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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 462/17
vom
7. März 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue
ECLI:DE:BGH:2019:070319U3STR462.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 7. Februar 2019 in der Sitzung am 7. März 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, Wimmer, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 23. Mai 2017 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 101 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und angeordnet, dass - "wegen der langen Verfahrensdauer" zwischen Anklageerhebung und Urteilsverkündung - sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die sich auf die Sachrüge und vier Verfahrensrügen stützt. Sein Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war bis Oktober 2011 Angestellter der Verbandsgemeinde B. und dort unter anderem dafür verantwortlich, bei der Ordnungsbehörde die Kasse für mit Bargeld entrichtete Gebühren und Geldbußen sowie für - von der Verbandsgemeinde zugunsten der Stadt B. in bar vereinnahmte - Parkplatzmieten zu führen. Er war zuständig für die wöchentlichen Abrechnungen der Kasse.
4
Um sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und nicht unerheblicher Dauer zu verschaffen, entnahm der Angeklagte ab Januar 2007 aus dem Kassenbestand Bargeldbeträge; möglicherweise enthielt er auch der Kasse von ihm für die Verbandsgemeinde entgegengenommene Barzahlungen vor. In der Zeit vom 4. Januar 2007 bis zum 15. September 2011 gab der Angeklagte wahrheitswidrig bei 101 wöchentlichen Abrechnungen gegenüber der Zentralkasse nur die um die entsprechenden Fehlbeträge gekürzten Einnahmen an. Durch sein pflichtwidriges Verhalten entstand der Verbandsgemeinde ein Schaden von insgesamt 51.110 €.

II.

5
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise ein Selbstleseverfahren angeordnet und damit § 249 Abs. 2 StPO verletzt.
6
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
7
Im Hauptverhandlungstermin am 21. März 2017 ordnete der Vorsitzende, wie in seiner Verfügung vom 17. März 2017 angekündigt, gemäß § 249 Abs. 2 StPO die Durchführung eines Selbstleseverfahrens an. Die Anordnung lautete - soweit für die revisionsrechtliche Beurteilung von Relevanz - wie folgt:
8
"... Folgende Urkunden sind Gegenstand des Selbstleseverfahrens:  Alle Fallakten mit Ausnahme der jeweils vorangestellten Tabellen und der nicht angeklagten Fallakten vom - 01.03.2007 … - 29.09.2011  Ordner 1 mit Ausnahme - Des Deckblattes, erstellt von KOK'in K. am 20.09.2012 (1 Seite) … - Die dem Jahr 2007 vorangestellte Tabelle 'Anwohnerparkplätze 2007' (4 Seiten)  Ordner 3 mit Ausnahme - 'Auswertung der Berichte über die überörtlichen Prüfungen des Gemeindeprüfungsamts' vom 03.05.2012 von KOK'in K. (3 Seiten) … - Programmieranleitung der Kasse  Ordner 4 mit Ausnahme - Des Deckblattes vom 20.09.2012 von KOK'in K. (1 Seite) … - Tabelle 'Aufstellung/Übersicht aller Darlehen'  Ordner 5 mit Ausnahme - Deckblatt vom 20.09.2012 von KOK'in K. … - Aktenvermerk vom 11.10.2010 von E.  Kassenbuch ab 2007  in der Kasse sichergestellte Journalrolle".
9
Gegen die Anordnung des Vorsitzenden erhob der Angeklagte unverzüglich Widerspruch, woraufhin die Strafkammer sie durch Beschluss bestätigte. Mit Verfügung vom 24. März 2017 teilte der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten mit, die in der Selbstleseanordnung vom 21. März 2017 genannten Urkundenkonvolute stünden in der Zeit zwischen dem 28. und dem 30. März 2017 im Gerichtsgebäude zur Einsichtnahme bereit. Der Angeklagte und seine Verteidi- ger nahmen am 30. März 2017 in die vollständig zur Verfügung gestellten Urkunden , insbesondere in die genannten Fallakten und Ordner, Einsicht.
10
In der Hauptverhandlung vom 6. April 2017 traf der Vorsitzende gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die Feststellung, dass alle in das Selbstleseverfahren einbezogenen Ordner, Fallakten, das Kassenbuch und die Journalrolle sowie zwei Ausfertigungen des Beschlusses vom 21. März 2017 in der Zeit vom 28. bis 30. März 2017 für die Kammermitglieder und alle übrigen Verfahrensbeteiligten zur Einsichtnahme bereit gelegen, die Richter und die Schöffen vom Wortlaut der entsprechenden Urkunden Kenntnis genommen und der Angeklagte , seine Verteidiger und die Staatsanwaltschaft Gelegenheit hierzu gehabt hätten.
11
2. Die Revision hat das Vorgehen der Strafkammer alsrechtsfehlerhaft gewertet, weil es § 249 Abs. 2 StPO verletzt habe. Denn für die Verfahrensbeteiligten sei aus der Selbstleseanordnung vom 21. März 2017 selbst nicht ersichtlich gewesen, welche Schriftstücke genau vom Selbstleseverfahren erfasst worden seien. Hinsichtlich der Fallakten und Ordner habe der Vorsitzende eine Formulierung gewählt, nach der nur diejenigen Teile dieser Urkundenkonvolute bezeichnet worden seien, die nicht Gegenstand des Selbstleseverfahrens hätten sein sollen. Da in der Verfügung weder der Gesamtinhalt (insbesondere die Seitenzahl) noch der Stand der Aktenbände angegeben sei, sei es auch für das Revisionsgericht nicht möglich nachzuvollziehen, welche einzelnen Dokumente Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen seien. Ihm sei, weil es sich bei der Frage, welche Schriftstücke durch Selbstverlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO handele und daher die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 Satz 1 StPO gelte, der Blick in die Akten verwehrt.
