Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 62/12
vom
24. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Mai 2012,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin Schübel
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklägervertreterin für E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 7. Oktober 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil – mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
3. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil erheben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft die allgemeine Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes sowie wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs eines Kindes mit Todesfolge. Ihr Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt vertreten, soweit die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags angegriffen ist. In diesem Umfang hat es Erfolg.

II.


2
1. Die Strafkammer hat Folgendes festgestellt:
3
Der nicht vorbestrafte, zum Zeitpunkt der Tat 25 Jahre alte Angeklagte lebte seit Anfang Dezember 2010 mit der Nebenklägerin, der Zeugin E. , sowie deren am 1. Oktober 2010 geborenen, aus einer anderen Beziehung stammenden Tochter A. E. , dem Opfer der vorliegenden Straftat , zusammen. Am Abend des 24. Februar 2011 begab sich die Nebenklägerin mit einer Freundin in eine Diskothek, der Angeklagte, der dies nicht vollumfänglich akzeptierte, aber dennoch keinerlei Einwände dagegen erhob, verblieb mit A. in seiner Wohnung. Im Laufe des Abends trank der Angeklagte un- gefähr acht Schnapsgläser „Jägermeister“. Gegen 22.30 Uhr fütterte er den ru- hig auf dem Sofa liegenden Säugling. Der Angeklagte sah fern und spielte am PC. Um 0.15 Uhr sandte er der Zeugin E. eine SMS mit dem Inhalt: „Ich liebe Dich“, die sie jedoch in der Diskothek nicht empfangen konnte. In der Fol- gezeit zog der Angeklagte A. bis auf den Body und die Strumpfhose aus. Das Kind lag mit dem Rücken auf der Couch und sah an die Zimmerdecke. Mit Kitzeln am Fuß und Handbewegungen vor den Augen testete der Angeklagte , ob es reagierte.
4
Als das nicht der Fall war, entschied er sich, das Kind sexuell zu missbrauchen. Er biss A. zunächst an der Innenseite des rechten Oberschenkels in das Bein, nachdem er dieses entsprechend gedreht hatte. Sodann kniete er sich auf den Boden vor die Couch unmittelbar vor dem dort auf dem Rücken liegenden Säugling. Dann öffnete er seine Hose und manipulierte mit der linken Hand an seinem entblößten Glied. Anschließend nahm er Zeige-, Mittel- und Ringfinger seiner linken Hand – eventuell auch einen anderen glatten Gegenstand von 4-5 cm Durchmesser oder seinen Penis – und steckte sie an der Windel vorbei in den After von A. , um diesen zu weiten. Mehrmals – etwa 5 Minuten lang – wiederholte er diese Handlungen: Manipulieren an seinem Penis mit der linken Hand und Einführen der Finger, des Penis oder eines Gegenstandes mindestens 6 cm tief in den After des Säuglings. Dabei hatte er schließlich zumindest eine Erektion mit der Folge, dass Ejakulat in den Analbereich des Kindes gelangte. A. begann nun aufgrund der ihr zugefügten Schmerzen laut zu weinen. Der Angeklagte versuchte das Kind zu beruhigen, indem er ihm Tee gab. Dies gelang ihm jedoch nicht; vielmehr erbrach A. den zuvor gegessenen Brei.
5
Es war inzwischen etwa 0.30 Uhr. A. ließ sich nicht mehr beruhigen und schrie weiter. Ob dies das Motiv für die weiteren Handlungen des Angeklagten war oder er noch weitere oder andere Beweggründe hatte, konnte die Kammer nicht klären. Jedenfalls schüttelte der Angeklagte den Säugling nunmehr so heftig, dass der Kopf mindestens fünf Mal zur Seite flog. Zudem gab er A. mehrere Backpfeifen und schlug ihr so stark gegen den Bauchraum, dass Milz und Leber einrissen. Er nahm das Kind dann auf und setzte sich auf die Couch, wobei er noch mit dem Hinterkopf des Säuglings gegen die Kante des vor der Couch stehenden Tisches stieß. Bei dem Schütteln und den Schlägen nahm er den Tod des Säuglings zumindest billigend in Kauf.
6
Aufgrund der zugefügten Misshandlungen war A. leblos. Um 0.46 Uhr setzte der Angeklagte einen Notruf ab. Um 0.59 Uhr traf der Notarzt in der Wohnung des Angeklagten ein und veranlasste die Einlieferung des bereits komatösen Kindes in das Klinikum Herford, wo um 3.45 Uhr sein Tod festgestellt wurde. Todesursache war ein zentrales Herz-Kreislaufversagen bei schwerem Hirnödem, das auf mehrfache stumpfe Gewalteinwirkungen gegen Kopf und Bauch zurückzuführen war.
7
Die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei Begehung der Tat weder aufgehoben noch erheblich vermindert im Sinne der §§ 20, 21 StGB.
8
Bei der Auswertung der Festplatte des PCs des Angeklagten wurden fünf kinderpornografische Dateien sichergestellt, die Bilder enthalten, auf denen ein unbekleidetes Kind sexuelle Handlungen an sich duldet bzw. an einem ebenfalls nackten Erwachsenen vornimmt.
9
2. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht geprüft und verneint. Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Mordmerkmale hat es nicht gesehen.

III.


10
Die Revision des Angeklagten ist zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

IV.


