Landgericht Essen Beschluss, 29. Dez. 2015 - 7 T 328/15
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
1
Gründe
2I.
3Die Betroffene leidet gemäß ihren eigenen Angaben gegenüber der Beteiligten zu 4) seit 1978 an einer paranoiden Schizophrenie, wegen welcher seit 1988, ausgenommen die Zeit von 1995 – 2011, zahlreiche stationäre Aufenthalte stattfanden.
4Anlässlich eines stationären Aufenthalts bestellte das Amtsgericht auf Anregung der die Betroffene behandelnden Ärzte durch Beschluss vom 18.06.2012 die Beteiligte zu 2) zunächst vorläufig zur Betreuerin mit den Aufgabenbereichen alle Vermögensangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Rentenangelegenheiten, Versicherungsangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Ämtern. Am gleichen Tag wurde die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung genehmigt.
5In dem zur Frage der Betreuungsbedürftigkeit erstatteten Gutachten vom 04.07.2012 bestätigte der Sachverständige X die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie in Gestalt eines damals floriden Bildes einer exacerbierten paranoiden Schizophrenie mit Beziehungs- und Eifersuchtswahn. Die Betroffene sei in hohem Maß nicht behandlungswillig und krankheitsuneinsichtig. Die psychische Erkrankung verhindere, dass sie selbst interessengerecht ihre Angelegenheiten besorgen könne. Sie sei in ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit auf das Äußerste eingeschränkt. Durch Beschluss vom 07.09.2012 hat das Amtsgericht die Aufrechterhaltung der Betreuung bis längstens zum 07.09.2015 mit den Aufgabenbereichen alle Vermögensangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vertretung bei Behörden und Ämtern, Heimangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten angeordnet. Durch Beschluss gleichen Tages ist die geschlossene Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 07.09.2014 genehmigt worden. Seit dem 13.09.2012 ist die Betroffene in der geschlossenen Einrichtung I in H untergebracht.
6Nachdem sie gegen beide Beschlüsse des Amtsgerichts vom 07.09.2012 sofortige Beschwerde eingelegt hatte, sind die Rechtsmittel mit Kammerbeschluss vom 06.12.2012, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, Blatt122 ff d.A., zurückgewiesen worden.
7Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Notwendigkeit der Verlängerung der angeordneten Betreuung teilte die Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 02.06.2015 mit, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, Blatt 190 d.A., die Betroffene sei nach wie vor nicht krankheitseinsichtig, sie halte sich für gesund und die sie behandelnden Ärzte für inkompetent. Sie sei nicht absprachefähig, vernachlässige ihre Körperpflege und lasse ihre Wäsche nicht waschen. Sie verweigere teilweise ihre Nahrung und habe abgenommen. Sie zeige derzeit ein manisches Verhalten dergestalt, dass sie viel rede, sich extrem kleide und schminke.
8In dem zur Frage der Notwendigkeit der Verlängerung der Betreuung erstatteten fachärztlichen Gutachten vom 01.09.2015, Blatt 199 ff d.A., gelangt der Sachverständige A, Facharzt für Psychiatrie, zu der Feststellung, dass die Betroffene an einer paranoiden Schizophrenie leide, welche einen chronischen Verlauf genommen habe, und sich dadurch in den letzten Jahren ein schweres schizophrenes Residuum entwickelt habe. Diese schwerwiegende Störung äußere sich durch eine deutlich veränderte Stimmungslage, eine herabgesetzte bis aufgehobene Kritik- und Urteilsfähigkeit, völlig unrealistisches Denken, Handeln und kognitive Störungen. Ohne pflegerische Unterstützung drohe sie zu verwahrlosen. Nach Einschätzung des Sachverständigen ist die Betroffene nicht haushaltsfähig, die Fortsetzung de Betreuung mit der gesetzlich zulässigen Höchstfrist sei weiterhin erforderlich.
