Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 325/19
vom
12. September 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:120919U5STR325.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. September 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2019 im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der in Deutschland bislang nicht vorbestrafte Angeklagte ist niederländischer Staatsangehöriger und lebt in den Niederlanden. Dort war er seit Mitte 2016 arbeitslos und hatte Schulden. Im Juli 2017 lernte er in einer von Marok- kanern betriebenen Autowerkstatt einen „M. “ kennen, der von den Geldprob- lemen des Angeklagten erfahren hatte und ihn darauf ansprach, ob er für ihn Drogen transportieren könne. Der Angeklagte erklärte sich dazu bereit und transportierte im März 2018 für einen Kurierlohn von 1.500 Euro per Flugzeug von Amsterdam nach Stockholm einen Koffer, in dem sich Drogen – mutmaßlich MDMA – befanden.
4
Nach dieser nicht verfahrensgegenständlichen Tat bat „M. “ den Angeklagten im Juli 2018, Drogen mit einem Lieferwagen nach Kopenhagen zu transportieren. Der Angeklagte erklärte sich für einen Lohn von 2.000 bis 3.000 Euro dazu bereit. Am 16. Juli 2018 kam es in den Niederlanden zur Übergabe eines Iveco Kleintransporters, der Angeklagte erhielt 800 Euro für die Fahrt und die damit verbundenen Kosten sowie ein Mobiltelefon, um mit „M. “ Kontakt zu halten. Zudem waren im Wagen ein Navigationsgerät mit der eingespeicherten Adresse eines Kopenhagener Hotels und – vom Angeklagten unbemerkt – ein GPS-Sender eingebaut.
5
Der von der Fahrerkabine getrennte Frachtraum war leer, wie der Angeklagte bei einer Kontrolle sah. Er ging davon aus, dass im Fahrzeug Betäu- bungsmittel versteckt waren, wusste aber nicht wo. Weil „M. “ vor allem mit Ha- schisch handelte, ging der Angeklagte davon aus, dieses zu transportieren; bil- ligend in Kauf nahm er eine Menge von ca. 15 kg, wobei er sich über die Qualität keine Gedanken machte. Tatsächlich befanden sich in einem zwischen Fahrerkabine und Frachtraum professionell verbauten Hohlraum 15 Pakete Haschisch mit einem Nettogewicht von über 350 kg (3.718 Platten) und Wirkstoffgehalten zwischen 28 und fast 34 Prozent (Gesamtwirkstoffmenge über 108 kg Tetrahydrocannabinol). Bei einer Kontrolle auf der Autobahn zwischen Bremen und Hamburg entdeckten Zollbeamte das Rauschgift.
6
2. Unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes der Aufklärungshilfe (§ 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG) hat das Landgericht einen minder schweren Fall der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen. Bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im Einzelnen ist die Strafkammer von der Vorstellung des Angeklagten ausgegangen, höchstens 15 kg Haschisch einzuführen. Hinsichtlich der nicht vom Vorsatz umfassten größeren Menge treffe ihn aufgrund des nur schwer erkennbaren Hohlraums und der mangels Werkzeugs nicht gegebenen Möglichkeit der Kontrolle der mitgeführten Betäubungsmittelmenge auch nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit, so dass dies keine strafschärfende Berücksichtigung finden könne.

II.


7
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
8
1. Die Revision ist ausweislich ihrer Begründung wirksam auf den Strafausspruch beschränkt, denn die Staatsanwaltschaft bemängelt weder Schuldspruch noch Einziehungsentscheidung, sondern lediglich, dass bei der Straf- rahmenwahl und der Strafzumessung im Einzelnen von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen sei.
9
2. In diesem Umfang hat das Rechtsmittel überwiegend Erfolg.
10
a) Zwar ist die Beweiswürdigung zu der Frage, welche Betäubungsmittelmenge vom Vorsatz des Angeklagten erfasst war, eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes (vgl. zum bedingten Vorsatz bezüglich derartiger Mehrmengen BGH, Urteile vom 5. Juli 2017 – 2 StR 110/17, und vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03; Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, NStZ 1999, 467) noch nicht zu beanstanden. Denn das Landgericht hat die diesbezügliche Einlassung des Angeklagten nicht ungeprüft übernommen, sondern auf das professionelle und vom Angeklagten nicht erkennbare Versteck, die Möglichkeit weniger voluminöser Verstecke im Fahrzeug , das Fehlen von Finger- und Handflächenspuren des Angeklagten an den Drogenpaketen und die Einschätzung der als Zeugen vernommenen Zollbeamten abgestellt, sie hätten bei der Fahrzeugkontrolle allenfalls mit einer Betäubungsmittelmenge von 10 bis 15 kg gerechnet. Damit hat die Strafkammer alle nach den Feststellungen wesentlichen Umstände des Falls erwogen und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge nicht auszuräumen vermocht. Diese dem Tatgericht obliegende Würdigung, die weder Würdigungslücken noch sonstige Rechtsfehler enthält, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
11
b) Keinen Rechtsfehler enthält auch die Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes der Beihilfe, denn die Strafkammer hat diese Erwägung zutreffend lediglich im Rahmen der Prüfung verwendet, ob auch ein minder schwerer Fall des Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 2 BtMG anzunehmen ist.
12
c) Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer allerdings einen Fahrlässigkeitsvorwurf des Angeklagten bezüglich der vom Vorsatz nicht erfassten Mehrmenge verneint und ist deshalb für die Strafzumessung von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen.
13
aa) Führt der Täter eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sich vorstellt, darf die von seinem Vorsatz nicht erfasste Mehrmenge nur dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin als strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (vgl. BGH, aaO und Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90). Bei deren Prüfung hat die Strafkammer einen verkürzten rechtlichen Maßstab angelegt , indem sie darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe das professionelle Drogenversteck nicht erkennen und mangels Werkzeugs nicht kontrollieren können.
14
bb) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , wenn gerade diese Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeiführt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 20. September 2017 – 1 StR 64/17, BGHSt 63, 11 mwN). Ob eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den vom Täter in der konkreten Lebenssituation zu erbringenden Sorgfaltsanforderungen. Vorhersehbar ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können, sofern sich die eingetretenen Folgen innerhalb der Lebenserfahrung bewegen; sie müssen nicht in allen Einzelheiten vorhersehbar sein (BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGH NJW 2015, 96). Vielmehr kann einem Täter auch zur Last gelegt werden, dass er in einer Situation gehandelt hat, obwohl die möglichen Folgen für ihn ungewiss und nicht voraussehbar waren (vgl. Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, 30. Aufl., § 15 Rn. 200 f. mwN). In diesem Zusammenhang ist besonders von Belang , inwieweit der Täter Veranlassung hatte anzunehmen, sein Verhalten sei in Hinblick auf das geschützte Rechtsgut riskant (Sternberg-Lieben/Schuster, aaO, Rn. 201 mwN).
15
cc) Nach diesen Maßstäben ist dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen der Strafkammer in Hinblick auf die von seinem Vorsatz nicht umfasste Mehrmenge ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Er hat ein sehr großes Fahrzeug (Transporter) über die Grenze gefahren, in dem eine ihm völlig unbekannte Menge Rauschgift so verbaut war, dass man sie nicht sehen konnte. Die bewusste Übernahme des Rauschgifttransports war objektiv und subjektiv pflichtwidrig. Weil ihm gegenüber keinerlei Angaben zu den transportierten Rauschgiftmengen gemacht worden waren, er das Drogenversteck nicht kannte und ihm zudem ein großes Lieferfahrzeug übergeben wurde, bei dem – anders als bei einem Kleinwagen – auch ganz erhebliche Drogenmengen verborgen werden können, lag es innerhalb des objektiv wie subjektiv Vorhersehbaren, dass der Transport auch mehrere hundert Kilo Rauschgift umfassen konnte. Dass der Angeklagte das Rauschgiftversteck nicht selbst untersuchen und prüfen konnte, ist ohne Relevanz (vgl. demgegenüber – nicht tragend – BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90). Denn ihm ist insoweit vorzuwerfen, dass er die für das Rechtsgut der Volksgesundheit riskante Einfuhrfahrt angetreten hat, ohne die Menge der transportierten Drogen überhaupt prüfen zu können.
16
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die fehlerhafte Bestimmung des Schuldumfangs auf die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im Einzelnen ausgewirkt hat. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich um einen bloßen Wertungsfehler des Landgerichts handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos. Die Feststellungen können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
17
4. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im angefochtenen Umfang nicht ergeben.
Mutzbauer Schneider Berger
Mosbacher Köhler

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Sept. 2019 - 5 StR 325/19

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Sept. 2019 - 5 StR 325/19

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Sept. 2019 - 5 StR 325/19 zitiert 5 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29a Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer1.als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder2.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe


Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich d

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Sept. 2019 - 5 StR 325/19 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Sept. 2019 - 5 StR 325/19 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Sept. 2014 - 4 StR 473/13

bei uns veröffentlicht am 04.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 473/13 vom 4. September 2014 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- StGB § 13 Abs. 1, § 222, § 239 Abs. 1 und Abs. 4 1. Hat es der h

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Apr. 2004 - 1 StR 522/03

bei uns veröffentlicht am 21.04.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 522/03 vom 21. April 2004 in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. A

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Sept. 2017 - 1 StR 64/17

bei uns veröffentlicht am 20.09.2017

BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja –––––––––––––––––––––––––– BtMG § 1 Abs. 1, § 29 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 1 1. Fahrlässig i.S.v. § 29 Abs. 4 BtMG treibt derjenige mit Betäubungsmitteln Handel, der bei fehlende

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juli 2017 - 2 StR 110/17

bei uns veröffentlicht am 05.07.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 110/17 vom 5. Juli 2017 in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a. ECLI:DE:BGH:2017:050717U2STR110.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sit

Referenzen

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 110/17
vom
5. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:050717U2STR110.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 25. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es „die sichergestellten Betäubungsmittel“ eingezogen. Dagegen richtet sich die auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen transportierte der Angeklagte am 17. Februar 2016 im Auftrag unbekannt gebliebener Dritter für einen Kurierlohn von 1.000 € insgesamt 62,5 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 15,5 Prozent aus den Niederlanden nach Deutschland. Er wusste, dass das Rauschgift gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Der Angeklagte stellte sein Fahrzeug auftragsgemäß in einem Industriegebiet ab und ging spazieren. Während seiner Abwesenheit wurde das Rauschgift von Dritten in seinem Fahrzeug deponiert. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt und sichergestellt.
3
2. Der Angeklagte hatte sich über Verteidigererklärungen in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, dass er „nur“ vom Transport von 10 Kilogramm Haschisch ausgegangen sei; ihm sei von seinen Auftraggebern gesagt worden, dass er sein Fahrzeug in einem Industriegebiet abstellen und spazieren gehen solle; während seiner Abwesenheit würden 10 Kilogramm Haschisch in dem Fahrzeug deponiert. Das Landgericht vermochte sich ungeachtet einer auf einem der Rauschgiftpakete gesicherten daktyloskopischen Spur des rechten Daumens des Angeklagten nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte hinsichtlich der Gesamtmenge mit jedenfalls bedingtem Vorsatz handelte.

II.


4
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils deckt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

III.

5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkge- setze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184; BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 – insofern in BGHSt 52, 314 nicht abgedruckt). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 423/16, juris Rn. 8). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannten Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184).
7
2. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft und lassen besorgen, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die Annahme bedingten Vorsatzes bezogen auf die Menge des transportierten Rauschgifts gestellt hat. Insoweit gilt:
8
Ein Drogenkurier, der sich zum Transport von Betäubungsmitteln bereit erklärt und weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel damitrechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart hat. Ist ihm bei dieser Sachlage die tatsächliche Menge der Betäubungsmittel gleichgültig, so handelt er mit bedingtem Vorsatz bezüglich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, NStZ 1999, 467; BGH, Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03, NStZ-RR 2004, 281). Dies liegt in Fällen, in denen zwischen dem Kurier und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht, regelmäßig nahe. Gegen einen bedingten Vorsatz können im Einzelfall Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm in Bezug auf die Betäubungsmittelmenge die Wahrheit gesagt (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, NStZ 1999,

467).

9
a) Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind lückenhaft, weil der Tatrichter die allein über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht auf ihre Plausibilität überprüft und in Bezug zu seinen früheren Bekundungen gesetzt hat. Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass „die Einlassung des Angeklagten unterstellt“ werden müsse und nur dann widerlegt werden könne, wenn gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen. Dies greift zu kurz. An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184). Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Angaben im Verlaufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184).
10
b) Das Landgericht hat zwar erkannt, dass die über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in einem zentralen Punkt mit den übrigen Beweisergebnissen nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen war; seine Erklärung, während des Verladens des Rauschgifts in sein Fahrzeug spazieren gegangen zu sein, lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres damit in Einklang bringen, dass auf dem Verpackungsmaterial eines der Betäubungsmittelpakete unterhalb des Klebebands eine Fingerspur – der Abdruck des rechten Daumens – des Angeklagten gesichert worden ist. Soweit die Strafkammer die Beweisbedeutung dieses Indizes mit der Begründung relativierte , die festgestellte einzelne Fingerspur deute nicht darauf hin, dass der Angeklagte die – sehr große, aus 56 Blöcken und 208 Platten bestehende – Rauschgiftmenge selbst in das Fahrzeug gelegt oder sonst „bei einem Verbringen der Betäubungsmittel in das Fahrzeug in irgendeiner Weise mitgewirkt“ habe , da anderenfalls mehr als nur eine einzelne Fingerabdruckspur hätte aufgefunden werden müssen, sind diese Erwägungen lückenhaft. Das Landgericht hat die Lage der Fingerspur unterhalb der Verpackung nicht erkennbar in den Blick genommen. Darüber hinaus hat es sich nicht mit der nahe liegenden Geschehensvariante auseinander gesetzt, dass der Angeklagte bei der Verbrin- gung der Betäubungsmittel in das professionelle Schmuggelversteck seines Fahrzeuges anwesend gewesen sein könnte und dabei eines der Pakete berührt hat. Eine solche Geschehensvariante wäre zwanglos mit der Spurenlage vereinbar und könnte zugleich dafür sprechen, dass der Angeklagte Kenntnis von der ungefähren Gesamtmenge der von ihm tatsächlich transportierten Betäubungsmittel hatte.
11
c) Schließlich fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Annahme eines auf die tatsächlich transportierte Gesamtmenge bezogenen bedingten Vorsatzes des Angeklagten. In diesem Zusammenhang wäre auch in die Erwägungen einzustellen gewesen, dass der Angeklagte „das Versteck und vor allem dessen Größe kannte“ (vgl. UA S. 11).
12
Bei dieser Sachlage bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Der Senat hebt auch die auf § 33 Abs. 2 BtMG gestützte Einziehungsanordnung auf, um dem neuen Tatrichter die Gelegenheit zu geben, sie hinreichend bestimmt abzufassen. Der Ausspruch über die Anordnung einer Einziehung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und bei der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht. Im Falle der Einziehung von Betäubungsmitteln gehört dazu die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem Urteilstenor ergeben muss. Dies wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter nachzuholen haben.
14
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
15
Sollte der neue Tatrichter Zweifel an der subjektiven Tatseite hinsichtlich der Mehrmenge nicht zu überwinden vermögen, wird er zu prüfen haben, ob dem Angeklagten insoweit Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, NStZ 1999, 467; BGH, Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03, NStZ-RR 2004, 281). RiBGH Prof. Dr. Krehl ist Eschelbach Bartel durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Eschelbach RiBGH Dr. Grube ist Schmidt durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 522/03
vom
21. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. April
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Juli 2003 aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit das Landgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten abgesehen hat. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener unerlaubter Einfuhr von und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seinen Pkw und 21,922 kg Kokain eingezogen sowie 980 € für verfallen erklärt; von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten hat es abgesehen. Die
wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich nach ihrer in der Verhandlung erklärten Beschränkung noch gegen den Strafausspruch und das Unterbleiben der Entziehung der Fahrerlaubnis; sie ist begründet.
Nach den getroffenen Feststellungen transportierte der Angeklagte auf Veranlassung eines gewissen "O." mit seinem Pkw Opel Corsa, versteckt hinter den rückwärtigen Seitenverkleidungen, insgesamt 21,922 kg Kokain von Maastricht (Niederlande) aus nach Italien. Das Rauschgift war von einem Dritten , dem er das Fahrzeug vorübergehend überlassen hatte, im Wagen deponiert worden. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt. Der Angeklagte hat sich unter anderem dahin eingelassen, mit "O." sei lediglich der Transport einer Menge von zwei Kilogramm verabredet gewesen. Die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Angeklagte hinsichtlich der Mehrmenge mit bedingtem Vorsatz oder auch nur fahrlässig gehandelt habe.
I. Die Revision des Angeklagten:
Die Nachprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafrahmenmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG (i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei versagt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nicht dazu beigetragen , daß die Tat über seinen eigenen Beitrag hinaus aufgeklärt werden konnte.
2. Der Senat schließt aus, daß die Strafkammer bei der konkreten Zumessung der Strafe die Wirkungen der ausgesprochenen achtjährigen Frei-
heitsstrafe für das künftige Leben des Angeklagten nicht hinreichend bedacht haben könnte. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft hebt die Kammer ausdrücklich hervor, der Angeklagte sei durch die Trennung von seiner Familie nicht unerheblich beeindruckt (UA S. 22). Sie hat zudem den Lebensweg und die Lebensverhältnisse des Angeklagten ausführlich festgestellt. Daß ihr unter diesen Umständen die Wirkungen der verhängten Freiheitsstrafe aus dem Blick geraten sein könnten, ist ersichtlich nicht zu besorgen. Nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte sind in den Urteilsgründen ausdrücklich anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Angesichts des Gewichts der Tat des Angeklagten konnte den Folgen der Freiheitsentziehung ersichtlich nur geringe Bedeutung zukommen.
3. Der Strafausspruch begegnet auch sonst keinen rechtlichen Bedenken.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unbegründet. Die Verlesung des Protokolls der Vernehmung des Angeklagten durch den Ermittlungsrichter drängte sich nicht auf. Die Beschwerdeführerin hat dies dementsprechend in der Hauptverhandlung auch nicht beantragt, sondern lediglich angeregt.
2. Die Strafkammer hat zu Recht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der ersten Äußerungen des Angeklagten gegenüber de r Polizei zur Menge des von ihm transportierten Kokains angenommen. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt seiner Äußerungen nicht als Beschuldigter beleh rt; die Strafkammer konnte sich auch nicht davon überzeugen, daß ihm die Beschuldigtenrechte aufgrund der in zurückliegender Zeit in Italien erfolgten Verurteilungen geläufig
und aktuell bewußt waren. Die Erwägungen dazu sind tragfähig; gegen sie ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
3. Sachlich-rechtlich halten die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der vom Angeklagten transportierten Kokainmenge der Überprüfung jedoch nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Soweit die Beschwerdeführerin die Verneinung bedingten Vorsatzes des Angeklagten hinsichtlich der Kokainmenge beanstandet, deckt sie indessen keinen Rechtsfehler auf. Zwar wird ein Drogenkurier, der weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluß nehmen noch diese Menge überprüfen kann, in der Regel auch damit rechnen müssen, daß ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Läßt er sich auf ein solches Unternehmen ein, dann liegt auf der Hand, daß er die Einfuhr einer Mehrmenge billigend in Kauf nimmt. Gegen einen derartigen bedingten Vorsatz können aber Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm die Wahrheit gesagt (vgl. nur BGH NStZ 1999, 467).
Die Strafkammer hat hier alle Umstände des Falles ausdrücklich erwogen und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge nicht auszuräumen vermocht (vgl. UA S. 14-17). Diese tatsächliche Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; sie läßt weder Würdigungslücken noch sonst von Rechts wegen zu beanstandende Erwägungen erkennen.

b) Die Urteilsgründe leiden indessen an einem Erörterungsmangel insoweit , als das Landgericht auch einen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der gesamten Rauschgiftmenge verneint. Es begründet dies nicht weiter, sondern
verweist lediglich auf die Ausführungen zur Verneinung bedingten Vorsatzes. Das ist hier nicht tragfähig. Angesichts der geringeren Anforderungen an die Annahme etwa bewußter Fahrlässigkeit (vgl. dazu nur Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 1437 ff., insbesondere 1440-1442) und der übrigen zum Geschehensrahmen festgestellten Umstände hätte das besonderer Begründung bedurft. Da der Angeklagte die Größe der Hohlräume in seinem Pkw kannte und diese seinem Auftraggeber "O." gar vor Antritt der Fahrt durch Abschrauben einer Seitenverkleidung gezeigt hatte, liegt die Annahme von Fahrlässigkeit nicht fern.

c) Die abgeurteilten Straftatbestände setzen wenigstens Vorsatz voraus. Führt der Täter aber eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sie sich vorgestellt hat, so darf die von seinem Vorsatz nicht umfaßte Mehrmenge dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. auch § 29 Abs. 4 BtMG; BGH StV 1996, 90; BGH, Urt. v. 20. Dezember 1995 - 2 StR 460/95). Die Strafkammer indessen hat hier die strafschärfende Berücksichtigung der die Vorstellung des Angeklagten übersteigenden Rauschgiftmenge ausdrücklich abgelehnt (UA S. 24).
Danach kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß die hohe Strafe ohne den rechtlichen Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge: 2 kg; tatsächlich transportierte Menge: fast 22 kg Kokain) noch höher ausgefallen wäre.
4. Schließlich hält auch die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat lediglich ausgeführt, der versteckte Transport des Rauschgifts im Fahrzeug rechtfertige nicht die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das genügte hier nicht.
Der Angeklagte war im Begriff, eine außergewöhnlich große Menge von Betäubungsmitteln im Auftrag einer kriminellen Organisation - auch aus persönlichem Gewinnstreben - unter Einsatz seines Pkw's von Maastricht nach Italien zu transportieren. Er hat sein Fahrzeug gezielt als Transport- und damit als Tatmittel eingesetzt sowie seine Fahrerlaubnis - sollte er über eine solche verfügen - für eine schwerwiegende Straftat mißbraucht. Vor dem Hintergrund seiner Vorverurteilungen auch wegen Betäubungsmitteldelikten und angesichts der Ergebnisse der Haaranalyse, der Urinprobe sowie des positiven "DrugWhipe -Tests" lag deshalb die Annahme nahe, er sei charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 69 Abs. 1, §§ 69a, 69b StGB; vgl. zur Maßregel weiter: Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 69b Rdn. 3).
Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Maßregel auf die neuerdings vom 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Rechtsauffassung zur Auslegung des § 69 Abs. 1 StGB berufen, die von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht. Der erkennende Senat folgt dem jedoch nicht (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 - NStZ 2003, 658 m.w.N.). Er ist durch das vom 4. Strafsenat eingeleitete Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht gehindert, wie geschehen zu entscheiden (vgl. BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1).
5. Der Strafausspruch sowie die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis bedürfen danach neuer Verhandlung und Entscheidung. Die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Boetticher Schluckebier Kolz Elf Graf

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
1. Fahrlässig i.S.v. § 29 Abs. 4 BtMG treibt derjenige mit Betäubungsmitteln Handel,
der bei fehlendem Vorsatz hinsichtlich der Betäubungsmitteleigenschaft eines
Stoffs oder einer Zubereitung eine auf solche Objekte bezogene, eigennützige und
auf Umsatz gerichtete Tätigkeit entfaltet, obwohl er nach den konkreten Umständen
des Einzelfalls bei sorgfältigem Verhalten die Betäubungsmitteleigenschaft
hätte erkennen können.
2. Welche darauf bezogenen Sorgfaltspflichten einzuhalten sind, bestimmt sich wesentlich
anhand der einzelfallbezogen zu beurteilenden Vorhersehbarkeit des Umstands
, mit Betäubungsmitteln i.S.v. § 1 Abs. 1 BtMG tatbestandlich umzugehen.
BGH, Urteil vom 20. September 2017 – 1 StR 64/17 – LG Heilbronn
ECLI:DE:BGH:2017:200917U1STR64.17.1
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 64/17
vom 20. September 2017 in der Strafsache gegen

1.


2.



wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

ECLI:DE:BGH:2017:200917U1STR64.17.0
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Verteidigerin des Angeklagten F. ,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 15. Juli 2016 und ihre sofortige Beschwerde gegen die in dem genannten Urteil getroffene Entscheidung über die Pflicht zur Entschädigung des Angeklagten F. werden verworfen.
2. Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. unter Freispruch im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt sowie dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung von Strafe und Maßregel ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Der AngeklagteF. ist vollumfänglich freigesprochen worden. Das Landgericht hat in Bezug auf diesen Angeklagten zudem entschieden, dass ihm für den durch den Vollzug von Untersuchungshaft erlittenen Schaden eine Entschädigung zu Lasten der Staatskasse gewährt wird.
2
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer den Angeklagten K. betreffenden Revision dessen Freisprechung in den Fällen 375 sowie 380 bis 383 der Anklage und wendet sich im der Verurteilung zugrunde liegenden Fall 384 gegen den Strafausspruch. In Bezug auf den Angeklagten F. greift sie mit ihrem Rechtsmittel dessen Freispruch im Fall 384 der Anklage an und begehrt dessen Verurteilung wegen Beihilfe zum bewaffneten unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln. Die Revisionen stützen sich jeweils auf die Verletzung materiellen Rechts. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde gegen die Grundentscheidung des Landgerichts zur Entschädigung des Angeklagten F. nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen eingelegt.
3
Die vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertretenen Rechtsmittel bleiben erfolglos.

I.