11
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist das Urteil aufzuheben, soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer das Mordmerkmal einer Tötung aus niedrigen Beweggründen nicht geprüft hat. Das weiter gehende Rechtsmittel erweist sich als unbegründet.
12
1. Entgegen der Auffassung der Revision begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 176b StGB) verurteilt hat. In dem Tod des Kindes hat sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht die tatbestandsspezifische Gefahr des sexuellen Missbrauchs verwirklicht. Der Angeklagte hat den Entschluss zur Tötung des Kindes erst gefasst, nachdem er die sexuellen Handlungen an dem Kind vorgenommen hatte. Der Generalbundesanwalt weist zu Recht darauf hin, dass den sexuellen Handlungen auch nicht das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftete, das sich im Eintritt des Todes verwirklicht hätte (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 647/98, StV 1999, 373, 374).
13
2. Ebenso wenig ist es rechtlich zu beanstanden, dass das Landgericht das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verneint hat. Das Landgericht hat dabei vor allem darauf abgestellt, unter den festgestellten Umständen habe der Angeklagte keine Veranlassung gehabt, davon auszugehen, dass der sexuelle Missbrauch bekannt werden könnte.
14
Diese Wertung der Strafkammer beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Denn nach den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen waren die äußeren Verletzungen am After des Säuglings minimal und wären wahrscheinlich niemandem aufgefallen. Außerdem musste der Angeklagte nicht davon ausgehen, dass die Nebenklägerin hinsichtlich der Betreuung ihres Kindes durch den Angeklagten besonders skeptisch sein würde, da es insoweit bis zu der Tat von ihrer Seite keinerlei Beanstandungen gegeben hatte. Vor diesem Hintergrund hätte es etwa für die Zeugin E. – auch aus Sicht des Angeklagten – keine zwingenden Rückschlüsse auf das Vorgeschehen zugelassen, wenn A. bei ihrer Rückkehr noch geweint hätte.
15
Mit ihren davon abweichenden eigenen Schlussfolgerungen kann die Revision nicht gehört werden.
16
3. Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass das Landgericht eine Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB nicht erkennbar geprüft hat. Hierzu bestand jedoch nach den Feststellungen Anlass. Dem entsprechend waren Ausführungen dazu in den Urteilsgründen erforderlich, um dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils zu ermöglichen.
17
a) Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist; ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren einschließt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 126 f.; vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, 47, 128, 130 mwN).
18
An dieser Gesamtwürdigung fehlt es hier. Das Landgericht hätte vor allem berücksichtigen müssen, dass sich nach den Feststellungen – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – der bedingte Tötungsvorsatz als Fortsetzung der im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch begangenen Körperverletzung darstellt. Der Angeklagte hat das laute Schreien und Weinen des Kindes, das zumindest auch Auslöser für die Tötung war, durch dessen brutale Misshandlung selbst verursacht. Denn das Kind hatte vor dem sexuellen Missbrauch ruhig auf dem Sofa gelegen und begann nur deshalb zu schreien und konnte nicht mehr beruhigt werden, weil der Angeklagte ihm im Zusammenhang mit der analen Penetration erhebliche Schmerzen zugefügt hatte. In dieser Situation schüttelte der Angeklagte das Kind so heftig, dass sein Kopf mindestens fünf Mal zur Seite flog, versetzte ihm mehrere Backpfeifen und schlug ihm so stark gegen den Bauchraum, dass Milz und Leber einrissen.
19
Mit Rücksicht auf diese Feststellungen hätte das Landgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung den schweren sexuellen Missbrauch des Kindes zu dem sich in kurzem zeitlichen Abstand anschließenden, zu seinem Tode führenden Gewaltexzess in Bezug setzen und erörtern müssen, ob und inwieweit sich hieraus Rückschlüsse auf die bei der Tötung wirksamen Handlungsantriebe des Angeklagten ziehen lassen. So lag es zumindest nahe und hätte vom Landgericht in den Blick genommen werden müssen, dass der Angeklagte durch die zum Tod führenden massiven Gewalthandlungen die von ihm selbst verursachten Schmerzensschreie des Kindes beenden wollte.
20
Der Bundesgerichtshof nimmt bei Tötungen aus nichtigem, nicht nachvollziehbarem Anlass – etwa aus Wut und Verärgerung – besonders verwerfliche Tötungsmotive im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB an, wenn die zugrunde liegenden Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2005 – 1 StR 195/05, NStZ 2006, 284, 285 mwN; Urteil vom 19. Oktober 2011 – 1 StR 273/11). Erst recht muss diese Wertung regelmäßig gelten, wenn der Täter den äußeren Impuls, der sein zur Tötung des Opfers führendes Handeln ausgelöst hat, durch vorangegangenes Verhalten selbst herbeigeführt hat. Selbst wenn der Angeklagte das Kind allein deshalb getötet haben sollte, weil es nicht aufhörte zu schreien und er es durch sein Handeln „nur“ zum Schweigen bringen bzw. ruhig stellen wollte, kann dies vor dem Hintergrund, dass er selbst durch den sexuellen Missbrauch für die Schmerzensschreie die Ursache gesetzt hatte, auf einen nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehenden und deshalb besonders verachtenswerten Handlungsantrieb hindeuten. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit Fällen des zum Tode führenden Schüttelns von Kleinkindern vergleichbar , in denen der Täter handelt, weil er sich mit der Versorgung des Säuglings nervlich überfordert fühlt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06, NStZ-RR 2007, 111). Dies gilt hier auch deshalb, weil der Angeklagte über das Schütteln des Kindes hinaus weitere massive Gewalthandlungen begangen hat.
21
b) Da das Landgericht das mögliche Vorliegen niedriger Beweggründe nicht erörtert hat, ist die Verurteilung wegen Totschlags aufzuheben. Die Fest- stellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, da sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter kann ergänzende, dazu nicht im Widerspruch stehende Feststellungen treffen; die subjektive Tatseite ist ohnehin neu festzustellen. Die bisherigen Feststellungen zum Tötungsvorsatz und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
22
c) Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
Ernemann Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 176b Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer auf ein Kind durch einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) einwirkt, um 1. das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder an oder vor einer dritten Pe

