Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 05. Aug. 2015 - 4 Sa 299/15
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 04.02.2015 - 4 Ca 2387/14 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
1
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten über die Abgeltung tarifvertraglichen Mehrurlaubs.
3Der am 21.08.1951 geborene und schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin langjährig als gewerblicher Mitarbeiter tätig. Das Arbeitsverhältnis endete durch den Renteneintritt des Klägers mit dem 31.08.2014.
4Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Chemische Industrie (im Folgenden: MTV-Chemie) kraft vertraglicher Vereinbarung Anwendung. § 12 MTV-Chemie enthält u.a. folgende Regelung:
5"I.
6Urlaubsanspruch
7[…]
85. Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Scheidet der Arbeitnehmer wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus, so erhält er den vollen Jahresurlaub, es sei denn, dass das Arbeitsverhältnis im Eintrittsjahr endet. Der Anspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden mindestens 12 Monate lang nicht gearbeitet hat.
9[…]
1011. Der Urlaub ist spätestens bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres zu
11gewähren.
12Der Urlaub erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.
13II.
14Urlaubsdauer
151.Der Urlaub beträgt 30 Urlaubstage.
16[…]
17IV.
18Urlaubsabgeltung
191.Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten werden.
202.Soweit jedoch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt ist, ist er abzugelten. Nicht erfüllbare Urlaubsansprüche sind nicht abzugelten.
213.Die Urlaubsabgeltung ist für das Urlaubsjahr zulässig, in dem der Arbeitnehmer wegen des Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
224.Die Urlaubsabgeltung ist in Höhe des Urlaubsentgelts zuzüglich des Urlaubsgelds zu gewähren; das Urlaubsentgelt ist in diesem Falle nach dem Entgelt bzw. den Monatsbezügen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu berechnen.
235.Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht übertragbar."
24Im Jahr 2014 war der Kläger bis einschließlich 01.09.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete an ihn Urlaubsabgeltung für den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Tagen sowie für den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte von 5 Tagen. Mit Schreiben vom 08.09.2014 machte der Kläger die Abgeltung des vollen tariflichen Jahresurlaubs aus 2014 und damit weiterer 10 Urlaubstage in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.628,40 € brutto geltend.
25Mit seiner am 16.10.2014 beim Gericht eingegangenen Klage verfolgt er sein Begehren weiter. Er hat die Auffassung vertreten, dass sein Urlaubsanspruch nicht unerfüllbar gewesen sei, da seine Arbeitsunfähigkeit nur bis zum 01.09.2014 gedauert habe. Zudem habe sein Arbeitsverhältnis im Jahr des Renteneintritts geendet, so dass er schon aufgrund von § 12 Abschn. I Ziff. 5 i.V.m. Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie Anspruch auf Abgeltung des vollen tariflichen Urlaubs habe.
26Demgegenüber hat sich die Beklagte auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.11.2012 (9 AZR 64/11) berufen und geltend gemacht, dass der MTV-Chemie ein eigenständiges Urlaubsregime enthalte, wonach nicht erfüllbarer Urlaub nicht abzugelten sei (§ 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie). Der Urlaubsanspruch des Klägers sei in diesem Sinne nicht erfüllbar gewesen, da es insoweit auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses ankomme und der Kläger bis dahin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Soweit § 12 Abschn. IV Ziff. 3 die Urlaubsabgeltung bei Ausscheiden wegen des Bezugs einer Altersrente für "zulässig" erkläre, folge daraus kein Anspruch auf die Abgeltung.
27Mit Urteil vom 04.02.2015, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß
28die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.628,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2014 zu zahlen.
29Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger nach § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie die Abgeltung des vollen tariflichen Urlaubs beanspruchen könne, da er wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Die Systematik der Abgeltungsregelung in § 12 Abschn. IV MTV-Chemie folge einem Regel-Ausnahme-Prinzip. Wer gem. § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide, werde von der vorausgehenden Regelung in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie, wonach nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten seien, ausgenommen. Bei einem anderen Verständnis bliebe die "Zulässig"-Erklärung in § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie ohne Anwendungsbereich. Ein "abgeltungsrechtliches Vakuum" wäre dann aber ohnehin durch die gesetzliche Regelung aus § 7 Abs. 4 BUrlG, die Abgeltungsansprüche vorsieht, zu schließen.
30Gegen das ihr am 25.02.2015 zugestellt Urteil hat die Beklagte mit einem am 13.03.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Sie wendet sich gegen die Auslegung von § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie durch das Arbeitsgericht. Nach seinem Wortlaut und Zweck beabsichtige die Regelung lediglich, eine freiwillige - übertarifliche - Abgeltung von Urlaubsansprüchen in den dort genannten Fällen (Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung) zuzulassen, die im Belieben des Arbeitgebers stehe. Die Regelung trage damit dem in der Chemiebranche verbreiteten Compliance-Gedanken Rechnung, also dem Grundsatz der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien, indem sie die Ausnahme zu einer Regel statuiere. Anderenfalls hätte sie einen Anspruch eindeutig formuliert ("... ist abzugelten").
31Die Beklagte beantragt,
32das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 04.02.2015 - 4 Ca 2387/14 - "aufzuheben und die Klage zurückzuweisen".
33Der Kläger beantragt,
34die Berufung zurückzuweisen.
35Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 08.04.2015.
36Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst beigefügten Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.
37E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
38Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Dem Kläger steht Abgeltung des restlichen tariflichen Urlaubs in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.628,40 € brutto nebst Zinsen zu. Anders als das Arbeitsgericht geht das Berufungsgericht dabei schon davon aus, dass der in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie geregelte Fall der Nichterfüllbarkeit von Urlaubsansprüchen nicht gegeben ist. Es bleibt damit bei der Regel des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie, wonach der Urlaubsanspruch abzugelten ist, soweit er bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist. Ungeachtet dessen folgt das Gericht dem Arbeitsgericht in der Auslegung von § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie dahin, dass die Vorschrift als Rückausnahme zur Regelung des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie anzusehen ist mit der Folge, dass es in den genannten Fällen bei der Rechtsfolge der Abgeltung gem. § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie verbleibt.
39I.
40Der Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs folgt zunächst nicht aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Diese Regelung zur Abgeltung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs findet auf den den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden tariflichen Urlaubsanspruch aus § 12 MTV-Chemie keine entsprechende Anwendung. Denn die Tarifvertragsparteien haben in § 12 Abschn. IV MTV-Chemie eine von der gesetzlichen Abgeltungsregelung in § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende eigenständige Regelung getroffen. Der dahingehenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 13.11.2012 - 9 AZR 64/11, NZA 213, 399 Rz. 11 - 19; a.A. LAG Köln 27.01.2012 - 4 Sa 1036/11 - Juris) schließt sich die Berufungskammer an. Durchgreifende Gründe für eine hiervon abweichende Betrachtung sind nicht ersichtlich, zumal die Tarifvertragsparteien auch nach Abkehr des Bundesarbeitsgerichts von seiner Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG in Bezug auf die Unerfüllbarkeit von Urlaubsansprüchen bei Krankheit (BAG 13.12.2011 - 9 AZR 399/10, Rz. 15, AP Nr. 93 zu § 7 BurlG Abgeltung) an ihrer abweichenden Regelung festgehalten haben (so der hier anwendbare MTV-Chemie i.d.F. vom 17.10.2013). Auch die Parteien gehen von diesem Ausgangspunkt aus.
41II.
42Der Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Urlaubs folgt jedoch aus § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie, jedenfalls aber aus der Sonderregelung des § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie.
43Von dem grundsätzlichen Abgeltungsverbot für Urlaub in § 12 Abschn. IV Ziff. 1 MTV-Chemie macht Ziff. 2 Satz 1 der Vorschrift eine Ausnahme, soweit der Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist. Insoweit ist der Urlaubsanspruch abzugelten. Diese Voraussetzungen liegen, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, in Bezug auf den hier geltend gemachten Anspruch auf Abgeltung von 10 Urlaubstagen vor.
44Die Rückausnahme des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie, wonach "nicht erfüllbare" Urlaubsansprüche nicht abzugelten sind, liegt demgegenüber nicht vor. Die restlichen Urlaubsansprüche des Klägers waren erfüllbar im Sinne des Tarifvertrages (dazu im Folgenden Ziff. 2). Jedenfalls aber folgt der Abgeltungsanspruch aus § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie. Diese Regelung ist mit dem Arbeitsgericht als eigenständige Anspruchsgrundlage zu verstehen und nicht lediglich als Erlaubnis für eine (einvernehmliche) Abweichung vom Abgeltungsverbot des § 12 Abschn. IV Ziff. 1 MTV-Chemie (dazu im Folgenden Ziff. 3). Dies ergibt die Auslegung der Tarifnormen.
451.Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., vgl. etwa BAG 26.03.2013 - 3 AZR 68/11, Juris, Rz. 25 mwN).
462.Danach hat der Kläger gem. § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie Anspruch auf Abgeltung der unstreitig nicht erfüllten restlichen 10 Tarifurlaubstage. Es liegt kein Fall "nicht erfüllbarer" Urlaubsansprüche im Sinne von § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie vor. Nicht erfüllbar im Sinne dieser Tarifnorm sind Urlaubsansprüche nach Auffassung des Berufungsgerichts erst dann, wenn sie bis zum Ablauf des jährlichen Urlaubszeitraums gem. § 12 Abschn. I Ziff. 11 MTV-Chemie am 31. März des folgenden Kalenderjahres im Sinne der früheren Surrogats-Theorie des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr hätten erfüllt werden können, hätte das Arbeitsverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt fortbestanden. Das ist für die streitigen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2014 nicht der Fall, da der Kläger nur bis zum 01.09.2014 arbeitsunfähig erkrankt war.
47a.Der MTV-Chemie enthält zu der Frage, wann Urlaubsansprüche "nicht erfüllbar" im Sinne von § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie sind, keine Regelung.
48Satz 2 der Norm bestimmt lediglich, dass nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten sind, ohne zur Frage der Nichterfüllbarkeit Näheres zu bestimmen. Auch aus Satz 1 der Norm, der mit Satz 2 nach seiner systematischen Stellung in Ziff. 2 des § 12 Abschn. IV MTV-Chemie eng verbunden ist, ergibt sich hierfür nichts (a. A. möglicherweise BAG 13.11.2012 - 9 AZR 64/11, NZA 2013, 399 Rz. 19). Zwar stellt Satz 1 für den dort geregelten Abgeltungsanspruch darauf ab, dass der Urlaubsanspruch "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" noch nicht erfüllt ist. Darin kann jedoch keine Regelung für die Frage erblickt werden, wann von einer "Nichterfüllbarkeit" des Urlaubsanspruchs auszugehen ist. Denn grundsätzlich ist jeder offene Urlaubsanspruch "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" nicht mehr erfüllbar, kann also nicht mehr in Natur gewährt werden. Diese Unerfüllbarkeit haben die Tarifvertragsparteien in Satz 2 der Norm nicht gemeint, anderenfalls hätte Satz 1 keinen Anwendungsbereich. Unter nicht erfüllbaren Urlaubsansprüchen im Sinne des Satzes 2 verstehen die Tarifvertragsparteien die Fälle, in denen die Urlaubsgewährung als Freistellung von der Arbeitspflicht deshalb nicht erfüllbar ist, weil keine Arbeitspflicht besteht, in erster Linie also den Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Bei Anwendung dieses Hauptfalles zeigt sich, dass Satz 1 der Tarifregelung für die Frage der Nichterfüllbarkeit im Sinne des Satzes 2 keine sinnvolle zeitliche Anknüpfung bietet. "Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" bezeichnet lediglich einen Zeitpunkt. Für die Nichterfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs kann es jedoch nicht darauf ankommen, ob ein Arbeitnehmer gerade in diesem Zeitpunkt etwa arbeitsunfähig ist, also z. B. am letzten Tag oder in der letzten Stunde des Arbeitsverhältnisses. Auch eine erweiternde Auslegung dahin, dass "bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" die letzten Tage oder Wochen des Arbeitsverhältnisses meint, je nachdem, wie viel Urlaub noch offen ist, scheidet aus. Denn Satz 1 der Norm stellt gerade nicht auf einen solchen Zeitraum, sondern ausschließlich auf das wirkliche Ende des Arbeitsverhältnisses ab. Anderenfalls wäre der Urlaub gem. Satz 1 auch im noch bestehenden Arbeitsverhältnis abzugelten.
