Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2016 - X ZR 50/14

bei uns veröffentlicht am28.06.2016
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 31/11, 17.12.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 50/14 Verkündet am:
28. Juni 2016
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2016:280616UXZR50.14.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 17. Dezember 2013 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird zurückgewiesen. Der Beklagten werden - unter Aufhebung des angefochtenen Urteils im Kostenpunkt - die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Nichtigkeitsklage betrifft das am 26. August 1998 unter Inanspruchnahme einer Unionspriorität vom 4. September 1997 angemeldete und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte europäische Patent 1 011 653 (Streitpatent). Anspruch 1 des Streitpatents, auf den die Patentansprüche 2 bis 5 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, hat folgenden Wortlaut: "Use of at least one type of xanthophylles in the preparation of a medicament for the prophylactic and/or therapeutic improvement of the duration of mammalian muscle function and/or treatment of mammalian muscle disorders or diseases."
2
Die Klägerin hat ihre Klage zunächst gegen die B. AB als Beklagte gerichtet. Diese war bei Zustellung der Klage im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes als Inhaberin des Streitpatents eingetragen , aber nach Durchführung eines Insolvenzverfahrens wegen Vermögenslosigkeit bereits seit mehreren Jahren aufgelöst und erloschen. Die Klagezustellung erfolgte an die seinerzeit als Inlandsvertreter der B. AB im Register eingetragenen Patentanwälte. Die F. Ltd., die nach mehrfachen Übertragungen des Patents seit 2005 materiellberechtigte Patentinhaberin ist, ist dem Rechtsstreit zunächst auf Seiten der beklagten B. AB als Streithelferin beigetreten; am 9. Januar 2012 hat sie die Umschreibung des Streitpatents auf sich erwirkt. Mit der Streithelferin am 13. Dezember 2013 zugestelltem Schriftsatz hat die Klägerin erklärt, die Klage werde insoweit geändert, als sie sich nunmehr gegen die bisherige Streithelferin richte. Nach Erörterung eines etwaigen Parteiwechsels hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht erklärt, die Streithelferin werde nur hilfsweise für den Fall verklagt, dass die Klage gegen die ursprüngliche Beklagte unzulässig sein sollte.
3
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Zudem fehle es an einer ausführbaren Offenbarung. Die Streithelferin hat das Streitpatent im Hauptantrag in einer beschränkten Fassung sowie mit fünf Hilfsanträgen verteidigt.
4
Das Patentgericht hat keinen Beklagtenwechsel angenommen und das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Streithelferin, mit der diese in erster Linie begehrt, die Nichtigkeitsklage als unzulässig abzuweisen. Zudem verteidigt sie das Streitpatent zuletzt im Umfang eines gegenüber der erteilten Fassung beschränkten Hauptantrags und zweier Hilfsanträge, wobei sie darüber hinaus die Streichung näher bezeichneter Stellen in der Patent- schrift beantragt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen und hat mit der Berufungserwiderung erklärt, die Klage gegen "die Berufungsklägerin und bisherige Nebenintervenientin" zu richten.

Entscheidungsgründe:


5
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
6
I. Die Klage ist zulässig.
7
1. Das Patentgericht - dessen Entscheidung insoweit in GRUR 2014, 1029 veröffentlicht ist - hat angenommen, die Nichtigkeitsklage sei gegenüber der zum Klagezeitpunkt als Patentinhaberin im Register eingetragenen B. AB durch Zustellung an den im Register eingetragenen Inlandsvertreter der Beklagten wirksam erhoben worden. Die seinerzeit wegen Vermögenslosigkeit bereits aufgelöste und erloschene B. AB sei jedenfalls deshalb parteifähig gewesen, weil dieser aufgrund des Nichtigkeitsverfahrens ein Kostenerstattungsanspruch hätte entstehen können. Für die Klägerin habe zudem die Möglichkeit bestehen müssen, eine Nichtigerklärung des Streitpatents zu erreichen. Die Klage und die weiteren Schriftsätze hätten den im Register eingetragenen Inlandsvertretern wirksam zugestellt werden können. Deren Vollmacht sei nach § 117 Abs. 2 InsO i.V.m. § 115 Abs. 2 InsO als fortbestehend anzunehmen.
8
2. Ob das Patentgericht zu Recht angenommen hat, dass die Klage gegenüber der zum Klagezeitpunkt als Patentinhaberin im Register eingetragenen B. AB erhoben worden ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Dafür spricht allerdings, dass schon der Umstand, dass die Patentnichtigkeitsklage gegen den im Register eingetragenen (früheren) Patentin- haber zu richten ist (§ 81 Abs. 1 Satz 2 PatG), es nahelegt, eine erloschene Person insoweit weiterhin als partei- und prozessfähig zu behandeln. Jedenfalls ist aber die dem Nichtigkeitsverfahren zunächst als Streithelferin auf Seiten der B. AB beigetretene F. Ltd. noch während des Verfahrens vor dem Patentgericht aufgrund gewillkürten Beklagtenwechsels wirksam an die Stelle der B. AB als Beklagte getreten.
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a) Im Patentnichtigkeitsverfahren ist ein gewillkürter Beklagtenwechsel in erster Instanz aufgrund Erklärung des Klägers wie eine Klageänderung zu behandeln, deren Zulässigkeit sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts richtet (vgl. zum Klägerwechsel: BGH, Urteil vom 28. Juni 1994 - X ZR 44/93, GRUR 1996, 865, 866 - Parteiwechsel). Nach § 263 ZPO ist dafür die Einwilligung des neuen Beklagten oder eine Sachdienlichkeitserklärung des Gerichts erforderlich. Bei einem gewillkürten Parteiwechsel auf Beklagtenseite ist zudem Voraussetzung für das Ausscheiden des bisherigen Beklagten aus dem Rechtsstreit entsprechend § 269 Abs. 1 ZPO von Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache an dessen Zustimmung (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1980 - II ZR 96/80, NJW 1981, 989).
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b) Hiernach hat die im Schriftsatz der Klägerin vom 13. Dezember 2013 erklärte und am selben Tag zugestellte "Änderung der Klage", wonach sich diese nunmehr gegen die bisherige Streithelferin richte, einen entsprechenden Parteiwechsel auf Beklagtenseite bewirkt. Da die Erklärung der Klägerin zum Parteiwechsel in Reaktion auf das Prozessverhalten der bisherigen Streithelferin erfolgt ist, die unter Verweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Registerumschreibung die passive Prozessführungsbefugnis der ursprünglich beklagten Partei und danach die Zulässigkeit der Klage in Abrede gestellt und die passive Prozessführungsbefugnis als nunmehr eingetragene Patentinhaberin für sich in Anspruch genommen hat, beruht der Beklagtenwechsel auf einer vorweggenommenen konkludenten Einwilligung der bisherigen Streithelferin, in die Stellung als Beklagte einzurücken. Auf eine Sachdienlichkeitserklärung durch das Patentgericht kommt es danach nicht mehr an, so dass der Parteiwechsel mit Zustellung der Erklärung an die bisherige Streithelferin wirksam geworden ist. Schon mangels vorangegangener Verhandlung zur Hauptsache hat es einer Zustimmung der bisherigen Beklagten nicht bedurft, so dass dahinstehen kann, ob auch im Patentnichtigkeitsverfahren eine Zustimmung des ausscheidenden Beklagten erforderlich ist. Die nachfolgende Erklärung der Klägerin vom 17. Dezember 2013 mag als Widerruf der zunächst unbedingt abgegebenen Erklärung über den Parteiwechsel angesehen werden, ist jedoch nach bereits bewirktem Parteiwechsel ins Leere gegangen.
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c) Zweifel an der Zulässigkeit der gegen die jetzige Beklagte gerichteten Klage bestehen nicht, nachdem diese zuvor als Inhaberin des Streitpatents im Register eingetragen worden ist und damit die passive Prozessführungsbefugnis gemäß § 81 Abs. 1 S. 2 PatG erlangt hat (BGH, Urteil vom 16. Juli 1965 - Ia ZR 261/63, GRUR 1966, 107, 108 - Patentrolleneintrag; Urteil vom 5. Dezember 1995 - X ZR 26/92, GRUR 1996, 190, 195 - Polyferon).
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d) Der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren auf die Fälle der Legitimationsänderung nach Eintritt der Rechtshängigkeit entsprechend anzuwendende § 265 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1978 - X ZR 42/76, BGHZ 72, 236, 242 - Aufwärmvorrichtung; Urteil vom 4. Februar 1992 - X ZR 43/91, BGHZ 117, 144, 146 - Tauchcomputer ) steht einem vom Kläger ausgehenden Beklagtenwechsel nicht entgegen.
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II. Das Streitpatent bezieht sich auf die Verwendung von Xanthophyllen als einer Gruppe von Carotinoiden, insbesondere von Astaxanthin, zur Herstellung eines Medikaments.
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1. Die Patentbeschreibung verweist zum Hintergrund der Erfindung auf die belastungsbedingte Rhabdomyolyse als wohl häufigste Muskelstörung bei Pferden. Mit der Entstehung dieser Erkrankung werde u.a. ein Vitamin-Eund Selenmangel in Verbindung gebracht. In der Beschreibung wird von zwei Versuchen zur Wirkung des Xanthophylls Astaxanthin berichtet, welches durch Zucht der Alge Haematococcus sp. gewonnen werden könne. Zum einen (Sp. 3 Z. 21 - Sp. 4 Z. 6) sei experimentell untersucht worden, ob die Zugabe von Astaxanthin in Form von Algenmehl im Futter die physische Leistungsfähigkeit von Pferden steigere. Die auffallendste Wirkung sei bei Pferden festgestellt worden, die an belastungsbedingter Rhabdomyolyse litten. Diese Pferde seien unter Astaxanthinzusatz nach zwei bis drei Wochen symptomfrei gewesen und hätten normal trainiert werden und Rennen laufen können. Zum anderen (Sp. 4 Z. 11 - Sp. 5 Z. 9) habe man mit gesunden Freiwilligen die Auswirkung von Astaxanthin auf die physische Leistungsfähigkeit des Menschen überprüft. Allein der Kraftausdauer-Test - bei Ermittlung der größtmöglichen Anzahl von Kniebeugen mit 40 kg Gewicht in einer Smith-Maschine unter Standardbedingungen - habe einen deutlichen Unterschied zwischen der Astaxanthin- und der Placebogruppe gezeigt. Die positive Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit, welche von einzelnen Athleten dem Astaxanthin zugeschrieben worden sei, betreffe danach anscheinend die Kraftausdauer.
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2. Als technisches Problem betrifft das Streitpatent demnach die Bereitstellung eines Medikaments zur Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit der Muskeln von Menschen oder Säugetieren.
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3. Zu dessen Lösung schlägt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung des Streitpatents vor: (1) Verwendung von Xanthophyllen mindestens eines Typs (2) bei der Herstellung eines Medikaments (3) zur prophylaktischen und/oder therapeutischen Steigerung der Muskelfunktionsdauer von Säugetieren ("for the prophylactic and/or therapeutic improvement of the duration of mammalian muscle function") und/oder (4) zur Behandlung von Störungen oder Krankheiten der Muskeln von Säugetieren ("for the treatment of mammalian muscle disorders or diseases").
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4. Nach Ansicht des Patentgerichts ist unter der erfindungsgemäß angestrebten "Steigerung der Muskelfunktionsdauer" die Steigerung von Kraft und Ausdauer der Muskulatur unter körperlicher Belastung zu verstehen, wobei damit auch die Beseitigung manifester Muskelfunktionsstörungen und die equine Rhabdomyolyse gemeint seien. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Der Begriff der Muskelfunktionsdauer ("duration of […] muscle function") betrifft die im Streitpatent untersuchte physische Leistungsfähigkeit des Menschen oder anderer Säuger, die sich in der Kraftausdauerleistung der Skelettmuskeln bei körperlicher, namentlich trainingsbedingter Belastung niederschlägt. Dabei legt sich die erfindungsgemäße Lehre nicht darauf fest, ob die angestrebte Steigerung der Kraftausdauerleistung bei Säugermuskeln in gesundem oder nicht-gesundem Zustand erreicht werden soll. Entsprechend betreffen die beiden erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiele, die sich mit den Auswirkungen des Xanthophylls Astaxanthin befassen, einerseits die physische Leistungsfähigkeit von Pferden mit krankheitsbedingten Muskelproblemen (belastungsbedingte Rhabdomyolyse) (Abs. 18 ff.) und andererseits die Leistungsfähigkeit von gesunden Menschen hinsichtlich Kraft und Ausdauer (Abs. 22 ff.) und wird jeweils von signifikanten Steigerungen der Leistungsfähigkeit berichtet (Abs. 21 und 32 f.).
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5. Die Beklagte hat Patentanspruch 1 im Hauptantrag zuletzt in folgender Fassung verteidigt: (1) Verwendung von Astaxanthin (2) bei der Herstellung eines Medikaments (3) zur prophylaktischen und/oder therapeutischen Steigerung der Muskelfunktionsdauer beim gesunden Menschen.
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Dabei hat sie zudem die - im Protokoll der mündlichen Verhandlung im Einzelnen näher bezeichnete - Streichung aller Stellen aus der Beschreibung des Streitpatent beantragt, die sich auf die Verwendung von Xanthophyllen bei der Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Störungen oder Krankheiten der Muskeln von Säugetieren und dabei insbesondere die Behandlung von equiner belastungsbedingter Rhabdomyolyse beziehen.
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Gegenüber der erteilten Fassung unterscheidet sich die zuletzt von der Beklagten verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 mithin vor allem dadurch, dass diese nicht mehr auf die Verwendung von Xanthophyllen mindestens eines Typs (einschließlich Astaxanthin) bei der Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von Störungen oder Krankheiten der Muskeln von Säugern gerichtet ist. Weiterhin von der anspruchsgemäßen Lehre erfasst ist hingegen die Verwendung von Astaxanthin bei der Herstellung eines Medikaments zur Steigerung der Kraftausdauerleistung beim menschlichen Muskel in gesundem Zustand. Dabei wird, wie die weitere Auslegung des Patentanspruchs 1 unter Berücksichtigung auch des verbliebenen Teils der Beschreibung ergibt, mit der Steigerung der Kraftausdauerleistung in prophylaktischer Hinsicht die Vermeidung eines krankhaften Zustands des menschlichen Muskels und mit der Steigerung der Kraftausdauerleistung in therapeutischer Hinsicht die Verlängerung der Funktionsdauer desselben in gesundem Zustand angestrebt.
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Ob der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der von der Beklagten zuletzt verteidigten Fassung zulässig ist, bedarf danach keiner abschließenden Entscheidung, weil sich dieser bei Zugrundelegung des vorstehend erläuterten Verständnisses als jedenfalls nicht patentfähig erweist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen (zu IV, Rn. 28 ff.) ergibt.
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III. Das Patentgericht hat seine Entscheidung in der Sache im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die Verwendung von Xanthophyllen zur Steigerung der Muskelfunktionsdauer von Säugetieren sei durch den Stand der Technik nahegelegtgewesen. Vor der Aufgabe stehend, die Muskelfunktionsdauer von Säugetieren mit belastungsbedingten Muskelstörungen oder Erkrankungen medikamentös prophylaktisch und/oder therapeutisch zu steigern, werde der Fachmann sowohl den wissenschaftlichen Übersichtsartikel K9 (Dekkers et al., Sports Med. 1996, S. 213-238: "The Role of Antioxidant Vitamins and Enzymes in the Prevention of Exercise-Induced Muscle Damage") als auch die dort referierte Studie K22 (Novelli et al., Free Radical Biology & Medicine 1990, S. 9-13: "Spin-Trappers and Vitamin E Prolong Endurance to Muscle Fatigue in Mice") berücksichtigen. Die K9 begründe die Motivation der Fachwelt zur Untersuchung der Wirkung von Antioxidantien mit den zunehmenden Hinweisen auf eine Bedeutung freier (Sauerstoff-)Radikale beim Auftreten von Zellschäden und Entzündungen der Muskulatur infolge anstrengender körperlicher Bewegung. In der Fachliteratur werde angenommen, dass Antioxidantien - in ihrer Wirkung als Radikalfänger oder als Reduktionsmittel - zu einer Verminderung von Peroxiden führten, die während einer körperlichen Belastung entstünden und ursächlich für eine (kettenreaktive ) Lipidperoxidation mit nachfolgender Zellschädigung seien. Die K9 komme zu dem Schluss, dass Antioxidantien - namentlich Vitamin E - die Muskulatur vor Schäden schützten, die durch körperliche Beanspruchung verursacht werden könnten. Deshalb empfehle sie sportlich aktiven Menschen zur Vorbeugung von trainingsbedingten Zellmuskelschäden die Einnahme von antioxidativ wirkenden Vitaminen. Die Studie K22 vermittle dem Fachmann anhand eines Versuchs an Mäusen ebenso den Hinweis, dass die Verabreichung von Vitamin E als Antioxidans zu einer Steigerung der Ausdauerleistung beitrage.
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Über die in K9 und K22 explizit besprochenen antioxidativen Vitamine E (α-Tocopherol) und C (Ascorbinsäure) sei dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt - wie aus der 1990 veröffentlichten japanischen Offenlegungsschrift Sho 63-198947 (K8) zu ersehen - das Xanthophyll Astaxanthin als weitere Substanz zur Vermeidung oxidationsbedingter Zellschäden bekannt gewesen. Da Astaxanthin in weit geringeren Dosierungen verabreicht werden könne, werde deren Verwendung in der K8 als Alternative zu Tocopherol bzw. Kombinationen von Tocopherol und Ascorbinsäure beschrieben. Um zu der streitpatentgemäßen Lösung zu gelangen, habe der Fachmann lediglich die Anregung aufgreifen müssen, das erheblich wirksamere Astaxanthin anstelle von Tocopherol in Betracht zu ziehen. Da für den Fachmann - einen in ein Team eingebundenen Sportmediziner - Übereinstimmungen in der physiologischen Wirkung der Substanzen maßgebend gewesen seien, hätte er Astaxanthin auch nicht wegen Unterschieden in der chemischen Struktur im Vergleich mit Tocopherol außer Betracht gelassen.
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Die Beschränkung der Anwendung "beim gesunden Menschen" gemäß Hilfsantrag IV sei nicht geeignet, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen. Die in der K9 beschriebenen Studien zielten darauf, dem durch intensives Training verursachten Verlust der Muskelfunktion entgegenzuwirken und seien im Ergebnis schon auf den gesunden Menschen als intensiv trainierenden Sportler gerichtet.
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Soweit in weiteren Hilfsanträgen darauf abgestellt werde, dass "das Astaxanthin in mit Fettsäure veresterter Form vorliegt, wobei es sich bei dem mit Fettsäuren veresterten Astaxanthin um Algenmehl aus gezüchteten Haematococcus sp. handelt", bleibe dieser Verteidigung des Streitpatents ebenfalls der Erfolg versagt. Bereits vor dem Prioritätstag - beschrieben in der 1991 ver- öffentlichten japanischen Offenlegungsschrift Hei 1-218593 (K14) - sei das als Antioxidans bekannte Astaxanthin in Form von natürlich hergestelltem Algenmehl aus gezüchteten Haematococcus sp. verwendet worden, welches dann genuin mit Fettsäuren verestert vorliege.
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IV. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
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1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner zuletzt verteidigten Fassung beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.
