Bundesgerichtshof Urteil, 14. Sept. 2017 - 4 StR 303/17

bei uns veröffentlicht am14.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 303/17
vom
14. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:140917U4STR303.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. September 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 12. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts P. vom 11. Februar 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten und wegen Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Von den Vorwürfen der besonders schweren Brandstiftung und der Brandstiftung in einem weiteren Fall hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen die Freisprüche wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Nach der Anklage soll der Angeklagte in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 2015 gegen 23.20 Uhr auf dem Gelände der ehemaligen Baustoff- handlung M. in P. unter Nutzung von Brandbeschleuniger die dort befindliche Lagerhalle in Brand gesetzt haben. Bei den Löscharbeiten brach einer der Feuerwehrmänner durch das Dach der brennenden Lagerhalle und erlitt einen Wirbelbruch. Weiter soll der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 30. Oktober 2015 gegen 0.45 Uhr auf dem Parkplatz W. straße in P. zwei Personenkraftwagen in Brand gesetzt haben, die vollständig ausbrannten.

II.


3
1. Das Urteil wird bereits den formellen Voraussetzungen nicht gerecht, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an die Begründung eines freisprechenden Urteils zu stellen sind. Zudem erweist sich die Beweiswürdigung als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
4
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss das Urteil so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind oder der Freispruch auf rechtlich einwandfreien Erwägungen beruht. Deshalb muss der Tatrichter regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung zunächst die Tatsachen feststellen , die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen – zusätzlichen – Feststellungen nicht getroffen werden können (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106, und vom 27. November 2014 – 3 StR 334/14, Rn. 4, jeweils mwN; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 267 Rn. 33).
5
Die Urteilsgründe lassen eine diesen Anforderungen genügende vollständige und geordnete Darstellung des festgestellten Sachverhalts vermissen.
Das Landgericht würdigt nach der Wiedergabe des Tatvorwurfs sowie der Einlassung des Angeklagten jeweils gesondert die für und die gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände. Die Erwägungen, mit denen es einzelnen Umständen eine Beweisbedeutung zu- oder abspricht, sind (auch) wegen fehlender Feststellungen nicht tragfähig.
6
a) Soweit das Landgericht als Indiz gegen eine Täterschaft des Angeklagten bei der Brandlegung in der Baustoffhandlung gewertet hat, er habe bei der Kontrolle durch Polizeibeamte in der Nähe des Brandortes keinen – bei der Brandlegung wohl eingesetzten – Brandbeschleuniger mit sich geführt, ist in Ermangelung entsprechender Feststellungen zur Tatzeit und zum Kontrollzeitpunkt nicht nachvollziehbar, ob es dem Angeklagten vor seiner Kontrolle zeitlich möglich gewesen wäre, entsprechende Behältnisse mit Brandbeschleuniger zu entsorgen oder zu verstecken. Es bleibt in diesem Zusammenhang insbesondere unklar, ob an dem Brandort aufgefundene Kanister (UA 18) der Brandlegung zuzuordnen waren. Wären die bei Brandlegung benutzten Behältnisse mit Brandbeschleuniger am Ort der ersten Brandlegung verblieben, wäre dem Indiz , dass der Angeklagte bei seiner Kontrolle keinen Brandbeschleuniger bei sich führte, der Boden entzogen.
7
b) Die weiteren gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen hat das Landgericht überdies bereits für sich genommen nicht tragfähig begründet.
8
aa) Bei dem von Polizeibeamten berichteten und vom Landgericht zur Entlastung des Angeklagten herangezogenen Umstand, der Angeklagte habe sich am Brandort der Baustoffhandlung nicht versteckt, sondern sei aufgefallen, weil er näher ans Feuer habe herantreten wollen, hat sich die Strafkammer nur unzureichend mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte wegen einer von ihm verspürten Anziehungskraft von Feuer den Brand gelegt haben könnte. Denn bei dem zweiten Brand in derselben Nacht hielt sich der Angeklagte nach Schilderungen weiterer Polizeibeamter ebenfalls am Brandort auf und beobachtete das Feuer. Für eine Empfänglichkeit des Angeklagten für Feuer könnte schließlich auch sprechen, dass er sich nur wenige Monate nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft wegen der Tatvorwürfe der Brandstiftung in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 2015 an seiner früheren Lebensgefährtin durch die Legung eines Brandes an ihrem Fahrzeug rächte (Tat II.1. der Urteilsgründe). Die Erwägung des Landgerichts, dass eine Neigung des Angeklagten zur Brandstiftung nicht angenommen werden könne, weil keine noch früheren Brandstiftungen feststellbar seien, greift deshalb zu kurz.
9
