Bundesgerichtshof Urteil, 10. Jan. 2012 - 1 StR 580/11

bei uns veröffentlicht am10.01.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 580/11
vom
10. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Januar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
die Angeklagte in Person,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 27. Juni 2011 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat festgestellt:
2
Die Angeklagte war Lebenspartnerin eines wohlhabenden russischen Geschäftsmannes. Im Zusammenhang mit Immobilienerwerb und sonstigen Geschäften in Deutschland hatten sich ein Ehepaar und dessen Sohn auf Kosten dieses Geschäftsmannes in erheblichem Umfang betrügerisch bereichert. Sie wurden deshalb in mehreren Verfahren rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt.
3
Die Angeklagte trennte sich von dem Geschäftsmann und heiratete den Sohn des Ehepaares. Um (weiter) auf Kosten des Geschäftsmannes komfortabel leben zu können, klagte die Angeklagte in engem Zusammenwirken mit ihrem Mann in einem Zivilprozess gegen den Geschäftsmann mehr als zwei Millionen US-$ ein, bei denen es sich um den Rest eines angeblichen Schenkungsversprechens des Geschäftsmannes gegenüber der Angeklagten über 5 Millionen US-$ handeln sollte. Tatsächlich war, wie die Angeklagte wusste, ein solches Schenkungsversprechen nie abgegeben worden. Die Klage wurde abgewiesen, auch die hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Im Rahmen dieses Prozesses wurden mehrere gefälschte Urkunden vorgelegt.
4
Zwei der gefälschten Urkunden wurden auf Grund neuen Entschlusses auch einem anderen Gericht im Rahmen eines Arrestverfahrens vorgelegt, das der Geschäftsmann zur Sicherung seiner (später geltend gemachten und nach Jahren letztlich mit einem umfassenden Vergleich erledigten) Forderung auf Rückübertragung früherer Leistungen an die Angeklagte angestrengt hatte.
5
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurden die Angeklagte und ihr Mann nach 15 Hauptverhandlungstagen wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Klage) in Tatmehrheit mit einer weiteren Urkundenfälschung (Arrestverfahren) verurteilt, der Mann unter Einbeziehung mehrerer anderweitiger Verurteilungen zu einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten, die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, zehn Monaten und drei Wochen.
6
Sie ist aus einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten für den versuchten Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung und einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen für die weitere Urkundenfälschung gebildet.
7
3. Der Senat hat die Revision des Mannes durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO am 14. Dezember 2011 verworfen.
8
4. Auch die Revision der Angeklagten bleibt erfolglos.
9
a) Schuldspruch und Einzelstrafen sind rechtsfehlerfrei, wie dies der Generalbundesanwalt , auch schon in seinem Antrag vom 15. November 2011, zutreffend dargelegt hat.
10
b) Die Gesamtfreiheitsstrafe wäre gemäß § 39 StGB in vollen (Jahren und) Monaten zu bilden gewesen. Anders wäre es nur, wenn sonst den Regeln der Gesamtstrafenbildung (§ 54 StGB) nicht entsprochen werden könnte. Dies ist hier nicht der Fall, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten wäre möglich gewesen, ohne dass damit die Summe der Einzelstrafen erreicht worden wäre. Dieser auch vom Generalbundesanwalt zutreffend näher ausgeführte und belegte Rechtsfehler hat sich aber - in freilich begrenztem Umfang - nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt.
11
c) Auch die Versagung von Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher Überprüfung stand.
12
Die Strafkammer hat alle wesentlichen Gesichtspunkte, wie etwa auch die familiäre Situation der Angeklagten (minderjährige Kinder) gesehen und abgewogen und hat letztlich der zu Tage getretenen ungewöhnlich hohen kriminellen Energie maßgebliches Gewicht beigemessen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie dabei die dem Tatrichter gezogenen Grenzen überschritten hätte.
13
Dies wird auch nicht durch folgende Erwägung der Strafkammer in Frage gestellt: “Die Persönlichkeit der Angeklagten lässt keine für sie sprechenden besonderen Umstände erkennen, die dieses Tatbild hätten in den Hintergrund treten lassen. Insbesondere kommt ihr mangels eines teilweisen oder gar umfassenden Geständnisses nicht die im Rah- men der Beurteilung der Persönlichkeit eines Täters günstige Wirkung eines solchen zugute."
14
Hätte die Strafkammer damit besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB deshalb verneint, weil die Angeklagte nicht geständig war, bestünden hiergegen, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt und belegt hat, allerdings rechtliche Bedenken.
15
So verhält es sich jedoch nicht. Die Strafkammer hat vielmehr auf das Fehlen eines Geständnisses hingewiesen, um darzutun, dass damit ein Gesichtspunkt nicht vorliegt, der gegebenenfalls als besonderer Umstand im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hätte wirken, also die für die Versagung der Strafausset- zung zur Bewährung maßgeblichen Gesichtspunkte hätte relativieren („in den Hintergrund treten lassen“) können. Rechte der Angeklagten sind dadurch nicht verletzt, auch nicht ihr Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen (BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 24. November 2000 - 2 BvR 2025/00).
16
5. Der Senat bemerkt, dass dennoch hypothetische Überlegungen dazu, wie es sich auswirken könnte, wenn etwas, was nicht vorliegt, doch vorläge oder umgekehrt, überflüssig sind. Sie können die Klarheit von Feststellungen oder (hier) Wertungen beeinträchtigen, zu Missdeutungen Anlass geben, letztlich sogar den Bestand eines Urteils gefährden und sollten unterbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - 1 StR 410/06; Urteil vom 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04, NStZ-RR 2005, 264, 265 mwN). Nack Wahl Graf Jäger Sander

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafgesetzbuch - StGB | § 54 Bildung der Gesamtstrafe


(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener

Strafgesetzbuch - StGB | § 39 Bemessung der Freiheitsstrafe


Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Wochen und Monaten, Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen.

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Bundesgerichtshof Urteil, 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04

bei uns veröffentlicht am 31.05.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 290/04 vom 31. Mai 2005 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Mai 2005, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bund

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2006 - 1 StR 410/06

bei uns veröffentlicht am 28.09.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 410/06 vom 28. September 2006 in dem Sicherungsverfahren Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2006 beschlossen : Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Wochen und Monaten, Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 410/06
vom
28. September 2006
in dem Sicherungsverfahren
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2006 beschlossen
:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 4. Mai 2006 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten ergeben hat
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat.
1. Die Urteilsgründe sollen sich auf die Mitteilung beschränken,
welche relevanten Tatsachen als erwiesen angesehen werden
(§ 267 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO). Hilfserwägungen (wie hier
im Rahmen der Begründung der Unterbringungsanordnung dahingehend
, wie es zu beurteilen wäre, wenn die debile Geschädigte
- entgegen den zuvor getroffenen Feststellungen - geäußert
hätte, der Angeklagte solle zu ihr ins Bett kommen und
dieser darin eine Aufforderung zu sexuellen Handlungen gesehen
haben sollte [UA Seite 10]) stellen eine unnötige Belastung
der Urteilsgründe dar, beeinträchtigen ihre Klarheit und können
zu Missdeutungen Anlass geben. Im Einzelfall kann auf diese
Weise der Bestand des Urteils in Frage gestellt werden, wenn
durch solche Erwägungen Zweifel an der Eindeutigkeit der
Feststellungen entstehen (vgl. BGH - Senat - NStZ-RR 2005,
264, 265).
2. Die Strafkammer hat die Gefährlichkeit des Angeklagten rechtsfehlerfrei
festgestellt und ist - ebenfalls ohne Rechtsfehler - zu
dem Ergebnis gekommen, dass der vom Angeklagten ausgehenden
Gefahr gegenwärtig nur durch die Anordnung der Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
- und deren Vollzug - ausreichend begegnet werden
kann. Dies steht hier auch nicht außer Verhältnis zur Anlasstat
(vgl. hierzu BGH NStZ-RR 1998, 359, 360). Im Hinblick auf das
Übermaßverbot ist es im vorliegenden Fall gleichwohl geboten,
unverzüglich nach einer alternativen Unterkunft für den Angeklagten
zu suchen, damit der Vollzug der Maßregel nach Möglichkeit
alsbald zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Bei der
spezifischen vom Angeklagten ausgehenden Gefahr erscheint
es durchaus denkbar, dass auch in einem gemischtgeschlechtlichen
Seniorenwohnheim ausreichende Vorkehrungen hiergegen
getroffen werden können. Hierauf hinzuwirken, ist primär
Sache der Justiz, als dem staatlichen Bereich, die den kranken
Angeklagten - hier bereits mit der vorläufigen Unterbringung
gemäß § 126a StPO - in Obhut nahm und damit auch dafür
verantwortlich ist, dass das mit der Anordnung der einschneidenden
Maßnahme der Unterbringung des schuldunfähigen
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundene
Übel minimiert wird. Keinesfalls dürfen der Angeklagte, beziehungsweise
sein Betreuer und sein Verteidiger, bei der Su-
che nach einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit außerhalb
der Psychiatrie alleine gelassen werden.
Nack Wahl Hebenstreit
Frau RinBGH Elf befindet sich
in Urlaub und ist deshalb an der
Unterschrift gehindert.
Nack Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 290/04
vom
31. Mai 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Mai 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte (in der Verhandlung),
Justizangestellte (bei der Verkündung)
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 5. März 2004 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen.

Gründe:


I.

Der Angeklagte spaltete am Vormittag des 22. Mai 2003 auf dem Speicher des von ihm mit seiner Lebensgefährtin Y. M. und deren 1991 geborener Tochter bewohnten Hauses mit einer Axt alte Schranktüren zu Kleinholz für ein Grillfest. Y. M. war auch auf dem Speicher. Anhaltspunkte für eine massive, etwa sexuell gefärbte Beleidigung des Angeklagten durch Y. M. oder sonst einen ernsthaften Streit zwischen ihnen gibt es nicht, wenn es überhaupt eine Auseinandersetzung gegeben haben sollte, ging es dabei allenfalls um weniger bedeutsame Fragen wie z.B. "den Dachausbau" oder "allgemein ... Unehrlichkeiten". Damit ist z. B. gemeint, daß es ihr nicht gefiel, daß der Angeklagte ihr zwar seit langem ein Auto versprochen hatte, dieses Versprechen aber nicht einhielt. Selbst wenn es aber wegen derartiger Fragen auf dem Speicher zu einer Auseinandersetzung gekommen sein sollte, wollte ihm jedenfalls die ahnungslose Y. M. beim Holzspalten helfen
und hielt deshalb eine alte Tür mit beiden Händen umfaßt. Sie befand sich dabei vor ihm in der Hocke und drehte ihm den Rücken zu. In dieser Lage schlug er sie mit mehreren Axtschlägen nieder, um sie zu töten. Da er "sichergehen wollte", daß Y. M. , die kein Lebenszeichen mehr von sich gab, auf jeden Fall zu Tode käme, holte er aus der Küche im Erdgeschoß ein großes Messer, mit dem er ihr, weiter in Tötungsabsicht handelnd, eine Reihe wuchtiger Stiche zufügte, was zu ihrem sofortigen Tode führte. Unmittelbar nach der Tat ("sogleich") ging er daran, die "Tatspuren soweit wie möglich zu verwischen". So trug er etwa Kleider und den Beautycase (Schminkkoffer) der Getöteten auf den Speicher, was wiederum die Grundlage dafür war, daß er die Tochter von Y. M. , die kurz darauf aus der Schule nach Hause kam, glauben machen konnte, ihre Mutter hätte völlig überraschend auf einen Lehrgang reisen müssen. Es gelang ihm insgesamt, sowohl die Tochter als auch sonstige Verwandte von Y. M. über Wochen hinzuhalten, bis schließlich nach mehr als einem Monat Vermißtenanzeige erstattet und die in einen Teppich eingewickelte Leiche am 2. Juli 2003 auf dem Speicher gefunden wurde. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

II.

Die auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat die Revision - im Kern, aber nicht in allen Einzelheiten entsprechend ihren vorbereitenden schriftlichen Ausführungen - im wesentlichen geltend gemacht, die Unerklärlichkeit der Tat
spreche für Tatauslösung durch einen hochgradigen Affekt bzw. affektiven Durchbruch. Soweit die Strafkammer nach sachverständiger Beratung zu einer gegenteiligen Auffassung gelangt sei, seien die Ausführungen des Sachverständigen unzulänglich. Er hätte seinen Erwägungen eine Reihe von der Revision näher ausgeführter Hypothesen zu Grunde legen müssen, z. B. die "einer narzißtischen Kränkung" oder die "eines Impulsdurchbruchs bei einer Verführungssituation im Sinne eines kurzschlüssigen Handlungsimpulses". Im übrigen habe aber die Strafkammer auch selbst einen hochgradigen Affekt zumindest zu Tatbeginn nicht völlig ausschließen können. Insoweit habe sie verkannt , daß - unabhängig vom Zustand des Angeklagten beim weiteren Geschehen - hier wegen der Besonderheiten des Falles ein auch nur bei Beginn der Tat vorliegender hochgradiger Affekt zu einer Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 StGB habe führen müssen. Unabhängig davon führe aber dieser Affekt jedenfalls dazu, daß die objektiv zweifelsfrei vorliegenden Voraussetzungen von Heimtücke in subjektiver Hinsicht zu verneinen seien.
1. Zu den hier offensichtlich erfüllten objektiven Vora ussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke muß das sog. Ausnutzungsbewußtsein hinzukommen , der Täter muß also die äußeren Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen und sie bewußt zur Tatbegehung instrumentalisiert haben (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Schneider in Münch-Komm § 211 Rdn. 140 m. zahlr. Nachw. in Fußn. 514 ff.). Auch bei Taten aus rascher Eingebung - Anhaltspunkte für eine andere Annahme hat die Strafkammer nicht festgestellt - bedarf in objektiv klaren Fällen all dies bei einem psychisch normal disponierten Täter keiner näheren Darlegung (vgl. d. N. b. Schneider aaO Rdn. 142 Fußn. 521). Anders kann es jedoch gerade bei "Augenblickstaten"
insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein. Dann kann je nach den Umständen eine nähere Darlegung geboten sein, warum der spontan agierende Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Aspekte in sein Bewußtsein aufgenommen hat (vgl. d. N. b. Schneider aaO Fußn. 522 ff.). 2. Die Strafkammer hat jedoch einen affektiven Durchbru ch oder sonst eine in diesem Zusammenhang bedeutsame Gemütsbewegung des Angeklagten rechtsfehlerfrei verneint.
a) Die Urteilsgründe ergeben, daß nach Auffassung der Strafkammer all dies mit Sicherheit ausgeschlossen war. Sie begründet dies mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. sowie den im einzelnen genannten Feststellungen zum Tat- und Nachtatgeschehen und den Feststellungen zum Lebenslauf und der Persönlichkeit des Angeklagten.
b) Zu seinem Motiv hatte er im Ermittlungsverfahren tr otz stundenlanger intensiver Befragungen speziell hierzu keine in die genannte Richtung deutenden Angaben gemacht, einen Streit vor der Tat habe es nicht gegeben ebensowenig habe ihn Y. M. vor der Tat beleidigt. Er könne sein Verhalten nicht erklären. Mehrere Monate später erklärte er dann gegenüber dem Sachverständigen , sie hätten "eine glückliche sexuelle Beziehung geführt", nie sei "thematisiert worden, daß der Sex zu wenig gewesen sei". Allerdings habe es auf dem Speicher Streit gegeben, z. B. über die Frage des Dachausbaus oder des Autokaufs. Nachdem er dann in der Anklageschrift gelesen hatte, daß für eine Einschränkung der Schuldfähigkeit jeder Anhalt fehle, wollte er nochmals mit dem Sachverständigen sprechen. Dies wurde ihm ermöglicht. Dabei behauptete er,Y. M. habe ihn vor der Tat mit drastischen Worten wegen seiner Erektionsprobleme beleidigt. Die Strafkammer hat dies mit eingehenden,
rechtsfehlerfreien und von der Revision auch nicht konkret in Frage gestellten Erwägungen als prozeßtaktisch bedingte Unwahrheit bewertet. Eine sexuell gefärbte Kränkung oder Beleidigung schließt die Strafkammer dementsprechend "mit Sicherheit" aus.
c) Allerdings erwägt die Strafkammer an anderer Stell e des Urteils folgendes : "Selbst wenn man die Richtigkeit dieser nachgeschobenen Behauptung (bez. sexueller Beleidigung) indes hypothetisch unterstellen würde, hätte dies ... keine (für den Angeklagten günstige) Auswirkungen, da es jedenfalls beim zweiten Tatteil" - gemeint sind damit die Messerstiche - "in jedem Fall an einem hochgradigen ... Affekt fehlt." Hieran knüpft die Annahme der Revision an, die Strafkammer selbst hätte einen hochgradigen Affekt zu Beginn der Tat selbst nicht ausgeschlossen und dessen Bedeutung für die subjektive Seite der Heimtücke verkannt.
d) Der Senat kann dem nicht folgen. Allerdings sollen sich die Urteilsgründe auf die Mitteilung beschränken, welche Tatsachen aus welchen Gründen als erwiesen angesehen werden (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO). Hilfserwägungen , etwa dazu, wie es wäre, wenn etwas Festgestelltes nicht festgestellt wäre oder umgekehrt, sind eine unnötige Belastung der Urteilsgründe, beeinträchtigen ihre Klarheit und können so zu Mißdeutungen Anlaß geben. Im Einzelfall kann auf diese Weise der Bestand des Urteils in Frage gestellt werden , wenn durch solche Erwägungen Zweifel an der Eindeutigkeit der Feststellungen entstehen (in vergleichbarem Sinne Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 267 Rdn. 42 m. w. N.). So verhält es sich hier jedoch nicht, da die Strafkammer die genannten Erwägungen ausdrücklich als "hypothetisch" bezeichnet und insgesamt mehrfach betont, daß sie der nachgeschobenen Behauptung (über sexuell motivierte Beleidigungen) nicht folgt.

e) Es ist auch nicht ersichtlich, daß die Strafkammer recht lich bedeutsame Möglichkeiten (Hypothesen) hinsichtlich der psychischen Ursachen der Tat außer Acht gelassen hätte. Bei der in Rede stehenden Frage geht es um eine sog. innere Tatsache, für die sich Anhaltspunkte im wesentlichen nur aus dem äußeren Geschehensablauf oder aus den Angaben des Betroffenen selbst ergeben können (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147 f.; NStZ 2003, 596 f. m. w. N.). Äußere Anhaltspunkte, die für einen schwerwiegenden Aff ekt sprächen, sind nicht ersichtlich, die unmittelbar nach der Tat einsetzenden systematischen Vertuschungsbemühungen des Angeklagten sprechen vielmehr dagegen (vgl. BGH NStZ 2005, 149, 150 m. w. N.). Die genannten Angaben des Angeklagten waren teils falsch und teils unbehelflich. Zwar dürfen einem Angeklagten aus seinem Aussageverhalten als solchem keine Nachteile erwachsen, jedoch gilt auch in diesem Zusammenhang der Grundsatz, daß es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten (hier: innere) Vorgänge (auch nicht hypothetisch) zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich sind (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ-RR aaO 147 m. w. N.).
f) Nach alledem ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Gericht (bzw. im Vorverfahren die Staatsanwaltschaft) im Rahmen der ihm (ihr) nach Maßgabe des Einzelfalls obliegenden Leitung des Sachverständigen (§ 78 StPO) diesem nicht die genannten Hypothesen (vgl. oben II vor 1) vorgegeben hat. Im übrigen hat ein Sachverständiger, wenn er im Rahmen seiner Tätigkeit Feststellungen trifft, die dem bisher bekannten Sachverhalt nicht entsprechen, seinen Auftraggeber hierauf hinzuweisen (in vergleichbarem Sinne Boetticher /Nedopil/Saß und andere NStZ 2005, 59, 61, dort C I 1.8), gegebenenfalls kann er dann als sachverständiger Zeuge in Betracht kommen. Daß dem Sachverständigen Dr. W. , dem die Strafkammer zutreffend langjährige Erfah-
rung und große Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt bescheinigt, all dies unbekannt gewesen sein sollte, erscheint ausgeschlossen. Ersichtlich hatte er keine konkreten Anhaltspunkte für möglicherweise bedeutsame Varianten bezüglich eines Tatmotivs bzw. eines Affekts gefunden. 3. Auch im übrigen sind Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ersichtlich. Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf