Bundesgerichtshof Urteil, 22. Okt. 2015 - 4 StR 133/15

bei uns veröffentlicht am22.10.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 133/15
vom
22. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
die Angeklagte in Person,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers G. M. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. November 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers G. M. verurteilt ist und im Rechtsfolgenausspruch.
Auf die Revision des Nebenklägers I. M. wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers I. M. verurteilt ist und im Rechtsfolgenausspruch.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass die Angeklagte nicht wegen versuchten Tot- schlags zum Nachteil des Nebenklägers G. M. verurteilt wur- de, und den Strafausspruch. Die Nebenkläger erstreben mit der Rüge der „Verletzung formellen und materiellen Rechts“ die Verurteilung wegen versuchten Mordes zum Nachteil des Nebenklägers I. M. und wegen versuchten Totschlags zum Nachteil des Nebenklägers G. M. . Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Rechtsmittel der Nebenkläger haben Erfolg.
2
1. Nach den von der Jugendkammer getroffenen Feststellungen stach die Angeklagte am 31. März 2014 im Rahmen einer heftigen verbalen Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der Familien Ga. und M. , zu deren Zuspitzung sie maßgeblich beigetragen hatte, dem ihr den Rücken zukehrenden I. M. ein Küchenmesser mit einer ca. 12,5 cm langen spitz zulaufenden Klinge blitzschnell und völlig überraschend mit Wucht unterhalb der Schulterhöhe in den Nacken, wobei sie dessen Tod billigend in Kauf nahm. Sie zog das Messer sofort wieder aus dem Körper und ging auf G. M. zu, der seinem Sohn zu Hilfe eilen wollte, und stach ihm das Messer von vorn mit Wucht in den linken Mittelbauch, wobei sie auch dessen Tod billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte zog das Messer wieder aus dem Bauch des Geschädigten, wenige Sekunden später wurde es ihr von K. aus der Hand genommen. Möglicherweise wurde die Angeklagte zuvor auch von B. zur Seite geschubst. Die Nebenkläger wurden von K. ins Krankenhaus gebracht. Ihre Verletzungen waren konkret lebensbedrohlich.
3
Die Jugendkammer hat in beiden Fällen einen Rücktritt vom (unbeendeten ) Versuch des Mordes bzw. des Totschlags angenommen. Die Angeklagte habe mitbekommen, dass I. M. noch „handlungsfähig“ gewe- sen sei. Sie habe nach ihrer Vorstellung noch nicht alles getan, um den Erfolg der Tat, nämlich seinen Tod herbeizuführen, sondern habe von ihm abgelassen , um sich G. M. zuzuwenden. Auch hinsichtlich G. M. sei in dubio pro reo davon auszugehen, dass sie vom Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten sei. Der Versuch, G. M. zu töten, sei nicht fehlgeschlagen, weil sie nicht ausschließbar noch ein zweites Mal auf diesen hätte einstechen können, bevor ihr das Messer abgenommen worden sei. Deshalb sei zu ihren Gunsten von einem unbeendeten Versuch auszugehen.
4
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger führen auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils; die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist hingegen nicht ausgeführt und damit unzulässig. Die Feststellungen und die Beweiswürdigung tragen nicht die Annahme der Jugendkammer, die Angeklagte sei vom versuchten Mord bzw. versuchten Totschlag jeweils strafbefreiend zurückgetreten.
5
a) Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein strafbefreiender Rücktritt gegeben ist, darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont ; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f. mwN) oder sich – namentlich nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen , die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 15, 15a mwN).
6
b) Das Landgericht geht zwar im rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus, dass es für die Beurteilung dieser Abgrenzungsfrage auf die Vorstellung der Angeklagten ankommt, trifft hierzu aber keine ausreichenden Feststellungen. Insoweit teilt das Urteil im Sachverhalt lediglich mit, die Angeklagte habe noch mitbekommen, dass die Verletzten handlungsfähig geblieben seien. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche Schlüsse die Angeklagte hieraus hinsichtlich des möglichen Todes ihres Opfers gezogen und ob sie den Tötungsvorsatz jeweils endgültig aufgegeben hat, bleibt indes offen. So stellt die Jugendkammer auch im Rahmen der rechtlichen Würdigung für die Frage, ob der Tötungsversuch zum Nachteil des G. M. unbeendet war, fehlerhaft allein darauf ab, dass der Versuch nicht fehlgeschlagen war (UA 40).
7
c) Der aufgezeigte Erörterungsmangel nötigt zur Aufhebung des – an sich rechtsfehlerfreien – Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).
