Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2010 - VI ZR 198/09

bei uns veröffentlicht am06.07.2010
vorgehend
Landgericht Hamburg, 323 O 175/06, 30.04.2008
Hanseatisches Oberlandesgericht, 1 U 66/08, 05.06.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 198/09 Verkündet am:
6. Juli 2010
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Aa; Dd; I

a) Der Umstand, dass bei der konkreten Behandlung (hier: PRT) über eine
Querschnittlähmung noch nicht berichtet worden ist, reicht nicht aus, dieses
Risiko als lediglich theoretisches Risiko einzustufen und eine Aufklärungspflicht
zu verneinen.

b) Liegen der Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen medizinische
Fragen zugrunde, muss der Richter mangels eigener Fachkenntnisse Unklarheiten
und Zweifel bei den Bekundungen des Sachverständigen durch
eine gezielte Befragung klären.
BGH, Urteil vom 6. Juli 2010 - VI ZR 198/09 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und
Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 5. Juni 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt den Beklagten nach einer am 22. August 2001 in dessen orthopädischer Praxis durchgeführten CT-gestützten periradikulären Therapie (PRT) im Bereich der Nervenwurzel C 7 links auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Nach erfolglosen konservativen Behandlungen stellte sich der Kläger am 16. August 2001 bei dem Beklagten vor, der eine Kernspintomographie der Halswirbelsäule veranlasste. Die Untersuchung ergab Anzeichen für einen Verschleiß im Bereich der Wirbelsäule in Höhe C 5/6. Zudem wurden eine Protrusi- on (Vorwölbung) mit Wurzelbedrängung in Höhe C 7 links und ein konstitutionell grenzwertig enger Spinalkanal diagnostiziert.
3
Der Beklagte empfahl die Durchführung einer PRT. In der vom Kläger am 17. August 2001 unterzeichneten Einverständniserklärung heißt es zu den Risiken des Eingriffs unter anderem: "Als Komplikation ist bei einigen wenigen Patienten eine längerfristige Lähmung eingetreten, die sich jedoch wieder vollständig rückbildete."
4
Am 22. August 2001 wurde die PRT vom Beklagten durchgeführt. Der Kläger hatte unter diesem Datum auch eine Einverständniserklärung zur Periduralanästhesie oder "Stand By" bei "Periradikulärer Therapie (PRT)" unterzeichnet. In dieser Einverständniserklärung heißt es unter anderem: "Lähmungen (auch Querschnittslähmungen) nach Blutungen, Entzündungen oder direkten Nervenverletzungen sind extrem selten."
5
Bei Durchführung der PRT kam es zu Komplikationen. Beim Kläger traten eine akute Tetraplegie und eine starke Atemnot ein. Durch den in StandbyBereitschaft anwesenden Anästhesisten erfolgte eine notfallmäßige Intubation und Verlegung in das Allgemeine Krankenhaus B., wo der Kläger intensivmedizinisch versorgt wurde. Obgleich er anschließend bis November 2002 im Universitätskrankenhaus E. und im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H. behandelt wurde, blieb die Tetraplegie irreversibel, so dass der Kläger schwerstbehindert und zu 100 % erwerbsunfähig ist.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil klärungsbedürftig sei, inwieweit aus Rechtsgründen von der Einschätzung eines gerichtlichen Sachverständigen abgewichen werden darf, der aus medizinischer Sicht den Hinweis auf ein theoretisch bestehendes Risiko für erforderlich hält.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt einer Aufklärungspflichtverletzung wegen der nicht erfolgten Aufklärung über das Risiko einer Querschnittlähmung weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

7
Nach Auffassung des Berufungsgerichts führt der Umstand, dass der Kläger, wie das Landgericht unbeanstandet festgestellt habe, über das Risiko einer dauerhaften Querschnittlähmung nicht aufgeklärt worden sei, nicht zu einer Haftung des Beklagten. Nach dem maßgeblichen Kenntnisstand zum Zeitpunkt des Eingriffs sei der Beklagte weder verpflichtet gewesen, über das Risiko einer Querschnittlähmung bei Durchführung einer PRT aufzuklären, noch habe eine generelle Aufklärungspflicht über das Risiko einer Querschnittlähmung bei wirbelsäulennahen Injektionen bestanden.
8
Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Eingriffs sei weltweit erst einmal in der amerikanischen Schmerztherapie-Zeitschrift "Pain" im April/Mai 2001 über Querschnittlähmungen bei diagnostischer oder therapeutischer Wurzelinfiltration berichtet worden. Der Beklagte habe zudem Fachliteratur zitiert, in der ein solches Risiko bei Durchführung einer PRT oder entsprechenden Maßnahmen nicht erwähnt sei. Er habe außerdem unwidersprochen geltend gemacht, dass auch Kollegen im Jahre 2001 bei Durchführung einer PRT nicht über dieses Risiko aufgeklärt hätten. Erst ab dem Jahr 2002 sei auf die Gefahr einer Querschnittlähmung bei Durchführung einer PRT hingewiesen worden. Die Veröffentlichung in der Zeitschrift "Pain" habe ein niedergelassener Orthopäde als nicht fachspezifische Publikation nicht zeitnah zur Kenntnis nehmen müssen.
9
Es habe auch keine generelle Verpflichtung bestanden, über das Risiko einer Querschnittlähmung aufzuklären. Zwar habe der gerichtliche Sachverständige die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Querschnittlähmung im Jahr 2001 nicht um eine typische, aber um eine denkbare, wenn auch extrem seltene Komplikation handele, auf welche der Kläger wegen der damit verbundenen enormen Tragweite aus medizinischer Sicht hätte hingewiesen werden müssen. Es habe sich dabei aber um eine lediglich theoretisch bestehende Möglichkeit des Auftretens einer Komplikation gehandelt, über die nicht habe aufgeklärt werden müssen.

