Landgericht Essen Urteil, 27. Jan. 2016 - 18 O 63/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Gebäudeversicherung.
3Die Parteien sind verbunden durch einen Gebäudeversicherungsvertrag. Der Kläger ist Versicherungsnehmer. Die Beklagte ist der Versicherer. Versichertes Gebäude ist das ursprünglich im Eigentum des Klägers stehende Mehrfamilienhaus O-Str. … in X. Eine Versicherung erfolgte insbesondere gegen das Risiko von Leitungswasserschäden. Dem seit dem 20.09.2001 bestehenden Versicherungsvertrag lagen jedenfalls ursprünglich die Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88), Fassung Januar 1999, zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf die VGB 88 (Anlage K1 zur Klageschrift) Bezug genommen.
4Spätestens am 15.02.2012 trat im versicherten Gebäude im Dachgeschoss in erheblichem Umfang Leitungswasser aus. Grund und Folgen dieses Wasseraustritts stehen zwischen den Parteien im Streit. Zum Zeitpunkt des Schadensereignisses waren vier der insgesamt acht Wohnungen des Gebäudes nicht mehr vermietet. Tatsächlich standen sämtliche Wohnungen leer, da die noch verbliebenen Mieter aus unterschiedlichen Gründen vorübergehend nicht im Gebäude aufhältig waren.
5Dem Schaden war vorausgegangen, dass der städtische Versorger die Stromversorgung der im Dachgeschoss befindlichen vermieteten Wohnung bereits eingestellt hatte, mit der Folge, dass die in der Wohnung befindliche Gastherme ebenfalls nicht mehr funktionierte. Der Mieter der Dachgeschosswohnung hatte zuvor, was dem Kläger bekannt war, über einen Zeitraum von sechs Monaten seine Miete nicht bezahlt. Vier Wochen vor dem streitgegenständlichen Vorfall hatte der Mieter die Dachgeschosswohnung geräumt und dem Kläger die Schlüssel zur Wohnung überlassen. Nach dem Schlüsselerhalt bis zum 03.02.2012 begab sich der Kläger mehrfach zu Kontrollzwecken in die Dachgeschosswohnung. Bei diesen Kontrollgängen war in der gesamten Wohnung bereits die Stromversorgung abgestellt gewesen. Die Gastherme in der Wohnung war ebenfalls nicht im Betrieb. Maßnahmen, die eine zumindest grundlegende Beheizung der Wohnung gesichert hätten, unternahm der Kläger nicht. Auch sorgte der Kläger nicht für eine Entleerung von Wasserleitungen, und zwar weder in der Dachgeschosswohnung, noch im Hausflur. Maßnahmen zur Beheizung des Hausflurs hatte der Kläger ebenfalls nicht eingeleitet.
6Am 03.02.2012 begab sich der Kläger bis zum 14.02.2012 in einen Kurzurlaub. In dieser Zeit fanden keine Gebäudekontrollen durch den Kläger oder beauftragte Personen statt. Bereits zu Beginn des Monats Februar waren in der Nacht Temperaturen von bis zu – 14 Grad Celsius aufgetreten. Wegen der Einzelheiten der Temperaturverläufe wird auf die graphische Darstellung in der Klageerwiderung (Bl. 34 d.A.) verwiesen.
7Der Kläger zeigte der Beklagten am 17.02.2012 einen Versicherungsfall im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Leitungswasseraustritt an. Die Beklagte lehnte nach eigener Leistungsprüfung mit Schreiben vom 16.04.2012 eine Schadensregulierung ab.
8Durch Vertrag vom 17.12.2013 hat der Kläger das Wohnhaus O-Str. … verkauft. Das Eigentum wurde am 17.02.2014 auf den Erwerber übertragen.