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer auf ein Kind durch einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) einwirkt, um

1.
das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder an oder vor einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll, oder
2.
eine Tat nach § 184b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 oder nach § 184b Absatz 3 zu begehen.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Bei Taten nach Absatz 1 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 273/11
vom
19. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
der Angeklagte S. persönlich sowie seine Erziehungsberechtigten,
- in der Verhandlung - ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16. Dezember 2010 werden verworfen.
Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Heilbronn zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und den Angeklagten S. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit Totschlag durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte R. mit zwei Verfahrensrügen und der Sachrüge. Der Angeklagte S. erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin werden ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. Sie erstreben bezüglich beider Angeklagten eine Verurteilung wegen Mordes. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg.

II.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts brüstete sich der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte R. oftmals in seinem Umfeld in E. damit, dass er Kontakt zur Unterwelt habe. Er umgab sich mit jüngeren Jugendlichen, die ihn schätzten. Von Gleichaltrigen wurde er als Angeber verlacht. Dem damals 14-jährigen A. M. , dem späteren Opfer, verschaffte er einen scharfkantig geschliffenen Wurfstern. Als dessen Mutter den nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstand bei ihm fand, stellte sie ihren Sohn zur Rede und erstattete am 8. Dezember 2009 Anzeige bei der Polizei. Der Angeklagte R. und A. M. wurden von dieser vorgeladen.
3
R. verkündete als Reaktion auf diese Anzeige im Dezember 2009 und Januar 2010 mehrfach, er werde A. M. umbringen. Seine Altersgenossen machten sich darüber lustig. Einer wettete sogar mit ihm um 10 Euro, dass er dies nicht tun werde. Auch gegenüber dem späteren Opfer und in der Clique um den damals 14-jährigen Angeklagten S. äußerte er, er werde A. M. wegen dieser Sache umbringen. Dort wurde die Ankündigung ernst genommen. Da aber nichts geschah und R. mit A. M. wieder normalen Umgang pflegte, geriet die Sache immer mehr in den Hintergrund.
4
Der Angeklagte S. wusste, dass R. sich immer wieder damit gebrüstet hatte, er werde A. M. umbringen. Am 23. Februar 2010 machte er dies zum Thema in SMS, die er mit der Zeugin K. austauschte. Unter anderem schrieb er: "ich glaub der stirbt heut abend xP …". Als die Zeugin frag- te, warum das eigentlich sein müsse, erwiderte er: "weil der kumpel bei bullen angezeigt hat …".
5
Zwei Tage später, am 25. Februar 2010, kauften R. und A. M. gemeinsam ein. Sie erwarben einen Tetrapack Eistee und eine Flasche Wodka für Mixgetränke. Sie trafen auf die Gruppe um S. . Gemeinsam begaben sie sich zur elterlichen Wohnung des Angeklagten S. , um diesen zu veranlassen , sich der Gruppe anzuschließen. R. , der nun einen konkreten Tatplan hatte, wollte S. zur Mitwirkung beim Vorgehen gegen A. M. bewegen. Zu diesem Zweck stachelte er M. auf, S. im weiteren Verlauf des Abends zu schlagen. Er wollte dadurch eine feindselige Einstellung des Angeklagten S. gegenüber M. erreichen.
6
Die Gruppe zog dann mit dem überredeten S. hinter das Feuerwehrhaus von E. , um "herumzuhängen" und Eistee mit Wodka zu trinken. Tatsächlich kam es dort zwischen A. M. und dem Angeklagten S. zu einer Rangelei, die von ersterem ausging. Dabei konnte festgestellt werden, dass S. ein Klappmesser bei sich trug. Nachdem R. die Streitenden getrennt hatte, wollte S. gehen. M. stellte ihm noch ein Bein, so dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Er wurde schadenfroh ausgelacht und fühlte sich stark gekränkt. Dann ging er in Richtung Straße, um den Heimweg anzutreten.
7
2. Zum Tatgeschehen hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:
8
Der Angeklagte R. war entschlossen, A. M. an diesem Abend zu töten. Er hatte bereits ein Seil, ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 76 mm und gummierte Arbeitshandschuhe mitgebracht. R. wollte S. , eine Person seines Vertrauens, zur Absicherung und Unterstützung dabei haben. Deshalb eilte er ihm nach, zeigte ihm das Seil und sagte, heute werde er dem A. "was machen". Er könne das aber nicht alleine tun, es müsse noch jemand dabei sein. S. ging davon aus, R. werde A. M. mit dem Seil drosseln, aber nicht töten, um ihm so eine schmerzhafte Abreibung zu verpassen. Er wollte R. durch Dabeibleiben Hilfe leisten, weil ihm diese Abreibung auch wegen seiner eigenen vorangegangenen Auseinandersetzung mit M. verdient erschien.
9
Beide kehrten zum Platz hinter dem Feuerwehrhaus zurück. Sie gaben vor, dass sie den Streit zwischen M. und S. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Die übrigen Gruppenmitglieder entfernten sich. Es war gegen 19.30 Uhr.
10
