Landesarbeitsgericht München Urteil, 29. Jan. 2015 - 4 Sa 712/14

bei uns veröffentlicht am29.01.2015
vorgehend
Arbeitsgericht München, 26 Ca 291/14, 07.08.2014

Gericht

Landesarbeitsgericht München

Tenor

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 7. August 2014 - 26 Ca 291/14 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung des 13. Monatsgehaltes der Klägerin nach den einschlägigen tariflichen Vorschriften.

Die am ... geborene Klägerin ist nach ihren Ausführungen seit 01.01.2013 (bzw. seit 01.03.2004 - so ihre spätere Angabe) bei der Beklagten - als, wohl, Tochtergesellschaft der Fa. G. bzw. Ge. Holding GmbH als größter Wohnungsbaugesellschaft M. - als pädagogische Fachkraft mit einer Vergütung von zuletzt 3.001,- € brutto/Monat beschäftigt. Unstreitig fanden auf die Arbeitsverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis 31.12.2012, zumindest einzelvertraglich, die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Weiter unstreitig wurde dies zum 01.01.2013 auf eine, wiederum jedenfalls einzelvertraglich vereinbarte, Anwendung der Tarifverträge für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft „umgestellt“, in welchem Zusammenhang eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vom 29.08.2011 (Anlage K 7, Bl. 68 - 74 d. A. bzw. Anl. K6, Bl. 179 - 184 d. A.) geschlossen wurde. Der ebenfalls in diesem Zusammenhang abgeschlossene neue Arbeitsvertrag der Parteien vom 18.01.2013 (Anlage K 1, Bl. 3 - 9 d. A., bzw. Bl. 166 - 172 d. A. ) verweist hinsichtlich der „Vergütung/Bezüge“ (dort § 2) darauf, dass die Klägerin nunmehr ein „Grundgehalt entsprechend der Tarifgruppe IV gemäß der Tarifverträge für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (MTV)“ sowie eine „monatliche Besitzstandszulage in Höhe von 116,37 EUR“ - die an künftigen Tarifsteigerungen teilnehmen sollte - erhält. Hinsichtlich der „Eingruppierungsmerkmale“ ist dort auf die einschlägigen Regelungen im „Mantel- und Vergütungstarifvertrag der Wohnungswirtschaft“ Bezug genommen (§ 2 Ziff. 2.2), wobei abschließend generell auf die Anwendbarkeit der „Bestimmungen der Tarifverträge für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in ihrer jeweils gültigen Fassung“ verwiesen ist (§ 10 Ziff. 10.1). Im „Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ vom 03.06.1997 - im Folgenden: MTV -) in dessen Fassung vom 01.02.2005 (in vollständiger (Alt-)Fassung: Anlage B 1, Bl. 45 - 62 d. A), bzw. auszugsweise, mit Protokollnotiz, Anl. B2, Bl. 150/151 d. A. ist in § 8 zu „Sonderzahlungen“ bestimmt:

„1. Alle Beschäftigten erhalten am 01. Dezember eines jeden Jahres zusätzlich 100% der zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Monatsvergütung (13. Monatsgehalt).Überstunden-, Leistungs- (§ 3 Abs. 3) und Erschwerniszulagen (§ 7 VTV) werden vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung in einer Betriebsvereinbarung nicht eingerechnet.

2. Alle Beschäftigten in dem Gebiet, in dem schon vor dem 03.10.1990 das Grundgesetz galt, erhalten ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 100% der nach dem Vergütungstarifvertrag vom 20.03.1996 zu zahlenden Monatsvergütung gemäß § 4 (14. Monatsgehalt). Hinsichtlich der Zulagen gilt das in Abs. 1 Geregelte.

…“

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines weitergehenden Teils ihres 13. Monatsgehalts („Weihnachtsgeldes“) für das Kalenderjahr 2013 unter Einbeziehung ihrer monatlichen Besitzstandszulage von 116,37 EURO brutto - welchen die Klägerin unter Berufung auf den Wortlaut der einschlägigen Tarifregelung, nach der dieses auf der Grundlage der „vereinbarten“ Monatsvergütung zu zahlen sei, verlangt, während die Beklagte der Berechnung des 13. Monatsgehaltes allein die tarifliche Grundvergütung der Klägerin, ohne diese Besitzstandszulage, zugrunde legt.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen - auch der weiteren einschlägigen arbeitsvertraglichen und tarifrechtlichen Rechtsgrundlagen im Wortlaut - und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den ausführlichen Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichtes München vom 07.08.2014, das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.09.2014 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses, unter Zulassung der Berufung, der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, dass sich aus der Auslegung der einschlägigen Tarifregelungen in § 8 Nr. 1 MTV nach den hierbei geltenden Grundsätzen ergebe, dass mit der dortigen Formulierung der der Berechnung des 13. Monatsgehalts zugrunde zu legenden „vereinbarten Monatsvergütung“ die arbeitsvertraglich konkret vereinbarte Monatsvergütung der Klägerin gemeint sei, was nicht in Widerspruch zur Systematik und dem Sinn und Zweck des MTV stehe - im Gegenteil bestätige dies der Vergleich mit der sprachlich deutlichen Differenzierung zur - nachträglich in den Tarifvertrag aufgenommene - Tarifbestimmung über die Zahlung des Urlaubsgeldes in § 8 Nr. 2 MTV, die allein auf die nach dem Vergütungstarifvertrag zu zahlende Monatsvergütung abstelle. Ebenso wenig sprächen ein gemeinsamer Zweck, die Abgeltung eines erhöhten finanziellen Bedarfs während der Urlaubs- Weihnachtszeit, für eine zwingend identische Auslegung. Damit habe die Klägerin Anspruch auf Einbeziehung ihrer individuellen Besitzstandszulage in Höhe des Klagebetrages in die Berechnung ihres Anspruches auf 13. Monatsgehalt (2013).

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17.09.2014, am selben Tag zunächst per Telefax beim Landesarbeitsgericht eingegangen, zu deren Begründung diese nach auf ihren Antrag erfolgter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 12.12.2014 mit, am 04.12.2014 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenem, Schriftsatz vom 02.12.2014 ausgeführt haben, dass im Zusammenhang mit der einzelvertraglichen Umstellung der bisherigen Anwendung der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst in diejenigen für die Beschäftigten der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zum 01.01.2013 die Arbeitnehmer in die Lohn- und Gehaltsgruppen des Vergütungstarifvertrages für die Wohnungswirtschaft neu eingruppiert worden seien, wobei in denjenigen Fällen, in denen der Arbeitnehmer bei zutreffender Eingruppierung nunmehr ein niedrigeres Entgelt als zuvor nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezogen hätte, eine monatliche „Besitzstandszulage“ zugesagt worden sei, die durch Vergleich der Jahresentgeltsummen des jeweiligen Mitarbeiters bei Geltung des TVöD und des Tarifvertrages für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ermittelt und zur Errechnung der monatlichen Besitzstandszulage dann durch 12 geteilt worden sei. Bei seiner Auslegung der nunmehr geltenden tarifvertraglichen Vorschriften nach den hierzu geltenden Grundsätzen der Tarifauslegung habe das Arbeitsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass eine Definition des Begriffs der Monatsvergütung zu Beginn des Tarifvertrages grundsätzlich für den gesamten Manteltarifvertrag und damit auch für die Sonderzahlung gelten müsse. Die Tarifvertragsparteien des MTV für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft verstünden unter dem Begriff der „Monatsvergütung“ den Tariflohn bzw. das Tarifgehalt gemäß Eingruppierung in den Vergütungstarifvertrag zuzüglich etwaiger tariflicher Leistungszulagen - dies müsse damit auch bei der Bemessung des 13. Monatsgehalts maßgeblich sein. Nichts anderes könne gelten, wenn die Tarifvertragsparteien, wie hier, dem auch in § 8 Nr. 1 MTV verwendeten Begriff der Monatsvergütung das Wort „vereinbart“ vorangestellt hätten. Nach seiner Bedeutung könne sich dieses ohne weiteres auch auf die tarifliche Vergütung beziehen, wie dies in der Rechtsprechung und in anderen Tarifbereichen verwendet werde. Auch würden nach dieser Tarifregelung etwa weiter vereinbarte Leistungs- und Erschwerniszulagen grundsätzlich nicht in die Berechnung des 13. Monatsgehalts einbezogen. Ebenso wenig habe sich das Arbeitsgericht damit auseinandergesetzt, dass die einschlägige Literatur (Kommentar zum MTV von Worzalla/Will/Werhahn - Prof. Dr. Worzalla als Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Wohnungswirtschaft -) ausführe, dass das Weihnachtsgeld lediglich auf der Basis der Grundvergütung nach dem MTV zu bezahlen sei. Auch systematische Erwägungen sprächen dafür, außer- bzw. übertarifliche Gehaltsbestandteile nicht in die Berechnung des 13. Monatsgehalts einzubeziehen, nachdem das Urlaubsgeld von den Tarifvertragsparteien in § 8 Nr. 2 f MTV eindeutig an die allgemeine Definition der Monatsvergütung in § 4 MTV gekoppelt sei und keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Tarifvertragsparteien für das 13. Monatsgehalt und für das 14. Monatsgehalt unterschiedliche Berechnungsgrundlagen festlegen hätten wollen, zumal beide Sonderzahlungen den gleichen Zweck der Abgeltung erhöhten finanziellen Bedarfs während der Urlaubs- bzw. Weihnachtszeit verfolgten.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 07.08.2014 (Az.: 26 Ca 291/14) wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Antrages auf Zurückweisung der Berufung unter Verteidigung der Ausführungen des Arbeitsgerichtes vor, dass die Parteien im Zusammenhang mit der „Überführung“ des Arbeitsverhältnisses mittels Arbeitsvertrages von der Anwendung des TVöD in diejenige der Tarifverträge der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zum 01.01.2013 ausdrücklich vereinbart hätten, dass der Berechnung des 13. Monatsgehaltes („Weihnachtsgeldes“) die „vereinbarte“ Monatsvergütung zugrunde zu legen sei, womit gerade nicht auf die „tarifliche Monatsvergütung“, wie dies bei der Tarifregelung zur Berechnung des Urlaubsgeldes/14. Monatsgehaltes der Fall sei, Bezug genommen werde. Dagegen spreche auch nicht die von der Beklagten angezogene Rechtsprechung des BAG, dass die tarifliche Vergütung im Ergebnis vor die Klammer gezogen worden sei. Hier liege vielmehr eine spezielle Vergütungsregelung zur Berechnung des 13. Monatsgehaltes vor. Es sei auch allgemein üblich, dass sich das 13. Monatsgehalt und das 14. Monatsgehalt, unabhängig vom Zweck deren Gewährung, der Höhe nach unterschieden. Die Regelung zum Urlaubsgeld in § 8 Abs. 2 MTV sei nachträglich in den Tarifvertrag aufgenommen worden - weshalb es den Tarifvertragsparteien auffallen hätte müssen, dass es eine offensichtlich Diskrepanz zur Formulierung hinsichtlich der Berechnung des 13. Monatsgehaltes gebe.

Wegen des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 02.12.2014 und vom 05.01.2015 sowie auf ihre ergänzenden Einlassungen im Rahmen ihrer Parteianhörung in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gemäß der entsprechenden Feststellungen in der Sitzungsniederschrift vom 29.01.2015 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Berufung der Beklagten ist aufgrund ihrer Zulassung im angefochtenen Endurteil vom 07.08.2014 statthaft (§ 64 Abs. 2 lit. a ArbGG), form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend und ausführlich und überzeugend begründet entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf Einbeziehung auch ihrer individuellen Besitzstandszulage in die Berechnung der Höhe ihres Anspruches auf das 13. Monatsgehalt nach der einschlägigen tarifvertraglichen Regelung hat.

1. Die Bestimmungen der Tarifverträge für die Beschäftigten der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für die Bundesrepublik Deutschland finden - hier - wohl bereits aufgrund beidseitiger Tarifbindung damit normativ (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG), jedenfalls aufgrund der Bezugnahmeklauseln im (neuen, ersichtlich novierenden) schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 18.01.2013 (zumindest aufgrund der umfassenden Verweisungsklausel unter § 10 Abs. 1 dort) einzelvertraglich auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

2. Wie bereits das Arbeitsgericht ausgeführt hat, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst zum Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Arbeitsgerichte ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. nur aus jüngerer Zeit etwa BAG, U. v. 28.08.2013, 10 AZR 701/12, ZTR 2014, S. 25 - Rz. 13, m.w.N .- ; so das BAG auch in der von der Beklagten angezogenen Entscheidung zum einschlägigen Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft - MTV- : U. v. 31.07.2002, 10 AZR 578/01, . 2. a) bb) (1) der Gründe - ).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die arbeitsvertraglich individuell vereinbarte Besitzstandszulage der Klägerin von, hier, 297,27 EUR brutto monatlich, die im Zusammenhang mit der Novation des Arbeitsvertrages aufgrund unstreitigen Wechsels („Überführung“) von der Anwendbarkeit der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD) in die Tarifverträge für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zum 01.01.2013 festgelegt wurde, nach der nunmehr einschlägigen Tarifregelung unter § 8 Ziff. 1. MTV Bestandteil ihres Anspruchs auf 13. Monatsgehalt:

a) Der Wortlaut letzterer Tarifbestimmung ist insoweit eindeutig:

Hiernach erhalten alle Beschäftigen 100% der zum Fälligkeitszeitpunkt des 13. Monatsgehaltes (01.12.) aktuell „vereinbarten“ Monatsvergütung. Diese Regelung stellt (im Gegensatz zur nachfolgenden tariflichen Bestimmung zum Urlaubsgeld/13. Monatsgehalt, s. u.) somit nicht auf die „tarifliche“, die tarifvertragliche oder sonst wie formulierte oder etwa - tarifpolitisch ebenfalls nicht ungewöhnlich - die „durchschnittliche“ oder „übliche“ (u. ä.) Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage ab, sondern eben ausdrücklich auf die „vereinbarte“ Monatsvergütung, was damit unzweifelhaft die jeweilige individuelle, einzelvertragliche, Vergütungsregelung in Bezug nimmt.

b) Dies wird auch durch den systematischen Zusammenhang und ebenso Sinn und Zweck der gesamten Tarifregelung zu den „Sonderzahlungen“ in § 8 MTV bestätigt, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat:

aa) Zum einen wird diese Bestimmung zur Festlegung der zum Fälligkeitszeitpunkt des 13. Monatsgehalts jeweils „vereinbarten“ Monatsvergütung unmittelbar nachfolgend, im selben Passus dieser Tarifregelung, dadurch konkretisiert, dass (außerhalb einer etwaigen abweichenden Regelung in einer Betriebsvereinbarung hierzu) „Überstunden-, Leistungs- (§ 3 Abs. 3) und Erschwerniszulagen (§ 7 VTV)“ hierin nicht einbezogen werden - damit im Umkehrschluss andere Zulagen, wie dies eben auch individuelle monatliche Besitzstandszulagen sind, gerade doch.

Diese katalogmäßige - ersichtlich abschließende - Auflistung der aus der „vereinbarten“ Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage für das 13. Monatsgehalt herauszunehmenden anderen Zulagen akzentuiert deren individuellen vertraglichen Charakter:

Die hier erwähnten „Überstundenzulagen“ sind ersichtlich überhaupt nicht tariflich normiert, damit im möglichen Einzelfall zwangsläufig einzelvertraglich, nach individuellen Arbeitszeitmodalitäten, zu vereinbaren/festzulegen; „Leistungszulagen“ sind in der bei den Regelungen zur Berechnung des 13. Monatsgehaltes in Bezug genommenen Norm des § 3 Abs. 3 MTV als lediglich als tarifliche Option - als widerrufliche oder befristete Leistungszulagen „bei überdurchschnittlichen Leistungen“ - zwar als solche erwähnt, jedoch ebenfalls weder betragsmäßig noch - wie in zahlreichen Tarifverträgen sonst üblich - etwa als prozentualer Zuschlag zum tariflichen Grundgehalt, gegebenenfalls mit Bewertungsparametern und -quoten, etwa qua Bandbreitenfestlegung, normiert, sondern hinsichtlich ihres „Ob“ und erst recht ihres „Wie“ völlig offen, damit ebenfalls vollständig einer individuellen Vereinbarung vorbehalten; gleiches gilt ersichtlich hinsichtlich der dort weiter ausgenommenen „Erschwerniszulagen“ im Sinne des hierzu in Bezug genommenen § 7 VTV.

Die ausdrückliche Herausnahme solcher erkennbar gänzlich individueller Zulagen aus der der Zahlung des 13. Monatsgehalts zugrunde zulegenden „vereinbarten“ Monatsvergütung indiziert damit im Umkehrschluss ohne Weiteres, dass zum einen eben auf das „vereinbarte“ = jeweilige individuelle Gehalt und zum anderen dort unter Einbeziehung etwaiger individueller Zulagen - soweit solche nicht aus dieser Berechnungsformel in abschließender Aufzählung ausdrücklich ausgeschlossene Zulagen, als Überstunden-, Leistungs- und Erschwerniszulagen, darstellen - abzustellen ist.

bb) Zum anderen bestimmt die dort unmittelbar nachfolgend normierte Regelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld (§ 8 Ziff. 2 MTV) in unbezweifelbarer Weise hiervon gerade abweichend, dass dieses (für die Beschäftigen in den alten Bundesländern) in Höhe von, ebenfalls, 100% der „nach dem Vergütungstarifvertrag … zu zahlenden Montagsvergütung gemäß § 4“ (dieses Tarifvertrages) zu zahlen ist, wobei die Tarifregelung zur „Monatsvergütung“ in § 4 ebenda konkretisiert, dass „die tarifliche Monatsvergütung der Beschäftigten … sich aus der Grundvergütung nach § 3 Abs. 1 und 2“ - gemäß Eingruppierung nach den Tarifgruppen des Vergütungstarifvertrages - und gegebenenfalls tariflichen Leistungszulagen nach § 3 Abs. 3 MTV ergibt.

Diese Regelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld stellt damit eindeutig gegenteilig zur Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt („Weihnachtsgeld“) auf die standardisierte, nicht die individuelle Tarifvergütung ab, wie sie sich nach den, auch hier geltenden, Grundsätzen der Tarifautomatik eo ipso ergibt. Hiernach ist die „Monatsvergütung“ als Referenzvergütung für die Berechnung des 14. Monatsgehalts gerade nicht individuell „vereinbart“, sondern ergibt sich als tarifliche Monatsvergütung damit aus dem Vergütungstarifvertrag bzw. dem Entgeltgruppensystem des MTV „automatisch“, von selbst. Die tarifliche Vergütung wird grundsätzlich nicht erst „vereinbart“, wie dies die Beklagte auch in ihrer Berufung mit einem eher „schrägen“ Beispiel aus einem völlig anderen Tarifbereich/Tarifvertrag (Privatkrankenanstalten in Bayern) akzentuieren/ableiten will (was in dem von der Beklagten weiter zitierten Beispiel aus einem Orientierungssatz einer Entscheidung des BAG vom 21.03.1990 besonders „schräg“ erscheint: Lehrer unterfallen im öffentlichen Dienst regelmäßig keinem unmittelbaren tariflichen Vergütungsgruppenschema, weshalb dort tarifliche Vergütungsgruppen allerdings erst konstitutiv „vereinbart“ werden müssen …).

Unabhängig davon, ob 13. Monatsgehalt und Urlaubsgeld (14. Monatsgehalt) sich als Sonderleistungen unterscheiden und unterschiedliche Zwecke verfolgen, sind der Wortlaut und der systematische Aufbau sowie Zusammenhang der Tarifregelungen zu beiden „Sonderzahlungen“ in § 8 Ziff. 1 und Ziff. 2 MTV, damit auch deren hier auf der Hand liegender Sinn und Zweck, eindeutig:

Die Regelung zur Berechnung des am 01.12. des jeweiligen Kalenderjahres zur Zahlung fälligen 13. Monatsgehaltes („Weihnachtsgeldes“) nimmt hinsichtlich dessen Höhe (eines vollen Bruttomonatsgehaltes) auf das „vereinbarte“, damit auf das individuelle Effektivgehalt - also inklusive etwaiger spezifischer Zulagen, wie hier die individuell errechnete Besitzstandszulage - Bezug, während die unmittelbar nachfolgende Tarifregelung zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld dagegen gerade ausdrücklich auf das tarifliche Grundgehalt abstellt. Dies sind eindeutig unterschiedliche Berechnungsparameter beider Gehaltssonderzahlungen, woran auch die ebenso wortreichen wie letztendlich substanzarmen Ausführungen der Beklagten, etwa zu einer unterschiedlichen Intention der Tarifvertragsparteien, nichts ändern können - vor allem auch nicht erklären können, weshalb diese dann eben diese eindeutige Formulierungsdifferenzierung gewählt haben. Deshalb war nach Ansicht der Berufungskammer auch keine Einholung einer Tarifauskunft veranlasst. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Ausgestaltung der Berechnungsgrundlagen von Vergütungs- und erst recht Sonderzahlungen grundsätzlich frei.

cc) Bestätigt wird dies, wie das Arbeitsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, im Ergebnis dadurch, dass - so beide Parteien übereinstimmend - die Regelungen zum 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld erst nachträglich in den MTV Wohnungswirtschaft eingefügt worden seien:

Gerade daraus, dass die Tarifvertragsparteien bei der späteren ergänzenden Regelung der Zahlung auch eines 14. Monatsgehalts/Urlaubsgeldes dezidiert eine eindeutig andere Formulierung als bei der vorhandenen Bestimmung zum 13. Monatsgehalt („Weihnachtsgeld“) gewählt - und erstere Sonderzahlung unmittelbar nach der Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt situiert - haben, ergibt sich, dass sie damit Unterschiedliches regeln wollten: Das 14. Gehalt reduziert auf die tarifvertraglich festgesetzte Monats(grund)vergütung, im Gegensatz zur etablierten Bestimmung zum 13. Monatsgehalt, die gerade nicht auf die „Tarifvergütung“ („tarifliche Monatsvergütung“ nach § 4 MTV), sondern auf das individuelle Entgelt abstellt. Hätten die Tarifvertragsparteien beides - nachträglich (und wie auch immer …) - gleich regeln wollen, hätten sie, wie ohne weiteres zu unterstellen ist, bei der nachträglichen Einfügung der Bestimmung über ein zusätzlich zu zahlendes 14. Gehalt/Urlaubsgeld in den MTV entweder die dort vorhandene Regelung zum 13. Gehalt entsprechend novellieren/klarstellen oder die Neuregelung zum 14. Gehalt/Urlaubsgeld übereinstimmend mit der vorhandenen Tarifbestimmungen zum 13. Monatsgehalt formulieren, beides koordinieren/(formulierungs-)technisch anpassen müssen - die Tarifvertragsparteien haben jedoch bei der späteren Einfügung einer weiteren Sonderzahlung von ebenfalls 100% einer Monatsvergütung als 14. Monatsgehalt/Urlaubsgeld deren Berechnungsgrundlage ausdrücklich und eindeutig abweichend, differenziert, formuliert und einmal die tarifliche und einmal die individuelle („vereinbarte“) Monatsvergütung als Berechnungsgrundlage definiert.

dd) Damit bestehen nicht nur „keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien für das 13. Monatsgehalt und für das 14. Monatsgehalt unterschiedliche Berechnungsgrundlagen festlegen“ hätten wollen - wie die Beklagte annimmt -, vielmehr haben die Vertragsparteien eben solches ausdrücklich normiert, und wollten dies, wenn die Tarifvertragsparteien beim Wort und ernst genommen werden sollen. Gerade, wenn diese beim Wechsel der einzelvertraglich anzuwendenden Tarifverträge zum 01.01.2013 vom TVöD in die Tarifverträge der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft nach Auffassung der Beklagten die individuellen Besitzstandszulagen so errechnet haben sollten, dass eine individuelle Plusdifferenz der früheren Jahresentgeltsumme nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes - trotz Zahlung von nunmehr grundsätzlich vollen 14 Monatsgehältern nach den Tarifverträgen der Wohnung-/Immobilienwirtschaft - durch 12 geteilt und so auf das nunmehrige tarifliche Gehalt nach letzteren Tarifverträgen aufgeschlagen worden sei: Sollte dies so zutreffend sein, hätte vor dem Hintergrund der bestehenden differenzierten Tarifregelungen zu den Sonderzahlungen in § 8 MTV - der, wie ausgeführt, auf die individuell vereinbarte Monatsvergütung abstellenden Berechnung des 13. Monatsgehalts, wie eigentlich auf der Hand liegend - erst recht Veranlassung bestehen müssen, entweder als Divisor für die Umlegung des Jahresbetrages der Besitzstandszulage 13 statt 12 zu wählen oder die Tarifregelung zum 13. Monatsgehalt in § 8 Ziff. 1 MTV entsprechend zu modifizieren.

c) Damit muss die Berufung der Beklagten zurückgewiesen werden.

III.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.

Die Berufungskammer hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannte Pilotwirkung der vorliegenden Verfahren, auch für künftige Jahre, sowie die bundesweite Geltung der nunmehr geltenden einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zugelassen.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 3 Tarifgebundenheit


(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist. (2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, der

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 28. Aug. 2013 - 10 AZR 701/12

bei uns veröffentlicht am 28.08.2013

Tenor 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juni 2012 - 8 Sa 97/12 - wird zurückgewiesen.

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(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist.

(2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist.

(3) Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. Juni 2012 - 8 Sa 97/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über das Ausmaß der Absenkung einer tariflichen Sonderzahlung.

2

Der Kläger trat im Jahre 1990 in die Dienste der Beklagten, eines Automobilzulieferer-Unternehmens. Er ist bei ihr als Musterbauer beschäftigt. Sein monatliches Entgelt belief sich im maßgeblichen Zeitraum auf 2.678,50 Euro brutto.

3

Auf das Arbeitsverhältnis der beiderseits tarifgebundenen Parteien findet ua. der Einheitliche Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18. Dezember 2003 (ETV 13. ME) Anwendung. Nach § 2 Nr. 2.2 dieses Tarifvertrags steht dem Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 vH eines Monatsentgelts zu. In dem am 13. Dezember 2010 abgeschlossenen Standortsicherungstarifvertrag ist eine vorübergehende Absenkung dieses 13. Monatseinkommens für die Jahre 2010 bis 2014 vorgesehen. Der Tarifvertrag enthält, soweit von Belang, folgende Regelungen:

        

3.1   

Tarifliche Einmalzahlungen

        

3.1.1.

Die tariflichen Ansprüche auf

                 

die betriebliche Sonderzahlung gemäß § 2 des einheitlichen Tarifvertrages über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens (ETV 13. ME) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden im Jahr 2010 um 10 Prozent sowie im Jahr 2011 um 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.

        

3.1.2.

Die tariflichen Ansprüche auf

                 

die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 14 Nr. 1. des einheitlichen Manteltarifvertrages (EMTV) vom 18. Dezember 2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens werden in den Jahren 2011 und 2012 um jeweils 40 Prozent des jeweiligen individuellen Anspruchs abgesenkt.

        

…       

        
        

3.2     

Kompensation der reduzierten tariflichen Einmalzahlungen durch zusätzliche Arbeitszeit

                 

Die Beschäftigten können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis zur Kompensation der Reduzierung der tariflichen Einmalzahlungen (betriebliche Sonderzahlung und zusätzliche Urlaubsvergütung) gemäß Ziffer 3.1 wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit leisten.

                 

…       

                 

Macht der Beschäftigte von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch, werden die tariflichen Einmalzahlungen gemäß Ziff. 3.1 über die angeführten Zeiträume hinaus bis zur Beendigung dieses Standortsicherungstarifvertrages weiterhin um jeweils 40 Prozent abgesenkt.

                 

…       

        

3.8     

AT-/ÜT-Beschäftigte, leitende Angestellte

                 

…       

                 

Die persönlichen Arbeitszeitkonten dieser Beschäftigten werden während der Laufzeit dieser Vereinbarung wie folgt mit Minusstunden belastet:

                          

2010   

15 Minusstunden

                          

2011   

40 Minusstunden

                          

2012   

40 Minusstunden

                          

2013   

40 Minusstunden

                          

2014   

20 Minusstunden.

                 

Soweit außertarifliche bzw. übertarifliche Beschäftigte Anspruch auf Zahlung eines Bonus haben, wird der Bonus um 40 % des individuellen regelmäßigen Bruttomonatsentgelts abgesenkt.

                 

Zur Kompensation der Reduzierung der Bonuszahlung können ab dem 01.07.2012 auf freiwilliger Basis wertgleich wöchentlich 2,5 Stunden als zusätzliche unbezahlte Arbeitszeit geleistet werden.

                 

...“   

4

Die Beklagte versteht die Regelungen des Standortsicherungstarifvertrags dahin, dass die tarifliche Sondervergütung im Jahr 2010 um 10 % bezogen auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), demnach also - um 10 Prozentpunkte - von 55 vH eines Monatsentgelts auf 45 vH eines Monatsentgelts gesenkt wird. Sie hat deshalb für das Jahr 2010 den auf dieser Grundlage zutreffend errechneten Betrag von 1.205,32 Euro an den Kläger ausgezahlt.

5

Der Kläger vertritt demgegenüber eine Kürzung der Sonderzahlung um einen Prozentsatz von 10 vH bezogen auf einen Grundwert von 55 vH des Monatseinkommens, folglich um 5,5 vH auf 49,5 vH eines Monatsentgelts und verlangt hiernach 1.325,86 Euro abzüglich der gezahlten 1.205,32 Euro.

6

Nach Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass die Tarifvertragsparteien ihrer Vereinbarung  das Verständnis zugrunde gelegt haben, das die Beklagte als maßgebend ansieht.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut der Regelungen im Standortsicherungstarifvertrag sei eindeutig. Angesichts der Grundsätze der Tarifauslegung sei der entgegenstehende Wille der Tarifvertragsparteien unbeachtlich.

8

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 1. März 2012 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung ihrer Auffassung hat sie sich auf den vom Tarifwortlaut abweichenden übereinstimmenden Regelungswillen der Tarifparteien berufen. Dieser finde hinreichenden Ausdruck in Ziff. 3.2 des Standortsicherungstarifvertrags, wonach die Absenkung der tariflichen Leistungen wertgleich durch unbezahlte Mehrarbeit kompensiert werden könne. Eine annähernd wertgleiche Kompensation werde allein auf der Grundlage des übereinstimmenden Regelungswillens erreicht.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden. Die Klage ist unbegründet.

12

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die verlangte Zahlung von 120,54 Euro brutto. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, nämlich § 2 Nr. 2.2 des ETV 13. ME in Verbindung mit Ziff. 3.1.1 des Standortsicherungstarifvertrags lägen nur dann vor, wenn der Tarifvertrag eine Absenkung des 13. Monatseinkommens auf 49,5 % eines Monatseinkommens vorsähe. Die Absenkung beträgt jedoch 10 vH bezogen auf das Monatseinkommen als Grundwert, sodass sich der Zahlungsanspruch auf den bereits geleisteten Betrag beschränkt. Das ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Norm.

13

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 19. September 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BAGE 124, 110; 7. Juli 2004 - 4 AZR 433/03 - zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 111, 204; 8. September 1999 - 4 AZR 661/98 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 92, 259) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat (BAG 8. März 1995 - 10 AZR 27/95 - zu II 2 a der Gründe). Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 11. Juli 2012 - 10 AZR 488/11 - Rn. 13).

14

2. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass sich die im Standortsicherungstarifvertrag enthaltene Angabe der Prozentsätze 10 und 40, um die das 13. Monatseinkommen abgesenkt werden soll, auf das Monatsentgelt als Grundwert (100), nicht aber auf das 13. Einkommen bezieht. Angegeben sind mit den im Tarifvertrag angeführten Zahlenwerten die Prozentpunkte. Diese zeigen die Differenz der Relationen zwischen ungekürzter und gekürzter betrieblicher Sonderzahlung auf (55 vH -  10 vH = 45 vH bzw. 55 vH -  40 vH = 15 vH), nicht die Relation der Differenz, also das Verhältnis zwischen der vollen und der abgesenkten betrieblichen Sonderzahlung.

15

a) Der Wortlaut der Tarifnorm ist allerdings mehrdeutig. Er scheint auf den ersten Blick in die dem Kläger günstige Richtung zu weisen, weil die Vorschrift anordnet, die Absenkung solle 10 bzw. 40 Prozent „des jeweiligen individuellen Anspruchs“ betragen. Mit dem „individuellen Anspruch“ wird die betriebliche Sonderzahlung angesprochen. Indes unterscheidet bereits die Umgangssprache nicht immer deutlich zwischen „Prozent“ und „Prozentpunkt“. Auch in der Rechtspraxis schwankt der Sprachgebrauch; so wird in Klageschriften gelegentlich der Ausdruck „Prozent“ im Sinne des vom Gesetzgeber (vgl. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) gewählten Ausdrucks „Prozentpunkt“ benutzt (vgl. BAG 2. März 2004 - 1 AZR 271/03 - zu VII 2 der Gründe, BAGE 109, 369). Der Wortlaut schließt damit eine Auslegung im Sinne des von der Beklagten für richtig gehaltenen Verständnisses nicht vollständig aus. Er ordnet nicht mit der vom Kläger in Anspruch genommenen Ausschließlichkeit an, eine andere Deutung komme unter keinen Umständen in Betracht.

16

b) Der Zusammenhang von Ziff. 3.1 des Standortsicherungstarifvertrags mit den weiteren Vorschriften macht deutlich, dass die Absenkung 10 bzw. 40 Prozentpunkte betragen soll. Ziff. 2 gibt den betroffenen Arbeitnehmern für die Zeit ab Juli 2012 die Möglichkeit, die Absenkung des 13. Monatseinkommens durch unentgeltliche Mehrarbeit zu kompensieren. Die Kompensation soll dabei „wertgleich“ erfolgen. Bei der Absenkung des Urlaubsgeldes und des 13. Monatseinkommens um jeweils 40 vH vom Monatsentgelt wird genau der Betrag erreicht, der dem Wert der zur Kompensation vorgesehenen wöchentlichen Mehrarbeit von 2,5 Stunden in einem Zeitraum von zwölf Monaten entspricht. Die Absenkung wird also im Falle der Leistung unbezahlter zusätzlicher Arbeit exakt kompensiert. Die Kompensation ist daher „wertgleich“, wie der Tarifvertrag verlangt. Die vom Kläger bevorzugte Auslegung würde dagegen zu einer deutlichen Überkompensation führen. Die Arbeitnehmer müssten zB bei einem Monatsgehalt von 2.000,00 Euro Arbeitsstunden im Wert von 1.600,00 Euro erbringen, um eine Kürzung von 1.016,00 Euro auszugleichen.

17

c) Bei derartiger Lage spricht die Tarifgeschichte für das hier gewonnene Ergebnis (vgl. BAG 24. Februar 2010 - 10 AZR 1035/08 - Rn. 29). Maßgeblich ist insoweit die vom Landesarbeitsgericht festgestellte, ausdrücklich erklärte Absicht der Tarifvertragsparteien, die Regelung so zu treffen, wie sie von der Beklagten angewandt worden ist.

18

d) Die Einwände der Revision gegen dieses Auslegungsergebnis greifen nicht durch. Dass der Kläger in den Jahren 2010 und 2011 keine Kompensation der Absenkung durch unbezahlte Mehrarbeit erreichen konnte, ist im Tarifvertrag ausdrücklich so geregelt. Es ändert an den für die Auslegung entscheidenden Gesichtspunkten nichts. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien könnten bei identischem Wortlaut für die Jahre 2010 und 2011 eine andere Regelung als für die Jahre 2012 bis 2014 getroffen haben, liegt fern.

19

e) Die Ausführungen der Revision zum Zustandekommen des Standortsicherungstarifvertrags enthalten im Wesentlichen neuen Vortrag, der im Revisionsverfahren nicht berücksichtigungsfähig ist. Abgesehen davon sind die Ausführungen auch unbehelflich. Aus ihnen geht allenfalls hervor, dass eine geringere Absenkung im Gespräch war. Der Kläger räumt aber selbst ein, dass eine Vereinbarung auf dieser Grundlage nicht zustande gekommen ist und in einer gemeinsamen Information von Betriebsrat und Werksleitung vom 10. Dezember 2010 - also drei Tage vor Abschluss des Tarifvertrags - eine Absenkung des 13. Monatseinkommens ausdrücklich auf „45 % des regelmäßigen Entgelts“ angekündigt wurde.

20

II. Die Kosten der Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

        

    Mikosch    

        

    Mestwerdt    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Schürmann    

        

    R. Bicknase    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)