I. Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2006 hat, weil sie Organgesellschaft im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft mit der H-OHG (OHG) als Organträgerin war.
Frau IH war im Streitjahr Alleingesellschafterin und Alleingeschäftsführerin der Klägerin. Außerdem war sie zusammen mit Herrn JH zu jeweils 50 % an der OHG beteiligt. Beide waren einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der OHG.
Die Klägerin erzielte im Rahmen der Unternehmensgruppe H im Streitjahr steuerpflichtige und steuerfreie Umsätze aus dem Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes in K. Mit Mietvertrag vom 29. Dezember 2005 mietete sie für den Betrieb des ambulanten Pflegedienstes von Herrn JH ab dem 1. Januar 2006 für die Dauer von zehn Jahren Räume im Anwesen X in K.
Die Klägerin gab für die Jahre 2005 bis 2008 Umsatzsteuererklärungen und für das Jahr 2009 Umsatzsteuervoranmeldungen ab, in denen sie jeweils sowohl steuerfreie Umsätze aus ambulanter Pflege nach § 4 Nr. 16 Buchst. e Umsatzsteuergesetz (UStG) als auch steuerpflichtige Umsätze aus Verpflegungs- und sonstigen Dienstleistungen zum allgemeinen Steuersatz erklärte. Mit der Umsatzsteuererklärung für 2006 vom 13. November 2007 meldete sie unter Berücksichtigung steuerpflichtiger Umsätze in Höhe von … € und steuerfreier Umsätze in Höhe von … € sowie abziehbarer Vorsteuerbeträge Höhe von … € eine zu zahlende Umsatzsteuer von … € an.
Mit Schreiben vom 5. Mai 2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 2005 bis 2008, weil sie die Umsatzsteuererklärungen zu Unrecht abgegeben habe, da die von ihr erzielten umsatzsteuerpflichtigen Umsätze der OHG als Organträgerin zuzurechnen seien und gab demzufolge für die Jahre 2010 und 2011 keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr ab.
Nach einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung (vgl. Bericht vom 21. Juli 2010) lehnte das Finanzamt den Änderungsantrag mit Bescheid vom 26. Juli 2010 ab, weil zwischen der Klägerin und der OHG mangels finanzieller und organisatorischer Eingliederung der Klägerin in die OHG keine Organschaft vorliege. Den hiergegen betreffend das Streitjahr eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 16. Dezember 2011 als unbegründet zurück, weil es sowohl an der finanziellen als auch an der wirtschaftlichen Eingliederung fehle.
Mit der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass im Veranlagungszeitraum 2006 eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und der OHG vorgelegen habe. Da die OHG über ihre 50%-ige Gesellschafterin IH über sämtliche Anteile an der Klägerin verfügt habe, sei eine finanzielle Eingliederung gegeben gewesen. Sie berufe sich im Rahmen der Begründung der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben, sondern auf die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Änderung der Umsatzsteuerveranlagungen 2005 bis 2008 geltende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Urteilen vom 19. Mai 2005 V R 31/03 und vom 14. Februar 2008 V R 12, 13/06 zur Zulässigkeit der mittelbaren finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft über die Gesellschafter des Organträgers. Die Klägerin habe die von der Finanzverwaltung im Schreiben des BMF vom 5. Juli 2011 eingeräumte Übergangsregelung betreffend die finanzielle Eingliederung genutzt. Die umsatzsteuerliche Organschaft trete ohne Antrag des Steuerpflichtigen ein, sofern und sobald deren Voraussetzungen vorlägen.
Ebenso habe eine wirtschaftliche Eingliederung vorgelegen. Zum einen habe die Klägerin ihr Unternehmen in von JH angemieteten Räumen betrieben. Zum anderen liege aufgrund der Tatsache, dass die H Verwaltungs-GmbH, die ebenfalls als Organgesellschaft der OHG anzusehen sei, im ausdrücklichen Auftrag der OHG an die Klägerin und weitere Gesellschaften der H-Unternehmensgruppe, die alle im Eigentum der Familie H stünden, zentral in einem erheblichen Umfange Dienstleistungen erbringe, eine wirtschaftliche Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen der OHG vor.