II.

10
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um die Verletzung einer Verpflichtung des Beklagten zur Aufklärung über das Risiko einer Querschnittlähmung zu verneinen.
11
1. Das Berufungsgericht entspricht in seinem rechtlichen Ausgangspunkt allerdings der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Danach muss der Patient "im Großen und Ganzen" wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. Senatsurteile BGHZ 90, 103, 106, 108; 144, 1, 5). Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko nicht da- von ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. Senatsurteile BGHZ 90, 103, 107; 144, 1, 5 f.; vom 2. November 1993 - VI ZR 245/92 - VersR 1994, 104, 105; vom 21. November 1995 - VI ZR 341/94 - VersR 1996, 330, 331).
12
Die Haftung aus verletzter Aufklärungspflicht setzt voraus, dass das Risiko nach damaliger medizinischer Erfahrung bekannt war bzw. den behandelnden Ärzten hätte bekannt sein müssen. Ist ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt, besteht keine Aufklärungspflicht. Ist es dem behandelnden Arzt nicht bekannt und muss es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft diskutiert wird, entfällt eine Haftung des Arztes mangels Verschuldens (vgl. Senatsurteile vom 12. Dezember 1989 - VI ZR 83/89 - VersR 1990, 522, 523; vom 21. November 1995 - VI ZR 329/94 - VersR 1996, 233; Kurzbegründung im Nichtannahmebeschluss des Senats vom 26. September 1995 - VI ZR 295/94 - zum Urteil des OLG Düsseldorf VersR 1996, 377, 378; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht , 6. Aufl., C Rn. 46; Laufs/Katzenmeier/Lipp-Katzenmeier, Arztrecht, 6. Aufl., V B Rn. 24). Zudem sind in aller Regel rein theoretisch bleibende Erörterungen über Risiken, die bei anderer Behandlungsstrategie bekannt sind, für die Entscheidungsfindung des Patienten ebenso wenig von Bedeutung wie allgemeine Überlegungen dazu, dass der Eintritt bislang unbekannter Komplikationen in der Medizin wohl nicht ganz auszuschließen ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 168, 103 Rn. 14; vom 12. Dezember 1989 - VI ZR 83/89 - aaO).
13
2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen nicht aus, um im Streitfall eine schuldhafte Aufklärungspflichtverletzung deshalb zu verneinen, weil das Risiko einer Querschnittlähmung als lediglich theoretisch bestehende Möglichkeit einzustufen sei. Das Berufungsgericht begründet seine Auffassung damit, dass der gerichtliche Sachverständige seine abweichende Meinung nur auf ein lediglich theoretisch bestehendes Risiko der Querschnittlähmung bei Durchführung einer PRT gestützt habe und dies rechtlich nicht für die Annahme einer diesbezüglichen Aufklärungspflicht ausreiche. Dies entnimmt es dem Umstand, dass vor der Veröffentlichung im Frühjahr 2001 in der Fachliteratur ein Querschnittlähmungsrisiko bei Durchführung einer PRT oder entsprechenden Maßnahmen nicht berichtet und auch eine Aufklärung darüber in der Praxis nicht durchgeführt worden sei. Maßgeblich stellt es darauf ab, dass der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung ausgeführt habe, auch bei einer PRT könne ein Hämatom entstehen. Dies gelte jedenfalls in der Theorie, da dieses Phänomen noch nicht beschrieben worden sei. Auf dieser Grundlage lässt sich entgegen der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, der aus medizinischer Sicht den Hinweis auf ein solches Risiko für erforderlich hält, eine Aufklärungspflichtverletzung nicht verneinen.
14
a) Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO gebunden ist. Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08 - VersR 2009, 1406 Rn. 5 m.w.N.). Die rechtliche Wertung, ob eine Aufklärungspflichtverletzung vorliegt, ist zwar Aufgabe des Richters. Im Arzthaftungsprozess ist jedoch zu beachten, dass sich das Gericht nicht mit einer eigenen Interpretation über Widersprüche oder Unklarheiten in den Ausführungen des Sachverständigen hinwegsetzen darf. Jedenfalls soweit seiner Beurteilung medizinische Fragen zugrunde liegen, muss der Richter mangels eigener Fachkenntnisse Unklarheiten und Zweifel bei den Bekundungen des Sachverständigen durch eine gezielte Befragung klären. Andernfalls bietet der erhobene Sachverständigenbeweis keine ausreichende Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung (vgl. Senatsurteil vom 27. März 2001 - VI ZR 18/00 - VersR 2001, 859, 860 m.w.N.).
15
b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen nicht in ihrem vollständigen Aussagegehalt gewürdigt, sondern seiner rechtlichen Bewertung maßgeblich dessen Ausführungen zur Möglichkeit der Entstehung eines Hämatoms zugrunde gelegt. Die sich daraus ergebende Verkürzung auf eine lediglich theoretisch bestehende Möglichkeit wird den Ausführungen des Sachverständigen nicht gerecht. Dieser hat darauf abgestellt, dass bleibende Lähmungen bis hin zu Querschnittlähmungen nach wirbelsäulennahen Injektionen allgemein nicht auszuschließen seien, auch wenn der Entstehungsmechanismus unterschiedliche Ursachen haben kann. Er hat bei seiner mündlichen Anhörung ausdrücklich erklärt, er halte eine Aufklärung über das Risiko einer Querschnittlähmung auch dann für erforderlich, wenn noch keine Vorfälle einer Querschnittlähmung bei der Durchführung von PRT bekannt geworden