vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 31 O 170/02, 19.02.2004
Oberlandesgericht Düsseldorf, 18 U 78/04, 22.10.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 190/08 Verkündet am:
4. November 2010
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Es verstößt gegen den zivilprozessualen Grundsatz der Unmittelbarkeit der
Beweisaufnahme, wenn ein Gericht Aussagen, die Zeugen vor ihm in einem
anderen Verfahren gemacht haben, als gerichtsbekannt verwertet.
BGH, Urteil vom 4. November 2010 - I ZR 190/08 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. November 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Oktober 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist Transportversicherer der H. GmbH in K. (im Weiteren: Versenderin). Sie nimmt die Beklagte , die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versenderin wegen Verlusts von Transportgut in 13 Fällen in Höhe von 52.172,16 € nebst Zinsen auf Schadensersatz in Anspruch. Alle Transportaufträge wurden im sogenannten EDI-Verfahren abgewickelt. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 50.997,99 € nebst Zinsen verurteilt.

2
Das Berufungsgericht hat die Klage in seinem ersten Urteil vom 13. Oktober 2004 in Höhe von 41.140,49 € nebst Zinsen für begründet erachtet. Es ist dabei von einer unbeschränkten Haftung der Beklagten gemäß § 425 Abs. 1, § 435 HGB (in vier Schadensfällen) sowie nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (in neun Schadensfällen) ausgegangen. Ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden der Versenderin wegen unterlassener Wertdeklaration (§ 254 Abs. 1 BGB) oder Unterlassens eines Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) hat das Berufungsgericht verneint.
3
Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision der Beklagten unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen aufgehoben, soweit das Berufungsgericht über einen Betrag von 5.100,51 € nebst Zinsen hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hatte, weil das Berufungsgericht ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden der Versenderin in sechs Schadensfällen (2, 3, 5, 7, 8 und 13) verneint hatte (Urteil vom 30. Januar 2008 - I ZR 165/04, TranspR 2008, 122). Das Berufungsgericht hatte auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und der getroffenen Feststellungen zu Unrecht angenommen, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte Pakete bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandele, wenn der Wert des Paketinhalts 2.500 € übersteige. Zudem hatte der Senat die weitere Annahme des Berufungsgerichts beanstandet, die Gefahr eines besonders hohen Schadens drohe erst bei einem Paketwert oberhalb von 50.000 US-Dollar.
4
In dem jetzt mit der Revision angegriffenen Urteil hat das Berufungsgericht in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 wiederum ein Mitverschulden der Versenderin nach § 254 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB verneint und die Verurteilung der Beklagten erneut in Höhe von 41.140,49 € nebst Zinsen bestätigt.

5
Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage, soweit sie zur Zahlung von mehr als 5.100,51 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


6
I. Das Berufungsgericht hat zur Verneinung eines Mitverschuldens der Versenderin ausgeführt:
7
Der auf die unterlassene Wertdeklaration gestützte Mitverschuldenseinwand scheitere daran, dass sich nicht feststellen lasse, dass die Pakete im Falle einer solchen Deklaration sorgfältiger behandelt worden wären. Der Versand der abhandengekommenen Pakete sei im EDI-Verfahren mit rein elektronischer Übermittlung der Paketdaten erfolgt. Die aus Vernehmungen der von der Beklagten benannten Zeugen S. und C. in anderen Verfahren bekannt gewordene Arbeitsweise im EDI-Verfahren vermittele nicht die Überzeugung, dass die Beklagte die in Rede stehenden Sendungen bei einer EDV-mäßigen Wertdeklaration sorgfältiger als in ihrem Standardverfahren behandelt hätte. Ebenso wenig falle der Klägerin zur Last, dass die Versenderin die Beklagte nicht auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen, nämlich 5.000 € übersteigenden Schadens aufmerksam gemacht habe. Dieses Versäumnis habe sich auf den Geschehensablauf nicht ausgewirkt und nichts zur Schadensentstehung beigetragen. Die Beklagte habe bestätigt, dass sie die Übernahme von Standardpaketen mit einem ihr bekannten Wert von mehr als 5.000 € nicht ablehne, sondern diese ohne Besonderheiten in ihrem Standardverfahren befördere.