Im Übrigen habe das Finanzamt auch bei den anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe, die 100%ige Tochtergesellschaften der OHG seien, die Organschaft nachträglich anerkannt.
Die Klägerin beantragt, das Finanzamt unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26. Juli 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 16. Dezember 2011 zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 4. Dezember 2007 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Es bringt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vor, dass die Voraussetzungen einer finanziellen Eingliederung weder nach der neuen noch nach der früheren Rechtsprechung des BFH vorlägen. Selbst wenn nach der früheren Rechtsprechung eine finanzielle Eingliederung vorgelegen habe, könne sich die Klägerin nicht auf Treu und Glauben berufen. Die organisatorische Eingliederung werde nicht in Frage gestellt. Es liege jedoch keine wirtschaftliche Eingliederung vor. Die Ausführungen der Klägerin hierzu unter Hinweis auf die Dienstleistungen der H Verwaltungs-GmbH seien für den Streitfall nicht maßgeblich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts sowie die im Verfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung hingewiesen.
II. Die Klage ist unbegründet.
Das Finanzamt hat den Antrag der Klägerin auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2006 zu Recht abgelehnt. Die streitgegenständlichen Umsätze sind der Klägerin zuzuordnen, weil sie im Streitjahr keine Organgesellschaft der OHG i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gewesen ist.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Gemeinschaftsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 11 MwStSystRL). Danach können die Mitgliedstaaten, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Bei richtlinienkonformer Auslegung führt die Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu einer „Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen”, die es ausschließt, dass die untergeordneten Personen weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb und außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige befugt ist, diese Erklärungen abzugeben (vgl. EuGH-Urteil vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica und Amplifin, DStRE 2008, 902, Rn. 19).
Es muss ein Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen einer Organgesellschaft als „untergeordneter Person” und dem sog. Organträger vorliegen. Die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Dabei kommt es insbesondere auf die finanzielle und die organisatorische Eingliederung an (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 3/08, BFH/NV 2009, 1734).
Wenn die Voraussetzungen für eine Organschaft vorliegen, ist der Organträger Steuerschuldner aller Umsätze, die der Organträger oder eine der ihm eingegliederten Organgesellschaften tätigt. Umsätze zwischen Organträger und Organgesellschaft sind Innenumsätze, die keine Umsatzsteuerschuld begründen.
2. Vorliegend können die Umsätze der Klägerin mangels Vorliegen einer Organschaft zwischen der Klägerin und der OHG nicht als Umsätze der OHG angesehen werden.
Es kann dahinstehen, ob im Streitfall die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Klägerin in die OHG vorliegen. Die Klägerin ist im Streitjahr jedenfalls nicht finanziell in die OHG eingegliedert gewesen.
Eine finanzielle Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen kann. Erforderlich ist grundsätzlich die Stimmenmehrheit, also mehr als 50 % der Stimmen an der Organgesellschaft. Da der Organträger unmittelbar oder mittelbar an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, reicht es nicht aus, wenn mehrere Gesellschafter nur gemeinsam über eine Anteilsmehrheit an einer Personengesellschaft (OHG) und einer GmbH (Klägerin) beteiligt sind. Dies gilt auch für den Fall, dass nur ein Gesellschafter über Mehrheitsbeteiligungen an beiden Gesellschaften verfügt (vgl. BFH-Urteile vom 22. April 2010 V R 9/09, BStBl. II 2011, 597; und vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08, BStBl. II 2011, 600). Der Organträger muss im Besitz der Anteile sein, die ihm nach dem Gesetz oder der Satzung der Organgesellschaft die Möglichkeit einräumt, die wesentlichen Entscheidungen in der Organgesellschaft nach seinem Willen durchzusetzen (BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 3/08, BFH/NV 2009, 1734).
Es reicht deshalb für die Annahme einer finanziellen Eingliederung und damit einer Organschaft nicht aus, dass IH im Streitjahr Alleingesellschafterin und Alleingeschäftsführerin der Klägerin und zu 50 % an der OHG beteiligt und Geschäftsführerin der OHG gewesen ist. Denn dadurch ist keine der beiden Gesellschaften in das andere Unternehmen eingeordnet gewesen. Da Herr JH ebenfalls zu 50 % an der OHG beteiligt und neben IH ebenfalls einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer gewesen ist, hat es sich vielmehr um gleichgeordnete Schwestergesellschaften gehandelt, zwischen denen, würde nicht auf das erforderliche Über-/Unterordnungsverhältnis abgestellt werden, wechselseitige und jeweils austauschbare Organverhältnisse denkbar wären (vgl. BFH in BStBl. II 2011, 600).
