Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Apr. 2014 - XII ZB 721/12

bei uns veröffentlicht am09.04.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 1. Familiensenats des Oberlandgerichts Rostock vom 4. Dezember 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten im Scheidungsverbund noch über nachehelichen Aufstockungsunterhalt. Ihre im November 1976 geschlossene Ehe ist auf den am 3. Juli 2009 zugestellten Antrag seit Juli 2011 rechtskräftig geschieden. Beide Ehegatten erzielen monatliche Einkünfte aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit, der Ehemann in Höhe von 2.870 € netto, die Ehefrau in Höhe von 1.967 € netto. Ehebedingte Nachteile in ihrem beruflichen Fortkommen haben beide Ehegatten nicht erlitten.

2

Das frühere gemeinsame Familienheim, welches die Ehegatten übereinstimmend mit 100.000 € bewerten, bewohnt die Ehefrau inzwischen allein. Den hälftigen Miteigentumsanteil des Ehemanns hieran erwarb sie im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung gegen Zahlung von 50.000 €. Der Ehemann verwendete das Geld, um für sich und seine neue Partnerin ein Wohnhaus zu errichten. Beide Ehegatten haben zur teilweisen Finanzierung der Immobilien jeweils ein Darlehen aufgenommen.

3

Das Familiengericht hat den Ehemann nach Bereinigung beider Einkommen um berufsbedingte Aufwendungen, Altersvorsorgeaufwendungen und Versicherungsbeiträge verpflichtet, an die Ehefrau einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 300 € zu zahlen, befristet auf fünf Jahre ab Rechtskraft der Scheidung. Das Oberlandesgericht hat die gegen die Unterhaltsverpflichtung gerichtete Beschwerde des Ehemanns und die gegen die Befristung gerichtete Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Ehemann, der mit der nur für ihn zugelassenen Rechtsbeschwerde die Abweisung des Unterhaltsantrags weiter verfolgt.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

5

1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang - im Wesentlichen wie folgt begründet: Bei der Einkommensberechnung der Ehefrau sei ein Wohnvorteil durch ihr mietfreies Wohnen in der ehemaligen Ehewohnung nicht zu berücksichtigen. Denn um sich den Wohnvorteil zu erhalten, habe sie dem Ehemann bereits 50.000 € für seinen früheren Miteigentumsanteil gezahlt. Nachdem der Ehemann die Summe zum Erwerb eines neuen Wohnhauses eingesetzt habe, profitierten beide Ehegatten in gleichem Ausmaß von dem Wert des früheren gemeinsamen Familienheims, so dass sich weder der eine noch der andere Ehegatte einen Wohnvorteil anrechnen lassen müsse.

6

Die berufsbedingten Aufwendungen der Ehefrau für die Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seien vom Familiengericht zwar wegen des noch zu berücksichtigenden Steuervorteils zu hoch angesetzt worden, jedoch sei die Unterhaltsberechnung in diesem Punkt nur durch die Ehefrau angegriffen worden und könne aus Gründen des Verschlechterungsverbots nicht zu ihren Lasten abgeändert werden.

7

Unter Berücksichtigung der langen Ehedauer, der fehlenden ehebedingten Nachteile und des Maßes an geschuldeter nachehelicher Solidarität sei eine Befristung des Unterhalts auf fünf Jahre ab Rechtskraft der Scheidung angemessen.

8

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, wonach gemäß § 1573 Abs. 2 BGB ein geschiedener Ehegatte, wenn seine Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht ausreichen, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen Einkünften und dem eheangemessenen Unterhalt verlangen kann.

10

Jedoch steht die Berechnung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten Einkünfte nicht mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang. Das Oberlandesgericht hat den Wohnvorteil zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.

11

a) Zwar entfallen die Vorteile der mietfreien Nutzung der Ehewohnung, wenn diese im Zusammenhang mit der Scheidung veräußert wird. An ihre Stelle treten aber die Vorteile, die die Ehegatten in Form von Zinseinkünften aus dem Erlös ihrer Miteigentumsanteile ziehen oder ziehen könnten. Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn die Ehewohnung nicht an Dritte veräußert wird, sondern ein Ehegatte seinen Miteigentumsanteil auf den anderen überträgt. Auch in einem solchen Fall tritt für den veräußernden Ehegatten der Zins aus dem Erlös als Surrogat an die Stelle der früheren Nutzungsvorteile seines Miteigentumsanteils. Für den übernehmenden Ehegatten verbleibt es hingegen grundsätzlich bei einem Wohnvorteil, und zwar nunmehr in Höhe des Wertes der gesamten Wohnung, gemindert um die unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Belastungen, einschließlich der Belastungen durch den Erwerb des Miteigentumsanteils des anderen Ehegatten (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 22/06 - FamRZ 2008, 963 Rn. 13 mwN).

