Finanzgericht Hamburg EuGH-Vorlage, 01. Apr. 2014 - 4 K 82/13

01.04.2014

Gründe

I.

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Einfuhrabgaben. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Antidumpingzoll-Verordnung für bestimmte zubereitete oder haltbar gemachte Zitrusfrüchte (Ware) mit Ursprung in der Volksrepublik (VR) China.

2

Der Beklagte hat die streitigen Abgaben auf der Grundlage der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 158/2013 des Rates vom 18.02.2013 zur Wiedereinführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. L 49 vom 22.02.2013, S. 29 - im Folgenden: VO Nr. 158/2013) erhoben.

1.

3

a) Bereits mit der Verordnung (EG) Nr. 642/2008 der Kommission vom 04.07.2008 (ABl. L 178 vom 05.07.2008, S.19) wurde für die Ware mit Ursprung in der VR China ab dem 06.07.2008 ein vorläufiger Antidumpingzoll in Form einer Sicherheit in Höhe von EUR 482,20 EUR je Tonne Nettogewicht festgesetzt.

4

b) Mit der Verordnung (EG) Nr. 1355/2008 des Rates vom 18.12.2008 (ABl. L 350 vom 30.12.2008, S. 35 - VO Nr. 1355/2008 -) wurde für die Dauer von zunächst 5 Jahren die Erhebung von Antidumpingzoll für die Ware bestimmt und die mit der erstgenannten Verordnung eingeführten vorläufigen Maßnahmen für endgültig erklärt. Untersuchungszeitraum für diese Maßnahmen war das Jahr zwischen dem 01.10.2006 und dem 30.09.2007, das der Einleitung des Verfahrens gemäß Veröffentlichung vom 20.10.2007 unmittelbar vorausgegangen war.

5

c) Aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des ersuchenden Senats vom 11.05.2010 (4 K 123/09) sprach der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10), den Schlussanträgen des Generalanwalts folgend, die Ungültigkeit der VO Nr. 1355/2008 aus. Kommission und Rat hätten die Erfordernisse nach Art. 2 Abs. 7a der seinerzeit geltenden Grundverordnung für den Erlass von Antidumpingzoll-Verordnungen, der VO (EG) Nr. 384/96 vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 56 vom 06.03.1996, S. 1 - VO Nr. 384/96 -), in der durch die VO (EG) Nr. 2117/2005 des Rates vom 01.12.2005 (ABl. L 340 vom 23.12.2005, S. 17) geänderten Fassung, missachtet, weil sie den Normalwert der Ware auf der Grundlage der für gleichartige Waren in der Union tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preise ermittelt hatten, ohne die gebotene Sorgfalt aufzubieten, um diesen Wert auf der Grundlage der für die gleiche Ware in einem Drittland mit Marktwirtschaft üblichen Preise festzulegen (Rz. 36 des Urteils).

6

d) Die Kommission beschloss daraufhin die teilweise Wiederaufnahme der Antidumping-Untersuchung; am 18.02.2013 erließ der Rat sodann die VO Nr. 158/2013, mit der er den endgültigen Antidumpingzoll mit Wirkung ab 23.02.2013 "wiedereinführte" (Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 158/2013). In den Erwägungen der VO Nr. 158/2013 ist das dem Erlass vorangehende Verfahren ausführlich dargestellt.

7

2. Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 03.04.2013 erhob der Beklagte von der Klägerin Einfuhrabgaben, darunter auf der Grundlage von VO Nr. 158/2013 Antidumpingzoll in Höhe von EUR 62.983,52.

8

Ihren Einspruch vom 30.04.2013 begründete die Klägerin ausschließlich mit der Rechtswidrigkeit der VO Nr. 158/2013. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 24.05.2013 als unbegründet zurück. Er habe keine Kompetenz, Verordnungen von Unionsorganen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Die VO Nr. 158/2013 selbst sei im Streitfall fehlerfrei angewendet worden.

9

3. Hiergegen hat die Klägerin am 26.06.2013 Klage erhoben. Die Klägerin meint, die VO Nr. 158/2013 verstoße gegen vorrangiges Unionsrecht und sei damit rechtswidrig und ungültig, weil sie in teilweiser Wiederaufnahme des Antidumping-Verfahrens der VO Nr. 1355/2008 ergangen sei, wofür sich eine Rechtsgrundlage weder in der Verordnung selbst noch in der Grundverordnung VO Nr. 384/96 oder in der sie ersetzenden Grundverordnung - der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30.11.2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 343 vom 22.12.2009, S. 51 - VO Nr. 1225/2009 -) - finde.

10

Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens lasse sich im vorliegenden Fall auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 03.10.2000 (C-458/98 P) ableiten. In jener Entscheidung habe es der Gerichtshof zwar nicht beanstandet, dass die Kommission das Antidumping-Verfahren einer vom Gerichtshof bereits für nichtig erklärten Antidumping-Verordnung wieder aufgenommen habe, um weitere Feststellungen zum Erfordernis der Schädigung eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft zu treffen. Allerdings habe im dortigen Fall bereits festgestanden, dass gedumpte Waren eingeführt worden seien. Habe dagegen der Gerichtshof - wie vorliegend - eine Antidumping-Verordnung deswegen für ungültig erklärt, weil es an einer ordnungsgemäßen Ermittlung des Normalwertes gefehlt habe, könne das frühere Verfahren nicht wieder aufgenommen werden, denn es fehle bereits an der erforderlichen Erkenntnis, dass überhaupt eine Dumpingsituation gegeben sei. Aus jenem Urteil ergebe sich zudem, dass für den Erlass einer neuen Antidumping-Verordnung auf einen zeitnahen, also aktualisierten Untersuchungszeitraum abgestellt werden müsse, was im vorliegenden Fall unterblieben sei.

11

Die Klägerin wendet weiter ein, dass die VO Nr. 158/2013 erst nach Ablauf der in Art. 6 Abs. 9 VO (EG) Nr. 1225/2009 geregelten Frist von 15 Monaten erlassen worden sei.

12

Die Klägerin beantragt,

13

den Einfuhrabgabenbescheid des Beklagten vom 03.04.2013 (AT/G/ ...), soweit darin Antidumpingzoll erhoben worden ist, in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 24.05.2013 aufzuheben.

14

Der Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Der Beklagte nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung.

II.

17

Der beschließende Senat setzt das Verfahren in analoger Anwendung des § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß § 267 Satz 1 Buchst b) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die im Tenor genannte Frage zur Vorabentscheidung vor.

18

Nach Auffassung des beschließenden Senats sind für die Lösung des Streitfalls die folgenden Rechtsvorschriften maßgeblich:

19

1. Rechtlicher Rahmen

20

a) Verordnung (EWG) Nr. 2176/84 des Rates vom 23.07.1984 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 201 vom 30.07.1984, S. 1) Art. 7 Abs. (9) a) Eine Untersuchung wird abgeschlossen, indem sie eingestellt wird oder indem endgültige Maßnahmen ergriffen werden. Sie muß in der Regel innerhalb eines Jahres nach der Verfahrenseinleitung abgeschlossen sein.

21

b) Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 56 vom 06.03.1996, S. 1) Artikel 6 Untersuchung
...

22

(9) Bei Verfahren nach Artikel 5 Absatz 9 wird die Untersuchung, wenn möglich, innerhalb eines Jahres abgeschlossen. In jedem Fall werden solche Untersuchungen innerhalb von 15 Monaten nach ihrer Einleitung auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse abgeschlossen.

23

c) Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30.11.2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 343 vom 22.12.2009, S. 51) Artikel 6 Untersuchung
...

24

(9) Bei Verfahren nach Artikel 5 Absatz 9 wird die Untersuchung, wenn möglich, innerhalb eines Jahres abgeschlossen. In jedem Fall werden solche Untersuchungen innerhalb von 15 Monaten nach ihrer Einleitung auf der Grundlage der gemäß Artikel 8 für Verpflichtungen und gemäß Artikel 9 für endgültige Maßnahmen getroffenen Feststellungen abgeschlossen.

25

d) Durchführungsverordnung (EU) Nr. 158/2013 des Rates vom 18.02.2013 zur Wiedereinführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. L 49 vom 22.02.2013, S. 29) ...in Erwägung nachstehender Gründe:

26

1. VERFAHREN

27

...
(31) Die Maßnahmen betrafen die in der ursprünglichen Verordnung wie folgt definierte Ware: unter die KN-Position 2008 fallende zubereitete oder haltbar gemachte Mandarinen (einschließlich Tangerinen und Satsumas), Clementinen, Wilkings und ähnliche Kreuzungen von Zitrusfrüchten, ohne Zusatz von Alkohol, auch mit Zusatz von Zucker oder anderen Süßmitteln, die derzeit unter den KN-Codes 2008 30 55, 2008 30 75 und ex 2008 30 90 (TARIC-Codes 2008 30 90 61, 2008 30 90 63, 2008 30 90 65, 2008 30 90 67 und 2008 30 90 69) eingereiht werden, mit Ursprung in der VR China.

28

(32) Diesbezüglich interpretierte der Gerichtshof in seinem Vergleichslandurteil die Statistiken, die die Kommission dem Gerichtshof am 27. Juli 2011 übermittelt hatte, als ausschließlich auf die betroffene Ware bezogene Daten. Die Kommission hat den vollständigen Umfang aller in den Statistiken erscheinenden KN-Codes erneut untersucht, und es ist anzumerken, dass diese Statistiken mehr umfassen als die von den Maßnahmen betroffene Ware, denn sie betreffen die gesamten KN-Codes 2008 30 55, 2008 30 75 und 2008 30 90. Die statistischen Daten zu den KN-Codes 2008 30 55 und 2008 30 75, die nur die betroffene Ware oder die gleichartige Ware betreffen, stellen sich für die obengenannten Länder im Untersuchungszeitraum wie folgt dar:

29

...
(33) In Bezug auf den KN-Code 2008 30 90 waren in die Statistiken auch andere Waren als die betroffene Ware einbezogen. Daher können zu den Einfuhren der gleichartigen Ware unter diesem KN-Code keine Schlussfolgerungen gezogen werden. Mithin kann aus den Statistiken nicht abgeleitet werden, dass die gleichartige Ware während des Untersuchungszeitraums in erheblichen Mengen aus Israel oder Swasiland eingeführt wurde.

30

...
(54) Unter Berücksichtigung der von den Parteien übermittelten Stellungnahmen und ihrer Analyse und der - trotz der erheblichen Anstrengungen der Kommissionsdienststellen - mangelnden Kooperationsbereitschaft potenzieller Hersteller in Drittländern wurde der Schluss gezogen, dass ein Normalwert auf der Grundlage des Preises oder des rechnerisch ermittelten Wertes in einem Drittland mit Marktwirtschaft nach Artikel 2 Absatz 7 Buchstabe a der Grundverordnung nicht ermittelt werden konnte.

31

...
5.3.7. Schlussfolgerung zum Normalwert

32

(58) Da diesbezüglich keine weiteren Stellungnahmen vorliegen und es trotz der erheblichen Anstrengungen der Kommissionsdienststellen, einen mitarbeitenden Hersteller in einem Vergleichsland zu ermitteln, nicht möglich war, auf den Untersuchungszeitraum bezogene Daten von einem Hersteller in einem Vergleichsland zu erlangen, werden die Feststellungen in den Erwägungsgründen 38 bis 45 der vorläufigen Verordnung bestätigt.

33

2. Entscheidungserheblichkeit

34

Die Beantwortung der vorgelegten Frage ist entscheidungserheblich. Der Ausgang des Klageverfahrens hängt ausschließlich davon ab, ob die angegriffene Verordnung wirksam ist oder wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht für ungültig erklärt wird.

35

3. Rechtliche Überlegungen des Senats

36

Die rechtliche Würdigung der VO Nr. 158/2013 ist nach Ansicht des ersuchenden Senats unionsrechtlich zweifelhaft.

37

a) Der ersuchende Senat hat insbesondere Bedenken in Bezug auf die Gültigkeit der VO Nr. 158/2013, weil die streitgegenständliche Antidumpingzoll-Verordnung im Jahr 2013 Antidumpingzoll auf der Grundlage eines mehr als fünf Jahre zurück liegenden Untersuchungszeitraums vom 01.10.2006 bis 30.09.2007 festsetzt.

38

Sowohl die ursprüngliche Grundverordnung, die VO Nr. 384/96, als auch ihre Nachfolgeverordnung, die VO Nr. 1225/2009, enthalten jeweils in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 eine Regelung, dass die Untersuchung, wenn möglich, innerhalb eines Jahres abgeschlossen wird, und in dem nachfolgenden Satz 2 sogar die Bestimmung, dass die Antidumping Untersuchung in jedem Fall innerhalb von 15 Monaten nach ihrer Einleitung abgeschlossen wird. Diese Frist von 15 Monaten ist bei Berücksichtigung der Wiederaufnahme des Verfahrens im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden.

39

Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Untersuchung, die durchzuführen ist, um die zum Schutz der Gemeinschaftsindustrie gegen Dumpingpraktiken erforderlichen Antidumpingzölle festsetzen zu können, auf der Grundlage möglichst aktueller Daten durchzuführen (vgl. insoweit das Urteil vom 03.10.2000, C-458/98 P, Rdnr. 92, das zur Vorgängerverordnung VO (EWG) Nr. 2176/84 ergangen ist, die noch gar keine Bestimmung einer auf jeden Fall einzuhaltenden Frist enthielt, sondern nur, dass die Untersuchung "in der Regel innerhalb eines Jahres nach der Verfahrenseinleitung abgeschlossen sein soll", Art. 7 Abs. 9 Buchst. a), Satz 2).

40

b) Die Zweifel des ersuchenden Senats an der Rechtmäßigkeit der VO Nr. 158/13 gründen sich auch darauf, dass die als maßgeblich in Betracht kommenden Grundverordnungen - VO Nr. 384/96 bzw. ihre Nachfolge-Verordnung, die VO Nr. 1225/2009 - keine Regeln enthalten, nach denen ein Untersuchungsverfahren wieder aufgenommen wird, nachdem die Antidumpingzoll-Verordnung, die aufgrund des seinerzeitigen Untersuchungsverfahrens erlassen wurde, von einem europäischen Gericht für ungültig erklärt worden ist.

41

Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen solcher Regelungen die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Erlass einer neuen Antidumpingzoll-Verordnung nicht in jedem Fall ausschließt, wie sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu einem entsprechenden Fall ergibt (Urteil vom 03.10.2000, C-458/98 P). In jenem Entscheidungsfall beruhte die Nichtigerklärung der ursprünglichen Antidumpingzoll-Verordnung in einem ersten Gerichtsverfahren darauf, dass die Schädigung des Gemeinschaftserzeugers nicht korrekt festgestellt worden war. Daraufhin hatte die Kommission das ursprüngliche Verfahren wieder aufgenommen, für einen aktualisierten Referenzzeitraum eine neue Untersuchung (nur) zur Frage der Schädigung durchgeführt und auf dieser Grundlage eine neue Antidumpingzoll-Verordnung erlassen. In einem dann anschließenden zweiten Gerichtsverfahren bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union diese Verfahrensweise. Er stellte fest, dass die Maßnahmen zur Vorbereitung der Untersuchung, die zum Erlass der ursprünglichen, dann für ungültig erklärten Antidumpingzoll-Verordnung geführt hatten, insbesondere die Eröffnung des Verfahrens, von der Feststellung der Rechtswidrigkeit im ersten Gerichtsverfahren nicht berührt worden waren. Daher hatte die Kommission das Untersuchungsverfahren wiedereröffnen und sich dabei auf diese Verfahrenshandlungen stützen können und sodann eine neue Untersuchung der Schädigung für einen anderen Referenzzeitraum durchführen dürfen. Im Ergebnis entschied der Gerichtshof, die Kommission habe die für die dort streitgegenständliche Antidumpingzoll-Verordnung problematische Feststellung der Schädigung im Rahmen des, wie es im Urteil des Gerichtshofs heißt, "nach wie vor laufenden Antidumpingverfahrens" auf der Grundlage eines anderen Referenzzeitraums treffen können, ohne gegen die Nichtigkeitsentscheidung zu verstoßen, weil, wie es in den Urteilsgründen weiter heißt, das ursprüngliche Verfahren nicht für nichtig erklärt worden sei und die Dumpingpraktiken fortbestanden hätten (Rz. 85, 96 des Urteils).

42

Der ersuchende Senat hat Zweifel, ob sich die jener Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen auf den vorliegenden Fall übertragen lassen. Zum einen, weil bis zur Wiederaufnahme des im vorliegenden Fall streitgegenständlichen Verfahrens noch überhaupt nicht wirksam festgestellt worden war, dass überhaupt Dumpingpraktiken bestanden hatten, die hätten fortbestehen können. Denn die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10) bemängelte Ermittlung des Normalwerts betrifft eine der Grundlagen, ohne die eine Feststellung von Dumpingpraktiken überhaupt nicht möglich ist (vgl. EuG, Urteil vom 15.10.2009, T-459/07). Zum anderen, weil bei Wiederaufnahme des Verfahrens für die Dosenmandarinen - anders als im Fall, der dem Urteil des Gerichtshofs vom 03.10.2000 (C-458/98 P) zugrunde lag - als Gegenstand weiterer Ermittlungen kein aktualisierter Zeitraum gewählt wurde, obwohl dies nach den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 03.10.2000 geboten gewesen sein dürfte (vgl. Rz. 92 des Urteils).

43

c) Selbst wenn es grundsätzlich gleichwohl möglich sein sollte, auf der Grundlage eines weit zurückliegenden, nicht aktualisierten Untersuchungszeitraums eine ("nachgebesserte") Antidumpingzoll-Verordnung zu erlassen, hat der ersuchende Senat für Fälle wie den vorliegenden deswegen erhebliche Bedenken, weil der Mangel, aufgrund dessen die ursprüngliche Antidumpingzoll-Verordnung VO Nr. 1355/2008 vom Gerichtshof mit seinem Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10) für ungültig erklärt worden ist, und der darin liegt, dass bei der Ermittlung des Normalwerts die gebotene Sorgfalt nicht aufgeboten worden war, noch immer nicht sicher ausgeräumt ist.

44

Aus den Erwägungen der nach Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen streitgegenständlichen Verordnung VO Nr. 158/2013 (Rz. 54 und 58) ergibt sich, dass ein Normalwert trotz erheblicher Anstrengungen der Kommissionsdienststellen angesichts der mangelnden Kooperationsbereitschaft potentieller Hersteller in Drittländern nicht ermittelt werden konnte. Aus diesem Grund sind (lediglich) die Feststellungen in den Erwägungsgründen der vorläufigen Verordnung bestätigt worden.

45

Nach Ansicht des ersuchenden Senats ist es nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10) festgestellte Pflichtenverstoß, der darin bestand, dass die Normalwertuntersuchung seinerzeit nicht sorgfältig durchgeführt worden war, eine Ursache auch für die Ergebnislosigkeit der sodann wiederaufgenommenen Ermittlungen gewesen ist. Denn er hält es für naheliegend, dass die Bereitschaft von Drittlandsunternehmen zur Beantwortung von Ermittlungsanfragen mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum relevanten Ermittlungszeitraum - hier erfolgte die Befragung mehrere Jahre später - grundsätzlich abnimmt. Vor diesem Hintergrund hält es der ersuchende Senat für bedenklich, wenn der Umstand, dass die nach der Wiederaufnahme vorgenommenen weiteren Untersuchungen ohne konkretes Ergebnis geblieben sind, eine beizeiten sorgfältig durchgeführte Normalwertermittlung ersetzen und für die Feststellung einer Dumpingsituation ausreichen soll.

46

d) Diese Bedenken werden auch nicht dadurch gegenstandslos, dass nach dem weiteren Inhalt der Erwägungen zum Erlass der VO Nr. 158/2013 die Feststellung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 22.3.2012, dass die Unionsorgane im ursprünglichen Antidumpingverfahren die aus den Daten der Eurostat-Statistiken hervorgehenden Informationen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft haben, auf einer ungeeigneten Grundlage getroffen sein soll.

47

Nach dem Inhalt der Erwägungen der VO Nr. 158/2013 in Rz. 30 ff. soll die Feststellung des Gerichtshofs auf der Grundlage von Statistiken erfolgt sein, die auch andere als die von der Antidumpingzoll-Verordnung erfassten Waren enthalten haben. Die von dem Gerichtshof zugrunde gelegten Statistiken waren ihm von der Kommission übermittelt worden (vgl. Rz. 16, 33 des Urteils vom 22.03.2012,C-388/10). Sollte es sich bei den von der Kommission übermittelten Statistiken tatsächlich nicht um die maßgeblichen Statistiken gehandelt haben und sollten die Abweichung der übermittelten gegenüber den eigentlich maßgeblichen Statistiken für die Feststellung, ob es Antidumpingpraktiken gegeben hat, von Bedeutung gewesen sein, dann wäre nach Ansicht des ersuchenden Senats erst recht zu erwägen, ob jedenfalls dieser Umstand ein neues Antidumpingverfahren erfordert hätte und einer Wiederaufnahme des alten Verfahrens (zusätzlich) entgegensteht.

48

4. Wegen der vorstehend erläuterten Zweifel hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV die im Tenor dieses Beschlusses gestellte Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.