Eine finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft liegt im Hinblick auf das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis aufgrund einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter, die nur gemeinsam über eine Anteilsmehrheit an beiden Gesellschaften verfügen, nicht vor (vgl. BFH in BStBl. II 2011, 597).
Die Umsätze der Klägerin können deshalb mangels Vorliegen einer Organschaft zwischen ihr und der OHG nicht als Umsätze der OHG angesehen werden.
3. Die Klägerin kann sich nicht auf die von der Finanzverwaltung im Schreiben des BMF vom 5. Juli 2011 (BStBl. I 2011, 703) eingeräumte Übergangsregelung betreffend die finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft berufen.
Diese ist vorliegend auch nicht im Hinblick auf eine in den Gerichten zu beachtende Selbst-Gründung der Verwaltung anwendbar, da auch nach der mit den Urteilen des BFH vom 22. April 2010 V R 9/09 (BStBl. II 2011, 597) und vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08 (BStBl. II 2011, 600) aufgegebenen Rechtsprechung in den Urteilen vom 20. Januar 1999 XI R 69/97 (BFH/NV 1999, 1136), vom 19. Mai 2005 V R 31 /03 (BStBl. II 2005, 671) und vom 14. Februar 2008 V R 12, 13/06 (BFH/NV 2008, 1365) im Streitfall keine finanzielle Eingliederung der Klägerin in die OHG vorgelegen hat.
Nach der aufgegebenen Rechtsprechung des BFH war es für eine finanzielle Eingliederung zwischen der GmbH als Organgesellschaft und der Personengesellschaft als Organträger ausreichend, wenn die Mehrheit der Anteile an der GmbH von den Gesellschaftern einer Personengesellschaft gehalten wurde, so dass in beiden Gesellschaften dieselben Gesellschafter zusammen über die Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte verfügten. Da die Stimmenmehrheit des Organträgers für Beschlüsse in der Organgesellschaft auch durch eine mittelbare Beteiligung erreicht werden konnte, wurde eine für eine finanzielle Eingliederung ausreichende mittelbare Beteiligung angenommen, wenn die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft über eine Beteiligung (als Gesellschafter) an einer Gesellschaft erreicht wurde, die unmittelbar mit Stimmenmehrheit an der Organgesellschaft beteiligt war, oder wenn die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft von den Gesellschaftern der Organträgergesellschaft gehalten wurde, z.B. dadurch, dass der Mehrheitsgesellschafter des Organträgers auch über die Stimmenmehrheit in der Organgesellschaft verfügte (vgl. BFH in BStBl. II 2005, 671 unter II. 2. a) ee)).
So wurde zum Beispiel eine finanzielle Eingliederung für den Fall bejaht, dass ein gemeinsamer Gesellschafter in GmbH und Personengesellschaft jeweils über eine Anteilsmehrheit von mindestens 95 % verfügte und auch Geschäftsführer der GmbH war oder dass zwei Gesellschaftern jeweils gemeinsam eine Anteilsmehrheit in beiden Gesellschaften zustand (vgl. BFH in BFH/NV 1999, 1136 und BFH-Urteil vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223).
Diese Voraussetzung ist vorliegend aber nicht gegeben, weil die Klägerin mit 50 % nicht die Mehrheit der Anteile an der OHG besitzt. In GmbH und OHG verfügen nicht dieselben Gesellschafter zusammen über die Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte.
4. Aber selbst wenn man nach der älteren Rechtsprechung des BFH von einer finanziellen Eingliederung der Klägerin in die OHG ausginge, wird der dem Streitfall zu Grunde liegende Sachverhalt auch deshalb nicht von Übergangsregelung im BMF-Schreiben vom 5. Juli 2011 erfasst, weil die Klägerin bis zum Februar 2010 gerade nicht von einer finanziellen Eingliederung ausgegangen ist und daher kein Vertrauenstatbestand gegeben ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.