,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunk

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(1) Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen.

(2) Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, daß die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.

(3) Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt.

(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.

(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.

(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 62/08 Verkündet am:
19. Februar 2009
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Weiß ein Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber in der Krise noch Zahlungen
auf rückständige Lohnforderungen erbringt, dass der Arbeitgeber außerdem
noch anderen Arbeitnehmern Lohn schuldig ist, rechtfertigt allein diese
Kenntnis nicht den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung
des Arbeitgebers.

b) Ist der Gläubiger ein Arbeitnehmer des Schuldners ohne Einblick in die Liquiditäts
- oder Zahlungslage des Unternehmens, trifft ihn in der ihm bekannten
Krise insoweit keine Erkundigungspflicht.
BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 - IX ZR 62/08 - LG Mühlhausen
AG Nordhausen
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und die
Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Dr. Fischer und Grupp

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 27. März 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Gläubigerantrag vom 2. August 2004 am 14. Oktober 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des W. S. (fortan: Schuldner). Dieser betrieb unter der Firma E. ein Unternehmen mit ca. 40 Arbeitnehmern. Der Beklagte war bei ihm bis Mitte August 2004 als Elektroinstallateur beschäftigt. Ab Herbst 2003 geriet der Schuldner mit den Lohn- und Gehaltszahlungen zunehmend in Rückstand. Spätestens ab Mai 2004 war er zahlungsunfähig. Der Beklagte erhielt den restlichen Lohn für den Monat Februar 2004 sowie anteiligen Lohn für den Monat März 2004, insgesamt 1.500 €, am 14. Mai 2004, den restlichen Lohn für März 2004 sowie Lohn für April 2004, insgesamt 2.350,03 €, am 27. Juli 2004.
2
Der Rechtsvorgänger des Klägers im Amt des Insolvenzverwalters hat beide Zahlungen vor dem Arbeitsgericht als kongruente Deckung angefochten. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, bei der Anfechtungsbefugnis handele es sich um ein mit dem Amt des Insolvenzverwalters verbundenes eigenständiges Recht. Dessen Ausübung erfolge nicht in Rechtsnachfolge des Arbeitgebers , dem ein solches Recht nie zugestanden habe, sondern ausschließlich in der Funktion des Verwalters der Gläubigerinteressen. Daraus ergebe sich die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Das Amtsgericht hat die Anfechtung der Zahlung aus Mai 2004 als unbegründet angesehen, der Klage hinsichtlich der Zahlung vom 27. Juli 2004 hingegen stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seine Klage ergänzend auf die Vorsatzanfechtung gestützt. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:


3
Die zulässige Revision ist unbegründet.

I.


4
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist der Senat an den von den Vorinstanzen angenommenen Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 17a Abs. 5 GVG gebunden (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juli 2004 - III ZB 2/04, NJW-RR 2005, 142, 143; Hk-ZPO/Rathmann, 2. Aufl. § 17a GVG Rn. 17; Zöl- ler/Lückemann, ZPO 27. Aufl. § 17a GVG Rn. 18). Er hat deshalb nicht nachzuprüfen , ob die Vorinstanzen ihre Zuständigkeit mit Recht angenommen haben.

II.