seien. Entscheidend sei dabei, dass die Wirbelsäule das zentrale Nervensystem enthalte und unbeabsichtigt Blutungen entstehen könnten. Wenn dies geschehe, habe man die Querschnittlähmung. Dies wisse man von anderen wirbelsäulennahen Eingriffen, wie z.B. der Epiduralinfiltration. Die durch die CT-Kontrolle mögliche, äußerst genaue Positionierung der Nadel schließe die bekannten Komplikationen anderer wirbelsäulennaher Injektionstechniken nicht aus. Bei der Veröffentlichung von Stöhr und Meyer aus dem Jahre 1976, aus der sich die Möglichkeit der Schädigung einer Nervenwurzel und das Risiko ei- ner irreversiblen Querschnittlähmung bei paravertebralen Injektionen ergebe, handele es sich um die gleiche - wenn auch nicht unter CT durchgeführte - Methode , die auch heute noch angewandt werde, so dass auch bei CTgesteuerten PRT eine Aufklärung über das Risiko einer Querschnittlähmung erfolgen müsse. Er hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass das Risiko insbesondere die möglichen Blutungen seien.
16
Der Gerichtssachverständige hat mithin seine Auffassung aus den allgemeinen anatomischen Gegebenheiten bei wirbelsäulennahen Injektionen abgeleitet und ist trotz Hinterfragung seiner Auffassung bei seiner Einschätzung geblieben. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht durch eine gezielte Befragung klären müssen, ob es sich bei den nach Auffassung des Sachverständigen aus den anatomischen Gegebenheiten abzuleitenden Gefahren um eine rein theoretische Gefahr handelt. Dessen Ausführungen deuten darauf hin, dass er den Begriff "theoretisch" nur deswegen gebraucht hat, weil das inzwischen bekannte Phänomen vor 2001 noch nicht beschrieben worden ist, und dass er die Entstehung eines Hämatoms nur als ein Beispiel für eine Verursachung der Schädigung angeführt hat. Alleine wegen der in diesem Zusammenhang erfolgten Verwendung des Begriffs "theoretisch" kann eine Aufklärungspflichtverletzung nicht verneint werden. Eine solche Verpflichtung besteht nämlich dann, wenn gemäß den Ausführungen des Sachverständigen bereits aufgrund der anatomischen Verhältnisse der Wirbelsäule davon auszugehen ist, dass bei einer PRT in gleicher Weise die Gefahr einer Querschnittlähmung besteht wie bei anderen Behandlungen, bei denen eine solche Gefahr schon vor dem Jahr 2001 bekannt war. Bei der im Streitfall gegebenen besonders schweren Belastung für die Lebensführung des Patienten bei Verwirklichung des Risikos kommt es für das Informationsbedürfnis des Patienten weder darauf an, aus welchen Gründen eine Querschnittlähmung eintreten kann und ob dies im Einzelnen geklärt ist, noch darauf, ob im Einzelfall das Risiko einer tiefen oder (sogar noch schwerer wiegenden) hier vorliegenden hohen Querschnittlähmung besteht. Entscheidend ist für ihn, dass er vor der Entscheidung für eine Behandlung darüber informiert ist, dass ein solches Risiko aufgrund der bestehenden anatomischen Verhältnisse besteht, und er dies in seine Abwägung einbeziehen kann. Sollte sich eine solche Gefahr bei einer PRT schon aus den anatomischen Verhältnissen ergeben, hätte schon zum Zeitpunkt der Behandlung ein spezifisches - nicht nur theoretisches - Risiko der konkreten Behandlung vorgelegen, über das grundsätzlich auch ohne vorher bekannt gewordene Schadensfälle aufzuklären war. Eine Haftung des Beklagten könnte dann allenfalls entfallen, wenn das Gericht - nach sachverständiger Beratung - zu dem Ergebnis käme, dass eine entsprechende Kenntnis von einem niedergelassenen Orthopäden zum damaligen Zeitpunkt nicht verlangt werden konnte.
17
3. Der Senat weist vorsorglich noch auf Folgendes hin: Soweit das Berufungsgericht ausführt, aus der persönlichen Anhörung des Klägers beim Landgericht ergebe sich, dass ein rein abstrakter Hinweis auf die Gefahr einer Querschnittlähmung für ihn seinerzeit keine Bedeutung gehabt hätte, ergibt sich schon deswegen nichts anderes, weil bei Bestehen der vom gerichtlichen Sachverständigen angenommenen Aufklärungspflicht ein lediglich abstrakter Hinweis jedenfalls auch nicht vorgelegen hatte. Sollte das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung andeuten wollen, könnte eine hypothetische Einwilligung nicht auf die erstinstanzliche Anhörung des Klägers gestützt werden, weil der Tatrichter Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen darf (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1239 f.; vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694; vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - VersR 2007, 999, 1000). Bei einer etwaigen Prüfung dieser Frage muss das Gericht berück- sichtigen, dass es ausreicht, wenn der Entscheidungskonflikt plausibel, also nachvollziehbar dargelegt wird.
18
4. Die Sache ist mithin an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses mittels sachverständiger Beratung klären kann, ob aufgrund der anatomischen Gegebenheiten der Wirbelsäule bei einer PRT ebenso wie bei anderen wirbelsäulennahen Injektionen generell das spezifische Risiko einer Querschnittlähmung besteht, und ob dies dem Beklagten zum Zeitpunkt der Behandlung bekannt sein musste. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 30.04.2008 - 323 O 175/06 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 05.06.2009 - 1 U 66/08 -

