Landesarbeitsgericht Nürnberg Beschluss, 17. Juli 2017 - 6 Ta 66/17

bei uns veröffentlicht am17.07.2017
vorgehend
Arbeitsgericht Nürnberg, 10 Ca 4183/16, 10.04.2017

Gericht

Landesarbeitsgericht Nürnberg

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 07.03.2017, Az.: 10 Ca 4183/16, wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 05.02.2017, eingegangen beim Arbeitsgericht Nürnberg am 07.02.2017, beantragte der Kläger für seine auf § 15 AGG gestützte Klage Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung des Rechtsanwalts F…. Gegenstand der Klage ist die – nach Ansicht des Klägers diesen wegen seiner Weltanschauung diskriminierende – Ablehnung einer Initiativbewerbung des Klägers bei der Firma L… GmbH & Co. KG. Mit E-Mail vom 18.07.2016, 12.40 Uhr, auf die inhaltlich Bezug genommen wird, lehnte die Firma L… O. GmbH & Co. KG die Bewerbung ab. Dem Kläger könne keine geeignete Position angeboten werden. Der Kläger sei aufgrund der spezifischen Anforderungen der Kunden, die andere Bewerber besser erfüllt hätten, nicht in die engere Auswahl für etwaige Stellen genommen worden. Hierauf reagierte der Kläger mit E-Mail vom 18.07.2016, 12.55 Uhr. Darin teilte der Kläger mit, dass er vor einigen Jahren für eine Kandidatur für die Partei NPD zur Verfügung gestanden habe. Dies sei der ausschlaggebende Punkt für die Ablehnung gewesen. Daher sei der Kläger wegen seiner Weltanschauung benachteiligt worden im Sinne des AGG. Hierauf schrieb eine Mitarbeiterin der Beklagten am 10.08.2016 wohl versehentlich eine E-Mail an die Mail-Adresse des Klägers, in der sie schrieb: „Was ein Nazi-Arsch!“. Die Beklagte trägt vor, erst durch die E-Mail des Klägers vom 18.07.2016 von der NPD-Kandidatur erfahren zu haben. Der Kläger trägt insoweit vor, dass selbstverständlich davon auszugehen sei, dass die Beklagte bereits vor Ablehnung der Bewerbung den Namen des Klägers „gegoogelt“ habe und dort von diesem Umstand Kenntnis erlangt habe. Dies bestreitet die Beklagte. Der Kläger bringt weiter vor, dass es bei seiner hervorragenden Qualifikation abwegig sei, dass die Beklagte keine passende Stelle für ihn gefunden hätte. Der Kläger verlangt eine Entschädigung in Höhe eines Jahresgehalts, mindestens EUR 30.000,-.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.03.2017 den Antrag zurückgewiesen, insbesondere, da der Kläger schon keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung vorgetragen habe und die Klage daher keine Aussicht auf Erfolg habe. Vielmehr sei zudem fraglich, in welcher „vergleichbaren Situation“ im Sinne von § 3 AGG der Kläger sich befunden haben will und ob seine Mitgliedschaft und Kandidatur für die NPD einer Weltanschauung gleichzusetzen sei. Aus dem gleichen Hauptgrund ist die Klage am 04.05.2017 abgewiesen worden. Das vollständig abgefasste Urteil wurde dem Kläger am 20.05.2017 zugestellt. Berufung hat der Kläger dagegen nicht eingelegt.

Gegen den am 09.03.2017 zugestellten ablehnenden Beschluss legte der Kläger am 09.04.2017 sofortige Beschwerde ein. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 10.04.2017 nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt. Mit Schreiben vom 02.05.2017 nahm der Kläger hierzu nochmals ausführlich Stellung unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und innerhalb der Frist von einem Monat eingelegt worden, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO.