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a) Das Patentgericht hat als zuständigen Fachmann einen Sportmediziner angesehen, der jedenfalls mit einem Pharmazeuten, der sich auf dem Gebiet der pharmazeutischen Biologie spezialisiert und mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der Erforschung biogener Arzneimittel hat, in einem Team zusammenarbeitet. Ein Rechtsfehler bei dieser Festlegung wird von den Parteien nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
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b) Befasst sich ein solcher Fachmann mit der Bereitstellung eines Medikaments zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Muskeln des Menschen , wird er sich einen Überblick über in der Fachwelt bekannte Ansätze verschaffen und dabei - wie das Patentgericht zu Recht ausführt - die K9 und K22 in den Blick nehmen.
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Die Entgegenhaltungen beschreiben übereinstimmend die Beteiligung freier Radikale bei körperlicher Anstrengung als Auslöser peroxidativer Skelettmuskelschädigungen und insoweit einen möglichen Kausalmechanismus hinsichtlich der Erschöpfung der Muskelfunktion (vgl. K9, S. 213 "Summary" - 1. Absatz, S. 215 - 1. Absatz in linker Spalte, S. 218 "2.1.1" - 1. Absatz, vgl. K22 S. 9 "Abstract" 1. Satz, S. 11 "Discussion" - 1. Satz, S. 12 letzter Absatz).
Zugleich belegen sie, dass dem Antioxidans Vitamin E als physiologischem Radikalfänger ein Schutz vor Lipidperoxidation und einer damit zusammenhängenden bewegungsinduzierten Muskelschädigung zuerkannt wird (vgl. K9, S. 213 "Summary" - 1. Absatz, S. 214 - noch zur "Summary" gehörender Absatz , S. 229 "2.2.3" - 1. Absatz, S. 231 - 2. Absatz in linker Spalte, S. 231 - 1. Absatz in rechter Spalte, vgl. K22, S. 10 - 3. Absatz in linker Spalte). Humanstudien wiesen darauf hin, dass eine Zuführung von antioxidativen Vitaminen Personen empfohlen werden könne, die regelmäßig schwere körperliche Bewegung absolvierten. Trainierte Personen hätten im Vergleich zu untrainierten Personen einen Vorteil, da Training zu einer erhöhten Aktivität mehrerer antioxidativer Enzyme führe und den allgemeinen antioxidativen Status verbessere (K9, S. 14 "Summary", letzter Absatz). Die K22 - die insoweit von der K9 zusammengefasst und gewürdigt wird - kommt anhand von Versuchen zur Schwimmausdauer bei Mäusen zu dem Ergebnis, dass das Einfangen und Deaktivieren freier Radikale (zwecks Begrenzung ihrer schädlichen Wirkung) mittels Vitamin E die Ausdauer bei Muskelanstrengung stark erhöht (vgl. K22, S. 11 f.). Ebenso empfiehlt die K9 in ihrer Bewertung der Erkenntnisse der Fachwelt aus verschiedenen Veröffentlichungen und Studien trotz weiterhin strittiger Punkte eine Supplementierung mit antioxidativen Vitaminen wie Vitamin E für Personen, die regelmäßig schwere körperliche Bewegung absolvieren , zur Prävention von durch körperliche Bewegung verursachten Muskelschäden (vgl. K9, S. 237 - 4. Conclusion).
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Mit dem Patentgericht ist demnach davon auszugehen, dass aus der K9 und der K22 die Verwendung von Vitamin E zur Herstellung eines Medikaments zur prophylaktischen und/oder therapeutischen Steigerung der Muskelfunktionsdauer des Menschen bekannt war und sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents davon allein durch die Verwendung von Xanthophyllen unterscheidet. Der demgegenüber von der Beklagten vorgebrachte Einwand, in K9 und K22 sei allein die Behandlung von Muskelschädigungen mit Krankheitswert offenbart, greift nicht durch. Wie erläutert, erfasst die Lehre aus Anspruch 1 des Streitpatents in der zuletzt verteidigten Fassung auch die Steigerung der Funktionsdauer des menschlichen Muskels in prophylaktischer Hinsicht zur Vermeidung eines krankhaften Zustands desselben. Abgesehen hiervon ist auch die Steigerung der Muskelfunktionsdauer des gesunden menschlichen Muskels durch Verabreichung von Vitamin E im Stand der Technik durch die K9 und K22 als bekannt beschrieben.
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Ohne Erfolg bleiben Einwände der Berufung gegen die Heranziehung der K22 und der darin referierten Verlängerung der Muskelausdauerleistung bei Mäusen nach α-Tocopherol-Injektionen für die Überlegungen des Fachmanns. Die Annahme, dass dieser Anlass hatte, die K22 bei seinen Überlegungen zu berücksichtigen, erweist sich unabhängig von den Zweifeln der Beklagten an der vom Patentgericht angenommenen Einbeziehung in die Offenbarung der K9 als rechtlich zutreffend, weil die K22 eine eigenständige Veröffentlichung nach Art. 54 Abs. 2 EPÜ bildet.
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Die Behauptung der Beklagten, die Studie K22 weise gravierende konzeptionelle Fehler bei der Anlage und Auswertung der im Hinblick auf die Verlängerung der Muskelausdauerleistung bei Mäusen nach α-TocopherolInjektionen durchgeführten Versuche auf, führt zu keiner anderen Bewertung. Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, ist nicht nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann kraft seines Fachwissens aus ihr ableitet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - X ZR 134/11, GRUR 2013, 363 - Polymerzusammensetzung). Maßgeblich ist, ob der Fachmann aus dem Stand der Technik eine Anregung erhalten hat, dort beschriebene Maßnahmen aufzugreifen und sie auf einen bekannten Stoff anzuwenden. Dabei kann die Überlegung Bedeutung gewinnen, ob sich aus die- sen Maßnahmen eine angemessene Erfolgserwartung für die Lösung des sich stellenden technischen Problems ergab (BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - X ZR 98/09, GRUR 2012, 803 - Calcipotriol-Monohydrat).
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Nach diesen Grundsätzen genügt vorliegend die Feststellung, dass der Fachmann die Studie der K22 als in der Sekundärliteratur K9 positiv als Teil einer Forschungs- und Entwicklungslinie gewürdigt erkennen konnte und bereits deshalb Anlass hatte, die Annahmen und Ergebnisse der K22 als Arbeitshypothese seinen - letztlich durch eigene Routineversuche zu überprüfenden - Überlegungen bei der Lösung des technischen Problems zugrunde zu legen. Die Rüge der Berufung, der Fachmann hätte die Entgegenhaltung verworfen, weil die durchgeführten Versuche wissenschaftlichen Standards nicht genügten, greift nicht durch. Zutreffend ist zwar, dass nach den Angaben der K22 einer Gruppe von Mäusen bei den Schwimmtests bis zur körperlichen Erschöpfung täglich drei intramuskuläre Injektionen von α-Tocopherol (100mg/kg) in Olivenöl verabreicht wurde, während die Mäuse einer anderen Gruppe bei gleicher körperlicher Anstrengung lediglich intraperitoneale Injektionen mit Kochsalzlösung (0,2 ml) erhielten. Die K22 gab dem Fachmann aber keinen Grund zu der Annahme , dass nicht die Gabe von α-Tocopherol - wie als Ergebnis der Schwimmtests festgestellt (K22, Abstract, S. 9; Figur 1; vgl. auch Tabelle 2) - zur starken Erhöhung der Ausdauerleistung der Mäusegruppe im Vergleich mit der anderen Mäusegruppe geführt habe, sondern diese Leistungssteigerung stattdessen auf das mit dem α-Tocopherol verabreichte Olivenöl als zusätzliche Energiequelle zurückzuführen sei.
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Entgegen dem Vorbringen der Beklagten geht aus der K22 bereits nicht hervor, dass die Tiere der α-Tocopherol-Gruppe während der Tests 0,6 ml Olivenöl pro Tag erhalten haben. Vielmehr enthält die K22 keine Angaben zum Injektionsvolumen bei dieser Mäusegruppe. Allein der Umstand, dass der Vergleichsgruppe jeweils 0,2 ml Kochsalzlösung intraperitoneal injiziert wurde, reicht nicht aus, um auf ein entsprechendes Injektionsvolumen bei der intramuskulären Gabe von Vitamin E in Olivenöl zu schließen. Kann für die nach der K22 durchgeführten Schwimmtests nicht - entsprechend den weiteren Ausführungen der Beklagten - angenommen werden, dass den Mäusen der α-Tocopherol-Gruppe täglich0,6 ml Olivenöl injiziert wurden, gehen auch die weiteren Berechnungen der Beklagten, wonach 0,6 ml Olivenöl einen Brennwert von 5,3 kcal haben, was bei einer durchschnittlichen täglichen Kalorienaufnahme von ad libitum 13,3 +/- 0,3 kcal 40 % des täglichen Energiebedarf einer Maus bedeute, ins Leere.
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Im Übrigen ist dem Vorbringen der Beklagten auch nicht zu entnehmen, ob und in welchem Umfang der Fachmann aus einer intramuskulären Injektion von in Olivenöl aufgelöstem α-Tocopherol auf eine relevante Energieaufnahme bei den Mäusen der Schwimmtests schließen musste. Das Patentgericht hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass die Verabreichung in die Muskulatur nicht mit einer Gabe über den Magen-Darmtrakt oder einer intravenösen Injektion vergleichbar sei. Die Beklagte hält dem unter Verweis auf die Anlage N16 ("Injektionsarten", Internet-Ausdruck von www.medizininfo.de) zwar entgegen, dass ein Medikament bei intramuskulärer Injektion schneller aufgenommen werde, als bei einer subkutanen Injektion und dass entsprechend auch intramuskulär injiziertes Olivenöl schnell in die Blutbahn übertrete. Damit ist aber noch nicht dargelegt, dass der Fachmann zu der Schlussfolgerung gelangen musste, die in der K22 wiedergegebenen Tests genügten nicht wissenschaftlichen Standards und das Ergebnis der K22, die Gabe von Vitamin E erhöhe die Ausdauerleistung bei starker körperlicher Betätigung, sei als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen und Versuche zur Lösung des Problems , ein Medikament zur Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit der Muskeln von Menschen zu finden, zu verwerfen. Selbst wenn der Fachmann aus den von der Berufung angeführten Gründen Zweifel an der Validität der Versuchsergebnisse gehabt hätte, waren diese kein zureichender Grund, die den Versuchen zugrundeliegende Hypothese zu verwerfen.
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Endlich überzeugt die Erwägung der Berufung nicht, der Fachmann habe entgegen dem Offenbarungsgehalt der K9 und der K22 im Hinblick auf andere Veröffentlichungen mit einem negativen Ergebnis - wie die N7 (Lawrence et al., The American Journal of Clinical Nutrition, 1975, S. 205-208: "Effects of αTocopherol Acetate on the Swimming Endurance of Trained Swimmers") und die N10 (Rokitzki et al., International Journal of Sport Nutrition, 1994, S. 253-264: "α-Tocopherol Supplementation in Racing Cyclists during extreme Endurance Training") - keinen leistungssteigernden Effekt von Vitamin E annehmen dürfen und hätte deshalb bei seinen Überlegungen das antioxidative Astaxanthin nicht als Alternative hierzu erwogen. Die Beklagte lässt dabei unberücksichtigt , dass unabhängig von einem eindeutigen wissenschaftlichen Nachweis eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen der antioxidativen Wirkung des Vitamin E und einer Leistungssteigerung der Muskelfunktion ein solcher Zusammenhang im Stand der Technik, wie die K9 und die K22, aber auch weitere Entgegenhaltungen wie die K19 (Saastamoinen/Juusela, Acta Ag- riculturae Scandinavica, Sect. A, Animal Sci, 1993, S. 52-57: "Serum Vitamin E Concentration of Horses on Different Vitamin E Supplementation Levels", S. 52) belegen, jedenfalls eingehend diskutiert wurde. Der Fachmann hatte somit zumindest hinreichenden Anlass, einen solchen Zusammenhang für plausibel zu halten und hierauf seine durch eigene Routineversuche zu überprüfenden Überlegungen bei der Lösung des technischen Problems aufzubauen.
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Danach kann offenbleiben, ob die N10 den Fachmann auch deshalb nicht davon abhalten konnte, α-Tocopherol als die Muskelfunktionsdauer verbesserndes Mittel in Betracht zu ziehen, weil der Verdacht bestand, dass die Tests, aus denen in der Entgegenhaltung abgeleitet wird, dass Vitamin E die physische Leistungsfähigkeit nicht verbessere, durch die Gabe von Dopingmit- teln verfälscht worden sein könnten, wie die Klägerin im Hinblick auf die Tabelle 4 der N10 geltend macht, wonach ein aerobes Trainingsprogramm bei austrainierten Radsportlern mit und ohne α-Tocopherolsupplementierung nach standardisiertem Radergometertest zu überraschend hohen Steigerungen von 6,1 % (Kontrollgruppe von 3,12 W/kg auf 3,31 W/kg) bzw. 6,5 % (α-TocopherolGruppe von 3,10 W/kg auf 3,30 W/kg) der körperlichen Leistungsfähigkeit innerhalb von fünf Monaten geführt haben soll.
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c) Ergab sich für den Fachmann nach alledem aus dem Stand der Technik zumindest die begründete Erwartung einer prophylaktischen und/oder therapeutischen Steigerung der Muskelfunktionsdauer des Menschen durch medikamentöse Verwendung von Vitamin E aufgrund seiner antioxidativen Wirkeigenschaften , entnahm er den Entgegenhaltungen K8 und K7 (Miki, Biological functions and activities of animal carotenoids, Pure & Appl. Chem. 63, S. 141-146) auch die Anregung, das hinsichtlich seiner oxidativen Zellschutzwirkung erheblich wirksamere Xanthophyll Astaxanthin als Alternative zu Vitamin E in Betracht zu ziehen (K8Ü [deutsche Übersetzung], S. 2, Z. 17 ff.; S. 3, Z. 4 ff.; S. 4, Z. 5 ff.; S. 7, Z. 27 ff.; S. 12 ff. - drittes bis siebtes Beispiel; S. 20, Z. 7 ff.; K7, Abstract, S. 141; Conclusion, S. 145), und gelangte so unter Über- prüfung seiner Erwartungen mittels routinemäßiger Versuche zur patentgemäßen Lösung.
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Dass die K8 und die K7 das Xanthophyll Astaxanthin als wirksamere Alternative zu Vitamin E lediglich allgemein vor dem Hintergrund der Vermeidung oxidationsbedingter Zellschäden adressieren und nicht spezifisch im Hinblick auf Muskelgewebe erörtern, steht dem nicht entgegen. Denn war dem Fachmann bekannt bzw. hatte er zumindest begründeten Anlass zur Annahme, dass mit einer Vitamin-E-Supplementation eine Steigerung der Muskelfunktionsdauer gerade aufgrund dessen antioxidativer Eigenschaften bewirkt werden kann, genügte dem Fachmann die allgemeine Erkenntnis über die gesteigerte antioxida- tive Wirksamkeit des Astaxanthins, um dieses Xanthophyll als Alternative zum Vitamin E in Betracht zu ziehen.
42
Ausgehend von dieser Erkenntnis wurde der Fachmann trotz der Unterschiede in der Molekülstruktur des bekanntesten Vitamin-E-Isomers α-Tocopherol einerseits und Astaxanthin andererseits dazu angeregt, eine Austauschbarkeit der Stoffe bei der Steigerung der Muskelfunktionsdauer von Säugern - und damit insbesondere auch des Menschen - in Erwägung zu ziehen und diese Erwägung durch routinemäßige Versuche nachzuprüfen, womit er zur Lösung des Streitpatents gelangen konnte. Denn selbst wenn der Fachmann aufgrund der strukturellen Unterschiede der Moleküle aus seinem allgemeinen Fachwissen nicht auf eine gleichartige Wirkung der Stoffe zu schließen vermochte , begründete der im Stand der Technik ausdrücklich beschriebene vergleichbare Schutz vor oxidationsbedingten Zellschäden für ihn die Erwartung, dass Vitamin E und Astaxanthin funktionell austauschbar sind.
43
2. Das Streitpatent kann auch in den Fassungen der zuletzt gestellten zwei Hilfsanträge (in der Anlage E 4 der Beklagten als Hilfsanträge VI und VII bezeichnet) keinen Bestand haben.
44
a) Die Beschränkung auf Astaxanthin in mit Fettsäuren veresterter Form aus Algenmehl aus gezüchtetem Haematococcus sp. (Unteranspruch 3 des Hauptantrags und Hilfsantrag VI) hat das Patentgericht als nicht patentfähig angesehen. Weder lässt diese Beurteilung einen Rechtsfehler erkennen, noch zeigt die Berufung einen solchen auf. Gleiches gilt im Hinblick auf Unteranspruch 2 des Hauptantrags, der vorsieht, dass Astaxanthin in mit Fettsäuren veresterter Form vorliegt.
45
b) Soweit der Hilfsantrag VII gegenüber dem Hilfsantrag VI von der "Steigerung der Kraft/Ausdauer" statt der "Steigerung der Muskelfunktionsdauer" spricht, wird darin keine Änderung des Anspruchsinhalts im Sinne einer Be- schränkung deutlich. Aus den angeführten Gründen war daher auch der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags VII nahegelegt.
46
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Da der Beklagtenwechsel bereits vor dem Patentgericht wirksam war, kann die erstinstanzliche Kostenentscheidung insoweit keinen Bestand haben, als sie der ausgeschiedenen Beklagten Kosten auferlegt. Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.12.2013 - 3 Ni 31/11 (EP) -