12

Setzt der gewichene Ehegatte den Erlös aus seinem früheren Miteigentumsanteil für den Erwerb einer neuen Wohnung ein, tritt der Wohnvorteil der neuen Wohnung an die Stelle eines Zinses aus dem Erlös (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2008 - XII ZR 62/07 - FamRZ 2009, 23 Rn. 17).

13

b) Das unterhaltsrelevante Einkommen der Ehefrau ist somit erhöht um den vollen Nutzungswert des früheren Familienheims abzüglich ihrer Zinsaufwendungen aus dem aufgenommenen Darlehen sowie der Tilgungsaufwendungen, soweit diese als zusätzliche Altersvorsorge verstanden werden können (vgl. Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 22/06 - FamRZ 2008, 963 Rn. 22 ff. mwN).

14

Das unterhaltsrelevante Einkommen des Ehemanns ist erhöht um den ihm zuzurechnenden Wohnvorteil des neu errichteten Wohnhauses abzüglich der nach der Senatsrechtsprechung zu berücksichtigenden Kosten.

15

3. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil noch keine Feststellungen zu den beiderseits zu berücksichtigenden Wohnwerten getroffen sind.

16

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Beschwerde des Ehemanns, mit der er dem Unterhaltsanspruch insgesamt entgegentritt, auch eine Korrektur der vom Einkommen der Ehefrau abzusetzenden Fahrtkosten im Hinblick auf pauschaliert anzurechnende Steuervorteile gemäß den vom Beschwerdegericht aufgestellten unterhaltsrechtlichen Leitlinien ermöglicht.

Dose                            Weber-Monecke                       Schilling

          Nedden-Boeger                                Guhling

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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1573 Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit und Aufstockungsunterhalt


(1) Soweit ein geschiedener Ehegatte keinen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, kann er gleichwohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag. (2) Reichen die Ei

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1578 Maß des Unterhalts


(1) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf. (2) Zum Lebensbedarf gehören auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall der Krankheit und der Pfle

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Bundesgerichtshof Urteil, 01. Okt. 2008 - XII ZR 62/07

bei uns veröffentlicht am 01.10.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 62/07 Verkündet am: 1. Oktober 2008 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR

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(1) Soweit ein geschiedener Ehegatte keinen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, kann er gleichwohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag.

(2) Reichen die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt (§ 1578) nicht aus, kann er, soweit er nicht bereits einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1572 hat, den Unterschiedsbetrag zwischen den Einkünften und dem vollen Unterhalt verlangen.

(3) Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn Unterhalt nach den §§ 1570 bis 1572, 1575 zu gewähren war, die Voraussetzungen dieser Vorschriften aber entfallen sind.

(4) Der geschiedene Ehegatte kann auch dann Unterhalt verlangen, wenn die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit wegfallen, weil es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung nachhaltig zu sichern. War es ihm gelungen, den Unterhalt teilweise nachhaltig zu sichern, so kann er den Unterschiedsbetrag zwischen dem nachhaltig gesicherten und dem vollen Unterhalt verlangen.

(5) (weggefallen)

(1) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Unterhalt umfasst den gesamten Lebensbedarf.

(2) Zum Lebensbedarf gehören auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit sowie die Kosten einer Schul- oder Berufsausbildung, einer Fortbildung oder einer Umschulung nach den §§ 1574, 1575.

(3) Hat der geschiedene Ehegatte einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1570 bis 1573 oder § 1576, so gehören zum Lebensbedarf auch die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall des Alters sowie der verminderten Erwerbsfähigkeit.

17
Wurde die frühere Ehewohnung veräußert, treten an die Stelle des Nutzungsvorteils die Vorteile, die der frühere Eigentümer in Form von Zinseinkünften aus dem Erlös des Eigentums zieht oder ziehen könnte (Senatsurteil vom 1. Dezember 2004 - XII ZR 75/02 - FamRZ 2005, 1159, 1161). Hier hat der Beklagte die aus dem Verkauf seines früheren Einfamilienhauses erlangten 97.000 € allerdings in den Bau eines neuen Einfamilienhauses investiert und erzielt deswegen daraus keine Zinseinkünfte mehr. Zwar setzt sich der eheliche Wohnvorteil in solchen Fällen auch an dem daraus erwachsenen Wohnvorteil an dem neu erworbenen Eigentum fort. Weil die Zinsbelastung aus den zusätzlich aufgenommenen Krediten für das neue Einfamilienhaus aber den objektiven Wohnvorteil des neuen Hauses übersteigt, verbleibt dem Beklagten daraus gegenwärtig kein Gebrauchsvorteil.