Als die Angeklagten mit M. alleine waren, ging R. auf ihn zu und versetzte ihm einen wuchtigen Faustschlag mitten ins Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Er kam auf dem Bauch zu liegen und war zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Möglicherweise war er sofort bewusstlos (UA S. 32). R. zog die gummierten Arbeitshandschuhe über, legte dem A. M. das Seil von hinten schlingenförmig um den Hals und kniete sich auf dessen Rücken, um ihn mit seinem Körpergewicht am Boden zu halten. Dann wickelte er die Seilenden links und rechts um seine Handrücken und zog mit aller Kraft zu, um ihn zu töten. Er drosselte ihn mindestens zwei bis drei Minuten, bis dieser nur noch röchelte. Ob eine zweite Person Abwehrversuche unterbunden hat, konnte die Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Zu Gunsten des Angeklagten S. geht sie davon aus, dass er die Tat des R. nur durch seine Anwesenheit gefördert und ihm psychischen Beistand geleistet hat, indem er ihm ein Gefühl erhöhter Sicherheit vermittelte (UA S. 8, 32). Als S. bemerkte , dass M. nur noch röchelte, forderte er R. mit den Worten "es reicht jetzt" auf, den Drosselungsvorgang zu beenden. Dieser fuhr jedoch damit fort und erwiderte, er, S. , könne jetzt gehen, er werde nicht mehr gebraucht.
11
Spätestens jetzt wusste S. , dass R. A. M. bis zum Tode strangulieren werde. Ihm war auch klar, dass er eine Mitverantwortung für die Situation des Opfers trug und in der Lage war, dessen Tötung zu verhindern. Er hätte R. von dem am Boden liegenden, röchelnden und mit den Füßen zappelnden M. herunterstoßen oder zumindest mit dem mitgeführten Mobiltelefon Hilfe rufen können. Beides wäre ihm möglich und zumutbar gewesen. R. war ihm keinesfalls körperlich überlegen, und zudem hatte er sein Klappmesser bei sich. Er griff nicht ein, obwohl er sicher voraussah, dass sein Unterlassen unvermeidlich zur Tötung des A. M. führen würde, weil ihm dessen Person und Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Er billigte die Tötung durch R. und ging nach Hause.
12
Als er sich entfernt hatte, entschloss sich R. , A. M. mit dem mitgebrachten Messer zu töten, weil ihm das Strangulieren zu lange dauerte und zu anstrengend war. Er versetzte ihm 30 Messerstiche ins Genick und die rechte Halsseite. Die Stiche waren teils derart wuchtig, dass das Messer bis zum Heft in den Hals eindrang. Sie verletzten die rechte Halsschlagader und die tiefe Halsvene, was zum alsbaldigen Todeseintritt durch Verbluten führte.
13
Beim Angeklagten R. liegt eine akzentuierte Persönlichkeitsfehlentwicklung mit gefühlsarmen, empathiearmen, narzisstischen und verdeckt aggressiven Momenten vor, die jedoch den Schweregrad einer Persönlichkeitsstörung nicht erreicht. Aufgrund dessen entstand bei ihm ein gewaltiger innerer Handlungsdruck , endlich einmal ernst zu machen und sich Respekt zu verschaffen. Er wollte groß und bedeutend sein und dafür sorgen, dass er E. in aller Munde bringen werde. Dies war das Motiv für die Tat, nicht mehr die erstattete Strafanzeige.
14
3. Der Angeklagte S. startete, zuhause angekommen, seinen Computer , loggte sich in den Internet-Dienst "kwick" ein und tippte um 19.42 Uhr auf seiner Seite den Text: "Stadt heute war geil".
15
Der Angeklagte R. zog nach der Tatausführung die Arbeitshandschuhe aus, verstaute das Seil in den umgekehrten Handschuhen und rief um 19.44 Uhr den Angeklagten S. auf dessen Mobiltelefon an. Dann klingelte er an der Tür S. , zeigte diesem seine blutigen Hände und sagte, A. sei tot, er habe ihm in den Hals gestochen. Nachdem er im Bad das Blut von seinen Händen gewaschen hatte, präsentierte er S. die Leiche. Dieser sah sie kurz an und ging wieder nach Hause. Danach berichtete R. auf dem Rathausplatz von E. zwei Bekannten, dass er M. getötet habe und zeigte ihnen zum Beweis das blutverschmierte Seil und die Handschuhe. Den Zeugen G. führte er zur Leiche. Er schilderte ihm auch Einzelheiten des Tathergangs. R. brüstete sich noch gegenüber weiteren Zeugen mit der Tötung. Später führte er auch den Zeugen B. zur Leiche und erklärte ihm, er habe A. M. "geschlitzt". Dabei lachte er "sich euphorisch ins Fäustchen".
16
4. Die Strafkammer hat folgende Wertungen getroffen:
17
Beim Angeklagten R. hat sie die Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe , der Heimtücke und der grausamen Begehungsweise geprüft und verneint. Sie hat eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit weder aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur noch aufgrund der maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,8 o/oo bejaht.
18
Beim Angeklagten S. hat sie eine psychische Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung durch eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung infolge seiner Anwesenheit am Tatort angenommen. Aufgrund eines neuen Willensentschlusses zum Entfernen vom Tatort habe er sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht. Die Garantenpflicht ergebe sich aus seinem vorangegangenen rechtswidrigen Tun. Ein Mord liege bei dem von ihr festgestellten Motiv nicht vor. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sei auch bei ihm weder aufgrund seiner ausgeprägten Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit noch aufgrund seiner Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,2 o/oo gegeben.

III.

19
Die Revisionen der Angeklagten waren zu verwerfen. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrügen hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Wegen der vom Angeklagten R. geltend gemachten Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.
20
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin war das Urteil aufzuheben.
21
1. Die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und aus niedrigen Beweggründen bei der Tatausführung durch den Angeklagten R. hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln mit der Begründung abgelehnt, es habe weder ein hinterlistiger Angriff des Angeklagten R. auf A. M. festgestellt werden können, noch dass dieser die Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers ausgenutzt habe, um die Tat zu begehen. Diese Würdigung ist rechtsfehlerhaft.
23
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilf- losen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15).
24
Das ist hier der Fall. Im Dezember 2009 und Januar 2010 hatte R. zwar wiederholt damit gedroht, M. wegen der Strafanzeige umzubringen. Im Februar aber pflegte er nach den Feststellungen wieder normalen Umgang mit ihm wie mit den übrigen jüngeren Jugendlichen aus der Clique. Am Tattag ging er sogar mit ihm Eistee und Wodka einkaufen für den folgenden gemeinsamen Verzehr. Zu dem Zeitpunkt war R. bereits zur Tötung an diesem Abend entschlossen und hatte die späteren Tatwerkzeuge bei sich. Er baute gezielt bei M. Vertrauen auf, indem er u.a. auch die von ihm selbst provozierte Rangelei mit S. als Streitschlichter beendete. Als er kurz vor der Tat S. vom Heimweg zurückholte und beide hinter das Feuerwehrhaus zurückkehrten, gaben sie vor, dass sie den Streit zwischen S. und M. klären und mit ihm den restlichen Eistee/Wodka trinken wollten. Sie wiegten ihn dadurch in Sicherheit , so dass er keineswegs mit einer von ihnen ausgehenden Gefahr rechnen konnte, als er mit ihnen allein zurückblieb. Dass der überraschende Faustschlag ins Gesicht, der erste Angriff, von vorne erfolgte, ändert an der heimtückischen Begehungsweise nichts. Zu dem Zeitpunkt war das Opfer infolge Arglosigkeit wehrlos, was R. bewusst ausnutzte. M. , der den Angriff erst im letzten Augenblick erkennen konnte, blieb keine Möglichkeit mehr, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Es reicht aus, wenn der Täter sich bewusst ist, ei- nen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535).
25
b) Das Landgericht hat bei dem Angeklagten R. als bestimmendes Motiv seinen Drang angesehen, sich bei den Jugendlichen seines Umfelds Respekt zu verschaffen und nicht mehr verlacht zu werden. Diesen Drang nach sozialem Ansehen hat es objektiv als niedrigen Beweggrund bewertet, aber nicht ausschließen können, dass die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, insbesondere seine Tendenz zur narzisstischen Selbstaufblähung, ihm die Einsicht versperrt habe, aus einem niedrigen Beweggrund zu handeln. Dies begegnet rechtlichen Bedenken.
26
Das Landgericht hat insoweit den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt. Darauf, ob der Angeklagte seine Motive selbst als "niedrig" bewertete, kommt es nicht an (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27). Das Landgericht hat seine Einsichtsfähigkeit beim Tötungsvorsatz bejaht und eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit verneint. Es hat ihm bei der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 JGG seine Tatmotivation angelastet. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Angeklagte bei seinem Handeln aus dieser Motivation von gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen bestimmt gewesen wäre, die er gedanklich nicht hätte beherrschen und willensmäßig nicht hätte steuern können. Die Strafkammer hätte insoweit in ihre Überlegungen das Vortat- und Nachtatverhalten des Angeklagten R. einbeziehen müssen. Er hat die Tat minuziös geplant. Er hat nicht nur die Tatwerkzeuge mitgebracht und beim Opfer Vertrauen aufgebaut, sondern auch die Tatbeteiligung S. s raffiniert iniziiert , indem er den Streit zwischen ihm und dem späteren Opfer provozierte. Nach der Tat war R. trotz seiner narzisstischen Selbstaufblähung nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Gü. sich durchaus darüber im Klaren, dass es polizeiliche Ermittlungen geben werde. Er war tunlichst bemüht, nicht in Verdacht zu geraten oder festgenommen zu werden. Dafür hat er etliche Vertuschungshandlungen vorgenommen. Er äußerte gegenüber Mitgliedern aus der Clique um S. , die vor der Tat ebenfalls hinter dem Feuerwehrhaus gewesen waren, er müsse für ein paar Tage ausE. verschwinden und sie sollten sagen, dass sie ihn am Tattag nicht gesehen hätten. Auf die Frage des Zeugen B. , ob man nicht die Polizei rufen solle, antwortete er, dass er das bloß nicht machen solle, weil ihm - R. - sonst nur wenig Zeit bleibe, um unterzutauchen. Dem Zeugen G. zeigte er eine Pistole und sagte, wenn die Polizei käme, werde er sich den Weg frei schießen. Diese Verhaltensweisen sind ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme, dem Angeklagten R. sei bei der Begehung der Tat die besondere Verwerflichkeit seines Tuns nicht bewusst gewesen. Bei Mord aus niedrigen Beweggründen ist diese Annahme umso eher zu verneinen, je schwerwiegender die Tat ist (BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 26).
27
2. Beim Angeklagten S. begegnet die fehlende Annahme der Mordmerkmale aus niedrigen Beweggründen und der Heimtücke ebenfalls rechtlichen Bedenken.
28
a) Nach den Urteilsfeststellungen war in seiner Person ein Grund für die Tötung des A. M. nicht gegeben. Er unterließ ein Einschreiten, weil ihm das Opfer als Person und dessen Schicksal vollkommen gleichgültig waren. Nach Auffassung der Kammer kann Gleichgültigkeit schon "per se" kein niedriger Beweggrund sein.