8
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9
1. Das Berufungsgericht hat seine Annahme, es könne nicht festgestellt werden, dass die abhandengekommenen Pakete im Falle einer Wertdeklaration sorgfältiger behandelt worden wären, hauptsächlich auf die Bekundungen der beiden Mitarbeiter der Beklagten S. und C. gestützt, die diese in einem anderen Verfahren, an dem die Beklagte beteiligt war, gemacht hatten. Es hat den Inhalt der Aussagen dieser Mitarbeiter als gerichtsbekannt angesehen und gemeint, diese Aussagen ebenso würdigen und verwerten zu können wie im vorliegenden Rechtsstreit erhobene Beweise.
10
2. Mit dieser Verfahrensweise hat das Berufungsgericht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 ZPO) verstoßen. Der Umstand, dass den Richtern des Berufungsgerichts bekannt war, was die Mitarbeiter der Beklagten S. und C. in einem anderen Verfahren ausgesagt hatten , ändert nichts an dem Grundsatz, dass die Beweisaufnahme nach § 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor dem Prozessgericht zu erfolgen hat. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme in einem anderen Verfahren können zwar im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, wenn dies von der beweispflichtigen Partei beantragt wird (BGH, Urteil vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421). Einen solchen Antrag haben jedoch weder die Klägerin noch die Beklagte gestellt. Die Beklagte hat vielmehr der Würdigung der Aussagen der in einem anderen Verfahren vernommenen Zeugen S. und C. ausdrücklich widersprochen und geltend gemacht, entweder sei eine erneute Beweisaufnahme (Gegenüberstellung) oder eine vollkommen neue Bewertung der Bekundungen notwendig. Es kommt hinzu, dass die in einem anderen Verfah- ren vernommenen Mitarbeiter S. und C. der Beklagten in diesem Verfahren von keiner Partei als Zeugen benannt worden sind. Auch deshalb durfte das Berufungsgericht deren Bekundungen, die sie in einem anderen Rechtsstreit gemacht haben, nicht ohne Weiteres zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens machen.
11
Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 355 ZPO ist nicht gemäß § 295 ZPO geheilt worden. Zwar kann auch das Recht, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zu rügen, nach § 295 ZPO verlorengehen (BGH, Urteil vom 9. Januar 1997 - III ZR 162/95, NJW-RR 1997, 506 mwN). Hier ist der Verstoß gegen § 355 ZPO jedoch erst durch das Urteil selbst offengelegt worden. In einem solchen Fall ist kein Raum für eine Heilung des Mangels, weil die betroffene Partei keine Möglichkeit hatte, den Fehler zu rügen (BGH, NJW-RR 1997, 506).
12
3. Die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme stellt einen Verfahrensfehler dar, der - soweit er nicht geheilt worden ist - dazu führt, dass ein dadurch gewonnenes Beweisergebnis nicht verwertet werden darf und eine darauf beruhende Entscheidung aufgehoben werden muss. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat seine Feststellungen zur Arbeitsweise der Beklagten im EDI-Verfahren maßgeblich auf die in diesem Verfahren nicht verwertbaren Aussagen der Mitarbeiter S. und C. der Beklagten in einem anderen Rechtsstreit gestützt. Ohne die verfahrensfehlerhaft verwerteten Bekundungen fehlt dem angefochtenen Urteil eine tragfähige Grundlage.
13
4. Die Revision rügt auch mit Erfolg einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung im Einzelnen dargelegt, auf welche Weise Wertpakete mit einer Wertdeklaration von mehr als 2.500 € befördert werden. Diesen Vortrag, auf den die Beklagte in zweiter Instanz Bezug genommen hat, hat die Beklagte durch die Benennung eines Zeugen unter Beweis gestellt. Auf die Vernehmung des von ihr benannten Zeugen hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht verzichtet. Dies ergibt sich aus ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 13. Mai 2008, in dem die Beklagte geltend gemacht hat, sie habe erst- und zweitinstanzlich ausführlich zur besonderen Behandlung von Wertpaketen vorgetragen und Beweis angetreten. Das Berufungsgericht hätte den erstinstanzlichen Beweisantritt der Beklagten daher im Berufungsverfahren berücksichtigen müssen.
14
III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15
Soweit der Tenor des angefochtenen Urteils neu gefasst und die Beklagte zur Zahlung von 41.140,49 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, bezieht dieser Ausspruch die aufgrund des Senatsurteils vom 30. Januar 2008 rechtskräftige Verurteilung der Beklagten in Höhe von 5.100,51 € mit ein. Gleichwohl ist das Berufungsurteil insgesamt aufzuheben, weil das Berufungsgericht nur über den 5.100,51 € übersteigenden Betrag von 36.039,98 € entschieden hat.
Bornkamm Pokrant Richter am BGH Prof. Dr. Büscher ist in Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Bornkamm
Schaffert Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 19.02.2004 - 31 O 170/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.10.2008 - I-18 U 78/04 -