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Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2010 - VI ZR 198/09 zitiert 4 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 559 Beschränkte Nachprüfung tatsächlicher Feststellungen


(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt

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Referenzen

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.

(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

5
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Aussagen der vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen und den gutachterlichen Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen herleiten. Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung zwar dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO gebunden ist. Das Revisionsgericht kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st.Rspr., vgl. z.B. Senatsurteil vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96 - VersR 1997, 362, 364 und BGHZ 160, 308, 317 m.w.N.). Doch wird die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts von dem Inhalt der Beweisaufnahme nicht getragen. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. S. habe andere Mängel oder Versäumnisse abweichend vom Facharztstandard - bis auf die verspätete Verlegung und Intubation sowie die Hyperventilation - nicht festgestellt, gibt dies die Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen nicht her. Bereits im ersten Gutachten vom 3. Juli 2002 hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass für ihn nicht nachvollziehbar sei, welche praktischen therapeutischen Konsequenzen aus der um 9.00 Uhr beschriebenen Beeinträchtigung der Hautdurchblutung sowie aus den um 10.00 Uhr erhobenen Befunden einer Ateminsuffizienz bis gegen 11.45 Uhr gezogen wurden. Auch wenn er zusammenfassend die Auffassung vertreten hat, dass die unzureichende Dokumentation letztlich ohne Einfluss auf die Gesamtbeurteilung durch den Gutachter bleibe, kann daraus nicht schon geschlossen werden, dass der Sachverständige die Versorgung für standardgemäß gehalten hätte. Kann der Sachverständige der Dokumentation keine Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler entnehmen, kann das zwar bedeuten , dass die Dokumentation eine ordnungsgemäße Behandlung aufzeigt; es kann aber ebenso gut bedeuten, dass die Dokumentation vollständig ist jedoch nichts über einen Behandlungsfehler aussagt, wie auch, dass die Dokumentation unvollständig ist und deshalb keinerlei Schlüsse zulässt. Vom medizinischen Sachverständigen ist nicht zu erwarten, dass er eine in dieser Richtung nicht gestellte Frage vorwegnimmt und auf die Mehrdeutigkeit hinweist. Das Berufungsgericht hätte durch eine gezielte Befragung den Punkt von sich aus klären müssen. Das Unterlassen der entsprechenden Befragung verstößt gegen § 286 Abs. 1 ZPO. Gutachten von Sachverständigen unterliegen zwar der freien Beweiswürdigung durch das Gericht. Der erkennende Senat hat jedoch wiederholt ausgesprochen, dass der Tatrichter allen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen hat; insbesondere hat er Einwendungen einer Partei gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu berücksichtigen und die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinander zu setzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt (vgl. Se- nat, Urteile vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480, 482; vom 9. Januar 1996 - VI ZR 70/95 - VersR 1996, 647, 648; vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00 - VersR 2001, 525, 526; vom 13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722, 723; vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02 - VersR 2004, 790, 791 und vom 8. Juli 2008 - VI ZR 259/06 - VersR 2008, 1265, 1266). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 174/03 Verkündet am:
1. Februar 2005
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Abs. 1 (Aa); § 847 Abs. 1 a.F.
Wenn der Patient im Arzthaftungsprozeß im einzelnen darlegt, warum er bei vollständiger
und richtiger Aufklärung hinsichtlich seiner Einwilligung in den ärztlichen
Eingriff in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter in aller Regel
die Plausibilität dieses Vortrags nicht beurteilen, ohne den Patienten persönlich dazu
angehört zu haben. Der Tatrichter darf seine eigene Beurteilung des Konflikts nicht
an die Stelle derjenigen des Patienten setzen.
BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - Thüringer OLG Jena
LG Meiningen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. Februar 2005 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts Jena vom 4. Juni 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen ärztlicher Behandlungsfehler und fehlerhafter Aufklärung auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Die Klägerin behauptet, seit der operativen Exzision einer Analfistel im Juni 1998 im Krankenhaus der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2 als Operateur an einer Inkontinenz II. Grades (unkontrollierter Abgang von Winden und dünnflüssigem Stuhl) zu leiden. Sie führt dies auf einen Behandlungsfehler bei der Operation zurück.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Zur Begründung hat es ausgeführt , dem Beklagten zu 2 sei kein ärztlicher Kunstfehler unterlaufen; aus einem vorliegenden Mangel der Aufklärung ergäben sich keine Ansprüche, weil die Klägerin der Operation auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zugestimmt hätte. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint in Übereinstimmung mit dem Landgericht das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Das Landgericht habe sich insoweit auf das eingeholte Sachverständigengutachten stützen können. Die Voraussetzungen für Beweiserleichterungen zugunsten der Klägerin lägen nicht vor. Aus einem Aufklärungsfehler könne die Klägerin keine Ansprüche herleiten. Hier sei zwar nicht über alternative Behandlungsmethoden, wohl aber über das Risiko einer bleibenden Stuhlinkontinenz aufzuklären gewesen. Eine solche Aufklärung habe nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Zeugenvernehmung nicht stattgefunden. Die Beklagten hätten aber vorgetragen, daß die Klägerin auch bei korrekter Aufklärung in den Eingriff, wie er vorgenommen worden sei, eingewilligt hätte. Die gegenteilige Behauptung der Klägerin überzeuge nicht. Sie habe nicht vorgetragen, welche Erwägungen von ihr vorgenommen worden wären, wenn sie damit konfrontiert worden wäre, daß es bei der geplanten Operation ein Inkontinenzrisiko gebe. Angesichts dessen, daß eine Zustimmung nahegelegen habe, reiche die pauschale Behauptung einer Zustimmungsverweigerung nicht aus. Auch unter Berücksichtigung der vorlie-
genden Umstände, insbesondere der sensiblen Reaktion der Klägerin auf den Schaden, und der Tatsache, daß die Operation nur relativ indiziert gewesen sei, dränge sich eine Zustimmung der Klägerin auf. Von einer persönlichen Anhörung der Klägerin habe abgesehen werden können, weil die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlaubten.