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 98/09 Verkündet am: 15. Mai 2012 Wermes, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2012 - X ZR 134/11

bei uns veröffentlicht am 12.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 134/11 Verkündet am: 12. Dezember 2012 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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(1) Eine vom Schuldner erteilte Vollmacht, die sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht, erlischt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

(2) Soweit ein Auftrag oder ein Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 115 Abs. 2 fortbesteht, gilt auch die Vollmacht als fortbestehend.

(3) Solange der Bevollmächtigte die Eröffnung des Verfahrens ohne Verschulden nicht kennt, haftet er nicht nach § 179 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Ein vom Schuldner erteilter Auftrag, der sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen bezieht, erlischt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

(2) Der Beauftragte hat, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist, die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen, bis der Insolvenzverwalter anderweitig Fürsorge treffen kann. Der Auftrag gilt insoweit als fortbestehend. Mit seinen Ersatzansprüchen aus dieser Fortsetzung ist der Beauftragte Massegläubiger.

(3) Solange der Beauftragte die Eröffnung des Verfahrens ohne Verschulden nicht kennt, gilt der Auftrag zu seinen Gunsten als fortbestehend. Mit den Ersatzansprüchen aus dieser Fortsetzung ist der Beauftragte Insolvenzgläubiger.

(1) Das Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats oder wegen Erteilung oder Rücknahme der Zwangslizenz oder wegen der Anpassung der durch Urteil festgesetzten Vergütung für eine Zwangslizenz wird durch Klage eingeleitet. Die Klage ist gegen den im Register als Patentinhaber Eingetragenen oder gegen den Inhaber der Zwangslizenz zu richten. Die Klage gegen das ergänzende Schutzzertifikat kann mit der Klage gegen das zugrundeliegende Patent verbunden werden und auch darauf gestützt werden, daß ein Nichtigkeitsgrund (§ 22) gegen das zugrundeliegende Patent vorliegt.

(2) Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents kann nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch erhoben werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats kann nicht erhoben werden, soweit Anträge nach § 49a Abs. 4 gestellt werden können oder Verfahren zur Entscheidung über diese Anträge anhängig sind.

(3) Im Falle der widerrechtlichen Entnahme ist nur der Verletzte zur Erhebung der Klage berechtigt.

(4) Die Klage ist beim Patentgericht schriftlich zu erheben. Der Klage und allen Schriftsätzen sollen Abschriften für die Gegenpartei beigefügt werden. Die Klage und alle Schriftsätze sind der Gegenpartei von Amts wegen zuzustellen.

(5) Die Klage muß den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand bezeichnen und soll einen bestimmten Antrag enthalten. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sind anzugeben. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang, so hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Das gerichtliche Aktenzeichen eines das Streitpatent betreffenden Patentstreits und dessen Streitwert sollen angegeben werden.

(6) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Kosten des Verfahrens Sicherheit; § 110 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend. Das Patentgericht setzt die Höhe der Sicherheit nach billigem Ermessen fest und bestimmt eine Frist, innerhalb welcher sie zu leisten ist. Wird die Frist versäumt, so gilt die Klage als zurückgenommen.

Nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet.

(1) Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

(2) Die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, auch die Einwilligung des Beklagten sind dem Gericht gegenüber zu erklären. Die Zurücknahme der Klage erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes. Der Schriftsatz ist dem Beklagten zuzustellen, wenn seine Einwilligung zur Wirksamkeit der Zurücknahme der Klage erforderlich ist. Widerspricht der Beklagte der Zurücknahme der Klage nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes, so gilt seine Einwilligung als erteilt, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen; ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wird wirkungslos, ohne dass es seiner ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Der Kläger ist verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.

(4) Das Gericht entscheidet auf Antrag über die nach Absatz 3 eintretenden Wirkungen durch Beschluss. Ist einem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden, hat das Gericht über die Kosten von Amts wegen zu entscheiden.

(5) Gegen den Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag übersteigt. Die Beschwerde ist unzulässig, wenn gegen die Entscheidung über den Festsetzungsantrag (§ 104) ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist.

(6) Wird die Klage von neuem angestellt, so kann der Beklagte die Einlassung verweigern, bis die Kosten erstattet sind.

(1) Das Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats oder wegen Erteilung oder Rücknahme der Zwangslizenz oder wegen der Anpassung der durch Urteil festgesetzten Vergütung für eine Zwangslizenz wird durch Klage eingeleitet. Die Klage ist gegen den im Register als Patentinhaber Eingetragenen oder gegen den Inhaber der Zwangslizenz zu richten. Die Klage gegen das ergänzende Schutzzertifikat kann mit der Klage gegen das zugrundeliegende Patent verbunden werden und auch darauf gestützt werden, daß ein Nichtigkeitsgrund (§ 22) gegen das zugrundeliegende Patent vorliegt.

(2) Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents kann nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch erhoben werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats kann nicht erhoben werden, soweit Anträge nach § 49a Abs. 4 gestellt werden können oder Verfahren zur Entscheidung über diese Anträge anhängig sind.

(3) Im Falle der widerrechtlichen Entnahme ist nur der Verletzte zur Erhebung der Klage berechtigt.

(4) Die Klage ist beim Patentgericht schriftlich zu erheben. Der Klage und allen Schriftsätzen sollen Abschriften für die Gegenpartei beigefügt werden. Die Klage und alle Schriftsätze sind der Gegenpartei von Amts wegen zuzustellen.

(5) Die Klage muß den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand bezeichnen und soll einen bestimmten Antrag enthalten. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sind anzugeben. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang, so hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Das gerichtliche Aktenzeichen eines das Streitpatent betreffenden Patentstreits und dessen Streitwert sollen angegeben werden.

(6) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Kosten des Verfahrens Sicherheit; § 110 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend. Das Patentgericht setzt die Höhe der Sicherheit nach billigem Ermessen fest und bestimmt eine Frist, innerhalb welcher sie zu leisten ist. Wird die Frist versäumt, so gilt die Klage als zurückgenommen.

(1) Die Rechtshängigkeit schließt das Recht der einen oder der anderen Partei nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch abzutreten.

(2) Die Veräußerung oder Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss. Der Rechtsnachfolger ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners den Prozess als Hauptpartei an Stelle des Rechtsvorgängers zu übernehmen oder eine Hauptintervention zu erheben. Tritt der Rechtsnachfolger als Nebenintervenient auf, so ist § 69 nicht anzuwenden.