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(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem

Zivilprozessordnung - ZPO | § 295 Verfahrensrügen


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Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, bedürfen keines Beweises.

Handelsgesetzbuch - HGB | § 425 Haftung für Güter- und Verspätungsschäden. Schadensteilung


(1) Der Frachtführer haftet für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung oder durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht. (2) Hat bei der Entstehung des Schade

Handelsgesetzbuch - HGB | § 435 Wegfall der Haftungsbefreiungen und -begrenzungen


Die in diesem Unterabschnitt und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen gelten nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 genannte Person

Zivilprozessordnung - ZPO | § 355 Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme


(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen. (2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine o

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Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, bedürfen keines Beweises.

(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen.

(2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt.

(1) Der Frachtführer haftet für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung oder durch Überschreitung der Lieferfrist entsteht.

(2) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders oder des Empfängers oder ein besonderer Mangel des Gutes mitgewirkt, so hängen die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit diese Umstände zu dem Schaden beigetragen haben.

Die in diesem Unterabschnitt und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen gelten nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 genannte Person vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewußtsein, daß ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat.

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 165/04 Verkündet am:
30. Januar 2008
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und
Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 2004 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht über einen Betrag von 5.100,51 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 15. August 2002 hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist Transportversicherer der H. GmbH in Karlsbad (im Weiteren: Versenderin). Sie nimmt die Beklagte , die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versenderin wegen Verlusts von Transportgut in 13 Fällen auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Alle Transportaufträge wurden im sogenannten EDI-Verfahren abgewickelt. Hierbei handelt es sich um ein EDV-gestütztes Verfahren, bei dem die Versenderin die zu befördernden Pakete mittels einer von der Beklagten zur Verfügung gestellten Software selbst im System erfassen kann. Dieses System teilt sodann jedem Paket eine Kontrollnummer zu und erstellt einen Aufkleber, den die Versenderin auf das Paket aufbringen kann. Die Versanddaten werden auf elektronischem Wege an die Beklagte übermittelt. Der Abholfahrer der Beklagten nimmt die Vielzahl der von der Versenderin üblicherweise in einen sogenannten Feeder verladenen Pakete entgegen und quittiert die Gesamtzahl der übernommenen Pakete auf einem Absendermanifest. Einen Abgleich zwischen der Versandliste und dem Inhalt des Feeders nimmt der Abholfahrer nicht vor.
3