bb) Soweit der Tatrichter einen nicht ermittelten dritten Täter nicht auszuschließen vermocht hat, erlauben die lückenhaften Feststellungen nicht die Überprüfung, ob es sich um mehr als eine hypothetische Möglichkeit handelt. Es fehlen jegliche Feststellungen zum Hintergrund der von einem Polizeibeamten geschilderten weiteren Brandmeldung in der Tatnacht in der A. -Straße in P. , insbesondere was auf welche Weise dort angesteckt worden ist.
10
cc) Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Einlassung des Angeklagten zur Herkunft eines von fünf Polizeibeamten in der Tatnacht geschilderten Benzingeruchs an seinen Händen für nicht widerlegbar gehalten hat, entbehren einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Das Urteil teilt nicht mit, was die Zeugin V. zu einer vom Angeklagten als Erklärung für den Geruch behaupteten Betankung ihres Fahrzeugs mittels Benzinkanisters am Tattag bekundet hat. Für die vom Landgericht zudem erwogene Möglichkeit, dass fünf Polizeibeamte einem unbewussten gruppendynamischen Prozess unterlegen seien und sich einen Benzingeruch an den Händen des Angeklagten nur eingebildet hätten, fehlen jegliche Anhaltspunkte.
11
2. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung aller für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Indizien (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 2004 – 4 StR 15/04, wistra 2004, 432; vom 1. Februar 2007 – 4 StR 474/06, Rn. 15; vom 11. August 2011 – 4 StR 191/11, Rn. 10, und vom 11. Oktober 2016 – 5 StR 181/16, NStZ 2017, 600, 601; Meyer-Goßner, aaO, § 267 Rn. 33) nur formelhaft vorgenommen hat.
12
3. Der Senat hebt die Freisprüche daher auf und verweist die Sache insoweit an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Die Gesamtfreiheitsstrafe kann bestehen bleiben. An der in seinem Urteil vom 26. November 1998 (4 StR 207/98, insofern nicht abgedruckt in StV 1999, 153) geäußerten Rechtsauffassung, wonach im Fall der Aufhebung eines Teilfreispruchs auf Revision der Staatsanwaltschaft auch die in demselben Verfahren für nicht angefochtene Taten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung unterliegt, hält der Senat nicht mehr fest (vgl. zum vergleichbaren Fall der Aufhebung eines Teilfreispruchs auf Nebenklagerevision Senatsurteil vom heutigen Tag – 4 StR 45/17).
13
Wenn der Angeklagte im neuen Rechtsgang wegen weiterer Fälle verurteilt werden sollte, so wird gleichwohl eine neue Gesamtstrafe zu bilden sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1976 – 2 StR 572/76 und Beschluss vom 26. Januar 1999 – 4 StR 556/98 mwN). Insoweit weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte die Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts P. vom 14. August 2015 vor der Verurteilung durch das Amtsgericht P. am 11. Februar 2016 erledigt worden sein, wäre die bisherige Gesamtstrafe aufzulösen und eine neue Gesamtstrafe aus den Einzelstrafen der bisherigen Gesamtstrafe und den neuen Einzelstrafen zu bilden. Sollte die Erledigung der Strafe aus dem Strafbefehl vom 14. August 2015 erst nach der Verkündung des Urteils vom 11. Februar 2016 oder bisher gar nicht eingetreten sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369, 370), wäre wegen der dann bestehenden Zäsurwirkung der früheren Verurteilung vom 14. August 2015 eine weitere Gesamtstrafe aus den neuen Einzelstrafen mit der Einzelstrafe aus der Verurteilung unter II.1. der Urteilsgründe zu bilden; in die bisher ausgeurteilte Gesamtstrafe wäre die Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 14. August 2015 einzubeziehen. Der neue Tatrichter wird die Anrechnung von Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung der Bewährungsauflagen aus dem Urteil vom 11. Februar 2016 erbracht hat (§ 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB), im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen haben (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – 2 StR 256/07).
Sost-Scheible Roggenbuck RiBGH Cierniak ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Franke Bender

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Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafgesetzbuch - StGB | § 56f Widerruf der Strafaussetzung


(1) Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person 1. in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,2. gegen Weisungen gröblich od

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 405/12
vom
5. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Anstiftung zum Mord u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
5. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 13. März 2012 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener Waffendelikte in Tatmehrheit mit Brandstiftung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 22. März 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die im genannten Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen aufrechterhalten. Von dem Vorwurf der versuchten Anstiftung zum Mord hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Freispruchs. Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.