29
Die Ablehnung dieses Mordmerkmals entbehrt einer tragfähigen Grundlage. Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGHSt 35, 116; 47, 128 mwN). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Daran fehlt es hier.
30
Die Kammer hätte sich in diesem Zusammenhang mit dem SMS-Verkehr des Angeklagten S. zwei Tage vor der Tat und seinem Chatten unmittelbar nach dem Entfernen vom Tatort auseinander setzen müssen. Der Interneteintrag "Stadt heute war geil" bezieht sich naheliegend auf das gerade von ihm miterlebte Geschehen. Da er tatenlos nach Hause ging und die Tötung des A. M. durch R. sicher voraussah, könnte dies zu dem möglichen Schluss führen, dass er sich über die Tötung freute. Eine solche Freude wäre als niedriger Beweggrund in seiner Person anzusehen.
31
Dabei ist auch auf die SMS vor der Tat zwischen ihm und der Zeugin K. abzustellen. Daraus könnte zu entnehmen sein, dass S. die Tötung des Opfers als Bestrafung für die Anzeige bei der Polizei billigte und sich dieses Motiv zu eigen machte (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 5 StR 359/93; BGH NStZ 1996, 384). Als er der Zeugin mitteilte, ich glaub der stirbt heut Abend, weil der Kumpel bei Bullen angezeigt hat, antwortete sie "Booh, soh behindert mach ihn tod …". Die Anzeigeerstattung als Tötungsmotiv ist hier ebenfalls als auf tiefster Stufe stehend anzusehen wegen des krassen Missverhältnisses zwischen Anlass und Tat (BGH NStZ-RR 2010, 175). Hinzu kommt, dass nicht das Tatopfer, sondern dessen Mutter die Strafanzeige erstattete.
32
Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der gleichgültigen Haltung des Angeklagten S. gegenüber dem Opfer hätte die Kammer erörtern müssen, ob er den Totschlag durch Unterlassen in dem Bewusstsein beging, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung stellt einen niedrigen Beweggrund dar, wenn der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können (BGHSt 47, 128; BGHR aaO niedrige Beweggründe 44).
33
b) Das Landgericht hat das Mordmerkmal Heimtücke beim Angeklagten S. nicht geprüft. Eine solche Prüfung hätte aber nach den festgestellten Umständen nahe gelegen. Die Kammer hat das Verhalten des Angeklagten S. vor der Tat und nach der Tat nur getrennt gesehen und nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt. Als R. den Angeklagten S. vom Heimweg zurückholte, das Seil zeigte und ihn um Unterstützung bat, weil er heute dem A. "was machen" werde, ist es im Hinblick auf den oben unter
a) geschilderten SMS-Verkehr und auf das Chatten nach der Tat nicht fern liegend ,dass S. schon zu diesem Zeitpunkt davon ausging, R. werde M. töten. Die Kammer stellt lediglich fest, wann S. "spätestens" vom Tötungsplan des R. wusste, und schließt einen gemeinsamen Tatplan aus. Wenn S. aber bei der Rückkehr zum Feuerwehrhaus den Plan des Angeklagten R. erkannt hatte und dann gemeinsam mit ihm vorgab, den Streit zwischen ihm selbst und M. klären und nach Entfernen der Übrigen mit diesem den Rest Eistee/Wodka trinken zu wollen, so erkannte er auch das Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch R. und schloss sich dessen Handeln an.
34
3. Zudem hält die Beweiswürdigung hinsichtlich der Begründung fehlender Abwehrverletzungen ebenfalls revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
35
Nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Be. ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der zu Tode stranguliert wird, sich im Todeskampf wehrt und versucht, eine auf dem Rücken sitzende Person abzuschütteln, jedenfalls so lange bis er selbst bewusstlos geworden ist. Da jedoch Abwehrspuren bei A. M. fehlten, insbesondere Schürfungen an Ellenbogen und Knien, hält er es eher für wahrscheinlich, dass eine weitere Person beteiligt war, um das Opfer zu Boden zu bringen oder dort zu halten, und dass einer der Angreifer Abwehrversuche unterbunden hat. Die Kammer sieht die Möglichkeit, dass das Opfer durch eine zweite Person an der Gegenwehr gehindert wurde, hält es aber auch für möglich, dass es durch den ersten Angriff, den Faustschlag des Angeklagten R. , sofort bewusstlos war und sich deshalb nicht mehr wehren konnte. Von letzterem geht sie zu Gunsten des Angeklagten S. aus (UA S. 32).
36
Insoweit ist die Beweiswürdigung jedoch lückenhaft. Nach den Urteilsfeststellungen röchelte und zappelte das Opfer mit den Füßen, als S. sich vom Tatort entfernte (UA S. 9). Dem Angeklagten R. dauerte die Tötung durch Strangulieren zu lange und wurde zu anstrengend. Beides spricht eher gegen eine Bewusstlosigkeit sofort nach dem Faustschlag. Dies hätte die Kammer in ihre Überlegungen bezüglich der fehlenden Abwehrverletzungen einbeziehen müssen, zumal sie es an anderer Stelle auch als möglich ansieht, dassM. das Bewusstsein erst nach zwei bis drei Minuten des Strangulierens verloren haben könnte (UA S. 9). In dem Zusammenhang hätte sie auch erörtern müssen , wie M. nach einem Faustschlag mitten ins Gesicht auf dem Bauch zu liegen kam. Angaben des Sachverständen Be. dazu fehlen.
37
Wenn aber M. nicht schon nach dem Faustschlag durch R. bewusstlos war, so liegt es nahe, dass der einzige Anwesende, der Angeklagte S. , an der Unterbindung von Abwehrversuchen und der Lage des Opfers am Boden beteiligt war. Dabei wird auch die Aussage des Angeklagten S. in seiner zweiten polizeilichen Vernehmung zu berücksichtigen sein, in der er angegeben hat, als R. ihm das Seil gezeigt habe, habe er zu ihm gesagt, er werde A. heute umbringen, könne das aber nicht alleine tun. All diese Umstände deuten gerade nicht auf psychische Beihilfe zu einem Denkzettel hin. Bei aktiver Tatbeteiligung kann eine Mittäterschaft des Angeklagten S. am Heimtückemord in Betracht kommen, selbst wenn er die weitere Tatausführung dem Angeklagten R. überließ (§ 24 Abs. 2 StGB).

