Bundesverfassungsgericht Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren, 20. Aug. 2012 - 1 BvR 2780/10

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20120820.1bvr278010
bei uns veröffentlicht am20.08.2012

Tenor

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Zurückweisung eines Verfahrenskostenhilfeantrages für ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren.

2

1. Der Beschwerdeführer geht davon aus, der biologische Vater einer Tochter zu sein. Nachdem die Kindesmutter die Beziehung beendet und seinen Wunsch nach Umgang mit dem Kind zurückgewiesen hatte, beantragte er die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren. Der aus Nigeria geflohene Beschwerdeführer verwendete gegenüber den deutschen Behörden und dem Amtsgericht zunächst den Namen "S. B.". Vor der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag korrigierte der Beschwerdeführer seine Identitätsangaben und teilte mit, er heiße tatsächlich O. S. K. Das Amtsgericht Osnabrück lehnte den Verfahrenskostenhilfeantrag ab, weil die Identität des Beschwerdeführers nicht bekannt sei. Das Oberlandesgericht Oldenburg bestätigte diese Entscheidung.

3

2. Gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde, mit der er eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie des Willkürverbotes und des Art. 1 GG rügte. Er beantragte zugleich, ihm Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu bewilligen.

4

3. Nachdem die Kindesmutter mit dem Kind umgezogen war, beantragte der Beschwerdeführer beim nunmehr zuständigen Amtsgericht Bersenbrück erneut die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren. Er blieb vor dem Amtsgericht erfolglos. Auf seine Beschwerde hin, bei der er auch die Verfassungsbeschwerdeschrift vorlegte, bewilligte derselbe Senat des Oberlandesgerichts Oldenburg nunmehr Verfahrenskostenhilfe. Die Voraussetzungen des § 1600d BGB für eine Vaterschaftsfeststellung seien dargelegt. Die verbleibenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben zur Person rechtfertigten es nicht, dem Beschwerdeführer den Zugang zum Gericht zu verweigern.

5

4. Im Hinblick auf diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt und beantragt, dem Land Niedersachsen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, den Gegenstandswert festzusetzen sowie über seinen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden.

6

5. Das Land Niedersachsen hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

II.

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1. Dem Beschwerdeführer sind seine notwendigen Auslagen im vollen Umfang zu erstatten.

8

Über die Erstattung der Auslagen ist, nachdem der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>).

9

Nach diesen Grundsätzen erscheint es im vorliegenden Fall gerechtfertigt, die Auslagenerstattung anzuordnen. Das Oberlandesgericht hat dem Beschwerdeführer in einem neuen, gleichgerichteten Verfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und es ihm so ermöglicht, das auch hier angestrebte Vaterschaftsfeststellungsverfahren wie begehrt mit anwaltlicher Unterstützung zu betreiben. Es ist nicht ersichtlich, dass im Zeitraum zwischen der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Ablehnung des ersten Verfahrenskostenhilfeantrags und der jetzt erfolgten Bewilligung im Hinblick auf den Namen des Beschwerdeführers größere Klarheit erreicht worden wäre oder sich die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände sonst wesentlich verändert hätten. Vielmehr ergibt sich aus den jeweiligen Beschlussgründen, dass der unverändert zuständige Senat des Oberlandesgerichts Oldenburg seine Ansicht dazu geändert hat, inwiefern sich die Korrektur der Identitätsangaben auf das Vaterschaftsfeststellungsverfahren auswirkt. Hieran kann das Oberlandesgericht ohne weitere Prüfung festgehalten und die Auslagenerstattung dem Beschwerdeführer in gleicher Weise zugebilligt werden, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre.

10

2. Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

11

3. Mit der Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfGE 71, 122 <136 f.>).

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 34a


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1600d Gerichtliche Feststellung der Vaterschaft


(1) Besteht keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593, so ist die Vaterschaft gerichtlich festzustellen. (2) Im Verfahren auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft wird als Vater vermutet, wer der Mutter während der Empfängniszeit bei

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Besteht keine Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593, so ist die Vaterschaft gerichtlich festzustellen.

(2) Im Verfahren auf gerichtliche Feststellung der Vaterschaft wird als Vater vermutet, wer der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt hat. Die Vermutung gilt nicht, wenn schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen.

(3) Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem 300. bis zu dem 181. Tage vor der Geburt des Kindes, mit Einschluss sowohl des 300. als auch des 181. Tages. Steht fest, dass das Kind außerhalb des Zeitraums des Satzes 1 empfangen worden ist, so gilt dieser abweichende Zeitraum als Empfängniszeit.

(4) Ist das Kind durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nummer 9 des Transplantationsgesetzes unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt worden, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 des Samenspenderregistergesetzes zur Verfügung gestellt wurde, so kann der Samenspender nicht als Vater dieses Kindes festgestellt werden.

(5) Die Rechtswirkungen der Vaterschaft können, soweit sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt, erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.