Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Dez. 2005 - 1 StR 482/05

bei uns veröffentlicht am08.12.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 482/05
vom
8. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2005 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 6. Mai 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Der Verurteilte wurde am 13. Dezember 1996 vom Landgericht München I wegen versuchten Totschlags in Tatmehrheit mit Körperverletzung und zwei jeweils selbstständigen Fällen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Die Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis zum 10. Dezember 2004 vollständig verbüßt, wobei er vom 22. November 2002 bis zum 11. Juni 2003 in einer Entziehungsanstalt untergebracht war. Am 5. Oktober 2004 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verurteilten
die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB anzuordnen. Aufgrund Unterbringungsbefehl gemäß § 275a Abs. 5 StPO vom 6. Dezember 2004 ist der Verurteilte bis heute untergebracht. 2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Verurteilte wuchs teilweise bei seiner Mutter und deren wechselnden Lebenspartnern - sein Vater ist ihm unbekannt - und in verschiedenen Kinderheimen auf. Er besuchte ab dem zweiten Schuljahr eine Sonderschule, die er häufig schwänzte. Eine Ausbildung zum Maler wurde vom Lehrherrn nach ein bis zwei Monaten abgebrochen, weil der Verurteilte seiner Berufsschulpflicht nicht nachkam. Er lebte überwiegend von Sozialhilfe. Im Alter von 17 Jahren absolvierte er eine dreimonatige "Ausbildung" zum Kick-Boxer. Seit seinem zwölften Lebensjahr konsumierte er Cannabis-Produkte, seit dem 17. Lebensjahr auch Kokain sowie Heroin und seit seinem 24. Lebensjahr zusätzlich große Mengen Alkohol.
b) Der Bundeszentralregisterauszug des Verurteilten enthält zwölf Eintragungen. Mit 14 Jahren stand er zum ersten Mal - wegen Diebstahls - vor Gericht. Mit 18 Jahren wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Das Gericht wertete diese Taten als "extreme Aggressionsdelikte". Der Verurteilte hatte u.a. einem Besucher des Münchner Christkindlmarkts einen Fußkick gegen die linke Gesichtshälfte versetzt. Der Geschädigte erlitt u.a. einen Kieferhöhlen- und Augenhöhlenbruch , musste mehrfach operiert werden und hat heute noch im Gesicht eine Asymmetrie und taube Stellen.
c) Dem Urteil vom 13. Dezember 1996 lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
aa) Der Verurteilte hatte mit dem S. eine Rauferei. Als diese beendet und S. im Weggehen begriffen war, versetzte ihm der Verurteilte von hinten mit einem Messer einen wuchtigen und tiefreichenden Stich in den rechten Bauchbereich. S. erlitt einen Durchstich der Leber und konnte nur durch eine umgehend durchgeführte Notoperation gerettet werden. bb) Im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung mit der Sch. zog der Verurteilte eine mitgeführte Gaspistole, hielt sie in einem Abstand von ca. 10 cm auf das Gesicht der Sch. gerichtet und schoss aus dieser Entfernung. Die zu Boden gestürzte Sch. trat er mit dem Knie und den Füßen und schlug mit den Fäusten mehrmals gegen ihren Kopf. Als deren Freundin B. sie zu schützen versuchte, schlug sie der Verurteilte mit dem Ellenbogen, dem Knie und der Faust in das Gesicht, was u.a. eine Gehirnerschütterung verursachte. Erst durch das Eingreifen von Passanten konnte der Verurteilte von weiteren Angriffen gegen die beiden Frauen abgehalten werden. cc) Nach einem Streit mit dem ihm bekannten Be. zog der Verurteilte mit den Worten "jetzt bist dro" ein Klappmesser und versetzte Be. drei wuchtig geführte Stiche in die beiden Oberschenkel, wobei ein Stich (Stichtiefe 8 cm) die Oberschenkelschlagader nur knapp verfehlte. Bei allen Taten stand der Verurteilte unter dem Einfluss von Alkohol und Arzneimitteln. Die Strafkammer sah von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB im Hinblick auf § 72 StGB ab, weil sie auch die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64
StGB als erfüllt ansah, nachdem sich der Verurteilte in der Hauptverhandlung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert gezeigt hatte.
d) Die Strafe aus dem Urteil vom 13. Dezember 1996 verbüßte der Verurteilte in der JVA Straubing. Hier wurde bei ihm ein "hohes Aggressionspotential" festgestellt. Es kam zu einer Vielzahl von Disziplinarverfahren. Einem dieser Verfahren lag zugrunde, dass der Verurteilte wiederholt Rasierklingen unter seinem Haftraumtisch befestigt hatte, damit Vollzugsbeamte bei der Zellenkontrolle sich verletzen konnten. Die im November 2002 begonnene Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste im Juni 2003 als aussichtslos abgebrochen werden, nachdem der Verurteilte mehrfach bezüglich Cannabis, Heroin und Kokain rückfällig geworden war. Auch in der Haft - vor wie nach der Unterbringung - hat der Verurteilte regelmäßig Rauschgift und Alkohol konsumiert. 3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Es hat weiterhin in einer grundlegenden Haltungsänderung des Verurteilten hinsichtlich der Wertung seiner Taten und seiner Therapiemotivation , aus der sich auch die zahlreichen Disziplinarverstöße und der Therapieabbruch ergeben hätten, neue Tatsachen gesehen, die den Schluss auf eine deutlich erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten zuließen. Auf der Grundlage der Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. H. ist das Landgericht nach Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu der Überzeugung gelangt, dass er nach einer Einlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer in ihrer körperlichen Unversehrtheit schwer geschädigt würden.

II.

Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB setzt eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Verurteilten und den Freiheitsgrundrechten der durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung Betroffenen voraus. Eine solche Maßnahme kommt nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht, wovon auch der Gesetzgeber ausdrücklich ausgegangen ist (BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 236; Senatsurteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05 -, NJW 2005, 2022, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). 1. Grundlage einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung können nur Tatsachen sein, die erst nach einer Verurteilung erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Das Verfahren nach § 66b StGB gilt insbesondere nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (Senat aaO). Die grundlegende Haltungsänderung des Verurteilten, der vor der Verurteilung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert war und nach der Verurteilung Obstruktion betrieben und den Therapieabbruch provoziert hat, erfüllt die Voraussetzungen der erforderlichen "neuen" Tatsache. Insbesondere sah sich das frühere Tatgericht im Hinblick auf den Vorrang einer Maßnahme nach § 64 StGB nachvollziehbar nicht in der Lage, bereits zum Zeitpunkt der damaligen Hauptverhandlung die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die Taten des Verurteilten waren auf seinen Hang zurückzuführen, alkoholische Getränke und
sonstige Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass es den Zweck, die Gefahr weiterer rechtswidriger Taten abzuwenden, auch mit der den Verurteilten weniger beschwerenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreichen konnte. 2. Kern der materiell-rechtlichen Prüfung einer Maßregel nach § 66b StGB ist - unter Einschluss der Tatsachen, die die Prüfung ausgelöst haben - die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs. Mit einer solchen umfassenden Abwägung soll einer unzulässigen Übergewichtung einzelner neuer Tatsachen entgegengewirkt werden. Das Landgericht stellt seine Abwägung zutreffend auf eine entsprechend breite Grundlage. Als negativ für die vorzunehmende Prognose wertet es die biographischen Faktoren des Verurteilten, insbesondere die seit der Kindheit instabilen Lebensverhältnisse und frühe Verhaltensauffälligkeiten, seine durch eine dissoziale Störung gekennzeichnete Persönlichkeit, die durch Aggressivität und Brutalität gekennzeichneten Vor- und Anlasstaten sowie die hohe Frequenz der Straffälligkeit, das Suchtverhalten des Verurteilten und die Disziplinarverstöße im Vollzug mit zum Teil aggressiven und auch hinterlistigen Tendenzen. In dieser Gesamtschau gewinnt auch die vom Landgericht als neue Tatsache zugrunde gelegte Haltungsänderung des Verurteilten bis hin zu einer Verweigerungshaltung erhebliches Gewicht. Wenn das Landgericht demnach - gestützt auf fundierte Gutachten der beiden Sachverständigen - die hohe
Wahrscheinlichkeit schwerer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer für ausreichend belegt hält, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

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Strafprozeßordnung - StPO | § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl


(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig

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Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

(1) Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben.

(2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist.

(3) Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme.

(4) Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein.

(5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden.

(6) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.