49b.Fehlen somit im Tarifvertrag Regelungen zu der Frage, wann Urlaubsansprüche "nicht erfüllbar" sind, kann hierfür nur die Regelung der früheren Surrogatstheorie des Bundesarbeitsgerichts herangezogen werden, wonach auf eine fiktive Betrachtung des Zeitraums bis zum Ablauf des Urlaubsjahres und des Übertragungszeitraums abzustellen ist (grundlegend BAG 23.06.1983 - 6 AZR 180/80, zu 3 der Gründe, BAGE 44, 75; sodann st. Rspr. bis BAG 27.05.2003 - IX AZR 366/02, zu I 1 der Gründe, EzA BOLG § 7 Abgeltung Nr. 9). Diese Auffassung wird auch in der Rechtsprechung geteilt (vgl. LAG Hamm 02.12.2010 - 16 Sa 1079/10, juris, Rz. 55, das auf den fiktiven Ablauf des Übertragungszeitraums abstellt; LAG Köln 27.01.2012 - 4 Sa 1036/11, das - weitergehend - insgesamt von einem Gleichlauf der Urlaubsregelungen des MTV-Chemie und des Bundesurlaubsgesetzes ausgeht).
50aa.Dieses Ergebnis folgt bereits aus der Regel, dass in Ermangelung tariflicher Regelungen davon auszugehen ist, dass die Tarifvertragsparteien an die gesetzliche Regelung anknüpfen. Haben die Tarifvertragsparteien - wie hier - eine eigenständige Regelung über die Frage, wann Urlaubsansprüche nicht erfüllbar sind, nicht getroffen, ist somit ohne weiteres die gesetzliche Regelung - hier in der von den Tarifvertragsparteien übernommenen Ausprägung der seinerzeitigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O.) - heranzuziehen.
51bb.Für die vorgenannte Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte des MTV-Chemie. § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie gilt seit dem 24.06.1992. Er hat insoweit die damalige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Surrogatstheorie übernommen, ohne - wie gezeigt - in Bezug auf die Frage der Nichterfüllbarkeit eine eigenständige Regelung zu treffen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Tarifvertragsparteien von der ansonsten übernommenen Surrogatstheorie gerade in der Frage der Nichterfüllbarkeit von Urlaubsansprüchen hätten abweichen wollen. In Anbetracht der deutlichen Übernahme der Surrogatstheorie in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie hätte eine solche Abweichung eines deutlichen Niederschlags im Tarifwortlaut bedurft. Daran fehlt es, insbesondere findet er sich - wie ausgeführt - nicht in Satz 1 der Bestimmung.
52cc.Insbesondere sprechen Sinn und Zweck der tariflichen Regelung für die hier vertretene Auslegung. Es gelten dieselben Erwägungen, die seinerzeit das Bundesarbeitsgericht zur Ausformung seiner Surrogatsrechtsprechung mit folgendem amtlichem Leitsatz bewogen haben: Endet nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis dessen Arbeitsunfähigkeit im Urlaubsjahr, für das der Urlaubsanspruch entstanden ist, bzw. im Übertragungszeitraum so rechtzeitig, dass bei bestehendem Arbeitsverhältnis der Urlaub hätte verwirklicht werden können, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Gewährung der Urlaubsabgeltung (BAG 28.06.1984 - 6 AZR 521/81, BAGE 46, 224). Der an die Stelle des Urlaubsanspruchs tretende Abgeltungsanspruch solle den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses dennoch Freizeit zur Erholung zu nehmen. Der Abgeltungsanspruch entspreche daher nicht lediglich dem im Urlaub zu zahlenden Entgelt, sondern sei als Surrogat des Freistellungsanspruchs von der Arbeitspflicht - abgesehen von der Besonderheit, dass die Arbeitspflicht wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr suspendiert werden kann - an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie der Urlaubsanspruch selbst. Der Arbeitnehmer müsse in der Lage sein, Urlaub zu nehmen, also seinen Freizeitanspruch in anderer Weise zu verwirklichen (BAG, ebenda Rz. 11).
53Wollte man demgegenüber mit der Beklagten - ohne Anhaltspunkte im Wortlaut und abweichend von der im Übrigen tariflich übernommenen Surrogatstheorie - darauf abstellen, dass die Ansprüche innerhalb eines näher zu bestimmenden Zeitraums vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbar sein müssten, bliebe zum einen offen, um welchen Zeitraum es sich handelte. Zum anderen würde gerade die mit der Surrogatstheorie bezweckte urlaubsmäßige Gleichstellung von ausgeschiedenen Arbeitnehmern verfehlt. Denn sie könnten im Gegensatz zu den weiterbeschäftigten Arbeitnehmern im Falle einer späteren Genesung nicht mehr in den Genuss des Urlaubssurrogats gelangen.
54dd.Letztlich sprechen auch systematische Gründe für die hier vertretene Auslegung. Scheidet etwa ein Arbeitnehmer zu Beginn eines Jahres wegen voller Erwerbsminderung aus, hat er gemäß § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 MTV-Chemie grundsätzlich Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Hier stünden bis zu seinem Ausscheiden in dem Urlaubsjahr aber nicht einmal kalendermäßig genügend Tage zur Verfügung, an denen der Arbeitnehmer - gemäß der Rechtsansicht der Beklagten - eine seinem (vollen) Urlaubsanspruch entsprechende Arbeitsleistung geschuldet hätte. Es würde also dem Arbeitnehmer im Abschnitt I des § 12 MTV-Chemie etwas gewährt, was ihm im Abschnitt IV ohne weitere Voraussetzungen wieder genommen würde. Das stellt keine sinnvolle Regelung dar.
553.Jedenfalls folgt der Abgeltungsanspruch aus § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie, wie die Auslegung der Norm ergibt.
56Die Bestimmung statuiert eine Ausnahme von der Regel des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie, wonach nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten sind. Dies gilt ungeachtet der oben unter II. 2 erörterten Frage, unter welchen Voraussetzungen Urlaubsansprüche nicht erfüllbar sind. Mit der Ausnahme soll es bei der Regel des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie verbleiben, wonach ein bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllter Urlaubsanspruch abzugelten ist. Insoweit wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Anderenfalls hätte die Vorschrift allein den Inhalt, eine mangels Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs nicht geschuldete Abgeltung (§ 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie) - übertariflich - zu gestatten. Das wäre in Anbetracht des Charakters von Tarifregelungen als Mindestarbeitsbedingungen banal.
57Entscheidend tritt hinzu, dass der Anspruchscharakter der Regelung insbesondere auch aus dem systematischen Zusammenhang mit weiteren Urlaubsregelungen des MTV-Chemie folgt. Insbesondere ergäbe sich ein nicht auflösbarer Widerspruch zur Regelung in § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 MTV-Chemie, der dem Arbeitnehmer, der wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, den vollen Jahresurlaub gewährt. Der Anspruch ist lediglich in den - hier nicht gegebenen - Fällen ausgeschlossen, dass das Arbeitsverhältnis bereits im Eintrittsjahr geendet hat oder der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden mindestens zwölf Monate lang nicht gearbeitet hat. Scheidet aber ein Arbeitnehmer etwa wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis aus, wird er in aller Regel bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig sein und dies bis zum Ablauf des tariflichen Urlaubsjahres am 31. März des folgenden Kalenderjahres bleiben. Hier bildet es den Regelfall, dass der in § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 gewährte Anspruch auf den vollen Jahresurlaub nicht erfüllbar ist. In der Auslegung der Beklagten würde auch seine Abgeltung ausscheiden bzw. lediglich eine übertarifliche Abgeltung ohne Rechtsanspruch für zulässig erklärt. Damit würde der in § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 MTV-Chemie bei Ausscheiden wegen voller Erwerbsminderung gerade gewährte Anspruch auf den vollen Jahresurlaub, der - von seltenen Ausnahmefällen abgesehen - nur als Abgeltungsanspruch überhaupt realisierbar sein kann, wieder genommen und vom freien Einverständnis des Arbeitgebers abhängig gemacht. Dies widerspräche dem eindeutigen Anspruchscharakter des § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 MTV-Chemie. § 12 Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie ist deshalb im systematischen Zusammenhang mit § 12 Abschn. I Ziff. 5 Satz 2 und § 12 Abschn. IV Ziff. 2 MTV-Chemie dahin zu verstehen, dass die Zulässig-erklärung der Abgeltung in den Fällen der Ziff. 3 den Abgeltungsanspruch aus § 12 Abschn. IV Ziff. 2 MTV-Chemie von dem Erfordernis der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs entbindet.
58III.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.
60R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
61Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
62R E V I S I O N
63eingelegt werden.
64Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
65Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
66Bundesarbeitsgericht
67Hugo-Preuß-Platz 1
6899084 Erfurt
69Fax: 0361-2636 2000
70eingelegt werden.
71Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
72Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
731.Rechtsanwälte,
742.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
753.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
76In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
77Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
78Bezüglich der Möglichkeit elektronischer Einlegung der Revision wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I Seite 519) verwiesen.
79* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
80gez.: Queckegez.: Rißegez.: von Häfen
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 05. Aug. 2015 - 4 Sa 299/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.
(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
Tenor
-
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Dezember 2010 - 16 Sa 1097/10 - wird zurückgewiesen.
-
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt von der Beklagten, tariflichen Mehrurlaub abzugelten.
-
Die Parteien verband im Zeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. Juni 2008 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war Mitarbeiter der Werkfeuerwehr der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24. Juni 1992 idF vom 16. April 2008 Anwendung (MTV Chemie). In diesem heißt es ua.:
-
„§ 12
Urlaub
I.
Urlaubsanspruch
Der Urlaub dient der Erholung und der Erhaltung der Arbeitskraft. Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine Erwerbsarbeit leisten.
1.
Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr Anspruch auf einen bezahlten Urlaub.
2.
Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
...
11.
Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren.
Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.
...
IV.
Urlaubsabgeltung
1.
Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten werden.
2.
Soweit jedoch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt ist, ist er abzugelten. Nicht erfüllbare Urlaubsansprüche sind nicht abzugelten.
...“
- 3
-
Der Kläger war im Zeitraum vom 31. Juli 2007 bis mindestens 31. März 2009 durchgehend arbeitsunfähig krank. Unter dem 31. Juli 2008 verlangte er von der Beklagten, insgesamt 33 Urlaubstage aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten. Auf der Grundlage einer täglichen Bruttovergütung des Klägers iHv. 329,77 Euro galt die Beklagte im September 2009 13 gesetzliche Urlaubstage aus den Jahren 2007 und 2008 ab.
- 4
-
Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, auch den tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 im Umfang von 20 Arbeitstagen abzugelten. Der Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs folge den Regelungen, die das Bundesurlaubsgesetz für die Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs vorsehe.
-
Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.595,40 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. November 2009 zu zahlen.
- 6
-
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Anspruch des Klägers auf tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2007 sei mit Ablauf des 31. März 2008 erloschen. § 12 MTV Chemie regele die Urlaubsansprüche der Tarifunterworfenen eigenständig in Abweichung von den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes. Die im MTV Chemie vorgesehene Differenzierung zwischen gesetzlichen und tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen stehe einem Gleichlauf beider Ansprüche entgegen. Darüber hinaus sei der Abgeltungsanspruch durch § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie ausgeschlossen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger weitere Urlaubsabgeltung iHv. 6.595,40 Euro brutto zu zahlen.
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 aus § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV Chemie oder § 7 Abs. 4 BUrlG.