9Die Betroffene könne krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden und sei nicht fähig, die Bedeutung einer Betreuung zu erfassen und die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen.
10Anlässlich der richterlichen Anhörung der Betroffenen zu dem Ergebnis des erstatteten Sachverständigengutachtens erklärte sie, sie nehme zwar Medikamente, brauche diese aber eigentlich nicht. In einer Wohnung käme sie allein zurecht, einen Betreuer brauche sie nicht, es wisse auch niemand, weshalb sie eigentlich in der Einrichtung I sei. Sie sei nicht krank. Auf den Inhalt des Anhörungsvermerks vom 23.09.2015, Blatt 212 R d.A., wird Bezug genommen.
11Am 30.09.2015 fand ein Telefonat zwischen der Betroffenen und der zuständigen Amtsrichterin statt. Auf den Inhalt des sich darüber verhaltenden Vermerks gleichen Datums wird Bezug genommen, Blatt 220 f d.A..
12Mit Beschluss vom 01.10.2015 ist die Beteiligte zu 3) zur Verfahrenspflegerin bestellt worden. Jener gegenüber erklärte die Betroffene anlässlich von Telefonaten, das Gutachten des Sachverständigen sei absurd, sie sei gesund, die Klinikaufenthalte seien zu Unrecht erfolgt, Bericht vom 26.10.2015, Blatt 224 f d.A..
13Durch Beschluss vom 30.10.2015, Blatt 226 d.A., wurde die Betreuung bei unverändertem Aufgabenkreis bis längstens zum 30.10.2022 verlängert.
14Am 13.11.2015 rief die Betroffene die zuständige Amtsrichterin erneut an, wobei sie wiederum betonte, nicht krank zu sein sowie, dass der Inhalt des Gutachtens nicht der Wahrheit entspreche, Vermerk vom 13.11.2015, Blatt 231 f d.A.
15Mit am 03.12.2015 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben, Blatt 233 ff d.A., legte die Betroffene gegen den Beschluss vom 30.10.2015 Beschwerde ein.
16Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 07.12.2015 dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der oben genannten Schriftstücke sowie den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
18II.
19Die gemäß § 58 FamFG statthafte und insgesamt zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
20Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer, § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf ein Betreuer gegen den freien Willen des Betroffenen nicht bestellt werden. Der Betreuer darf gemäß § 1896 Abs. 2 BGB nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist.
21Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung. Abzustellen ist dabei auf die konkrete Lebenssituation, d. h. auf die soziale Stellung und die bisherige Lebensgestaltung. Voraussetzung ist, dass der Betroffene nicht (mehr) imstande ist, den seinen konkreten Lebenssituationen entsprechenden Alltag wenigstens teilweise zu beherrschen und zu gestalten. Hinzukommen muss, dass bezüglich sämtlicher Bereiche, welche die konkrete Lebenssituation des Betroffenen ausmachen, auch Handlungsbedarf besteht.
22Diese Vorschriften gelten für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts entsprechend (vgl. § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
23Nach diesen Regelungen ergibt sich, dass die Beteiligte zu 2) bei unverändertem Aufgabenkreis weiterhin zur Betreuerin zu bestellen ist.
24Die Betroffene ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen A infolge ihrer Erkrankung derzeit nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten in den genannten Bereichen interessengerecht zu besorgen.
25Den Feststellungen des Gutachters folgend, die sich auf eine ausführliche Auswertung der Gerichtsakte, fremdanamnestische Angaben der Beteiligten zu 2) sowie von Mitarbeitern der Einrichtung I und einer eigenen Untersuchung der Betroffenen stützen, leidet die Betroffene an einer paranoiden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche zwischenzeitlich einen chronischen Verlauf genommen hat. Diese schwerwiegende Störung äußere sich, so der Gutachter, durch eine deutlich veränderte Stimmungslage, eine herabgesetzte bis aufgehobene Kritik- und Urteilsfähigkeit, völlig unrealistisches Denken, Handeln und kognitive Störungen. Anlässlich der vom Gutachter vorgenommenen Untersuchung zeigte sich die Betroffene für das Krankheitsbild typisch völlig uneinsichtig und daraus resultierend nur bedingt behandlungsbereit. Nach den fremdanamestischen Angaben der Mitarbeiter der Einrichtung zeige sich bei ihr zudem ein ausgeprägter Sammeltrieb, auch neige sie ohne pflegerische Unterstützung zu verwahrlosen. Nach Einschätzung des Sachverständigen ist die Betroffene nicht haushaltsfähig.