4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lieferte der Angeklagte K. einem befreundeten Zeugen mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Kräutermischungen. In der Folgezeit nahm der Zeuge seinerseits über das Internet einen Versandhandel mit selbst hergestellten Kräutermischungen auf, wobei jeweils synthetische Cannabinoide verwendet wurden, die (noch) nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfielen. Auf Anfrage des Zeugen hin beteiligte sich der Angeklagte an der Herstellung und Vermarktung der Mischungen. Nach einiger Zeit zog sich der Zeuge vor allem wegen seiner durch den Konsum von Kräutermischungen angegriffenen Gesundheit aus dem Handel zurück. Er übertrug u.a. die Rechte an der eingerichteten Webseite für den Vertrieb auf den Angeklagten. Dieser meldete seinerseits den Handel als Gewerbe an und ließ sich eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zuteilen.
5
Die für die Herstellung der Kräutermischungen erforderlichen synthe- tischen Cannabinoide bezog der Angeklagte ausschließlich bei einem unter „r. “ firmierenden Unternehmen, das die Lieferungen über DHL bewirkte und Bestellungen per Nachnahme akzeptierte. Der Angeklagte recherchierte wöchentlich , ob die von ihm bestellten synthetischen Cannabinoide weiterhin legal waren. Ergaben sich Anzeichen dafür, dass von ihm bereits bestellte Substanzen in die Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen werden würden , verwendete er diese nicht mehr im Vertrieb der Kräutermischungen.
6
Es kam am 14. August 2015 (Fall 375 der Anklage) sowie an verschiedenen Tagen im Oktober 2015 (Fälle 380-383 der Anklage) dennoch zu Veräußerungen von Kräutermischungen, die entgegen der Erwartung des Angeklagten nicht das zu den jeweiligen Verkaufszeitpunkten legale synthetische Cannabinoid MDMB-CHMINACA, sondern die Wirkstoffe AB-CHMINACA und 5F-AB-PINACA enthielten. Letztgenanntes hatte der Angeklagte K. zu keinem Zeitpunkt bei seinem Lieferanten „r. “ und Erstgenanntes bereits seit längerem nicht mehr bestellt.
7
Im Fall 384 der Anklage hatte der Angeklagte K. zwischen Anfang März 2015 und 22. August 2015 bei „r. “ mehrfach das synthetische Cannabinoid MDMB-CHMINACA bestellt und Lieferungen erhalten. Aufgrund seiner regelmäßigen Recherchen über die Legalität der von ihm für die Herstellung der Kräutermischungen verwendeten Cannabinoide ging er davon aus, dass der vorgenannte Wirkstoff durch die 30. Verordnung zum Betäubungsmittelgesetz mit Wirkung zum 12. November 2015 verboten werden sollte. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt noch über rund 3,3 kg Kräutermischungen, bei deren Herstellung er nach seiner Vorstellung MDMB-CHMINACA verwendet hatte. Nachdem der Angeklagte K. von einer polizeilichen Vertrauensperson wegen des Ankaufs einer größeren Menge cannabinoidhaltiger Kräutermischungen kontaktiert worden war, kam es am 13. November 2015 zu einem Verkaufsgespräch in der Wohnung des Angeklagten K. . Dabei wurde der Kauf von zwei Kilogramm Kräutermischungen zu einem Grammpreis von 1,50 Euro vereinbart. Nach einem ausdrücklichen Hinweis des Angeklagten K. auf die – seiner Meinung nach – nunmehrige Illegalität des Geschäfts wegen des vermeintlichen Inkrafttretens der 30. BtMÄndV zum 12. November 2015 (tatsächlich trat diese erst am 21. November 2015 in Kraft, BGBl. I S. 1992) verabredeten beide die Übergabe für den 19. November 2015.
8
Am genannten Tag händigte der Angeklagte K. in Anwesenheit des Mitangeklagten F. der polizeilichen Vertrauensperson rund 1,6 kg Kräutermischung zu einem Preis von 3.000 Euro aus. Entgegen der Vorstellung des Angeklagten K. enthielt die Mischung nicht das synthetische Cannabinoid MDMB-CHMINACA, sondern als Wirkstoffe knapp 7,6 g 5F-AB-PINACA sowie gut 8 g AB-CHMINACA; beides ebenfalls synthetische Cannabinoide. Zudem lagerte in der Wohnung des Angeklagten K. eine weitere, zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmte Menge Kräutermischungen mit Wirkstoffmengen von knapp 8,6 g AB-CHMINACA sowie knapp 6 g 5F-AB-PINACA. In der Wohnung befanden sich, dem Angeklagten K. bewusst, zahlreiche Waffen und gefährliche Gegenstände wie u.a. eine Armbrust mit Pfeilen, eine Machete, eine mit Platzpatronen geladene Schreckschusspistole und ein Baseballschläger. Sie waren von ihm zur Verletzung von Personen bestimmt.
9
2. Das Landgericht hat den Angeklagten K. in den Fällen 375 sowie 380 bis 383 der Anklage freigesprochen, weil es weder die Voraussetzungen vorsätzlichen noch diejenigen fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festzustellen vermochte. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gemäß § 29 Abs. 4 BtMG komme nicht in Betracht, weil der Angeklagte K. keine Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass sein Lieferant „r. “ vom Angeklagten nicht bestellte synthetische Cannabinoide und zudem solche lieferte, bei denen es sich um verbotene Betäubungsmittel handele.
10
Den Freispruch des Angeklagten F. im Fall 384 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen mit dem fehlenden Nachweis der Kenntnis des Angeklagten von der Illegalität des fraglichen Verkaufs von Kräutermischungen begründet.

II.