II.

Das Berufungsurteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. 1. Es ist bereits zweifelhaft, ob es den Anforderungen entspricht, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an den Inhalt eines Berufungsurteils zu stellen sind. Findet gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde statt, muß aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen (vgl. Senatsurteile BGHZ 156, 216 ff.; vom 10. Februar 2004 - VI ZR 94/03 - VersR 2004, 881 f. und vom 28. September 2004 - VI ZR 362/03 - EBE/BGH 2004, BGH-Ls 979/04 (Leitsatz); ferner BGHZ 154, 99 ff; 158, 37 ff.; BGH, Urteile vom 6. Juni 2003 - V ZR 392/02 - NJW-RR 2003, 1290, 1291; vom 22. Dezember 2003 - VIII ZR 122/03 - NJW-RR 2004, 494; vom 13. Januar 2004 - XI ZR 5/03 - NJW-RR 2004, 573 f.; vom 6. Februar 2004 - V ZR 249/03 - NJW 2004, 1666, 1667). Gemessen an diesen Anforderungen liegt es nahe, die Mitteilung, daß "klageerweiternd eine erhöhte Schmerzensgeldrente begehrt" werde, als nicht ausreichend anzusehen, zumal sie unvollständig ist, weil die Klägerin in der Berufungsbegründung auch ihren Antrag
auf Rentenzahlung erhöht hat. Dem muß indes nicht weiter nachgegangen werden. 2. Das angefochtene Urteil kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben , weil seine Ausführungen zum Entscheidungskonflikt der Klägerin von Verfahrensfehlern beeinflußt sind. Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240 = AHRS 6180/38; vom 11. Dezember 1990 - VI ZR 151/90 - VersR 1991, 315, 316 = AHRS 1050/49; vom 2. März 1993 - VI ZR 104/92 - VersR 1993, 749, 750 = AHRS 1050/104; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302 f. = AHRS 1050/128; vom 4. April 1995 - VI ZR 95/94 - VersR 1995, 1055, 1057 = AHRS 1050/144). Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben. Der Auffassung des Berufungsgerichts , dies sei hier der Fall, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Freilich trifft den Patienten die Verpflichtung, plausibel darzulegen, weshalb er aus seiner Sicht bei Kenntnis der aufklärungspflichtigen Umstände vor einem Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob er die ihm empfohlene Behandlung gleichwohl ablehnen solle (Senatsurteil vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - aaO). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin jedoch in dem Schriftsatz vom 7. Februar 2003 nachgekommen. Dort ist im einzelnen dargelegt , weshalb sie im Hinblick auf ihre bestehenden Beeinträchtigungen und in Anbetracht ihres bisherigen Lebenswegs ein Inkontinenzrisiko keineswegs ak-
zeptiert hätte. Diese Ausführungen genügen den Anforderungen, die der erkennende Senat an die Substantiierung des Vortrags des Patienten stellt (BGHZ 90, 103, 111 ff. = AHRS 1050/11). Von einer "pauschalen Behauptung einer Zustimmungsverweigerung" kann insoweit nicht die Rede sein. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht nicht von der grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung der Klägerin absehen, ohne in unzulässiger Weise seine eigene Beurteilung des Konflikts an die Stelle derjenigen der Klägerin zu setzen. Gerade angesichts der vom Berufungsgericht selbst angesprochenen besonderen Lebensgeschichte und Sensibilität der Klägerin bedarf es zum Erfassen ihrer besonderen persönlichen Situation und ihrer Einstellung eines persönlichen Eindrucks und konkreter Nachfragen.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 108/06 Verkündet am:
17. April 2007
B l u m,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Der Arzt hat den Patienten vor dem ersten Einsatz eines Medikaments, dessen
Wirksamkeit in der konkreten Behandlungssituation zunächst erprobt werden soll,
über dessen Risiken vollständig aufzuklären, damit der Patient entscheiden kann,
ob er in die Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen
darauf verzichten will.

b) Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender ärztlicher Aufklärung in einen
Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden (hier: wegen
schwerer Hirnschäden), so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung
der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren
Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte.
BGH, Urteil vom 17. April 2007 - VI ZR 108/06 - OLG Braunschweig
LGGöttingen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. April 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 4. Mai 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin nimmt die beklagte Universität wegen behaupteter ärztlicher Fehler in deren medizinischen Einrichtungen auf Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens und Feststellung in Anspruch. Der Klägerin wurde bei einer stationären Behandlung in der Universitätsklinik seit dem 22. März 2000 zur Behandlung einer Herzarrhythmie das Medikament Cordarex (Amiodaron ) verabreicht. Am 30. März 2000 erlitt sie in der Pause zwischen einer durchgeführten und einer geplanten Myokardszintigraphie einen Kreislaufstillstand. Dieser konnte zwar innerhalb von 10 Minuten nach der Entdeckung durch Reanimation beendet werden, führte jedoch zu schweren bleiben- den Hirnschäden. Die Klägerin wirft den behandelnden Ärzten der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler vor.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