Die Beschwerde ist sachlich nicht begründet. Bei der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe anzustellenden Beurteilung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ist das Rechtsmittelgericht grundsätzlich an die inzwischen eingetretene Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung gebunden. Ausnahmen gelten dann, wenn eine zweifelhafte Rechtsfrage verfahrensfehlerhaft in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert worden ist oder wenn das erstinstanzliche Gericht die Entscheidung verzögert hat und die Erfolgsaussicht in der Zwischenzeit entfallen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 07.03.2012 – XII ZB 391/10). Der Kläger hat gegen das Urteil des Erstgerichts nicht Berufung eingelegt und damit die Entscheidung des Arbeitsgerichts rechtskräftig werden lassen. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor.

Bei der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Hinblick auf die Erfolgsaussicht die – zwischenzeitlich eingetretene – Rechtskraft der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung grundsätzlich zu beachten. Zwar wirkt die Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits und nur insoweit, als über denselben Streitgegenstand entschieden worden ist. Gegenstand des Prozesskostenhilfeverfahrens ist demgegenüber das von der Hauptsache unabhängige Verhältnis zwischen dem Recht suchenden Antragsteller und der Staatskasse, welches den Anspruch auf Prozesskostenhilfe als staatliche Sozialleistung betrifft. Die Rechtskraft bezweckt aber nicht nur den Schutz der Parteien vor erneuter gerichtlicher Inanspruchnahme, sondern dient der Sicherung des Rechtsfriedens im Allgemeinen, indem abweichende Entscheidungen zur selben Streitfrage vermieden werden sollen und auch der Funktionsfähigkeit der Gerichte. Aus der materiellen Rechtskraft folgt daher über das Verbot der wiederholten Entscheidung über denselben Streitgegenstand hinaus auch eine Bindungswirkung der Entscheidung, soweit diese für eine weitere Entscheidung vorgreiflich ist.

Die Entscheidung in der Hauptsache hat demnach Bindungswirkung, soweit es für den Anspruch auf Prozesskostenhilfe auf die Erfolgsaussicht der Klage oder Rechtsverteidigung ankommt. Insoweit stimmen die zu beurteilenden Fragen überein und ist die Hauptsacheentscheidung für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe vorgreiflich. Durch die Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung wird vermieden, dass das Rechtsmittelgericht in einem Nebenverfahren zu einem der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung widersprechenden Ergebnis gelangt.

Danach ist die sofortige Beschwerde des Klägers zurückzuweisen.

III.

Der unterlegene Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen, vgl. § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen, § 78 Satz 3 ArbGG.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 127 Entscheidungen


(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 15 Entschädigung und Schadensersatz


(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Wegen eines Schadens,

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 3 Begriffsbestimmungen


(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine

Zivilprozessordnung - ZPO | § 322 Materielle Rechtskraft


(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. (2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, da

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 78 Beschwerdeverfahren


Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rech

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Bundesgerichtshof Beschluss, 07. März 2012 - XII ZB 391/10

bei uns veröffentlicht am 07.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 391/10 vom 7. März 2012 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 114, 322 a) Bei der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe anzustellenden B

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(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.

(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.

(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.

(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 391/10
vom
7. März 2012
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Bei der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe anzustellenden
Beurteilung der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung ist
das Rechtsmittelgericht grundsätzlich an die inzwischen eingetretene Rechtskraft
der Hauptsacheentscheidung gebunden.

b) Ausnahmen gelten dann, wenn eine zweifelhafte Rechtsfrage verfahrensfehlerhaft
in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert worden ist oder wenn das erstinstanzliche
Gericht die Entscheidung verzögert hat und die Erfolgsaussicht in der
Zwischenzeit entfallen ist.
BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - XII ZB 391/10 - OLG Köln
AG Siegburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. März 2012 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke,
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 27. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Juli 2010 wird zurückgewiesen. Der Beklagten wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

I.