8
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
9
a) Die Angeklagte war bei Begehung der Taten 19 Jahre und drei Monate alt (vgl. UA 40). Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre (§ 105 Abs. 3 Satz 1 JGG).
10
b) Die Erwägung der Jugendkammer, es bedürfe einer Strafe, die noch zwei Jahre beträgt und damit das Höchstmaß erreicht, das noch eine Strafaussetzung zur Bewährung zulässt, lässt eine unzulässige Vermischung des Vorgangs der Festsetzung der Jugendstrafe und der grundsätzlich nachrangigen Frage, ob deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, besorgen (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 20. November 2012 – 1 StR 428/12, NStZ 2013, 288, und vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, NStZ 2012, 634, Rn. 40 ff.; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 85/08, NStZ 2008, 693, jeweils mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

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(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2012 - 1 StR 428/12

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2008 - 2 StR 85/08

bei uns veröffentlicht am 12.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 85/08 vom 12. März 2008 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 22. Okt. 2015 - 4 StR 133/15.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2015 - 4 StR 262/15

bei uns veröffentlicht am 22.10.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 262/15 vom 22. Oktober 2015 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2015:221015B4STR262.15.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwe

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(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 428/12
vom
20. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 10. Mai 2012 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung (Tat 1; B. 1. der Urteilsgründe) und Vergewaltigung (Tat 2; B. 2. der Urteilsgründe) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel ist nur noch auf die Sachrüge gestützt, nachdem eine zudem erhobene Verfahrensrüge nicht mehr weiterverfolgt wird. Es hat Erfolg.
2
1. a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen hatten sich der Angeklagte und die spätere Geschädigte R. etwa im April 2010 kennengelernt. Im Rahmen einer sexuellen Beziehung war es Anfang Juli 2011 ein- mal zum Geschlechtsverkehr gekommen. Obwohl R. dem Ange- klagten anschließend „deutlich gemacht hatte, dass sie mit ihm keine Beziehung eingehen möchte, versuchte“ dieser sie „in der Folgezeit mehrmals zum Geschlechtsverkehr zu überreden“ (UA S. 9). Beider Begehung der beiden Taten war der Angeklagte etwa 19 ½ Jahre alt, R. 16 Jahre:
3
In der Nacht zum 11. September 2011 hatten sich beide im Auto des Angeklagten getroffen und etwa eine halbe Stunde „über unverfängliche Dinge unterhalten“. Plötzlich stieg der Angeklagte auf den Beifahrersitz, setzte sich rittlings auf R. , versuchte sie zu küssen, zog trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben, öffnete den BH, fasste an ihre Brust und schob seine Hand unter den Leggings in den Scheidenbereich. Nach etwa 20 Minuten ließ er aufgrund der lauten Schreie R. s von ihr ab (Tat 1).
4
Ohne dass es bis dahin zu einem weiteren Kontakt zwischen beiden gekommen war, kündigte der Angeklagte am 1. Oktober 2011 R. , die allein zuhause war, per SMS sein Erscheinen im Laufe des Abends an. Dabei sicherte er ihr mehrmals zu, dass sich ein Vorfall wie die Tat 1 nicht wiederholen würde. Nachdem der Angeklagte gegen 23.00 Uhr in R. s Elternhaus eingetroffen war und beide ca. eine halbe Stunde ferngesehen und sich unterhalten hatten, setzte sich der Angeklagte breitbeinig auf R. , schob trotz ihrer Gegenwehr das Top nach oben und riss den BH mittig auseinander, so dass er ihre Brust küssen und mit seiner Hand berühren konnte. Vom Sessel auf den Boden gerutscht, zog er ihr Hose und Unterhose aus, führte mehrere Finger in die Scheide ein und sagte, sie solle dies zulassen, „da sie ansonsten noch größere Schmerzen verspüren würde“. Da- nach entkleidete sich der Angeklagte, übte den vaginalen Geschlechtsverkehr aus, ohne zum Samenerguss zu gelangen, und versuchte im Anschluss vergeblich , der ihre Lippen zusammenpressenden R. seinen Penis in den Mund zu drücken. Nachdem der Angeklagte gleichwohl zum Samener- guss gelangt war, sagte er: „Was war denn daran jetzt so schlimm?“ und ver- ließ nach einiger Zeit das Haus. Noch in der Nacht forderte er R. per SMS auf, über die Geschehnisse Stillschweigen zu bewahren (Tat 2).
5
b) Das Landgericht hat die Höhe der allein wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe auch deshalb als „gerade noch angemessen“ angesehen (UA S. 24), weil der bereits durch sexuell motivierte Straftaten in Erscheinung getretene Angeklagte sich bereit erklärt hat, „sich einer entspre- chenden sexualtherapeutischen Maßnahme zu unterziehen“ (UA S. 20). Eine zwischen zwei und drei Jahren betragende Jugendstrafe wäre zwar „im Hin- blick auf einen Schuld- und Unrechtsausgleich gegebenenfalls noch vertretbar gewesen“, kam aber „schon aus erzieherischen Gründen … nicht in Betracht“. Hierfür bestimmend war die Annahme, dass die wegen des „erhöhten Rückfallrisikos des Angeklagten“ gebotene „mindestens zwei Jahre lang dauernde Sexualtherapie im geschützten Umfeld einer JVA“bei dieser Strafhöhe nicht abgeschlossen werden könne und aus diesem Grund nicht begonnen werde (UA S. 24). Die Verhängung einer noch höheren Jugendstrafe sei unverhältnismäßig.
6
2. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, das Landgericht habe die zur Begrenzung der Jugendstrafe auf zwei Jahre herangezogenen „erzieherischen Gründe“ nicht hinreichend belegt. Soweit dem Angeklagten ei- ne günstige Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG gestellt worden ist, stehe dies schon im Widerspruch zu dem vom Landgericht angenommenen „erhöhten Rückfallrisiko“.
7
3. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen ent- und be- lastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen , wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320).
8
Hieran gemessen erweist sich die landgerichtliche Strafzumessung als rechtsfehlerhaft; die Jugendstrafe kann aus folgenden Gründen keinen Bestand haben:
9
a) Zur Berücksichtigung „erzieherischer Gründe“ bei der Bemessung der Jugendstrafe war das Landgericht durch § 18 Abs. 2 JGG verpflichtet. Insofern war es ihm auch erlaubt, die von ihm - sachverständig beraten - für „erziehe- risch geboten“ erachtete Durchführung einer mindestens zwei Jahre dauernden Sexualtherapie als maßgeblichen Gesichtspunkt heranzuziehen.
10
Das Landgericht hat es aber versäumt, die für die Annahme der Notwendigkeit einer derartigen Therapie bestimmenden Anknüpfungstatsachen mitzuteilen (zu den besonderen Darlegungsanforderungen des § 54 Abs. 1 JGG s. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1992 - 3 StR 521/92, StV 1993, 531; Urteil vom 23. März 2010 - 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290; jeweils mwN). Insofern bleibt vor allem offen, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Untersuchungen des Sachverständigen es beim Angeklagten ein erhöhtes Rückfallrisiko bejaht hat. Den Urteilsgründen lassen sich als insofern relevante, nicht unbedingt miteinander vereinbare Umstände lediglich die sexuell gepräg- ten Vorbelastungen (UA S. 7 f.) sowie die Bereitschaft des Angeklagten, „sich einer sexualtherapeutischen Maßnahme“ (UA S. 20) bzw. „einer Sexualtherapie zu unterziehen“ (UA S. 25), einerseits und die bei der Prüfung der Schuldfähig- keit erfolgte Mitteilung, es liege keines der medizinischen Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB - namentlich keine Störung der Sexualpräferenz (UA S. 17) - vor, andererseits entnehmen. Dem Revisionsgericht ist daher die Nachprüfung nicht möglich, ob das Landgericht die Therapiebedürftigkeit des Angeklagten überhaupt zu Recht bejaht und Art, Ausgestaltung sowie Dauer der Therapie zutreffend bestimmt hat.
11
b) Nach dem Vorstehenden kommt es nicht mehr darauf an, dass es erstens widersprüchlich erscheint, wenn das Landgericht eine zweijährige Jugend- strafe als „gerade noch angemessen“, eine ggf. auch nur knapp darüber liegende Strafhöhe dagegen als nur „gegebenenfalls noch vertretbar“ einstuft, und der Senat zweitens vorliegend eine unzulässige Vermischung des Vorgangs der Festsetzung der Jugendstrafe und der grundsätzlich nachrangigen Frage, ob deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, besorgt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11 mwN).