11
Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten K.
12
Das Rechtsmittel dringt nicht durch. Im Umfang der Anfechtung enthält das Urteil keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler. Der Strafausspruch im zur Verurteilung führenden Fall 384 der Anklage weist allerdings auch keine dem Angeklagten nachteiligen Fehler (vgl. § 301 StPO) auf.
13
1. Die den Angeklagten K. betreffende Revision ist wirksam auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 375 und 380 bis 383 sowie den Strafausspruch im Fall 384 der Anklage beschränkt.
14
Die Beschwerdeführerin hat zwar mit der Revisionsbegründungsschrift bezüglich des Angeklagten K. einen unbeschränkten Aufhebungsantrag gestellt. Die Revisionsbegründung lässt jedoch erkennen, dass das Rechtsmittel von vornherein nicht auf sämtliche verfahrensgegenständlichen Taten erstreckt werden sollte, hinsichtlich derer Freispruch erfolgt ist.
15
Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung , ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; vom 22. Februar 2017 – 5 StR 545/16; vom 26. April 2017 – 2 StR 47/17, NStZ-RR 2017, 201 und vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, NJW 2017, 3011). Aus Ziffer II.2. der Begründungsschrift lässt sich nach Maßgabe dessen ableiten, dass das Rechtsmittel sich von vornherein nicht auf diejenigen Taten erstrecken sollte, bei denen der Angeklagte Kräuter- mischungen unter der Bezeichnung „Canaba Gold“ vertrieben hatte. Außer auf die Fälle 375 und 380 bis 384 – hinsichtlich der letztgenannten Tat lediglich den Strafausspruch betreffend (vgl. Ziffer II.4. der Revisionsbegründungsschrift) – bezog sich die Revision daher von vornherein allein auf die unter Ziffer II.2. der Revisionsbegründungsschrift benannten 239 Fälle. Bezüglich dieser ist das Rechtsmittel mittlerweile durch Schriftsatz vom 28. April 2017 wirksam zurückgenommen worden.
16
Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch im Fall 384 der Anklage ist ebenfalls wirksam.
17
2. Der Freispruch des Angeklagten in den Fällen 375 sowie 380 bis 383 aus tatsächlichen Gründen hält rechtlicher Überprüfung stand.
18
a) Das Urteil genügt hinsichtlich des freisprechenden Teils den sich aus § 267 Abs. 5 StPO ergebenden Darlegungsanforderungen (zu diesen näher BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220 mwN). Es wird aus den der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen und der darauf bezogenen Beweiswürdigung einerseits sowie den Urteilspassagen zum Freispruch (UA S. 60 ff.) andererseits deutlich, von welchem Sachverhalt das Landgericht ausgegangen ist und warum es sich in Bezug auf die hier fraglichen Taten weder von den Voraussetzungen vorsätzlichen noch fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln hat überzeugen können.
19
b) Die Beweiswürdigung zum fehlenden Vorsatz des Angeklagten K. , mit den zu den Tatzeitpunkten im August bzw. Oktober 2015 aufgrund der 29. BtMÄndV (vom 18. Mai 2015, BGBl. I S. 723) bereits mit Wirkung vom 23. Mai 2015 in die Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommenen synthetischen Cannabinoiden AB-CHMINACA und 5F-AB-PINACA Handel getrieben zu haben, geht von einem zutreffenden Verständnis des auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG bezogenen Vorsatzes aus und lässt auch im Übrigen keine revisiblen Rechtsfehler erkennen.
20
aa) Der Vorsatz unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (auch mit solchen in nicht geringer Menge) umfasst – außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 Abs. 6 BtMG – die Kenntnis davon, dass sich die Tathandlung auf ein Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG bezieht (vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1975 – 5 StR 36/75 und vom 9. September 1987 – 3 StR 254/87, BGHSt 35, 57, 58 f.; Beschluss vom 24. Februar 1995 – 2 StR 668/94, StV 1995, 524 f.; MünchKommStGB/Kotz, 2. Aufl., Band 6, BtMG Vor §§ 29 ff. Rn. 107; siehe auch Weber, BtMG, 4. Aufl., § 29 Rn. 32 so- wie Oḡlakcioḡlu, Der Allgemeine Teil des Betäubungsmittelstrafrechts – Zugleich eine Analyse der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom Betäu- bungsmittelstrafrecht seit 1982, 2013, S. 170 aber auch dort S. 292 ff.). Dies folgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Voraussetzungen des Vorsatzes, der sich auf die zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände bezieht (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB e contrario) bereits aus der in § 1 BtMG verwendeten Gesetzestechnik. Stoffe (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) oder Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) werden gemäß § 1 Abs. 1 BtMG erst durch ihre Aufnahme in die Anlagen I bis III des Betäubungsmittelgesetzes zu Betäubungsmitteln im betäubungsrechtlichen Sinne (OLG Nürnberg, Urteil vom 17. Januar 2006 – 2 St OLG Ss 243/05; in Teilen inhaltlich wiedergegeben bei Kotz/Rahlf, NStZ-RR 2007, 225, 227). Dem Gesetz liegt das Prinzip der Positivliste zugrunde (BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 4. Mai 1997 – 2 BvR 509/96 u.a., NJW 1998, 669, 670). Die Aufnahme der Stoffe oder Zubereitungen ist damit konstitutiv für deren Eigenschaft, Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu sein (zutreffend MünchKommStGB/Rahlf aaO BtMG § 1 Rn. 4 und OLG Nürnberg aaO). Die Aufzählung der betäubungsmittelrechtlich verbotenen Stoffe und Zubereitungen in den Anlagen I bis III ist zudem enumerativ (BVerfG aaO).
21
Vorsätzliches täterschaftliches Handeltreiben wenigstens in der Form bedingten Vorsatzes verlangt als notwendige Voraussetzung angesichts des vorstehend Ausgeführten auf der Ebene des Wissenselements dieser Vorsatzart Kenntnis des Täters von der Möglichkeit, dass das Objekt des Handeltreibens ein Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG ist. Mangelt es daran, fehlt die Kenntnis eines zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstandes, so dass der Täter gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB ohne Vorsatz handelt. Die Unkenntnis der Betäubungsmitteleigenschaft des Handelsobjekts kann zwar unterschiedliche Gründe, etwa fehlende Kenntnis von der chemischen Beschaffenheit oder Unkenntnis von einer Aufnahme eines dem Täter bekannten Stoffs in den Anlagen zum Betäubungsmittelgesetz, haben (näher Oḡlakcioḡlu aaO S. 292 ff.; siehe auch Weber aaO § 29 Rn. 805; Patzak in Körner/Patzak/ Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 177 f.). Unabhängig davon und unabhängig von der strafrechtlichen Einordnung des Merkmals „Betäubungsmittel“ als deskriptives oder – näher liegend – als normatives Tatbestandsmerkmal oder der Bewertung der § 29 und § 29a BtMG als Blankettstraftatbestände schließt aber die Unkenntnis der Betäubungsmitteleigenschaft einen darauf bezogenen Vorsatz aus (so im Ergebnis bereits BGH, Urteil vom 15. April 1975 – 5 StR 36/75). Die Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes weisen als Straftatbestandsmerkmal keinen „materiellen Betäubungsmittelbegriff“ (zu ei- nem solchen BVerfG aaO NJW 1998, S. 669, 670) auf, der Stoffe unabhängig von der Aufnahme in die Anlagen I bis III allein aufgrund ihrer Wirkungsweisen zu Betäubungsmitteln erhebt. Die Kenntnis davon, dass ein Stoff nach seiner Wirkungsweise eine Abhängigkeit hervorrufen oder aufgrund seiner betäubenden Wirkung wegen des Ausmaßes einer missbräuchlichen Verwendung unmittelbar oder mittelbar Gefahren begründen kann (vgl. BVerfG aaO), begründet wegen des Prinzips der Positivliste (§ 1 Abs. 1 BtMG) auf der Ebene der Voraussetzungen des Tatbestandsvorsatzes diesen nicht. Einem solchen Kenntnisstand kann aber beweiswürdigend indizielle Bedeutung für die Überzeugungsbildung des Tatrichters hinsichtlich des auf das Handeltreiben gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 oder § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG bezogenen Vorsatzes haben (insoweit zutreffend Oḡlakcioḡlu aaO S. 295).
22
In Konstellationen bedingt vorsätzlichen Handeltreibens verlangt das Willenselement dieser Vorsatzart, dass sich der Täter mit der erkannten Möglichkeit , mit einem Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG Handel zu treiben , abfindet.
23
bb) Von diesen Anforderungen an den (wenigstens bedingten) Vorsatz des Handeltreibens ausgehend weist die darauf bezogene tatrichterliche Be- weiswürdigung keine revisiblen Rechtsfehler (zum Prüfungsmaßstab näher BGH, Urteil vom 26. Juli 2017 – 2 StR 132/17, StraFo 2017, 372, juris Rn. 16 mwN) auf.
24
Insbesondere hat das Landgericht keine überspannten Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Angesichts der durch die Aussage des polizeilichen Sachbearbeiters, KOK Ko. , bestätigten Einlassung des Ange- klagten, synthetische Cannabinoide ausschließlich über das Unternehmen „r. “ und dort lediglich solche, die zu den Bestellzeitpunkten nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fielen und damit gerade keine Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG waren, ist der vom Tatgericht gezogene Schluss auf fehlenden Vorsatz nicht nur möglich, sondern naheliegend. Aus den weiteren beweiswürdigenden Erwägungen und Feststellungen ergibt sich nämlich, dass der Angeklagte K. auch nach dem Bezug der Cannabinoide, deren Aufbringen auf die Kräutermischungen und vor dem Vertrieb dieser Mischungen – mit Ausnahme von Fall 384 – darauf geachtet hat, keine bereits hergestellten Kräutermischungen zu veräußern, bei deren Herstellung er mittlerweile in die Anlage II aufgenommene synthetische Cannabinoide verwendet hatte (vgl. UA S. 12).
25
Soweit die Revision die diesbezügliche Beweiswürdigung des Landgerichts auch mit dem Einwand beanstandet, das Landgericht habe sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die Homepage des Unternehmens „r. “ die Domain „R. “ und damit eine „länderspezifische Top-LevelDomain“ des Königreichs T. aufgewiesen habe,stützt sie sich auf urteils- fremdes und damit für die Revision nicht maßgebliches Vorbringen. Das Landgericht hat eine solche Domain gerade nicht festgestellt. Sollte mit den diesbezüglichen Ausführungen der Revision wegen des Hinweises auf die Verlesung einer Übersicht der Bestellungen des Angeklagten K. bei „R. “ die Verletzung von § 261 StPO gerügt werden, wäre die Rüge nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt. Auch die Beanstandung , es mangele an einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem Fehlen eines „ordnungsgemäßen Impressums“ der Webseite der Firma „r. “,greift auf Urteilsfremdes zurück. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Landgericht hinsichtlich der Aussagen des Zeugen KOK Ko. aus, es hätten sich nach dessen glaubhaften Angaben aus dem Impressum keine Anhaltspunkte für den Unternehmenssitz von „r. “ ergeben (UA S. 49). Soweit die Revision weitergehende Feststellungen zum Sitz des fraglichen Unternehmens vermisst, hätte es einer Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO bedurft. Eine solche Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.
26
c) Die beweiswürdigenden Erwägungen, mit denen das Landgericht in den Fällen 375 sowie 380 bis 383 jeweils auch ein fahrlässigesHandeltreiben gemäß § 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BtMG des Angeklagten K. verneint hat, halten ebenfalls rechtlicher Prüfung stand. Das Landgericht hat seiner insoweit maßgeblichen Beweiswürdigung ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verständnis der materiellen Voraussetzungen von Fahrlässigkeit im Sinne von § 29 Abs. 4 BtMG zugrunde gelegt und damit einen zutreffenden Ausgangspunkt der darauf bezogenen Beweiswürdigung gewählt.
27
aa) Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , dass trotz der inhaltlichen Anforderungen an die Tathandlung des Handeltreibens, vor allem an das Element der Eigennützigkeit, fahrlässiges Handeltreiben phänomenologisch möglich und tatbestandlich von § 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BtMG erfasst ist (BGH, Urteile vom 15. April 1975 – 5 StR 36/75; vom 9. September 1987 – 3 StR 254/87, BGHSt 35, 57, 58 f. und vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37 f.), entgegen daran geäu- ßerter Kritik (Oḡlakcioḡlu aaO S. 223-226) fest. Eine Fallgestaltung wie die vor- liegende, bei der allein die Eigenschaft des gehandelten Stoffs, im Handlungszeitpunkt Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG zu sein, in Rede steht, zeigt, dass die Eigennützigkeit eines Güterumsatzes auch bei fahrlässigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gegeben sein kann.
28
bb) Der Bundesgerichtshof versteht den nicht unmittelbar gesetzlich definierten Begriff der Fahrlässigkeit dahingehend, dass fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg gezeitigt hat (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil von 13. November 2003 – 5 StR 327/03, BGHSt 49, 1, 5 mwN). Ob eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, bestimmt sich u.a. anhand den vom Täter in der konkreten Lebenssituation zu erbringenden Sorgfaltsanforderungen.
29
Bei der fahrlässigen Verwirklichung von Straftatbeständen des Betäubungsmittelstrafrechts , hier fahrlässiges Handeltreiben gemäß § 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BtMG, beziehen sich der Fahrlässigkeitsvorwurf und damit verbunden die zugrunde liegende Pflichtwidrigkeit notwendig auf den tatbestandlichen Umgang mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG. Maßgeblich sind damit Sorgfaltsanforderungen an das Verhalten des Täters, die im Rahmen des diesem Möglichen einen straftatbestandlich erfassten Umgang mit Betäubungsmitteln vermeiden. Auch das Fahrlässigkeitselement der Voraussehbarkeit in objektiver und subjektiver Hinsicht muss bei dem Handeltreiben gemäß § 29a Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 BtMG auf das Objekt des Umsatzgeschäfts , nämlich dessen durch die Aufnahme in die Anlagen I bis III be- gründete Eigenschaft, Betäubungsmittel zu sein, bezogen sein. Einen tatbestandlichen Erfolg weist der Handeltreibenstatbestand als Unternehmensdelikt (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 3 StR 392/06, NStZ 2007, 531, 532; Patzak aaO § 29 Teil 4 Rn. 5) nämlich nicht auf. Ein solcher kann daher beim Handeltreiben nicht Bezugsgegenstand der Fahrlässigkeitselemente sein.
30
Fahrlässig im Sinne von § 29 Abs. 4 BtMG treibt dementsprechend derjenige mit Betäubungsmitteln Handel, der bei fehlendem Vorsatz hinsichtlich der Betäubungsmitteleigenschaft eines Stoffs (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) oder einer Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) eine auf solche Objekte bezogene, eigennützige und auf Umsatz gerichtete Tätigkeit entfaltet, obwohl er nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bei sorgfältigem Verhalten die Betäubungsmitteleigenschaft hätte erkennen können. Welche darauf bezogenen Sorgfaltsanforderungen einzuhalten sind, bestimmt sich wesentlich anhand der Vorhersehbarkeit des Umstands, mit einem Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG tatbestandlich umzugehen. Maßgeblich ist damit grundsätzlich die Erkennbarkeit des Risikos tatbestandlichen Verhaltens (vgl. Weigend, Festschrift für Gössel, 2002, S. 129, 134 ff.; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 14) unter den jeweils konkreten Umständen des Falles.
31
Von diesen Grundsätzen ist in der Sache auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgegangen, indem etwa darauf abgestellt worden ist, dass ein am Handel Teilnehmender sich darum kümmern müsse, ob seine Stoffe Betäubungsmittel sind (BGH, Urteil vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37 f.; siehe auch OLG Nürnberg aaO sowie BGH, Urteil vom 9. September 1987 – 3 StR 254/87, BGHSt 35, 57, 58 f.). In einem die fahrlässige Einfuhr von Betäubungsmitteln betreffenden Fall hat der Senat ebenfalls bereits auf die Erkennbarkeit für die dortigen Angeklagten abgestellt, dass sich in dem von ihnen transportierten Koffer Betäubungsmittel befanden (BGH, Urteil vom 4. März 1986 – 1 StR 26/86, NStZ 1986, 462 f.). Die tatrichterliche Beweiswürdigung, die maßgeblich auf das Fehlen von Anhaltspunkten dafür abstellt, dem Auftraggeber des Koffertransports zu misstrauen, ist unbeanstandet geblieben (BGH aaO). Insoweit ist auch in vorangegangenen Entscheidungen zur fahrlässigen Begehung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ausschlaggebend auf Anhaltspunkte bzw. Anlässe abgestellt worden, die den Angeklagten veranlassen mussten, sorgfältig die Möglichkeit des straftatbestandlich erfassten Umgangs mit Betäubungsmitteln zu prüfen.
32
cc) Die Erkennbarkeit des Risikos als Grundlage von Sorgfaltsanforderungen hat auch das Landgericht zugrunde gelegt (UA S. 79). Die daran ausgerichtete Beweiswürdigung enthält im Rahmen des dafür geltenden Prüfungsmaßstabs keine Rechtsfehler. Insoweit hat das Landgericht ebenfalls keine überspannten Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass das Landgericht weder in den umfassend festgestellten Umständen der Aufnahme und des Betriebs des Handels des Angeklagten noch in dem wahrnehmbaren Geschäftsgebahren des Lieferanten „r. “ genügenden Anlass für den Angeklagten gesehen hat, die von dort bezogenen synthetischen Cannabinoide seinerseits labortechnisch untersuchen zu lassen. Die aus den regelmäßig und in kurzen Zeitintervallen durchgeführten Recherchen des Angeklagten über die in Anlage II verzeichneten synthetischen Cannabinoide sowie aus dessen offenem Agieren mit Anmeldung des Gewerbes und Meldung gegenüber den Finanzbehörden gezogenen Schlüsse, auf das Fehlen von Anlässen zu über das Getane hinausgehenden Maßnahmen zur Verhinderung des Handeltreibens mit in Anlage II erfassten Stoffen, sind zumindest möglich. Gleiches gilt für die Bewertung der dem Angeklagten bekannten Verhaltensweisen von „r. “. Das Unternehmen hatte lediglich jeweils nicht als Betäubungsmittel gelistete synthetische Cannabinoide auf seiner Webseite angeboten und nach Aufnahme bisher vertriebener Stoffe in Anlage II diese stets aus seinem Angebot herausgenommen. Auch aus den ermittelten Vertriebs- und Lieferwegen des Unternehmen „r. “ konnte das Landgericht beanstandungsfrei schließen, dass daraus kein Grund für den Angeklagten folgte, an der Zuverlässigkeit des Lieferanten, lediglich nicht gelistete Stoffe zu vertreiben und zu liefern, zu zweifeln.
33
Soweit die Beschwerdeführerin eine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung aus dem Fehlen der Berücksichtigung der dem Königreich T. zugewiesenen Domain der Webseite von „r. “ und dem „nicht ordnungsgemäßen Impressum“ ableiten will, handelt es sich aus den bereits dargelegten Gründen (Rn. 24) um urteilsfremdes Vorbringen.
34
dd) Auf der Grundlage der vorgenannten rechtsfehlerfreien Feststellungen sowohl zu den tatsächlichen Umständen der Beschaffung der syntheti- schen Cannabinoide über den Lieferanten „r. “ als auch des Vertriebs der durch den Angeklagten hergestellten Kräutermischungen trafen ihn vorliegend keine weitergehenden Sorgfaltspflichten. Ausgehend von dem dargelegten , am erkennbaren Ausmaß des Risikos, sich möglicherweise straftatbestandsmäßig zu verhalten, orientierten Fahrlässigkeitsmaßstab war der Angeklagte wegen der konkreten Verhältnisse dieses Falls nicht rechtlich verpflichtet, die bezogenen synthetischen Cannabinoide vor deren Verwendung für die Herstellung der Kräutermischungen und vor dem Vertrieb des Endprodukts auf ihre chemische Zusammensetzung analysieren zu lassen. Wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt, kann zwar im Einzelfall sorgfaltsgemäßes Verhalten eine Pflicht zur Durchführung von Kontrolluntersuchungen gebieten (BGH, Urteil vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37, 38). Allerdings kommt für den Umgang mit möglicherweise Betäubungsmitteleigenschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG aufweisenden Stoffen eine solche Pflicht, Kontrollanalysen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, regelmäßig lediglich dann in Betracht, wenn es für den Betroffenen erkennbaren Anlass für die Möglichkeit gibt, mit Betäubungsmitteln in straftatbestandsmäßiger Weise umzugehen. Ein solcher Anlass liegt etwa vor, wenn der Bezieher von ihm zum Weitervertrieb bestimmter Kräutermischungen sich auf die Auskunft seiner Bezugsquelle verlässt, die Mischungen enthielten weder synthetische noch pflanzliche Cannabinoide, obwohl dem Bezieher bekannt war, dass die von seinen Abnehmern bezweckte Verwendung gerade in der Verwendung als Ersatzrauschmittel für Cannabis liegen soll (vgl. BGH aaO). Vorliegend durfte der Angeklagte aber aus den bereits genannten Gründen trotz seiner Kenntnis von der Verwendung der durch ihn selbst hergestellten Kräutermischungen nach der rechtsfehlerfreien Wertung des Landgerichts darauf vertrauen, lediglich die von ihm bestellten, in den maßgeblichen Zeiträumen nicht als Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG erfassten Cannabinoiden zu erhalten und zu verwenden. Allein die Handelstätigkeit mit nicht Betäubungsmitteleigenschaft aufweisenden synthetischen Cannabinoiden vermag eine umfassende Pflicht zur chemischen Analyse nicht zu begründen. Denn trotz eines dabei generell bestehenden Risikos, erwartungswidrig mit Betäubungsmitteln umzugehen, handelt es sich so lange um eine nicht gesetzwidrige Tätigkeit, wie die betroffenen Stoffe durch den Verordnungsgeber nicht zu Betäubungsmitteln gemäß § 1 Abs. 1 BtMG bestimmt werden. Eine von konkreten Anlässen für erhöhte Sorgfalt losgelöste, durchgängige Pflicht zur Analyse der verwendeten Cannabinoide ließe sich nicht ohne Weiteres als verhältnismäßige Beschränkung wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit bewerten. Bestünden dagegen anders als im hier festgestellten Sachverhalt erkennbare Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit der Bezugsquelle der synthetischen Cannabinoide kann eine bei Verletzung die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit begründende Kontrollpflicht durch labortechnische Untersuchung bestehen.
35
3. Der Strafausspruch im Fall 384 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
36
a) Bei Anwendung des für die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Strafzumessung geltenden Maßstabs (dazu BGH, Urteil vom 13. Juli 2017 – 1 StR 536/16, Rn. 64 mwN) erweist sich die verhängte Strafe als rechtsfehlerfrei. Es stellt keinen durchgreifenden Mangel dar, dass das Landgericht die Vielzahl der in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Waffen und gefährlichen Gegenstände im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht ausdrücklich in die bei Anwendung des Sonderstrafrahmens aus § 30a Abs. 3 BtMG gebotene Gesamtabwägung eingestellt hat. Denn der Tatrichter ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist – auch bei der Strafrahmenwahl – weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337 und vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105 f. mwN). Angesichts der festgestellten Gesamtumstände der Tat löst sich die verhängte Strafe zudem ersichtlich nicht von ihrer Funktion gerechter Schuldausgleich zu sein.
37
b) Die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB lässt angesichts des auch hier geltenden eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16, Rn. 38 [insoweit in NStZ 2016, 670 ff. nicht abgedruckt]; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16, Rn. 3) keine Rechtsfehler erkennen. Die günstige Prognose stützt sich auf rechtsfehlerfrei festgestellte Anknüpfungstatsachen. Die Voraussetzungen des Versagungsgrundes aus § 56 Abs. 3 StGB hat das Landgericht im Rahmen einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, Rn. 29) beanstandungsfrei verneint.
38
4. Der Strafausspruch enthält auch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K. , worauf die Prüfung des Senats gemäß § 301 StPO wegen der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft begrenzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2001 – 1 StR 428/01, insoweit in NStZ 2002, 198 nicht abgedruckt).
39
a) Die Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 BtMG durch das sachverständig beratene Landgericht auf jeweils ein Gramm der synthetischen Cannabinoide AB-CHMINACA und 5FAB -PINACA ist nicht zu beanstanden.
40
Das Landgericht hat für die Bestimmung des Grenzwerts die durch den Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung verwendete Methode (siehe etwa BGH, Urteile vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 ff. Rn. 35 und vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37; Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 366/16, NStZ-RR 2017, 47 f., mwN) herangezogen. Angesichts bislang weder zu den äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosen noch zu den durchschnittlichen Konsumeinheiten ausreichend gesicherten Erkenntnissen bezüglich synthetischer Cannabinoide (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134, 143 Rn. 53) war der Grenz- wert anhand des Vergleichs mit verwandten Wirkstoffen vorzunehmen. Ausgehend davon hat sich das Tatgericht auf der Grundlage des Gutachtens der Sachverständigen J. in rechtsfehlerfreier Weise davon überzeugt , dass die beiden hier fraglichen synthetischen Cannabinoide eine deutlich höhere Potenz aufweisen als JWH-018, das Gegenstand des Senatsurteils vom 14. Januar 2015 (1 StR 302/13, BGHSt 60, 134, 144 Rn. 55) gewesen ist. Der angenommene Grenzwert von einem Gramm bezüglich beider hier verfahrensgegenständlicher Wirkstoffe findet damit eine ausreichende Grundlage in der Beweiswürdigung.
41
b) Die strafschärfende Berücksichtigung des Umstandes, dass in Bezug auf den Fall 384 der Grenzwert der nicht geringen Menge in der Summe aus der an die Vertrauensperson verkauften und der weiteren zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig gehaltenen Menge um das gut 30fache überschritten ist, erweist sich als nicht rechtsfehlerhaft (vgl. zur Bedeutung des Ausmaßes der Überschreitung des Grenzwerts BGH, Urteil vom 15. März 2017 – 2 StR 294/16 mwN, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).

III.


42
Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten

F.


43
Das Rechtsmittel erzielt ebenfalls keinen Erfolg. Der allein angefochtene Freispruch des Angeklagten im Fall 384 ist rechtsfehlerfrei.
44
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft auch bezüglich des Angeklagten F. , dem mit der Anklage eine mittäterschaftliche Beteiligung an sämtlichen (ursprünglich) 384 Taten vorgeworfen worden war, einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Aus Ziffer II.3. der Revisionsbegründungsschrift lässt sich jedoch ableiten, dass die Beschwerdeführerin sich lediglich gegen den Freispruch im Fall 384 wenden will.
45
2. Der Freispruch des Angeklagten hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob das Landgericht von einem rechtlich fehlerhaften Verständnis der objektiven Voraussetzungen strafbarer Beteiligung, zumindest in Form der Beihilfe gemäß § 27 StGB, ausgegan- gen ist, indem es auf „bloße rechtlich unbedeutende Gefälligkeiten“ abgestellt hat (UA S. 48 und 54). Denn jedenfalls die beweiswürdigenden Erwägungen des Tatgerichts zur fehlenden Kenntnis des Angeklagten F. von dem Handeltreiben des Mitangeklagten K. mit dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Wirkstoffen im Fall 384 tragen den Freispruch aus tatsächlichen Gründen. Das gilt sowohl im Hinblick auf eine Beteiligung als Mittäter als auch als Gehilfe des Angeklagten K. . Für beide Formen strafbarer Beteiligung hätte es wenigstens eines auf das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG bezogenen bedingten Vorsatzes bedurft. Gerade davon hat sich das Tatgericht nicht überzeugen können.
46
Die dafür maßgeblichen Gründe hat das Landgericht im Rahmen einer ausführlichen Würdigung (UA S. 42-48, 50) ohne Rechtsfehler dargelegt. Entgegen der Bewertung der Beschwerdeführerin mangelt es nicht an einer Gesamtwürdigung der für und gegen einen solchen Vorsatz sprechenden Indizien. Dass das Landgericht der vor der Übergabe an den Käufer von dem Angeklagten F. geäußerten Preisvorstellung nicht die Beweisrichtung und nicht das Gewicht beigemessen hat, wie es die Staatsanwaltschaft für geboten erachtet , begründet keinen Rechtsfehler. Dem Landgericht ist ausweislich der Beweiswürdigung die indizielle Bedeutung dieses Umstandes bewusst gewesen und in die Gesamtwürdigung einbezogen worden (vgl. UA S. 45). Auch die übrigen von der Beschwerdeführerin benannten vermeintlichen Lücken erweisen sich weitgehend als das revisionsrechtlich nicht erfolgreiche Unterfangen, vom Landgericht bedachte Indiztatsachen einer eigenständigen und vom Tatgericht abweichenden Beweiswürdigung zu unterziehen.

IV.


47
Die sofortige Beschwerde (§ 8 Abs. 3 StrEG) der Staatsanwaltschaft gegen die Zubilligung von Entschädigung für die gegen den Angeklagten F. vollzogene Untersuchungshaft hat keinen Erfolg. Für die Entscheidung über dieses Rechtsmittel ist der Senat zuständig (§ 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO).
48
Die Voraussetzungen für die Zubilligung einer Haftentschädigung gemäß § 2 Abs. 1 StrEG sind gegeben. Gründe für einen Ausschluss der Entschädigung (§ 5 StrEG) liegen nicht vor. Insbesondere fehlt es an einem grob fahrlässigen Verhalten des Angeklagten gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG. Er hat die Anordnung und den Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht dadurch verursacht , dass er bei seinen Vernehmungen wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hätte (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG). Vielmehr hat der Angeklagte unter näheren Darlegungen von Anfang an im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine Beteiligung an den dem Angeklagten K. vorgeworfenen Betäubungsmittelstraftaten zurückgewiesen.
Raum Jäger Radtke
RinBGH Dr. Fischer befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 473/13
vom
4. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne
richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der
er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche
unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie
gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet
, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der
zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung
- unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten
des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.
BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 - LG Magdeburg
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom
28. August 2014 und in der Sitzung am 4. September 2014, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung
-,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung
-
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger M. D. in Person - bei der Verkündung
-,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger B. D. und A.
D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers M. D. ,
Herr S. aus Frankfurt am Main
als allgemein vereidigter Dolmetscher für die Sprache Fulla,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ferner werden der Staatskasse die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nachdem der Bundesgerichtshof das den Angeklagten nach 58-tägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freisprechende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008 mit Urteil vom 7. Januar 2010 mit den Feststellungen wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben hatte, verurteilte das Landgericht Magdeburg nach 67-tägiger Hauptverhandlung den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 €. Ferner hat es bestimmt, dass davon infolge einer dem Angeklagten nicht anzulastenden Verfahrensverzögerung 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dreier Nebenkläger jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte sowie die Nebenkläger beanstanden zudem das Verfahren. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Verfahren betrifft den Tod des damals knapp 22 Jahre alten, in Sierra-Leone geborenen J. in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers De. am 7. Januar 2005, in dem der damals 44jährige Angeklagte als Dienstgruppenleiter tätig war.
3
1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 7. Januar 2005 ab 8.03 Uhr teilte die Zeugin Be. , die mit weiteren Frauen im Rahmen eines sogenannten 1-Euro-Jobs Pflegearbeiten in den Verkehrs- und Grünflächen im Bereich der T. straße in De. verrichtete, der Polizeibeamtin H. telefonisch mehrfach mit, dass sie von einem "Ausländer belästigt" werden. Frau H. war damals beim Polizeirevier De. als stellvertretende Dienstgruppenleiterin und "Streifeneinsatzführerin" tätig. Die daraufhin von ihr verständigten Polizeibeamten Mä. und Sc. trafen um 8.20 Uhr vor Ort ein. Ihnen war zum Grund des Einsatzes mitgeteilt worden, dass vier weibliche Personen durch einen Ausländer massiv belästigt werden, der hinter ihnen herrenne und versuche, sie "anzutatschen". Während der Zeuge Mä. sich zunächst den anwesenden Frauen zuwandte, fragte der Zeuge Sc. den ihm nicht bekannten, in der Nähe stehenden und sich unauffällig verhaltenden J. nach seinem "Passport". Nachdem J. dessen Herausgabe verweigert hatte, forderte der Zeuge Sc. ihn auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen; er wollte " J. erst einmal vor Ort weg und ins Revier bringen". Auch dies lehnte J. ab. Als der Polizeibeamte Sc. ihn daraufhin zu dem Polizeifahrzeug verbringen wollte, setzte sich J. dagegen durch Hin- und Herdrehen zu Wehr. Ihm wurden sodann bei fortdauernder Gegenwehr Handfesseln angelegt und er wurde vom Zeugen Mä. und dessen Kollegen in das Polizeifahrzeug und zum Polizeirevier De. verbracht. Der Grund hierfür wurde J. weder zu diesem Zeitpunkt noch später mitgeteilt; auch wurde er zu keinem Zeitpunkt belehrt oder befragt, ob jemand von seiner Ingewahrsamnahme unterrichtet werden soll. Noch im Polizeifahrzeug versuchte J. nach dem Polizeibeamten Sc. zu treten, wobei entweder durch diesen oder durch einen weiteren Tritt die Plastikverkleidung an der Kurbel der hinteren Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs beschädigt wurde. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier machte J. "weiterhin sich wehrende Körperbewegungen", wobei er möglicherweise mit der Nase gegen die Fahrzeugscheibe stieß und sich hierbei leicht verletzte.
5
Auf dem Polizeirevier wurde J. von den Polizeibeamten Mä. und Sc. zunächst in das im Untergeschoss im Gewahrsamsbereich gelegene sogenannte "Arztzimmer" verbracht, wo er sich "erneut renitent" verhielt und unter anderem mit seinem Kopf in Richtung Wand und Tisch schlug, woraufhin er vom Zeugen Mä. durch Wegrücken des Stuhles, auf dem er saß, und Festhalten "von erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten wurde. Bei seiner Durchsuchung wurde eine seine Personalien ausweisende, hinsichtlich einzelner Buchstaben oder Ziffern (des Geburtsjahres und der Straße seines Wohnsitzes) allerdings nicht oder nur schlecht lesbare, mit einem Lichtbild versehene "Duldung" (Aussetzung der Abschiebung) des Landkreises An. aufgefunden. Hiervon wurde der Angeklagte unterrichtet, der von der Polizeibeamtin H. auch über den Grund der Verbringung des J. in den Gewahrsam, nämlich dessen Belästigung von Passanten, seine Widerstandhandlung bei dem Versuch der Personalienfeststellung, seine unklaren Personalien und seinen alkoholisierten Zustand unterrichtet worden war. Der Angeklagte versuchte daraufhin um 8.44 Uhr vergeblich, Auskunft über J. beim Einwohnermeldeamt zu erhalten. Nachdem er auch vom Ausländeramt keine vollständigen Daten erhalten hatte, führte der Angeklagte eine INPOL-Abfrage durch, die die Personalien aus der "Duldung" im Wesentlichen bestätigte und ergab, dass J. bereits in den Jahren 2000, 2001 und 2002 unter anderem in De. und in R. jeweils durch Fertigung eines Lichtbildes sowie von Finger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden war. Eine erkennungsdienstliche Behandlung von J. hatte zwischenzeitlich auch der Zeuge Mä. angeordnet. Ferner verständigte der Angeklagte um 8.47 Uhr den Arzt Dr. Bl. , der J. eine Blutprobe entnehmen sollte und - trotz weiterer Gegenwehr - um 9.15 Uhr entnahm. Deren spätere Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille ; ferner wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Dr. Bl. bejahte auch die Gewahrsamsfähigkeit von J. .
6
Im Anschluss an die Blutentnahme wurde der etwa 170 cm große und 60 kg schwere J. von mehreren Polizeibeamten - da er auch hierzu nicht freiwillig bereit war - in die Gewahrsamszelle Nr. 5 gebracht und - nach Rücksprache mit Dr. Bl. - auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw.Fußfesseln auf einer Matratze fixiert, indem an jedem Hand- bzw. Fußgelenk eine entsprechende Fessel angebracht und mit jeweils einem in den Podest, auf dem die Matratze lag, bzw. in der Wand eingelassenen Metallbügel verbunden wurde. Trotz dieser Fixierung war es J. möglich, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufzurichten und seine Hosentaschen mit den Händen zu erreichen.
7
In der Zelle befand sich - an der Decke - ein Rauchmelder, der bei einem Auslösen in dem im ersten Stock des Dienstgebäudes befindlichen Zimmer des Dienstgruppenleiters einen Piepton und eine blinkende Diode am Bedienele- ment der Alarmanlage einschaltete. Ferner war in der in der Wand der Zelle befindlichen Belüftungsanlage ein ebenfalls auf Rauch reagierender Alarmmelder angebracht. Auch dieser löste - allerdings später als der an der Decke angebrachte Rauchmelder - im Zimmer des Dienstgruppenleiters ein akustisches Signal aus. In der Zelle befand sich zudem eine mit dem Zimmer des Dienstgruppenleiters verbundene Wechselsprechanlage. Vor der Zelle war am Anfang und am Ende des Flures jeweils eine Kamera angebracht, deren Bilder - ohne Aufzeichnung - auf einen Monitor im Zimmer des Dienstgruppenleiters übertragen wurden. In der Zelle selbst war keine Kamera angebracht. Eine Überwachung durch einen im Zellentrakt ununterbrochen anwesenden Polizeibeamten fand nicht statt.
8
Nachdem die Zellentür und die Tür zum Flur der Zellenräume abgeschlossen worden waren, brachte der Polizeibeamte Mä. die hierfür benötigten Schlüssel sowie die Schlüssel der Fußfesseln in das Zimmer des Dienstgruppenleiters. Er informierte den Angeklagten darüber, dass J. fortdauernd renitent geblieben sei, sich selbst zu verletzen versucht habe und er deshalb in der Zelle Nr. 5 vierfach fixiert worden sei, nunmehr sei aber alles in Ordnung. Der Angeklagte trug daraufhin die Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Uhrzeiten sowie den Personalien von J. in das Buch über Freiheitsentziehungen ein und gab als Grund "Identitätsfeststellung § 163 StPO" an; auch die "Fixierung zur Eigensicherung" vermerkte er und versah die Eintragung mit dem Zusatz "i.O.". Er ging davon aus, dass J. zum eigenen Schutz aufgrund seines alkoholisierten Zustands sowie zur genaueren Identitätsfeststellung wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (an dem Polizeifahrzeug ) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ordnungsgemäß festgenommen worden war und bis etwa 14.00 Uhr in der Zelle bleiben muss. Davon, ob durch die Fixierung weitere selbstgefährdende Handlungen von J. - etwa ein Schlagen des Kopfes gegen die Zellenwand - ausgeschlossen waren, überzeugte er sich nicht. Auch einen Richter verständigte der Angeklagte von der Ingewahrsamnahme des J. nicht, da ihm die entsprechenden Vorschriften unbekannt waren und während seiner Zeit als Dienstgruppenleiter seit 1993 noch nie ein Richter über eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Identitätsfeststellung oder nach dem damals in SachsenAnhalt geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) informiert worden war. Vielmehr ging er davon aus, dass solche Ingewahrsamnahmen (ohne richterliche Anordnung) bis zu 12 Stunden andauern dürfen. Auch nach dem Tod von Ma. Bi. im Oktober 2002, der "zum Ausnüchtern" in die Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers De. verbracht und dort während der Dienstschicht des Angeklagten 16 Stunden später an den Folgen eines Schädelbruchs verstorben war, und dem hierzu gegen den Angeklagten eingeleiteten - schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte auf einen - im damaligen Verfahren "nicht thematisierten" - Richtervorbehalt bei Ingewahrsamnahmen nicht hingewiesen, obwohl seinen Vorgesetzten die Praxis der Beamten des Polizeireviers De. , keine richterlichen Entscheidungen zu erholen, bekannt war. Auch der vom Angeklagten gegen 11.30 Uhr von der Ingewahrsamnahme des J. unterrichtete Einsatzleiter K. wies ihn nicht darauf hin, dass er hiervon einen Richter informieren müsse. Dem Angeklagten hätte jedoch bewusst sein müssen, dass es einer ständigen optischen Überwachung des stark alkoholisierten J. , der zuvor schon versucht hatte, sich selbst zu verletzen, bedurft hätte, um diesen von weiteren Selbstgefährdungen abzuhalten, und allein die akustische Überwachung und die Überwachung zu bestimmten Kontrollzeiten nicht geeignet waren, eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder -verschlechterung bei ihm zu verhindern. Einer Überwachung der Zelle durch einen im Zellentrakt ständig anwesenden Beam- ten stand indes zumindest aus Sicht des Angeklagten die geringe Personalstärke an jenem Tag entgegen; seinen Vorgesetzten teilte er das Problem oder entsprechende Bedenken aber nicht mit. Vielmehr sollten - wie bei Ma. Bi. - neben den in Betrieb befindlichen Alarmmeldern lediglich regelmäßige , bei J. in halbstündlichem Abstand erfolgende Zellenkontrollen sowie die akustische Überwachung über die Wechselsprechanlage stattfinden.
9
Um 10.03, 10.37 und 11.05 Uhr wurde J. in seiner Zelle von einem bzw. mehreren Polizeibeamten auch kontrolliert; eine weitere, vom Angeklagten für 9.30 Uhr eingetragene Kontrolle war - wie er wusste - nicht erfolgt. Ferner betrat möglicherweise gegen 11.30 Uhr der Polizeibeamte Mä. die Gewahrsamszelle , um nach seinem Feuerzeug zu suchen, das er dort jedoch nicht auffand. Um 11.45 Uhr begab sich die Polizeibeamtin H. mit einem Kollegen zur Zelle des J. , da dieser schon einige Zeit lang durch lautes Schimpfen und Rufen über die Wechselsprechanlage zu hören war und verlangt hatte, dass ihm die Fesseln gelöst werden. J. bat auch die Beamtin , seine Fesseln zu lösen, und fragte, warum er sich in der Zelle befinde, was die Zeugin damit beantwortete, er wisse schon, warum er dort sei.
10
Nachdem J. auch bei dieser Kontrolle der Grund seines Gewahrsams nicht genannt worden war und er den Eindruck hatte, dass er mit einer alsbaldigen Lösung der Fixierung nicht rechnen konnte, kam er auf die Idee, in der Zelle ein Feuer anzuzünden, wobei er davon ausging, dass Polizeibeamte alsbald auf das Feuer aufmerksam und ihn aus der Zelle herausholen werden. Mit einem Feuerzeug, das er entweder bei sich hatte, weil es bei seiner Durchsuchung übersehen worden war, oder das der Polizeibeamte Mä. in der Zelle verloren hatte, gelang es J. , die schwer entflammbare Polyesterummantelung der etwa neun Zentimeter dicken Matratze durch Erhitzen mit dem in der rechten Hand gehaltenen Feuerzeug aufzuweichen und aufzureißen und die aus Polyurethan bestehende Füllung der Matratze auf einer Länge von bis zu 50 cm und einer Breite von maximal 30 cm freizulegen. Anschließend setzte er kurz vor 12.05 Uhr das Füllmaterial der Matratze in Brand, wobei bis zu dessen selbständigem Brennen weder Rauch noch Ruß entstand, der ausreichte , um einen der Rauchmelder auszulösen. Entweder um dem sich ausbreitenden Feuer auszuweichen oder bei dem Versuch, das Feuer auszublasen , geriet J. bei leicht erhobenem Oberkörper mit der Nase über oder in die heißen Gase der Flamme oder in die Flamme selbst und atmete Luft mit einer Temperatur von 180ºC oder mehr ein. Hierbei erlitt er einen inhalativen Hitzeschock, der zu seinem sofortigen Tod führte. Ob J. zuvor Hilfeoder Schmerzensschreie ausgestoßen hatte, vermochte das Schwurgericht nicht festzustellen.
11
Am Arbeitsplatz des Angeklagten waren über die Wechselsprechanlage zu Beginn des Brandgeschehens von dem Feuer verursachte Geräusche zu hören, die dort wie Plätschern zu vernehmen waren. Auf diese Geräusche machte die Zeugin H. den Angeklagten aufmerksam, der sie aber ebenfalls nicht einordnen konnte. Kurz darauf wurde von dem in der Decke der Zelle angebrachten Rauchmelder Alarm ausgelöst und im Zimmer des Dienstgruppenleiters mit einem lauten Piepen und einer blinkenden Diode angezeigt. Daraufhin schaltete der Angeklagte den Alarm ab, da er ihn für einen im Jahr 2004 schon mehrmals ausgelösten Fehlalarm hielt. Auch das etwa zehn Sekunden später erneut einsetzende Alarmsignal wurde entweder vom Angeklagten oder von der Zeugin H. abgeschaltet. Der Angeklagte - der bis dahin J. nicht zu Gesicht bekommen hatte - verließ sodann das Zimmer in Richtung Gewahrsamsbereich. Da er nicht alle Schlüssel mitgenommen hatte, musste er jedoch umkehren und diese holen, wobei er entweder zuvor oder auf dem Weg zum Zellentrakt den Einsatzleiter K. von dem Alarm verständigte. Nachdem der Angeklagte sodann mit einem auf dem Weg in den Gewahrsamsbereich hinzugebetenen Kollegen die Türen zum Zellentrakt und zur Zelle Nr. 5 geöffnet hatte und ihm dort "eine große Menge verrußter Luft" entgegengekommen war, lief der Angeklagte auf den Parkplatz des Polizeireviers, während sein Kollege vergeblich versuchte, das Feuer in der Zelle zu löschen. Dies gelang letztlich erst der um 12.20 Uhr eingetroffenen Feuerwehr.
12
2. Das Landgericht ist nach umfangreicher Beweisaufnahme von einer Brandlegung durch J. selbst überzeugt. Misshandlungen von J. durch den Angeklagten oder andere Polizeibeamte vermochte die Kammer auch hinsichtlich eines bei der zweiten Obduktion entdeckten Nasenbeinbruchs des J. nicht festzustellen. Andere Brandursachen - insbesondere einen technischen Defekt oder eine Brandlegung durch Polizeibeamte oder Dritte - schloss das Schwurgericht aus. Zugunsten des Angeklagten ging es davon aus, dass J. schon im Zeitpunkt des im Zimmer des Dienstgruppenleiters über die Wechselsprechanlage zu hörenden Plätscherns verstorben war und er deshalb auch bei einem sofortigen Hinuntereilen des Angeklagten nach dem Wahrnehmen dieses Plätscherns oder des ersten Alarmsignals nicht mehr hätte gerettet werden können.
13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung stützt das Schwurgericht auf der Grundlage der diesem bekannten, damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung darauf, dass er trotz des Wissens um die Selbstverletzungsversuche des J. und um die Einschränkung seiner Willensbestimmung dessen Gewahrsam ohne ständige optische Überwachung und - falls ihm dies wegen der knappen Personallage nicht möglich gewesen sei - ohne Remonstration bei seinen Vorgesetzten zugelassen habe. Zwar habe der An- geklagte - insbesondere aufgrund der Mitteilungen des Zeugen Mä. - davon ausgehen dürfen, dass die Ingewahrsamnahme des J. rechtmäßig gewesen sei, da gegen diesen der Verdacht einer Straftat bestanden habe, seine Personalien noch nicht abschließend geklärt gewesen seien und die Gefahr einer Selbstschädigung bestanden habe. Auch sei die Fixierung des J. rechtmäßig gewesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hätte dem Angeklagten aber zumindest aufgrund seiner Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod von Ma. Bi. sowie der erkennbar starken Alkoholisierung des J. und seiner Versuche, sich zu verletzen, bewusst sein können und müssen, dass eine Zellenkontrolle im halbstündlichen Abstand nicht ausreichend gewesen sei, um bei Fortsetzung des selbstschädigenden Verhaltens oder einer Gesundheitsgefahr aus anderen Gründen rechtzeitig eingreifen zu können. Der Tod von J. sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Der Angeklagte hätte ihn auch vermeiden können, zumal Ziffer 5.2 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung geregelt habe, dass - sollte während der Unterbringungszeit ausreichend Personal für den Gewahrsamsdienst nicht zur Verfügung stehen - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen habe. Für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts fehle es dagegen am Vorsatz. Eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge, die nach Ansicht des Schwurgerichts wegen der Missachtung des Richtervorbehalts nach der Ingewahrsamnahme des J. in Betracht gekommen wäre, scheide aus, weil der Angeklagte insofern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.

II.


14
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
15
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe den Sachverhalt "nicht umfassend genug aufgeklärt", weil es den Angeklagten hinsichtlich der - im Urteil bejahten - Pflicht zur Remonstration nicht zum Inhalt seines Gesprächs mit dem Zeugen K. befragt habe, ist bereits unzulässig. Denn die Revision teilt das Beweisergebnis , also die zu erwartenden Angaben des Angeklagten hierzu, nicht mit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN).
16
Eine Rüge, das Gericht hätte den Angeklagten darauf hinweisen müssen , dass es die Verletzung der Pflicht zur Remonstration zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs heranziehen könnte, ist nicht erhoben. Die Beanstandung wurde vom Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründungsschrift vielmehr (mehrfach) ausdrücklich als Aufklärungsrüge bezeichnet. Der dortige Vortrag zu dem gerichtlichen Hinweis diente ersichtlich allein dazu, deutlich zu machen, dass für den Angeklagten und seine Verteidiger in der Hauptverhandlung kein Anlass bestand, sich zu diesem Punkt zu äußern bzw. hierauf die Befragung des Angeklagten auszuweiten. Dem Senat ist es daher verwehrt, sich in diesem Zusammenhang mit einer Verletzung des § 265 StPO zu befassen. Denn Voraussetzung und Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 449/05, StV 2006, 57, 58 mwN). Allein die sich hieraus ergebende Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts, da es einem Revisionsführer wegen seiner Dispositionsbefugnis freisteht, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zulässigkeit 1 mwN).
17
2. Soweit der Angeklagte geltend macht, das Schwurgericht "hätte den Fall Bi. weiter ausermitteln müssen", ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da schon nicht mitgeteilt wird, welcher Beweismittel es sich hierbei hätte bedienen sollen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).
18
3. Auch die zur Vorhersehbarkeit des Taterfolgs für den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die Revisionsbegründung insofern konkrete Beweismittel benennt, wurden die Beweise vom Schwurgericht erhoben.
19
4. Die Rüge, das Schwurgericht habe gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen , weil es den Angeklagten nicht darauf hingewiesen habe, "dass er wegen seiner Erfahrungen aus dem Fall Bi. und aus einer vermeintlichen allgemeinen Lebenserfahrung hätte erkennen müssen, dass eine stetige visuelle Beobachtung geboten war und deshalb eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werde", ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 12. Dezember 2013 aufgeführten Erwägungen jedenfalls unbegründet.

III.


20
Die Verfahrensrüge des Nebenklägers M. D. , mit der er geltend macht, dass an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 für ihn kein Dolmetscher zugezogen worden sei, greift nicht durch. Auch die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben keinen Erfolg.
21
1. a) Der Rüge des Nebenklägers M. D. liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zugrunde:
22
Am 14. Januar 2011 war für den Nebenkläger M. D. bei Sitzungsbeginn zwar eine Dolmetscherin für die französische Sprache anwesend ; diese wurde aber nach kurzer Zeit entlassen, weil der Nebenkläger M. D. nicht französisch, sondern nur Fulla spricht. Lediglich am Nachmittag wurde für die Abgabe einer Erklärung des Nebenklägers ein Dolmetscher für Fulla zugezogen. Die Hauptverhandlung im Übrigen, unter anderem die Vernehmung zweier Zeugen, wurde an diesem Tag ohne Dolmetscher für den Nebenkläger durchgeführt. Auch am 6. Dezember 2011 wurden mehrere Zeugen vernommen, Urkunden verlesen und ein Augenschein eingenommen , ohne dass für den Nebenkläger ein Dolmetscher tätig war.
23
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
24
aa) Der Nebenkläger gehört nicht zu den Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 338 Rn. 42). Seine Abwesenheit in der Hauptverhandlung führt daher nicht zum Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO, vielmehr kann er sie lediglich nach § 337 StPO rügen (BGH aaO; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO). Nichts anderes gilt in Fällen, in denen der Nebenkläger zwar anwesend ist, ihm aber kein Dolmetscher zur Seite steht. Zwar ist nach § 185 GVG von Amts wegen ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn in der Hauptverhandlung ein Beteiligter - ein solcher ist auch der Nebenkläger - der deutschen Sprache nicht mächtig ist (BGH, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 StR 298/02, BGHR GVG § 185 Zuziehung 3). Da die Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers aber für den Nebenkläger zur Folge hat, dass er der Hauptverhandlung nicht folgen und er dort seine Rechte nicht wahrnehmen, sie also nicht beeinflussen kann, kann er bei Vorliegen einer solchen Gesetzesverletzung - revisionsrechtlich - nicht besser gestellt sein, als wenn er gar nicht anwesend war. Wie seine eigene Abwesenheit kann er deshalb auch die Abwesenheit des für ihn notwendigen Dolmetschers lediglich als relativen Revisionsgrund geltend machen.
25
bb) Die hierfür erforderliche Verfahrensrüge ist jedoch nicht zulässig erhoben.
26
(1) Zwar braucht sich die Revisionsbegründung mit der Frage des Beruhens grundsätzlich nicht zu befassen (vgl. dazu indes BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es aber erforderlich, dass die Revisionsbegründung den zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vorträgt. Hierfür muss sie im Fall einer Nebenklägerrevision auch - soweit sich dies nicht schon aus dem Antrag ergibt oder von selbst versteht - darlegen, dass sie mit der Verfahrensrüge ein nach § 400 StPO zulässiges Ziel verfolgt. Beanstandet der Nebenkläger daher, dass er an der Hauptverhandlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen konnte, muss er vortragen, dass er - läge die Gesetzesverletzung nicht vor - Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können, die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259).
27
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Vortrag der Revision, die ohne weitere Konkretisierung lediglich behauptet, dass der Nebenkläger "Anträge oder Erklärungen abgegeben hätte, die das Urteil hätten beeinflussen können", jedenfalls angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der bei dem Tatgeschehen nicht anwesende Nebenkläger, dessen anwaltlicher Beistand auch an den in Frage stehenden Hauptverhandlungstagen ununterbrochen anwesend war, ohne die Abwesenheit des Dolmetschers zu beanstanden, an diesen beiden Tagen Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können , die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten, zumal an mehreren weiteren Hauptverhandlungstagen für ihn Dolmetscher tätig waren und ihm auf Anregung seiner Rechtsanwältin auch am Nachmittag des 14. Januar 2011 für die Abgabe einer Erklärung ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dass der Nebenkläger M. D. in seinen Rechten dadurch betroffen wurde, dass er bei anderer Gelegenheit keine (sachdienlichen) Erklärungen abgeben, Tatsachen vorbringen oder Beweisanträge stellen konnte, weil er der an den beiden Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme bzw. Hauptverhandlung im Übrigen ohne einen Dolmetscher nicht folgen konnte, hat die Revision nicht behauptet und nicht geltend gemacht.
28
(3) Im Übrigen versäumt es die Revision vorzutragen, dass die Vertreterin des Nebenklägers M. D. selbst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 mitgeteilt hat, dass ihr Mandant in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher für die französische Sprache benötige. Auch dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zur Folge (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
29
2. Die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben bereits aus diesen Gründen keinen Erfolg, soweit sie ebenfalls beanstanden , dass für den Nebenkläger M. D. an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 kein Dolmetscher für Fulla zugezogen worden war; denn auch ihr Revisionsvortrag geht nicht weiter als der des Nebenklägers M. D. . Soweit sie ferner geltend machen, auch sie seien der deutschen Sprache nicht mächtig, trägt die Revision selbst vor, dass diese Nebenkläger an keinem der Hauptverhandlungstage zugegen waren. Auf einer Gesetzesverletzung zu ihrem Nachteil durch die Abwesenheit eines Dolmetschers kann das Urteil daher nicht beruhen.

IV.


30
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
31
1. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung hält der Überprüfung stand. Insbesondere ist das Schwurgericht rechtsfehlerfrei von einer Pflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen, dem es aufgrund des Zustandes und des Verhaltens von J. oblag, dessen ständige (auch) optische Überwachung in der Zelle zu veranlassen, um hierdurch der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. zu begegnen.
32
a) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , und die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58).
33
b) Diese Voraussetzungen hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht.
34
aa) Insbesondere ist das Landgericht aufgrund einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Würdigung von einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen.
35
Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).
36
Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für denGewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung vom 27. März 1995, MBl. LSA Nr. 34/1995 S. 1211 ff.; im Folgenden abgekürzt als PGO). Diese forderte schon in Nummer 3.1. Satz 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nummer 5.2. Sätze 5 und 6 PGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal - insbesondere für den Gewahr- samsdienst (dazu Nummer 7. PGO) - zur Verfügung stehen muss oder - soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nummer 31.3. PGO, dass betrunkene Personen im Abstand von "höchstens" 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind.
37
Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das Schwurgericht bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J. gesorgt hat. Denn der Angeklagte war - wie erwusste - trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J. gemäß Nummer 2.1. Satz 4 PGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. entgegenzuwirken. Eine solche - erforderliche und geeignete - Maßnahme hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J. gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nummer 31.3. PGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er - wie der Angeklagte wusste - an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seines (alkoholisierten) Zustandes bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angeklagten auch das zuvor von J. gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht - auch angesichts der Erfahrungen des Angeklagten im "Fall Bi. " - das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J. durch den Angeklagten als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat.
38
bb) Da die genannten Regelungen in den Nummern 3.1., 5.2. und 31.3. der Polizeigewahrsamsordnung zumindest auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der verwahrten Person bestimmt waren, hat der Angeklagte mit deren Missachtung gegen eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts gedient hat.
39
cc) Auch konnte der Angeklagte, der eingeräumt hat, die Polizeigewahrsamsordnung und deren hier einschlägige Regelungen gekannt zu haben, nach den Feststellungen des Landgerichts die Pflichtverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten insbesondere dadurch vermeiden, dass er die dauerhafte optische Überwachung von J. von einem der im "üblichen Streifeneinsatzdienst" befindlichen Polizeibeamten als einem im Zellenbereich ununterbrochen anwesenden Gewahrsamsbeamten vornehmen lässt oder er die Verbringung des J. in eine Justizvollzugsanstalt veranlasst.
40
dd) Das Schwurgericht ist ferner ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat.
41
Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt , dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).
42
Dies war hier nach den Feststellungen und rechtsfehlerfreien Wertungen des Schwurgerichts der Fall. Dass der betrunkene J. , der bereitszuvor versucht hatte, sich selbst zu verletzten, dieses Verhalten fortsetzen und für sich gefährliche Handlungen vornehmen wird, lag unter den gegebenen Umständen - auch angesichts seiner fortwährenden Beschwerden über die Fortdauer des Gewahrsams und der Fesselung - nach dem Maßstab des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches eines Polizeibeamten nicht fern und war daher objektiv und subjektiv für den Angeklagten als erfahrenem Polizeibeamten vorhersehbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 389/52, BGHSt 3, 218, 220; vom 23. April 1953 - 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187; vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78). Jedoch musste der Angeklagte zum einen, wie die Selbstverletzungsversuche belegen, mit irrationalen Handlungen des J. gerade rechnen. Zum anderen entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere - anders als hier - nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Eine die Vorhersehbarkeit möglicherweise beseitigende eigenverantwortliche Selbsttötung liegt nicht vor, weil es nach den Feststellungen des Landgerichts an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers, sich zu töten, gefehlt hat (vgl. dazu auch nachfolgend ee) (2) sowie BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).
43
ee) Die Kausalität des Nicht-Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Erfolges hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei ebenfalls nicht in Frage gestellt. Auch die insbesondere von Teilen des Schrifttums geforderte Zurechenbarkeit des Todes ist zu bejahen.
44
(1) Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert , dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).
45
Die danach gebotene Prüfung, ob eine ständige auch optische Überwachung von J. dessen Tod verhindert hätte, hat das Schwurgerichtvorgenommen und rechtsfehlerfrei bejaht. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn schon der zwischen dem Ansengen des Matratzenbezugs und dem Inbrandsetzen der Füllung vergangene Zeitraum sowie die festgestellten Tätigkeiten des J. , die er bis zum Inbrandsetzen vorgenommen hat, belegen hinreichend den Schluss des Landgerichts, dass bei einer ständigen optischen Überwachung der Tod von J. verhindert worden wäre.
46
(2) In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN). Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60). Auch macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60 mwN). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGH aaO).
47
Es kann dahinstehen, ob und inwiefern diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren, wenn der sich selbst Gefährdende oder Tötende hoheitlich verwahrt wird. Denn nach den Feststellungen des Schwurgerichts wollte J. sich gerade nicht selbst verletzen oder töten, sondern wollte mittels der Brandlegung das Lösen der Fixierung und seine Freilassung ohne eigene Schädigung erreichen (vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184; vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137 mwN). Auch dass J. bei der Brandlegung bewusst das Risiko einer Selbstverletzung oder -tötung eingegangen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass dieser darauf vertraut hat, dass die Polizeibeamten "alsbald" auf das Feuer aufmerksam werden und ihn (rechtzeitig) aus der Zelle holen.
48
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
49
Insbesondere ist bei Verhängung einer Geldstrafe diese bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern - wie dies das Schwurgericht getan hat - die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen , dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
50
Auch dass das Landgericht die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB nicht erörtert hat, stellt angesichts der Tatumstände und des Fahrlässigkeitsdelikten ohnehin immanenten Unterlassens der gebotenen Sorgfalt keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

V.


51
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge ebenfalls keinen Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Tötung weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
52
1. Insbesondere begegnet es im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
53
a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.
54
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.
55
b) Jedoch begegnet es aus einem anderen Grund keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
56
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass J. nach seiner Verbringung in die Gewahrsamszelle fixiert worden war. Denn diese Fesselung war zulässig. Rechtsgrundlage für sie war § 64 Nr. 3 SOG LSA (Schutz vor Selbstschädigung), dessen Voraussetzungen auf der Grundlage des vorangegangenen Verhaltens von J. und der entsprechenden - indes den Angeklagten nicht bindenden (vgl. Nummer 11.1. Satz 2 PGO) - Empfehlung des seine Gewahrsamsfähigkeit bestätigenden Arztes gegeben waren (zur Fortdauer der Fixierung: unten dd) (3) (c) (aa)).
57
Ebenso wenig kann die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Angeklagten allein deshalb angelastet werden, weil J. der Grund seiner Ingewahrsamnahme nicht mitgeteilt und er nicht belehrt wurde (vgl. dazu u.a. §§ 136, 137, 163c Abs. 1 Satz 3 StPO; § 39 SOG LSA; Nummer 15. PGO; Art. 36 Abs. 1 WÜK). Zwar erfolgte die Ingewahrsamnahme nicht mit dem Einverständnis von J. , jedoch hatte der Angeklagte, der weder die Festnahme vorgenommen hat, noch unmittelbar mit der Vernehmung von J. befasst war, nach den Feststellungen der Strafkammer keine Kenntnis davon, dass dieser weder vom Grund seiner Festnahme informiert, noch über seine Rechte belehrt worden war. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des entsprechenden Ablaufs der Ingewahrsamnahme hätte haben müssen oder er sich aus sonstigen Gründen hiervon hätte überzeugen müssen, liegen nicht vor, zumal es sich um eine gängige polizeiliche Maßnahme ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Problematik handelte.
58
bb) Ferner nimmt das Schwurgericht rechtsfehlerfrei an, dass dem Angeklagten hinsichtlich der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fortdauer der Freiheitsentziehung des J. kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Last zu legen wäre.
59
Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6; Urteile vom 7. September 2011 - 2 StR 600/10, NJW 2011, 3528, 3529; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
60
Daran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht hinsichtlich des hier maßgeblichen Zeitraums ab etwa 9.30 Uhr von einem Unterlassen ausgegangen ist. Denn der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angeklagten lag ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von J. ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun (vgl. RG, Urteil vom 20. Oktober 1893 - Rep. 2727/93, RGSt 24, 339, 340). Hinsichtlich des davor liegenden Zeitraums kann dahinstehen, ob insofern ein aktives Tun des Angeklagten (insbesondere mit der in dem Eintrag in das Buch über Freiheitsentziehungen liegenden Entscheidung ["i.O."]) oder ein Unterlassen vorliegt. Denn ein aktives Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
61
cc) Der Angeklagte war jedenfalls insofern auch Garant für den Schutz des J. vor rechtswidriger Freiheitsentziehung, als deren Rechtmäßig- keit von Handlungen oder Unterlassungen abhing, die ihm oblagen oder für die er die Verantwortung trug.
62
Denn als Dienstgruppenleiter trug er an diesem Tag die Verantwortung dafür, dass die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung nicht überschritten wird (Nummer 33.2. PGO) und der Gewahrsam "ordnungsgemäß" vollzogen wird (Nummer 2.1. Satz 4 PGO). Dementsprechend oblag es dem Angeklagten auch, dafür Sorge zu tragen, dass in den ihm bekannten Gewahrsamsfällen die der Polizei zugeordneten Voraussetzungen der gesetzesgemäßen Fortdauer einer Ingewahrsamnahme gewahrt und erfüllt werden bzw. bleiben. Deshalb hat er es zu Recht als seine Aufgabe angesehen, "das Dienstgeschehen zu überwachen" und dies auch auf den Gewahrsam von J. bezogen, für den er als Dienstgruppenleiter verantwortlich gewesen ist.
63
dd) Als sogenanntem "Beschützergaranten" (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 82 ff., 91 f. mwN) oblag dem Angeklagten eine Erfolgsabwendungspflicht, hier mithin die Pflicht, die unverzügliche Vorführung von J. beim zuständigen Richter zu veranlassen bzw. unverzüglich dessen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen.
64
(1) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 49).
65
(2) Dieser Pflichtenkreis umfasste beim Angeklagten - wie sich aus obigen Ausführungen zu seiner Garantenstellung ergibt - die Wahrung der der Polizei zugeordneten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von J. .
66
Dabei bedarf es - wie ausgeführt - schon wegen der fehlenden Kenntnis und des damit fehlenden Vorsatzes hinsichtlich eines entsprechenden Pflichtenverstoßes auch an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob die Ingewahrsamnahme von J. als solche rechtmäßig war. Maßgeblichist vielmehr, ob die Freiheitsentziehung zur Wahrung ihrer Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte mit ihr befasst war, weiteren polizeilichen Handelns bedurfte und ob bejahendenfalls der Angeklagte vorsätzlich ihm obliegende und mögliche Handlungen unterlassen hat, um einen drohenden oder bestehenden rechtswidrigen Zustand zu verhindern oder zu beseitigen.
67
Dies hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht, da dem Angeklagten bekannt war, dass die Freiheitsentziehung weder mit dem Einverständnis von J. erfolgt war noch von einem Richter angeordnet oder bestätigt worden war. Dass er hierauf gerichtete Handlungen gleichwohl unterließ, ist angesichts des Gewichts eines solchen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen und der Bedeutung der für eine solche Maßnahme erforderlichen richterlichen Entscheidung grundsätzlich geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
68
(a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit, die Freiheitsentziehung , fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, Urteil vom 30. April 1987 - 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 368 mwN; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 S 2963/11, NVwZ-RR 2012, 346; Nr. 37 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt).
69
(b) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Freiheitsrecht des J. in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich zu erholende richterliche Entscheidung voraus (vgl. zur vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat: § 128 Abs. 1 StPO; zur Festnahme zur Identitätsfeststellung: § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA; zum "Schutzgewahrsam" und zum Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit: § 38 Abs. 1 SOG LSA).
70
(c) Ausnahmen von diesem Grundsatz waren im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
71
Soweit § 128 Abs. 1, § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA die "unverzügliche" Vorführung bzw. das "unverzügliche" Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung fordern, ist dem schon im Hinblick auf den seit der Ingewahrsamnahme des J. (ca. 8.30 Uhr) und Befassung des Angeklagten (spätestens ab 8.44 Uhr) bis zum Tod des J. (nach 12.00 Uhr) vergangenen Zeitraum nicht genügt. Denn "unverzüglich" ist - wie bei Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, aaO; vom 19. Januar 2007 - 2 BvR 1206/04, NVwZ 2007, 1044, 1045; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Zwar sind nicht vermeidbar z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung , ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG aaO). Solche Umstände waren vorliegend aber nicht gegeben bzw. ihnen konnte - etwa hinsichtlich des renitenten Verhaltens des J. - durch geeignete Maßnahmen, wie sie etwa mit seiner Fesselung und der Überwachung durch Polizeibeamte schon nach der Festnahme ergriffen worden waren, zumindest so weit entgegengewirkt werden, dass eine Vorführung möglich gewesen wäre. Dass sich J. in einem Zustand befunden hat, der seine unverzügliche Vorführung schlechterdings unmöglich machte, ergeben die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Auch lagen die Voraussetzungen des § 420 Abs. 2 FamFG, die ohnehin lediglich ein Absehen von der Anhörung, nicht aber der richterlichen Befassung ermöglichen , ersichtlich nicht vor (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2012, 346). Unabhängig davon, ob der Zustand von J. dazu ausgereicht hätte, zumindest eine lediglich "symbolische" Vorführung - wie sie Nr. 51 RiStBV für Fälle des § 128 StPO vorsieht (siehe dazu auch Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 239 Rn. 23) - vorzunehmen, zielt der Richtervorbehalt auf eine Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345, 1346 [zu § 81a StPO]), erschöpft sich mithin nicht in der bloßen Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern dient auch dazu, dem Richter insbesondere in den Fällen des "Schutzgewahrsams" die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 1 BvR 338/07, NJW 2007, 3560 mwN).
72
Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden -Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. - zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG - auch BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, aaO).
73
Es bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung längere Zeit in Anspruch genommen hätte als die Identitätsfeststellung (vgl. § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO; § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA) bzw. erst nach dem Wegfall des Grundes für den "Schutzgewahrsam" ergangen wäre (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sowie VGH Baden-Württemberg aaO). Denn der 7. Januar 2005 war ein Werktag und die Vorführung wäre zu einer üblichen Arbeitszeit erfolgt, so dass - entsprechend den Feststellungen des Schwurgerichts - davon auszugehen ist, dass die richterliche Entscheidung alsbald ergangen wäre. Zudem sollte mit der erkennungsdienstlichen Behandlung von J. erst um 14.00 Uhr begonnen werden; dies war auch der vom Angeklagten prognostizierte Zeitpunkt, bis zu dem J. in der Zelle verbleiben sollte.
74
(3) Jedoch fehlt es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung.
75
(a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann - ontologisch - nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur - notwendigerweise normativen - Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die "hypothetische Kausalität" , die so genannte "Quasi-Kausalität", ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Nach ihr ist ein Unterlassen mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen und zu prüfen, ob dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, ob also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53, BGHSt 6, 1, 2; vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126; vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 93). Hierfür muss - da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt - das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Schluckebier, aaO, § 239 Rn. 8 a.E. mwN).
76
Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Ebenso wenig genügt es, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN). Vielmehr muss sich die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85, NStZ 1986, 217; vom 25. April 2001 - 1 StR 130/01; vom 6. März 2008- 4 StR 669/07, BGHSt 52, 159, 164; Urteile vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
77
Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen, bedeutet jedoch nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 127).
78
(b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende:
79
Welche Handlung eines Unterlassungstäters im Rahmen der Kausalitätsprüfung hinzuzudenken ist, bestimmt sich bei bestehenden Handlungsalternativen vorrangig danach, ob und gegebenenfalls welche von ihnen geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern. Bei erfolgsqualifizierten Delikten wie § 239 Abs. 4 StGB ist dabei der für diese Prüfung maßgebliche "Erfolg" - jedenfalls zunächst - nicht die Todesfolge, sondern der des Grunddelikts, mithin eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, da deren Verhinderung bei Vornahme einer der gebotenen Handlungen zur Straflosigkeit führen würde. Kommen dabei - wie vorliegend - alternative Handlungen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (z.B. durch Entlassen des J. aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang" von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Wille des Angeklagten als dem Unterlassenden auf die Fortsetzung des Gewahrsams gerichtet war (im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624; Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17).
80
Da die gebotene Handlung des Angeklagten bei Fortführung des Gewahrsams das Veranlassen der unverzüglichen (zumindest "symbolischen") Vorführung des J. beim zuständigen Richter bzw. das unverzügliche Herbeiführen von dessen Entscheidung war, entfällt die Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte (ähnlich für den Fall der Fixierung eines Heiminsassen ohne vormundschaftgerichtliche Anordnung: Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624). Hierbei ist eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrunde zu legen. Soweit dem Richter dabei jedoch Beurteilungsspielräume eingeräumt sind, gebietet es der Grundsatz in dubio pro reo, diese zugunsten des Angeklagten auszu- schöpfen (vgl. dazu auch Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 20 a.E.).
81
(c) Auf dieser Grundlage ist für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Gewahrsam des J. angeordnet hätte. Damit entfällt die Ursächlichkeit des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des J. .
82
(aa) Die Annahme, der zuständige Richter hätte den diesen Zeitraum umfassenden Gewahrsam des J. angeordnet, kann sich zwar nichtauf § 127 StPO (vorläufige Festnahme nach einer Straftat) bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA (Gewahrsam zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit bzw. zur Verhinderung deren Fortsetzung) stützen. Denn es war schon bei der Festnahme weder Fluchtgefahr gegeben, noch lagen die weiteren Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vor oder bestanden tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten unmittelbar bevorstehen bzw. deren Fortsetzung droht, zu deren Verhinderung die Ingewahrsamnahme von J. unerlässlich war.
83
Auch die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage für das Festhalten des J. in Betracht kommenden § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (Identitätsfeststellung für Zwecke der Strafverfolgung), des § 127 Abs. 1 StPO (in der die Identitätsfestellung betreffenden Alternative) oder von § 20 Abs. 4 SOG LSA (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr) lagen jedenfalls schon geraume Zeit vor dem unmittelbar zum Tod von J. führenden Geschehen nicht mehr vor. Denn ein hierauf gegründeter Eingriff in das Freiheitsgrundrechtdes J. kam erst dann in Betracht bzw. durfte - wenn er rechtmäßig begonnen worden war - nur fortgesetzt werden, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des J. noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig zu bestimmen. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit der bei seiner Durchsuchung aufgefundenen, mit seinem Lichtbild und seinen Personalien versehenen "Duldung" zu zweifeln. Für eine solche Annahme bestand indes ab dem Zeitpunkt, in dem die vom Angeklagten vorgenommene INPOL-Abfrage diese Personalien zumindest im Wesentlichen bestätigt hatte, kein Anhalt mehr. Jedenfalls mit dem ersichtlich zeitnah möglichen Abgleich mit dem Ergebnis bereits früher - auch in De. - durchgeführter erkennungsdienstlicher Behandlungen war die Rechtsgrundlage für ein weiteres Festhalten des J. zur Identitätsfeststellung entfallen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90, NVwZ 1992, 767; vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04, NStZ-RR 2006, 381 mwN). Selbst wenn der zuständige Richter zunächst noch die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung angeordnet hätte, wäre diese von ihm derart befristet worden, dass J. lange vor dem tödlichen Geschehen entlassen worden wäre.
84
Jedoch ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter den "Schutzgewahrsam" des J. gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte. Nach dieser Vorschrift waren die Ingewahrsamnahme und deren weiterer Vollzug zulässig, "wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet". Diese Voraussetzungen waren - am oben dargelegten Maßstab gemessen - gegeben. Denn J. war stark alkoholisiert. Die bei ihm um 9.15 Uhr entnommene Blut- probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille, die Blutalkoholkonzentration im Leichenblut betrug noch 2,68 Promille; zudem wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Hinzu kam sein - bis hin zum Anzünden der Matratze - gezeigtes selbstgefährdendes Verhalten, das schon kurz nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier und den Kopfstößen in Richtung Tisch und Wand einen Polizeibeamten zum Eingreifen zugunsten von J. gezwungen und den Arzt, der ihn auf seine Gewahrsamstauglichkeit untersucht hat, dazu veranlasst hat, die Fixierung von J. zu empfehlen. Auch war sein zunächst noch anlasslos belästigendes, später aber aggressives und - bei den Widerstandshandlungen - mit körperlicher Gewalt verbundenes Verhalten mit der Gefahr verbunden, dass sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen und hierdurch (berechtigt) die Gesundheit von J. beeinträchtigen. Dabei belegen insbesondere die hohe Alkoholisierung und das schon vor dem Eingreifen der Polizeibeamten von J. gezeigte Verhalten hinreichend, dass die Gefahr für dessen Gesundheit nicht lediglich durch die seiner (möglichen) Einschätzung nach unberechtigte Ingewahrsamnahme, sondern zumindest wesentlich durch seine Alkoholisierung und den Drogenkonsum bedingt waren.
85
Aufgrund dieser Tatsachen ist "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass der zuständige Richter - bei Ausschöpfen ihm eröffneter Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer des Gewahrsams des J. auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte.
86
Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre, bestehen nicht. Dies liegt aufgrund des von J.
gezeigten Verhaltens auch nicht nahe. Zwar darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine solche Sicherungsmaßnahme nicht länger aufrechterhalten werden als es notwendig und angemessen ist; sie ist ferner zu beenden , wenn mildere Mittel den Zweck ebenfalls erreichen würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98, NStZ 1999, 428, 429). Im Hinblick auf die bestehende Gefahr selbstgefährdenden Verhaltens des J. , das sich bis hin zum Anzünden der Matratze fortsetzte, überschritt der Zeitraum der Fixierung aber trotz der zunehmenden Dauer und der mit ihr verbundenen Belastungen aus den oben dargelegten Gründen (noch) nicht den Beurteilungsspielraum, der (auch) den Polizeibeamten bei ihrer Anordnung und dem Vollzug einer solchen Sicherungsmaßnahme zukommt. Einer besonderen richterlichen Gestattung oder Anordnung der Fixierung bedurfte es jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA; ferner BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 213/93, NJW 1994, 1339; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 28 [Stand: 2014]).
87
(bb) Für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten kommt es in Fällen parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten zwar nicht auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft an (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 87 mwN). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
88
Sollte nämlich das Verhalten anderer, für den Gewahrsam des J. verantwortlicher Polizeibeamter ebenfalls als pflichtwidrig zu bewerten sein, würde nicht eine Garantengemeinschaft im obigen Sinn vorliegen, sondern Nebentäterschaft. Denn der Angeklagte hätte allein durch eigenes Handeln , mithin unabhängig vom (Nicht-)Handeln der anderen, die ihm obliegenden Voraussetzungen für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung herbeiführen können. Ein Fall des objektiven Ineinandergreifens jeweils individuell rechtswidrigen Verhaltens im Sinn einer Garantengemeinschaft liegt daher nicht vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
89
(cc) Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Prüfung der "Quasi-Kausalität" selbst vorzunehmen.
90
Dabei steht der Entscheidung durch den Senat nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Schwurgerichts dahin versteht, dieses habe nicht feststellen können, ob die Ingewahrsamnahme von J. zu dessen Schutz unerlässlich gewesen sei. Denn die - wie ausgeführt - normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens bezieht sich nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte. Dafür stand dem Schwurgericht und steht dem Senat angesichts der von jenem rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen, im - wie die (erfolglosen) Verfahrensrügen belegen - angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung.
91
2. Soweit das Schwurgericht die Verwirklichung anderer Straftatbestände durch den Angeklagten ausgeschlossen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
92
Wegen Totschlags durch Unterlassen hätte sich der Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. BGH, Be- schluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380 mwN). Letzteres hat das Landgericht indes ebenso rechtsfehlerfrei verneint wie hinsichtlich weiterer in Betracht kommender Strafvorschriften den Vorsatz.
93
Ein strafbarer Versuch der Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) liegt nicht vor, da bei diesem der Tatplan - von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - auf einen nach der Vorstellung des Täters kausal durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolg gerichtet sein muss (vgl. SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 16, 24). An einem entsprechenden Vorsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 [Rn. 36]) fehlt es - wie oben ausgeführt - jedoch.
94
3. Auch der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

VI.


95
Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung mit Todesfolge war und ist - entgegen der Ansicht der Verteidiger des Angeklagten - nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 10).
96
Im Revisionsverfahren ist eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der dort Beteiligten nur insofern veranlasst, als diese das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 473 Rn. 10a, 15, 18 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.