Die von der Beklagten im hier maßgeblichen Zeitraum verwendeten Allgemeinen Beförderungsbedingungen mit Stand von November 2000 enthielten (auszugsweise) folgende Regelungen: "… 2. Serviceumfang Sofern keine besonderen Dienstleistungen vereinbart werden, beschränkt sich der von U. angebotene Service auf Abholung, Transport, Zollabfertigung (sofern zutreffend) und Zustellung der Sendung. die Um vom Versender gewünschte kurze Beförderungsdauer und das niedrige Beförderungsentgelt zu ermöglichen, werden die Sendungen im Rahmen einer Sammelbeförderung transportiert. Der Versender nimmt mit der Wahl der Beförderungsart in Kauf, dass aufgrund der Massenbeförderung nicht die gleiche Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden kann. Der Versender ist damit einverstanden, wenn eine Kontrolle des Transportweges, insbesondere durch Ein- und Ausgangsdokumentation , an den einzelnen Umschlagstellen innerhalb des U. -Systems nicht durchgeführt wird. Soweit der Versender eine weitergehende Kontrolle der Beförderung wünscht, wählt er die Beförderung als Wertpaket. … 9. Haftung 9.2 Gelten keine Abkommensbestimmungen oder sonstige zwingende nationale Gesetze, wird die Haftung ausschließlich durch diese Bedingungen geregelt. In Deutschland ist die Haftung für Verlust oder Beschädigung begrenzt auf nachgewiesene direkte Schäden bis maximal DM 1.000,00 pro Sendung oder 8,33 SZR für jedes Kilogramm, je nachdem welcher Betrag höher ist…. Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die U. , seine gesetzlichen Vertreter, oder Erfüllungsgehilfen vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewußtsein, dass der Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen haben. … 9.4 Die Haftungsgrenze nach Ziffer 9.2 wird angehoben durch korrekte Deklaration eines höheren Wertes der Sendung auf dem Frachtbrief und durch Zahlung des in der "Tariftabelle und Serviceleistungen" aufgeführten Zuschlages auf den angegebenen Wert (Wertpaket). In keinem Fall dürfen die in Absatz 3 (a) (ii) festgesetzten Grenzen überschritten werden. Der Versender erklärt durch Unterlassung einer Wertdeklaration, dass sein Interesse an den Gütern die in Ziffer 9.2 genannte Grundhaftung nicht übersteigt. kann U. Wertzuschläge namens und im Auftrag des Versenders als Prämie für die Versicherung der Interessen des Versenders an eine Versicherungsgesellschaft weitergeben. In diesem Fall werden etwaige Ansprüche des Versenders auf Schadensersatz durch U. gestellt und im Namen der Versicherungsgesellschaft bezahlt. Die von U. für diese Zwecke eingesetzten Policen können bei der oben genannten Anschrift eingesehen werden. …"
4
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe auch im Schadensfall 1 das abhandengekommene Paket übernommen. Die verlorengegangenen Pakete hätten die in den Rechnungen und Lieferscheinen aufgeführten Waren enthalten. Die Beklagte müsse für die Warenverluste in voller Höhe haften, da sie keine Aufklärung über den Verbleib der Sendungen leisten könne.
5
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 52.172,16 € nebst Zinsen zu zahlen.
6
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat behauptet, ihre Allgemeinen Beförderungsbedingungen mit Stand von November 2000 seien in die streitgegenständlichen Beförderungsverträge einbezogen worden. Dadurch habe sie mit der Versenderin einen Verzicht auf Schnittstellenkontrollen vereinbart , weshalb ihr der Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens nicht gemacht werden könne. Im Übrigen müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden der Versenderin wegen fehlender Wertdeklaration zurechnen lassen. Im Falle einer Wertdeklaration behandele sie die ihr zur Beförderung übergebenen Pakete sorgfältiger, sofern deren Wert den Betrag von 2.500 € übersteige.
7
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 50.997,99 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht der Klägerin unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 41.140,49 € nebst Zinsen zuerkannt.
8
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