(3) Hat der Kläger veräußert oder abgetreten, so kann ihm, sofern das Urteil nach § 325 gegen den Rechtsnachfolger nicht wirksam sein würde, der Einwand entgegengesetzt werden, dass er zur Geltendmachung des Anspruchs nicht mehr befugt sei.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 134/11 Verkündet am:
12. Dezember 2012
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Polymerzusammensetzung
Greift der Kläger im Patentnichtigkeitsverfahren das Streitpatent nur im Umfang
einer von mehreren nebengeordneten technischen Lehren an, die Gegenstand
eines einzigen Patentanspruchs sind, geht das Gericht über den Klageantrag
hinaus, wenn es das Streitpatent im Umfang des gesamten Patentanspruchs für
nichtig erklärt. Dies ist im Berufungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung
dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, ist nicht
nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig
aus dieser Entgegenhaltung ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann
kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann.
BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - X ZR 134/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter
Dr. Grabinski und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 24. Mai 2011 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Streitpatent nur insoweit für nichtig erklärt wird, als die in der Urteilsformel bezeichneten Patentansprüche Zusammensetzungen betreffen oder hierauf Bezug nehmen, in denen das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer aus der Gruppe bestehend aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist, ausgewählt ist.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. November 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier italienischer Patentanmeldungen vom 5. November 1996 und 9. Dezember 1996 angemeldeten europäischen Patents 0 947 559 (Streitpatents). Das Streitpatent umfasst 18 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1 und 12 bis 18 in der Verfahrenssprache lauten: "1. Biodegradable heterophase polymeric compositions having good resistance to ageing and to low humidity conditions, comprising thermoplastic starch and a thermoplastic polymer incompatible with starch, in which starch constitutes the dispersed phase and the thermoplastic polymer constitutes the continuous phase, wherein the thermoplastic polymer incompatible with starch is selected from the group consisting of aliphatic-aromatic copolyesters containing from 30 to 70% by moles of aliphatic structure and wherein the aromatic structure derives from terephthalic acid and/or isophthalic acid, polyester-amides deriving for 30 to 70% by weight from an aliphatic amide, polyester-ethers, polyesteretheramides , polyester-urethanes and polyester-ureas wherein the content of units having aliphatic structure is from 30 to 70% by moles, said compositions being obtainable by extrusion under conditions wherein the content of water during the mixing of the components is maintained from 1 to 5% by weight (content measured at the exit of the extruder, prior to any conditioning). 12. Process for preparing a composition according to any of the preceding claims 1 to 11, comprising extruding the components of the composition under conditions wherein the content of water is maintained from 1 to 5% by weight during the mixing of the components. 13. A composition according to claim 1, wherein the starch is dispersed in the copolyester matrix in the form of particles having average numeral dimension less than 1 μm. 14. Compositions according to claim 13, wherein the starch particles have average numeral dimension less than 0.5 μm and more than 70% of the particles have dimension less than 0.5 μm. 15. A film obtained from the compositions according to any of claims 1 to 14. 16. Use of the films according to claim 15 in the manufacture of nappies , of sanitary towels, of bags and of laminated paper. 17. Use of the films according to claim 15 in the agricultural field for mulching application. 18. Use of the compositions according to any of claims 1 to 14 for the manufacture of expanded moulded articles usable in packaging, and of disposable articles."
2
Die Klägerin greift das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6, 8 bis 10 und 12 bis 18 an, soweit diese Ansprüche Zusammensetzungen betreffen oder Bezug nehmen auf Zusammensetzungen, in denen das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe beste- hend aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist. Sie hat ihre Klage zunächst auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gestützt, in der mündlichen Verhandlung vor dem Patentgericht auch darauf, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht ausführbar sei. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt in erster Linie beschränkt verteidigt. Danach soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten: "Biologisch abbaubare, heterophase, polymere Zusammensetzungen mit hohem Widerstand gegen das Altern und gegen Feuchtigkeitsarmut , umfassend thermoplastische Stärke und ein thermoplastisches, mit Stärke inkompatibles Polymer, wobei die Stärke die disperse Phase und das thermoplastische Polymer die kontinuierliche Phase konstituiert, wobei das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus aliphatischaromatischen Copolyestern, die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und worin die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist, Polyesteramiden , die für 30 bis 70 Gewichtsprozent von einem aliphatischen Amid abgeleitet sind, Polyester-Ether, Polyester-Ether-Amide, Polyester -Urethane und Polyester-Harnstoffe, wobei der Gehalt der Einheiten mit aliphatischer Struktur von 30 bis 70 Molprozent reicht, wobei die Zusammensetzungen durch Extrusion unter Bedingungen gewonnen werden, bei denen der Wassergehalt während des Mischens der Komponenten von 1 bis 5 Gewichtsprozent gehalten wird (Messung des Gehalts beim Austritt aus dem Extruder vor jeglicher Konditionierung ), und wobei die Stärke in der Copolyestermatrix in Form von Partikeln mit einer durchschnittlichen Dimension von weniger als 0,5 μm dispergiert ist, und mehr als 70% der Stärkepartikel Dimensionen von weniger als 0,5 μm aufweisen."
3
Das Patentgericht hat wie folgt erkannt: "Das europäische Patent 0 947 559 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis 6, 8 bis 10, soweit letztere nicht unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 7 rückbezogen sind, seines Patentanspruchs 12, soweit letzterer nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 7 oder 11 rückbezogen ist, im Umfang seiner Patentansprüche 13 und 14, im Umfang seiner Patentansprüche 15 bis 18, soweit diese nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 7 oder 11 rückbezogen sind, für nichtig erklärt."
4
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Hauptantrag weiterverfolgt.
5
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


6
A. Die Berufung ist zulässig.
7
Allerdings orientiert sich die Berufungsbegründung nicht an den Anforderungen des neuen Berufungsrechts. Sie legt insbesondere nicht den Erfordernissen des § 112 Abs. 3 PatG entsprechend die Berufungsgründe dar, sondern stützt sich maßgeblich auf neuen Sachvortrag, ohne sich an den Voraussetzungen des § 117 PatG in Verbindung mit § 531 Abs. 2 ZPO zu äußern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der § 112 Abs. 3 Nr. 2 PatG sachlich weitgehend entsprechenden Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ist die Berufung jedoch schon dann zulässig, wenn wenigstens ein Berufungsangriff geführt wird, mit dem in zulässiger Form eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird, die, läge sie vor, geeignet wäre, das angefochtene Urteil ganz oder teilweise zu Fall zu bringen (BGH, Urteil vom 8. April 1991 - II ZR 35/90, NJW-RR 1991, 1186, 1187; Urteil vom 13. November 2001 - VI ZR 414/00, NJW 2002, 682, 683; Urteil vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 12). An diesen Anforderungen hat die Neugestaltung des Rechts der Berufung durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 nichts geändert (BGH, Beschluss vom 14. März 2005 - II ZB 31/03, NJW-RR 2005, 793; Beschluss vom 18. Oktober 2005 - VI ZB 81/04, NJW-RR 2006, 285). Damit genügt die von der Beklagten erhobenen Rüge, das Patentgericht habe rechtsfehlerhaft die Einstellung eines Wassergehalts von 1 bis 5 Gewichtsprozent beim Mischen im Extruder für nahegelegt erachtet, weil die internationale Patentanmeldung 96/31561 (K5) nicht hierauf hinweise, sondern den Fachmann vielmehr von einer solchen Maßnahme abhalte. Griffe diese Rüge nämlich durch, brächte sie das angefochtene Urteil insgesamt zu Fall. Dass das Urteil, wie die Klägerin geltend macht, gleichwohl aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend sein könnte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
8
B. In der Sache bleibt die Berufung jedoch im Wesentlichen ohne Erfolg.
9
I. Das Streitpatent betrifft biologisch abbaubare Polymerzusammensetzungen , die Stärke und ein thermoplastisches Polymer enthalten.
10
1. Die Streitpatentschrift bezeichnet es eingangs als bekannt, dass sich die mechanischen Eigenschaften, insbesondere die Reißfestigkeit, von Produkten aus thermoplastischer Stärke als disperser Phase und einem mit Stärke inkompatiblen thermoplastischen Polymer beträchtlich verschlechterten, weil die Stärke Wasser abgebe oder absorbiere, bis sie mit der Umgebungsfeuchtigkeit im Ausgleich sei. Unter Bedingungen relativ niedriger Feuchtigkeit, beispielsweise bei 20% Feuchtigkeit, zeige das Material die Tendenz, fragil zu werden. Wenn die die disperse Phase konstituierenden Stärkepartikel belastet seien, könnten sie sich nicht verformen und die Belastung aufnehmen, sondern blieben starr, was zum Zerreißen führe. Wasser sei zwar ein sehr wirksamer Weichmacher für die Stärkephase, habe aber den Nachteil, dass es volatil sei und zur Herstellung eines Gleichgewichts mit der Umgebungsfeuchtigkeit in seiner Konzentration schwanke. Die wirksamsten Weichmacher mit hohem Siedepunkt (insbesondere Glycerol) tendierten demgegenüber dazu, dem System verloren zu gehen, insbesondere wenn die Feuchtigkeit zyklischen Schwankungen unterliege oder es im Kontakt mit anderen hydrophilen Materialien wie Zellulose zur Migration komme.

11
Das Streitpatent will vor diesem Hintergrund eine biologisch abbaubare polymere Zusammensetzung angeben, die unter Bedingungen niedriger Feuchtigkeit gute mechanische Eigenschaften, insbesondere hohe Reißfestigkeit, aufweist.
12
2. Zur Erläuterung der erfindungsgemäßen Lösung nimmt die Streitpatentschrift Bezug auf die Stammanmeldung PCT-EP 97/06103. Diese beschreibe drei Typen von biologisch abbaubaren, heterophasen Zusammensetzungen, die thermoplastische Stärke und ein mit Stärke inkompatibles thermoplastisches Polymer aufwiesen, in denen die Stärke die disperse Phase und das Polymer die kontinuierliche Phase ausmachten, die geeignet seien, gute mechanische Eigenschaften auch bei geringer relativer Feuchtigkeit zu bewahren. Das Streitpatent betreffe die dort genannte Gruppe C, bei der das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ein Copolyester sei, das ausgewählt sei aus aliphatisch -aromatischen Copolyestern, Polyesteramiden, Polyesterethern, Polyesteretheramiden , Polyesterharnstoffen und Polyesterurethanen, wobei die Zusammensetzungen durch Extrusion der Komponenten unter Bedingungen gewonnen würden, bei denen der am Ausgang des Extruders vor der Konditionierung gemessene Wassergehalt während der Mischung bei 1 bis 5 Gewichtsprozent gehalten werde.
13
Im Stand der Technik, u. a. in der internationalen Patentanmeldung 96/31561 (K5), seien Zusammensetzungen beschrieben, die Stärke und Copolyester enthielten wie aliphatisch-aromatische Copolyester, Polyesteramide und Polyesterurethane. Dabei werde die Copolyester-Stärke-Mischung im Extruder so gemischt, dass der Wassergehalt unter einem Gewichtsprozent gehalten werde, da bei einem höheren Wassergehalt eine Hydrolyse und Degradierung des Copolyesters mit entsprechender Beeinträchtigung der Eigenschaften des Endprodukts erwartet werde (Absatz 114).

14
Überraschenderweise habe sich herausgestellt, dass unter den erfindungsgemäß für die Herstellung der Zusammensetzungen der Gruppe C angewandten Bedingungen die Abnahme des Molekulargewichts des Polyesters vernachlässigbar sei (Absatz 115). Wenn die Kompatibilisierungsbedingungen während des Mischens mit dem Extruder ausreichend gut seien, um eine Stärke -Dispersion in Form von Partikeln mit einer durchschnittlichen Größe von weniger als 1 µm, vorzugsweise weniger als 0,5 μm, zu gewinnen, wiesen die resultierenden Zusammensetzungen zudem Eigenschaften auf, die denen des Polyethylens ähnlich seien und auch bei relativ niedriger Feuchtigkeit praktisch unverändert blieben (Absatz 116).
15
3. Die mit dem Hauptantrag der Berufung verteidigte Zusammensetzung lässt sich - unter Außerachtlassung der nicht angegriffenen Alternativen - wie folgt gliedern [Nummerierung des Patentgerichts in eckigen Klammern]: 1. Die polymere Zusammensetzung umfasst 1.1 thermoplastische Stärke und 1.2 ein thermoplastisches, mit Stärke inkompatibles Polymer [1.1]. 2. Das Polymer ist ein aliphatisch-aromatischer Copolyester, der 30 bis 70 Molprozent einer aliphatischen Struktur enthält und bei dem die aromatische Struktur von Terephthalsäure oder Isophthalsäure abgeleitet ist [1.2]. 3. Die Zusammensetzung ist durch eine Extrusion gewinnbar, bei welcher der beim Austritt aus dem Extruder vor einer Konditionierung gemessene Wassergehalt während des Mischens der Komponenten auf 1 bis 5 Gewichtsprozent eingestellt wird [2]. 4. Die Zusammensetzung ist heterophas derart, dass 4.1 das Polymer die kontinuierliche Phase und 4.2 die Stärke die disperse Phase bildet [3]. 5. Die Stärke ist in der Copolyestermatrix in Form von Partikeln mit einer durchschnittlichen Dimension von weniger als 0,5 µm dispergiert , wobei mehr als 70% der Stärkepartikel Dimensionen von weniger als 0,5 µm aufweisen [3.3].
6. Die Zusammensetzung ist 6.1 biologisch abbaubar [3.1] und 6.2 weist hohe Beständigkeit gegen das Altern und gegen Bedingungen geringer Feuchtigkeit auf [3.2].
16
II. Das Patentgericht hat diesen Gegenstand für nicht patentfähig erachtet und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
17
Eine polymere Zusammensetzung mit den erfindungsgemäßen Merkmalen ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Entgegenhaltung K5 bzw. der Veröffentlichung von U. Seeliger "Biologisch abbaubar" in Plastverarbeiter 1996, 62 (K6) in Verbindung mit der internationalen Patentanmeldung 92/19680 (K10).
18
Als Fachmann sei ein Diplomchemiker der Fachrichtung makromolekulare Chemie bzw. Polymerchemie anzunehmen, der mit der Entwicklung von umweltverträglichen polymeren Zusammensetzungen betraut sei und sich durch langjährige Praxis tiefgreifende Kenntnisse auf dem Gebiet der Herstellung solcher Materialien erworben habe. Stehe ein solcher Fachmann vor dem Problem , biologisch abbaubare polymere Zusammensetzungen zu schaffen, die auch bei niedriger Feuchtigkeit gute mechanische Eigenschaften, insbesondere eine hohe Reißfestigkeit, bewahren, werde er die Entgegenhaltungen K5, K6 und K10 heranziehen. In der K6 werde ausgeführt, dass durch die gezielte Auswahl von Monomeren und einen maßgeschneiderten Aufbau der Polymerstruktur ein Kompromiss gefunden werden könne, der gleichzeitig ausreichende Gebrauchseigenschaften, niedrige Herstellkosten und biologische Abbaubarkeit ermögliche. Durch die Angaben in der K6 werde der Fachmann in die Lage versetzt , statistische Copolyester aus 60 Molprozent Adipinsäure, 40 Molprozent Terephthalsäure und 1,4-Butandiol in die Hand zu bekommen und in Mischungen mit thermoplastischer Stärke entsprechend den Merkmalen 1, 2, 4 und 6 einzusetzen. Der Einwand der Beklagten, dass die in K6 beschriebenen Copolyester aus aliphatischen Diolen sowie aliphatischen und aromatischen Dicarbonsäuren nur das Grundgerüst der - nach der K6 zu modifizierenden - Copoly- ester bildeten, sei nicht gerechtfertigt, weil auch die polymere Zusammensetzung des Streitpatents durch Einbau zusätzlicher Komponenten variiert werden könne und die Ausführungen in der K6 zur Herstellung der Blends und deren Eigenschaften eindeutig zeigten, dass die so hergestellten Copolyester als kontinuierliche Phase vorlägen, während die thermoplastische Stärke feindispers (inkompatibel) eingelagert sei.
19
Aus der K6 gehe allerdings nicht hervor, dass der Wassergehalt entsprechend Merkmal 3 während des Mischens der Komponenten im Bereich von 1 bis 5 Gewichtsprozent gehalten werde. Hinweise auf einen erstrebenswerten Wassergehalt von unter 5 Gewichtsprozent in der Gesamtmischung habe der Fachmann indessen der K10, die ebenfalls biologisch abbaubare polymere Zusammensetzungen basierend auf Stärke und thermoplastischen Polymeren betreffe , entnehmen können. Die Herstellung gemäß K10 erfolge durch Mischen der Komponenten in einem Extruder bei Temperaturen zwischen 100 und 220° C, wobei der Wassergehalt durch Entgasen während der Extrudierung auf 1,5 bis 5 Gewichtsprozent (vor der Konditionierung) eingestellt werde. Die Extrusionsbedingungen wie Temperatur und Scherkräfte seien gemäß K10 so auszuwählen, dass eine Kompatibilisierung zwischen Polymer und Stärke gewährleistet sei. Dies entspreche dem Vorgehen nach dem Streitpatent. Auch aus der K5 habe der Fachmann den Hinweis entnehmen können, dass ein Gesamtwassergehalt in der fertigen Mischung bis zu 5 Gewichtsprozent erstrebenswert sei.
20
Die anspruchsgemäße Dispersion der Stärke in der Copolyestermatrix (Merkmal 5) ergebe sich zwangsläufig aufgrund der im Stand der Technik entweder unmittelbar angewandten oder daraus sich in naheliegender Weise dem Fachmann erschließenden Verfahrensführung. Eine Teilchengröße von weniger als 0,5 μm habe auch im Hinblick auf die Veröffentlichungen von Tomka, Thermoplastic starch compounds: Physico-chemical backgrounds, processing conditions and properties, 1993 (K7), von Simmons/Thomas, Structural Characteristics of Biodegradable Thermoplastic Starch/Poly(ethylene-vinyl alcohol) Blends, Journal of Applied Polymer Science 1995, 2259 (K8) und von Tomka et al., Thermoplastic Starch/Polymer Blends: Structure, Properties, Application, 1991 (K9) im Blickfeld des Fachmanns gelegen. Der Einwand der Beklagten, die Schriften K7 bis K9 beträfen andere Polymermatrizes, überzeuge nicht, weil die Größenverteilung der dispergierten Phase nicht durch die Art der verwendeten Polymermatrix beschränkt sei.
21
III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Wesentlichen stand.
22
1. Das angefochtene Urteil berücksichtigt allerdings nicht die - im Tatbestand wiedergegebene - Beschränkung des Klageangriffs auf Zusammensetzungen , in denen das mit Stärke inkompatible thermoplastische Polymer ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus aliphatisch-aromatischen Copolyestern , die von 30 bis 70 Molprozent aliphatische Struktur enthalten und bei denen die aromatische Struktur von Terephthalsäure und/oder Isophthalsäure abgeleitet ist. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, hat das Patentgericht dazu die Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass auch ein beschränkter Angriff auf das Patent zu dessen vollständiger Nichtigerklärung führen könne, wenn die Patentinhaberin keine von ihr formulierte eingeschränkte Fassung der Patentansprüche vorgelegt habe.
23
Dies trifft nicht zu. Patentanspruch 1 sieht außer den aliphatisch-aromatischen Copolyestern nach Merkmal 2 weitere Möglichkeiten für die Auswahl des thermoplastischen Polymers vor und vereinigt damit nebengeordnete technische Lösungen in einem Anspruch. Greift in einem solchen Fall der Nichtigkeitskläger nur eine der mit dem Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehren an und hat er mit diesem Angriff Erfolg, so geht das Gericht über den Klageantrag hinaus, wenn es das Streitpatent insgesamt für nichtig erklärt (§ 308 ZPO). Ein Verstoß gegen § 308 ZPO ist von Amts wegen zu beachten (BGH, Urteil vom 7. März 1989 - VI ZR 183/88, NJW-RR 1989, 1087; Urteil vom 21. Juni 2001 - I ZR 245/98, NJW-RR 2002, 257 Rn. 25 - Kinderhörspiele). Dies führt hier dazu, dass die Nichtigerklärung entsprechend zu beschränken ist.
24
2. Die Annahme des Patentgerichts, für den Fachmann, der sich bei der Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems an der K6 orientierent habe, habe es nahe gelegen, ein mit Stärke inkompatibles Polymer zu verwenden , hält den Angriffen der Berufung stand.
25
a) Ohne Erfolg rügt die Berufung, angesichts der in der K6 vorgesehenen Modifizierung des Copolyesters, zum Beispiel durch Einbau hydrophiler Komponenten, verzweigend wirkender Monomere oder Verbindungen, die zu einer Kettenverlängerung und damit Erhöhung des Molekulargewichts führten, sei der Copolyester nicht zwingend im Sinne des Merkmals 1.2 mit Stärke inkompatibel.
26
Dies ist schon deshalb unerheblich, weil das Patentgericht, anders als in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG, die Entgegenhaltung K6 nicht unter dem Gesichtspunkt möglicher Neuheitsschädlichkeit erörtert hat, sondern unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit. Dafür ist es aber unerheblich, ob der K6 "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist, dass der eingesetzte Copolyester mit Stärke inkompatibel ist, oder ob die Schrift dem Fachmann lediglich die Möglichkeit eröffnet hat, einen mit Stärke inkompatiblen Copolyester zu verwenden. Letzteres bezweifelt aber auch die Berufung nicht.
27
Für die Frage, ob erfinderische Tätigkeit zu verneinen ist, kommt es anders als bei der Neuheitsprüfung nicht darauf an, ob eine Entgegenhaltung ein Merkmal "unmittelbar und eindeutig" offenbart. Vielmehr ist maßgeblich, ob der Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann den Gegenstand der Erfindung nahegelegt hat. Dies erfordert zum einen, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln. Hinzukommen muss zum anderen, dass der Fachmann Grund hatte, den Weg der Erfindung zu beschreiten. Dazu bedarf es in der Regel über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe (BGH, Urteil vom 30. April 2009 - Xa ZR 92/05, BGHZ 182, 1 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407 - einteilige Öse; Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 Rn. 16 - Installiereinrichtung). Bei der Prüfung, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahe gelegt hat, ist nicht nur zu berücksichtigen, was sich für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung ergibt, sondern gleichermaßen, was der Fachmann kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann.
28
b) Schon deshalb kann die Berufung auch nicht mit dem Einwand durchdringen, aus der Tatsache, dass nach der K6 die Stärke die disperse Phase bilde, die in die Copolyestermatrix eingebettet sei, könne nicht abgeleitet werden, dass Stärke und Copolyester miteinander inkompatibel seien, da, wie sich aus der - mit der Berufungsbegründung vorgelegten - Veröffentlichung von Koning u.a., Strategies for Compatibilization of Polymer Blends, 1998 (NB10) ergebe, auch kompatible (teilweise mischbare) Blends aus verschiedenen Polymeren disperse Systeme bildeten.
29
Im Übrigen setzt sich die Berufung damit in Widerspruch zu der nach § 117 Satz 1 PatG, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellung des Patentgerichts, dass nach der K6 eine mit dem Polyester inkompatible Stärke fein dispers in die kontinuierliche Copolyesterphase eingelagert ist. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung begründen könnten, werden von der Berufung nicht dargetan.
30
Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der Anlage NB10. Dabeikann dahinstehen, ob dies schon deswegen gilt, weil das auf den Inhalt der - im Übrigen nachveröffentlichten - Schrift von Koning gestützte Berufungsvorbringen seinerseits nach § 117 Satz 1 PatG, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht zuzulassen ist, weil es nicht bereits im ersten Rechtszug geltend gemacht und nicht dargetan ist, dass dies nicht auf Nachlässigkeit beruht (s. dazu BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, GRUR 2012, 1236 Rn. 35 ff. - Fahrzeugwech- selstromgenerator). Denn wie die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus dem Lehrbuch Polymer Chemistry von Seymour/Carraher (K31) und dem Werk Polymer Rheology and Processing von Collyer/Utracki (K32) belegen, werden im Allgemeinen kompatible und mischbare/einphasige Polymerblends gleichgesetzt. Der unter Hinweis auf die NB10 angeführte Umstand, dass auch teilweise mischbare Blends, bei denen ein kleiner Teil einer Blendkomponente in der anderen gelöst ist, als kompatibel zu bezeichnen sein mögen, rechtfertigt nicht die Annahme, die K6, die keinerlei Hinweise auf eine solche teilweise Lösung enthält , lege eine mit der Polymerkomponente kompatible Stärke zugrunde. Erst recht rechtfertigt er nicht die Annahme, die K6 schließe die Verwendung inkompatibler Komponenten aus.
31
3. Ebenso wenig dringt die Berufung mit der Rüge durch, das Patentgericht habe zu Unrecht eine Einstellung des Wassergehalts während des Mischens in einem 1 bis 5 Gewichtsprozent entsprechenden Bereich für aus fachmännischer Sicht wünschenswert erachtet.
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a) Die Berufung stützt diesen Angriff zum einen darauf, dass das thermoplastische Polymer nach der Entgegenhaltung K10, auf die sich das Patentgericht insoweit bezogen hat, zwar neben aliphatischen Hydroxysäuren auch Monomere aus Terephthalsäure umfasse, jedoch keine aliphatisch-aromatischen Copolyester gemäß Merkmal 2. Sie meint, erfindungsgemäße Extrusionsbedingungen führten bei den Polymerblends nach K10 nicht notwendigerweise zu einer feinen Teilchenstruktur, wie sie Merkmal 5 definiere. Dies verkennt jedoch die Begründung des Patentgerichts, das der K10 lediglich entnommen hat, dass der von der K6 ausgehende Fachmann einen in dem erfindungsgemäßen Bereich liegenden Wassergehalt als erstrebenswert erkennen konnte.
33
b) Der Berufung kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie die Annahme des Patentgerichts beanstandet, der Fachmann erhalte nicht nur in der K10, sondern auch in der K5 den Hinweis, dass ein Gesamtwassergehalt in der fertigen Mischung von bis zu 5 Gewichtsprozent sinnvoll sei, und werde hierdurch auf eine Einstellung des Wassergehalts nach Merkmal 3 hingelenkt. Die Berufung führt dazu aus, der Fachmann sei durch die K5 von der Einstellung eines solchen Wassergehalts während des Mischens abgehalten worden, da die K5 lehre, den Wassergehalt auf weniger als ein Gewichtsprozent zu drücken, um unerwünschte Hydrolysereaktionen zu vermeiden und eine molekulare Kopplung zwischen Stärke und Copolyester zu ermöglichen.
34
(1) Allerdings vermag der Senat nicht der Annahme desPatentgerichts beizutreten, die Bemerkung in der K5, die extrudierte trockene Schmelze werde in einem Wasserbad gekühlt, damit sie 2 bis 6 Gewichtsprozent Wasser aufnehme , gebe den Hinweis auf einen erstrebenswerten Gesamtwassergehalt in der fertigen Mischung und es liege "davon ausgehend" die Herstellung einer solchen Zusammensetzung unter Merkmal 3 entsprechenden Extrusionsbedingungen "auf der Hand". Denn dass die fertige Mischung nach der K5 einen gewissen Wasseranteil aufnehmen soll, ändert nichts daran, dass die Schrift, wie das Patentgericht an anderer Stelle zutreffend ausführt, darauf Wert legt, dass der Wassergehalt vor oder beim Mischen auf weniger als ein Gewichtsprozent reduziert wird (K5, S. 9, Abs. 2; S. 11, Abs. 2: "geforderte Wasserfreiheit"; "… weist die Schmelze einen äußerst geringen Wassergehalt auf, vorzugsweise < 0,5 bzw. < 0,1 Gewichtsprozent").
35
(2) Dies rechtfertigt jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass es aus fachmännischer Sicht angezeigt erschien, nicht mit dem in der K10 angegebenen Wassergehalt während des Mischens zu arbeiten, sondern Maßnahmen zu ergreifen, um im Einklang mit der K5 eine nahezu wasserfreie Schmelze erzeugen zu können. Dazu müsste dem Fachmann die K5 als die "höhere Autorität" erschienen sein. Dafür wird von der Berufung jedoch nichts dargetan. Dagegen spricht, dass die K5 ausdrücklich nur die "Vermutung" äußert, dass beim Mischen der beiden Polymere unter Ausschluss von Wasser die in den Molekülketten des (Co-)Polyesters eingebauten Estergruppen Veresterungsreaktionen mit der thermoplastischen Stärke eingingen, womit die so reagierenden Molekülketten mit der Stärke einen Phasenvermittler bildeten, der eine molekulare Kopplung der beiden Phasen ermögliche, und es werde im Fall von Feuchtigkeit diese Reaktion konkurrenziert, indem die Säureestergruppen bei Anwesenheit von Wasser nicht mit der Stärke zu Bildung des Phasenvermittlers reagierten, sondern hydrolisierten (K5, S. 10 Abs. 2). Abgesehen davon, dass nicht dargetan und nicht erkennbar ist, was dafür hätte sprechen sollen, dass etwa bei einem geringfügig über einem Gewichtsprozent liegenden Wasseranteil eine etwaige Konkurrenzreaktion die Bildung eines Phasenvermittlers vollständig oder weitgehend verhindern würde, hatte der Fachmann, wenn es die in der K5 geäußerte Vermutung fraglich erscheinen ließ, ob der in der K10 zugrunde gelegte Wassergehalt hinnehmbar war, zumindest Anlass zu erproben, ob diese Bedenken gerechtfertigt waren. Hätte der Fachmann dies getan, wäre er zu der in der Beschreibung des Streitpatents (Absatz 115) wiedergegebenen Erkenntnis gelangt, dass die befürchtete Abnahme des Molekulargewichts des Polyesters vernachlässigbar ist.
36
4. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn das Patentgericht auf der Grundlage seiner bisher erörterten Annahmen auch eine erfindungsgemäße Zusammensetzung für nahegelegt erachtet hat, bei der die in der Copolyestermatrix dispergierten Stärketeilchen eine durchschnittliche Größe von weniger als 0,5 μm aufweisen und zu mehr als 70% aus Teilchen solcher Größe bestehen.
37
a) Das Streitpatent gibt außer den vorstehend erörterten keine weiteren Maßnahmen an, mit denen sich eine solche feine Dispersion erreichen lässt. Es ist daher berufungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Patentgericht angenommen hat, dass sie auch mit dem durch die K6 in Verbindung mit der K10 nahegelegten Verfahren erreichbar war. Auf die Ergebnisse von Nacharbeitungsversuchen zu den Entgegenhaltungen K5 und K10, bei denen sich eine dementsprechende feine Dispersion nicht ergeben haben soll, kommt es danach nicht an.
38
b) Ergänzend hat das Patentgericht darauf hingewiesen, dass etwa die Entgegenhaltung K7 für eine Zusammensetzung aus thermoplastischer Stärke und hydrophoben Polymerkomponenten eine Teilchengröße der dispersen Phase von weniger als 0,2 μm angibt. Der Angriff der Berufung, die in der K7 offenbarte Lehre sei für den Fachmann nicht ausführbar, ist unerheblich. Das Patentgericht hat die K7 lediglich herangezogen, um zu belegen, dass es für den Fachmann, gerade auch dann, wenn er gute mechanische Eigenschaften und insbesondere eine gute Wasserbeständigkeit anstrebte, wünschenswert sein musste, das Verfahren so zu führen, dass er eine feine Dispersion erhielt.
39
c) Soweit schließlich die Berufung rügt, aus den in Tabelle 1 der K6 dargestellten Reißfestigkeitswerten könne nicht gefolgert werden, dass diese Reißfestigkeiten bei niedriger Umgebungsfeuchte weitgehend erhalten blieben, da die Schrift nicht offenbare, bei welchem Wassergehalt die Stärke-PolyesterMischung erhalten werde, und deshalb nicht gefolgert werden könne, dass die in K6 offenbarten Verfahrensbedingungen unmittelbar und zwangsläufig zu den Merkmalen 5 und 6.2 entsprechenden Eigenschaften des Endprodukts führten, geht dies hiernach aus den vorstehend zu 2 a erörterten Gründen ebenfalls fehl.
40
5. Auf die Angriffe der Berufung gegen die weitere Annahme des Patentgerichts , dem Fachmann sei der Gegenstand des Streitpatents auch durch die K5 in Verbindung mit der K10 nahegelegt worden, kommt es nach alledem nicht mehr an.
41
6. Soweit schließlich die Beklagte im Schriftsatz vom 8. Oktober2012 verschiedene Verfahrensrügen erhebt, sind diese schon deshalb unbeachtlich, weil sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben worden sind (§ 117 PatG, § 529 Abs. 2 ZPO, § 112 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b PatG).
42
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 92 Abs. 2 ZPO.
Meier-Beck Richter am Bundesgerichtshof Mühlens Keukenschrijver ist in den Ruhestand getreten und kann deshalb nicht unterschreiben. Meier-Beck
Grabinski Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 24.05.2011 - 3 Ni 3/10 (EU) -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 98/09 Verkündet am:
15. Mai 2012
Wermes,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Calcipotriol-Monohydrat
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kann für die Frage, ob der
Fachmann aus dem Stand der Technik eine Anregung erhalten hat, dort beschriebene
Maßnahmen aufzugreifen und sie auf einen bekannten Stoff anzuwenden, die
Überlegung Bedeutung gewinnen, ob sich aus diesen Maßnahmen eine angemessene
Erfolgserwartung für die Lösung des sich stellenden technischen Problems ergab
(Fortführung von BGH, Urteil vom 6. März 2012 - X ZR 50/09, juris; vgl. auch BGH,
Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 - Escitalopram).
BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - X ZR 98/09 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Mai 2012 durch den Richter Keukenschrijver, die Richterin
Mühlens, die Richter Gröning und Dr. Grabinski sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 17. März 2009 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 679 154 (Streitpatents ), das am 7. Januar 1994 angemeldet worden ist und eine Unionspriorität vom 15. Januar 1993 in Anspruch nimmt. Das Streitpatent betrifft "a New Crystalline Form of a Vitamin D Analogue" und umfasst fünf Patentansprüche, die in der erteilten Fassung wie folgt lauten: "1. Calcipotriol (1α,3β,5Z,7E,22E,24S)-24-Cyclopropyl-9,10secochola -5,7,10(19),22-tetraene-1,3,24-triol, monohydrate.
2. Pharmaceutical composition containing the compound of claim 1.
3. Pharmaceutical composition according to claim 2 which is a cream.
4. Pharmaceutical composition according to claim 2 which is a gel.
5. Pharmaceutical composition according to any one of claims 2 - 4 with a content of the active component of 1 - 100 μg/g of the composition."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zwei Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und verteidigt das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit drei Hilfsanträgen, bei denen Patentanspruch 1 jeweils wie folgt lautet: "Hilfsantrag 1: 1. Calcipotriol (1α,3β,5Z,7E,22E,24S)-24-Cyclopropyl-9,10secochola -5,7,10(19),22-tetraene-1,3,24-triol, monohydrate, wherein the monohydrate exhibits a solid state CPMAS-NMR spectrum comprising the following characteristic resonances: 147.9, 146.5, 134.8, 130.3, 129.0, 126.5, 116.0, 109.4, 75.5, 68.2, 67.2, 56.9, 55.2, 47.8, 47.5, 42.9, 42.0, 41.3, 30.7, 28.9, 25.6, 23.1, 22.6, 19.5, 14.6, 6.2 and 1.9 ppm, respectively.