9Der Kläger behauptet, der Wasseraustritt im Dachgeschoss sei bestimmungswidrig infolge eines Frostschadens erfolgt. Es sei infolgedessen zu einer vom Dachgeschoss ausgehenden Überflutung des gesamten Gebäudes gekommen, die zu erheblichen Gebäudeschäden geführt habe. Wegen der genauen Darstellung des Schadenbildes wird auf die Darstellung des Klägers im Schriftsatz vom 12.11.2015 (Bl. 61 ff. d.A.) Bezug genommen. Zur Beseitigung des entstandenen Gebäudeschadens seien Reparaturkosten in Höhe von 98.003,10 € erforderlich. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Kostenvoranschläge (Anlage K 18 zur Klageschrift) verwiesen. Eine nachträglich durchgeführte Leckageortung hätte ergeben, dass auch in den bereits stillgelegten Toiletten im Hausflur des Gebäudes Leitungsrohre geplatzt waren. Seit Beginn der kälteren Jahreszeit habe der Kläger - mit Ausnahme des Urlaubszeitraumes vom 03.02. bis zum 14.02.2012 - mindestens einmal wöchentlich Kontrollen im gesamten versicherten Gebäude durchgeführt. In den nicht mehr vermieteten Wohnungen habe er die Thermostate auf Frostschutz bzw. "minimal" eingestellt. Von dem Umstand, dass in der Dachgeschosswohnung der Strom abgestellt worden war, habe er erst nach dem Schadenseintritt erfahren.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte zu verurteilen, an ihn 98.003,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte behauptet, der Kläger hätte auch bereits vor dem Schadensfall gewusst, dass in der Dachgeschosswohnung der Strom abgestellt worden war. Die Beklagte beruft sich auf eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger. In diesem Zusammenhang behauptet die Beklagte weiter, sämtliche im Wohnhaus befindlichen Wohnungen seien zum Schadenszeitpunkt unbeheizt gewesen. In Hinblick auf den hohen Leerstand der Wohnungen beruft sich die Beklagte ergänzend auch auf einen Leistungsausschluss wegen nicht angezeigter Gefahrerhöhung und angesichts der zunächst erfolgten abweichenden Darstellung des Klägers in Bezug auf den Leerstand auf einen Leistungsausschluss wegen arglistiger Täuschung.
15Durch nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 28.12.2015, bei Gericht eingegangen am 04.01.2016, hat der Kläger weiter zu einem schadensbedingten Mietausfall vorgetragen und insofern beantragt, die Beklagte zur Zahlung weiterer 17.331,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Schriftsatzzustellung zu verurteilen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 28.12.2015 (Bl. 129 ff. d.A.) Bezug genommen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die zur Akte gereichten Unterlagen verwiesen.
17Entscheidungsgründe
18Die Klage ist hinsichtlich der in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2015 gestellten Sachanträge zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich des weiteren Sachantrages aus dem Schriftsatz vom 28.12.2015 war eine Entscheidung der Kammer nicht veranlasst.
19I.
20Soweit im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 28.12.2015 ein weiterer Sachantrag auf einen behaupteten Mietausfall gestützt wurde, ist dieser Antrag nicht zum Gegenstand des Prozesses geworden. Zwar findet die Regelung des § 296a ZPO, wonach nach Schluss der mündlichen Verhandlung keine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel mehr vorgebracht werden können, keine Anwendung, da die Vorschrift lediglich Angriffsmittel, aber nicht den Angriff und damit die Klage mit ihren Sachanträgen selbst betrifft (Musielak/Voit/Huber, Zivilprozessordnung, 12. Auflage 2015, § 296a Rn 3). Wie sich jedoch aus §§ 256 II, 261 II, 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH, NJW 1966, 1657; NJW-RR 2009, 853). Anlass, nach § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, bestand nicht.
21II.
22Wegen des verbleibenden Klageantrages in der Hauptsache war die Klage unbegründet. Denn dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des Wasserschadens aus dem Ereignis im Februar 2012 zu.
23Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 1 S. 1 VVG i.V.m. § 15 I VGB 88. Denn einem etwaigen Anspruch des Klägers aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Gebäudeversicherungsvertrag steht jedenfalls entgegen, dass der Kläger den streitgegenständlichen Schadensfall im Sinne von § 81 II VVG selbst grob fahrlässig herbeigeführt hat. Subjektiv erfordert die Vorschrift des § 81 VVG, dass im Rahmen eines unentschuldbaren Fehlverhaltens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße verletzt, ganz einfache, nahe liegende Erwägungen vernachlässigt und nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. dazu Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 5. Auflage 2014, Rn. 266). So lag der Fall - selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrages - hier.