26Die Kammer schließt sich den Erwägungen und Ausführungen des Sachverständigen nach eigener Überprüfung vollumfänglich an, zumal diese in vollem Umfang der Einschätzung des Vorgutachters X entspricht. Darüber hinaus deckt sich die gutachterliche Einschätzung u.a. auch mit den Wahrnehmungen der Amtsrichterin, welche diese anlässlich der mit der Betroffenen geführten Telefonate am 30.09. sowie 13.11.2015 gewonnen hatte. So war sie am 30.09.2015 von der Vorstellung beherrscht, im Jahre 2012 nur aufgrund eines Versehens auf die geschlossen Abteilung des Q eingeliefert worden zu sein.
27Auch war eine Anordnung der Betreuung gegen den Willen der Betroffenen möglich, da die geäußerte Ablehnung nicht auf ihrem freien Willen beruht. Die Freiheit des Willens bezieht sich auf die Fähigkeit des Betroffenen, die für und gegen eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen (Palandt/ Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Auflage 2014, § 1896, Rn. 4). Dies erfordert eine entsprechende Einsichtsfähigkeit des Betroffenen (vgl. BGH, Beschluss vom 16.05.2012, Az.: XII ZB 584/11), welche nicht gegeben ist, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einzuschätzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.08.2008, Az.: 15 Wx 181/08). So liegt der Fall hier. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen A, denen sich die Kammer nach eigener Überprüfung auch insoweit vollumfänglich anschließt, ist die Betroffene in keiner Weise krankheitseinsichtig, so dass sie hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit einer Betreuung zu einer eigenen freien Entscheidung nicht in der Lage ist.
28Dass der Betroffenen jede Krankheitseinsicht fehlt, wird insbesondere auch durch den Inhalt der von ihr verfassten Beschwerdeschriften belegt.
29Die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Bestimmung über den Überprüfungszeitpunkt, § 294 Abs. 3 FamFG, welcher sich an der gesetzlichen Höchstfrist orientiert, entspricht den Vorgaben des Sachverständigen und ist angesichts der schweren Erkrankung der Betroffenen, welche bereits einen chronischen Verlauf genommen hat, nicht unangemessen; ein Entfall der Betreuungsbedürftigkeit vor Ablauf der angesetzten Überprüfungsfrist ist nicht zu erwarten.
30Die Kammer hat gem. § 68 III 2 FamFG davon abgesehen, die Betroffene im Beschwerdeverfahren erneut persönlich anzuhören, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Es wird dabei insbesondere auf den Inhalt der von ihr selbst verfassten Rechtsmittelschriften und den Inhalt des Telefonvermerks der Amtsrichterin vom 13.11.2015 Bezug genommen.
31Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.
32Rechtsmittelbelehrung:
33Gegen diese Entscheidung findet das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statt. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichung einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof (Bundesgerichtshof, 76125 Karlsruhe) einzulegen. Die Rechtsbeschwerde kann wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (§ 10 IV 1 FamFG).
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(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.
(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Betroffene wendet sich gegen die Anordnung ihrer Betreuung.
