5 StR 632/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 21. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2008 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren
Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen
gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem
Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel
2 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte,
der aufgrund mehrerer Vorverurteilungen einen beachtlichen Teil seines Lebens
im Strafvollzug verbracht hatte, am 19. Dezember 2006 aus der Haft
entlassen. Trotz einer engmaschigen Betreuung war er mit der ihm gewährten
Unterstützung unzufrieden. Kurz nach seiner Haftentlassung begann er,
übermäßig viel Alkohol zu trinken und Diazepam einzunehmen. Dieser Medikamentenmissbrauch
verstärkte sich im Februar 2007. Am 15. Februar 2007
ließ er sich in einem Juweliergeschäft in der U. in Berlin beraten
und zahlreiche Schmuckstücke zeigen. Am nächsten Tag suchte er zunächst
die für ihn zuständige Mitarbeiterin der „Freien Hilfe“ auf. Dort trat er erregt
auf und kündigte an, einen Juwelier am Kurfürstendamm überfallen zu wollen.
Die Mitarbeiterin gewann den Eindruck, der Angeklagte sei „psychisch
total von der Rolle“. Er verließ das Büro der Mitarbeiterin gegen 11.30 Uhr.
Etwa 40 Minuten später begab er sich in das Juweliergeschäft in der U.
und bat die Inhaberin, ihm einen Ring aus der Fensterauslage vorzulegen.
Als sie sich mit dem Ring wieder dem Angeklagten zuwandte, hatte
dieser über seine rechte Hand einen durchsichtigen Plastikhandschuh gestreift
und damit aus seiner Manteltasche ein Messer hervorgeholt. Er hielt
der Inhaberin das Messer drohend vor, öffnete die Lade des Verkaufstresens
und entnahm dieser mehrere Schmuckstücke im Gesamtwert von etwa
30.000 Euro, mit denen er flüchtete. Vier Tage später schilderte er seinem
Bewährungshelfer die Tat und stellte sich der Polizei.
3 Die sachverständig beratene Strafkammer hat zugrundegelegt, dass
bei dem Angeklagten eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom
Borderline-Typ neben einer Alkoholabhängigkeit vorliege. Es könne nicht
ausgeschlossen werden, dass während des Aufenthalts bei der Mitarbeiterin
der „Freien Hilfe“ die Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen Verminderung
der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Für eine Beeinflussung durch
diese Störung bei der eigentlichen Tat gebe es keinen Hinweis, da sich nicht
feststellen lasse, „dass die Borderline-Störung zu diesem Zeitpunkt wirksam“
gewesen sei. Der Angeklagte betreibe zwar Alkohol- und Diazepammissbrauch
; auch dies stehe aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang
mit der Tat. Demzufolge sei der Angeklagte bei der Tat voll schuldfähig gewesen.
4 2. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift
des Generalbundesanwalts ohne Erfolg bleiben, führt die Sachrüge zur Auf-
hebung des Strafausspruchs und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des
5 Die Bewertung der Schuldfähigkeit durch das Landgericht hält hinsichtlich
des Vorliegens der Voraussetzungen des
§ 21 StGB sachlichrechtlicher
Prüfung nicht stand. Die Feststellungen zum geistig-seelischen Zustand
des Angeklagten während der Tatausführung sind lückenhaft und damit für
das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar (vgl. BGHSt 49, 347, 356; BGH,
Beschluss vom 21. November 2007 – 2 StR 548/07 Rdn. 5).
6 Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass die Persönlichkeitsstörung
bei der Tatbegehung „nicht wirksam“ gewesen sei, steht dies in einem
Spannungsverhältnis zu der Feststellung, dass nur 40 Minuten zuvor die
Borderline-Störung zu einer nicht ausschließbaren erheblichen Verminderung
der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Letzteres setzt voraus, dass die Persönlichkeitsstörung
einen solchen Schweregrad erreicht hat, dass sie als
nicht ausschließbar erhebliche schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne
der
§§ 20,
21 StGB eingeordnet werden kann (vgl. BGHSt 42, 385, 388).
Bei einer solchen Persönlichkeitsstörung handelt es sich aber um einen tief
verwurzelten, anhaltenden Zustand im Sinne eines überdauernden Musters
von innerem Erleben und Verhalten (vgl. hierzu Diagnostisches und Statistisches
Manual DSM-IV 1996, S. 711). Ein plötzliches – innerhalb von 40 Minuten
eintretendes – Abflachen der Persönlichkeitsbeeinträchtigung ist mit
dieser Diagnose nicht ohne weiteres in Übereinstimmung zu bringen.
7 Sofern das Landgericht mit seiner Formulierung zum Ausdruck bringen
wollte, dass die Persönlichkeitsstörung die Schuldfähigkeit bei dem konkreten
Rechtsverstoß, dem Raub, nicht beeinflusst hat, so ist dies nicht tragfähig
belegt und eindeutig festgestellt. Ob die Steuerungsfähigkeit bei der
Begehung der Tat erheblich eingeschränkt war, hat das Tatgericht in einer
Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung
zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Aus-
führung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (BGHSt 49,
45, 54; BGHR
StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36), und dies in
nachvollziehbarer Weise darzustellen (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2007
– 3 StR 261/07). Das Landgericht stellt eine solche Gesamtwürdigung nicht
an, sondern stützt sich allein auf die zielstrebige und entschlossene, nicht
von impulsivem Verhalten geprägte Tatausführung. Dies begegnet für sich
genommen bereits Bedenken, da dem Leistungsverhalten für die Beurteilung
der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit durch eine schwere andere seelische
Abartigkeit nur eine mindere Bedeutung zukommt (BGH NStZ-RR 2002,
230; BGH StV 2003, 157 f.). Jedenfalls aber ist hier eine Auseinandersetzung
mit anderen sich nach den Feststellungen aufdrängenden Aspekten,
die für eine forensisch relevante Beeinträchtigung sprechen, unterblieben. So
fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit des Angeklagten
, der mit der Bewältigung des Lebens in Freiheit offensichtlich überfordert
war, dem unmittelbaren Anlass für die Tat, den handlungsleitenden Motiven
und dem auffälligen Vor- und Nachtatverhalten. Hinzu kommt, dass die beiden
Sachverhaltskomplexe, die das Landgericht hinsichtlich der Schuldfähigkeit
unterschiedlich beurteilt, durch die Ankündigung der Tat – möglicherweise
fasste der Angeklagte auch hier, also selbst auf der Grundlage der Feststellungen
im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit, den konkreten
Tatentschluss – miteinander verknüpft sind, was zu bewerten gewesen
wäre.
8 Besonders aufgedrängt hätte sich aber auch die Erörterung konstellativer
Faktoren, wie Alkohol- und Medikamentenintoxikation im Zusammenwirken
mit der Persönlichkeitsstörung. Hierzu stellt das Landgericht lediglich
fest, dass der Angeklagte Alkohol und Diazepam zu sich genommen hatte,
die sich in ihrer Wirkung zwar verstärkt hätten, der Konsum liege aber nur
„unterhalb der wahrnehmbaren Grenze“. Hierzu stützt sich die Strafkammer
auf die Aussage der Inhaberin des überfallenen Geschäfts, wonach sie nur
am Tag vor der Tat leichten Alkoholgeruch bei dem Angeklagten wahrgenommen
, ihn bei der Tat nicht als nervös empfunden habe und ihr körperli-
che Ausfallerscheinungen nicht aufgefallen seien. Dabei bleibt nicht nur ungeklärt
, ob die Zeugin die Wirkung von Diazepam überhaupt einschätzen
konnte und ab welchem Maß eine Intoxikation durch Diazepam für Dritte zu
bemerken ist, sondern auch, welchen Einfluss dieses Medikament – zumal
im Zusammenwirken mit Alkohol – auf die Steuerungsfähigkeit haben kann.
Vor allem bleibt der auffällige Unterschied zum Verhalten des Angeklagten
gegenüber der Mitarbeiterin der „Freien Hilfe“ 40 Minuten zuvor unerörtert.
Der Rückschluss von der Zeugenaussage auf einen nicht wahrnehmbaren
Rauschmittelkonsum und damit auf die fehlende Beeinflussung bei der Tat
durch diese Faktoren ist damit nicht ausreichend belegt (vgl. BGH, Beschlüsse
9 3. Ein Ausschluss der Schuldfähigkeit kommt ersichtlich nicht in Betracht
, im Blick auf die Typik und Schwere der festgestellten Persönlichkeitsstörung
(vgl. BGHSt 42, 385, 388) auch keine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus. Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass die
Voraussetzungen des
§ 21 StGB zur Tatzeit vorgelegen haben oder nicht
auszuschließen sind und dadurch die – ohne Milderung nach § 49 Abs. 1
StGB nicht zu beanstandende – Freiheitsstrafe milder ausgefallen wäre.
Gerhardt Raum Brause
Schaal Jäger