24Der Kläger hatte bereits Wochen vor dem Schadensfall Zugang zu der Dachgeschosswohnung, in welcher es zu dem schadensverursachenden Platzen des Leitungswasserrohres gekommen sein soll. Dabei war der Kläger im Januar/Februar 2012 mehrfach in der Wohnung, und zwar zu einem Zeitpunkt, als der Strom bereits abgestellt war und auch die Heizung in der Wohnung deswegen nicht mehr funktioniert hatte. Selbst wenn der Kläger bei diesen „Kontrollen“ noch nicht einmal gemerkt haben will, dass der Strom abgestellt war – was der Kammer als wenig lebensnah erscheint – so hätte dem Kläger jedenfalls ohne weiteres auffallen müssen dass eine Stromversorgung und damit eine ordnungsgemäß Beheizung der Dachgeschosswohnung nicht mehr gewährleistet war. Dies gilt umso mehr, als der Kläger aufgrund des vorangegangenen Zahlungsverzuges des Mieters über sechs Monate hinweg sogar konkrete Anhaltspunkte dafür hatte, dass möglicherweise auch die Stromrechnungen durch den Mieter nicht beglichen worden waren. Dass der Kläger sich insofern trotz der im Februar 2012 unstreitig eingetretenen Tiefsttemperaturen von bis zu minus 14 Grad Celsius weder von einem ordnungsgemäßen Funktionieren der Heizung überzeugte, noch für eine Entleerung der Wasserleitungen Sorge trug, stellt eine ganz besonders gröbliche Verletzung der Sorgfaltspflichten dar. Insbesondere wäre bei dieser Sachlage keine nicht versicherte Person gerade zum Zeitpunkt der schweren Frostperiode in den Urlaub gefahren und hätte das Wohnhaus, das auch nach dem Kenntnisstand des Klägers jedenfalls einen erheblichen Leerstand aufwies, ohne vorherige Entleerung der Wasserleitungen und ohne eine Überprüfung der Beheizung teilweise sich selbst überlassen.
25Die Frage, ob der Kläger auch die behaupteten weiteren Rohrschäden im Bereich der stillgelegten Hausflurtoiletten grob fahrlässig herbeigeführt hätte, kann dahinstehen, zumal der Kläger nicht vorgetragen hat, dass aus diesen weiteren behaupteten Rohrleckagen tatsächlich ebenfalls Leistungswasser ausgetreten wäre und ein Teil des geltend gemachten Schadens auf diesen Leitungswasseraustritt zurückzuführen wäre. Im Gegenteil hat der Kläger auf Nachfrage der Kammer in der mündlichen Verhandlung sogar nochmals klargestellt, dass er insofern selbst keine Anhaltspunkte für eine Schadensverstärkung durch diese Leckagen habe. Abgesehen davon wäre jedoch auf der Basis des klägerischen Vorbringens auch insofern ebenfalls von einer grob fahrlässigen Schadensverursachung durch den Kläger auszugehen, zumal der Kläger unstreitig auch insofern weder für eine Leistungsentleerung Sorge getragen hatte, noch in irgendeiner Weise für eine Beheizung der stillgelegten Hausflurtoiletten (z.B. durch Heizlüfter) Sorge getragen hatte, was ein nicht versicherter Hauseigentümer bei den extremen Tiefsttemperaturen und dem erheblichen Anteil an nicht vermieteten Wohnungen - selbst bei Unkenntnis darüber, dass die verbleibenden Wohnungen faktisch ebenfalls leer standen - zweifelsfrei getan hätte.
26Im Ergebnis ist bei einer Gesamtwürdigung der schadensversursachenden Umstände selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrages zum Schadenshergang und zu seinem eigenen Kenntnisstand von den Begleitumständen von einer derartig gröblichen Pflichtverletzung des Klägers auszugehen, dass es gerechtfertigt erscheint, den Leistungsanspruch gegen die Beklagte auf null zu kürzen (vgl in einem ähnlichen Fall der nicht ausreichenden Frostvorsorge: OLG Hamm MDR 2012, 516).
27III.
28Mangels Begründetheit der Hauptsacheforderung steht dem Kläger auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht.
29IV.
30Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I 1, 709 ZPO.
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Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. § 139 Abs. 5, §§ 156, 283 bleiben unberührt.
(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.
(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn
- 1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt, - 2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder - 3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.
Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.
(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.
(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.