5
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der vom Kläger erhobene insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch (§ 143 InsO), soweit er auf die Zahlung des Schuldners vom 27. Juli 2004 gestützt wird. Hierzu meint das Berufungsgericht : Der Anfechtungstatbestand der kongruenten Deckung (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 InsO) liege nicht vor. Er erfordere neben den hier gegebenen objektiven Voraussetzungen, dass dem Anfechtungsgegner bei Erhalt der Leistung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bekannt gewesen sei. Unmittelbare positive Kenntnis habe der Beklagte unstreitig nicht gehabt. An einer positiven Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen ließen (§ 130 Abs. 2 InsO), fehle es ebenfalls.
6
Hierfür genüge allerdings die Kenntnis von Tatsachen, an welche die Berufs - und Geschäftskreise des Anfechtungsgegners mit ihrer Verkehrserfahrung die Erwartung knüpften, der Schuldner werde seine fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht erbringen können. Wichtiges Indiz für die Zahlungsunfähigkeit sei die Zahlungseinstellung. Sie mache die Zahlungsunfähigkeit nach außen erkennbar. Diese sei dem Anfechtungsgegner bekannt, wenn er wisse, dass ein Schuldner von seinen als fällig eingeforderten Geldschulden einen nicht unwesentlichen Teil nicht erfüllen könne und auch keine konkrete Aussicht bestehe, hierfür ausreichende Geldmittel in den nächsten drei Wochen zu erlangen.
7
Dem Beklagten seien indes bei Gesamtschau aller Umstände Ende Juli 2004 keine ausreichenden Tatsachen bekannt gewesen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen ließen. Die dem Beklagten bekannten Lohnrückstände - auch diejenigen gegenüber den übrigen Beschäftigten - seien allein kein hinreichendes Indiz, wenn dem Arbeitnehmer die Grundlage für die Beurteilung fehle, ob die Ansprüche einen wesentlichen Teil der fälligen Verbindlichkeiten ausmachten. Träten bei Lohnzahlungen Verzögerungen ein, könnten Arbeitnehmer zunächst von vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsstockungen ausgehen. Dies komme auch dem Beklagten zugute. Weitere Umstände, die ein anderes Bild ergäben, seien im Streitfall nicht hinzugetreten. Von den übrigen Verbindlichkeiten des Schuldners , wie sie aus der von dem Kläger im Anfechtungsprozess eingereichten Forderungsaufstellung ersichtlich seien, habe der Beklagte keine Kenntnis gehabt.
8
Die von dem Kläger in den Prozess eingeführten Presseveröffentlichungen von Juni 2004 erwähnten die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht ausdrücklich. In dem Artikel vom 3. Juni 2004 werde nur wegen ausstehender Zahlungen eines wichtigen Auftraggebers, der Krankenhausstiftung "St. J. ", pauschal von einer Gefährdung von Arbeitsplätzen unter anderem in dem Unternehmen des Schuldners gesprochen. In der Presseveröffentlichung vom 10. Juni 2004 werde sodann von einer "Teillösung" durch Zahlung einer Liquiditätshilfe sowie angekündigter beschleunigter Prüfung der Schlussrechnung durch die Krankenhausstiftung berichtet. In dem Artikel vom 11. Juni 2004 sei dann davon die Rede gewesen, dass die Mitarbeiter des Schuldners vorerst "aufatmen" könnten, weil es eine Zwischenlösung gebe. Bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung habe es keine weiteren Pressemitteilungen mehr gegeben, so dass die Presseberichterstattung insgesamt nicht den Schluss rechtfertige, die angekündigte Zwischenlösung habe sich zerschlagen.
9
Eine Erkundigungspflicht treffe den Beklagten, der als Elektroinstallateur keinen Einblick in die Geschäftsunterlagen des Schuldners gehabt habe, nicht. Soweit der Kläger behauptet, der Beklagte habe aufgrund seiner Teilnahme an den wöchentlichen Arbeitsberatungen "über die Situation Bescheid" gewusst, fehle es an einem für eine Beweisaufnahme geeigneten konkreten Vortrag, welche Informationen der Schuldner bei dieser Gelegenheit an die Arbeitnehmer weitergegeben habe. Die bloße Behauptung, dass dort die wirtschaftliche Situation mit den Arbeitnehmern "diskutiert" worden sei, reiche als Grundlage für die Vernehmung der angebotenen Zeugen nicht aus.
10
Für eine Anfechtung der Lohnzahlungen nach § 133 Abs. 1 InsO fehle es bereits an einem Vortrag zu dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und der Kenntnis des Beklagten.
11
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
12
a) Aus den Gründen des Verkehrsschutzes wird der Gläubiger der Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO erst ausgesetzt, wenn er die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 140 InsO) kennt. Dies hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