2
1. Dem Angeklagten ist mit der Anklage vorgeworfen worden, aus der Untersuchungshaft heraus einen Auftrag zur Ermordung des D. erteilt zu haben. Hintergrund soll gewesen sein, dass der Angeklagte den in einem umfangreichen Betrugsverfahren Mitbeschuldigten D. töten lassen wollte, um ihn daran zu hindern, auszusagen. Er habe beabsichtigt, diese Tat für 10.000 € von dem ihm als Scharfschützenbekannten K. ausführen zu lassen. Rechtsanwalt B. , dem damaligen Verteidiger des Angeklagten soll am 20. April 2010 mitgeteilt worden sein, dass D. aus der Haft entlassen worden sei. Daraufhin habe Rechtsanwalt B. den Angeklagten am 20. oder 21. April 2010 in der Untersuchungshaft besucht. Hierbei soll der Plan des Angeklagten zur Tötung des D. besprochen worden sein. Rechtsanwalt B. soll sich bereit erklärt haben, den Auftrag zur Ermordung des D. weiterzuleiten und am 21. April 2010 einen Aktenvermerk gefertigt haben, indem er festhielt: „K. soll für 10.000 den D. verramma, er erledigt die Geschichte“. Entsprechend dem Tatplan des Angeklagten soll Rechtsanwalt B. den Vermerk sodann an die Ehefrau des Angeklagten weitergeleitet haben. Diese soll den Tötungsauftrag jedoch nicht wie geplant weitergegeben haben, da ihr der Plan zu weit gegangen sei.
3
2. Das Landgericht hat zur Begründung des Freispruchs ausgeführt, es habe nicht feststellen können, dass die Planung und Vorstellung des Angeklagten von der Tat schon so weit gediehen war, wie es zur Strafbarkeit gemäß § 30 StGB erforderlich sei. Zwar bedeute „verramma“ im bayrischen Sprachgebrauch jemanden zu töten, es sei aber völlig offen, ob der als Täter vom Angeklagten in Aussicht genommene K. zu dieser Tat überhaupt bereit gewesen wäre, auch die näheren Umstände der Tatausführung seien ungeklärt gewesen.

II.

4
Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
5
1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deswegen der Aufhebung , weil sie nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil genügt. Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die der Tatrichter für erwiesen hält (BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 - 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; BGH, Urteil vom 27. Juli 2000 - 4 StR 185/00). Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Nur hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteil vom 26. September 1989 - 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2; BGH, Urteil vom 17. Mai 1990 - 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Denn es wird schon nicht zusammenhängend mitgeteilt, welche Feststellungen getroffen werden konnten. Heißt es zunächst noch, bekannt sei nur der Aktenvermerk von Rechtsanwalt B. , über Gespräche stehe nichts fest, finden sich bei den würdigenden Ausführungen doch noch ansatzweise weitere Feststellungen. So wird in der Beweiswürdigung zugrunde gelegt, dass die Weiterleitung des Aktenvermerks an die Ehefrau des Angeklagten auf dessen Aufforderung gegenüber Rechtsanwalt B. zurückgeht. An späterer Stelle ist sogar ausgeführt , dass der Aktenvermerk auf Anweisung des Angeklagten von Rechtsanwalt B. geschrieben wurde. Dies steht jedoch in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu der vorangestellten Erkenntnis, über eventuelle Gespräche stehe nichts fest. Damit bleibt für das Revisionsgericht offen, von welchen Kontakten zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt B. hin- sichtlich des geplanten „verramma“ das Landgericht letztlich für seine Würdi- gung ausgegangen ist. Die Beurteilung, ob der Versuch der Anstiftung bereits konkretisiert genug war, hängt aber maßgeblich hiervon ab. Einer Überprüfung der tatrichterlichen Wertung ist schon damit der Boden entzogen. Hier tritt noch hinzu, dass die Angaben des gesondert Verfolgten B. , auf die sich die Feststellungen zu dem Herrühren des Vermerksinhalts offensichtlich gründen, nicht mitgeteilt werden.
6
2. Auch im Übrigen erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft. Denn die Auseinandersetzung mit den festgestellten objektiven Umständen bleibt lückenhaft. So werden im Rahmen der Beweiswürdigung zwei weitere , seinem Besuch in der Untersuchungshaft nachfolgende Schreiben des Rechtsanwalts B. erwähnt, in denen er dem Angeklagten mitteilt, an den K. sei noch nicht herangetreten worden, dies sei im Moment auch nicht erforderlich und dass dem D. „etwas mehr als nur die Fresse poliert wer- de bei passender Gelegenheit“. Inwieweit diese Schreiben Rückschlüsse auf frühere Gespräche betreffend den D. erlauben, bleibt unerörtert.
7
3. Zudem begegnen die Ausführungen der Strafkammer zur Frage der hinreichenden Konkretisierung der in Aussicht genommenen Tat durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ausgehend von der zutreffenden Annahme, dass die Bestimmungshandlung und der Vorsatz sich auf eine hinreichend konkretisierte Tat richten müsse, wird dies maßgeblich deswegen verneint, da „völlig offen“sei, ob der Anzustiftende K. „überhaupt bereit gewesen wäre“, die Tat auszuführen. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Der Tatbestand der versuch- ten Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB knüpft allein an die abstrakte Gefährlichkeit des Tatverhaltens an, die darin liegt, dass derjenige, der einen anderen zur Begehung eines Verbrechens auffordert, Kräfte in Richtung auf das angegriffene Rechtsgut in Bewegung setzt, über die er nicht mehr die volle Herrschaft behält (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 1951 - 1 StR 3/51, BGHSt 1, 305, 309 zu § 49a StGB aF; BGH, Urteil vom 29. Oktober 1997 - 2 StR 239/97, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Bestimmen 3). Deswegen genügt es bereits, dass der Täter es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, dass der Aufgeforderte die Aufforderung ernst nehmen und durch sie zur Tat bestimmt werden könnte (BGH, Urteil vom 10. Juni 1998 - 3 StR 113/98, BGHSt 44, 99; BGH, Urteil vom 27. Juli 2000 - 4 StR 185/00). Dass der Angeklagte davon ausgegangen sein müsste, dass K. zur Tötung eines Menschen für 10.000 € „ohne weiteres bedingungslos bereit gewesen wäre“- wie es die Strafkammer im Anschluss an die Erwägungen zur mangelnden tatsächlichen Bereitschaft des K. noch prüft und verneint - ist hierfür nicht erforderlich.