3
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte nicht festzustellen. Den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Behandlung mit Amiodaron (= Cordarex) indiziert gewesen sei, weil die vorherige Behandlung mit BetaBlockern zur symptomatischen Besserung bei erheblichem Leidensdruck und ansonsten nicht ausreichend behandelbarem Vorhofflimmern nicht angeschlagen habe. Eine Kontraindikation habe nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht vorgelegen.
4
Auch ein Aufklärungsfehler sei zu verneinen. Eine Aufklärungspflicht habe (noch) nicht bestanden. Das Medikament Cordarex (Amiodaron) sei nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache für den bei der Klägerin eingetretenen Herzstillstand gewesen. Das Risiko eines Herzstillstandes sei aber durch den Wechsel des HerzrhythmusMedikaments von Propafenon auf Cordarex nicht gesteigert, sondern vielmehr gesenkt worden. Im Hinblick auf das Risiko des Eintritts eines Herzstillstandes seien die Ärzte der Beklagten daher nicht zu einer Einwilligungsaufklärung verpflichtet gewesen, da insoweit ein gesteigertes Risiko nicht vorgelegen habe.
5
Eine Aufklärungspflicht habe auch nicht hinsichtlich der sonstigen Risiken des Medikamentes Cordarex bestanden. Dabei sei nicht entscheidend, dass sich bei der Klägerin keines dieser Risken verwirklicht habe. Maßgeblich sei vielmehr, dass diese Risiken sich in dem erforderlichen Zeitraum der Erprobung zur Umstellung auf Cordarex - nämlich zehn Tage - gar nicht hätten verwirklichen können. Zumindest für diese Phase der therapeutischen Abklärung, ob ein Medikamentenwechsel sinnvoll sei, habe daher noch keine Aufklärungspflicht seitens der Beklagten bestanden. Solange in der Phase der Feststellung, ob das andere Medikament dem Patienten überhaupt helfe, eine Risikoerhöhung - wie hier - ausgeschlossen sei, fehle es an einem einwilligungsbedürftigen Eingriff. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten werde nicht beeinträchtigt. Allerdings habe vor Beginn einer Dauermedikamentierung die Aufklärung der Klägerin über die erst damit verbundenen Nebenwirkungsrisiken erfolgen müssen. Darauf komme es hier aber nicht an, da sich diese Frage nicht mehr gestellt habe.
6
Unterstelle man das Bestehen einer Aufklärungspflicht, so hafte die Beklagte nicht, weil die Cordarex-Gabe durch eine hypothetische Einwilligung der Klägerin gedeckt gewesen wäre. Einen Entscheidungskonflikt habe die Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt. Dass sie infolge ihrer erheblichen kognitiven Beeinträchtigung und spastischen Störung infolge des Hirnschadens zum Entscheidungskonflikt nicht persönlich angehört werden könne, gehe zu ihren Lasten. Die fehlende persönliche Anhörung werde auch nicht durch unstreitige oder aufklärbare streitige Umstände kompensiert. Zum Zeitpunkt der probeweisen Umstellung der Medikation ab 22. März 2000 auf Cordarex habe unstreitig festgestanden , dass bei der Klägerin eine absolute Tachyarrhythmie bestand, die sich als mit Beta-Blockern nicht behandelbar herausgestellt habe. Daraus, dass die Klägerin behaupte, sie habe zunächst nur die Verträglichkeit ihrer Herzmittel mit ihren nach dem Selbstmord ihres Mannes verordneten Antidepressiva bei der Beklagten abklären lassen wollen, lasse sich für ihre Entscheidungslage zum 22. März 2000 nichts ableiten. Vielmehr spreche der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand der Medikamente bemüht habe, eher dafür, dass sie sowohl ihre Depressionen als auch ihre Herzrhythmusstörungen grundsätzlich weiterhin habe behandeln lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen Entscheidungskonflikt fänden sich jedenfalls nicht.

II.