1
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Der Kläger hat - nach Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs mit Klagentwurf im August 2009 und Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Oberlandesgericht im Januar 2010 - mit der Klage eine teilweise Herabsetzung des durch Jugendamtsurkunden titulierten Unterhalts für die beiden minderjährigen Kinder der Parteien begehrt. Die Beklagte hat zur Verteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat der Klage wegen verminderter Leistungsfähigkeit des Klägers stattgegeben. Erst im Anschluss an das Urteil hat das Amtsgericht über das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten entschieden. Es hat diesen mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen und zur Begründung auf sein Urteil verwiesen. Das Urteil ist nicht angefochten worden.
2
Die Beklagte hat gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe Beschwerde eingelegt, die vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren keine der Rechtskraftwirkung des Urteils widersprechende Entscheidung ergehen dürfe. Das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts stelle verbindlich fest, dass die Klage begründet gewesen sei. Dass die Beklagte vom Amtsgericht als richtige Prozesspartei angesehen worden sei, sei im Übrigen zutreffend, weil die Klage vor Rechtskraft der der Scheidung erhoben worden sei und die Prozessstandschaft der Beklagten auch nach der Scheidung fortdauere. Der Zulassung der Rechtsbeschwerde stehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Klärung grundsätzlicher oder streitiger Rechtsfragen nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden dürfe, nicht entgegen. Denn die streitige Frage, ob die rechtskräftige Entscheidung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe entgegenstehe, wenn diese eine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussicht durch das Beschwerdegericht erfordern würde, könne im Hauptsacheverfahren nicht geklärt werden. Es handele sich vielmehr um eine das Verfahren der Prozesskostenhilfe betreffende Frage, die einer Klärung durch das Rechtsbeschwerdegericht nur im Prozesskostenhilfeverfahren zugänglich sei.
4
2. Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statt5 haft und auch sonst zulässig. Das Verfahren richtet sich nach dem in der Hauptsache anwendbaren Verfahrensrecht. Entgegen der Behandlung durch die Vorinstanzen ist auf das erst nach dem 31. August 2009 anhängig gewordene Hauptsacheverfahren das seit 1. September 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil die vorherige Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers noch nicht zur Anhängigkeit und zur Einleitung des (Hauptsache -)Verfahrens nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG geführt hat (Senatsbeschluss vom 29. Februar 2012 - XII ZB 198/11 - zur Veröffentlichung bestimmt). Dementsprechend findet auch auf das Prozesskostenhilfegesuch neues Verfahrensrecht Anwendung (zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2012 - XII ZB 451/11 - zur Veröffentlichung bestimmt - Rn. 5 und vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 Rn. 9).
6
Der rechtskräftige Abschluss des Hauptsacheverfahrens steht der Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die Prozesskostenhilfe /Verfahrenskostenhilfeversagung wegen verneinter Erfolgsaussicht nicht im Wege, weil auch in der Hauptsache ein Rechtsmittel statthaft gewesen wäre (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 162, 230 = FamRZ 2005, 790 und vom 18. Mai 2009 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 jeweils mwN).
7
In der vorliegenden Familienstreitsache finden demnach auf die Verfahrenskostenhilfe (im Folgenden einheitlich: Prozesskostenhilfe) gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO entsprechende Anwendung.
8
b) Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe nicht mit der gleichzeitigen Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Widerspruch steht. Denn es handelt es sich um eine Frage, die das Verfahren betrifft (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 - FamRZ 2011, 1138 Rn. 12 f.) und die im Hauptsacheverfahren nach dessen rechtskräftigem Abschluss nicht mehr geklärt werden kann.
9
c) Die Frage, ob nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens der in der Hauptsache unterlegenen Partei noch nachträglich Prozesskostenhilfe zu bewilligen oder diese aufgrund der Bindung an die rechtskräftige Hauptsacheentscheidung stets mangels Erfolgsaussicht zu versagen ist, ist umstritten (für eine grundsätzliche Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung: BFHE 141, 494 = DStR 1985, 50; OLG Düsseldorf OLGR 1993, 281; OLG Düsseldorf MDR 2009, 1356; MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 127 Rn. 17; gegen eine Bindungswirkung jedenfalls bei verzögerter Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch : OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1588; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, 1163; Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 119 Rn. 47 - anders hingegen aaO § 127 Rn. 50; Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 114 Rn. 41 mwN). Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht zu Recht von einer Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung ausgegangen.
10
aa) Es ist allgemein anerkannt, dass Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens noch rückwirkend bewilligt werden kann, wenn der Bewilligungsantrag mit den erforderlichen Unterlagen während des Verfahrens gestellt , aber nicht verbeschieden worden ist (Senatsbeschlüsse vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197 Rn. 20 f. und vom 30. September 1981 - IVb ZR 694/80 - FamRZ 1982, 58). Das betrifft vor allem den Fall, dass das Gericht über das Prozesskostenhilfegesuch nicht unverzüglich entscheidet, sondern die Entscheidungsreife in der Hauptsache abwartet.
11
Bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist indessen im Hinblick auf die Erfolgsaussicht die - zwischenzeitlich eingetretene - Rechtskraft der in der Hauptsache ergangenen Entscheidung grundsätzlich zu beachten. Zwar wirkt die Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits und nur insoweit, als über denselben Streitgegenstand entschieden worden ist. Gegenstand des Prozesskostenhilfe /Verfahrenskostenhilfeverfahrens ist demgegenüber das von der Hauptsache unabhängige Verhältnis zwischen dem rechtsuchenden Antragsteller und der Staatskasse, welches den Anspruch auf Prozesskostenhilfe als staatliche Sozialleistung betrifft. Die Rechtskraft bezweckt aber nicht nur den Schutz der Parteien vor erneuter gerichtlicher Inanspruchnahme, sondern dient der Sicherung des Rechtsfriedens im Allgemeinen, indem abweichende Entscheidungen zur selben Streitfrage vermieden werden sollen, und auch der Funktionsfähigkeit der Gerichte (vgl. MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 2 ff. mwN). Aus der materiellen Rechtskraft folgt daher über das Verbot der wiederholten Entscheidung über denselben Streitgegenstand hinaus auch eine Bindungswirkung der Entscheidung, soweit diese für eine weitere Entscheidung vorgreiflich ist (vgl. Senatsurteil vom 6. März 1985 - IVb ZR 76/83 - FamRZ 1985, 580; MünchKommZPO/Gottwald 3. Aufl. § 322 Rn. 11 mwN).
12
Die Entscheidung in der Hauptsache hat demnach Bindungswirkung, soweit es für den Anspruch auf Prozesskostenhilfe auf die Erfolgsaussicht der Klage oder Rechtsverteidigung ankommt. Insoweit stimmen die zu beurteilenden Fragen überein und ist die Hauptsacheentscheidung für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe vorgreiflich. Durch die Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung wird vermieden, dass das Rechtsmittelgericht in einem Nebenverfahren zu einem der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung widersprechenden Ergebnis gelangt.
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bb) Allerdings kann im Ausnahmefall eine nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch das Rechtsmittelgericht auch aufgrund einer abweichenden Beurteilung der Erfolgsaussicht geboten sein.
14
(1) So kommt eine nachträgliche Bewilligung ausnahmsweise in Betracht , wenn in der Hauptsache eine zweifelhafte Rechtsfrage zu klären war. In diesem Fall darf nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie des Bundesgerichtshofs die Klärung der Frage nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden. Die in Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit gebietet im Fall zweifelhafter Rechtsfragen , die Erfolgsaussicht zu bejahen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren, denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (BVerfGE 81, 347). Das nur einer summarischen Prüfung unterliegende Prozesskostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (BVerfG FamRZ 2002, 665; Senatsbeschlüsse vom 4. Mai 2011 - XII ZB 69/11 - FamRZ 2011, 1137 Rn. 8 und vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022 juris Rn. 7 mwN). Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht demnach Prozesskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist.
15
Anders liegt der vom Senat entschiedene Fall, dass eine zunächst zweifelhafte Rechtsfrage während des Prozesskostenhilfeverfahrens höchstrichterlich geklärt worden ist (Senatsbeschluss vom 27. Januar 1982 - IVb ZB 925/80 - FamRZ 1982, 367; zur ähnlichen Fragestellung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vgl. BGH Beschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 386/02 - NJW-RR 2005, 438 mwN). Denn in diesem Fall ist anders als in der vorliegenden Fallkonstellation das Hauptverfahren nicht durchgeführt worden (s. dazu BGHZ 91, 311, 312 und BGHZ 159, 263, 265), so dass sich die Frage der Rechtskraftwirkung der Hauptsacheentscheidung nicht gestellt hat. Ob an der seinerzeit vertretenen Auffassung des Senats, dass auch zur Entlastung von bereits entstandenen Kosten eine rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht geboten ist, festzuhalten ist, bedarf daher hier keiner Entscheidung.
16
Wenn das Verfahren in der Hauptsache durchgeführt und rechtskräftig entschieden wird, ist demnach bei bestehender Rechtsgrundsätzlichkeit auf ein rechtzeitig gestelltes und mit den erforderlichen Unterlagen eingereichtes Prozesskostenhilfegesuch die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht anders zu beurteilen, als wenn das Gericht darüber bei Entscheidungsreife hinsichtlich der Prozesskostenhilfe sogleich entschieden hätte. Denn auf den Zeitpunkt der Entscheidung hat der Antragsteller regelmäßig keinen Einfluss, und es darf ihm nicht zum Nachteil gereichen, wenn das Gericht über sein Gesuch erst so spät entscheidet, dass eine Klärung in der Rechtsmittelinstanz vor Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden kann.
17
Die nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe widerspricht in diesem Fall nicht der Entscheidung in der Hauptsache. Denn die hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO ergibt sich hier bereits aus der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage und setzt nicht voraus, dass diese letztlich auch im Sinne der Prozesskostenhilfe beantragenden Partei zu entscheiden ist. Durch eine nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird daher nur die verfahrensfehlerhafte Verlagerung der Entscheidung in das Prozesskostenhilfeverfahren behoben, ohne dass die Entscheidung auf einer von der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung abweichenden Einschätzung des Rechtsmittelgerichts beruht.
18
(2) Eine weitere Ausnahme ist angezeigt, wenn die Entscheidung über das bewilligungsreife Prozesskostenhilfegesuch vom Gericht verzögert worden ist und sich infolge der Verzögerung die Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussicht zum Nachteil der antragstellenden Partei verändert hat.
19
Für die gemäß § 114 Satz 1 ZPO vorzunehmende Erfolgsprognose ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung Entscheidungsgrundlage , wenn alsbald nach Entscheidungsreife entschieden wird. Zur Entscheidung reif ist das Prozesskostenhilfebegehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und wenn der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zum Prozesskostenhilfegesuch zu äußern (Senatsbeschluss vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197 Rn. 10 mwN; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 1123).
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Eine andere Beurteilung folgt auch hier nicht daraus, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache inzwischen rechtskräftig entschieden ist. Auch in diesem Fall stehen vielmehr Verfahrensfragen im Vordergrund und widerspricht eine nachträgliche Bejahung der Erfolgsaussicht der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung nicht. Denn das Gericht hat die Erfolgsaussicht aufgrund des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs zu beurteilen. Wenn dieser zu einer günstigeren Erfolgsprognose führt als die spätere Lage, ist die Erfolgsaussicht zu bejahen, ohne dass damit die Hauptsacheentscheidung in Frage gestellt wird. Das zeigt sich beispielsweise an dem Fall, dass das Gericht nach Eintritt der Bewilligungsreife eine Beweisaufnahme durchgeführt und diese ein für den Antragsteller ungünstiges Ergebnis gehabt hat (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2006, 797 mwN). Dementsprechend hat auch der Bundesfinanzhof eine Ausnahme von der Bindungswirkung der Hauptsacheentscheidung für angebracht gehalten, wenn die Erfolgsaussicht in einem früheren Stadium des Verfahrens anders zu beurteilen gewesen war als zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Hauptsache (BFHE 141, 494 = DStR 1985, 50 juris Rn. 13; ähnlich OLG Nürnberg FamRZ 2004, 1219 f. - insoweit nicht abgedruckt - juris Rn. 7).
21
Der Senat hat damit im Ausgangspunkt übereinstimmend entschieden, dass nach einer Klagerücknahme noch Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Klage zu bewilligen ist, wenn Rechtsverteidigung und Prozesskostenhilfeantragstellung schon zuvor erfolgt waren und die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (Senatsbeschluss vom 18. November 2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010, 197). Gleiches muss gelten, wenn sich im Verlauf des Verfahrens infolge verzögerter Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder –verteidigung durch die antragstellende Partei verschlechtert haben (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 1123; zum - besonders gelagerten - Fall, dass eine Rechtsfrage noch während des Prozesskostenhilfeverfahrens höchstrichterlich geklärt worden ist, s.o. unter bb (1)). Etwas anderes gilt nur dann, wenn spätere Erkenntnisse zugleich die Unwahrheit des Prozessvortrags des Antragstellers im Sinne von § 124 Nr. 1 ZPO ergeben, weil in diesem Fall sogar eine rückwirkende Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe begründet wäre.
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cc) In Fällen, in denen eine rechtskräftige Hauptsacheentscheidung schon vorliegt, ist die Rechtskraft dieser Hauptsacheentscheidung für die Beurteilung der Erfolgsaussicht grundsätzlich zu beachten. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die Prozesskostenhilfeentscheidung der Vorinstanz verfahrensfehlerhaft ergangen ist und sich der Verfahrensfehler auf die Beurteilung der Erfolgsaussicht für den Antragsteller nachteilig ausgewirkt hat.

d) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts entspricht den genannten
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Maßstäben.
24
aa) Im vorliegenden Fall besagt die Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung , dass sich die Unterhaltsansprüche der Kinder auf die im Entscheidungstenor aufgenommenen Monatsbeträge verringert haben. Dies widerspricht der Rechtsverteidigung der Beklagten, welche sich auf den unverminderten Fortbestand der Unterhaltsansprüche berufen hat, und schließt somit die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung aus.
25
bb) Eine Ausnahme von der Bindungswirkung ist im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Denn in der Hauptsache waren weder rechtsgrundsätzliche Fragen zu klären noch haben sich nach Eintritt der Entscheidungsreife die Grundlagen für die Beurteilung der Erfolgsaussicht zum Nachteil der Beklagten verändert.
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Aus der - verfahrensfehlerhaften - Verzögerung der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe allein folgt noch nicht, dass der Beklagten rückwirkend Prozesskostenhilfe bewilligt werden muss. Vielmehr hätte für das Amtsgericht auch bei rechtzeitiger Bescheidung des Prozesskostenhilfegesuchs keine andere Beurteilungsgrundlage bestanden als nach dem Erlass des Urteils in der Hauptsache. Dass das Amtsgericht zunächst noch die vom Kläger beantragte Prozesskostenhilfe verweigert hatte und die Beklagte bereits seinerzeit einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hatte, ändert daran nichts. Denn für das Prozesskostenhilfeverfahren selbst konnte der Beklagten noch keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden (BGHZ 91, 311, 312 und BGHZ 159, 263, 265). Für die letztlich in eingeschränktem Umfang erhobene Abänderungsklage war demnach die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung erneut zu prüfen. Da sich die Grundlage zur Beurteilung der Erfolgsaussicht zwischen Bewilligungsreife und der schließlich vom Gericht erlassenen Entscheidung nicht verändert hat, besteht demnach für eine von der Hauptsacheentscheidung abweichende nachträgliche Bewilligung kein Raum.
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Die Rechtsbeschwerde räumt ein, dass sich im Verlauf des Prozesses keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Die von der Beklagten mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Beanstandungen betreffen demnach die Richtigkeit des amtsgerichtlichen Urteils. Diesen steht aber die materielle Rechtskraft des Urteils entgegen. Um diese Wirkung zu verhindern, hätte die Beklagte ein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegen müssen. Ihrer Bedürftigkeit im Hinblick auf die Kosten hätte sie durch einen vorgeschalteten Prozesskostenhilfeantrag für die Rechtsmittelinstanz Rechnung tragen können. Hahne Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Siegburg, Entscheidung vom 25.05.2010 - 313 F 117/09 -
OLG Köln, Entscheidung vom 29.07.2010 - 27 WF 134/10 -

(1) Urteile sind der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.

(2) Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.

(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.

(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.

(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.