9
I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach § 425 Abs. 1, § 435 HGB (Schadensfälle 2, 3, 8 und 12) sowie Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Schadensfälle 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 und 13) angenommen. Zur Begründung hat es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:
10
Auch im Schadensfall 1 stehe fest, dass die Beklagte das Paket zur Beförderung übernommen habe. Die Unterschrift des Abholfahrers unter der EDIVersanddaten -Zusammenfassung in Verbindung mit dem Absendermanifest erbringe den Beweis für die Übergabe des Pakets, da die Beklagte nach Eingang des Feeders im ersten Umschlagslager nicht unverzüglich eine Differenz zwischen der übertragenen Versandliste und dem tatsächlichen Paketeingang reklamiert habe.
11
Der Beweis des ersten Anscheins spreche dafür, dass die in den Lieferscheinen und den korrespondierenden Rechnungen aufgeführten Waren dem von der Klägerin behaupteten Paketinhalt entsprochen hätten. In den Schadensfällen 2, 3, 5, 7 und 9 gäben die Lieferscheine und Rechnungen allerdings den Inhalt mehrerer Pakete wieder. Der zugunsten der Klägerin sprechende Anscheinsbeweis beziehe sich in diesen Fällen zunächst (nur) auf die Gesamtheit der versandten Waren. Daraus folge noch nicht, dass sich in dem jeweils in Verlust geratenen Paket die von der Klägerin behaupteten Waren befunden hätten. Die vorgelegten Absendermanifeste ließen aber weitere Rückschlüsse auf den Inhalt der Pakete zu. Gemäß § 287 ZPO stehe fest, dass die verloren gegangenen Pakete in den Schadensfällen 2 und 9 den von der Klägerin behaupteten Inhalt gehabt hätten. In den Schadensfällen 3, 5 und 7 sei dagegen von einem geringeren Warenwert auszugehen.
12
Die Beklagte hafte für die in Rede stehenden Verluste wegen qualifizierten Verschuldens unbeschränkt, da sie keine durchgängigen Ein- und Ausgangskontrollen an den Schnittstellen durchführe. Sie sei hiervon auch nicht befreit. Der nähere Vortrag der Beklagten zum vermutlichen Zeitpunkt der Verluste und zum Schadensort in den Schadensfällen 6 und 8 führe zu keiner anderen Beurteilung, da die Beklagte nicht im Einzelnen dargelegt habe, welche Sicherungsmaßnahmen sie hinsichtlich des jeweiligen Pakets am Schadensort zum Zeitpunkt des Abhandenkommens ergriffen habe.
13
Ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in Betracht. Es stehe nicht fest, dass die Beklagte die in Verlust geratenen Pakete mit erhöhter Sicherheit befördert hätte, wenn diese als Wertpakete versandt worden wären. In den Schadensfällen 1, 4, 6, 9, 10, 11 und 12 scheitere der Mitverschuldenseinwand schon daran, dass der Wert der Pakete unter der Grenze von 2.500 € gelegen habe. Nach ihrem eigenen Vortrag hätte die Beklagte diese Pakete in jedem Fall wie Standardpakete behandelt. In den übrigen Schadensfällen, in denen der Wert der Pakete über 2.500 € gelegen habe, komme ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB ebenfalls nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht dargetan habe, auf welche Weise Wertpakete im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert würden. Ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen Unterlassens eines Hinweises auf einen außergewöhnlich hohen Schaden scheide ebenfalls aus, da ein ungewöhnlich hoher Schaden erst ab einem Paketwert von über 50.000 US-Dollar anzunehmen sei.
14
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit dieses über einen Betrag von 5.100,51 € hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 ein Mitverschulden der Versenderin in Betracht.
15
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten für die hier in Rede stehenden Verluste von Transportgut nach § 425 Abs. 1, § 429 Abs. 1 HGB (Schadensfälle 2, 3, 8 und 12) und Art. 17 Abs. 1 CMR (Schadensfälle 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 und 13) bejaht. Es ist dabei zutreffend und von der Revision auch unbeanstandet davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Versenderin als Fixkostenspediteur i.S. von § 459 HGB beauftragt worden ist und dass sich ihre Haftung demge- mäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (§§ 425 ff. HGB, Art. 17 ff. CMR) beurteilt.
16
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht im Schadensfall 1 die Übergabe des verlorengegangenen Pakets an die Beklagte für bewiesen erachtet hat. Durch die Vereinbarung des EDI-Verfahrens haben die Versenderin und die Beklagte die Abrede getroffen, dass der Inhalt einer Versandliste für einen von dem Abholfahrer der Beklagten quittierten Feeder als bestätigt gilt, sofern die Beklagte dem nicht unverzüglich widerspricht. Denn der Versender kann nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) davon ausgehen, dass der Spediteur/Frachtführer nach Öffnung des verplombten Behältnisses , in dem sich die Pakete befinden, die Richtigkeit der Versandliste unverzüglich überprüft und dem Versender Beanstandungen ebenfalls unverzüglich mitteilt. Unterbleibt eine solche Beanstandung, kann der Versender dies nach Sinn und Zweck des EDI-Verfahrens als Bestätigung der Versandliste ansehen , die damit die Wirkung einer Empfangsbestätigung erhält (BGH, Urt. v. 4.5.2005 - I ZR 235/02, TranspR 2005, 403, 404 = VersR 2006, 573). Die - wie bei einer Empfangsbestätigung - begründete Vermutung, dass die in der Versandliste aufgeführten Pakete in die Obhut der Beklagten gelangt sind, hat die Beklagte im Schadensfall 1 nicht widerlegt.
17
3. Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte schulde in den Schadensfällen 2, 3, 8 und 12 gemäß § 425 Abs. 1, § 435 HGB und in den Schadensfällen 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 und 13 gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR Schadensersatz, ohne sich auf die im Gesetz und in ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen vorgesehenen Haftungsbeschränkungen berufen zu können, da sie die hier in Rede stehenden Warenverluste leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, verursacht habe.

