Landgericht Arnsberg Beschluss, 15. Feb. 2016 - 2 Ks-411 Js 609/15-39/15
Gericht
Tenor
Der Antrag des Leiters des Justizvollzugskrankenhauses Nordrhein-Westfalen vom 10.02.2016, einer beabsichtigten Zwangsmedikation des Angeklagten gemäß § 28 UVollzG NRW zuzustimmen, wird abgelehnt.
1
Gründe:
2I.
3Der Angeklagte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Arnsberg vom 29.09.2015 in Untersuchungshaft. Anfangs wurde die Untersuchungshaft in der JVA Hamm vollzogen, später erfolgte eine Verlegung in die JVA Bielefeld-Brackwede und schließlich am 27.01.2016 eine Verlegung in das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg, wo der Angeklagte auf einer psychiatrischen Abteilung stationär behandelt wird.
4Der Leiter des Justizvollzugskrankenhauses hat am 10.02.2016 unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme um Zustimmung zu einer beabsichtigten Zwangsmedikation gebeten. In der ausführlichen ärztlichen Stellungnahme gehen die behandelnden Ärzte davon aus, dass bei dem Angeklagten eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege. Der Angeklagte habe sich bei der Aufnahme im Justizvollzugskrankenhaus extrem verhaltensauffällig gezeigt und sei akut fremdaggressiv gewesen. Ein Aufnahmegespräch sei gar nicht möglich gewesen, vielmehr sei der Angeklagte extrem angespannt und verbal nicht erreichbar gewesen. Bereits nach zwei Tagen habe er die Einnahme einer neuroleptischen oralen Medikation verweigert und keinerlei weitere Krankheitseinsicht gezeigt. Aus diesem Grund solle der Angeklagte auch gegen seinen Willen antipsychotisch und sedierend behandelt werden.
5Die Staatsanwaltschaft Arnsberg und der Verteidiger hatten Gelegenheit zur Äußerung.
6II.
7Der Antrag des Leiters des Justizvollzugskrankenhauses, der beabsichtigten Zwangsmedikation gemäß § 28 UVollzG NRW zuzustimmen, ist zulässig, aber mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage nicht begründet.
8Die beabsichtigte Zwangsmedikation stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität des Betroffenen und zugleich einen besonders intensiven Eingriff in das von Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützte Recht auf diesbezügliche Selbstbestimmung dar. Vor diesem Hintergrund stellt die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen Willen des Patienten einen besonders schweren Grundrechtseingriff auch im Hinblick auf die Wirkungen dieser Medikamente dar (BVerfG 23.03.2011, 2 BvR 882/09, Rn 44). Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist (vergleiche BVerfG, a.a.O. Rn 49). In der Entscheidung vom 23.03.2011 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, das die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs genau bestimmt, wobei sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materieller Hinsicht die für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen konkreter gesetzlicher Regelung bedürfen (BVerfG a.a.O. Rn 72 mit weiteren Nachweisen). Der Gesetzgeber ist gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in einer neuerlichen Entscheidung vom 14.07.2015 (2 BvR 1549/14 und 1550/14) bekräftigt.
9Eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage für die beantragte Zustimmung zur Zwangsmedikation ist nicht gegeben.
10Namentlich § 28 UVollzG NRW stellt keine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage in diesem Sinne dar. Nach § 28 UVollzG NRW, der sich nachdem Kontext des gesamten Gesetzes unter Berücksichtigung von Abgrenzungsschwierigkeiten der jeweiligen Gesetzgebungszuständigkeiten in erster Linie an die Anstaltsleitungen wendet (vergleiche Regierungsentwurf zum UVollzG, LT-Drs-14/8631, Seite 37 f), dürfen Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge durchgeführt werden, wenn der ärztliche Dienst dies für unerlässlich hält und das Gericht diese anordnet. Es ist dagegen nicht näher ausgestaltet, unter welchen formellen und materiellen Voraussetzungen „das Gericht“ diese Anordnung treffen darf. Damit genügt § 28 UVollzG NRW unter Berücksichtigung der durch das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 23.03.2011 aufgestellten Maßstäben nicht den verfassungsgemäßen Anforderungen, die an die Klarheit und Bestimmtheit einer gesetzlichen Grundlage für einen besonders schweren Grundrechtseingriff zu stellen sind (vergleiche OLG Köln, Beschluss vom 07.09.2012, Az 2 Ws 644/12). Weder für aktuell noch für potenziell betroffene Inhaftierte noch für die zur Normanwendung berufenen Entscheidungsträger sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziel aus dem Gesetz erkennbar. Es fehlt an einer gesetzlichen Regelung dazu, wie vor einer Zwangsbehandlung das zur Erreichung des Vollzugsziels unabdingbare Erfordernis krankheitsbedingt fehlender Einsichtsfähigkeit festgestellt und dokumentiert werden soll. Auch fehlt eine Regelung wesentlicher zur Wahrung der Grundrechte notwendiger verfahrensrechtlicher Eingriffsvoraussetzungen (vergleiche OLG Köln, a.a.O.)
11Das Gericht verkennt nicht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchführung einer als medizinisch notwendig geachteten Maßnahme dazu führen kann, dass der Angeklagte ohne eine solche Zwangsmedikation einen erheblichen gesundheitlichen Schaden nimmt. Ohne verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage ist eine solche Behandlung aber nicht auf Grundlage der vollzugsgesetzlichen Vorschriften möglich.