13
aa) Kennt der Gläubiger die Zahlungseinstellung, ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO auch seine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Denn die dort formulierte Vermutung gilt auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts (BGHZ 149, 178, 184; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222, 2223; MünchKomm-ZPO/Kirchhof, 2. Aufl. § 130 Rn. 31). Kenntnis bedeutet im Allgemeinen ein für sicher gehaltenes Wissen. Der Gläubiger kennt die Zahlungsunfähigkeit oder die Zahlungseinstellung als komplexe Rechtsbegriffe nur, wenn er die Liquidität oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft bewerten kann. Nach § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Was mit dieser Regelung gemeint ist, erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nur lückenhaft (vgl. BGHZ 149, 178, 185). Sicher ist nur, dass diese Formulierung, anders als noch der Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 32), die grob fahrlässige Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit nicht genügen lassen will. In dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages heißt es zu der beschlossenen Fassung , im Interesse der Rechtssicherheit dürfe die Anfechtbarkeit von Geschäften , bei denen der Vertragspartner des Schuldners nichts anderes als die geschuldete Leistung erhalte, nicht zu weit ausgedehnt werden; zudem sei der "unscharfe Begriff" der groben Fahrlässigkeit zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 12/7302 S. 173 zu § 145 Abs. 1, 2). Vorausgesetzt wird demgemäß, dass der Insolvenzgläubiger die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt. Dann vermag er sich nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass er den an sich zwingenden Schluss von den Tatsachen auf den Rechtsbegriff selbst nicht gezogen habe (vgl. BGHZ 149, 178, 185; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 130 Rn. 25; Jaeger /Henckel, InsO § 130 Rn. 121; FK-InsO/Dauernheim, 5. Aufl. § 130 Rn. 34).
14
Die Kenntnis einzelner Tatsachen, die für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit sprechen, kann deshalb nicht genügen, wenn sie nur die ungewisse Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit befürchten lassen (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 130 Rn. 33). Der zwingende Schluss aus den Indiztatsachen auf die Zahlungsunfähigkeit kann vielmehr nur gezogen werden, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen kann, der Schuldner sei zahlungsunfähig (Jaeger/ Henckel, aaO § 130 Rn. 121; HK-InsO/Kreft, aaO § 130 Rn. 29; vgl. auch BGHZ 133, 246, 250, zu § 990 BGB). Mischen sich in die Vorstellungen des Gläubigers - wenngleich möglicherweise irrtümlich - Tatsachen, die bei einer Gesamtbetrachtung den Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zwingend nahe legen, fehlt dem Gläubiger die entsprechende Kenntnis. Bewertet er hingegen das ihm vollständig bekannte Tatsachenbild, das objektiv die Annahme der Zahlungsunfähigkeit gebietet, falsch, kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er diesen Schluss nicht gezogen habe (BGHZ 149, 178, 185; MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 130 Rn. 34).
15
bb) Das Berufungsgericht hat weder die dem Beklagten bekannten Lohnrückstände noch die der Zahlung vorausgegangene Presseberichterstattung für die Annahme ausreichen lassen, der Beklagte habe Tatsachen gekannt, die den Schluss, der Schuldner habe sich nur im Stadium einer Zahlungsstockung befunden, nicht mehr zugelassen hätten. Dies hält sich im Rahmen einer tatrichterlich vertretbaren Würdigung.
16
(1) Der Beklagte kannte allerdings im Juli 2004 die Höhe seiner eigenen Forderungen von mehreren Monatslöhnen und wusste, dass der Schuldner zumindest gegenüber einem Großteil der übrigen Beschäftigten seit Herbst 2003 mit der Erfüllung von Lohn- und Gehaltszahlungen ebenfalls - in unterschiedlichem Umfang - in Rückstand geraten war. Nach der Rechtsprechung des Senats , auf die sich die Revision ausdrücklich bezieht, deutet gerade die Nichtzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin (BGHZ 149, 178, 187; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457, 1458; Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, aaO S. 2224).
17