Hilfsantrag 2:
1. Pharmaceutical composition containing a crystal suspension of calcipotriol (1α,3β,5Z,7E,22E,24S)-24-Cyclopropyl-9,10secochola -5,7,10(19),22-tetraene-1,3,24-triol, monohydrate.
Hilfsantrag 3:
1. Pharmaceutical composition containing a crystal suspension of calcipotriol (1α,3β,5Z,7E,22E,24S)-24-Cyclopropyl-9,10secochola -5,7,10(19),22-tetraene-1,3,24-triol, monohydrate, wherein the monohydrate exhibits a solid state CPMAS-NMR spectrum comprising the following characteristic resonances: 147.9, 146.5, 134.8, 130.3, 129.0, 126.5, 116.0, 109.4, 75.5, 68.2, 67.2, 56.9, 55.2, 47.8, 47.5, 42.9, 42.0, 41.3, 30.7, 28.9, 25.6, 23.1, 22.6, 19.5, 14.6, 6.2 and 1.9 ppm, respectively."
4
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
5
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. K. , Hochschule O. , , Pharmatechnik, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Parteien haben zahlreiche Privatgutachten sowie das gerichtliche Sachverständigengutachten der Sachverständigen F. in einem Verfahren vor dem Landgericht T. vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


6
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
7
I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Die Erfindung betreffe ein Calcipotriol-Hydrat - eine neue kristalline Form von Calcipotriol - mit überlegenen technischen Eigenschaften, beispielsweise bei der Zubereitung kristalliner Suspensionsformulierungen, und mit überlegenen Stabilitätseigenschaften. Calcipotriol sei bereits in der Veröffentlichung der internationalen Patentanmeldung WO 87/00834 - die zu dem europäischen Patent 227 826 (Ni4; Ausgangspatent) geführt hat - beschrieben (Beschr. S. 2 Z. 5 bis 7). Dieser Stoff besitze ein bemerkenswertes biologisches Aktivitätsprofil, das sich für die topische Behandlung von Psoriasis als sehr nützlich erwiesen habe. Wegen der geringen Stabilität von Calcipotriol in bestimmten Lösungen würden in einigen Formulierungen, insbesondere in Cremes und Gelen, bevorzugt Kristallsuspensionen verwendet (Beschr. S. 2 Z. 16 bis 19).
9
Zur Herstellung geeigneter Kristallsuspensionsformulierungen sei es nach dem Streitpatent zwingend erforderlich, die Kristallgröße zu kontrollieren; dieser Parameter sei im Hinblick auf eine reproduzierbare Freisetzung der aktiven Verbindung aus der Formulierung von Bedeutung. Die kristalline Wirkstoffmasse werde üblicherweise einer Mikronisierung oder einem Feuchtmahlverfahren unterworfen, um die Kristallgröße zu verringern, bevor die endgültige Suspensionsformulierung hergestellt werde. Im Fall des Calcipotriols sei ein Kugelmühlen-Feuchtmahlverfahren verwendet worden. Es habe sich als technisch schwierig herausgestellt, dieses Verfahren durchzuführen, wenn die in der internationalen Anmeldung WO 87/00834 beschriebene wasserfreie Kristallform verwendet werde. Es sei schwierig, diese Kristalle zu befeuchten. Sie entwickelten während des Mahlprozesses einen stabilen Schaum, was die Erzielung einer geeigneten, kleinen und einheitlichen Teilchengröße erschwere.
10
Überraschenderweise sei gefunden worden - so das Streitpatent - dass diese Schwierigkeiten vermieden werden könnten, wenn eine bislang unbekannte kristalline Form des Calcipotriols, das Calcipotriol-Hydrat, anstatt der bekannten wasserfreien Form verwendet werde. Das Hydrat sei der wasserfreien Form technisch überlegen. Es sei leicht zu befeuchten und das Kugelmühlen -Feuchtmahlverfahren verlaufe glatt (Beschr. S. 2 Z. 20 bis 22)
11
Das Monohydrat von Calcipotriol sei vollkommen kristallin, überraschend stabil und gut geeignet zur Anwendung in der modernen Therapie. Dies werde durch Stabilitätsdaten bei 40°C veranschaulicht: Während die wasserfreie Form von Calcipotriol bei dieser Temperatur einen bemerkenswerten Zersetzungsgrad aufweise und nach zwölfmonatiger Lagerung mehr als 30% Zersetzung beobachtet würde, weise die erfindungsgemäße Verbindung, CalcipotriolMonohydrat , nach zwölfmonatiger Lagerung bei dieser Temperatur keine Zersetzung auf.
12
Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung erweise sich als nicht patentfähig, da es für den Fachmann, einen promovierten Chemiker, der mit der Synthese und Analytik organisch-chemischer Wirkstoffe sowie deren Anwendung im Bereich der Pharmazie befasst und vertraut sei, über besondere Erfahrung auf dem Gebiet von Vitamin D-Analoga verfüge und in ein Team zur Entwicklung eines zu formulierenden Wirkstoffs eingebunden sei, nahegelegen habe, das Monohydrat des Calcipotriols ausgehend vom Stand der Technik betreffend Monohydrate anderer Vitamin D-Analoga unter Berücksichtigung der Aufgabenstellung zu Formulierungszwecken bereitzustellen.
13
Calcipotriol-Monohydrat sei im Stand der Technik weder ausdrücklich vorbeschrieben noch aus diesen zu entnehmen. In den Herstellungsbeispielen des Ausgangspatents (Ni4) würden vielmehr kristalline Verbindungen erhalten, die kein Wasser aufwiesen. Die Anwesenheit von Hydratkristallen sei auszuschließen , da zu Beginn des experimentellen Teils ausdrücklich auf den Einsatz getrockneter und damit praktisch wasserfreier Lösungsmittel im Zuge der Synthese und Produktaufarbeitung hingewiesen werde (Ni4, S. 12 Z. 50).
14
Ob die von der Klägerin geltend gemachte inhärente Bildung des Calcipotriol -Monohydrats bei der Zubereitung von Cremes und entsprechend der Lehre der Veröffentlichung der internationalen Anmeldung WO 91/12807 (Ni5) tatsächlich stattfinde und demnach eine implizite neuheitsschädliche Offenbarung darstelle, könne im Streitfall dahinstehen, da die Bereitstellung des beanspruchten Calcipotriol-Monohydrats jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
15
Die Lösung des Streitpatents sei ausgehend von den vorveröffentlichten Erkenntnissen zur Stabilitätsverbesserung bei anderen, bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents für die Behandlung unter anderem auch von Psoriasis in Betracht gezogenen Vitamin D(D3)-Analoga naheliegend.
16
Vitamin D3, auch als Cholecalciferol oder Calciol bezeichnet, sei die metabolische Vorstufe des 1,25-(OH)2-D3, dem auch als Calcitriol bezeichneten aktiven Vitamin D. Vitamin D3 wiederum werde durch UV-Licht in der Haut aus dem mit Cholesterin direkt im metabolischen Gleichgewicht stehenden Dehydrocholesterin gebildet. 1-OH-D3, 1, 24-(OH)2-D3, 1, 25-(OH)2-D3 sowie andere Vitamin D(D3)-Analoga übten Einfluss auf den Calciumstoffwechsel aus und seien deshalb als pharmazeutische Wirkstoffe zur Behandlung von Vitamin Dassoziierten und mit dem Calciumstoffwechsel in Zusammenhang stehenden Krankheitsbildern beschrieben. Daneben seien für diese und andere Vitamin D(D3)-Analoga, darunter auch für Calcipotriol, die Möglichkeit zur Behandlung von chronischen Hautkrankheiten, vor allem von Akne und von Psoriasis in zur topischen Anwendung geeigneten Zubereitungen beschrieben (Ausgangspatent Ni4, S. 1 Z. 55 bis 62, S. 2 Z. 2 bis 11; Ni5, S. 1 Z. 16, S. 2 Z. 25; Kragballe, Vitamin D Analogues in the Treatment of Psoriasis, J. Cell. Biochem. 49 (1992), 46 bis 52, Ni24).
17
Der mit der problematischen Stabilität von Calcipotriol konfrontierte Fachmann habe nicht umhin gekonnt, sich bei anderen Vitamin D(D3)-Analoga nach Anregungen zur Lösung des Stabilitätsproblems umzusehen. Dabei sei er zwangsläufig auf die US-Patentschrift 3 833 622 (Ni8, Upjohn), die USPatentschrift 4 435 325 (Ni9, Roussel-Uclaf) und die Veröffentlichung der japanischen Patentanmeldung Sho 59-104358 (Ni10, Teijin) gestoßen, in denen, neben der Herstellung und Verwendung, auch die Stabilisierung verschiedener Vitamin D(D3)-Analoga durch Bildung von Monohydraten beschrieben sei.
18
So betreffe die Ni8 kristalline Hydrate von 25-Hydroxycholecalciferol und strukturverwandter Verbindungen, insbesondere das Monohydrat des 25-Hydroxycholecalciferols (vgl. Ni8 Sp. 1 Z. 14 bis 17, Sp. 13 f., Beispiel 8, 11, 15, 23, 24, 30 sowie Sp. 2 Formel VI). Hierzu werde ausgeführt, dass man durch Kristallisierung, Reinigung und Stabilität der Hydrate dieser Vita- min D(D3)-Analoga, insbesondere des 25-Hydroxycholecalciferols, die auf einfache Weise durch bloße Zugabe von Wasser in kristalliner Form aus Lösungen in organischen Lösungsmitteln erhalte, die gegenüber den entsprechenden wasserfreien Verbindungen verbessert seien (vgl. Ni8 Sp. 3 Z. 35 bis 50 sowie Sp. 6 Z. 33 bis Sp. 7 Z. 5). Diese Lehre und deren Ergebnisse würden durch die Ni9 ergänzt, aus der die Herstellung des kristallinen Monohydrats eines nicht nur am C-25, sondern auch am C-1 hydroxylierten Cholecalciferolderivats sowie dessen besondere Stabilität hervorgehe (Ni9, Sp. 1 Z. 47 bis 57). Dabei werde auf die Eignung dieses Monohydrats für die Herstellung verschiedenster Formulierungen in Gegenwart üblicher Formulierungshilfsstoffe, darunter wässrige und nicht wässrige Systeme, hingewiesen (vgl. Ni9 Sp. 2 Z. 4 bis 15).
19
In der Ni10 seien die Herstellung, Eigenschaften und Verwendung eines weiteren strukturverwandten Monohydrats, desjenigen von 1α, 24-Dihydroxycholecalciferol, beschrieben. Dessen Bildung erfolge durch bloße Zugabe von Wasser zu einer Lösung des wasserfreien Dihydroxycholecalciferol in einem niedrigen Alkohol (vgl. Ni10 S. 2 letzter Abs.). Außerdem würden die Vorteile dieses Monohydrats hinsichtlich Löslichkeit, Stabilität, Verarbeitung und pharmazeutische Anwendung hervorgehoben (Ni10, S. 3 Abs. 2 iVm S. 4 letzter Abs.).
20
Bei der Suche nach einer für die Zubereitung pharmazeutischer Zusammensetzungen , insbesondere von Cremes und Lotionen, geeigneten stabilen Stoffform des Calcipotriols habe sich der Fachmann diesen Erkenntnissen nicht verschließen können. Vielmehr sei er nicht zuletzt wegen der Strukturnähe zu Calcipotriol angeregt gewesen, die durch die Ni8, Ni9 und Ni10 vermittelten Lehren aufzugreifen und bei Calcipotriol anzuwenden; auf diese Weise habe er ohne weiteres und unmittelbar zum kristallinen Monohydrat des Calcipotriols gelangen können. Gründe oder Umstände, die den Fachmann von der Anwendung dieser Lehren hätten abhalten können, seien nicht ersichtlich. Die in Ni8 bis Ni10 beschriebenen Arbeitsweisen führten, wie sich aus dem Vergleich mit den Arbeitsweisen des Streitpatents (Patentschrift S. 2 Z. 31 und 32 iVm Beispielen 1-3), ergebe, ohne wesentliche experimentelle Abänderungen auch bei Calcipotriol zur Bildung eines Monohydrats.
21
Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Beklagten führt nach Auffassung des Patentgerichts nicht zum Erfolg.
22
Es treffe zwar zu, dass die wasserfreien Vitamin D-Analoga der Ni 8 bis Ni10, aus denen die Monohydrate hergestellt würden, nur in Form von amorphen oder schlecht kristallinen Feststoffen oder nur als Öle vorgelegen hätten, im Gegensatz zu Calcipotriol, das bereits in wasserfreier Kristallform vorbeschrieben sei. Jedoch sei daraus nicht abzuleiten, dass kein Anlass bestanden habe, nach einer stabilen Stoffform des Calcipotriols zu suchen. Die Untersuchung der Stabilität eines vorbeschriebenen und in der Entwicklung befindlichen pharmazeutischen Wirkstoffs, hier dem Calcipotriol, stelle eine wichtige Aufgabe aus dem typischen Aufgabenkreis zur Markteinführung eines Wirkstoffs dar. Spätestens seit der Veröffentlichung der Ergebnisse erfolgreicher pharmakologischer Studien in den Jahren 1989 bis 1991 - siehe die bei Kragballe (Ni24) zitierten Referenzen 37 bis 41 - und damit geraume Zeit vor dem Prioritätstag des Streitpatents habe ein großes Interesse und Bedürfnis bestanden, die Stabilität des Calcipotriols in Form seiner bis dahin bekannten wasserfreien Form zu untersuchen. Dass solche Stabilitätsprobleme tatsächlich bestünden und deshalb den damit befassten Fachmann veranlassten, nach Lösungen zu suchen , belegten die Ausführungen im Streitpatent, wonach die wasserfreie Form des Calcipotriols einen beträchtlichen Grad an Zersetzung zeige. Das Aus- gangspatent (Ni4) sei für die Fachwelt Ansatz und Ausgangspunkt für Verbesserungen und Weiterentwicklung und hindere deshalb auch potentielle Wettbewerber nicht daran, die Lehre der Ni4 nachzuarbeiten und die darin offenbarten Stoffe auf ihre stofflichen Eigenschaften, zu denen vor allem auch die Stabilität gehöre, zu untersuchen.
23
Das Argument der Beklagten, die dem Streitpatent tatsächlich zugrundeliegende Aufgabe seien die technischen Probleme beim Nachvermahlen gewesen , zu deren Lösung aus dem vorgebrachten Stand der Technik keine Anregung zu erhalten gewesen sei, ändere nichts an der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Wenn die zu dem typischen Aufgabenkreis des Fachmanns gehörende Bewältigung des Stabilitätsproblems die Herstellung eines Monohydrats des Calcipotriols nahegelegt habe, beruhe diese Lehre auch dann nicht auf erfinderischer Tätigkeit, wenn der Stand der Technik für die damit zugleich erreichte Verbesserung der Lösung einer weiteren Problemstellung keine hinreichende Anregung vermittelt habe.
24
Zu einer anderen Beurteilung könne auch nicht das Vorbringen der Beklagten führen, am Prioritätstag seien bereits mehr als 600 Vitamin D3-Derivate bekannt gewesen, von denen nur drei als kristalline Monohydrate registriert gewesen seien, und dem Fachmann könne deshalb eine umfassende Kenntnis der Stoffeigenschaften sämtlicher dieser Vitamin D-Derivate nicht zugebilligt werden, weswegen er das Auftreten bestimmter kristalliner Formen bei strukturell verschiedenen Vitamin D-Derivaten nicht von vornherein als Anregung für die Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe berücksichtigt hätte. Gegen diese Ansicht spreche, dass es sich bei dem in den Entgegenhaltungen Ni9 und Ni10 beschriebenen Monohydraten um kristalline Monohydrate solcher Vitamin DAnaloga handele, die bereits in der vorveröffentlichten und auf der Titelseite des Streitpatents zitierten Arbeit von Kragballe (Ni24) im Vergleich zu Calcipotriol auf ihre Eignung zur Behandlung von Psoriasis nicht nur bewertet, sondern Calcipotriol auch strukturell gegenübergestellt seien. Der bei der Entwicklung einer topischen Formulierung des Calcipotriols für die Behandlung von Psoriasis befasste Fachmann werde bei Stabilitätsproblemen gerade auf solche Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Stabilität zurückgreifen , die bereits bei anderen zur Behandlung von Psoriasis in Betracht gezogenen Vitamin D-Analoga erfolgreich gewesen seien und deshalb gerade bei den in der Arbeit von Kragballe (Ni24) abgehandelten Stoffen nach Ansatzpunkten zur Lösung des Stabilitätsproblems suchen.
25
Auch die gegenüber Calcipotriol unterschiedlichen Primärstrukturen der Vitamin D-Analoga der Entgegenhaltungen Ni8 bis Ni10 hätten den Fachmann von der Lehre dieser Entgegenhaltungen nicht Abstand nehmen lassen. Denn weder ein Positionswechsel einer der Hydroxylgruppen wie auch die Reduzierung auf lediglich zwei Hydroxylgruppen verhinderten die Monohydratbildung.
26
Der auf eine pharmazeutische Zusammensetzung enthaltend Calcipotriol -Monohydrat gerichtete Patentanspruch 2 sowie die darauf rückbezogenen Unteransprüche 3 bis 5 wiesen ebenso wie die Ansprüche nach den Hilfsanträgen keine über den Stand der Technik hinausgehenden gesonderten Merkmale auf und hätten deshalb mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
27
II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand. Das Auffinden und Bereitstellen des Calcipotriol-Monohydrats beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
28
1. Nach dem Streitpatent hat - so auch der gerichtliche Sachverständige - Calcipotriol-Monohydrat dem wasserfreien Calcipotriol gegenüber überlegene technische Eigenschaften (verbesserte Nassmahlbarkeit) und überlegene Stabilitätseigenschaften (verringerte Zersetzungsrate). Zu dem technischen Hintergrund und der Bedeutung dieses Stoffes und des zum Prioritätszeitpunkt bereits bekannten wasserfreien Calcipotriols in der medizinischen und pharmazeutischen Praxis wird ergänzend auf die Darstellung in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen.
29
2. Der Gegenstand des Streitpatents mag neu sein. Zu diesem Ergebnis sind jedenfalls J. F. im englischen Patentverletzungsverfahren, in dem Widerklage auf Nichtigerklärung des Patents erhoben wurde, in seiner wenige Wochen nach dem angefochtenen Urteil ergangenen Entscheidung vom 15. Mai 2009 ([2009 EWHC 996 (Pat) - L. A/S et al. v. S. Ltd., Rn. 76 ff., B22a), das Amtsgericht Stockholm in dem Urteil vom 20. Mai 2011 betreffend das Streitpatent (T 9652-08, S. A/S und N. AB v. L. Ltd. A/S, B28, S. 95 bis 97) und ebenso die Rechtbank Den Haag in der Entscheidung vom 11. Februar 2009, betreffend u.a. die Widerklage wegen Nichtigkeit des Streitpatents (L. Ltd. A/S v. S. B.V., 306029 / HA ZA 08-733, Rn. 4.5 bis 4.9, Ni19) gelangt.
30
3. Die Frage der Neuheit kann jedoch dahinstehen, da das Auffinden und Bereitstellen der geschützten Substanz nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Art. 56 EPÜ).
31
Ansatzpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist das Auffinden des technischen Problems, das aus dem zu entwickeln ist, was die Erfin- dung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet. Die Ermittlung des technischen Problems ist Teil der Auslegung des Patentanspruchs. Dabei können in der Beschreibung enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung einen Hinweis auf das richtige Verständnis des Patentanspruchs enthalten; sie sind ein Hilfsmittel bei der Ermittlung des objektiven technischen Problems (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - X ZR 200/99, GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger; Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 - Gelenkanordnung, Rn. 27; Urteil vom 15. April 2010 - Xa ZR 28/08, GRUR 2010, 607 - Fettsäurezusammensetzung; Urteil vom 1. März 2011 - X ZR 72/08, GRUR 2011, 607 - kosmetisches Sonnenschutzmittel III).
32
a) Im Streitfall richten sich die Patentansprüche auf die Substanz Calcipotriol-Monohydrat oder diese enthaltende pharmazeutische Mittel. Aus der Patentbeschreibung, deren Angaben heranzuziehen sind, ergeben sich zwei Aspekte eines technischen Problems, das durch das Streitpatent gelöst werden soll. Zunächst gibt die Beschreibung an, dass das aus der WO 87/00834 bekannte wasserfreie Calcipotriol (S. 2 Z. 5 bis 7) in bestimmten Lösungen eine geringe Stabilität aufweise. Wegen der geringen Stabilität von Calcipotriol würden in einigen Formulierungen, insbesondere in Cremes und Gelen, bevorzugt Kristallsuspensionen verwendet ("…Due to the poor stability of calcipotriol in certain solutions it is in some formulations, in particular in creams an gels, preferred to use crystal suspensions…"; S. 2 Z. 10, 11). Als weiteren Aspekt nennt die Patentbeschreibung es bei der Herstellung geeigneter Kristallsuspensionsformulierungen als zwingend erforderlich, die Kristallgröße kontrollieren zu können ("…it is mandatory to be able to control the crystal size…"; S. 2 Z. 12), da dieser Parameter im Hinblick auf eine reproduzierbare Freisetzung der aktiven Verbindung aus der Formulierung von Bedeutung sei. Die Durchführung des bei Calcipotriol angewendeten Kugelmühlenverfahrens habe sich als schwierig erwiesen, da diese Kristalle nur schwer zu befeuchten seien und während des Mahlprozesses einen stabilen Schaum entwickelten, was es wiederum erschwere, eine geeignete kleine und einheitliche Teilchengröße zu erzielen ("…these crystals are not easily wetted and during the milling process they develop a stable foam, which results in difficulties in obtaining a suitable small and uniform particle size…"; S. 2 Z. 17 bis 19).
33
b) Das von der Erfindung zu lösende technische Problem liegt danach in der Benetzung der Teilchen und der Beseitigung der Schaumentwicklung sowie der Kontrolle der Teilchengröße im Rahmen des Feuchtmahlverfahrens und auch in der geringen Stabilität des im Stand der Technik bekannten Calcipotriols in bestimmten Lösungen. Aus der Beschreibung des Streitpatents ergibt sich, dass das Stabilitätsproblem bei Calcipotriol auch tatsächlich bestanden hat. Dies spricht wiederum dafür - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat -, dass zum Prioritätszeitpunkt Ergebnisse für Stabilitätsuntersuchungen in Lösung vorgelegen haben, wobei der Fachmann Anlass zur Untersuchung hatte, ob die geringe Stabilität auf physikalischen oder chemischen Gründen beruhte. Die Ausführungen in der Patentbeschreibung über den "considerable degree of decomposition at this temperature", d.h. bei 40°C (S. 2 Z. 25 bis 28) lassen darauf schließen, dass bereits im trocken gelagerten Pulver eine erhebliche chemische Zersetzung des Wirkstoffs stattfindet. In den Angaben der Patentbeschreibung zu der geringen Stabilität von Calcipotriol in bestimmten Lösungen ist nach alldem nicht schon ein Hinweis auf die Lösung nach dem Patent zu sehen, denn allein die Feststellung der geringen Stabilität eines Stoffes in der Patentbeschreibung enthält noch keine Aussage darüber, durch welches Erzeugnis dieses Problem zu überwinden ist und wie der Fachmann zu ihm gelangt.
34
c) Als Fachmann befasste sich zum Prioritätszeitpunkt mit der Lösung derartiger Probleme ein Galeniker, der im Bereich der Herstellung von Arzneimitteln arbeitet und - so der gerichtliche Sachverständige - spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet pharmazeutischer Formulierungen hat. Er ist z.B. ein in der Arzneimittelforschung tätiger promovierter Apotheker, der in einem Team von Fachleuten arbeitet und durch einen analytisch ausgerichteten promovierten Chemiker unterstützt wird. Dies haben auch J. F. (B22a, Rn. 21, 22) und das Amtsgericht Stockholm (B28, S. 94) so gesehen.
35
aa) Der so vorgebildete Fachmann hatte sich mit der Prüfung der Mahlbarkeit und der Benetzbarkeit von Stoffen zu befassen; dies sei, so der gerichtliche Sachverständige, ein pharmazeutisch-technologisches Problem und damit "tägliches Brot" des Galenikers. Dem Fachmann war bekannt, dass die Benetzbarkeit abhängig ist von der Zustandsform und der Oberflächenspannung des zu benetzenden Stoffes. Um den im Streitpatent beschriebenen, im Stand der Technik aufgetretenen Schwierigkeiten des Feuchtmahlverfahrens zu begegnen, hatte der Fachmann zwei Möglichkeiten. Er konnte entweder die Grenzflächenspannung des Benetzungsmittels verändern oder nach einer noch besser benetzbaren Stoffform suchen. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass der Fachmann zunächst der ersten Möglichkeit, z.B. durch Zugabe von Tensiden, den Vorzug gegeben hätte, sodann jedoch hätte erkennen müssen, dass auf diese Weise das Problem der Schaumbildung nicht nur nicht gelöst, sondern die Schaumbildung unter Umständen sogar verstärkt wird. Somit verblieb als zweite Möglichkeit, nach einer besser benetzbaren Stoffform zu suchen. Der Fachmann konnte dabei von der wasserfreien Form des Calcipotriols ausgehen, die als Lösung - mit dem bekannten Stabilitätsproblem - oder Suspensionscreme (Ni5, Beispiel 4) formuliert worden war.
36
Vor diesem Hintergrund hatte der Fachmann Anlass, die Hydratbildung des wasserfreien Stoffs zu untersuchen. Bei einer fachgerechten pharmazeutischen Entwicklung von verschiedenen Darreichungsformen werden, so nachvollziehbar der gerichtliche Sachverständige, Untersuchungen zur chemischen und physikalischen Stabilität des Wirkstoffs durchgeführt. Bei der Entwicklung feststoffhaltiger und wasserhaltiger pharmazeutischer Cremesysteme ist die Prüfung auf eine potenzielle Hydratbildung eine zentrale Aufgabe. Denn in der Regel weisen Hydrate, so der Sachverständige, in Wasser eine schlechtere Löslichkeit als die zugrunde liegende wasserfreie Substanz auf, da das Kristallwasser zusätzliche Valenzen im Molekülverband absättigt und daher zu einem energetisch günstigeren Zustand mit geringerer freier Energie, mithin zu erhöhter Stabilität führt.
37
In den US-Patenten 3 833 622 (Ni8) und 4 435 325 (Ni9) und der Veröffentlichung der japanischen Patentanmeldung Sho 59-104358 (Ni10) hat der Fachmann ein einfaches Verfahren zur Herstellung eines Hydrats vorgefunden.
38
Das US-Patent 3 833 622 (Ni8) beschreibt die Hydratform des 25Hydroxycholecalciferols , das in seiner wasserfreien Form als Öl in amorpher Form anfällt. Dessen Reinigung müsse mit einer aufwendigen KieselsäureAdsorptionschromatographie erfolgen (Ni8, Sp. 3 Z. 30 bis 34). Demgegenüber sei das 25-Hydroxycholecalciferolhydrat nach Zusatz von Wasser zu mit Wasser mischbaren als auch nicht mischbaren Lösungsmitteln leicht erhältlich und besitze die gleichen biologischen Eigenschaften wie die wasserfreie Verbindung , sie sei leichter zu reinigen, stabiler und weniger empfindlich gegen Autooxidation als diese ("are more readily purified, and are more stable and less sensitive to autoxidation", Ni8 Sp. 3 Z. 48, 49).
39
Durch das US-Patent 4 435 325 (Ni9) wird das 1α,25- Dihydroxycholecalciferol-Monohydrat als vollständig kristallines und sehr stabiles Produkt vorgestellt. Die neue Vitaminzusammensetzung könne in verschiedenen Formulierungen, u.a. auch in wässrigen und nichtwässrigen Trägern vorliegen (Ni9, Sp. 2 Z. 4 bis 15). Die Monohydratform werde auf einfache Weise durch Lösen der Ausgangsverbindung in einem organischen Lösungsmittel unter Zugabe von Wasser gewonnen (Ni9, Sp. 1 Z. 58 bis 64).
40
Die Veröffentlichung der japanischen Patentanmeldung Sho 59-104358 (Ni10) betrifft das 1α,24-Dihydroxycholecalciferol-Monohydrat-Salz und Verfahren zu seiner Herstellung, die durch Zugabe von Wasser zu einer Lösung des wasserfreien 1α,24-Dihydroxycholecalciferols in einem niedrigen Alkohol erfolgt (Ni10, S. 2 letzter Absatz). Es wird auf die verbesserte Löslichkeit, Verarbeitung und pharmazeutische Anwendung hingewiesen, und nicht zuletzt - über den Hinweis auf die Instabilität des 1α,24-Dihydroxycholecalciferols - auf die verbesserte Stabilität.
41
Danach beschäftigen sich die drei genannten Entgegenhaltungen mit der Herstellung und der Stabilisierung von Vitamin D(D3)-Analoga durch die Bildung von Monohydraten. Der Fachmann hatte deshalb wegen der Strukturnähe der Stoffe aus den Entgegenhaltungen Ni9 und Ni10 zu Calcipotriol, die nicht zuletzt durch die Arbeit von Kragballe (Ni24), in der die orale und die topische Applikation verglichen wird, belegt ist, Anlass, die in den Ni9 und Ni10 beschriebene Art und Weise der Bildung von Monohydraten auch für Calcipotriol zu erwägen. Dieser Anregung ist die Lösung nach dem Streitpatent nachgekommen. Calcipotriol-Monohydrat wird nach dem Streitpatent ohne wesentliche experimentelle Änderungen wie die Monohydrate in den Entgegenhaltungen hergestellt , nämlich durch Auflösen von kristallinem oder nicht-kristallinem Calcipotriol in einem organischen Lösungsmittel unter anschließender Zugabe von Wasser und ggf. eines nichtpolaren Lösungsmittels (Beschr. S. 2 Z. 31, 32). Zu diesem Ergebnis kommt auch die Gutachterin F. in dem Verfahren vor dem Landgericht Turin (Gutachten Ni26/Ni27, Abs. 4.3.9). Dass in dem diskutierten Stand der Technik eine ausdrückliche Anregung für die durch das Streitpatent gefundene Lösung des weiteren Problembereichs - die Kontrolle der Kristallgröße - nicht zu finden ist, ändert nichts an der Beurteilung der erfinderischen Leistung (BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - X ZR 200/99, GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger; st. Rspr.).
42
bb) Den hiergegen vorgebrachten Gesichtspunkten kommt keine entscheidende Bedeutung zu.
43
(1) Der Umstand, dass in den Entgegenhaltungen Ni8, Ni9 und Ni10 die wasserfreien Vitamin D-Analoga nicht wie das Calcipotriol in wasserfreier kristalliner Form, sondern in Form von amorphen oder schlecht kristallinen Feststoffen oder nur als Öl vorgelegen haben, hätte den Fachmann nicht davon abgehalten, nach einer weiteren stabilen kristallinen Stoffform für Calcipotriol zu suchen. Bereits zum Prioritätszeitpunkt war es - wie in der Stellungnahme des für die Beklagte tätigen Dr. R. ausgeführt (B25, Rn. 22 ff.) - erstrebenswert , einen Wirkstoff im Zuge der pharmazeutischen Entwicklung in kristalliner Form zur Verfügung zu stellen. In dieser Form kann ein Wirkstoff leichter aus einem Reaktionsgemisch abgetrennt werden, in der Regel weist er eine höhere Reinheit und eine höhere Stabilität als die amorphe Form auf. Die Wirkstoffmoleküle sind bei der kristallinen Form in regelmäßigen Gittern angeordnet, so dass sie eine geringere Neigung als die ungeordneten Moleküle der amorphen Form aufweisen, mit anderen Molekülen zu reagieren. Nach Auffassung von Dr. R. habe jedoch diese Grunderwartung des Fachmanns gera- de bei Vitamin D-Analoga nicht bestanden; bei diesen sei wegen ihrer Fragilität und wegen ihres dynamischen Gleichgewichts die Auswahl an experimentellen Bedingungen bei dem Versuch zu kristallisieren stark eingeschränkt gewesen. Da eine erste kristalline Form des Calcipotriols zur Verfügung gestanden habe, habe der Fachmann keinen Anlass gehabt, nach einer weiteren Form eines Vitamin D-Analogons zu suchen (Rn. 31).
44
Dieser Ansicht, die auch das Amtsgericht Stockholm im Rahmen seiner Beurteilung der Entgegenhaltungen Ni8, Ni9 und Ni10 (Urteil B28, S. 100, 101) teilt - im Verfahren in England lagen diese Entgegenhaltungen nicht vor -, kann nicht beigetreten werden. Bei einer fachgerechten Entwicklung von verschiedenen Darreichungsformen werden routinemäßig Untersuchungen zur chemischen und physikalischen Stabilität des Wirkstoffs durchgeführt. Bei der Entwicklung feststoffhaltiger wasserhaltiger pharmazeutischer Cremesysteme ist die Prüfung auf eine potentielle Hydratbildung durch polymorphe Umwandlung des Wirkstoffs ein zentrales Anliegen. Dies hat der gerichtliche Sachverständige - wie bereits ausgeführt - unter Bezugnahme auf die Veröffentlichung von Essig et al., Stabilisierungstechnologie - Wege zur haltbaren Arzneiform, Bd. 15, S. 19, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1986, nachvollziehbar bestätigt. Dort (zitiert aus dem gerichtlichen Gutachten) wird angegeben, dass etwa ein Drittel aller neuen Substanzen zur Hydratbildung befähigt seien und es deshalb unerlässlich sei, den Bodenkörper einer wässrigen Suspension auf Kristallumwandlungen infolge Bildung eines Hydrats zu untersuchen. Diese Einschätzung teilen auch die Privatgutachter der Klägerin Dr. L. (Gutachten Ni33, S. 14, 15) und Prof. F. (Gutachten Ni30, S. 24), die darauf abstellen, dass polymorphe Phasenumwandlungen die Eigenschaften von Cremes beeinflussen können. Am besten werde deshalb das Polymorph ausgewählt , das am wenigsten empfindlich im Hinblick auf Phasenumwandlungen und Kristallwachstum sei. Es sei deshalb zum Prioritätszeitpunkt selbstverständlich gewesen zu untersuchen, ob die wasserfreie Kristallform des Calcipotriols tatsächlich die stabilste Kristallform dieses Wirkstoffs darstellte. Dafür spricht auch, dass Calcipotriol, das Anfang der 1990er Jahre eine Zulassung zur Behandlung von Psoriasis (Kragballe aaO, Ni24 S. 1) erhalten hat, in der Fachwelt auf großes Interesse bis hin zu Nachahmungen gestoßen ist (vgl. Gutachten Dr. L. S. 4). Es lag demnach nahe, einen medizinisch sehr wirksamen kristallinen Stoff, der in einer bestimmten pharmazeutischen Formulierung keine ausreichende Stabilität bietet, auf stabilere kristalline Formen hin zu untersuchen.
45
(2) Auch das weitere Argument der Beklagten, es gebe mehr als 1400 Vitamin D-Derivate, von denen nur 6 Monohydrate in der amerikanischen CASRegistry -Datenbank eingetragen seien, weshalb die Hydratbildung eher eine Ausnahme als die Regel sei, greift nicht durch. In der Abhandlung von Kragballe (Ni24) sind neben Calcipotriol vier weitere Vitamin D-Analoga vorgestellt, deren zwei den Gegenstand der Entgegenhaltungen Ni9 und Ni10 bilden. Sie sind in dem Artikel von Kragballe dem Calcipotriol strukturell gegenübergestellt und auch auf ihre Eignung zur Behandlung von Psoriasis bewertet (Ni24, S. 48 re. Sp. Abs. 2, S. 49 li. Sp. Abs. 3, S. 50 re. Sp. Abs. 1, 2). Die an anderen als Calcipotriol zur Behandlung von Psoriasis in Betracht gezogenen Vitamin DAnaloga erfolgreich durchgeführte Hydratbildung gab dem Fachmann Anlass, entsprechende Maßnahmen auch bei Calcipotriol durchzuführen.
46
(3) Es mag zutreffen, dass man - wie der Privatgutachter der Beklagten Prof. B. ausführt (Gutachten B12 Rn. 9, 11) - weder im Jahr 1993 noch heute die Bildung kristalliner Formen und damit auch die Bildung von Hydraten vorhersehen konnte und kann. Auf die Vorhersehbarkeit bestimmter Er- gebnisse kommt es jedoch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht notwendigerweise an. Maßgeblich ist, ob der Fachmann aus dem Stand der Technik eine Anregung erhalten hat, dort beschriebene Maßnahmen aufzugreifen und sie auf einen bekannten Stoff anzuwenden. Dabei kann die Überlegung Bedeutung gewinnen, ob sich aus diesen Maßnahmen eine angemessenen Erfolgserwartung für die Lösung des sich stellenden technischen Problems ergab (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 - X ZR 50/09, juris, Rn. 27; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 - Escitalopram Rn. 38 ff.; schweiz. Bundesgericht SMI 1995, 358, 369 f. = GRUR Int. 1996, 1059, 1063 - Manzana II; EPA T60/89, ABl. EPA 1992, 268 = GRUR Int. 1992, 771, 775 - Fusionsproteine).
47
Diese Anforderungen sind im Streitfall erfüllt. Aus den besprochenen Entgegenhaltungen Ni8, Ni9 und Ni10 hat der Fachmann die Anregung erhalten , die dort beschriebenen Maßnahmen - Lösung des Feststoffes in organischem Lösungsmittel unter Zugabe von Wasser - zu ergreifen und auf Calcipotriol anzuwenden; als Ergebnis hätte er Calcipotriol-Monohydrat erhalten. Die Durchführung dieser Maßnahmen wäre mit Blick auf die strukturverwandten Vitamin D-Analoga im Stand der Technik und eine mögliche vergleichbare Reaktion des Calcipotriol auch mit einer angemessenen Erfolgserwartung verbunden gewesen; auch stellt sich der einzubringende Aufwand - Einsatz von organischem Lösungsmittel und Wasser - in Beziehung zu einem zu erwartenden Ergebnis als verhältnismäßig dar.
48
4. Der Gegenstand der Patentansprüche nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
49
In Hilfsantrag 1 wird die Beschreibung der Substanz Calcipotriol mit der näheren Charakterisierung durch die Spektralresonanzen (CPMAS-NMR spekt- roskopische Daten) ergänzt. In Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist die Beschreibung des Stoffs Calcipotriol und seine Verwendung in pharmazeutischen Mitteln zusammengefasst und durch die Angabe näher charakterisiert, dass es sich um eine Kristallsuspension handelt. Patentanspruch 1 in Hilfsantrag 3, fasst die zusätzlichen Charakteristika der Hilfsanträge 1 und 2 zusammen.
50
Die Angabe bestimmter Messergebnisse und die Verschiebung einzelner Merkmale zwischen den Patentansprüchen fügt den Patentansprüchen in der erteilten Fassung nichts Erfinderisches hinzu. Der Umstand, dass in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 - wie die Beklagte vorträgt - physikalische Eigenschaften klargestellt sind, lässt nichts eigenständig Erfinderisches erkennen. Dies gilt auch für den mit Hilfsantrag 2 beanspruchten Einsatz als Kristallsuspension. Eine Kristallsuspensionscreme war bereits aus dem Beispiel 4 der WO 91/12807 (Ni5) bekannt. Dass durch den Einsatz der Kristallsuspension - wie die Beklagte anführt - das Schaumproblem gelöst wurde, ist eine Wirkung des gefundenen Stoffs und nicht Gegenstand des Patentanspruchs.
51
5. Hinsichtlich der Gegenstände der Unteransprüche ist eine eigene erfinderische Leistung weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich (BGH, Urteil vom 29. September 2011 - X ZR 109/08, GRUR 2012, 149 - Sensoranordnung ).
52
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
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Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.03.2009 - 3 Ni 6/08 (EU) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)