7
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision, welche sich ausschließlich gegen die Verneinung der Haftung wegen eines Aufklärungsversäumnisses wenden, nicht stand.
8
1. Im Ansatz zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Der Arzt, der Medikamente, die sich als für die Behandlung der Beschwerden des Patienten ungeeignet erwiesen haben, durch ein anderes Medikament ersetzt, dessen Verabreichung für den Patienten mit dem Risiko erheblicher Nebenwirkungen verbunden ist, hat den Patienten zur Sicherung seines Selbstbestimmungsrechts über den beabsichtigten Einsatz des neuen Medikaments und dessen Risiken aufzuklären (sogenannte Eingriffs- oder Risikoaufklärung ). Tut er dies nicht, ist die Behandlung rechtswidrig, auch wenn der Einsatz des Medikaments an sich sachgerecht war (vgl. Senatsurteile BGHZ 162, 320, 323 f.; vom 27. Oktober 1981 - VI ZR 69/80 - VersR 1982, 147, 148 f. = AHRS 5100/5; vgl. auch für den Fall einer Routineimpfung Senatsurteil BGHZ 144, 1, 5). Das Berufungsgericht stellt fest, dass die Behandlung mit Cordarex mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% nachteilige Nebenwirkungen im Bereich der Lunge, der Schilddrüse, der Augen und der Haut nach sich ziehe und dass Cordarex deshalb als Reservemedikament erst zum Einsatz kommen solle, wenn andere weniger riskante Mittel nicht anschlagen. Die Revision weist ergänzend darauf hin, dass es sich bei den zu befürchtenden Nebenwirkungen um Schilddrüsenfunktionsstörungen, schwere entzündliche Lungenerkrankungen und Leberschäden, periphere Neuropathien und/oder Myopathien sowie Augenschäden, und ferner um Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems , der Gefäße, des Gastrointestinaltrakts, der Haut, des Nervensystems, der Geschlechtsorgane und Brustdrüsen, der Nieren- und Harnwege sowie der Skelettmuskulatur und des Bindegewebes handele. Unter diesen Umständen bejaht das Berufungsgericht zutreffend eine grundsätzliche Aufklärungspflicht des Arztes über die beabsichtigte Behandlung mit Cordarex und die damit verbundenen Risiken.
9
2. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts , über die zwar seltene, aber möglicherweise mit schwer wiegenden Folgen verbundene Komplikation eines Herzstillstandes habe hier deshalb nicht aufgeklärt werden müssen, weil das abgesetzte Medikament insoweit gefährlicher , die konkrete Gefahr durch den Einsatz des Cordarex demnach vermindert worden sei.
10
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Einsatz des Medikaments Cordarex mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für den Herzstillstand. Für das Revisionsverfahren ist deshalb zu unterstellen, dass dies tatsächlich der Fall war. Muss - wovon nach dem bisherigen Sachstand auszugehen ist - das Risiko eines Herzstillstandes als typisches Risiko der Verabreichung von Cordarex angesehen werden, so war wegen der schwer wiegenden Folgen eine Aufklärung auch hierüber erforderlich. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet, so dass grundsätzlich auch über derartige äußerst seltene Risiken aufzuklären ist (Senatsurteile BGHZ 144, 1, 5 f. und vom 21. November 1995 - VI ZR 341/94 - VersR 1996, 330, 331; ferner BGHZ 126, 386, 389).
11
Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass das Risiko eines Herzstillstandes durch das der Klägerin zuvor verabreichte Medikament Propafenon höher gewesen sei, führt schon deshalb nicht weiter, weil nicht festgestellt ist, dass die Klägerin über diese Wirkung des Propafenon aufgeklärt worden ist und gleichwohl mit seiner Verabreichung einverstanden war. Ohnehin können die Risiken einer zuvor erfolgten ärztlichen Behandlung mit den Risiken der nunmehr vorgenommenen Behandlung nicht "verrechnet" werden. Vielmehr ist der Patient vor dem Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken vollständig aufzuklären (Senatsurteil BGHZ 162, 320, 323 ff. m.w.N.).
12
3. Nicht zu billigen ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, der Einsatz eines neuen Medikaments sei ohne Einwilligung des Patienten vorübergehend zulässig, wenn zunächst ermittelt werden solle, ob das Medikament überhaupt anschlage und sich dessen Risiken in der Erprobungsphase der Medikation noch nicht auswirkten.
13
a) Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob das Berufungsgericht den Sachvortrag der Parteien und das Ergebnis der Beweisaufnahme ausreichend in Betracht gezogen hat. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte darauf berufen hat, sie habe von einer Aufklärung der Klägerin nur vorübergehend absehen und diese bei einem Anschlagen des Medikaments vor Beginn der Dauermedikation nachholen wollen. Mit Recht macht die Revision auch geltend, die Zeitberechnungen des Berufungsgerichts könnten auf einem fehlerhaften Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen beruhen. Diese seien ledig- lich dahin zu verstehen, dass die Verwirklichung der beschriebenen Risiken in dem kurzen Zeitraum, in dem das Cordarex hier verabreicht wurde, noch nicht durch das Auftreten konkreter Krankheitserscheinungen sichtbar geworden wären , nicht aber dahin, dass sie in diesem Zeitraum noch nicht hätten entstehen können. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass sich das Berufungsgericht dieser möglichen Differenzierung bewusst gewesen und dass dieser Gesichtspunkt mit dem Sachverständigen erörtert worden ist.
14
b) Vor allem aber kann den Ausführungen des Berufungsgerichts auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gefolgt werden. Ergeben sich beim Einsatz eines Medikaments für den Patienten andere Risiken als bei der bisherigen Medikation, ist der Patient bereits vor dessen erstem Einsatz entsprechend aufzuklären. Nur so wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in ausreichender Weise gewahrt. Nur so wird auch vermieden, dass eine haftungsrechtliche "Grauzone" für die Erprobungsphase eines neuen Medikaments entsteht. Auch könnte es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten beeinträchtigen, wenn die Aufklärung bzw. seine Entscheidung über den Einsatz des Medikaments auf einen Zeitpunkt verschoben würde, in dem möglicherweise der Eindruck der Beschwerdelinderung durch einen einsetzenden Therapieerfolg den Blick auf die erheblichen Risiken der Medikation verstellen kann.
15
Erforderlich ist vielmehr, dass der Patient bereits vor dem ersten Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken aufgeklärt wird, damit er entscheiden kann, ob er in dessen Erprobung überhaupt einwilligen oder ob er wegen der möglichen Nebenwirkungen von vornherein darauf verzichten will.
16
4. Schließlich sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zur hypothetischen Einwilligung der Klägerin von Rechtsfehlern beeinflusst.
17
a) Der Einwand der Behandlungsseite, der Patient hätte sich einem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung über dessen Risiken unterzogen, ist grundsätzlich beachtlich (Senatsurteil BGHZ 90, 103, 111 = AHRS 1050/12). Den Arzt trifft insoweit die Behauptungs- und Beweislast. Er ist mit dem Beweis für seine Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben würde, allerdings nur zu belasten, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wären ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (Senatsurteile vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 962 = AHRS 1050/55; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302 = AHRS 1050/128 und 6805/105 m.w.N.). Feststellungen darüber, wie sich ein Patient bei ausreichender Aufklärung entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. Senatsurteile vom 26. Juni 1990 - VI ZR 289/89 - VersR 1990, 1238, 1240 = AHRS 6180/38; vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694 m.w.N.). Von diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend aus.