- 2
- Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens für die 1922 geborene Betroffene eine Betreuung eingerichtet mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, alle Vermögensangelegenheiten , Vertretung bei Behörden, Befugnis zum Empfang von Post, Wohnungsangelegenheiten und Sicherstellung häuslicher Pflege und Versorgung. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
- 3
- Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 4
- 1. Nach Auffassung des Landgerichts steht aufgrund des Sachverständigengutachtens fest, dass die Betroffene auf die Hilfe anderer angewiesen sei. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass die Betroffene an einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit anhaltender Affekt- und Antriebsstörung und einer leichten kognitiven Störung leide. In der Gesamtwürdigung müsse der Ausprägungsgrad der Erkrankung als schwer beurteilt werden. Ihre Wohnung sei nach normalen Maßstäben kaum noch bewohnbar. Die Betroffene sei im Rahmen ihrer Erkrankung offenkundig nicht dazu in der Lage, den Zustand ihrer Wohnung bzw. ihren momentan noch dringend behandlungsbedürftigen Gesundheitszustand ausreichend kritisch zu würdigen und insofern sicher umfassend hilfs- und betreuungsbedürftig. Die Ausführungen des Sachverständigen seien klar und eindeutig, in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Demgemäß habe die Kammer keine Bedenken, ihre Entscheidung hierauf zu stützen. Bei der persönlichen Anhörung der Betroffenen sei deutlich geworden, dass die Betroffene bezüglich ihrer Erkrankung völlig uneinsichtig und nicht in der Lage sei, ihren Zustand realitätsgerecht zu betrachten und ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Das Beschwerdevorbringen sei von krankheitsbedingter Uneinsichtigkeit geprägt. Die Kammer habe von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren abgesehen. Der Sachverhalt stehe fest.
- 5
- 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruhen - wie die Rechtsbeschwerde im Ergebnis zu Recht rügt - auf einem nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt und sind demnach verfahrensfehlerhaft.
- 6
- a) Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von ungenügenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 13).
- 7
- Zu den für die Bestellung eines Betreuers erforderlichen Ermittlungen gehört nach § 280 FamFG die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Diesem Gutachten muss wiederum mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen sein, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung nach § 1896 BGB vorliegen; eine Verdachtsdiagnose genügt nicht (OLG Köln Beschluss vom 5. August 2009 - 16 Wx 84/09 - juris Rn. 4 - Leitsatz veröffentlicht in FamRZ 2009, 2116; Palandt/Diederichsen BGB 71. Aufl. § 1896 Rn. 5; Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 280 Rn. 27). Im Übrigen muss sich der Tatrichter davon überzeugen, dass der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist.
- 8
- b) Diesen Anforderungen wird die von den Instanzgerichten durchgeführte Sachverhaltsermittlung nicht gerecht.
- 9
- aa) Das Sachverständigengutachten gründet zu einem wesentlichen Teil auf der Behauptung der Stiefkinder der Betroffenen gegenüber dem Gutachter, wonach sich die Wohnung der Betroffenen in einem völlig verwahrlosten und nach normalem Ermessen unbewohnbaren Zustand befunden habe. Diesem Umstand hat der Sachverständige ersichtlich besondere Bedeutung beigemessen. So heißt es im Rahmen der zusammenfassenden Beurteilung des Gutach- tens u.a., die Betroffene sei im Rahmen ihrer Erkrankung offenkundig nicht dazu in der Lage, den Zustand ihrer Wohnung (…) ausreichend kritisch zu würdigen und sei insofern sicher umfassend hilfs- und betreuungsbedürftig. Zudem hat der Gutachter in diesem Kontext auf Forschungen zum Messie-Syndrom verwiesen, wonach die Betroffenen häufig an Schizophrenie und affektiven Störungen litten.