Diese Rechtsprechung betrifft allerdings institutionelle Gläubiger oder Gläubiger mit "Insiderkenntnissen". Demgegenüber wird der Überblick eines Arbeitnehmers, insbesondere wenn er weder in der Finanzbuchhaltung des Unternehmens eingesetzt ist noch Leitungsaufgaben im kaufmännischen Bereich wahrzunehmen hat, in aller Regel begrenzt sein und nur Schlussfolgerungen allgemeiner Art wie diejenige auf Zahlungsschwierigkeiten, Zahlungsstockungen oder eine Tendenz zum Vermögensverfall zulassen (vgl. MünchKommInsO /Kirchhof, aaO § 130 Rn. 35; Bork ZIP 2007, 2337, 2338; a.A. Zwanziger BB 2007, 42, 45). Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 InsO verlangt hingegen Kenntnisse von den konkreten Umständen, die ein eindeutiges Urteil über die Liquiditätsgesamtlage des Unternehmens ermöglichen. Andernfalls erfasste die Vorschrift entgegen dem zu respektierenden Willen des Gesetzgebers auch Fahrlässigkeitstatbestände.
18
Danach verschaffte die vom Berufungsgericht festgestellte Kenntnis von den Lohnrückständen dem Beklagten nicht den erforderlichen Gesamtüberblick über die Liquiditäts- oder Zahlungslage des schuldnerischen Unternehmens. Insbesondere war für ihn nicht erkennbar, ob die Lohnrückstände gegenüber allen Arbeitnehmern gleich ausgeprägt waren und welchen Anteil die Lohnrück- stände an den insgesamt fälligen und eingeforderten Geldschulden hatten. Dies ist aber für die Annahme zwingend auf Zahlungsunfähigkeit schließen lassender Tatsachen erforderlich, weil der Gläubiger wissen muss, dass der Schuldner von seinen als fällig eingeforderten Verbindlichkeiten einen nicht unwesentlichen Teil derzeit nicht erfüllen kann und auch keine konkreten Aussichten hat, hierfür ausreichende und verwendbare Geldmittel in den nächsten drei Wochen zu erlangen (vgl. BGHZ 163, 134, 144 f; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, aaO S. 2223).
19
Dass der Beklagte von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen wusste, hat das Amtsgericht nicht feststellen können; Gegenteiliges lässt sich auch dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Das Berufungsgericht erwähnt im Gegenteil den Vortrag des Beklagten, er sei im maßgebenden Zeitraum als Elektroinstallateur auf verschiedenen großen Baustellen ununterbrochen eingesetzt gewesen und deshalb von einer guten Auftragslage ausgegangen. Materiallieferungen seien wie üblich auf Rechnung erfolgt. Ferner seien sogar Neueinstellungen vorgenommen worden. Die Belieferung auf Rechnung und die Neueinstellungen hat der Kläger zwar bestritten. Davon unberührt bleibt jedoch, dass der Beklagte - etwa vom Hörensagen - überzeugt gewesen sein kann, dass es sich so verhielt, wie von ihm angegeben. Dass auf den Baustellen immer ausreichend Material vorhanden gewesen sei, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt.
20
(2) Entgegen der Auffassung der Revision kommt es auf den unter Beweis gestellten Verlauf der wöchentlichen Arbeitsberatungen im zeitlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Lohnzahlung nicht an. Der Kläger hat hierzu in den Tatsacheninstanzen behauptet, aus den Arbeitsberatungen habe der Beklagte nicht nur von den beträchtlichen Zahlungsrückständen gegenüber der gesamten Belegschaft erfahren, sondern auch Kenntnis von den Außenständen des Schuldners von über 1 Mio. € erhalten. Dies kann als wahr unterstellt werden. Eine zweifelsfreie Bewertung dahin, dass der Schuldner sich bereits im Zustand der Zahlungsunfähigkeit bewege, ließ diese Angabe aus Sicht des Beklagten nicht zu. Etwas anderes gälte etwa dann, wenn der Schuldner auf einer Betriebsversammlung den anwesenden Beschäftigten den sicheren Eindruck vermittelt hätte, er sei nicht zahlungsfähig. Einen derartigen Verlauf einer Betriebsversammlung oder Arbeitsberatung in Anwesenheit des Beklagten hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Dies wird von der Revision in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht gerügt. Ein solcher Verlauf wäre auch sehr ungewöhnlich. Erfahrungsgemäß wird die Unternehmensleitung, sofern sie die Belegschaft nicht auf einen unmittelbar bevorstehenden eigenen Insolvenzantrag vorbereiten will, bestrebt sein, trotz der unübersehbaren Schwierigkeiten im Unternehmen eine positive Grundstimmung zu vermitteln.
21
(3) Rechtsfehlerfrei ist auch die weitere Begründung des Berufungsgerichts , aus der Presseberichterstattung über die Abwicklung des Bauvorhabens "Krankenhausstiftung" ergäben sich keine Umstände, nach denen die Schlussfolgerung auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zwingend sei. Allerdings können, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, redaktionelle Presseberichte , die keine amtlichen Verlautbarungen enthalten, durchaus Umstände sein, die den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit begründen (BGH, Urt. v. 19. Juli 2001 - IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641, 1642). Dies gilt insbesondere, wenn nach ihrem Inhalt - beispielsweise einem Bericht über gesperrte Kreditlinien oder vorübergehende Maßnahmen zur Sicherung der Kredite der Banken - der notwendige kurzfristige Sanierungserfolg des Unternehmens in Frage steht. Nach der Rechtsprechung des Senats können derartige Berichte für einen Großgläubiger wie das Finanzamt oder die Sozialkasse eine Beobachtungs- und Erkun- digungspflicht auslösen (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juli 2001 - IX ZR 36/99, aaO S. 1643).
22
Derartige Pflichten treffen den Beklagten als Arbeitnehmer hingegen nicht. Zum einen gehört er nicht zum Kreis der institutionellen Gläubiger, die schon im fiskalischen Allgemeininteresse oder im Interesse der Versichertengemeinschaft die weitere Entwicklung eines krisenbehafteten Unternehmens zu verfolgen haben. Zum anderen hat der Senat die Erkundigungspflicht in der genannten Entscheidung im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO bejaht. Nach jener Vorschrift reichte es aus, dass die Zahlungsunfähigkeit dem Gläubiger den Umständen nach bekannt sein musste. Dies deutete auf grobe Fahrlässigkeit hin (vgl. Jaeger/Henckel, aaO § 130 Rn. 121; K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 10 GesO Anm. 2d). Gegenüber diesem Maßstab enthält § 130 Abs. 2 InsO erhöhte Anforderungen, die - jedenfalls für einen außenstehenden Kleingläubiger - jede Erkundigungspflicht nach Tatsachen ausschließen (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 130 Rn. 34).
23
Die Presseberichte selbst hat das Berufungsgericht rechtlich unangreifbar gewürdigt. Insbesondere der die Berichtsfolge abschließende Artikel vom 11. Juni 2004, nach dem die Arbeitnehmer des Schuldners "aufatmen" könnten, weil die von dem Auftraggeber in Rechnung gestellten zusätzlichen Kosten von 1,1 Mio. € wegen der durch einen Dritten verursachten Bauverzögerung mit Hochdruck geprüft würden und aus Kulanz vorab eine Liquiditätsbeihilfe gewährt werde, ließ Raum für die Annahme des Beklagten, der nachträgliche Ausgleich seiner Forderungen sei möglich geworden, weil die positive Prognose des Presseartikels eingetreten sei.
24
b) Frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO verneint. Insoweit fehlt es jedenfalls an der hierfür erforderlichen Kenntnis des Beklagten von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird diese Kenntnis vermutet, wenn der Anfechtungsgegner bei Vornahme der Handlung wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Der Beklagte ist jedoch bei Erhalt der Lohnzahlung unwiderlegt davon ausgegangen , die Krankenhausstiftung sei ihren Zahlungspflichten nachgekommen, so dass sich die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners erledigt hätten. Die Vermutungsregelung greift unter diesen Voraussetzungen nicht ein. Der Beklagte hatte von einem - unterstellten - Benachteiligungsvorsatz des Schuldners keine Kenntnis.
Ganter Raebel Kayser
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
AG Nordhausen, Entscheidung vom 20.09.2007 - 27 C 482/07 -
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 27.03.2008 - 1 S 181/07 -
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(1) Die Kenntnis der Beklagten von der Liquiditätslage der Schuldnerin beschränkte sich auf den Umstand, dass diese über eine Dauer von zehn Monaten die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge jeweils um drei bis vier Wochen verspätet gezahlt hatte. Zwar bildet die Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen infolge ihrer Strafbewehrtheit (§ 266a StGB) ein Beweisanzeichen , das den Schluss auf eine Zahlungseinstellung gestatten kann (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 15 mwN; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11, WM 2012, 2251 Rn. 30). In Fällen einer verspäteten Zahlung wird angenommen, dass erst eine mehrmonatige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Zahlungseinstellung umfassend glaubhaft macht (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187; vom 10. Juli 2003 - IX ZR 89/02, WM 2003, 1776, 1778; vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6; Beschluss vom 24. April 2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 2). Eine solche Gestaltung war vorliegend nicht gegeben, weil die Sozialversicherungsbeiträge lediglich mit einer Verzögerung von jeweils drei bis vier Wochen beglichen wurden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.