12
c) Das neue Tatgericht wird - entsprechend dem Hinweis des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 12. Oktober 2012 - Gelegenheit haben, im Rahmen der seiner Entscheidung zugrundeliegenden Gesamtwürdigung die Frage des Vorliegens schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG) zu prüfen. Sofern erneut „erhebliche, derzeit noch nicht absehbare psychische Folgen“ für die Geschädigte „erheblich zu Lasten des Angeklagten“ gewertet werden sollen (UA S. 22), würde es notwendig sein, diese in den Urteilsgründen konkret darzulegen. Hierfür erscheinen die Wiedergabe der Angaben eines Polizeibeamten, „die Geschädigte sei“ nach seinem Eintreffen in ihrem Elternhaus „weinerlich gewesen, habe in sich gekehrt gewirkt und habe ersichtlich unter Schock gestanden“ (UA S. 14), sowie die Angst der Geschädigten vor der Reaktion ihrer Eltern (UA S. 15) als nicht ausreichend (§ 301 StPO).
13
4. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, ist auch für sich genommen nicht rechtsfehler- frei begründet worden. Denn es bleibt offen, weshalb das angenommene „erhöhte Rückfallrisiko“ der dem Angeklagten günstigen Prognose i.S.d. § 21 Abs. 1 JGG nicht entgegensteht. Zwar durften in diesem Zusammenhang „enge Bewährungsauflagen und Weisungen“ (UA S. 25) als für die Prognose grundsätzlich relevante sog. flankierende Maßnahmen berücksichtigt werden (vgl. BGH StV 1987, 63; 1992, 230; BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 19, 20 und 21; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 5. Aufl. Rn. 216). Da jedoch - wie zu 3. a) dargelegt - weder das Rückfallrisiko spezifiziert noch die Bewährungsauflagen und -weisungen in den Urteilsgründen konkretisiert werden, ist dem Senat die Prüfung der landgerichtlichen Einschätzung , dass mit den Bewährungsentscheidungen „diesem Rückfallrisiko … Rechnung getragen werden kann“, verwehrt.
14
Im Übrigen hat das Landgericht als für eine zukünftige Straffreiheit des Angeklagten sprechende Umstände vor allem solche herangezogen, die bereits vor der Begehung der Taten vorlagen (UA S. 25). Es hätte deshalb näherer Erörterung bedurft, weshalb ihnen dennoch für eine günstige Prognose maßgebliche Bedeutung zukommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren aaO Rn. 214).
Nack Wahl Jäger Sander Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 85/08
vom
12. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. März 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Oktober 2007 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Die Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet. Der Strafausspruch hält hingegen der rechtlichen Überprüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge nicht stand.
2
Das Landgericht hat zur Festsetzung der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten ausgeführt: "Zur Vermeidung von weiteren Straftaten durch den Angeklagten kann eine Einheitsjugendstrafe, welche noch zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, nicht verhängt werden", (UA S. 19). Zwar könnte den hieran anschließenden Ausführungen unter Umständen entnommen werden, dass erzieherische Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Vermutungen über die voraussichtliche Vollstreckungsdauer die Zumessungsentscheidung des Landgerichts geleitet haben. Aufgrund der zitierten Ausführung ist aber jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht sich bei der Festsetzung der Höhe der Jugendstrafe maßgeblich auch von der Überlegung hat leiten lassen, dass es eine Strafaussetzung zur Bewährung von vornherein ausschließen wollte. Dies ist rechtsfehlerhaft, denn die Erwägungen zur Strafzumessung dürfen mit solchen zur Strafaussetzung zur Bewährung nicht vermischt werden (BGHSt 29, 319, 321; BGH NStZ 1992, 489; 1993, 538; 2001, 311; Fischer StGB 55. Aufl. § 56 Rdn. 23). Das gilt auch bei der Anwendung von Jugendstrafrecht. Die Fragen, ob die Verhängung einer Jugendstrafe gemäß § 17 Abs. 2 JGG geboten und in welcher Höhe sie zu verhängen ist, sind von der Frage einer Strafaussetzung nach § 21 JGG zu trennen, denn sie beurteilen sich nach unterschiedlichen Kriterien. Auch im vorliegenden Fall war daher zunächst die Strafhöhe unabhängig von Überlegungen zur möglichen Strafaussetzung und zur möglichen Anrechnung von Untersuchungshaft festzusetzen. In einem weiteren Schritt wäre dann, wenn die formellen Vorausset- zungen des § 21 JGG gegeben waren, über eine Strafaussetzung zur Bewährung zu befinden gewesen. Die verhängte Strafe mit dem Ziel zu erhöhen, schon die Prüfung einer Strafaussetzung von vornherein auszuschließen, war rechtsfehlerhaft; hierauf beruht die Rechtsfolgenentscheidung. RiBGH Rothfuß ist aufgrund Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Fischer Roggenbuck Appl Schmitt