18
b) In ihrer Verallgemeinerung unrichtig ist indes die zum Rechtssatz erhobene Aussage des Berufungsgerichts, die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten zum Entscheidungskonflikt wirke sich grundsätzlich zu dessen Lasten aus. Der erkennende Senat fordert für den Regelfall eine per- sönliche Anhörung des Patienten, um zu vermeiden, dass das Gericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als nahe liegend oder vernünftig erscheint, ohne die persönlichen , möglicherweise weniger nahe liegenden oder als unvernünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt durch konkrete Nachfragen nachzugehen und sie auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Patienten sachgerecht beurteilen zu können. Dabei muss im Auge behalten werden, dass an den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung durch die Behandlungsseite grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, damit das Aufklärungsrecht des Patienten nicht auf diesem Wege unterlaufen wird (Senatsurteil vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - aaO), und dass die Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts durch den Patienten gefordert wird, um einem Missbrauch des Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorzubeugen (vgl. Senatsurteil BGHZ 90, 103, 112).
19
Danach scheidet eine schematische Beantwortung der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage aus. Alleine unter Berücksichtigung der aufgezeigten Spannungslage lässt sich im konkreten Einzelfall beurteilen, ob und in welcher Richtung sich die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten auswirkt. Sofern aufgrund der objektiven Umstände ein echter Entscheidungskonflikt eher fern, eine haftungsrechtliche Ausnutzung des Aufklärungsversäumnisses eher nahe liegt, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine hypothetische Einwilligung bejaht, obwohl der Patient dazu nicht persönlich angehört werden konnte. Ist indes nicht auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der Risiken , über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade "vernünftigen", jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung ent- schieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine aufgrund der Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung eine dem Patienten nachteilige Wertung vornehmen.
20
Deshalb kann auch der Revision nicht in vollem Umfang gefolgt werden, soweit sie die Ansicht vertritt, der behandelnde Arzt handele stets treuwidrig, wenn er sich auf eine hypothetische Einwilligung des Patienten berufe, obwohl dieser einen Entscheidungskonflikt nicht mehr darlegen könne. Richtig ist lediglich , dass die Behandlungsseite die Folgen der Unaufklärbarkeit zu tragen hat, wenn ein echter Entscheidungskonflikt ernsthaft in Betracht kommt. Ob dies der Fall ist, kann aber - wie ausgeführt - nur aufgrund einer umfassenden Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgestellt werden.
21
Da es demnach auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt, besteht zwischen den Entscheidungen des OLG Bamberg (VersR 1998, 1025 = AHRS 4265/124 und 5400/134; Revision der Kläger nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 3. Februar 1998 - VI ZR 226/97) und des OLG Oldenburg (VersR 2001, 1381 = AHRS 4370/301; Revision der Beklagten nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 237/00) nicht der vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich interpretierte Widerspruch.
22
c) Die Wertung der Umstände des vorliegenden Falls durch das Berufungsgericht dahin gehend, dass von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen sei, beanstandet die Revision mit Recht.
23
Das Berufungsgericht führt dazu lediglich aus, zu Beginn der Medikation mit Cordarex habe festgestanden, dass bei der Klägerin eine absolute Tachyarrhythmie bestand, die sich mit Beta-Blockern als nicht behandelbar herausgestellt habe. Der Umstand, dass sich die Klägerin um einen kompatiblen Zustand der Medikamente bemüht habe, spreche dafür, dass sie sowohl ihre Depressionen als auch ihre Herzrhythmusstörungen grundsätzlich weiterhin habe behandeln lassen wollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen Entscheidungskonflikt fänden sich deshalb nicht. Dem lässt sich nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht sämtliche Umstände, aus denen sich nach dem vorgetragenen und festgestellten Sachverhalt ein Entscheidungskonflikt ergeben konnte, in seine Würdigung einbezogen hat.
24
Der Würdigung war eine vollständige Aufklärung der Klägerin über die Nebenwirkungen des Cordarex, wie sie nach den vorstehenden Ausführungen erforderlich war, zugrunde zu legen. Die Revision verweist insoweit mit Recht darauf, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen der Einsatz des Medikaments nicht zum Zweck einer lebensverlängernden Behandlung, sondern zur Besserung der Beschwerden der Klägerin erfolgte und dass deshalb dem Nutzen einer Leidenslinderung die ganz erheblichen mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Gefahren des Medikaments hätten gegenüber gestellt werden müssen. Ein Entscheidungskonflikt liegt aber auf der Hand, wenn beim Einsatz eines Medikaments, das der Besserung der Beschwerden durch Herzrhythmusstörungen dienen soll, mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen wie etwa Schilddrüsenfunktionsstörungen , schwere entzündliche Lungenerkrankungen und Leberschäden , periphere Neuropathien oder Myopathien und - wenn auch mit geringer Wahrscheinlichkeit - ein Herzstillstand zu erwarten sind. Es mag sein, dass sich in einer solchen Situation eine Mehrheit der Patienten in der Hoffnung , die Nebenwirkungen würden sich nicht einstellen, für eine erfolgreiche Linderung der Beschwerden entscheidet. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass eine Konfliktlage zwischen dem Wunsch, die gegenwärtigen Beschwerden zu lindern, und der Gefahr, deshalb später erhebliche Gesund- heitsschäden hinnehmen zu müssen, durchaus besteht und der Patient sich in diesem Konflikt eigenverantwortlich entscheiden muss.
25
Das Berufungsgericht hätte deshalb unter den Umständen des Streitfalls eine hypothetische Einwilligung der Klägerin nicht bejahen dürfen. Dafür, dass die Beklagte den ihr insoweit obliegenden Beweis durch vorhandene Beweismittel führen könnte, ist nichts ersichtlich.

III.

26
Die Klageabweisung erweist sich mit der dafür im Berufungsurteil gegebenen Begründung danach als unrichtig, so dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muss. Das Berufungsgericht erhält dadurch auch Gelegenheit, die noch erforderlichen Feststellungen zur Ursächlichkeit der Einnahme von Cordarex für den Herzstillstand der Klägerin zu treffen.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Göttingen, Entscheidung vom 02.12.2004 - 2 O 612/03 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 04.05.2006 - 1 U 102/04 -