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1. Gemäß § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV Chemie ist der Urlaubsanspruch zwar abzugelten, soweit er bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist. Jedoch sind nach § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses tariflichen Abgeltungsausschlusses liegen vor. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob der tarifliche Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 gemäß § 12 Abschn. I Ziff. 11 Satz 2 MTV Chemie am 31. März des jeweiligen Folgejahres erloschen ist. Ein dem Kläger bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zustehender Mehrurlaub war jedenfalls im Sinne der Tarifvorschrift nicht erfüllbar. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers hinderte die Beklage, den Urlaubsanspruch des Klägers zu erfüllen (vgl. BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 13, NZA 2012, 750).
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2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie eine von der gesetzlichen Abgeltungsregelung in § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende, eigenständige Tarifregelung enthält. Diese steht einem Gleichlauf zwischen dem Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und dem Anspruch auf Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs entgegen.
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a) Sowohl Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) als auch §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründen einen Anspruch auf Mindestjahresurlaub im Umfang von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, den sog. tariflichen Mehrurlaub, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 8 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9). Tarifbestimmungen können daher vorsehen, dass der Arbeitgeber den tariflichen Mehrurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder nur dann abzugelten hat, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 - Rn. 22, NZA 2012, 987). Da nicht der durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleistete Mindestjahresurlaub von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV(BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 10, PersR 2012, 411).
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b) Der Senat hat die im Streitfall maßgeblichen Tarifvorschriften anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen. Nur für den Fall, dass die Tarifvertragsparteien von ihrer Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben, unterfällt der Urlaubsanspruch, den der Kläger abgegolten haben will, der Ausschlussregelung des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie. Dies kann sich zum einen daraus ergeben, dass die tariflichen Abgeltungsregelungen zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheiden; zum anderen ist es möglich, dass sich die Tarifvertragsparteien vom gesetzlichen Abgeltungsregime gelöst und eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen getroffen haben. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des Mindesturlaubs abweichenden Abgeltungsregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des Anspruchs auf Abgeltung gesetzlichen Urlaubs und des Anspruchs auf Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs auszugehen.
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aa) Nach der Abgeltungskonzeption des MTV Chemie soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub nicht erfüllbar ist. Dies steht im Gegensatz zu der neueren Rechtsprechung des Senats, der zufolge die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers keinen Einfluss auf die Verpflichtung des Arbeitgebers hat, den Urlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten (vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 15, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20).
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bb) § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie ist eine Tarifnorm iSd. § 1 Abs. 1, § 4 TVG. Sie hat nicht lediglich deklaratorischen Charakter. Dies gilt unabhängig davon, dass die Tarifvertragsparteien den Abgeltungsausschluss erstmalig zu einem Zeitpunkt tarifierten, zu dem die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Urlaubsabgeltungsansprüche mehrheitlich dem Regime der sog. Surrogatstheorie unterstellte.
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(1) § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie gilt seit dem Tarifabschluss vom 24. Juni 1992. Der Ausschluss von Abgeltungsansprüchen in den Fällen, in denen der Urlaubsanspruch nicht erfüllbar ist, spiegelte im Jahr 1992 den Rechtsstand wider, der nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum damaligen Zeitpunkt von Gesetzes wegen galt. Das Bundesarbeitsgericht vertrat seit 1983 die Surrogatstheorie (vgl. BAG 23. Juni 1983 - 6 AZR 180/80 - zu 3 der Gründe, BAGE 44, 75; sodann ständige Rechtsprechung bis 27. Mai 2003 - 9 AZR 366/02 - zu I 1 der Gründe, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 9). Danach setzte der Anspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG voraus, dass der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch allein wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllen konnte. Der Abgeltungsanspruch, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an die Stelle des Anspruchs auf Gewährung von Erholungsurlaub trete, sei - so der damals für das Urlaubsrecht allein zuständige Senat - das Surrogat des Urlaubsanspruchs (BAG 18. Juni 1980 - 6 AZR 328/78 - zu 1 a der Gründe, AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 6 = EzA BUrlG § 13 Nr 14). Als Surrogat sei der Abgeltungsanspruch hinsichtlich seiner Entstehung und Fortdauer an dieselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch gebunden. An einem erfüllbaren Anspruch fehle es, wenn der Arbeitnehmer über das Urlaubsjahr und den Übertragungszeitraum hinaus krankheitsbedingt arbeitsunfähig sei. Auf diese Weise sei sogleich sichergestellt, dass Arbeitnehmer, die aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, in urlaubsrechtlicher Hinsicht nicht besser gestellt seien als Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis fortbestehe.
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(2) Bei der inhaltlich unveränderten Übernahme außertariflicher Normen in den Tarifvertrag kann es allerdings am Willen der Tarifvertragsparteien fehlen, hierdurch eigene Tarifnormen zu schaffen. Zweck der Übernahme kann es sein, einen möglichst vollständigen Überblick über die geltende Rechtslage zu geben und insbesondere Missverständnisse bei der Anwendung des Tarifvertrags zu vermeiden, die sich aus einer bruchstückhaften Darstellung der Rechtslage im Tarifvertrag ergeben könnten. Erfolgt die Übernahme zu diesem Zweck, so handelt es sich nicht um eine Tarifnorm im Sinne von § 1 Abs. 1, § 4 TVG(vgl. BAG 27. August 1982 - 7 AZR 190/80 - zu II 1 der Gründe, BAGE 40, 102).
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(3) Bei tariflichen Normen, die sich inhaltlich an gesetzliche Normen anlehnen oder auf sie verweisen, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob die Tarifvertragsparteien hierdurch eine selbstständige, in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung treffen wollten. Dieser Wille muss im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck finden. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich übernommen werden. In einem derartigen Fall ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass es den Tarifvertragsparteien bei der wörtlichen Übernahme des Gesetzestextes darum gegangen ist, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie haben dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifvertrag aufgenommen, um die Tarifgebundenen möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten (BAG 23. September 1992 - 2 AZR 231/92 - zu III a der Gründe; siehe ferner BAG 4. März 1993 - 2 AZR 355/92 - zu II 1 a der Gründe, AP BGB § 622 Nr. 40 = EzA BGB § 622 nF Nr. 44; in diesem Sinne bereits BAG 27. August 1982 - 7 AZR 190/80 - zu II 2 der Gründe, BAGE 40, 102; offengelassen von BAG 16. Dezember 1998 - 5 AZR 490/98 - zu II 3 der Gründe).
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(4) Der Wille der Tarifvertragsparteien, eine die Rechtsverhältnisse der Tarifunterworfenen gestaltende Tarifvorschrift zu schaffen, kommt in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie hinreichend zum Ausdruck. Die Tarifvorschrift gab auch zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Vereinbarung nicht den Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG wieder; sie tarifiert vielmehr die Surrogatstheorie, die im Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG keinen Niederschlag gefunden hat. Zudem stellt § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie anders als die Surrogatstheorie in zeitlicher Hinsicht nicht auf das Urlaubsjahr einschließlich des Übertragungszeitraums, sondern auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Schließlich konnten die Tarifvertragsparteien beim Tarifabschluss am 16. April 2008 nicht davon ausgehen, dass der Senat seine bisherige Rechtsprechung zur Surrogatstheorie fortführen werde (so zum Vertrauensschutz auf Arbeitgeberseite: BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 76, BAGE 130, 119). Zu diesem Zeitpunkt war das Vorabentscheidungsersuchen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 - LAGE BUrlG § 7 Nr. 43) bekannt. Wenn die Tarifvertragsparteien dennoch in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie die Regelung beibehalten haben, dass nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten sind, wird deutlich, dass sie unabhängig davon, wie die Rechtsprechung § 7 Abs. 4 BUrlG auslegt, an der Surrogatstheorie festhalten wollten.
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3. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Tarifbestimmung des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie insoweit unwirksam ist, als sie nicht nur die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs, sondern - ohne Differenzierung - auch des unionsrechtlich wie innerstaatlich verbürgten Mindesturlaubs ausschließt (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB). Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den Mehrurlaub, bleibt die Tarifregelung gemäß § 139 BGB wirksam(so für tarifliche Befristungsregelungen: BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 17, PersR 2012, 411; 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 27, BAGE 137, 328).
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II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg eingelegten Revision zu tragen.
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Brühler
Krasshöfer
Suckow
W. Schmid
Starke
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.
(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - teilweise aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat.
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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 13. November 2009 - 1 Ca 431/09 - abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - wird zurückgewiesen.
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Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt von der Beklagten die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs, des gesetzlichen Mindesturlaubs und des Schwerbehindertenzusatzurlaubs sowie die Zahlung des tariflichen Urlaubsgelds.
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Der mit einem Grad von mindestens 50 schwerbehinderte Kläger war seit dem 1. Juni 1978 bei der Beklagten, einer Reifenherstellerin, in einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für die Kautschukindustrie in Hessen kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie aufgrund einzelvertraglicher Inbezugnahme Anwendung. In § 16 des Manteltarifvertrags für die Kautschukindustrie in den Ländern Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland vom 17. Dezember 2003 (im Folgenden: MTV) heißt es:
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„Ausschlussfristen
1.
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen beiderseitig innerhalb von drei Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden, und zwar seitens des Arbeitnehmers bei der Betriebsleitung oder ihrem Beauftragten, seitens der Betriebsleitung beim Arbeitnehmer.
2.
Beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers sind Ansprüche spätestens zwei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Werden Ansprüche erst später fällig, so berechnet sich die Frist von zwei Monaten vom Tag der Fälligkeit an.
3.
Nach Ablauf dieser Fristen ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf eine Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.“
-
Der für mehrere Bundesländer - ua. für das Land Hessen - geltende Urlaubstarifvertrag für die Betriebe der kautschuk- und kunststoffverarbeitenden Industrie vom 11. Februar 2000 (im Folgenden: UrlaubsTV) sieht auszugsweise Folgendes vor:
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„§ 3
Urlaubsdauer
(1)
Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage.
(2)
Als Urlaubstage zählen alle Kalendertage mit Ausnahme der Samstage, der Sonntage sowie der gesetzlichen Feiertage.
…
(3)
Der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte regelt sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.
§ 4
Urlaubsvergütung
…
II.
Zusätzliches Urlaubsgeld
(1)
Für alle Arbeitnehmer beträgt das zusätzliche Urlaubsgeld je tariflichen Urlaubstag 35,00 DM.
...“
- 4
-
Das Arbeitsentgelt des Klägers betrug zuletzt je Arbeitstag 108,02 Euro brutto.
- 5
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Der Kläger konnte wegen durchgängig andauernder Arbeitsunfähigkeit zwei Tage Urlaub des Jahres 2004 sowie den gesamten Urlaub des Jahres 2005 und auch nicht den für die Monate Januar bis April 2006 entstandenen anteiligen Urlaub in Anspruch nehmen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. April 2006. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers dauerte auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Seit dem 1. Mai 2006 bezieht der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.
- 6
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Mit Schreiben vom 15. Juli 2009 forderte der Kläger von der Beklagten vergeblich die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs iHv. zwei Arbeitstagen aus dem Jahr 2004, von 35 Arbeitstagen aus dem Jahr 2005 und von 12 Arbeitstagen aus dem Jahr 2006 sowie die Zahlung des tariflichen Urlaubsgelds für diese 49 Urlaubstage.
- 7
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) in seiner Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) und das Bundesarbeitsgericht lasse es nicht zu, dass Urlaubsansprüche bei andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verfallen. Tarifliche Ausschlussfristen von nur zwei bzw. drei Monaten verstießen gegen die Vorgaben des EuGH.
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Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.170,08 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2009 zu zahlen.
- 9
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die neuere Rechtsprechung des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts stehe nicht mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie in Einklang. Die Klageforderung sei jedenfalls gemäß § 16 MTV verfallen, da der Kläger die Klageansprüche nicht fristgemäß geltend gemacht habe.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Abgeltung des gesetzlichen Teilurlaubs einschließlich des Schwerbehindertenzusatzurlaubs für das Jahr 2006 iHv. 899,81 Euro brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und diese nur zur Zahlung von 756,14 Euro brutto verurteilt, weil auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub für das Jahr 2006 verfallen sei. Die Parteien verfolgen mit der vom Landesarbeitsgericht für beide Parteien zugelassenen Revision ihre Anträge auf Zahlung des vollen Klagebetrags bzw. auf vollständige Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
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A. Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Revision des Klägers war dagegen zurückzuweisen. Die Klage ist insgesamt unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des anteiligen gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2006 unterfalle nicht der tariflichen Ausschlussfrist. Der Kläger ist gemäß § 16 MTV von der Geltendmachung sämtlicher streitgegenständlicher Ansprüche ausgeschlossen.
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I. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, den anteiligen gesetzlichen Urlaubsanspruch des Klägers von sieben Arbeitstagen für das Jahr 2006 in Höhe von 756,14 Euro brutto abzugelten und die hierauf entfallenden Zinsen zu zahlen.
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1. Die ua. im Land Hessen geltenden Tarifverträge für die Kautschukindustrie fanden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien schon kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
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2. Der Senat hat bereits entschieden, dass Ansprüche auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs und des gesetzlichen Mindesturlaubs tariflichen Ausschlussfristen unterfallen können. Der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG steht dem nicht entgegen(BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 12 ff., NZA 2011, 1421).
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Seine frühere Rechtsprechung, der zufolge tarifliche Ausschlussfristen nicht auf Urlaubsabgeltungsansprüche anzuwenden seien ( vgl. zuletzt BAG 20. Januar 2009 - 9 AZR 650/07 - Rn. 21; 20. Mai 2008 - 9 AZR 219/07 - Rn. 48, BAGE 126, 352 ), hat der Senat im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinieund seiner Auslegung durch den EuGH für die Fälle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausdrücklich aufgegeben(BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 14 ff., NZA 2011, 1421). Das ist eine notwendige Folgewirkung der Aufgabe der Surrogatstheorie (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 17, BAGE 134, 196). Nach der reformierten Rechtsprechung ist der Urlaubsabgeltungsanspruch ein reiner Geldanspruch, der als solcher den Bedingungen unterfällt, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Dazu gehören tarifliche Ausschlussfristen.
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3. Der Kläger ist gemäß § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV mit der Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs für den anteiligen gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2006 ausgeschlossen. Er machte den Anspruch nicht innerhalb der Fristen des § 16 Ziff. 1, Ziff. 2 MTV geltend. Die Obliegenheit, die tariflichen Ausschlussfristen einzuhalten, verkürzt entgegen der Auffassung des Klägers seine Rechte nicht in unzulässiger Weise.
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a) Der Anspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung des im Jahr des Ausscheidens entstandenen Teilurlaubs nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG fällt unter die Ausschlussfristen des § 16 MTV. Sie betreffen nach dem Tarifwortlaut alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Zu diesen gehört der Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Formulieren Tarifvertragsparteien keine Einschränkungen, so fallen unter den Begriff der „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (vgl. BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 416/07 - Rn. 19, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 191 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 190).
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§ 16 Ziff. 2 MTV verlangt, dass beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers „Ansprüche“ spätestens zwei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen sind. Eine Beschränkung auf bestimmte Arten von Ansprüchen sieht die Tarifnorm nicht vor. Zudem ist die Regelung im Zusammenhang mit der vorangehenden Ziffer auszulegen. Nach § 16 Ziff. 1 MTV müssen ausdrücklich „alle“ Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis beiderseitig innerhalb von drei Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Abgeltung von Urlaubsansprüchen trotz des allgemein und weit gefassten Wortlauts von den tariflichen Ausschlussfristen des § 16 MTV ausnehmen wollten, zumal der UrlaubsTV keine eigenständige Ausschlussfristenregelung für diese Ansprüche enthält. Soweit die ältere Rechtsprechung des Senats annahm, tarifliche Ausschlussfristen seien dahingehend auszulegen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche im Zweifel von ihnen nicht erfasst werden, so wird daran nicht festgehalten. Die Rechtsprechung beruhte auf der Surrogatstheorie, der zufolge Urlaubsabgeltungsansprüche wie Urlaubsansprüche befristet für einen bestimmten Zeitraum bestanden und deren Erfüllung während dieses Zeitraums stets verlangt werden konnte (vgl. BAG 24. November 1992 - 9 AZR 549/91 - zu 3 der Gründe, AP BUrlG § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 102). Diese Auslegungsregel kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Denn nach der neueren Rechtsprechung sind Urlaubsabgeltungsansprüche reine Geldansprüche. Jedenfalls bei Tarifverträgen, die wie der MTV nach Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 abgeschlossen wurden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Ausschlussfristen, die alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfassen sollen, auch den Anspruch auf Urlaubsabgeltung zeitlich begrenzen.
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b) Das Schreiben vom 15. Juli 2009, mit dem der Kläger die Ansprüche erstmals geltend machte, wahrte nicht die Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 16 Ziff. 2 MTV.
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. April 2006. Ab dem 1. Mai 2006 begann damit die Ausschlussfrist des § 16 Ziff. 2 MTV zu laufen. Der Fristbeginn wurde nicht gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben. Nach dieser Vorschrift berechnet sich die Frist von zwei Monaten vom Tag der Fälligkeit an, wenn Ansprüche erst später nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden. Auch wenn eine Arbeitsunfähigkeit über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht, entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG stets mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird gemäß § 271 BGB auch sofort fällig(vgl. BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 18 mwN, NZA 2011, 1421; 11. Oktober 2010 - 9 AZN 418/10 - Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125). Der Kläger machte seine Forderung gegenüber der Beklagten nicht binnen zwei Monaten ab dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 2006, sondern erstmals mit Schreiben vom 15. Juli 2009 geltend.
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c) Die Beklagte kann sich auf die Ausschlussfrist berufen, ohne dass hierin aufgrund besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung iSd. § 16 Ziff. 3 Satz 2 MTV läge. Die Parteien haben keine Anhaltspunkte hierfür vorgetragen; im Übrigen sind sie nicht ersichtlich. Der Kläger beruft sich auch nicht darauf, es sei ihm aufgrund seines Gesundheitszustands schlechthin unmöglich gewesen, seine Angelegenheiten zu besorgen. Deshalb wurde der Lauf der Ausschlussfrist auch nicht ausnahmsweise entsprechend § 206 BGB gehemmt(vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen einer Hemmung: BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 34 mwN, NZA 2011, 1421; 9. August 2011 - 9 AZR 475/10 - Rn. 49 f., NZA 2012, 166).
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d) Die Ausschlussfristenregelung des § 16 MTV steht auch in Einklang mit den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers gebietet Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht(zur Vorlageverpflichtung: vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 20 ff., BAGE 134, 1, unter Bezugnahme auf BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - Rn. 15 mwN, AP GG Art. 101 Nr. 65 = EzA KSchG § 17 Nr. 21). Dies gilt selbst dann, wenn man die Frage, wie die Abgeltung des Urlaubsanspruchs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie dogmatisch einzuordnen ist, als vom EuGH noch nicht erschöpfend beantwortet ansieht(vgl. zur Problematik des Surrogatsbegriffs: Düwell DB 2011, 2492 f.).
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aa) Nach Art. 267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Handlungen der Organe, mithin auch über die Auslegung von Richtlinien(vgl. ErfK/Wißmann 12. Aufl. Art. 267 AEUV Rn. 10). Eine Vorlage kommt nur in Betracht, wenn die Frage des Unionsrechts nach Auffassung des vorlegenden Gerichts für dessen Entscheidung erforderlich ist. Es ist allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem EuGH ggf. vorzulegenden Fragen zu beurteilen (vgl. EuGH 18. Dezember 2007 - C-341/05 - [Laval] Rn. 45 mwN, Slg. 2007, I-11767).
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bb) Die Frage, ob die Abgeltung des Urlaubs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie ein Surrogat des Urlaubsanspruchs darstellt, und welche Rechtsfolgen mit dieser Einordnung verbunden wären, ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Die beiden denkbaren dogmatischen Einordnungen des Urlaubsabgeltungsanspruchs führen vorliegend zum selben Ergebnis.
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(1) Sieht man die Abgeltung des Urlaubsanspruchs im Rahmen des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie entsprechend der neuen Rechtsprechung des Senats zu § 7 Abs. 4 BUrlG - jedenfalls für die Fälle der lang andauernden Krankheit des Arbeitnehmers - als reinen Geldanspruch an, so enthält die Richtlinie keine Vorgaben hinsichtlich der Möglichkeit, diesen Anspruch nach nationalem Recht einer zeitlich befristeten Geltendmachung zu unterwerfen. Seinem bloßen Wortlaut nach enthält Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie nicht einmal das Gebot der Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern nur das Verbot der Urlaubsabgeltung im bestehenden Arbeitsverhältnis.
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(a) Nach der Auslegung des EuGH begründet Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie allerdings einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung. Es steht den Mitgliedstaaten aber frei, für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommenen Urlaub in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen. Sie dürfen lediglich die Entstehung dieses sich unmittelbar aus der Richtlinie 93/104/EG ergebenden Anspruchs nicht von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen (EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 46, 56, Slg. 2009, I-179). Fehlt es - wie bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch - an einer unionsrechtlichen Regelung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung, ist es Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren - einschließlich der Verjährungsregelungen - für die Klagen auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Bei der Ausgestaltung müssen die Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität gewahrt werden (vgl. EuGH 18. September 2003 - C-125/01 - [Pflücke] Rn. 34 mwN, Slg. 2003, I-9375; vgl. zum Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen: LAG Düsseldorf 5. Mai 2010 - 7 Sa 1571/09 - zu III 2 der Gründe, NZA-RR 2010, 568). Die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung wahrt diese Grundsätze. Die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte wird dadurch weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig erschwert (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-445/06 - [Danske Slagterier] Rn. 48, Slg. 2009, I-2119). In Bezug auf die Erfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen hat der EuGH entschieden, dass insoweit die Verjährungsfrist nicht so kurz sein darf, dass es den Betroffenen in der Praxis nicht gelingt, die Frist einzuhalten, und sie damit den Schutz verlieren, den ihnen die Richtlinie garantieren soll (EuGH 16. Juli 2009 - C-69/08 - [Visciano] Rn. 44, Slg. 2009, I-6741). Die Prüfung, ob die Ausschlussfrist den Grundsatz der Effektivität wahrt, obliegt dem nationalen Gericht (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-445/06 - [Danske Slagterier] Rn. 34, aaO).
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(b) Es spricht eine Vermutung dafür, dass die zweimonatige Verfallfrist des § 16 Ziff. 2 MTV angemessen ist. Als tarifliche Regelung unterliegt sie nach deutschem Recht keiner Angemessenheitskontrolle (vgl. BAG 22. September 1999 - 10 AZR 839/98 - zu II 3 b cc der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 132; 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - zu III 1 der Gründe, BAGE 81, 5). Unabhängig davon erscheint eine Frist von zwei Monaten ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht so kurz, dass es Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis endet, nicht gelingen kann, die Frist zur Geltendmachung ihrer Urlaubsabgeltungsansprüche zu wahren. Dabei ist zu beachten, dass der ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich dazu in der Lage ist, seine Ansprüche anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der einschlägigen tariflichen Vorschriften selbst zu berechnen; er ist nicht auf zusätzliche Auskünfte, deren Einholung zusätzliche Zeit beanspruchen würde, angewiesen. Durch einen Verfall der Urlaubsabgeltungsansprüche droht - anders als beim Verfall des Vergütungsanspruchs - nicht, dass der für das Vertragsverhältnis wesentliche Leistungsaustausch verfehlt wird.
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Selbst wenn man den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Gleichwertigkeit so ausdehnend verstehen müsste, dass es europarechtlich geboten wäre, die zu Formularverträgen entwickelten Grundsätze (vgl. BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - zu II 5 der Gründe, BAGE 116, 66) auch für die Angemessenheitsprüfung der tariflichen Regelung des § 16 Ziff. 2 MTV heranzuziehen und die Zweimonatsfrist deshalb als unangemessen kurz erschiene, wären die Ansprüche des Klägers jedenfalls aufgrund der angemessenen dreimonatigen Frist nach § 16 Ziff. 1 MTV verfallen.
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(2) Wäre der Abgeltungsanspruch nach der Arbeitszeitrichtlinie als Surrogat im Sinne der früheren Rechtsprechung des Senats zu verstehen, so bedeutete dies, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch kein einfacher Geldanspruch wäre, sondern für ihn dieselben rechtlichen Regelungen gölten wie für den Urlaubsanspruch selbst. Die Frage, ob der europarechtlich garantierte Mindesturlaub verfallen kann, ist - soweit vorliegend von Relevanz - durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt: Nach Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Der EuGH hat dazu festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen. Dieser grundsätzlichen Feststellung hat der EuGH die Voraussetzung hinzugefügt, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 26, NZA 2011, 1333; 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179).
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Bezogen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch bedeutet die Anwendung dieser Grundsätze, dass die Richtlinie einer nationalen tariflichen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass der Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der damit einhergehenden Fälligkeit des Anspruchs geltend gemacht werden muss. Es handelt sich um Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung, die sich nach dem einzelstaatlichen und nicht nach dem europäischen Recht richten. Auch die weitere Voraussetzung, an die der EuGH die Zulässigkeit von Ausschlussfristen knüpft, ist erfüllt. Der Arbeitnehmer hat vor Ablauf der tariflichen Verfallfrist tatsächlich die Möglichkeit, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Diesen wesentlichen Unterschied zwischen dem europarechtlich garantierten Urlaubsanspruch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses und dem europarechtlich garantierten Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verkennt der Kläger. Auch der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer ist grundsätzlich dazu in der Lage, den auf Zahlung von Geld gerichteten Anspruch geltend zu machen und seine Erfüllung entgegenzunehmen (vgl. BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 29, NZA 2011, 1421). Dass die Arbeitsunfähigkeit für sich genommen einer Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs und der Entgegennahme von Geld nicht entgegensteht, hält der Senat für offenkundig. Er geht davon aus, dass für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit besteht.
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Deshalb ist die Vorgabe des EuGH, dass der Übertragungszeitraum deutlich länger sein müsse als der Bezugszeitraum (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, NZA 2011, 1333), nicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch des dauerhaft erkrankten Arbeitnehmers übertragbar. Die Vorgabe gilt nur für den Urlaubsanspruch selbst, den der dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis tatsächlich nicht in Anspruch nehmen kann. Die Länge einer tariflichen Frist, nach der der Urlaubsabgeltungsanspruch dem Verfall unterliegt, kann daher deutlich kürzer als zwölf Monate sein.
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4. Der Kläger kann im Hinblick auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die dargestellte langjährige Rechtsprechung des Senats zur Unabdingbarkeit (§ 13 Abs. 1 BUrlG) des Abgeltungsanspruchs hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs aus § 7 Abs. 4 BUrlG überhaupt geeignet war, ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer in deren Fortbestand zu begründen. Der Senat braucht auch nicht darüber zu befinden, ob für Arbeitnehmer ebenso wie für Arbeitgeber mit Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 bereits kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Senatsrechtsprechung mehr bestehen konnte. Der Kläger hat das Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 - LAGE BUrlG § 7 Nr. 43)nicht zum Anlass genommen, tätig zu werden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnten auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, dass die Senatsrechtsprechung zu den Grundsätzen der Unabdingbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs im Fall lang andauernder Arbeitsunfähigkeit unverändert fortgeführt würde (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 31, NZA 2011, 1421). Der Vertrauensverlust betrifft nicht lediglich den einzelnen Aspekt des Erlöschens von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit, sondern umfasst auch die Rechtsprechungsgrundsätze zum Nichteingreifen von tariflichen Ausschlussfristen. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz zugunsten des Klägers spricht zudem, dass ihm durch die Rechtsprechungsänderung nichts genommen wird, was ihm bei Fortbestehen der bisherigen Rechtsprechung zugestanden hätte (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 32, aaO). Denn auch nach der bisherigen Rechtsprechung hätte dem Kläger kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zugestanden. Dieser wäre wegen der andauernden Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Übertragungszeitraums zum 31. März 2007 erloschen.
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II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das teilweise klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
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1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Abgeltung etwaiger, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehender gesetzlicher Mindesturlaubsansprüche für die Jahre 2004 und 2005 zu. Die Revision des Klägers rügt zwar zutreffend, dass das Landesarbeitsgericht der Beklagten insoweit zu Unrecht Vertrauensschutz zugebilligt hat. Das Berufungsurteil ist jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO). Etwaig entstandenen Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung steht jedenfalls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen.
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a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte genieße hinsichtlich der Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs Vertrauensschutz, ist rechtsfehlerhaft.
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Mögliches Vertrauen privater Arbeitgeber auf den Fortbestand der früheren ständigen Rechtsprechung zum Verfall des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG auch bei fortbestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist seit dem 24. November 1996 nicht länger schutzwürdig und nicht erst - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - seit dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 - LAGE BUrlG § 7 Nr. 43). Die Grundlage des Vertrauens auf die Fortdauer der früheren Senatsrechtsprechung, die den Verfall von Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen bei Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums annahm, war nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 zerstört. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 23. März 2010 (- 9 AZR 128/09 - Rn. 96 ff., BAGE 134, 1) festgestellt und eingehend begründet.
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b) Es kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auch nach der neuen Rechtsprechung des Senats insbesondere der Anspruch auf Urlaub für das Jahr 2004 zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. April 2006 noch Bestand hatte oder bereits verfallen war. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 (- C-214/10 - [KHS] Rn. 28, 44, NZA 2011, 1333) die Rechtsgrundsätze, die er in der Rechtssache Schultz-Hoff aufgestellt hat, „nuanciert“. Er geht nunmehr davon aus, Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie stehe einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegen, die die Möglichkeit eines langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmers, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Vor diesem Hintergrund könnte der Senat gehalten sein, seine mit Urteil vom 24. März 2009 (- 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119) vorgenommene europarechtskonforme Auslegung bzw. Fortbildung des BUrlG auf das europarechtlich geforderte Mindestmaß zu beschränken. Indem § 7 Abs. 3 BUrlG einen sehr kurzen Übertragungszeitraum normiert, gewährleistet das Gesetz eine enge zeitliche Bindung des Urlaubs an das Urlaubsjahr (vgl. BAG 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10 - Rn. 19, NZA 2012, 143). Der darin zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers könnte es gebieten, dass der Urlaubsanspruch bei Arbeitnehmern, die mehrere Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig erkrankt sind, nach der kürzesten Frist, die europarechtlich zulässig ist, verfällt. Bei einer solchen Begrenzung der europarechtskonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung wäre zu prüfen, ob der Rechtsprechung des EuGH bereits mit ausreichender Klarheit zu entnehmen ist, von welcher exakten Dauer der Übertragungszeitraum nach der Arbeitszeitrichtlinie mindestens sein muss. Eine solche sofortige Weiterentwicklung der neuen Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen im genannten Sinn könnte allerdings die Grenze der richterlichen Rechtsanwendung und -fortbildung in unzulässiger Weise überschreiten. Es ist fraglich, ob die Festlegung der konkreten Länge des Übertragungszeitraums den Gerichten für Arbeitssachen zukommt oder ob es nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung Aufgabe des Gesetzgebers ist, den entsprechenden Übertragungszeitraum festzulegen (vgl. zu den Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung: jüngst BVerfG 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 - Rn. 50 ff., BVerfGE 128, 193; dazu Höpfner NZA 2011, 893, 896 mwN). Zu bedenken sind ferner die Folgen aus der nunmehr vom EuGH ausdrücklich betonten Verankerung des Urlaubsanspruchs im Primärrecht der Union (vgl. dazu Stiebert/Pötters EuZW 2011, 960, 961 f.).
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c) Im Streitfall steht der Geltendmachung dieser Ansprüche jedenfalls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen. Soweit am 30. April 2006 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus den Vorjahren entstanden waren, wahrte der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist nicht. Denn die erstmalige Geltendmachung erfolgte mit Schreiben vom 15. Juli 2009 (vgl. oben unter A I).
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Abgeltung etwaiger, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehender Ansprüche auf Schwerbehindertenzusatzurlaub zu. Die Revision des Klägers rügt zwar zutreffend, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, der Urlaubsanspruch nach § 125 SGB IX sei trotz der langjährigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens am 31. März des jeweiligen Folgejahres verfallen. Das Berufungsurteil ist jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO). Etwaig entstandenen Ansprüchen auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs steht § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen.
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a) Auf den Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub ist daher nach der neueren Senatsrechtsprechung abzugelten, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig ist (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 69, 71, BAGE 134, 1). Der Zusatzurlaubsanspruch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX teilt das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs, es sei denn tarifliche oder einzelvertragliche Bestimmungen sehen für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen vor. Der Arbeitgebern zu gewährende Vertrauensschutz geht nicht weiter als bei dem Mindesturlaubsanspruch nach dem BUrlG (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 72 ff., aaO).
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b) Soweit am 30. April 2006 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs aus den Vorjahren entstanden waren, sind sie verfallen. Aus der Anwendbarkeit der Vorschriften über die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs folgt notwendig, dass es sich auch bei dem Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB IX um einen einfachen Geldanspruch handelt, auf den tarifliche Ausschlussfristen Anwendung finden. Die erstmalige Geltendmachung mit dem Schreiben vom 15. Juli 2009 hat die Ausschlussfristen des anwendbaren § 16 MTV nicht gewahrt(vgl. oben unter A I).
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3. Entgegen der Rechtsansicht der Revision des Klägers hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte geltend machen müssen. § 16 MTV erfasst aufgrund seiner weiten Formulierung auch Ansprüche auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs. Der tarifliche Mehrurlaub und dessen Abgeltung unterfallen weder dem tariflich unabdingbaren Schutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 13 mwN, NZA 2011, 1421). Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln(BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19, BAGE 134, 1).
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4. Die Revision des Klägers rügt ebenso ohne Erfolg, dass das Landesarbeitsgericht angenommen hat, seinen Ansprüchen auf Zahlung von tariflichem Urlaubsgeld iSd. UrlaubsTV stehe ebenfalls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen.
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a) Es kann offenbleiben, ob der Kläger nach § 4 Abschn. II UrlaubsTV für die gesetzlichen Zusatzurlaubstage nach § 125 SGB IX ein zusätzliches Urlaubsgeld zu verlangen berechtigt war. Bedenken hiergegen bestehen insoweit, als der Wortlaut des § 4 Abschn. II Ziff. 1 UrlaubsTV allein auf tarifliche Urlaubstage abstellt und § 3 Ziff. 3 UrlaubsTV zudem bestimmt, dass sich der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach den gesetzlichen Bestimmungen „regelt“, die kein zusätzliches Urlaubsgeld vorsehen (vgl. zum zusätzlichen Urlaubsgeld für „genommenen“ tariflichen Urlaub nach § 13 Rahmentarifvertrag Betonsteingewerbe Nordwestdeutschland vom 14. September 1993: BAG 17. November 1998 - 9 AZR 507/97 - zu I 2 b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Betonsteingewerbe Nr. 6 = EzA TVG § 4 Betonsteingewerbe Nr. 1).
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b) § 16 MTV ist auch auf das tarifliche Urlaubsgeld anzuwenden. Schon nach der früheren Rechtsprechung unterlag der Anspruch auf (zusätzliches) Urlaubsgeld - ebenso wie der Anspruch auf Urlaubsentgelt - als Zahlungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis den tariflichen Ausschlussfristen und konnte verfallen, wenn der Arbeitnehmer die Ansprüche nicht fristgerecht geltend machte (vgl. BAG 22. Januar 2002 - 9 AZR 601/00 - zu A II 4 c der Gründe, BAGE 100, 189; 11. April 2000 - 9 AZR 225/99 - zu I 3 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 13 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 4; vgl. ferner AnwK-ArbR/Düwell 2. Aufl. § 11 BUrlG Rn. 69; ErfK/Gallner § 11 BUrlG Rn. 35).
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Unabhängig davon, ob das zusätzliche Urlaubsgeld nach § 4 Abschn. II UrlaubsTV eine von der Urlaubsnahme unabhängige Gratifikation oder eine zum Urlaub akzessorische Sonderzahlung darstellt (vgl. zu dieser Differenzierung: BAG 12. Oktober 2010 - 9 AZR 531/09 - Rn. 22 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 9 = EzA BUrlG § 7 Nr. 122; 19. Mai 2009 - 9 AZR 477/07 - Rn. 15 mwN, DB 2009, 2051), steht der Anwendung tariflicher Ausschlussfristen weder der Unabdingbarkeitsschutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch derjenige des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie entgegen. Das zusätzliche Urlaubsgeld stellt, auch soweit es zum gesetzlichen Mindesturlaub hinzutritt, eine reine Geldforderung dar. Es unterfällt von vornherein weder dem Unabdingbarkeitsschutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 13 BUrlG noch dem Schutz des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie, da es sich um eine darüber hinausgehende weder vom BUrlG noch von der Arbeitszeitrichtlinie garantierte zusätzliche Leistung handelt. Vor diesem Hintergrund sind die Tarifvertragsparteien frei, zusätzliches Urlaubsgeld tariflichen Ausschlussfristen zu unterwerfen.
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B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision und als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Krasshöfer
Suckow
Klose
Mehnert
Neumann
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.
(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.
(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
Tenor
-
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 3. Dezember 2010 - 9 Sa 428/10 - wird zurückgewiesen.
-
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von Gas- und Stromkosten iHv. 25 vH freizustellen.
- 2
-
Der im Dezember 1948 geborene Kläger war seit dem 1. März 1976 bei der Wuppertaler Stadtwerke AG (im Folgenden: WSW AG) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich ua. nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen; daneben fanden die für die Angestellten des Arbeitgebers geltenden sonstigen Tarifverträge und betrieblichen Vereinbarungen Anwendung.
-
Am 26. September 1975 hatte der damalige Vorstand der WSW AG eine allgemeine Regelung zu einem Werkstarif für Energieleistungen erlassen. Diese Vorstandsverfügung bestimmte auszugsweise:
-
„Neufassung der Verfügung Nr. 5 vom 2.6.1966 vom 26.9.1975
Betrifft : Werkstarif
0
Bezugsberechtigte
00
Für den gemessenen Haushaltsbezug von elektrischer Energie und Gas wird auf Antrag eine Ermäßigung eingeräumt:
000
vollbeschäftigten Betriebsangehörigen,
001
ehemaligen Betriebsangehörigen,
002
Witwen ehemaliger Betriebsangehöriger für die Dauer des Witwenstandes,
…
1
Voraussetzungen für die Gewährung des Werkstarifs sind:
10
der eigene Haushalt,
11
die ununterbrochene Beschäftigungszeit bei den WSW / BEV bzw. - vor dem 1.4.1948 - den Städt. Werken Wuppertal der
110
Betriebsangehörigen von mindestens 6 Monaten,
111
ehemaligen Betriebsangehörigen von mindestens 5 Jahren bis zu ihrer Inruhesetzung,
12
der Bestand der Ehe während der aktiven Betriebszugehörigkeit des verstorbenen Ehemannes.
…
3
Wohnen außerhalb des Versorgungsbereichs der WSW
Bezugsberechtigte, die nicht im Versorgungsbereich der WSW wohnen, erhalten - sofern ihr Verbrauch an elektrischer Energie und Gas von ihrem Versorgungsunternehmen im Währungsgebiet der Deutschen Mark zu einem höheren Preis abgerechnet wird, als er nach dem Werkstarif zur Verrechnung kommen würde - den Unterschiedsbetrag zwischen dem von ihnen bezahlten Rechnungsbetrag und dem nach dem Werkstarif zu verrechnenden Betrag erstattet.
…
5
Tarife
Ab 1.1.1976 erhalten die Bezugsberechtigten 25 % Rabatt auf die allgemeinen Tarife für die Versorgung mit elektrischer Energie und Gas sowie auf Sondervertragspreise für Raumheizung und sonstigen Haushaltsbedarf.
6
Besitzstand
Hinsichtlich der auf dieser Verfügung beruhenden Ansprüche wird kein Besitzstand begründet.
7
Kündigung
Der Anspruch auf Werkstarif kann - auch mit Wirkung gegenüber ehemaligen Betriebsangehörigen - unter Aufheben oder Ändern dieser Verfügung mit einer Frist von 3 Monaten zum jeweiligen Jahresende gekündigt werden.
8
Die Verfügung Nr. 5 vom 2.6.1966 (alte Fassung) wird am 31.12.1975 ungültig.“
-
Ab dem 1. Januar 2005 fand auf das Arbeitsverhältnis des Klägers der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung. Dieser bestimmt in § 2 Abs. 1:
-
„Der Arbeitsvertrag wird schriftlich unter Angabe der Entgeltgruppe abgeschlossen. Nebenabreden sind schriftlich zu vereinbaren.“
- 5
-
Im Jahr 2007 wurden die mit der Erstellung zentraler Dienstleistungen befassten Organisationseinheiten der WSW AG abgespalten und im Wege der Aufnahme nach §§ 123 ff. UmwG auf die Beklagte übertragen. Diese ist weder Erzeuger noch Lieferant von Strom und Gas. Im Zuge der zum 1. Januar 2007 erfolgten Umwandlung wies die WSW AG den Kläger darauf hin, dass sein Arbeitsverhältnis auf die Beklagte übergehen und diese in seinen Arbeitsvertrag eintreten werde.
-
Im Zuge der Umstrukturierung der WSW AG schlossen die WSW AG und die der WSW-Unternehmensgruppe, zu der auch die Beklagte zählt, einerseits und die Gewerkschaft ver.di andererseits den Tarifvertrag zur Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der WSW Unternehmensgruppe vom 10. November 2006 (im Folgenden: TV-SR). Dieser bestimmt ua.:
-
„Präambel
Die Wuppertaler Stadtwerke AG, ein einheitliches und sich mehrheitlich im Eigentum der Stadt Wuppertal befindliches Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, wird durch eine grundlegende Umstrukturierung in mehrere Unternehmen geteilt. Dieser Tarifvertrag wird zur Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb der WSW-Unternehmensgruppe abgeschlossen.
§ 1
Geltungsbereich
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten der diesen Tarifvertrag abschließenden oder beitretenden Unternehmen, sofern der Geltungsbereich für einzelne Regelungen dieses Tarifvertrages nachstehend nicht abweichend festgelegt wird.
(2) Der § 4 I dieses Tarifvertrages gilt nur für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 2 III.
(3) Der Tarifvertrag bindet und verpflichtet die ihn abschließenden und die ihm beitretenden Unternehmen und Parteien.
§ 2
Definitionen
(1) Der Begriff ‚WSW-Unternehmensgruppe’ im Sinne dieses Tarifvertrags meint folgende bestehende, sich in Gründung befindliche bzw. zu gründende Unternehmen:
WSW Holding GmbH (Arbeitstitel),
WSW Verkehr GmbH (Arbeitstitel),
Wuppertaler Stadtwerke AG und die
WSW Netz GmbH.
(2) ‚Stichtag’ im Sinne dieses Tarifvertrages ist:
für die WSW Holding GmbH und die WSW Verkehr GmbH der Tag, an dem die ersten Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Wuppertaler Stadtwerke AG durch Betriebsübergang auf eines der beiden Unternehmen übergehen.
für die Wuppertaler Stadtwerke AG der Tag, auf den der spätere der beiden oben genannten Stichtage fällt.
(3) Der Begriff ‚heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer’ im Sinne dieses Tarifvertrags meint alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, die
am jeweiligen Stichtag in einem Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe stehen werden und
am Vortag des oben genannten Stichtages in einem Arbeitsverhältnis mit der Wuppertaler Stadtwerke AG standen.
Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sind ausgeschlossen.
§ 3
Tarifbindung
(1) Die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe führen die bei der Wuppertaler Stadtwerke AG am Vortag des Stichtages geltenden Tarifverträge - ausdrücklich einschließlich des Tarifvertrages ‚Tarifvertrag vom 17. Januar 2005 zur Einführung des TV-V bei der Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW AG)’ - in ihrer jeweils gültigen Fassung weiter und erklären ihren Willen, den Abschluss identischer Tarifverträge beim Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen zu beantragen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) erklärt sich schon jetzt zum Abschluss dieser Tarifverträge bereit.
(2) Die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe werden die Mitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen beantragen, sofern dadurch die Regelungen in Absatz 1 keine Einschränkungen erfahren.
§ 4
Kündigungsschutz
(1) Der Ausspruch betriebsbedingter Beendigungskündigungen ist gegenüber allen heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bis zum 31.12.2020 unzulässig. Ausnahmsweise ist der Ausspruch betriebsbedingter Beendigungskündigungen gegenüber allen heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jedoch auch innerhalb des Zeitraums bis zum 31.12.2020 zulässig, wenn sich die jeweilige betriebliche Geschäftsgrundlage (durch z. B. drohenden Verlust von Leistungen, Genehmigungen oder Aufträgen) so ändert, dass das jeweilige Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe zu Maßnahmen greifen muss, die es zur Anzeige gemäß § 17 I KSchG verpflichtet.
…
§ 5
Materielle Sicherung
(1) Die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe treten zum Stichtag in die am Vortag des Stichtages bei der Wuppertaler Stadtwerke AG bestehenden und im Zuge des Betriebsübergangs jeweils auf die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe übergegangenen Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse ein. Im Zuge des jeweiligen Betriebsübergangs wird keine Veränderung der Eingruppierung und Einstufung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und keine Streichung von Entgeltbestandteilen und auch keine andere Veränderung des derzeitigen Entgelts vorgenommen.
(2) Die zum Vortag des Stichtages bei der Wuppertaler Stadtwerke AG gewährten betrieblichen Sozialleistungen werden für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe fortgeführt. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die erst nach dem Stichtag ihr Arbeitsverhältnis bei einem Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe beginnen, werden die bis zum Vortag des Stichtages bei der Wuppertaler Stadtwerke AG gewährten betrieblichen Sozialleistungen bis zu einer Neuregelung in den Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe fortgeführt.
§ 6
Immaterielle Sicherung
Im Zuge des jeweiligen Betriebsübergangs wird keine Veränderung des Tätigkeitsbereichs, des Arbeitsinhaltes und des Arbeitsortes der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgenommen. Eventuelle spätere Veränderungen in den vorgenannten Bereichen erfolgen auf der Grundlage der dann in dem jeweiligen Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe geltenden Regelwerke.
§ 7
Betriebsvereinbarungen
(1) Die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe treten in die am Vortag des Stichtages bei der Wuppertaler Stadtwerke AG geltenden Betriebsvereinbarungen ein.
…
§ 8
Zusatzversorgung
Die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe werden die Ansprüche aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 18 TV-V, auf Versicherung unter eigener Beteiligung zum Zwecke einer zusätzlichen Altersvorsorge nach Maßgabe des Tarifvertrages über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes - Altersvorsorge-TV-Kommunal - (ATV-K) oder des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung - ATV) in ihrer jeweils geltenden Fassung, erfüllen.“
- 7
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Am 24. September 2007 beschlossen der Vorstand der WSW AG und die Geschäftsführungen der Beklagten und der WSW mobil GmbH, dass künftig neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der WSW-Unternehmensgruppe angestellt werden, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ab dem 1. Oktober 2007 ihr Arbeitsverhältnis beenden und anschließend in den Ruhestand wechseln, Energierabatte iHv. 15 vH erhalten, wenn die Energie von der WSW AG bezogen wird.
- 8
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Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus und befindet sich seit dem 1. Januar 2009 im Ruhestand. Bis zum 31. Dezember 2008 gewährte ihm die Beklagte einen Energiekostenrabatt iHv. 25 vH; seit dem 1. Januar 2009 erhält er nur noch einen Rabatt iHv. 15 vH.
- 9
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Gegen diese Absenkung des Energiekostenrabatts hat sich der Kläger gewandt und von der Beklagten weiterhin die Freistellung von den abgerechneten Kosten für Strom und Gas iHv. 25 vH begehrt.
- 10
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aufgrund betrieblicher Übung ein Energiekostenrabatt für Strom und Gas iHv. 25 vH zu. Der Entstehung einer betrieblichen Übung stehe das Schriftformerfordernis des § 4 Abs. 2 BAT und des § 2 Abs. 1 Satz 2 TV-V nicht entgegen. Bei der Vereinbarung des Personalrabatts handele es sich nicht um eine Nebenabrede. Die Zusage übertariflicher Sonderleistungen gehöre zu den vertraglichen Hauptpflichten. Im Übrigen stelle sich die Berufung der Beklagten auf die fehlende Schriftform als unzulässige Rechtsausübung dar. Die Vorstandsverfügung vom 26. September 1975 stehe der Begründung von Ansprüchen aus betrieblicher Übung nicht entgegen. Diese Verfügung sei ihm nicht bekannt. Im Übrigen sei ihm gegenüber ein Widerruf nicht erklärt worden. Schließlich stehe ihm der Anspruch auch aufgrund § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR zu.
-
Der Kläger hat beantragt,
-
1.
die Beklagte zu verurteilen, ihn von Forderungen der Wuppertaler Stadtwerke AG freizustellen, soweit diese vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Oktober 2009 mehr als 75 % der gemessenen Energiekosten (Gas und Strom) gegenüber ihm abgerechnet hat;
2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn auf Lebenszeit, nach seinem Tod seine Witwe auf Lebenszeit, in Höhe von 25 % von den Kosten der Energielieferung (Gas und Strom) durch die WSW AG oder einen Nachfolge-Versorgungsbetrieb freizustellen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Energiepreisvergünstigung von 25 % entsprechend den bisherigen Bedingungen bei der Energielieferung durch die WSW AG zu gewähren.
- 12
-
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
-
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit den Hauptanträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
- 14
-
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht mit den Hauptanträgen entsprochen. Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR Anspruch darauf, dass die Beklagte ihn auf Lebenszeit und ggf. nach seinem Tod seine Witwe auf deren Lebenszeit - jedenfalls für die Dauer ihres Witwenstands - von den Kosten für Strom und Gas iHv. 25 vH der anfallenden Kosten freistellt.
- 15
-
I. Die Klage ist zulässig.
- 16
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1. Die Hauptanträge bedürfen der Auslegung.
- 17
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a) Klageanträge sind der Auslegung durch das Revisionsgericht zugänglich. Dabei sind die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) heranzuziehen (BAG 19. Februar 2008 - 9 AZR 70/07 - Rn. 16, BAGE 126, 26). Für das Verständnis eines Klageantrags ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut des Antrags zu haften. Das Gericht hat vielmehr den erklärten Willen zu erforschen, wie er sich aus der Klagebegründung, dem Prozessziel und der Interessenlage ergibt. Im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. etwa BAG 6. Juli 2011 - 4 AZR 568/09 - Rn. 25, EzTöD 650 TV-Ärzte/VKA § 16 Entgeltgruppe III Nr. 13; BGH 12. Februar 2003 - XII ZR 324/98 - zu II 1 a der Gründe mwN, WM 2003, 1919).
- 18
-
b) Mit den Hauptanträgen begehrt der Kläger trotz der Formulierung als (unbezifferte) Leistungsanträge die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von den Kosten für Strom und Gas iHv. 25 vH für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Oktober 2009 (Hauptantrag zu 1) und für die Zeit ab dem 1. November 2009 bis zu seinem Tod sowie ggf. für die Dauer des Witwenstands seiner Ehefrau (Hauptantrag zu 2) freizustellen. Dieses Verständnis seiner Anträge hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt.
- 19
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2. In dieser Auslegung sind die Hauptanträge zulässig.
- 20
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a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Klage muss sich dabei nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen. Es reicht, wenn sie sich auf einzelne sich daraus ergebende Rechte oder Folgen beschränkt, sofern dafür ein Feststellungsinteresse besteht (BAG 13. Dezember 2011 - 3 AZR 852/09 - Rn. 14).
- 21
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b) Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von den Forderungen der WSW AG oder eines Nachfolge-Versorgungsunternehmens aus dem Bezug von Strom und Gas iHv. 25 vH der tatsächlich angefallenen Kosten in der Zeit ab dem 1. Januar 2009 freizustellen. Hierbei handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Da die Beklagte die vom Kläger begehrte Freistellungsverpflichtung leugnet, steht dem Kläger auch ein Feststellungsinteresse zur Seite. Der Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit der Feststellungsanträge nicht entgegen. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn auf diesem Weg eine sachgemäße, einfache Erledigung der auftretenden Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. BAG 28. Juni 2011 - 3 AZR 286/09 - Rn. 17; 23. August 2011 - 3 AZR 650/09 - Rn. 31, AP BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 10 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 11). Dies ist hier der Fall.
- 22
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II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat nach § 5 Abs. 2 TV-SR Anspruch auf die begehrte Freistellung von den Kosten für Strom und Gas. Bis zum 1. Januar 2007 gewährte die WSW AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten allen Arbeitnehmern, die in den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt des Versorgungsfalls in einem Arbeitsverhältnis zu ihr standen, auch für die Dauer des Ruhestands und darüber hinaus nach ihrem Tod deren Witwen einen Energiekostenrabatt iHv. 25 vH der gemessenen Verbrauchskosten für Strom und Gas. Hierbei handelt es sich um eine betriebliche Sozialleistung iSv. § 5 Abs. 2 TV-SR. Nach dieser Tarifbestimmung ist es unerheblich, ob auf deren Gewährung in der Vergangenheit ein Rechtsanspruch bestanden hat. Entscheidend ist allein die tatsächliche Gewährung. Es kann deshalb dahinstehen, ob bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine betriebliche Übung auf die Gewährung eines Energiekostenrabatts entstanden ist.
- 23
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1. Der TV-SR ist auf das Arbeitsverhältnis des Klägers kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anzuwenden. Nach § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags vom 10. Februar 1976 finden auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die für Angestellte des Arbeitgebers geltenden Tarifverträge Anwendung. Hierzu zählt auch der TV-SR. Dieser gilt nach § 2 Abs. 1 TV-SR für die Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe, zu der auch die Beklagte gehört.
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2. § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR erfasst auch den von der WSW AG an ihre Mitarbeiter und Betriebsrentner gewährten Energiekostenrabatt als betriebliche Sozialleistung. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.
- 25
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a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Somit ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., etwa BAG 11. Juli 2012 - 10 AZR 236/11 - Rn. 12; 16. Juni 2010 - 4 AZR 944/08 - Rn. 18; 23. September 2009 - 4 AZR 382/08 - Rn. 14, BAGE 132, 162; 26. Januar 2005 - 4 AZR 6/04 - zu I 2 a bb (2) (c) (bb) der Gründe mwN, BAGE 113, 291).
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b) Danach erfasst § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR auch den von der Rechtsvorgängerin der Beklagten spätestens seit 1975 tatsächlich gewährten Energiekostenrabatt, ohne dass es darauf ankäme, ob hierauf ein Rechtsanspruch, etwa in Gestalt einer betrieblichen Übung, bestanden hat.
- 27
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aa) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR. Danach werden die von der WSW AG zum Vortag des Stichtags gewährten betrieblichen Sozialleistungen für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe, somit auch im Unternehmen der Beklagten, fortgeführt.
- 28
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Bei dem Energiekostenrabatt handelt es sich um eine betriebliche Sozialleistung. Diese soll nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR „heutigen“ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von der Beklagten weitergewährt werden. Nach der Definition in § 2 Abs. 3 TV-SR sind heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am Stichtag(§ 2 Abs. 2 TV-SR), dem 1. Januar 2007, in einem Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe stehen und am Vortrag des Stichtags, dem 31. Dezember 2006, in einem Arbeitsverhältnis mit der WSW AG gestanden haben. Diese Arbeitnehmer sollen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR den Energiekostenrabatt auch weiterhin erhalten. Davon zu unterscheiden sind diejenigen Arbeitnehmer, die erst nach dem Stichtag in ein Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe eintreten. Diesen Arbeitnehmern werden die bis zum Stichtag gewährten Sozialleistungen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 TV-SR nur bis zu einer Neuregelung in der WSW-Unternehmensgruppe weiter gewährt. Die „heutigen“ Arbeitnehmer mussten nach der Tarifbestimmung nicht mit einer Neuregelung rechnen. Da der Energiekostenrabatt von der WSW AG nicht nur während des aktiven Arbeitsverhältnisses, sondern auch im Ruhestand gewährt wurde, ist der Rabatt den „heutigen“ Arbeitnehmern auch dann weiterzugewähren, wenn sie in den Ruhestand treten.
- 29
-
Nach dem Tarifwortlaut kommt es für die Weitergewährung der betrieblichen Sozialleistung nicht darauf an, ob hierauf ein Rechtsanspruch bestand. Mit der Formulierung „gewährte betriebliche Sozialleistungen“ haben die Tarifvertragsparteien allein darauf abgestellt, dass die Sozialleistung von der WSW AG tatsächlich erbracht wurde.
- 30
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bb) Für diese Auslegung sprechen auch der Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen und ihr Sinn und Zweck.
- 31
-
Der TV-SR dient nach seiner Präambel der Sicherung der sozialen Rechte der Arbeitnehmer im Zuge der grundlegenden Umstrukturierung der WSW AG und der damit verbundenen Schaffung der WSW-Unternehmensgruppe. Diese Sicherung soll nach § 4 TV-SR den kündigungsrechtlichen Bestandsschutz gewährleisten und nach § 5 Abs. 1 TV-SR die Sicherung des Arbeitsentgelts einschließlich der Eingruppierung und Einstufung umfassen. Durch § 5 Abs. 2 TV-SR sollen die gewährten betrieblichen Sozialleistungen gesichert werden und mit § 6 TV-SR werden die bisherigen Tätigkeitsbereiche, Arbeitsinhalte und Arbeitsorte weitgehend gegen Veränderungen geschützt. Schließlich enthält § 8 TV-SR Regelungen zur zusätzlichen Altersversorgung. Die tarifliche Regelung bezweckt damit, wie sich etwa aus § 6 TV-SR ergibt, eine über den Schutz aus § 613a BGB hinausgehende Absicherung der von der Umstrukturierung betroffenen Arbeitnehmer. Diesen sollten ihre bisherigen (Rechts-)Positionen und die ihnen tatsächlich gewährten Leistungen erhalten bleiben und durch den Tarifvertrag rechtlich abgesichert werden. Zu diesen tatsächlich gewährten Leistungen gehört auch der Energiekostenrabatt, der auch im Ruhestand weitergewährt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien bei den gewährten betrieblichen Sozialleistungen zwischen Leistungen an aktive Arbeitnehmer und an Versorgungsempfänger unterschieden haben, sind nicht ersichtlich. Ob auf den Energiekostenrabatt bereits gegenüber der WSW AG ein Rechtsanspruch - ggf. aus betrieblicher Übung - bestand, ist daher ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Beklagte selbst weder Gas noch Strom produziert oder liefert.
- 32
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c) Der Kläger kann daher von der Beklagten nach § 5 Abs. 2 Satz 1 TV-SR auch während seines Ruhestands, nach seinem Tod seine Witwe für die Dauer des Witwenstands, Freistellung von den anfallenden Kosten für Strom und Gas iHv. 25 vH verlangen. Er stand am 1. Januar 2007 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, einem Unternehmen der WSW-Unternehmensgruppe. Am Vortrag dieses Stichtags war er Arbeitnehmer der WSW AG. Somit erfüllt er die tariflichen Voraussetzungen für die Weitergewährung des Energiekostenrabatts in der bisherigen Höhe.
- 33
-
III. Der Hilfsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an, denn er ist erkennbar nur für den Fall der Abweisung der Hauptanträge gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung ist nicht eingetreten.
-
IV. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
-
Gräfl
Schlewing
Spinner
Lohre
C. Reiter
Tenor
-
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Dezember 2010 - 16 Sa 1097/10 - wird zurückgewiesen.
-
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt von der Beklagten, tariflichen Mehrurlaub abzugelten.
-
Die Parteien verband im Zeitraum vom 1. Oktober 1974 bis zum 30. Juni 2008 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war Mitarbeiter der Werkfeuerwehr der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie vom 24. Juni 1992 idF vom 16. April 2008 Anwendung (MTV Chemie). In diesem heißt es ua.:
-
„§ 12
Urlaub
I.
Urlaubsanspruch
Der Urlaub dient der Erholung und der Erhaltung der Arbeitskraft. Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine Erwerbsarbeit leisten.
1.
Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr Anspruch auf einen bezahlten Urlaub.
2.
Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
...
11.
Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren.
Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.
...
IV.
Urlaubsabgeltung
1.
Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten werden.
2.
Soweit jedoch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt ist, ist er abzugelten. Nicht erfüllbare Urlaubsansprüche sind nicht abzugelten.
...“
- 3
-
Der Kläger war im Zeitraum vom 31. Juli 2007 bis mindestens 31. März 2009 durchgehend arbeitsunfähig krank. Unter dem 31. Juli 2008 verlangte er von der Beklagten, insgesamt 33 Urlaubstage aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten. Auf der Grundlage einer täglichen Bruttovergütung des Klägers iHv. 329,77 Euro galt die Beklagte im September 2009 13 gesetzliche Urlaubstage aus den Jahren 2007 und 2008 ab.
- 4
-
Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, auch den tariflichen Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 im Umfang von 20 Arbeitstagen abzugelten. Der Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs folge den Regelungen, die das Bundesurlaubsgesetz für die Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs vorsehe.
-
Der Kläger hat beantragt,
-
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.595,40 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. November 2009 zu zahlen.
- 6
-
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, der Anspruch des Klägers auf tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2007 sei mit Ablauf des 31. März 2008 erloschen. § 12 MTV Chemie regele die Urlaubsansprüche der Tarifunterworfenen eigenständig in Abweichung von den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes. Die im MTV Chemie vorgesehene Differenzierung zwischen gesetzlichen und tarifvertraglichen Urlaubsansprüchen stehe einem Gleichlauf beider Ansprüche entgegen. Darüber hinaus sei der Abgeltungsanspruch durch § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie ausgeschlossen.
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger weitere Urlaubsabgeltung iHv. 6.595,40 Euro brutto zu zahlen.
- 9
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 aus § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV Chemie oder § 7 Abs. 4 BUrlG.
- 10
-
1. Gemäß § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV Chemie ist der Urlaubsanspruch zwar abzugelten, soweit er bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllt ist. Jedoch sind nach § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses tariflichen Abgeltungsausschlusses liegen vor. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob der tarifliche Mehrurlaub aus den Jahren 2007 und 2008 gemäß § 12 Abschn. I Ziff. 11 Satz 2 MTV Chemie am 31. März des jeweiligen Folgejahres erloschen ist. Ein dem Kläger bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zustehender Mehrurlaub war jedenfalls im Sinne der Tarifvorschrift nicht erfüllbar. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers hinderte die Beklage, den Urlaubsanspruch des Klägers zu erfüllen (vgl. BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - Rn. 13, NZA 2012, 750).
- 11
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2. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie eine von der gesetzlichen Abgeltungsregelung in § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende, eigenständige Tarifregelung enthält. Diese steht einem Gleichlauf zwischen dem Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und dem Anspruch auf Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs entgegen.
- 12
-
a) Sowohl Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) als auch §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründen einen Anspruch auf Mindestjahresurlaub im Umfang von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, den sog. tariflichen Mehrurlaub, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 8 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 9). Tarifbestimmungen können daher vorsehen, dass der Arbeitgeber den tariflichen Mehrurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder nur dann abzugelten hat, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist (vgl. BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 - Rn. 22, NZA 2012, 987). Da nicht der durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleistete Mindestjahresurlaub von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV(BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 10, PersR 2012, 411).
- 13
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b) Der Senat hat die im Streitfall maßgeblichen Tarifvorschriften anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen. Nur für den Fall, dass die Tarifvertragsparteien von ihrer Regelungsmacht Gebrauch gemacht haben, unterfällt der Urlaubsanspruch, den der Kläger abgegolten haben will, der Ausschlussregelung des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie. Dies kann sich zum einen daraus ergeben, dass die tariflichen Abgeltungsregelungen zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheiden; zum anderen ist es möglich, dass sich die Tarifvertragsparteien vom gesetzlichen Abgeltungsregime gelöst und eigenständige, vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Regelungen zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen getroffen haben. Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des Mindesturlaubs abweichenden Abgeltungsregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des Anspruchs auf Abgeltung gesetzlichen Urlaubs und des Anspruchs auf Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs auszugehen.
- 14
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aa) Nach der Abgeltungskonzeption des MTV Chemie soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub nicht erfüllbar ist. Dies steht im Gegensatz zu der neueren Rechtsprechung des Senats, der zufolge die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers keinen Einfluss auf die Verpflichtung des Arbeitgebers hat, den Urlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten (vgl. BAG 13. Dezember 2011 - 9 AZR 399/10 - Rn. 15, AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 93 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 20).
- 15
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bb) § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie ist eine Tarifnorm iSd. § 1 Abs. 1, § 4 TVG. Sie hat nicht lediglich deklaratorischen Charakter. Dies gilt unabhängig davon, dass die Tarifvertragsparteien den Abgeltungsausschluss erstmalig zu einem Zeitpunkt tarifierten, zu dem die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Urlaubsabgeltungsansprüche mehrheitlich dem Regime der sog. Surrogatstheorie unterstellte.
- 16
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(1) § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie gilt seit dem Tarifabschluss vom 24. Juni 1992. Der Ausschluss von Abgeltungsansprüchen in den Fällen, in denen der Urlaubsanspruch nicht erfüllbar ist, spiegelte im Jahr 1992 den Rechtsstand wider, der nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum damaligen Zeitpunkt von Gesetzes wegen galt. Das Bundesarbeitsgericht vertrat seit 1983 die Surrogatstheorie (vgl. BAG 23. Juni 1983 - 6 AZR 180/80 - zu 3 der Gründe, BAGE 44, 75; sodann ständige Rechtsprechung bis 27. Mai 2003 - 9 AZR 366/02 - zu I 1 der Gründe, EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 9). Danach setzte der Anspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG voraus, dass der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch allein wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllen konnte. Der Abgeltungsanspruch, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an die Stelle des Anspruchs auf Gewährung von Erholungsurlaub trete, sei - so der damals für das Urlaubsrecht allein zuständige Senat - das Surrogat des Urlaubsanspruchs (BAG 18. Juni 1980 - 6 AZR 328/78 - zu 1 a der Gründe, AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 6 = EzA BUrlG § 13 Nr 14). Als Surrogat sei der Abgeltungsanspruch hinsichtlich seiner Entstehung und Fortdauer an dieselben Voraussetzungen wie der Urlaubsanspruch gebunden. An einem erfüllbaren Anspruch fehle es, wenn der Arbeitnehmer über das Urlaubsjahr und den Übertragungszeitraum hinaus krankheitsbedingt arbeitsunfähig sei. Auf diese Weise sei sogleich sichergestellt, dass Arbeitnehmer, die aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden, in urlaubsrechtlicher Hinsicht nicht besser gestellt seien als Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis fortbestehe.
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(2) Bei der inhaltlich unveränderten Übernahme außertariflicher Normen in den Tarifvertrag kann es allerdings am Willen der Tarifvertragsparteien fehlen, hierdurch eigene Tarifnormen zu schaffen. Zweck der Übernahme kann es sein, einen möglichst vollständigen Überblick über die geltende Rechtslage zu geben und insbesondere Missverständnisse bei der Anwendung des Tarifvertrags zu vermeiden, die sich aus einer bruchstückhaften Darstellung der Rechtslage im Tarifvertrag ergeben könnten. Erfolgt die Übernahme zu diesem Zweck, so handelt es sich nicht um eine Tarifnorm im Sinne von § 1 Abs. 1, § 4 TVG(vgl. BAG 27. August 1982 - 7 AZR 190/80 - zu II 1 der Gründe, BAGE 40, 102).
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(3) Bei tariflichen Normen, die sich inhaltlich an gesetzliche Normen anlehnen oder auf sie verweisen, ist jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob die Tarifvertragsparteien hierdurch eine selbstständige, in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung treffen wollten. Dieser Wille muss im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck finden. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich übernommen werden. In einem derartigen Fall ist bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass es den Tarifvertragsparteien bei der wörtlichen Übernahme des Gesetzestextes darum gegangen ist, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie haben dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifvertrag aufgenommen, um die Tarifgebundenen möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten (BAG 23. September 1992 - 2 AZR 231/92 - zu III a der Gründe; siehe ferner BAG 4. März 1993 - 2 AZR 355/92 - zu II 1 a der Gründe, AP BGB § 622 Nr. 40 = EzA BGB § 622 nF Nr. 44; in diesem Sinne bereits BAG 27. August 1982 - 7 AZR 190/80 - zu II 2 der Gründe, BAGE 40, 102; offengelassen von BAG 16. Dezember 1998 - 5 AZR 490/98 - zu II 3 der Gründe).
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(4) Der Wille der Tarifvertragsparteien, eine die Rechtsverhältnisse der Tarifunterworfenen gestaltende Tarifvorschrift zu schaffen, kommt in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie hinreichend zum Ausdruck. Die Tarifvorschrift gab auch zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Vereinbarung nicht den Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG wieder; sie tarifiert vielmehr die Surrogatstheorie, die im Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG keinen Niederschlag gefunden hat. Zudem stellt § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie anders als die Surrogatstheorie in zeitlicher Hinsicht nicht auf das Urlaubsjahr einschließlich des Übertragungszeitraums, sondern auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Schließlich konnten die Tarifvertragsparteien beim Tarifabschluss am 16. April 2008 nicht davon ausgehen, dass der Senat seine bisherige Rechtsprechung zur Surrogatstheorie fortführen werde (so zum Vertrauensschutz auf Arbeitgeberseite: BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 76, BAGE 130, 119). Zu diesem Zeitpunkt war das Vorabentscheidungsersuchen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 - LAGE BUrlG § 7 Nr. 43) bekannt. Wenn die Tarifvertragsparteien dennoch in § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie die Regelung beibehalten haben, dass nicht erfüllbare Urlaubsansprüche nicht abzugelten sind, wird deutlich, dass sie unabhängig davon, wie die Rechtsprechung § 7 Abs. 4 BUrlG auslegt, an der Surrogatstheorie festhalten wollten.
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3. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Tarifbestimmung des § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV Chemie insoweit unwirksam ist, als sie nicht nur die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs, sondern - ohne Differenzierung - auch des unionsrechtlich wie innerstaatlich verbürgten Mindesturlaubs ausschließt (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG iVm. § 134 BGB). Für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den Mehrurlaub, bleibt die Tarifregelung gemäß § 139 BGB wirksam(so für tarifliche Befristungsregelungen: BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 17, PersR 2012, 411; 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 27, BAGE 137, 328).
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II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg eingelegten Revision zu tragen.
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Brühler
Krasshöfer
Suckow
W. Schmid
Starke
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)