III.

8
Da die wenigen getroffenen Feststellungen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte von dem Versuch der Anstiftung rechtswirksam zurückgetreten ist, war der Freispruch aufzuheben. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Nack Rothfuß Graf Cirener Radtke
4
Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, das heißt, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob der Tatrichter an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 10. August 1994 - 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10 mwN; vom 29. Juli 2010 - 4 StR 190/10, juris Rn. 7; vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220 (nur Ls)).
15
b) Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung aber auch deshalb, weil das Landgericht, soweit es im Rahmen der Beweiswürdigung auf die den Angeklagten belastende Umstände eingegangen ist, unterlassen hat, diese zusammenfassend in einer Gesamtschau zu würdigen (vgl. BGH NStZ 1998, 265, 266 m.N.). Der formelhafte Hinweis des Landgerichts, diese Umstände reichten „auch in ihrer Gesamtheit“ nicht aus, ihm eine „sichere Überzeugung“ zu vermitteln , vermag die gebotene Gesamtwürdigung nicht zu ersetzen (vgl. BGH NStZ 1998, 475).
10
2. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien , die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 StR 15/04, wistra 2004, 432 m.w.N.). Bei der Prüfung wesentlicher einzelner Belastungsindizien legt das Landgericht zudem Annahmen als nicht ausschließbar zugrunde, für die sich in der Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte ergeben haben:

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 181/16
vom
11. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:111016U5STR181.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Prof. Dr. König, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 4. November 2015 hinsichtlich des Angeklagten L. mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl, freigesprochen und eine Entscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen getroffen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der Sachrüge vertreten wird. Die Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht mehr ankommt.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3
Zwischen April und September 2014 sprengte der wegen dieser Taten rechtskräftig verurteilte B. im Zusammenwirken mit einem Mittäter, der in Größe und Statur dem Angeklagten entsprach, vier Geldautomaten durch Zünden eines zuvor in diese eingeleiteten Gasgemisches. Bei den ersten drei Taten erbeuteten die Täter rund 400.000 €. Bei der vierten Tat verhinderte eine zu- sätzliche Sicherheitsvorkehrung des bereits teilweise gesprengten Geldautomaten , dass die Täter an das Bargeld gelangten. Bei allen vier Taten waren die Täter maskiert und trugen orange-schwarze Handschuhe. Unmittelbar nach der letzten Tat flüchteten sie mit einem Fahrzeug über die nahe gelegene Grenze nach Forbach in Frankreich, wo sie an einem Wald anhielten, um die Kennzeichen des Fahrzeugs auszutauschen. Als sich ihnen eine Zivilstreife der französischen Polizei näherte, ergriffen sie zu Fuß die Flucht und konnten sich der Festnahme entziehen. Einer der Flüchtenden verlor im Wald einen orangeschwarzen Handschuh, an dessen Innenseite DNA-Spuren des Angeklagten gesichert werden konnten. An einem im Fluchtfahrzeug sichergestellten weiteren Paar orange-schwarzer Handschuhe befanden sich DNA-Spuren des B. .
4
Sieben Wochen später wurden B. und der Angeklagte in einem von B. geführten Pkw in Südfrankreich von französischen Polizeibeamten kontrolliert. In dem Fahrzeug wurden Notizzettel sichergestellt, auf denen die Standorte von Geldautomaten im Bliesgau und an der südlichen Weinstraße jeweils in Grenznähe zu Frankreich notiert waren, ein Navigationsgerät, in dem die Adressen der vier Tatorte gespeichert waren, ein Computer, mit dem nach Bankfilialen in der Region der Tatorte sowie nach Gasen recherchiert worden war, eine Kapuzenjacke, die derjenigen glich, die der in den Bankfilialen gefilm- te Täter trug, und eine Bohrmaschine der Art, wie sie auch bei den Taten benutzt worden war.
5
In den jeweiligen Tatzeiträumen bewohnte B. mit einer anderen männlichen Person ein Zimmer in einem Hotel in Yutz in Frankreich nahe der deutschen Grenze. Ein an der Rezeption des Hotels tätiger Zeuge hat bekundet , er glaube, den Angeklagten als Hotelgast im Verlauf des Jahres 2014 wiedererkannt zu haben, sicher sei er sich jedoch nicht. B. und der Angeklagte stammen aus demselben Ort in Rumänien. Im Mai 2014 überwies B. dem Angeklagten einen Geldbetrag von 7.300 €.
6
2. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der im Verfahren schweigende Angeklagte an den Taten beteiligt war. Zwar stelle die in dem Handschuh sichergestellte DNA des Angeklagten ein gewichtiges Indiz für dessen Täterschaft dar. Allerdings stehe lediglich fest, dass der Angeklagte den Handschuh einmal angefasst habe; es gebe zahlreiche Möglichkeiten , wie seine DNA an die Innenseite des Handschuhs gekommen sein könne. Ein weiteres Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten stelle dessen Bekanntschaft mit B. dar. Diese beiden Indiztatsachen seien jedoch „weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau“ (UA S. 41) geeignet, die Überzeu- gung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen.
7
3. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
8
a) Das Revisionsgericht hat es zwar grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es hat jedoch das Urteil darauf zu überprüfen , ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12, und vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109).
9
b) Gemessen hieran hält die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Prüfung nicht stand. In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht nicht nur mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Es muss sich auch aus den Urteilsgründen ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
10
Denn aus dem Urteil ergibt sich nicht, dass das Landgericht überhaupt eine Gesamtbetrachtung in dem gebotenen Umfang vorgenommen hat. Eine solche setzt voraus, dass sämtliche vorhandenen Beweisanzeichen erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden. Eine diesen Anforderungen genügende Darstellung weist das Urteil mit seiner lediglich formelhaften Erwähnung einer „Gesamtschau“ nicht auf. Dies lässt besorgen , dass die Strafkammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen , doch in ihrer Gesamtheit die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12; vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09, und vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20).
11
Insbesondere hat die Strafkammer ihre „Gesamtschau“ dadurch unzulässig verkürzt, dass sie lediglich die vom Angeklagten stammende DNA-Spur an der Innenseite des Handschuhs sowie die Bekanntschaft der beiden Angeklagten gewürdigt hat (UA S. 41). Weitere Umstände hat sie außer Betracht gelassen, obwohl ihnen indizielle Bedeutung für die Beteiligung des Angeklagten zukommt. So stellt das Landgericht nicht in seine Gesamtwürdigung ein, dass der Angeklagte und B. nur wenige Wochen nach der letzten Tat fernab ihrer rumänischen Heimat in einem Fahrzeug angetroffen wurden, in dem sich Tatwerkzeuge und weitere im Zusammenhang mit einschlägigen Taten stehende Gegenstände befanden (Navigationsgerät, Notebook, Zettel mit den Adressen von Geldautomaten, Kapuzenjacke). Auch befasst es sich nicht mit der Überweisung eines nicht unerheblichen Geldbetrages durch B. an den Angeklagten innerhalb des Tatzeitraums und dem – wenngleich nicht sicheren – Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Angestellten des Hotels, in dem B. bei Begehung der Taten mit einer anderen männlichen Person wohnte. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die von mehreren Zeugen bekundete Täterbeschreibung in Größe und Statur auf den Angeklagten zutrifft.
12
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Sache bedarf daher, soweit sie den Angeklagten betrifft, neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
5. Mit der Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die Entschädigungsgrundentscheidung und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (vgl. BGH, Urteile vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, dort nicht abgedruckt und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09).

Sander Schneider König
Bellay Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 45/17
vom
14. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2017:140917U4STR45.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. September 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 15. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls, wegen versuchter Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Vom (tatmehrheitlich angeklagten) Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Nebenklägerin gegen den Freispruch. Ihr Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten insoweit Folgendes zur Last:
3
Der Angeklagte habe in der Nacht zum 19. September 2015, bekleidet mit einer grünen Bomberjacke, einer orange-roten Baseballkappe und Handschuhen , die 17-jährige Nebenklägerin im Stadtgebiet von P. am Genick gepackt, ihr den Mund zugehalten und sie unter ihrer erfolglosen körperlichen Gegenwehr in einen nahe gelegenen Park gezerrt. Dort habe er sich, nachdem die Nebenklägerin auf den Boden gefallen und auf dem Rücken zu liegen gekommen war, auf deren Hände gekniet, ihre Leggings zerrissen und habe mit der sich fortdauernd wehrenden Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeübt, wobei er ihr seinen Unterarm auf den Mund hielt, um Hilfeschreie zu unterbinden. Danach habe er sie an den Haaren gepackt und sie für den Fall einer Offenbarung der Tat mit dem Tode bedroht, woraufhin sie habe flüchten können.
4
2. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen vermocht. Selbst wenn, so die Strafkammer , die von der Nebenklägerin geschilderte Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden haben sollte, könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine andere Person und nicht der Angeklagte als Täter infrage komme.

II.


5
Der Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung hat keinen Bestand; er leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
6
1. Es ist schon zweifelhaft, ob das Urteil den formellen Anforderungen genügt, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine Freispruchsbegründung zu stellen sind (vgl. dazu BGH, Urteile vom 25. September 1990 – 1 StR 448/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5; vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10). Die danach regelmäßig erforderlichen zusammenhängenden Feststellungen zu den für erwiesen erachteten Tatsachen enthalten die Urteilsgründe nicht. Ob dies hier einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellt oder ob tatsächlich keine Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen möglich waren (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. November 1996 – 1 StR 405/96, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12), kann aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7
2. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), weshalb es ihm obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Urteil muss aber erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH aaO).
8
3. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Zum einen weist sie Lücken auf, weil die Strafkammer nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt hat, warum sie dem Gutachten der aussagepsychologischen Sachverständigen Dipl.-Psych. B. nicht gefolgt ist, wonach die Angaben der Nebenklägerin zur Tat und zum Täter mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ erlebnisfundiert seien.
10
aa) Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt er aber zu einem anderen Ergebnis, so muss er sich konkret mit den Ausführungen des jeweiligen Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass er über das bessere Fachwissen verfügt (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 5 StR 181/12, NStZ 2013, 55, 56). Vor allem muss er die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die er seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550, 551) und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (BGH, Urteile vom 11. Januar 2017 – 2 StR 323/16, NStZ-RR 2017, 222 f.; vom 14. Juni 1994 – 1 StR 190/94, NStZ 1994, 503).
11
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar referiert die Strafkammer die gutachterliche Stellungnahme der aussagepsychologischen Sachverständigen, die sich ihrerseits erkennbar an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten methodischen Anforderungen orientiert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164), in aller Breite in den Urteilsgründen. Sie versäumt es aber, eine eigene Bewertung der Ergebnisse des Gutachtens vorzunehmen und im Einzelnen zu erläutern, aus welchem Grund sie sich der Gutachterin nicht anzuschließen vermocht hat. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als im Hinblick auf das wesentliche Glaubhaftigkeitskriterium der Aussagekonstanz die Beurteilung der Sachverständigen von der Strafkammer, „das Kerngeschehen betreffend“, ausdrücklich geteilt wird (UA 44). Der allgemeine Hinweis darauf, die Bewertung der Angaben der Nebenklägerin durch die Gutachterin (mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ erlebnisfundiert)reiche zur Überführung des Angeklagten nicht aus und deren Bekundungen stünden der Einlassung des Ange- klagten auch vor dem Hintergrund des Gutachtens „unvereinbar gegenüber“, kennzeichnet letztlich nur das abstrakte Problem der Aussage-gegen-AussageKonstellation , ohne dieses nach den konkreten Umständen des Falles unter Einschluss des psychologischen Gutachtens zu erörtern. Der Senat kann danach auch nicht überprüfen, ob der Einschätzung der Strafkammer in Bezug auf die Ausführungen der psychologischen Sachverständigen die erforderliche Sachkunde zugrunde liegt.
12
b) Soweit das Landgericht die Frage, ob sich die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin überhaupt ereignet hat, letztlich offen gelassen hat, begegnen ihre Ausführungen zur Begründung ihrer Zweifel aus weiteren Gründen durchgreifenden Bedenken.
13
aa) Das Landgericht hat darauf abgestellt, „zweifelsfreie“ Rückschlüsse darauf, dass die Nebenklägerin Opfer einer Vergewaltigung geworden sei, habe ihre körperliche Untersuchung im Krankenhaus nicht ergeben. Die vom behandelnden Arzt festgestellte leichte Blutung im Vaginalbereich könne auch andere Ursachen als eine Vergewaltigung gehabt haben, etwa den Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund am Nachmittag des 18. September 2015, sie könne auch im Zusammenhang mit einer Menstruation der Nebenklägerin oder mit „anderen Ursachen“ entstanden sein. Auch die leichten Kratzspuren und die dadurch verursachte Rötung im Dekolleté der Nebenklägerin ließen keine „zwangsweisen“ Rückschlüsse auf ein Vergewaltigungsgeschehenzu, würden ein solches allerdings auch nicht gänzlich ausschließen.
14
bb) Diese Ausführungen lassen schon nicht erkennen, dass das Landgericht bedacht hat, dass Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit ist, sondern ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03 mwN). Die Beweiswürdigung erweist sich an dieser Stelle ferner als lückenhaft. Denn mit Blick auf mögliche Ursachen für die Blutung im Vaginalbereich wäre erörterungsbedürftig gewesen, dass der von der Nebenklägerin bekundete Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund bereits sieben Stunden vor der geschilderten Tat stattfand. Im Bereich bloßer Vermutung liegt die als weitere mögliche Erklärung in Betracht gezogene Menstruationsblutung, die weder in den Bekundungen der Nebenklägerin noch in sonstigen Umständen eine Stütze findet, ebenso die nicht näher tatsachenfundierten „anderen Ursachen“. Gänzlich un- erörtert bleibt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Nebenklägerin den ermittelnden Polizeibeamten nach der Tat eine zerrissene Leggings übergab , was ihre Tatschilderung in einem wesentlichen Punkt bestätigte. Schließlich werden die für und gegen das Vorliegen einer Straftat sprechenden Indizien nicht zueinander in Bezug gesetzt.
15
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler der Aussage der Nebenklägerin zur Tatbegehung gefolgt wäre, infolgedessen auch die sich aus der Aussage ergebenden und die weiteren Beweisanzeichen für eine Täterschaft des Angeklagten anders als geschehen gewichtet hätte und zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Unabhängig davon begegnet die Beweiswürdigung zur Frage einer Tatbegehung gerade durch den Angeklagten für sich genommen ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
aa) Die Nebenklägerin hat konstant bekundet, dass der Täter bei der Tatausführung ein Fahrrad mit sich geführt, eine grüne Bomberjacke sowie eine orangefarbene bzw. rote Baseballkappe getragen und beim Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzt habe. Der den P. er Dialekt sprechende Täter habe ferner Handschuhe getragen und eine Tätowierung auf der Wange gehabt, bestehend aus einer oder mehrerer Tränen. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wurden in der Wohnung der Lebensgefährtin des Angeklagten Kleidungsstücke der genannten Art sichergestellt, ferner weist die Wange des Angeklagten eine entsprechende Tätowierung auf.
17
In den Urteilsgründen werden diese Beweisanzeichen wie folgt gewürdigt :
18
Dass der Angeklagte im Besitz einer grünen Bomberjacke und einer roten Baseballkappe gewesen sei, stelle kein gewichtiges Indiz für seine Täterschaft dar, da es sich um Massenkleidungsstücke handle und die Nebenklägerin konkrete Erkennungszeichen wie eine besondere Marke nicht erkannt habe. Tätowierte Tränen im Gesicht, die der Angeklagte aufweise, seien keine Seltenheit , so dass nicht vollständig auszuschließen sei, dass sich in P. weitere Personen aufgehalten hätten, welche ebenfalls eine solche Tätowierung hätten. Im Übrigen sei sich die Nebenklägerin zunächst nicht sicher gewesen, auf welcher Seite und wie viele Tränen im Gesicht des Täters zu erkennen waren.
19
bb) Abgesehen davon, dass es sich bei der Annahme, in P. gebe es mehrere Personen mit einer Tätowierung ähnlich derjenigen des Angeklagten , um eine nicht mit Tatsachen belegte Vermutung handelt, fehlt auch die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse.
20
(1) Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermittelnkönnen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 f. mwN).
21
(2) Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die dargelegten Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt im vorliegenden Fall den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung auch deshalb nicht, weil zu bedenken gewesen wäre, dass sich die von der Nebenklägerin geschilderte Tat in der Nacht zum 19. September 2015 nach 24.00 Uhr nicht weit von der Wohnung seiner damaligen Lebensgefährtin, der Zeugin D. , entfernt ereignet haben soll und dem Angeklagten sein Fahrrad dort zur Verfügung stand. Allein die Zeugin D. hat den Angeklagten für den Tatzeitraum (laut Anklagevorwurf in der Nacht zum 19. September nach Mitternacht) entlastet. Das Alibi des (einzig) neutralen Zeugen W. , der den Angeklagten und die Tochter der D. in derTatnacht mit seinem Taxi an der Wohnung der D. absetzte, reicht ausweislich seiner Angaben in der Hauptverhandlung nur bis 24.00 Uhr.
22
Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln ein geringeres Gewicht beigemessen und sich letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
23
Soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden ist, bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.


24
Der Senat hebt den Freispruch daher auf und verweist die Sache insoweit an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Sollte das Landgericht zu einer Verurteilung gelangen, wird es unter Auflösung der bisherigen Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe zu bilden haben (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1976 – 2 StR 572/76; vom 18. Februar 2016 – 1 StR 409/15; Beschluss vom 26. Januar 1999 – 4 StR 556/98). An der in seinem Urteil vom 14. Januar 2016 (4 StR 361/15) geäußerten Rechtsauffassung, wonach im Fall der Aufhebung eines Teilfreispruchs auf Revision der Nebenklage auch die in demselben Verfahren für nicht angefochtene Taten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung unterliegt, hält der Senat nicht mehr fest (vgl. für den ver- gleichbaren Fall einer auf einen Teilfreispruch beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft Senatsurteil vom heutigen Tag – 4 StR 303/17).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 266/07
vom
17. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Juli 2007 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 28. Februar 2007 dahin geändert , dass der Angeklagte wegen Totschlags, verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und fünf Monaten verurteilt wird. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten und einer Woche und wegen verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen falscher Verdächtigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 5. Dezember 2006 - 4 StR 484/06 - im Ausspruch über die beiden Gesamtfreiheitsstrafen mit den Feststellungen aufgehoben und die weiter gehende Revision verworfen.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 wegen Totschlags, verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
Die Gesamtstrafenbildung, die das Landgericht nach Zurückverweisung der Sache vorzunehmen hatte, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht in die Gesamtstrafe, die es aus den rechtskräftigen Einzelstrafen von neun Jahren und sechs Monaten wegen Totschlags, von drei Jahren wegen verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und von sechs Monaten wegen falscher Verdächtigung zu bilden hatte, auch die durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 verhängte Geldstrafe von 30 Tagessätzen einbezogen hat.
4
Der Einbeziehung dieser Geldstrafe im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB steht entgegen, dass aus dieser wegen Beleidigung verhängten Geldstrafe und der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Krefeld vom 10. März 2005 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen gemäß § 460 StPO im Beschlusswege nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden ist, weil die Beleidigung am 20. Februar 2005 begangen wurde, sodass allein der Strafbefehl vom 10. März 2005 eine Zäsur bilden kann (vgl. BGHSt 32, 190, 193). Nach den Feststellungen wurde dieser Strafbefehl aber am 10. März 2005 von dem zuständigen Richter vor 14.00 Uhr unterzeichnet. Da der Angeklagte den hier abgeurteilten Totschlag am Abend des 10. März 2005 nach 20.00 Uhr, den Verstoß gegen das Waffengesetz am 14. November 2005 und das Vergehen der falschen Verdächtigung am 28. November 2005 begangen hat, ist für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus den wegen dieser Taten verhängten Freiheitsstrafen und der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 2. Mai 2005 kein Raum.
5
Die Zäsurwirkung des Strafbefehls vom 10. März 2006 ist auch nicht etwa deshalb entfallen, weil die Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 10. März 2005 nunmehr nach Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe in der Zeit vom 30. November 2006 bis zum 12. Februar 2007 erledigt ist. Da die Erledigung erst nach Erlass des Strafbefehls vom 2. Mai 2005 eingetreten ist, steht sie einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO nicht entgegen (vgl. Fischer in KK StPO 5. Aufl. § 460 Rdn. 10; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 460 Rdn. 13, jew. m.w.N.). Ein Nachtragsverfahren nach § 460 StPO ist erst dann ausgeschlossen, wenn sämtliche Strafen, die für eine Gesamtstrafenbildung in Betracht gekommen wären, vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind (vgl. Fischer aaO; Meyer-Goßner aaO).
6
Die Einbeziehung der Geldstrafe von 30 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 muss deshalb entfallen. Der Senat setzt die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe um einen Monat herab.
7
Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlass, den Angeklagten von den Kosten des Verfahrens und seinen Auslagen gemäß § 473 Abs. 4 StPO teilweise zu entlasten.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible

(1) Das Gericht widerruft die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person

1.
in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, daß die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,
2.
gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlaß zu der Besorgnis gibt, daß sie erneut Straftaten begehen wird, oder
3.
gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt.
Satz 1 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn die Tat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft oder bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Entscheidung über die Gesamtstrafe begangen worden ist.

(2) Das Gericht sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht,

1.
weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere die verurteilte Person einer Bewährungshelferin oder einem Bewährungshelfer zu unterstellen, oder
2.
die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern.
In den Fällen der Nummer 2 darf die Bewährungszeit nicht um mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit verlängert werden.

(3) Leistungen, die die verurteilte Person zur Erfüllung von Auflagen, Anerbieten, Weisungen oder Zusagen erbracht hat, werden nicht erstattet. Das Gericht kann jedoch, wenn es die Strafaussetzung widerruft, Leistungen, die die verurteilte Person zur Erfüllung von Auflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 oder entsprechenden Anerbieten nach § 56b Abs. 3 erbracht hat, auf die Strafe anrechnen.