12
3. Die zulässige Verfahrensrüge erweist sich als unbegründet.
13
a) Die Rüge richtet sich gegen das von der Strafkammer durchgeführte Selbstleseverfahren allein unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Bezeichnung der Urkunden in der durch Gerichtsbeschluss bestätigten Anordnung des Vorsitzenden, weil die bloße Benennung von Urkundenkonvoluten nicht den Bestimmtheitsanforderungen genüge, jedenfalls wenn er mit einem negativen Ausschluss nicht erfasster Dokumente verbunden sei. Mit dieser Stoßrichtung wird das Selbstleseverfahren selbst beanstandet, indem gerügt wird, die Anordnung des Vorsitzenden sei verfahrensfehlerhaft ergangen. Die hiermit geltend gemachte Verletzung des § 249 Abs. 2 StPO kann einen relativen Revisionsgrund darstellen (vgl. MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 82). Eine auf § 261 StPO gestützte Inbegriffsrüge, von der Anordnung des Vorsitzenden seien bestimmt bezeichnete Urkunden nicht erfasst gewesen und dennoch im Urteil verwertet worden, hat der Beschwerdeführer hingegen nicht erhoben.
14
b) Mit ihrer Stoßrichtung ist die Rüge zulässig, weil der Sachverhalt, insbesondere die Anordnung des Vorsitzenden, der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderliche Widerspruch sowie der darauf folgende Gerichtsbeschluss, vollständig vorgetragen worden sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
15
c) In der Sache dringt die Verfahrensbeanstandung allerdings nicht durch.
16
aa) In rechtlicher Hinsicht ist von Folgendem auszugehen:
17
Das Selbstleseverfahren wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I S. 1645 ff.) eingeführt. Der neu geschaffene § 249 Abs. 2 StPO sollte vornehmlich dazu dienen, umfangreiche Verfahren zu straffen und den Verfahrensablauf von Ballast zu befreien (vgl.
BT-Drucks. 8/976, S. 1). Mit der Neufassung des § 249 Abs. 2 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S. 475 ff.), die eine Selbstlesung erstmals auch gegen den Willen der Verfahrensbeteiligten gestattete, sollte sodann erreicht werden, dass von dieser - für die Verfahrensbeteiligten gleichwertigen (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 28) - Möglichkeit mehr als bisher Gebrauch gemacht wird (s. BT-Drucks. 10/1313, S. 12). Schließlich wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186 ff.) der Anwendungsbereich des Selbstleseverfahrens erweitert, um Strafverfahren weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen (vgl. BT-Drucks. 12/6853, S. 1). Sowohl bei der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO als auch bei den späteren Änderungen der Vorschrift hatte der Gesetzgeber die Vereinfachung und Beschleunigung von Großverfahren im Blick (s. BT-Drucks. 8/976, S. 1, 17, 23; BT-Drucks. 10/1313, S. 28; BT-Drucks. 12/6853, S. 33).
18
Bereits mit der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO wurde § 273 Abs. 1 StPO dahin ergänzt, dass im Hauptverhandlungsprotokoll auch diejenigen Urkunden zu bezeichnen sind, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 StPO abgesehen worden ist. Die Bezeichnung hat dabei so genau zu erfolgen, dass die Urkunden identifizierbar sind (s. SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 102; KK-Greger, StPO, 7. Aufl., § 273 Rn. 8; SSW-StPO/Güntge, 3. Aufl., § 273 Rn. 7; KMR/v. Heintschel-Heinegg, StPO, 58. EL, § 249 Rn. 49; BeckOK StPO/Peglau, § 273 Rn. 31; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 273 Rn. 16; MüKoStPO/Valerius, § 273 Rn. 25). Bei umfangreichen Konvoluten kann eine zusammenfassende und pauschale Benennung der nach § 249 Abs. 2 StPO zu behandelnden Urkunden genügen (vgl. LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64, 91; vgl. auch - allerdings nichttragend - BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346: "Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle ...").
19
bb) Eingedenk all dessen begegnet die von der Strafkammer mit Beschluss vom 21. März 2017 bestätigte Anordnung des Vorsitzenden vom selben Tag über die Durchführung des Selbstleseverfahrens als solche keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das ergibt sich aus Folgendem:
20
(1) Primärer Zweck der Bezeichnung der Urkunden, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 StPO abgesehen werden soll, ist sicherzustellen, dass bei den Verfahrensbeteiligten über Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung kein Zweifel entstehen kann (vgl. LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Die Urkunden sind also dergestalt zu bezeichnen, dass sie von den Verfahrensbeteiligten ohne weiteres individualisiert werden können (vgl. SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 64; s. auch MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 54 ["exakt"]). Der Hinweis, dass der außerhalb der Hauptverhandlung in der Sonderform des § 249 Abs. 2 StPO gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann, richtet sich an die Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NStZ 2010, 712, 713; vom 15. Oktober 2010 - 5 StR 119/10, juris Rn. 7). Können also die Verfahrensbeteiligten nach dem Wortlaut der Anordnung die Urkunden leicht identifizieren , die zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, genügt die Anordnung dem Bestimmtheitserfordernis des § 249 Abs. 2 StPO.
21
(a) Die als "Kassenbuch ab 2007" und "in der Kasse sichergestellte Journalrolle" bezeichneten Schriftstücke sind in der Anordnung positiv benannt worden. Etwaige Unklarheiten, welche konkreten Urkunden mit diesen (Sammel -)Bezeichnungen gemeint sind, sind von der Revision, die auf diese beiden Punkte der Anordnung nicht weiter eingeht, nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
22
(b) Mit Blick auf die in der Anordnung benannten Ordner und Fallakten hat die Revision vorgetragen, diese hätten im Gerichtsgebäude "tatsächlich und vollständig zur Einsichtnahme" bereitgestanden. Der Angeklagte und seine Verteidiger hätten am 30. März 2017 über einen Zeitraum von fünf Stunden und 30 Minuten Einsicht genommen. Den Ausführungen in dem Beschluss der Strafkammer vom 21. März 2017, dass die in der Anordnung entsprechend bezeichneten Ordner und Fallakten eindeutig beschriftet und daher leicht identifizierbar seien, hat der Beschwerdeführer nicht widersprochen.
23
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Benennung von Urkundenkonvoluten mit dem negativen Ausschluss nicht erfasster Dokumente in der durch Gerichtsbeschluss bestätigten Vorsitzendenanordnung vom 21. März 2017 als für die Verfahrensbeteiligten hinreichend bestimmt. Bei ihnen, insbesondere dem Angeklagten und seinen Verteidigern, konnte - trotz der im Widerspruch gegen die Anordnung pauschal behaupteten Unzulänglichkeiten derselben - im Konkreten kein Zweifel daran bestehen, welche Urkunden Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Die Anordnung hat somit für die Verfahrensbeteiligten zu einer eindeutigen Benennung der vom Selbstleseverfahren erfassten Schriftstücke geführt.
24
(2) Dass die für § 249 Abs. 2 StPO ausreichende Individualisierung von Erkenntnisquellen außerhalb des Hauptverhandlungsprotokolls abhängig ist, steht ihr nicht entgegen. Insbesondere aus § 273 Abs. 1 StPO, wonach die Sitzungsniederschrift die Bezeichnung der Schriftstücke enthalten muss, von deren Verlesung abgesehen worden ist, folgt nicht, dass auf solche Erkenntnisquellen nicht zugegriffen werden dürfte.
25
(a) Im zu beurteilenden Fall enthält das Hauptverhandlungsprotokoll die Anordnung des Vorsitzenden ebenso wie den bestätigenden Gerichtsbeschluss jeweils im vollen Wortlaut. Damit ist durch das Protokoll - unmittelbar und mit der Beweiskraft des § 274 Satz 1 StPO versehen - nachgewiesen, dass ein Selbstleseverfahren angeordnet worden ist. Ebenso ist bewiesen, dass die entsprechenden Urkunden für die Verfahrensbeteiligten leicht identifizierbar bezeichnet worden sind.
26
Anhand der Ordner und Fallakten lässt sich unschwer nachvollziehen, dass die Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz ohne weiteres imstande waren festzustellen, welche Urkunden von der Selbstleseanordnung erfasst waren. Die Ordner und Fallakten sind, wie die Strafkammer in ihrem Beschluss vom 21. März 2017 zu Recht ausgeführt hat, eindeutig beschriftet; die von der Selbstleseanordnung betroffenen Urkunden konnten daher leicht identifiziert werden. Hierfür war - anders als von der Revision gefordert - nicht zwingend erforderlich, in der Anordnung den Gesamtinhalt der Ordner und Fallakten oder den Stand der Aktenbände mitzuteilen.
27
Dass das Landgericht die dem Selbstleseverfahren unterfallenden Urkundenkonvolute in den sieben Tagen zwischen dessen Anordnung und Durchführung noch verändert hätte, kann ausgeschlossen werden.
28
(b) Der Revision ist zwar zuzugeben, dass es aufgrund des Vorgehens der Strafkammer allein anhand der Sitzungsniederschrift nicht möglich ist, die Schriftstücke zu bestimmen, die Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Solches wird jedoch weder von § 249 Abs. 2 StPO noch von § 273 Abs. 1 StPO gefordert:
29
Auch im Fall einer positiven Benennung einer Urkunde ist eine Feststellung , welche Urkunde konkret gemeint ist, ausschließlich anhand der Sitzungsniederschrift nicht möglich. Erforderlich ist vielmehr zumindest die Heranziehung des Schriftstücks selbst, um die Übereinstimmung festzustellen. Für den Fall der auszugsweisen Verlesung einer Urkunde wird auch eine Kenntlichmachung der verlesenen Teile auf dem Dokument durch die Anbringung von Klammern empfohlen (so BGH, Beschluss vom 21. November 2006 - 1 StR 477/06, NStZ-RR 2007, 52); dies dürfte im Einzelfall auch genügen.
30
Darüber hinaus entspricht es allgemeiner Meinung, dass Feststellungen im Hauptverhandlungsprotokoll auslegungsfähig sind und für die Auslegung auch außerhalb desselben liegende Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen (s. BGH, Urteil vom 5. Mai 2004 - 2 StR 492/03, NStZ-RR 2004, 237; zur freibeweislichen Klärung in Fällen der teilweisen Verlesung von Urkunden vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2003 - 1 StR 34/03, NStZ 2004, 279; vom 8. Juni 2010 - 1 StR 181/10, juris); hierzu gehören insbesondere die Akten. Die Beweiskraft des Protokolls wird hierdurch nicht beseitigt (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 274 Rn. 11; MüKoStPO/Valerius, § 274 Rn. 25).

III.

31
Der Senat braucht nicht über die Erfolgsaussichten einer - hier nicht erhobenen - Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) zu entscheiden, mit der geltend gemacht wird, im Urteil sei eine bestimmte Urkunde verwertet worden, auf die sich das Selbstleseverfahren nicht erstreckt habe. Wie dargelegt (s. oben II. 3. a)), hat der Beschwerdeführer kein Schriftstück konkret bezeichnet, das nicht Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen, von der Strafkammer aber dennoch ihrer Überzeugungsbildung zugrunde gelegt worden sei.
32
Im Rahmen der Prüfung einer Inbegriffsrüge könnte allerdings in einem Fall wie dem hiesigen vom Revisionsgericht die Selbstlesung einer bestimmten Urkunde gegebenenfalls nicht mehr zuverlässig festgestellt werden; denn die in die Hauptverhandlung mittels Urkundenbeweis eingeführten Aktenteile (Beweismittelbände etc.), die den Verfahrensbeteiligten auf der Grundlage der entsprechenden Anordnung im Selbstleseverfahren zugänglich waren, könnten in der regelmäßig erheblichen Zeitspanne nach dessen Durchführung verändert worden sein. Die dem Revisionsgericht vorgelegten Akten entsprächen dann ihrer Ordnung und ihrem Umfang nach nicht mehr denjenigen, auf die sich die Selbstleseanordnung bezogen hat.
33
Sollte in einem solchen Fall eine sichere Identifizierung der Urkunde unmöglich sein, etwa weil eine nachträgliche Veränderung nicht als solche kenntlich gemacht worden ist, so wäre insbesondere zu erwägen, ob eine Inbegriffsrüge trotz Nichterwiesenheit dieser Verfahrenstatsache gleichwohl - ausnahmsweise - begründet wäre, weil die konkrete Ausgestaltung der Selbstlese- anordnung im alleinigen Verantwortungsbereich der Justiz läge (s. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 51; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337 Rn. 12; BeckOK StPO/Wiedner, § 337 Rn. 48).
Schäfer Spaniol Wimmer Berg RiBGH Hoch ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer

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(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 76/10
vom
20. Juli 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zum Umfang der Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3
BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10 - LG Wuppertal
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 5. November 2009 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. K. wegen Betruges in drei Fällen unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen ; den Angeklagten J. K. hat es wegen Betruges in vier Fällen und wegen versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2
Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden Angeklagten erhobene Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe dem Urteil unter Verstoß gegen § 261 StPO Feststellungen zugrunde gelegt, die wegen fehlerhafter Durchführung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO nicht Gegenstand der Hauptverhandlung geworden seien. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde :
3
Im Verlauf der Hauptverhandlung hat der Strafkammervorsitzende bezüglich mehrerer Urkunden das Selbstleseverfahren angeordnet. Betreffend ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat er am darauf folgenden Hauptverhandlungstermin zu Protokoll die Feststellung getroffen, dass das Selbstleseverfahren beendet ist, die Mitglieder der Kammer "von dem Urteil" Kenntnis genommen haben und die übrigen Prozessbeteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Betreffend eine Reihe von Urkunden zu Geldbewegungen sowie zu Haftabwesenheitszeiten des Angeklagten M. K. hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass die Kammer "von den Urkunden", für die in der letzten Hauptverhandlung das Selbstleseverfahren angeordnet worden ist, Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hierzu hatten. Hinsichtlich mehrerer amtsgerichtlicher Urteile hat er zu Protokoll festgestellt, dass das Selbstleseverfahren beendet ist und die Kammer "von den Urteilen" Kenntnis genommen hat und die übrigen Prozessbeteiligten Gelegenheit hatten , hiervon Kenntnis zu nehmen.
4
Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen "vom Wortlaut" der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei.
5
Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen:
6
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks - neben anderen Voraussetzungen - dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die "Feststellungen über die Kenntnisnahme" sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich von Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus , dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen.
7
Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises - die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen - aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und die Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er - ausnahmsweise - anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und der Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
8
Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundenbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung - insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken - immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.
9
Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Richter und Schöffen im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KKDiemer , 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein - im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter - Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden.
10
Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, be- darf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbes. gerichtskundiger , außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 mwN; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer -Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 mwN).
11
Durch die hier vom Vorsitzenden zu Protokoll erklärten Feststellungen, die im Übrigen ohnehin als Feststellung der Kenntnisnahme vom Wortlaut der Schriftstücke durch Richter und Schöffen auszulegen sein dürften (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, bei Becker, NStZ-RR 2004, 225, 227 Nr. 9; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 - 5 StR 169/09, StV 2010, 226), sind die Schriftstücke in hinreichender Form zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht worden und damit verwertbar.
12
Keiner Entscheidung bedarf, wie wegen der fehlenden Beweiskraft des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO für seine inhaltliche Richtigkeit eine Rüge zu behandeln wäre, entgegen der protokollierten Feststellung hätten die Richter oder Schöffen tatsächlich gar nicht vom Wortlaut der fraglichen Schriftstücke Kenntnis genommen; denn eine solche Rüge ist hier nicht erhoben.
VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer
7
b) Die wegen Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 i.V.m. § 261 StPO erhobene Inbegriffsrüge greift nicht durch. Es ist zureichend festgestellt , dass sämtliche Mitglieder der Strafkammer, mithin die Berufsrichter ebenso wie die Schöffen, Kenntnis vom Wortlaut der im Wege des § 249 Abs. 2 StPO einzuführenden Urkunden genommen haben (vgl. BGHR StPO § 249 Kenntnisnahme 1; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10). Von dem Feststellungsvermerk erfasst wurden ersichtlich die in den vier An- ordnungen des Selbstleseverfahrens jeweils ausdrücklich bezeichneten Urkunden. Eine weniger pauschale Bezeichnung wäre zwar aus Gründen der Verfahrensklarheit gerade bei einer Mehrzahl von Anordnungen nach § 249 Abs. 2 StPO wünschenswert gewesen, der Bezugspunkt der Feststellung war indes für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar. Zweifel an dem erforderlichen Verständnis vom Gegenstand des Selbstleseverfahrens hatten ersichtlich auch die Verfahrensbeteiligten nicht; dem Revisionsvorbringen und dem Protokoll ist weder ein Widerspruch noch sonst eine Beanstandung der Verfahrensweise zu entnehmen. Abgesehen davon hat der Beschwerdeführer in seiner umfangreichen Einlassung den Inhalt der zentralen Urkunden selbst vorgetragen.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 477/06
vom
21. November 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. November 2006 beschlossen
:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 8. Mai 2006 werden als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt
der Senat:
Sofern eine Urkunde nur auszugsweise verlesen werden soll,
empfiehlt es sich - worauf der Senat bereits mehrfach hingewiesen
hat - sowohl den Verlesungszweck (vgl. Beschluss vom
25. Oktober 2006 - 1 StR 424/06) wie auch die verlesenen Teile
der Urkunde zu protokollieren und ggfs. auch in der Urkunde z.B.
durch Klammern kenntlich zu machen.
Ebenso sollte tunlichst vermieden werden, dass gleichartige Vorgänge
in der Hauptverhandlung unterschiedlich protokolliert werden
bzw. dass dies teilweise erfolgt und teilweise unterbleibt (vgl.
Beschluss vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Vorliegend kann der
Senat aufgrund des Hauptverhandlungsprotokolls vom 29. März
2006, wonach beide Schöffen erklärt haben, dass sie die ihnen zur
Verfügung gestellten Niederschriften gelesen haben, ausschließen
, dass der Schöffe S. diese Unterlagen zuvor nicht erhalten
hat, auch wenn es im Gegensatz zur Schöffin Se.
insoweit keinen Protokollvermerk gibt.
Nack Wahl Kolz
Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 492/03
vom
5. Mai 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Geiselnahme u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Mai 2004,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode
als Vorsitzender,
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 15. Mai 2003 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Nach den Feststellungen des Landgerichts verdächtigte der Angeklagte die Geschädigte B., sein Portemonnaie mit 1200 € Bargeld entwendet zu haben. Als die Geschädigte den Diebstahl abstritt, hielten sie der Angeklagte und zwei Mittäter über mehrere Stunden in ihrer Wohnung fest, durchsuchten die Wohnung und versuchten, sie abwechselnd durch gutes Zureden und den Einsatz körperlicher Gewalt und Drohungen dazu zu bringen, den Diebstahl einzugestehen. Die Geschädigte wurde u. a. mit den Händen und mit einem Brotmesser geschlagen, mit einem zerrissenen Kissenbezug
stranguliert, so daß sie in Luftnot geriet, und mit einem heißen Bügeleisen am Gesicht bedroht. Der Angeklagte täuschte der Geschädigten vor, er werde sie durch einen Frankfurter Freund abholen lassen, der sie auf den Strich schicken werde. Diese Rolle übernahm der Bruder des Angeklagten, der in der Wohnung erschien und die Geschädigte durch Äußerungen, man könne durch Veräußerung ihrer Organe zusätzliches Geld einnehmen, noch mehr ängstigte. Dennoch bestritt die Geschädigte weiterhin den Diebstahl. Eine zwischenzeitliche Suche nach dem Portemonnaie im Gasthaus der Eltern des Angeklagten blieb erfolglos. Die vollkommen erschöpfte und verstörte Geschädigte, die danach mit dem Angeklagten wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt war, sah zum Schluß keinen anderen Ausweg mehr, als sich mit einem Tapeziermesser die Pulsadern aufzuschneiden, woraufhin der Angeklagte einen Notarzt rief.

II.

Die Revision des Angeklagten hat fünf Verfahrensrügen erhoben (im einzelnen siehe nachstehend); mit der Sachrüge macht sie insbesondere geltend , daß die Feststellungen bezüglich der Voraussetzungen sowohl des § 46 a StGB als auch des § 239 b Abs. 2 i. V. m. § 239 a Abs. 4 StGB lückenhaft seien und daß die erkannte Strafe unvertretbar hoch sei. Die Rügen sind unzulässig oder unbegründet. 1. Die vier Angeklagten waren während der Vernehmung der Zeugin B. aus dem Sitzungssaal entfernt worden (§ 247 StPO). Während der Vernehmung am dritten Hauptverhandlungstag wurden ausweislich des Protokolls die Lichtbilder Bl. 29 bis 32 der Akte, welche den Tatort (Wohnung der Zeugin B.) zeigen, "zum Gegenstand der Verhandlung gemacht, von der Zeugin und Nebenklägerin und den Verfahrensbeteiligten eingesehen". Anschließend bekundete die Zeugin auf Fragen der Beteiligten weiter zur Sache. Die Ver-
nehmung der Zeugin wurde sodann unterbrochen und sie verließ den Sitzungssaal. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung mit den Angeklagten wurden sie über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung der Zeugin und Nebenklägerin unterrichtet. Ein Verfahrensfehler (§ 247 StPO i. V. m. § 338 Nr. 5 StPO) ist entgegen der Auffassung der Revision und des Vertreters der Bundesanwaltschaft nicht nachgewiesen. Die Niederschrift über die Hauptverhandlung ist unklar. Das Wort "Augenschein" wird dort nicht verwendet. Nach dem auslegungsfähigen Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls kommt sowohl in Betracht, daß die Lichtbilder zur Veranschaulichung der Aussage der Zeugin bei der Darstellung der Örtlichkeiten und somit als Vernehmungsbehelf dienten (vgl. BGHSt 18, 51, 54), als auch, daß eine förmliche Beweisaufnahme (Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins ) stattgefunden hat. Auch die Einbeziehung der sonstigen Umstände führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis: Der Umstand, daß die Verwendung der Lichtbilder überhaupt protokolliert worden ist, könnte zwar auf eine förmliche Beweisaufnahme hindeuten, denn die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelf im Verlauf einer Zeugenvernehmung bedarf nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift (Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl. § 273 Rdn. 8). Entsprechende Protokollierungen erfolgen jedoch nach der Erfahrung des Senats immer wieder , so daß der Protokollierung als solcher kein Beweiswert für die eine oder andere Auslegung zukommt. Die Tatsache, daß die Lichtbilder in der Anklageschrift als Beweismittel genannt worden sind, belegt nicht, daß sie auch tatsächlich zum förmlichen Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden sind. Es ist nicht unüblich, daß nicht alle in der Anklageschrift aufgeführten
Beweismittel in der Hauptverhandlung verwendet werden. Aus dem Urteil ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine Augenscheinseinnahme; dort werden die Lichtbilder nicht erwähnt. Soweit der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Vorgang für sich als Augenscheinseinnahme notiert hat, ist er möglicherweise einem Irrtum erlegen; hierfür könnte sprechen, daß er auch das schlichte Angebot an die Angeklagten, Einsicht in die Lichtbilder zu nehmen, als Wiederholung der Augenscheinseinnahme vermerkt hat. Dieses Angebot an die Angeklagten muß nicht deshalb erfolgt sein, weil eine förmliche Augenscheinseinnahme vorangegangen ist; möglicherweise sollte ihnen die angebotene Einsichtnahme in die Lichtbilder auch nur zum besseren Verständnis des mitgeteilten Inhalts Zeugenaussage dienen. Hierfür könnte sprechen, daß der Vorsitzende der Strafkammer diesen Vorgang nach seiner dienstlichen Erklärung nicht für protokollierungsbedürftig gehalten hat, was für einen Vernehmungsbehelf zutrifft. Im übrigen läßt auch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden nicht erkennen, ob in Abwesenheit der Angeklagten eine Augenscheinseinnahme stattgefunden hat. Nach alledem bleibt die Formulierung im Protokoll mehrdeutig. Eine Auslegung "in dubio pro reo" zugunsten des Angeklagten kommt nicht in Betracht. Verfahrensfehler müssen nachgewiesen sein (Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 41). Das ist hier nicht der Fall. 2. Am vierten Verhandlungstag wurde die Hauptverhandlung nach einer Unterbrechung ab 14.05 Uhr ohne die Angeklagten fortgesetzt. In ihrer Abwesenheit wurde auf den am ersten Hauptverhandlungstag gefaßten und ihnen bekannt gegebenen Beschluß über ihre Entfernung aus dem Sitzungszimmer für die Dauer der Vernehmung der Zeugin B. Bezug genommen und die Vernehmung der Zeugin fortgesetzt. Dieses Vorgehen läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Der Entfernungsbeschluß galt für alle Abschnitte der Vernehmung dieser Zeugin.
3. Am vierten Hauptverhandlungstag hat der Verteidiger des Angeklagten mit der Zeugin B. die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs in Abwesenheit des Angeklagten erörtert. Dieser Vorgang war hier Teil der Vernehmung der Zeugin und von dem am ersten Hauptverhandlungstag gefaßten Beschluß gedeckt. 4. Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung des am vierten Hauptverhandlungstag gestellten Beweisantrags auf Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens ist unzulässig, weil die Revision zwar den Inhalt dieses Beweisantrags mitteilt, nicht aber den Inhalt des darin in Bezug genommenen Beweisantrags betreffend die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Aussagetüchtigkeit der Zeugin. 5. Die Begründung, mit der die Strafkammer den Beweisantrag vom fünften Hauptverhandlungstag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens über die Zeugin B. abgelehnt hat, hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat durch die Zuziehung des Sachverständigen Prof. Dr. G. die Beweisaufnahme auch auf die Frage des Einflusses einer posttraumatischen Belastungsstörung auf die Aussagetüchtigkeit und die Erinnerungsfähigkeit der Zeugin B. erstreckt. Durch die Anhörung des Sachverständigen hat sie sich entsprechende eigene Sachkunde verschafft, so daß sie mit dieser Begründung entsprechende Beweisanträge ablehnen konnte. 6. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auf den unklaren Feststellungen, ob die Voraussetzungen des § 46 a StGB vorliegen, beruht das Urteil nicht. Falls die Voraussetzungen des § 46 a
StGB vorliegen, ist dieser vertypte Milderungsgrund dadurch verbraucht, daß die Strafkammer das Bemühen des Angeklagten um den Täter-Opfer-Ausgleich ebenso wie den Umstand, daß er die Tat abbrach, als die Zeugin einen Selbstmordversuch unternahm, bei der Bejahung eines minder schweren Falls der Geiselnahme berücksichtigt hat. Eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB kommt dann nach § 50 StGB nicht in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 46 a StGB hingegen nicht vor, scheidet auch eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB aus. Die von der Strafkammer gegen den Angeklagten verhängte Strafe liegt innerhalb des dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Ermessens , ihre Höhe ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bode Otten Rothfuß Fischer Roggenbuck

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 34/03
vom
17. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 2. August 2002 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg: Die Strafkammer hat handschriftlich von der Zeugin I. A. niedergelegte Schriftstücke, vornehmlich Briefe, zur Beweisführung gegen den die Taten bestreitenden Angeklagten verwendet, die nicht vollen Umfangs Gegenstand der Beweiserhebung waren. Zu Recht beanstandet die Revision, daß das Landgericht bei seiner Beweisführung Beweismittel verwertet, die es nicht prozeßordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt hat und deshalb seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht vollständig aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft hat (§ 261 StPO).
1. Die Strafkammer stellt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin I. A. , der Schwiegertochter des Angeklagten und den Urteilsgründen zufolge Opfer der Vergewaltigungen, maßgeblich auch darauf ab, daß der Angeklagte der Zeugin mehrere Briefe und eine Bestätigung "Wort für Wort" diktiert habe. Die Verteidigung hatte diese Texte im Verfahren - zum Teil in Kopie - vorgelegt, um zu belegen, daß die Zeugin I. A. sich gegen ihre eigenen Eltern gewandt habe und daß sie Gerüchten entgegengetreten sei, sie werde in der Familie ihres Ehemannes und ihres Schwiegervaters - des Angeklagten - isoliert und schlecht behandelt. I. A. hat hingegen ausgesagt , sie habe die Schriftstücke auf Veranlassung des Angeklagten schreiben müssen; dieser habe ihr die Texte, die auch unzutreffende Behauptungen enthalten hätten, Wort für Wort diktiert. Die Strafkammer hat die Aussage I. A. s für glaubhaft erachtet. Sie ist ihr auch insoweit gefolgt, als sie bekundet hat, der Angeklagte habe sie angehalten, die Texte zu schreiben und ihr diese wörtlich diktiert. Dabei stützt sich die Strafkammer auf das aussagepsychologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. , dem die Texte der Zeugin I. A. als Anknüpfungstatsachen zur Verfügung standen; darüber hinaus nimmt sie aber auch eine eigenständige Bewertung der Schriftsücke vor. Sie hebt hervor, daß „die Formulierungen, der Satzbau und die gesamte Diktion der Briefe (Bl. 92/99 und 101/106 d.A.)“ eindeutig dagegen sprächen, daß diese dem Inhalt nach von I. A. stammten (UA S. 152). 2. Die in Rede stehenden, handschriftlich von der Zeugin I. A. verfaßten Urkunden sind in den Urteilsgründen vollständig in Ablichtung wiedergegeben ("hineinkopiert"; UA S. 14 a bis 14 n) worden. In der Beweisaufnahme sind sie laut Protokoll überwiegend nur "auszugsweise" verlesen worden (§ 249 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die verlesenen Teile wurden dabei - entgegen § 273 Abs. 1 StPO (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 273 Rdn. 16)
nicht bezeichnet. Im Hinblick auf die insoweit unklare Sitzungsniederschrift hat der Senat auf entsprechenden Vortrag der Revision im Wege des Freibeweises zum Umfang der Verlesung Dienstliche Äußerungen der berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer eingeholt. Diese ergaben, daß weite Teile der Schreiben nicht Gegenstand der Urkundsbeweiserhebung waren. 3. Die Strafkammer hat damit ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht allein aus dem Inhalt der Hauptverhandlung geschöpft (§ 261 StPO).
a) Die von I. A. niedergelegten Texte sind in ihrer Deutung tragende Elemente der Beweisführung des Landgerichts. Sie sind mehrere Seiten lang; die Strafkammer stellt auf die Formulierungen, namentlich den Satzbau und den Stil ab. Sie durften daher nicht nur im Wege der Zeugenaussage auf Vorhalt hin und als Anknüpfungstatsachen durch das Sachverständigengutachten in die Beweisaufnahme eingeführt werden; sie bedurften vielmehr des Urkundsbeweises , wenn die Strafkammer unmittelbar auf sie zurückgreifen und nicht nur das Sachverständigengutachten als Beweismittel heranziehen wollte (vgl. BGHSt 11, 159).
b) Die Strafkammer hat die Texte auch zum Zwecke des Beweises verwertet , nicht nur zur Vervollständigung der Urteilsgründe mit nicht beweisbedürftigen Tatsachen (vgl. BGHSt 11, 159, 162). Die Formulierungen der Texte werden für die Bewertung herangezogen, daß diese in ihrem gedanklichen Inhalt und in der Fassung vom Angeklagten herrühren und dieser sie der Zeugin I. A. diktiert habe. Dies aber ist mittragend dafür, daß die Strafkammer die Aussage I. A. s für glaubhaft erachtet hat.
4. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht. Die Existenz, den Inhalt und die eigenhändige Niederschrift der Urkunden durch die Zeugin I. A. haben Verteidigung und Angeklagter zwar nicht bestritten, vielmehr die Schriftstücke als von I. A. verfaßt vorgelegt. Für die Beweiswürdigung ist es danach aber weiter darauf angekommen, ob die Texte nach Formulierung und Diktion vom Angeklagten diktiert waren und auch gedanklich von ihm stammten, wie die Zeugin A. bekundet hat. Daß für die Beweisführung hier möglicherweise schon die auszugsweise Verlesung weiter Teile der Schriftstücke und das Sachverständigengutachten eine hinreichend tragfähige Beweisgrundlage hätten abgeben können, muß dahingestellt bleiben. Die Strafkammer hat die Texte vollständig in die Urteilsgründe eingefügt und sie damit von Anfang bis Ende beweiskräftig festgestellt. Sie hat sie - neben dem Sachverständigengutachten - einer Würdigung unterzogen, bei der sie u.a. auf die "gesamte Diktion" abhebt und in Klammern zudem die Blattzahlen der Aktenfundstellen zitiert, welche die Schriftstücke vollumfänglich bezeichnen. Daraus erhellt, daß sie bei ihrer Beweiswürdigung auf die gesamten Urkunden zugegriffen hat. An dieser Bewertung mußten die beiden Schöffen teilhaben, die ihr Richteramt gleichwertig ausüben, denen aber der "Blick in die Akten" grundsätzlich verwehrt ist. Unter diesen Umständen steht fest, daß die Strafkammer - unter Mitwirkung der Schöffen - die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf der Grundlage der vollständigen, originalgetreu im Wege der Ablichtung in die Urteilsgründe aufgenommenen in Rede stehenden Schriften der Zeugin I. A. gewonnen hat, diese aber nicht vollständig Gegenstand einer prozeßordnungsgemäßen Beweiserhebung waren.
Das angefochtene Urteil unterliegt infolgedessen der Aufhebung; die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Nack Schluckebier Herr RiBGH Dr. Kolz ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack
Hebenstreit Frau Richterin am BGH Elf ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 181/10
vom
8. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 3. November 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Es kann dahinstehen, ob die Rüge (Nr. III) der Verletzung des § 244 Abs. 5 StPO im Hinblick auf die Darlegungserfordernisse des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO in zulässiger Form erhoben wurde.
Denn es kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf einer Nichtberücksichtigung des in der Revisionsbegründung zitierten Gesprächsteils beruhen kann. Die Strafkammer hat aufgrund einer sehr ausführlichen und sorgfältigen Beweiswürdigung ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der umfassenden und sehr differenzierten Angaben der Geschädigten gewonnen, insbesondere von deren Erlebnisbezug. Das Landgericht hat sich dabei mit allen in Frage stehenden Gegenhypothesen auseinandergesetzt, so auch mit der Möglichkeit einer Fremdsuggestion. Dafür, so die Strafkammer, wäre die Mutter der Geschädigten grundsätzlich in Betracht gekommen. Die Strafkammer hat es jedoch schon rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass es in der Kürze der für eine Einflussnahme zur Verfügung stehenden Zeit möglich gewesen wäre, eine derartig komplexe Aussage der Tochter zu suggerieren (UA S. 67). Außerdem ergab die in der Hauptverhandlung umfassend angehörte (Privat-)aufzeichnung der Befragung der Geschädigten am 21. September 2009 durch die Mutter und die Zeugin K. ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 68) „nicht, dass die Zeugin [die Geschädigte] in suggestiver Weise befragt wurde“. Darauf, dass sich die Mutter in dem in Frage stehenden Gesprächsausschnitt vom Tag zuvor einer entsprechenden Einflussmöglichkeit zu berühmen scheint, kommt es daher nicht an. Der Senat weist erneut darauf hin, dass es bei einer nur ausschnittsweisen Verlesung eines Schriftstücks - bzw., wie hier, einer nur teilweisen Anhörung eines aufgenommenen Gesprächs - der genauen Bezeichnung der verlesenen bzw. angehörten Abschnitte in der Sitzungsniederschrift bedarf. Die bloße Dokumentation einer „teilweisen“ Verlesung oder Anhörung genügt in aller Regel nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Juli 2003 - 1 StR 34/03; 25. Oktober 2006 - 1 StR 424/06; 21. November 2006 - 1 StR 477/06).
Eine Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hätte im vorliegenden Fall möglicherweise zur Klärung des Umfangs der Anhörung des aufgezeichneten Gesprächs in der Hauptverhandlung beitragen können und wäre deshalb zweckmäßig gewesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 503/06 Rdn. 10; 11. April 2007 - 3 StR 114/07 Rdn. 11; 19. Februar 2008 - 1 StR 62/08). Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Sander

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.