18
a) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagten leichtfertiges Handeln i.S. von § 435 HGB vorzuwerfen ist, da ihre Betriebsorganisation Ein- und Ausgangskontrollen beim Umschlag von Transportgütern nicht durchgängig vorsieht (vgl. BGHZ 158, 322, 330 ff.; BGH, Urt. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401 = VersR 2006, 570; BGH TranspR 2005, 403, 405 m.w.N.).
19
b) Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass die Versenderin nicht wirksam auf die Durchführung von Schnittstellenkontrollen verzichtet hat. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich ein solcher Verzicht nicht aus Nr. 2 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten (Stand November 2000). Dabei kann offenbleiben, ob sich die Regelung in Nr. 2 der Beförderungsbedingungen der Beklagten lediglich auf die Dokumentation der Schnittstellenkontrollen bezieht oder sich auch auf die Durchführung der Kontrollen selbst erstreckt. Wie der Senat zeitlich nach Verkündung des Berufungsurteils entschieden hat, wäre die Klausel, wenn sie einen Verzicht auf die Durchführung von Schnittstellenkontrollen selbst enthielte, gemäß § 449 Abs. 2 Satz 1 HGB bzw. Art. 41 CMR unwirksam (BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 108/04, TranspR 2006, 171, 173; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 103/04, TranspR 2006, 169, 170 = NJW-RR 2006, 758 Tz. 18 ff.).
20
4. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zu Inhalt und Wert der verlorengegangenen Pakete halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand.
21
a) Der Beweis für den Inhalt und den Wert des jeweils verlorengegangenen Pakets unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO (BGH, Urt. v. 20.7.2006 - I ZR 9/05, NJW-RR 2007, 28 Tz. 17 = TranspR 2006, 394; Urt. v. 26.4.2007 - I ZR 31/05, TranspR 2007, 418 Tz. 13; Urt. v. 20.9.2007 - I ZR 44/05, Umdr. S. 13). Der Tatrichter kann sich die Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, dem Fahrer der Beklagten seien die in den Rechnungen und Lieferscheinen aufgeführten Waren übergeben worden, daher anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls bilden (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 17).
22
b) In den Schadensfällen 1, 4, 6, 8, 10, 11, 12 und 13 hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass der Beweis für den Paketinhalt durch die Angaben in den Rechnungen und Lieferscheinen erbracht ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass - wenn die Übergabe des Pakets feststeht - die Angaben in den Rechnungen und Lieferscheinen die Vermutung nahelegen, dass die Versenderin die darin aufgeführten Waren tatsächlich an den Transporteur übergeben hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass im kaufmännischen Verkehr eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass an den gewerblichen Kunden exakt die bestellten und sodann berechneten Waren versandt wurden. Sofern die Güter - wie hier - in verschlossenen Behältnissen zum Versand gebracht wurden, ist bei kaufmännischen Absendern prima facie anzunehmen , dass die im Lieferschein und in der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in dem Behältnis enthalten waren (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2002 - I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 159; BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 19).
23
c) In den Schadensfällen 2, 3, 5, 7 und 9 hat sich das Berufungsgericht bei der Feststellung, welchen Inhalt die verlorengegangenen Pakete hatten, zwar auf § 287 ZPO gestützt, obwohl diese Frage einer Beweiswürdigung nach § 286 ZPO unterliegt. Trotz der Berufung auf § 287 ZPO hat sich das Berufungsgericht jedoch in jedem Einzelfall aus den Gesamtumständen seine Überzeugung verschafft, welche Güter in den abhandengekommenen Paketen ent- halten waren und welchen Wert sie verkörperten. Diese Ausführungen begegnen auch unter dem Gesichtspunkt einer freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO keinen Bedenken.
24
5. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts , die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderin in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 nicht zurechnen lassen.
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a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Falle des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB bzw. Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 471 = NJW 2003, 3626; Urt. v. 23.10.2003 - I ZR 55/01, TranspR 2004, 177, 179 = NJW-RR 2004, 394; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 4/04, TranspR 2006, 116, 117). Ein mitwirkender Schadensbeitrag des Versenders kann sich daraus ergeben, dass dieser eine Wertdeklaration unterlassen oder von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens abgesehen hat (BGH TranspR 2003, 467, 471; TranspR 2006, 116, 117; NJW-RR 2007, 28 Tz. 23).
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b) In den Schadensfällen 1, 4, 6, 9, 10, 11 und 12 hat das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Versenderin zu Recht verneint, weil der Wert der abhandengekommenen Pakete in diesen Fällen jeweils unter 2.500 € lag und die Beklagte selbst vorgetragen hat, sie befördere Pakete erst ab einem Wert von mehr als 2.500 € sicherer.
27
c) In den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 kann dem Berufungsgericht dagegen nicht in seiner Annahme beigetreten werden, ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen Unterlassens einer Wertdeklaration komme nicht in Betracht.

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aa) Die Annahme eines Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration setzt voraus, dass der Versender wusste oder hätte wissen müssen, dass das Paket im Falle der Wertdeklaration sicherer befördert worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 46/04, TranspR 2006, 205, 206 f.). Nach dem Vortrag der Beklagten waren deren Allgemeine Beförderungsbedingungen (Stand November 2000) Gegenstand der streitgegenständlichen Beförderungsverträge. Hiervon ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren auszugehen. Aufgrund der Regelungen in Nr. 2 dieser Beförderungsbedingungen hätte die Versenderin erkennen können und müssen, dass nach der Betriebsorganisation der Beklagten bei Wertpaketen eine erhöhte Beförderungssicherheit gewährleistet werden soll (vgl. BGH TranspR 2006, 205, 206 f.; BGH, Urt. v. 22.11.2007 - I ZR 74/05, Tz. 32 f.).
29
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und der bislang getroffenen Feststellungen in den Schadensfällen 2, 3, 5, 7, 8 und 13 ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB in Betracht. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte Pakete bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandele, also besonderen Sicherungen unterstelle, wenn der Wert des Paketinhalts 2.500 € übersteige.
30
(1) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan, auf welche Weise sie sicherstellt, dass Wertpakete auch im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert werden. Die von ihr vorgetragenen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen könnten nicht umgesetzt werden, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnähmen, bei der Eingabe der Paketdaten zwar eine Wertdeklaration vornähmen, das wertdeklarierte Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder gäben. Denn das Paket werde dann weiterhin wie eine Standardsendung befördert. Soweit die Beklagte in anderen Verfahren hierzu ausgeführt habe, der EDI-Kunde müsse dem Fahrer wertdeklarierte Pakete gesondert übergeben, fehle es vorliegend an näherem Vortrag dazu, wie sie die Versenderin hierüber informiert habe.
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(2) Mit dieser Begründung kann ein Mitverschulden der Versenderin wegen des Unterlassens einer Wertdeklaration nicht verneint werden. Zwar hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die von der Beklagten vorgetragenen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen nicht umgesetzt werden können, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnehmen, bei der Eingabe der Paketdaten eine Wertdeklaration vornehmen, das wertdeklarierte Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder geben. Eine gesonderte Behandlung ist aber im Falle einer separaten Übergabe an den Frachtführer möglich (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Da dies offenkundig ist, war dieser Umstand auch ohne einen ausdrücklichen Vortrag der Beklagten hierzu zu berücksichtigen (vgl. auch BGH, Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 85/05, TranspR 2007, 419 Tz. 22; Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 175/05, TranspR 2007, 414 Tz. 22).
32
Der Annahme eines Mitverschuldens steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Versenderin hierüber nicht informiert hat. Wenn - was mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten der Beklagten zu unterstellen ist - die konkrete Ausgestaltung des Versandverfahrens dem Absender keinerlei Anhaltspunkte bietet, auf welche Weise wertdeklarierte Pakete einem besonders kontrollierten Transportsystem zugeführt werden, hat er selbst Maßnahmen zu ergreifen, um auf eine sorgfältigere Behandlung des wertdeklarierten Pakets aufmerksam zu machen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Von einem schadensursächlichen Mitverschulden der Versenderin ist deshalb auszugehen, weil sie hätte erkennen können, dass eine sorgfältigere Behandlung durch die Beklagte nur gewährleistet ist, wenn wertdeklarierte Pakete nicht mit anderen Paketen in den Feeder gegeben, sondern dem Abholfahrer der Beklagten separat übergeben werden. Dass eine solche gesonderte Übergabe an den Abholfahrer erforderlich ist, liegt angesichts der Ausgestaltung des vorliegend angewandten Verfahrens, das im beiderseitigen Interesse der Beschleunigung des Versands darauf angelegt ist, dass Paketkontrollen zunächst unterbleiben (vgl. BGH TranspR 2005, 403, 404), für einen ordentlichen und vernünftigen Versender auf der Hand (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Da die Pakete im Falle einer erfolgten Wertdeklaration und gesonderten Übergabe an den Abholfahrer im Ergebnis aus dem EDI-Verfahren herausgenommen werden , bedarf es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keines weiteren Vortrags zur Beförderungssicherheit wertdeklarierter Pakete, für die es keinerlei Frachtpapiere gibt. Auf die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung von § 139 ZPO kommt es daher nicht an.
33
d) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Versenderin ergebe sich in den Schadensfällen 2, 3, 5, 8 und 13 auch nicht daraus, dass diese nicht auf die Gefahr eines besonders hohen Schadens hingewiesen habe (§ 254 Abs. 2 BGB). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein ungewöhnlich hoher Schaden nicht erst bei einem Paketwert oberhalb von 50.000 US-Dollar gegeben. Wie der Senat zeitlich nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, liegt es angesichts des Umstands, dass nach den Beförderungsbedingungen der Beklagten Beträge von etwa 500 € und 50.000 US-Dollar im Raum stehen, nahe, die Gefahr eines besonders hohen Schadens in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert des Pakets 5.000 € übersteigt, also etwa den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze von 511 € gemäß den Beförderungsbedingungen der Beklagten ausmacht (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 265/03, TranspR 2006, 208, 209; BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 34).
34
Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlichen Wert des Guts keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH TranspR 2006, 208, 209). Dazu hat das Berufungsgericht bislang - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
35
III. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Berufungsgericht über einen Betrag von 5.100,51 € (Summe der Schadensfälle 1, 4, 6, 9, 10, 11 und 12) hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Bornkamm Pokrant Büscher
Kirchhoff Bergmann
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 19.02.2004 - 31 O 170/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.10.2004 - I-18 U 78/04 -

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.

(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen.

(2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt.

(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.

(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.

(1) Die Beweisaufnahme erfolgt vor dem Prozessgericht. Sie ist nur in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht zu übertragen.

(2) Eine Anfechtung des Beschlusses, durch den die eine oder die andere Art der Beweisaufnahme angeordnet wird, findet nicht statt.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.