- 10
- Der Sachverständige, der die Betroffene im Krankenhaus exploriert hat, hat sich allerdings selbst keinen eigenen Eindruck von der Wohnsituation der Betroffenen verschafft. Die Betroffene hat jedoch bestritten, eine verwahrloste Wohnung zu haben, was ihre Verfahrenspflegerin auch ausdrücklich vorgetragen hatte. Bei dieser Sachlage hätte der Sachverständige seinem Gutachten nicht ohne weitere Ermittlungen den Umstand zugrunde legen dürfen, dass die Wohnung der Betroffenen verwahrlost sei bzw. sie an dem sogenannten "Messie -Syndrom" leide. Allein der Umstand, dass die Mitarbeiter der Klinik auf eine ausgeprägte Sammelleidenschaft der Betroffenen hingewiesen haben, weil diese zum Beispiel stapelweise Zeitungen gehortet und teilweise bereits verdorbene Lebensmittel in ihrem Zimmer aufbewahrt habe, genügt nicht, um das Gericht von der Verpflichtung zu entbinden, konkrete Feststellungen zur Wohnsituation zu treffen und dadurch zu überprüfen, ob der Sachverständige von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist.
- 11
- bb) Das Gutachten lässt außerdem eine eindeutige Aussage zu der Frage vermissen, ob der freie Wille der Betroffenen der Betreuung entgegensteht.
- 12
- (1) Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf ein Betreuer gegen den freien Willen des Volljährigen nicht bestellt werden.
- 13
- Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das sachverständig beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschlüsse vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - juris Rn. 13 und vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 3 ff.).
- 14
- Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor (Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - juris Rn. 14).
- 15
- (2) Hinreichend konkrete Feststellungen zu dem Fehlen eines freien Willens der Betroffenen sind nicht getroffen worden.
- 16
- Der Gutachter führt hierzu lediglich aus, dass die Betroffene in der Gesamtbetrachtung aufgrund der nachweisbar deutlichen Minderung der Kritikund Urteilsfähigkeit insbesondere in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Wohnsituation und Sicherstellung der häuslichen Versorgung "wahrscheinlich" weder als ausreichend geschäfts-, noch als ausreichend einwilligungsfähig anzusehen sei, weshalb eine Betreuung gegenwärtig auch gegen den Willen der Betroffenen angeordnet werden sollte.
- 17
- Bei den Ausführungen zum Fehlen eines freien Willens handelt es sich um eine Verdachtsdiagnose, die die Anordnung einer Betreuung nicht zu begründen vermag.
- 18
- cc) Soweit das Landgericht die Feststellung der Uneinsichtigkeit der Betroffenen auf ihre Anhörung bzw. Beschwerdeschrift gründet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. In ihrer Anhörung hat die Betroffene unter anderem ausgeführt , sie würde ihre Sachen selbst regeln. In ihrer Beschwerdeschrift hat sie weiter ausgeführt, ihre geistigen Fähigkeiten seien in keiner Weise vermindert und sie sei durchaus in der Lage, ihre Angelegenheiten voll und ganz eigenständig zu erledigen. Mit diesen Äußerungen hat die Betroffene ihr Recht wahrgenommen , sich gegen eine - aus ihrer Sicht unnötige - Betreuung zu wehren. Daraus auf Uneinsichtigkeit zu schließen, erscheint nicht gerechtfertigt.
- 19
- 3. Da nicht auszuschließen ist, dass das Beschwerdegericht bei Beachtung der vorstehenden Anforderungen an das Verfahren zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, ist der angegriffene Beschluss des Landgerichts gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist. Daher ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 15.09.2011 - 58 XVII M 1819 -
LG Köln, Entscheidung vom 10.10.2011 - 1 T 377/11 -
(1) Für die Aufhebung der Betreuung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und für die Einschränkung des Aufgabenkreises des Betreuers oder des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen gilt § 279 Absatz 1, 3 und 4 sowie § 288 Absatz 2 Satz 1 entsprechend. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Hat das Gericht nach § 281 Absatz 1 von der Einholung eines Gutachtens abgesehen, ist dies nachzuholen, wenn ein Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung oder Einschränkung des Aufgabenkreises erstmals abgelehnt werden soll.
(3) Über die Aufhebung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, hat die erstmalige Entscheidung über ihre Aufhebung spätestens zwei Jahre nach der Anordnung zu erfolgen.