IV.

38
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zu verweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO).
39
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
40
1. Bezüglich des Angeklagten R. wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, auch die Mordmerkmale der grausamen Begehungsweise und des Handelns aus Mordlust zu prüfen.
41
2. Sollte es bezüglich des Angeklagten S. zu einem Schuldspruch wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Totschlags bzw. Mordes durch Unterlassen kommen, würde bezüglich der Konkurrenzverhältnisse Tateinheit in Betracht kommen. Auch eine Veränderung des Tatplans während der Tatausführung steht der Annahme natürlicher Handlungseinheit nicht grundsätzlich entgegen.
42
3. Selbst wenn die Feststellungen insgesamt aufzuheben waren, sind bei der Bejahung der vollen Schuldfähigkeit hinsichtlich beider Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen Rechtsfehler nicht zu erkennen. Weniger naheliegend scheint demgegenüber die Verneinung schädlicher Neigungen beim Angeklagten S. . Nack Wahl Elf RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 419/06
vom
14. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. April 2006 werden verworfen. 2. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft in erster Linie die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, ebenfalls gegen die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags. Sie vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte des Mordes aus niedrigen Beweggründen, hilfsweise tateinheitlich zum Totschlag des versuchten Verdeckungsmordes, begangen durch Unterlassen, hätte schuldig gesprochen werden müssen. Sämtliche Revisionen erweisen sich als unbegründet.

