Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2008 - 3 StR 376/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg. Soweit sie sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet, hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs.2 StPO). Das Urteil ist lediglich um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß zu ergänzen.
- 2
- 1. Nach Eingang der Revisionsbegründung beim Landgericht am 23. März 2006 ist es zu einer Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledi- gung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) gekommen. Dafür, dass der Vorsitzende erst mit Verfügung vom 19. Juni 2007 die Sache der Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 StPO vorgelegt hat, fehlte es an einem sachlichen Grund. Mit der Weiterleitung der Akten in dem aus einem größeren Verfahrenskomplex abgetrennten Verfahren gegen den Angeklagten durfte er nicht warten, bis das Verfahren gegen den Hauptangeklagten D. zum Abschluss gekommen war, sondern hätte im erforderlichen Umfang - der Angeklagte war nur wegen einer Beihilfetat verurteilt worden - Doppelakten anlegen lassen müssen. Durch das Versäumnis ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von etwa einem Jahr und zwei Monaten eingetreten.
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- Diesen Umstand hat der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Erhebung einer Verfahrensrüge bedarf es im vorliegenden Fall nicht (BGH NStZ 2001, 52; NStZ-RR 2005, 320). Über die nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Verstößen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorzunehmende Art der Kompensation ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - Beschl. vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 = NJW 2008, 860; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt - dazu 2.) kann der Senat hier aufgrund der Hauptverhandlung und eines Antrags des Generalbundesanwalts selbst entscheiden (dazu 3.). Dies führt dazu, dass ein Monat der erkannten Freiheitsstrafe als verbüßt angerechnet wird (dazu 4.).
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- 2. Die nach der Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung notwendige Kompensation erfolgt nicht länger durch einen bezifferten Abschlag von der eigentlich verwirkten schuldangemessenen Strafe ("Strafabschlagslösung" ), sondern durch einen nach der eigentlich Strafzumessung vorzunehmenden gesonderten Schritt: In der Urteilsformel ist auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Es kann aber im Einzelfall auch ausreichen, dass zur Kompensation die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt wird (BGH aaO Rdn. 56).
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- Damit wird der Ausgleich für ein dem Staat zuzurechnendes, das Gebot zügiger Verfahrensführung verletzendes Verhalten von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe abgekoppelt (BGH aaO Rdn. 36). Er ist allein an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auszurichten und aufgrund einer wertenden Betrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung; Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane , Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten) zu bemessen (BGH aaO Rdn. 35, 42, 56).
- 6
- 3. Über die Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. zur Berücksichtigung von Verfahrensverzögerungen nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durch das Revisionsgericht BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Satz 2 Herabsetzung 1; Senat , Urt. vom 8. Februar 2007 - 3 StR 493/06 - Verfassungsbeschwerde verworfen durch BVerfG [Kammer] NStZ 2007, 710). Daran hat der Wechsel von der Strafabschlagslösung zur Vollstreckungslösung nichts geändert. Es handelt sich, auch wenn die Kompensation nunmehr - losgelöst von der eigentlichen Strafzumessung - unter Entschädigungsgesichtspunkten erfolgt, um eine Zumessung der Rechtsfolgen im Sinne dieser Vorschrift. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, zwei Monate der Strafe für vollstreckt zu erklären. In der Hauptverhandlung vor dem Senat (vgl. BVerfG [Kammer] NStZ 2007, 710, 711; BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Verfahren 2) hatte der Angeklagte Gelegenheit vorzutragen, wie sich die Verfahrensverzögerung für ihn ausgewirkt hat.
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- 4. Der Senat stellt fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Eine weitergehende Kompensation kommt nicht in Betracht und wäre deshalb nicht mehr angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO. Zwar hat der Vorsitzende die Sache über einen erheblichen Zeitraum liegen lassen, wodurch sich für den Angeklagten der Beginn der Bewährungszeit hinausgeschoben und der Zeitraum verlängert hat, in welchem bei erneuter Straffälligkeit ein Widerruf der Strafaussetzung möglich ist (vgl. § 56 a Abs. 2 Satz 1, § 56 f Abs. 1 Satz 2 StGB). Indes war das Vorgehen des Vorsitzenden - was den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht ungeschehen macht, aber bei dessen Gewichtung bedeutsam ist - der Bemühung geschuldet, das Verfahren gegen den Haupttäter zügig fortzusetzen. Zudem hatte die Verzögerung auf den Angeklagten erkennbar nur geringe Auswirkungen, weil sie nach dem Urteil des Landgerichts eintrat und der Angeklagte sich in Freiheit befand. Er war demnach weder durch die Ungewissheit , wie der Tatrichter in seiner Sache entscheiden würde, noch durch die fortdauernde Teilnahme an einer Hauptverhandlung und erst recht nicht durch Untersuchungshaft beeinträchtigt. Zudem war wegen der Bewährungsstrafe mit dem Eintritt der Rechtskraft ein Strafantritt und damit ein Einschnitt in die Lebenssituation für den Angeklagten nicht zu befürchten.
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- 5. Die gegen die Verurteilung insgesamt gerichtete Revision hat nur einen geringen Teilerfolg, so dass es nicht unbillig ist, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Wird das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten, so gibt der Staatsanwalt in dieser Frist eine Gegenerklärung ab, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Der Angeklagte kann die Gegenerklärung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben.
(2) Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das Revisionsgericht.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
- 1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.