II.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Der Angeklagte war mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, der am 10. April 2003 geborene Steffen Lars und das spätere am 23. April 2005 geborene Tatopfer Mike Steven. Nach der Geburt des zweiten Kindes verschlechterte sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und sich zuspitzender finanzieller Probleme das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau. Auch im Verhältnis zu seinen Kindern reagierte der Angeklagte zusehends gereizter und aggressiver. Bei den ihm häufig von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflege von Mike übertragenen Aufgaben, etwa beim Ankleiden oder Windelwechseln, ging er sehr ungeduldig und grob, in zwei Fällen sogar mit derartiger körperlicher Kraft vor, dass das Kind erheblich verletzt wurde. In einem Fall, hatte er, als der Säugling beim Ankleiden strampelte, dessen linken Arm so fest gepackt und durch den Ärmel des Kleidungsstücks gezogen , dass das Kind einen Bruch des Oberarms erlitt. Bei einem weiteren Vorfall trug das strampelnde Kind durch einen heftigen Griff des Angeklagten beim Wickeln eine Spiralfraktur des rechten Oberschenkelknochens davon. Diese Vorfälle sind nicht Verfahrensgegenstand.
4
Am Tattag, den 9. Juli 2005, verließ die Nebenklägerin gegen 9 Uhr morgens die eheliche Wohnung zu einem Einkaufsbummel. Die Bitte des Angeklagten , Mike oder wenigstens den älteren Sohn Lars mitzunehmen, hatte sie zuvor abgelehnt. Hierüber war der Angeklagte verärgert, da er bereits am Vortag sowie bei mehreren Gelegenheiten zuvor allein die Pflege und Aufsicht über die Kinder wahrgenommen hatte, während seine Ehefrau Freizeitaktivitäten nachgegangen war. Im Verlauf des Morgens begann Mike zu quengeln und zu schreien. Der Angeklagte war "genervt"; er versuchte zunächst das Kind durch Herumtragen und Schaukeln in seinem Kindersitz zu beruhigen. Weder durch anschließendes Füttern noch Wickeln gelang es ihm jedoch, das Kind vollständig ruhig zu stellen. Durch das fortwährende Schreien seines Sohnes wurde der Angeklagte immer ungeduldiger und gereizter. Hinzu kam, dass er auch den älteren Sohn Steffen zu beaufsichtigen hatte. Schließlich war der Angeklagte bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um Mike zum Schweigen zu bringen. Zunächst schüttelte er den Säugling so heftig, dass hierdurch Einblutungen in dessen Augen hervorgerufen wurden. Als das Kind daraufhin weiter schrie, schlug ihm der Angeklagte mit der Hand mehrfach mit derart roher Gewalt auf das mit einer Windel bedeckte Gesäß, dass ein großflächiges Hämatom entstand. Da Mike heftig weiter schrie, geriet der Angeklagte in eine derart aggressive , gereizte und ungeduldige Stimmung, dass ihm jedes Mittel recht war, um endlich Ruhe zu bekommen. Er führte - wovon das Landgericht zu seinen Gunsten ausgegangen ist - den Kindersitz, in dem das Kind unangeschnallt saß, mit einem wuchtigen Schlag gegen einen Heizkörper, so dass Mike aus dem Sitz heraus mit dem Kopf gegen den Heizkörper geschleudert wurde. Dem Angeklagten war hierbei bewusst, dass eine solche massive Gewalteinwirkung auch tödliche Verletzungen des erst zehn Wochen alten Kindes zur Folge haben konnte. Er nahm dies jedoch in Kauf, um den Säugling endlich zur Ruhe zu bringen. Mike erlitt infolge des Aufpralls eine Fraktur des linken Scheitelbeins und verlor das Bewusstsein. Gegenüber seiner unmittelbar danach zurückkehrenden Ehefrau versuchte der Angeklagte den Zustand des Kindes zu verheimlichen. Diese bemerkte jedoch eine Beule am Kopf des Kindes und brachte es umgehend in eine Kinderklinik. Noch in der folgenden Nacht verstarb Mike an den schweren Hirnverletzungen, die er durch den Aufprall auf den Heizkörper erlitten hatte.
5
Zu den Beweggründen der Tat hat das Landgericht ausgeführt, mitursächlich für die Tat sei die Verärgerung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau gewesen, die ihn zum Tatzeitpunkt nahezu zwei Tage mit den Kindern allein gelassen hatte, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Diese Verärgerung sei zum Zeitpunkt der Tathandlung jedoch bereits in den Hintergrund gerückt. Bestimmendes und unmittelbar tatauslösendes Motiv sei die Verärgerung und Gereiztheit des Angeklagten über das ständige Schreien des Kindes gewesen. Der ohnehin gegenüber seinen Kindern ungeduldige und leicht reizbare Angeklagte habe nur noch das Ziel gehabt, Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben. Diese Annahme werde durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, der von einem ständigen "Plärren" des Kindes sowie seiner sich dadurch immer weiter steigender Gereiztheit berichtet habe. Auch der den Angeklagten noch am Tattag vernehmende Polizeibeamte habe bekundet, nach seinem Eindruck habe der Angeklagte aufgrund des ständigen Schreiens des Kindes die Nerven verloren und nur noch gewollt, dass dieses ruhig sei.

III.

6
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
7
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Beweggründen der Tat und zur Annahme eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe stellen weitgehend den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
8
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint.
9
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache kommen dabei in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36, 45 und 46 jew. m.w.N.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2006, 338, 340 m.w.N.).
10
b) Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung diese Grundsätze im Blick gehabt. Es hat sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der maßgebliche Beweggrund des Angeklagten für die Tatbegehung, nämlich seine Verärgerung über das ständige Weinen des Kindes verbunden mit dem Bestreben "Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben", Ausdruck einer niedrigen, besonders verachtenswerten Gesinnung des Angeklagten war. Hierbei war für das Landgericht leitend, dass der Angeklagte nahezu zwei Tage mit der Aufsicht und Pflege beider Kinder befasst gewesen war, er vor der Tat mehrfach versucht hatte, Mike mit angemessenen Mitteln, etwa durch Wickeln und Füttern, ruhig zu stellen und das Kind gleichwohl immer wieder, zuletzt unaufhörlich weiter geschrieen hatte. Ersichtlich hat es damit darauf abgestellt, dass der ohnehin leicht reizbare Angeklagte in dieser Situation nervlich überfordert war und es deshalb - und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, verwerflichen Gesinnung heraus - zu einem Aggressionsdurchbruch und der Gewaltanwendung gegen das Kind kam (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1, 31). Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340) und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
11
3. Vergebens rügt die Nebenklage, das Landgericht habe es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, den Angeklagten im Hinblick auf sein Nachtatverhalten wegen eines tateinheitlich durch Unterlassen begangenen versuchten Verdeckungsmordes zu verurteilen. Hat der Täter das Tatopfer - wie hier - mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt (vgl. Senat, NStZ 2003, 312). Dies gilt selbst dann, wenn - wovon hier nach den getroffenen Feststellungen nicht auszugehen ist - zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (Senat aaO).
12
Die Revision des Angeklagten:
13
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible